Markus Heitz
Knaur eBooks
Von Markus Heitz sind bereits folgende Titel erschienen:
Ritus
Sanctum
Kinder des Judas
Blutportale
Judassohn
Judastöchter
Oneiros – Tödlicher Fluch
Totenblick
Exkarnation – Krieg der Alten Seelen
Exkarnation – Seelensterben
AERA – Die Rückkehr der Götter
Wédōra – Staub und Blut
Wédōra – Schatten und Tod
Markus Heitz schrieb über 40 Romane und wurde etliche Male ausgezeichnet. Mit der Bestsellerserie um »Die Zwerge« gelang dem Saarländer der nationale und internationale Durchbruch. Dazu kamen erfolgreiche Thriller um Wandelwesen, Vampire, Seelenwanderer und andere düstere Gestalten der Urban Fantasy und Phantastik. Die Ideen gehen ihm noch lange nicht aus.
Das Zitat aus »Kartenspiel im spätmittelalterlichen Bern« erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Autorin.
© 2017 der eBook-Ausgabe Knaur eBook
© 2017 Knaur Verlag
Ein Imprint der Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit
Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.
Dieses Werk wurde vermittelt durch die AVA international GmbH Autoren- und Verlagsagentur, München.
www.ava-international.de
Redaktion: Hanka Jobke
Covergestaltung: Guter Punkt, München / Anke Koopmann
Coverabbildung: Anke Koopmann unter Verwendung einer Illustration von © Elm Haßfurth
ISBN 978-3-426-43452-9
1
Oscar von Hase: Breitkopf und Härtel, in: Allgemeine Deutsche Biographie 3. Leipzig: Duncker & Humblot 1876, S. 298–301.
2
Manfred Wilde: Die Zauberei- und Hexenprozesse in Kursachsen, Köln/Weimar/Wien: Böhlau 2003, S. 531–538.
3
Johann Wolfgang von Goethe: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Berlin: Hofenberg 2016, S. 270.
4
Von Hase, S. 298.
5
Detlef Hoffmann: Spielkarten. Inventarkatalog der Spielkartensammlung des Historischen Museums Frankfurt am Main. Frankfurt a. M. 1972, S. 4; Peter Weise: Rund um die Spielkarte. Ein Streifzug durch das Altenburger Spielkartenmuseum. Berlin: Tribüne Berlin 1986, S. 19.
6
Claus D. Grupp: Die Spielkarten und ihre Geschichte. Historisches um des Teufels Gebetbuch. Bergisch Gladbach: ASS Verlag Leinfelden 1973, S. 55.
7
Erwin Kohlmann, Hellmut Rosenfeld (Hrsg.): Die schönsten deutschen Spielkarten. Leipzig: Insel 1964, S. 38.
8
Hoffmann, S. 4.
9
Grupp, S. 10.
10
Erhard Gorys Das Buch der Spiele. Über 500 Freizeitspiele für Erwachsene. Herrsching: Manfred Pawlak Verlagsgesellschaft 1975, S. 7.
11
Grupp, S. 83.
12
Gorys, S. 7.
13
Grupp, S. 12.
14
Grupp, S. 13; Kohlmann, Rosenfeld, S. 40.
15
Kohlmann, Rosenfeld, S. 39.
16
Kohlmann, Rosenfeld, S. 41.
17
Kohlmann, Rosenfeld, S. 39.
18
Claudia Engler: Kartenspiel im spätmittelalterlichen Bern, in: Librarium: Zeitschrift der Schweizerischen Bibliophilen-Gesellschaft, Band 50, Heft 1, Zürich 2007, S. 5.
19
Grupp, S. 16.
20
Grupp, S. 15.
21
Grupp, S. 16.
22
Grupp, S. 18.
23
Grupp, S. 17.
24
Grupp, S. 16; Weise, S. 18.
25
Weise, S. 20.
26
Grupp, S. 44.
27
Grupp, S. 34.
28
Hoffmann, S. 9.
29
Weise, S. 86.
30
Grupp, S. 58.
31
Grupp, S. 17.
32
Hoffmann, S. 5.
33
Weise, S. 18.
34
Hoffmann, S. 5.
35
Weise, S. 19.
36
Hoffmann, S. 9.
37
Weise, S. 18.
38
Hoffmann, S. 5.
39
Grupp. S. 36.
40
Grupp, S. 37.
41
Grupp, S. 72.
42
Hoffmann, S. 5.
43
Kohlmann, Rosenfeld, S. 38.
44
Weise, S. 21.
45
Grupp, S. 33.
46
Weise, S. 21.
47
Grupp, S. 33; Weise, S. 20.
48
Weise, S. 20.
49
Hoffmann, S. 9.
50
Weise, S. 22.
51
Weise, S. 23.
52
Hoffmann, S. 26.
53
Weise, S. 23.
54
Hoffmann, S. 26.
55
Weise, S. 24.
56
Hoffmann, S. 26.
57
Weise, S. 24.
58
Gorys, S. 7.
59
Weise, S. 24.
60
Weise, S. 25.
61
Grupp, S. 33.
62
Wolfgang Mayr, Robert Sedlaczek: Die Strategie des Tarockspiels. Wien: Edition Atelier 2008, S. 9 ff.
63
Grupp, S. 26.
64
Grupp, S. 27.
65
Grupp, S. 33.
66
Hoffmann, S. 45 f.
67
Hoffmann, S. 9.
68
Weise, S. 20.
69
Grupp, S. 41.
70
Grupp, S. 34.
71
Grupp, S. 57.
72
Grupp, S. 37.
73
Gorys, S. 7.
74
Grupp, S. 61 u. 64.
75
Grupp, S. 71.
76
Weise, S. 77.
77
Spielkartensteuer, in: Gabler Wirtschaftslexikon. URL: http://wirtschaftslexikon.gabler.de/Archiv/-2046854405/spielkartensteuer-v1.html (Stand: November 2016)
78
Grupp, S. 71.
79
Grupp, S. 62.
80
Grupp, S. 16.
81
Grupp, S. 64 f.
82
Grupp, S. 67.
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Grupp, S. 70 f.
84
Grupp, S. 71.
85
Grupp, S. 73.
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Grupp, S. 86.
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Weise, S. 80.
88
Weise, S. 82.
89
Grupp, S. 16.
90
Weise, S. 83.
91
Weise, S. 84 f.
92
Hoffmann, S. 27.
93
Hoffmann, S. 28.
94
Hoffmann, S. 29; Grupp, S. 79.
95
Hoffmann, S. 29.
96
Grupp, S. 80.
97
Hoffmann, S. 29; Grupp, S. 80.
98
Grupp, S. 80.
99
Grupp, S. 82.
100
Grupp, S. 82; Weise, S. 76 f.
101
Hoffmann, S. 29; Grupp, S. 82.
102
Hoffmann, S. 36.
103
Hoffmann, S. 34.
104
Grupp, S. 76.
105
Hoffmann, S. 36.
106
Grupp, S. 76.
107
Hoffmann, S. 36.
108
Weise, S. 75.
109
Weise, S. 85.
110
Grupp, S. 86
111
Grupp, S. 82.
112
Weise, S. 79.
113
Gorys, S. 7, Grupp, S. 73.
114
Weise, S. 86.
115
Weise, S. 88.
116
Weise, S. 88.
Gewidmet den Kartenspielern und Zockern, die mit ihren Erlebnissen und Geschichten wahre Legenden bildeten, von denen heute noch berichtet wird: Lachen, Streit, Ärger, Freude, große Auftritte und kleinlaute Abgänge.
Wie damals in meiner ersten Mau-Mau-Runde: Eine verdammte 7 mehr, und der Sieg wäre mein gewesen! Aber als hätte der Teufel seine Klauen im Spiel gehabt …
Ostsee, 18 Seemeilen nordwestlich von Tallinn (Estland)
Surrend wickelte sich das nasse Drahtseil auf die Trommel, die Kraft des Motors zog die Beute aus der Tiefe des Meeres. Schmutzig graue Tröpfchen lösten sich vom ölschmierigen Tau und fielen zurück in die sachten Wellen. Meter um Meter ging es aufwärts.
Zwei Taucher, deren schwarze Neoprenköpfe wie dunkle Ballons auf der wogenden See trieben, beobachteten das Emporhieven aus einigem Abstand. Ihre Arbeit war getan, doch sie blieben auf Position, um bei einem Abrutschen der Halterung die Bergung wiederholen zu können. Sofern es das schlechter werdende Wetter zuließ.
Die Scheinwerfer und Positionslichter der Anatevka waren trotz der anbrechenden Dämmerung gelöscht. Niemand durfte wissen, was sie auf dem umgebauten Trawler taten. Eine Genehmigung für ihre Unternehmung gab es nicht.
»Rechtzeitig«, kommentierte Kapitän Lugaschin lakonisch. Die Arme auf die Reling gestützt, rauchte er eine russische filterlose Zigarette. Mit der Skippermütze auf den kurzen schwarzen Haaren und in dem dicken Pullover sah er aus wie eine Werbefigur, wahlweise für Kippen oder Alkohol.
»Aye.« Ein Matrose in Marinemantel und mit abgegriffenem Schiffchen bediente zwei Schritte neben ihm die Winde, blickte abwechselnd zum Seil und auf die einfachen, schwach leuchtenden Armaturen.
Angespannt verfolgte Anjelica Clark den Vorgang. Der signalgelbe Plastikmantel schützte sie vor Wind und Gischtschleiern, die Schwimmweste trug sie aus reiner Vorsicht. Sie hatte die Hände in die Taschen gesteckt, in ihrem linken Ohr saß ein Bluetooth-Set, mit dem sie telefonierte; das Satellitentelefon ruhte geschützt in ihrer Hose. »Wir sind gleich so weit, Sir«, meldete sie den Fortgang an ihren Auftraggeber.
Der Rumpf der Anatevka hob und senkte sich spürbar. Die Wellen rollten heran und zeigten den Seeleuten, dass sie allerhöchstens noch eine halbe Stunde an dieser Stelle bleiben konnten, bevor der anrückende Sturm sie an die sichere Küste zwang.
»Die Wettermeldungen sehen schlecht für Ihren Standort aus«, hörte Anjelica ihren Boss sagen, der in einem britischen Clubsessel bei Tee, Scones und Sandwiches saß, während sie den Gewalten trotzte. »Ist das korrekt, Clark?«
»So ist es, Sir. Da zieht was auf.« Anjelica blickte auf den Gegenstand, der unter der bleigrauen Wasseroberfläche als rechteckiger schwarzer Schemen erkennbar wurde. Gleich darauf durchbrach er die Wellen, weiße Bläschen blieben auf dem dunkelbraunen Holz zurück. Mehrere breite Gurte spannten sich um die Fracht und hielten sie sicher umschlungen.
»Langsamer«, befahl Lugaschin gelassen und rührte sich keinen Millimeter.
»Aye«, sagte der Matrose und fing das Schwingen der riesigen Truhe geschickt über das Manövrieren mit dem Lastarm ab.
»Wir haben sie, Sir«, sprach Anjelica laut, um das zunehmende Surren des Windes zu übertönen. »In einem Stück und ohne Beschädigung.«
»Ausgezeichnet!« Freudige Erregung erklang in der Stimme des Auftraggebers. »Lassen Sie meinen Schatz nicht vom Haken!«
»Nein, Sir.«
Der Matrose ließ die geschnitzte Eichenholztruhe behutsam hochziehen und holte sie mit einem Schwenk des Metallgalgens über die Reling, wobei sie Millimeter an Lugaschin vorbeischwebte.
Der Kapitän dachte nicht daran, sich zu bewegen. »Raus mit euch«, rief er den Tauchern zu und schnippte die beinahe aufgerauchte Zigarette in die Ostsee.
Die Männer gaben bestätigende Handzeichen und schwammen auf die Leiter zu.
Anjelica ging zur Truhe, die rumpelnd aufsetzte. Wasser sickerte aus den breiten Spalten und angebrochenen Holzlatten, Schlamm und Bröckchen verteilten sich ringsherum. Der Wind wehte ihr einen modrigen Geruch zu, der alte Schlick schien sie mit Gestank vertreiben zu wollen. Das letzte Sonnenlicht tauchte das Deck in Dunkelgold und ließ die Umrisse verschwimmen.
»Machen Sie Licht, Kapitän«, bat Anjelica.
Als Antwort zog der Skipper eine Taschenlampe vom Gürtel und leuchtete herüber, blieb am Geländer stehen, als lehnte er an einem Bartresen. »Alles andere sieht man zu weit. Die Küstenwache ist aufmerksam, und in der Nähe findet ein Marinemanöver statt. Die werden sich schon wundern, warum wir noch draußen sind und keine Kennung senden.«
Der Matrose beugte sich zur Kiste, löste die Halterung der schlaff herabhängenden Bänder, und auf Anjelicas bestätigendes Nicken hin knackte er das verrostete, korrodierte Schloss mit einem Bolzenschneider.
Nach mehrmaligem Hebeln und dem Einsatz eines Stemmeisens zersprang der Deckel und gab den Blick auf den Inhalt frei.
»Sagen Sie mir, dass mein Schatz da ist, wo ich ihn vermutet habe«, hörte Anjelica ihren Auftraggeber begierig raunen.
Neugierig beugte sich der Matrose über die Ladung, korrigierte verblüfft den Sitz seines Schiffchens. Dann lachte er auf und wechselte einige russische Worte mit dem Kapitän.
»Ist das wahr?« Lugaschin steckte sich die nächste Zigarette in den Mund und zündete sie an. »Kein Gold?« Er fluchte deutlich durch den Wind. »Dann kann ich meine Beteiligung abschreiben.«
Anjelica sah im Schein der Lampe schwarzgrauen Schlamm, die Reste von zersetztem organischem Material und noch mehr Schlick, aus dem Krebse und andere Tiere krochen, um vor dem grellen Licht zu flüchten. Seufzend zog sie ihre Finger aus den Taschen und grub sich durch das eiskalte Sediment. Sie hatte nicht an Handschuhe gedacht und hoffte, weder in scharfkantige noch spitze Dinge zu greifen.
Sie stieß auf Widerstand.
Behutsam zog Anjelica den Gegenstand heraus und hielt eine Flasche mit einem Drahtkorbverschluss in der Hand. Mit Gischtwasser, das sie von den Balken wischte, reinigte sie die Flasche, so gut es ging. Das Dümpeln des Trawlers nahm zu, ihr wurde flau im Magen.
»Clark, machen Sie es nicht unnötig dramatisch«, flüsterte der Mann in ihrem Ohr nervös.
»Sir, ich muss sicher sein. Eine Flasche ist es auf alle Fälle, und« – Anjelica hielt den Korken in den Lichtstrahl – »ich sehe einen Anker darauf. Wir haben mindestens einen Treffer, Sir! Alles Weitere, sobald ich den Inhalt …«
»Los, Clark! Ich bin live dabei, wenn Sie mich reich machen«, unterbrach er sie lachend und schlürfte laut am Tee. »Beste Unterhaltung.«
Anjelica sah zum Matrosen. »Haben Sie was zum Säubern? Einen Wasserschlauch zum Spülen?«
Er nickte knapp und stapfte über das Deck, um gleich darauf mit dem Verlangten zurückzukehren. Auf ihre Anweisung hin schwemmte er nach und nach den Schlick aus der Kiste, der in breiten Schlieren aus den Holzspalten über die Metallplatten der Anatevka lief.
Lugaschin verfolgte das Treiben und rief den Tauchern etwas zu, ohne den Kopf zu wenden. Sie wuchteten sich fluchend an Bord und halfen sich gegenseitig beim Abnehmen der schweren Sauerstoffflaschen.
Unverdrossen gab Lugaschin den unbeweglichen Beleuchter. »Was ist das?«
»Was zu trinken«, gab Anjelica zurück. »Ungenießbar. Wird nicht viel bringen.«
»Mit wem reden Sie, Clark?«, wollte ihr Auftraggeber wissen.
Die Böen rauschten in ihren Ohren und über die Stimme. »Mit dem Skipper.«
»Sagen Sie ihm nicht, welchen Schatz er an Bord hat«, schärfte er ihr ein. »Sie hätten das niemals alleine angehen dürfen.«
»Die Zeit lief uns davon, Sir. Das Unwetter und das Manöver hätten die Bergung unmöglich machen können. Wir hatten Glück, dass wir das Wrack überhaupt vor allen anderen fanden.« Der gedrosselte Wasserstrahl legte vor ihren Augen Flasche um Flasche frei. Manche Korken zeigten den Anker, andere nicht. Das konnte den Fund sogar älter und lukrativer machen als erhofft. Anjelica überschlug die Anzahl. »Soweit ich es sehen kann, sind es um die sechzig, Sir. Das Doppelte des ersten Fundes«, erstattete sie leise Bericht, um dann lauter hinzuzufügen: »Ach herrje. Es bleibt dabei. So eine Enttäuschung. Kein Schatz.«
»Übertreiben Sie nicht, Clark«, kam es prompt über das Satellitentelefon. »Sonst wird er misstrauisch. Laden Sie die Ware um.«
»Sicher, Sir.« Sie bat den Matrosen, die großen bereitstehenden Plastikboxen mit Meerwasser zu füllen, und packte eine Flasche nach der anderen in die gepolsterten Styroporständer. Damit würde der edle Tropfen den weiteren Weg überstehen. Experten des Auftraggebers, die sich auf den Weg nach Tallinn gemacht hatten, übernahmen die Inspizierung an Land und würden sich bei Bedarf um die Konservierung der uralten Korken kümmern, damit sie dicht blieben.
»Ist das Wein?« Lugaschin stand ungerührt an der Reling, leuchtete und winkte zum Kommandostand hinauf. Der Steuermann schaltete daraufhin den Motor der Anatevka ein und lichtete den Anker, um die Rückkehr in den Hafen vorzubereiten.
»Ja«, log Anjelica.
»Und Sie wussten, dass es ihn gibt.« Lugaschin schwenkte den hellen Strahl hin und her. »Sie haben die richtigen Transportboxen dabei. Ist ja wohl kein Zufall.«
»Stimmt. Aber eigentlich hätten wir Gold finden müssen.« Sie ließ sich nichts anmerken und sah aus den Augenwinkeln, wie der Matrose im verbliebenen Schlick wühlte, als wolle er die Hoffnung nicht aufgeben, doch noch Schätze zu entdecken. »Der Wein ist nur ein Mitbringsel. Der Segler sollte laut unseren Aufzeichnungen wichtige Depeschen und Geschenke des französischen Königs Ludwig XVI. an den russischen Zaren überbringen. Ich rechnete mit mindestens einer kleinen Kiste Diamanten, Geschmeide oder dergleichen.« Sie zeigte auf die Wellen. »Die Ostsee hatte etwas dagegen.«
Lugaschin lachte. »Verarschen kann ich mich selbst.«
»Was ist?«, fragte Anjelicas Auftraggeber. »Was redet der Mensch die ganze Zeit?«
»Später, Sir«, wisperte sie.
Die Anatevka tuckerte los und wendete in einem großen Bogen, schwankte, als sie kurz quer zu den Wellen fuhr, und nahm Fahrt auf. Die Scheinwerfer blieben aus, das natürliche Licht genügte, um die ersten Seemeilen ohne gleißende Lampen zurückzulegen, auch wenn die Sonne mittlerweile versunken war.
»Reden wir nochmals über die Beteiligung.« Der Kapitän senkte die Taschenlampe und hob sein Smartphone. »Ich habe hier was gefunden, über einen ähnlichen Fund zwischen Schweden und Finnland. Champagner. Ergab mindestens dreiundfünfzigtausend Euro. Pro Flasche.«
»Nein, Sie irren sich«, wiegelte Anjelica ab.
»Soll ich Ihnen den Bericht vorlesen? Müsste Veuve Clicquot sein, hergestellt irgendwann um 1772, ausgeliefert ab 1782. Markenzeichen ab 1798: Auf dem Korken ist ein Anker.« Lugaschin leuchtete auf die Flaschen. »Dieses Symbol hat in der Champagne nur dieser Hersteller verwendet, heißt es im Artikel.«
»Clark, was will dieser Mensch?«
»Mehr Geld, Sir.«
»Wir reden von etwa drei Millionen. Davon will ich meine abgemachten fünf Prozent. Und weil Sie versucht haben, mich zu verarschen« – der Kapitän sog genüsslich an der Kippe –, »schlage ich weitere fünf drauf. Sonst gehen Sie über Bord. So was passiert bei einem Sturm. Die Schwimmweste wird nicht viel bringen.« Die Taucher traten neben ihren Kapitän an Deck, stumm und bedrohlich in ihren schwarzen Neoprenanzügen, auch wenn sie an kleine Seelöwen erinnerten.
Der Bug des Trawlers bohrte sich durch die Wogen, gabelte sie auf und teilte sie. Wasser und Gischt ergossen sich im sterbenden Licht auf das Boot.
Anjelica seufzte wieder und klappte einen Plastikdeckel zu. Sie schmeckte das Salz auf ihren Lippen. »Sechs Prozent. Und es ist nicht garantiert, dass wir drei Millionen bekommen. Wenn er nicht mehr trinkbar ist, dann …«
»Ist das was wert?« Der Matrose barg einen Pfeifenkopf aus Ton aus der Truhe, erhob sich und hielt ihn in die Runde. Sofort richtete Lugaschin den Strahl der Taschenlampe zu ihm. Auf dem Pfeifenkopf war der Oberkörper einer dunkelhaarigen Frau abgebildet.
»Ich fürchte, nein«, sagte Anjelica, irritiert von der Unterbrechung. »Ich bin keine Expertin für …«
»Schade.« Achtlos warf der Matrose den Pfeifenkopf aufs Deck, wo er zerschellte. »Dann weiter mit den Verhandlungen.«
Einer der Taucher stieß ein Lachen aus und stapfte auf sie zu.
»Sieben Prozent!« Anjelica erhöhte rasch ihr Angebot. Lugaschin hatte recht: Sie wäre in der eisigen Ostsee so gut wie tot.
Aber der Taucher ging an ihr vorbei, nahm sich eine Flasche und schlug den Hals ab, der absolut glatt brach. Sprudelnd stieg Champagner heraus, das Getränk hatte noch genügend Bläschen, um zu schäumen. Grinsend nahm der Taucher einen Schluck. »Schmeckt. Hat aber Kork.« Er kehrte unter Gelächter zu den anderen zurück. Die Flasche aus dem 18. Jahrhundert kreiste in der kleinen Runde.
»Der älteste Champagner der Welt.« Lugaschin steckte die Lampe weg, trank und lachte. »Das ist das Teuerste, was ich jemals im Mund hatte.«
»Das ziehe ich Ihnen von Ihrem Anteil ab«, giftete Anjelica. »Und es bleibt bei sieben.«
»Sehr gut, Clark«, lobte ihr Auftraggeber. »Bringen Sie mir meinen Schatz.«
»Sicher, Sir.«
Der Matrose neben der Truhe stieß einen verblüfften Ruf aus. Er schob das Schiffchen mit dem Unterarm weiter nach hinten und hielt eine notizbüchleinflache Schatulle in die Höhe, die sich nach einem Schwall Wasser aus dem Schlauch als angelaufenes Silber entpuppte. Ein verplombtes Schloss sicherte den Inhalt.
Der Skipper zog die Taschenlampe erneut hervor und schwenkte den Strahl darauf.
Anjelica erkannte ein unbekanntes Wappen sowie eine szenische Darstellung. Erst eine Reinigung und eine genaue Analyse würden Aufschluss über den Fund bringen. »Sir, haben Sie in den Aufzeichnungen zufällig etwas von einer gravierten Silberbox gefunden?«
»Ich wusste nur von dem Champagner«, lautete die Antwort. »Aber es gehört ebenso mir wie die Flaschen. Bringen Sie mir das.«
»Gewiss, Sir.«
Der Matrose reinigte das Behältnis mit klarem Wasser und zeigte auf eine Schicht aus rotem Siegelwachs, die verhinderte, dass Feuchtigkeit ins Innere eindrang.
Darunter sah Anjelica die Linie einer Lötnaht. Jemand hatte sichergehen wollen, dass der Inhalt den Zaren unversehrt erreichte. Sie vermutete, dass es sich um eine persönliche Nachricht an den Herrscher handelte. Infrage kam kaum König Ludwig, sondern eher der Champagner-Hersteller.
»Würden Sie es mir bitte geben?« Anjelica streckte die Hand danach aus.
Der Matrose blickte zu Lugaschin, und dieser wiederum schüttelte den Kopf, rückte an der Schirmmütze.
»Verhandelt der impertinente Drecksack schon wieder?«, erregte sich ihr Auftraggeber.
»Zehn Prozent«, sagte der Kapitän, der wie festgeschweißt an der Stelle verharrte. Die eingeschaltete Lampe klemmte er sich unter die Achsel. Hinter ihm glitten die schäumenden Wellen dahin, die Anatevka stampfte vorwärts zur Küste. Die Dunkelheit nahm den Himmel zunehmend in Besitz und drückte die Sonne unter den Horizont, als wollte er sie im Meer ertränken.
»Sir? Er will zehn.«
»Wegen des Silberkrams?«
»Ja, Sir.«
»Den kann er meinetwegen behalten, und es bleibt bei sieben.«
Anjelica gab das Angebot weiter. Ihr Auftraggeber handelte ihrer Meinung nach richtig. Der Silberwert lag nicht sonderlich hoch, mehr als zwanzigtausend würde diese flache Schatulle nicht bringen, auch nicht im historischen Kontext. Das Werbegeschenk einer Kellerei, die auf mehr Bestellungen des Zarenhofs hoffte, würde höchstens Veuve Clicquot für die hauseigene Sammlung interessieren.
Lugaschin verzog das Gesicht und steckte sich die nächste Zigarette mit dem Rest der letzten an. »Einverstanden. Aber jammern Sie nicht, wenn das Ding später mehr Millionen bringt als Ihr Gesöff.« Er ließ sich die Flasche wiedergeben, in der ein verbliebener Schluck gegen die Wände schwappte. »Wollen Sie versuchen?« Anbietend streckte er den Arm aus.
Bevor Anjelica etwas erwidern konnte, zerbarst das dickwandige Glas in Lugaschins groben Händen. Die scharfkantigen, grünlichen Splitter klirrten vor seinen Schuhen aufs Deck, der Champagner mischte sich mit Ostseewasser.
»Das war ungeschickt«, sagte Anjelica ärgerlich. Zu gerne hätte sie gekostet. Da die Flasche schon offen war, wäre es ein Privileg gewesen.
Lugaschin starrte auf seine zerschnittenen Finger und rutschte an der Reling herab, schlug auf den nassen Boden, ohne sich abzustützen. Die Zigarette blieb an seinen Lippen haften, Funken flogen auf und reisten mit dem Wind hinfort. Nach einem trockenen, erstickenden Laut entspannte sich sein Körper. Die Mütze fiel vom Haar, die Böen nahmen sie mit ins Meer. Die Taschenlampe glitt unter ihm hervor und warf ihren hellen Schein flach über das Deck.
»Was hat er?« Anjelica machte einen Schritt nach vorne, als zuerst der rechte Taucher ächzend zusammensackte, und danach auf der Stirn des linken ein Loch entstand, aus dem Blut rann. Auch er knickte ein und stürzte mit dem Gesicht voran auf den stählernen Untergrund.
Anjelica duckte sich und machte sich klein. »Scheiße«, wisperte sie furchtsam. Sie hatte sich niemals in Situationen mit Feuergefechten befunden, doch sie wusste, dass lautlose Schüsse die Männer umgebracht hatten. Von wo die Kugeln kamen, wusste sie hingegen nicht. Anjelica blickte sich nach dem Matrosen an der Kiste um und legte eine Hand vor den Mund, um den Schrei zu unterdrücken.
Der Mann lag rücklings auf dem Deck, mit ausgebreiteten Armen und Beinen, als sei er bei dem Versuch eingeschlafen, Gymnastik zu treiben. Der Lampenstrahl fiel auf ihn. Blut breitete sich um seinen Oberkörper aus und mischte sich mit dem Alkohol und dem Meereswasser; der Stoff des Schiffchens sog sich gierig voll.
»Sir, wir werden angegriffen«, rief sie aufgeregt und hechtete hinter die Winde. Ihr Herz wummerte in ihr wie der Bordmotor, ihr war heiß vor Angst. Ein kurzer Blick hinauf zur schummrig beleuchteten Brücke zeigte ihr beschlagenes, rot gesprenkeltes Glas. Der Mörder hatte den Steuermann ebenso eliminiert. Bei einer Beute im Wert von drei Millionen fiel dem Unbekannten das Töten offenbar leicht.
»Angegriffen?«, echote ihr Auftraggeber entsetzt. »Meine Schätze!«
Flackernd erwachten die Scheinwerfer der stampfenden, wogenden Anatevka, und gleißendes Licht flammte über das gesamte Deck.
»Und mein Leben, Sir!« Geblendet schloss Anjelica für Sekunden die Augen. »Rufen Sie die Polizei, die Küstenwache, irgendwen«, flüsterte sie hastig, als würde es verhindern, dass der Mörder von ihrer Existenz erfuhr.
Der Sprung in die Ostsee erschien ihr plötzlich verlockend. Aber die Kälte des Meeres würde sie ebenso umbringen wie eine Kugel, nur langsamer.
»Was ist mit der Mannschaft, Clark?«
»Tot. Jedenfalls all die, die ich sehen kann.«
Der Auftrag bedeutete ihr nichts, doch vielleicht konnten Verhandlungen mit dem Phantom an Bord ihr Leben retten. »Nehmen Sie die Flaschen!«, schrie Anjelica. »Ich weiß nicht, wer Sie sind und wie Sie aussehen! Lassen Sie mich am Leben! Bitte!«
Sie kam sich bei aller Furcht kindisch vor. Jemand, der kaltblütig mordete, würde sich von ihrem Betteln nicht abhalten lassen. Aber was blieb ihr sonst?
Die Maschine des Trawlers orgelte abrupt unter Volllast auf. Die Auspuffrohre röhrten schwarzen Qualm in die Höhe, und das Boot legte sich hart steuerbord.
Das überraschende Manöver ließ Anjelica aufschreiend hinter ihrer Deckung herausrutschen. Die Leichen von Lugaschin und seinen Leuten rollten und glitten über das nasse Deck und vollführten dabei grotesk-puppenhafte Bewegungen. Gebrochene Augen starrten sie an und durch sie hindurch.
»Clark? Halten Sie durch! Ich rufe ein paar Leute an! Ihre Position habe ich.«
Anjelica war ein viel zu leichtes Ziel, das wusste sie. Sie versuchte sich an einem verzweifelten Sprung zurück, doch bevor sie sich hinter die Winde werfen konnte, erhielt sie einen Schlag durch die Schwimmweste auf die rechte Schulter. Keine zwei Sekunden darauf folgte ein stechender Schmerz, der sich heiß in Arm und Rücken ausbreitete. Aus einem Impuls legte sie die Hand auf die Stelle und fühlte das warme Blut. Der unbekannte Mörder hatte sie getroffen.
Sofort sackte ihr Kreislauf ab, der Schock ließ den Blutdruck ins Bodenlose fallen.
»Halten Sie durch!«, vernahm sie die leiser werdende Stimme des Auftraggebers.
Alles in Anjelica verlangte die Flucht an einen Ort, wohin ihr der Killer nicht folgen würde. Sie kroch auf die Reling zu, mit der festen Absicht, sich lieber ins Meer zu werfen. Ihre Überlebenschancen erschienen ihr in den eisigen Fluten höher als gegen ein Magazin tödlicher Projektile. Vor ihr drehte sich alles, die Umgebung verschwamm.
Bei der nächsten Woge rutschten die Boxen mit dem uralten, wertvollen Champagner umher; eine davon stürzte um, und die Flaschen kullerten über die Anatevka.
Anjelica schob sich unter Schmerzen auf die Bordwand zu, die aufziehende Ohnmacht verdunkelte ihre Sicht. Das Deck schoss auf und nieder, mal sah sie weiße Schaumkronen auf den Wellenkämmen, dann aschgrauen Himmel mit nachtblauen Wolken.
Die silberne Schatulle rutschte unvermittelt an ihr vorbei und prallte gegen die Reling.
Dann schritt ein Paar gelber Gummistiefel in ihren Sichtbereich, um die der Saum eines grünen Friesennerzes pendelte. Die Gestalt, die ihren Kopf mit einer Kapuze schützte und unkenntlich war, bückte sich langsam und hob das Kistchen auf, steckte es in die Tasche.
Der Unbekannte wandte sich ihr zu, wie sie an den Schuhkappen sah.
»Nehmen Sie den scheiß Champagner«, sagte Anjelica keuchend und kraftlos. »Lassen Sie mich am Leben …«
»Clark! Clark, ich habe jemanden erreicht!«, rief ihr Auftraggeber. »Die Küstenwache macht sich auf den Weg.«
Eine der Flaschen hopste zwischen ihr und dem Unbekannten hindurch, zerschellte an der Bordwand, ohne dass der Killer Anstalten machte, den Verlust zu unterbinden. Schäumend verging der kostbare Alkohol wie bei einer nachträglichen Schiffstaufe. Es hätte den Mann nur eine kurze Fußbewegung gekostet, geschätzte 53000 Euro zu erhalten.
»Bitte, ich …« Anjelica sah plötzlich etwas Metallisches mit einem Ping vor sich auf das nasse Deck prallen, aufhüpfen und sich wirbelnd drehen, gefolgt von einem weiteren, gleichen Gegenstand.
Sie hatte Schwierigkeiten, die Dinge in ihrer schwindenden Wahrnehmung zu erkennen. Münzen waren es keine.
Dann kamen Schmerzen, neue Schmerzen, unmittelbar in ihrem Rücken, die sich grell durch Fleisch und Mark schnitten, sodass sie kraftlos den Kopf sinken lassen musste. Das Herz trommelte in ihrer Brust, dass es sie mehr peinigte als ihre Verletzungen.
Während die beiden leeren Patronenhülsen über Bord gespült wurden, starb Anjelica Clark durch zwei Schüsse, ohne den Grund für ihren Tod zu kennen.