Iny Lorentz
Die Rose von Asturien
Roman
Knaur e-books
Hinter dem Namen Iny Lorentz verbirgt sich ein Münchner Autorenpaar, das mit seinen opulenten historischen Romanen einen Bestseller nach dem anderen landet. Ihre Romane wurden in zahlreiche Länder verkauft und erreichen ein Millionenpublikum, das sich stets aufs Neue von den Autoren in die Vergangenheit entführen lässt.
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© 2010 der eBook Ausgabe by Knaur eBook
Ein Imprint der Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.
Redaktion: Regine Weisbrod
Covergestaltung: ZERO Werbeagentur, München
Coverabbildung:Bridgeman / Ausschnitt aus einem Gemälde von Giulio Romano, 1492–1546 / Louvre, Paris
ISBN 978-3-426-55862-1
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Eine alte Feindschaft
Im Osten bedeckte der erste Hauch der Dämmerung die Berge, während der westliche Horizont in flammendem Rot leuchtete, als könne der Tag sich nicht entschließen, der Nacht zu weichen. Die Reiterschar, die zu dieser Stunde unterwegs war, achtete jedoch weder auf die beginnende Dunkelheit noch auf das prächtige Farbenspiel am Himmel. Das Gesicht ihres Anführers war düster, und in seinen Augen leuchtete blanke Wut.
Drei Tage lang hatte Roderich, der Grenzgraf der baskischen Mark, die Diebe verfolgt, die eine seiner Schafherden geraubt hatten, und war dabei ein ums andere Mal in die Irre geleitet worden. Obwohl er zu wissen glaubte, wer dahintersteckte, hatte er die Verfolgung abbrechen müssen, weil die Schar seiner Krieger, die ihn auf die Jagd begleitete, zu klein war. Auf einen ernsthaften Kampf mit dem kompletten Stamm der Schafdiebe durfte er sich nicht einlassen.
Daher war die Stimmung ausgesprochen schlecht, und seine Leute verschafften ihrer Wut mit Flüchen Luft.
»Beim heiligen Jakobus, diese Bergwilden lachen sich ins Fäustchen, weil wir uns wie Hunde mit eingezogenen Schwänzen davonmachen müssen«, schimpfte Ramiro, der Stellvertreter des Grafen.
Der ging nicht auf seine Worte ein, sondern winkte ihm, still zu sein. »Vorsicht, da vorne ist jemand. Haltet die Waffen bereit!« Er sprach so leise, dass es nur der Reiter direkt hinter ihm hörte. Dieser gab die Warnung weiter, und innerhalb kürzester Zeit hatten alle Männer die Schilde fester gefasst und ihre Speere gesenkt.
Das Geräusch, das den Grafen hatte aufmerksam werden lassen, stammte jedoch nur von einem einzigen Mann, der auf einem in blutrotes Licht getauchten Felsen saß. Obwohl Graf Roderich wenig mehr als einen Schattenriss ausmachen konnte, war ihm klar, dass er einen Waskonen vor sich hatte, und zog sein Schwert.
Im gleichen Augenblick stand der Mann auf, sprang vom Felsen und hob die Hände, um seine friedlichen Absichten zu zeigen.
»Einen schönen guten Abend wünsche ich dir, Graf Roderich«, grüßte er.
»Er wird gleich noch schöner werden, wenn dein Blut an meinem Schwert glänzt!« Roderich schlug jedoch nicht zu, sondern musterte den Waskonen mit durchdringendem Blick. Den Kerl hatte er schon ein paarmal gesehen und glaubte sich an seinen Namen erinnern zu können. Dennoch tat er so, als sei der andere ihm fremd. »Was willst du? Sprich schnell, denn meine Klinge ist durstig.«
»Ich will mit dir reden, Graf Roderich, und dir einen Gefallen erweisen.« Der Waskone warf einen vielsagenden Blick auf die Begleiter des Grafen. »Es wäre mir lieb, wenn wir unter vier Augen sprechen könnten!«
Der Graf schüttelte den Kopf. »Ich vertraue den Männern meiner Leibschar mein Leben an. Also sprich, wenn du das deine behalten willst.«
»Sie sollen schwören, nichts von dem zu erzählen, was sie jetzt hören werden«, forderte der Waskone.
»Meine Krieger sind keine Schwatzmäuler. Und jetzt rede endlich!« Auf einen Wink des Grafen umringten die Reiter den Waskonen und richteten ihre Speere auf ihn. Der Mann strich sich mit der Zunge über die trockenen Lippen und lachte, um seine Nervosität zu verbergen.
»Du bist auf der Suche nach den Männern, die deine Schafe gestohlen haben. Was würdest du sagen, wenn ich dir helfen würde, ihren Anführer und dessen Spießgesellen in deine Gewalt zu bekommen?«
Die Miene des Grafen wurde noch grimmiger. »Wenn du mich veralbern willst, hast du dir einen verdammt schlechten Tag dafür ausgesucht.«
Für einen Augenblick sah es so aus, als würde er den Waskonen einfach niederschlagen, dann aber siegte doch seine Neugier. »Gesetzt den Fall, du meinst es wirklich ehrlich: Warum würdest du das tun wollen?«
»Dein Feind hat mich schwer beleidigt«, antwortete der Waskone nach einem kaum merklichen Zögern.
Um die Lippen des Grafen spielte nun ein spöttisches Lächeln. »Das soll ich dir glauben? Ich weiß genau, in welchem Verhältnis du zu diesem Schafdieb stehst. Also soll ich ihn dir aus dem Weg räumen, damit du an seiner Stelle meine Schafe stehlen kannst!«
Der Mann begriff, dass dies keine Lösung war, die dem Grafen gefallen konnte, und ging aufs Ganze. »Was würdest du sagen, wenn unser Stamm dir Schafe als Tribut zahlen würde, anstatt sie dir zu stehlen?«
Nun nickte der Graf unwillkürlich. »Damit könnte ich mich anfreunden. Aber dazu muss ich in euer Dorf kommen, um euren Treueschwur entgegenzunehmen, und zwar ohne Kampf.«
Diese Entwicklung sagte dem Waskonen nicht gerade zu, dennoch stimmte er schließlich zu. »Also gut! Aber dazu muss der Wächter abgelenkt werden, und das ist mir unmöglich. Doch du könntest es tun.« Der Mann trat näher an den Grafen heran und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Roderich nickte dazu und grinste.
»Schön! Aber wehe dir, wenn du mich belogen haben solltest. Die Berge wären nicht hoch und nicht weit genug, um dich vor meiner Rache zu bewahren!«
Der Waskone lachte. »Ich liefere dir deinen schlimmsten Feind aus und übergebe unseren Stamm deiner Oberherrschaft. Dafür habe ich wohl eher eine Belohnung als eine Drohung verdient.«
»Es ist schon Belohnung genug, dass du dein Leben behalten darfst«, warf Ramiro ein. Er traute dem Waskonen noch weniger als sein Herr und hätte ihn am liebsten mit dem Speer niedergestoßen.
Der Graf hob jedoch die Hand. »Halt! Wir vergeben uns nichts, wenn wir so tun, als würden wir ihm glauben. Ist er ehrlich, schalten wir damit einen hartnäckigen Feind aus und stärken unseren Einfluss in dieser Gegend. Versucht er uns zu betrügen, werden unsere Schwerter und Speere ihn eines Besseren belehren.« Dann wandte Roderich sich wieder dem Waskonen zu. »Morgen Abend, sagst du, will dein Häuptling eine weitere Schafherde stehlen? Er denkt wohl, er habe uns weit genug in die Berge gelockt, so dass wir ihm nicht in die Quere kommen können!«
»Genauso ist es, Graf Roderich«, erklärte der Waskone eilfertig.
»Gut! Wir werden ihn erwarten. Sollte er nicht kommen, wäre es besser für dich, mir so schnell nicht mehr unter die Augen zu kommen. Damit Gott befohlen!« Der Graf winkte seinen Männern zu, ihm zu folgen, und so blieb der Waskone allein zurück. Auf seinem Gesicht spiegelten sich Gier und leiser Triumph. Wenn der Graf keinen Fehler beging, würde er in wenigen Tagen der Herr seines Stammes sein und endlich die Stellung einnehmen, auf die er seit Jahren hinarbeitete.
Graf Roderich winkte seinem Stellvertreter zu. »Ist alles bereit?«
»Das ist es, Don Rodrigo!« In seiner Erregung sprach der Mann seinen Herrn mit der hispanischen Form des Namens an.
Der Graf schüttelte unwillig den Kopf, sagte aber nichts, sondern versuchte, aus dem dichten Wald heraus, in dem er und seine Reiter sich versteckt hielten, die Weide und die drei Hirten im Auge zu behalten, die dort etliche Dutzend Schafe hüteten. Vier große, schwarzweiß gefleckte Hunde umkreisten die Herde.
Für seinen Feind musste dieser Anblick einfach verlockend sein, fuhr es Graf Roderich durch den Kopf. Gleichzeitig packte ihn die Sorge, dass er und seine Männer durch einen dummen Zufall entdeckt würden.
»Passt auf eure Gäule auf. Nicht dass einer zur unrechten Zeit schnaubt oder gar wiehert!« Die Warnung war überflüssig, denn jeder wusste, worauf es ankam. Nur wenn es ihnen gelang, die Schafdiebe in die Falle zu locken, würden sie die Kerle erwischen.
»Einer der Hirten macht ein Zeichen. Es sieht aus, als hätte er oder einer der Hunde etwas bemerkt!« Obwohl Ramiro flüsterte, fing er sich einen tadelnden Blick seines Anführers ein.
Auch Graf Roderich war aufgefallen, dass die Hunde unruhig wurden. Drei Hirten und vier Hunde reichten im Allgemeinen aus, um ein halbes Dutzend Schafdiebe abzuschrecken. Sein persönlicher Feind jedoch kam wahrscheinlich mit einem Trupp Krieger, der nicht kleiner war als die Gruppe, die ihn begleitete. Dennoch war er nicht beunruhigt. Die Männer seiner Leibschar hatte er mit Bedacht ausgewählt, jeder von ihnen konnte es mit zwei bis drei Gegnern aufnehmen. Außerdem waren sie beritten und mit ihren längeren Speeren jedem Fußkämpfer gegenüber im Vorteil.
»Da oben sind sie!« Einer seiner Männer wies auf den felsigen Berghang, der die Weide auf der linken Seite begrenzte. Jetzt sah der Graf sie auch. Mindestens zwei Dutzend Männer schlichen sich dort im Schutz der Felsen an, weit mehr, als er erwartet hatte. Die Waskonen bewegten sich geschickt gegen den Wind, doch der erfahrene Hütehund hatte Witterung aufgenommen. Auf das Zeichen eines Hirten trieb der Rüde zusammen mit den anderen Hunden die Schafe in Richtung des Wäldchens, in dem sich die Reiter versteckt hielten.
Graf Roderich begriff, dass er an diesem Tag eine zweite Herde an diese verdammten Bergwilden verloren hätte, wäre er nicht von dem Verräter gewarnt worden. Grimmig nickte er seinen Männern zu.
»Diesmal zeigen wir es ihnen. Wir machen keine Gefangenen, bis auf …«, er wies auf einen der anschleichenden Waskonen, »… bis auf diesen Blondschopf dort. Den lasst am Leben! Wir brauchen ihn noch.«
»Sollen wir den Kerl gefangen nehmen?«, fragte Ramiro.
»Ja, aber er muss verletzt sein. Unversehrt nützt er uns nichts. Und jetzt still! Die Kerle kommen.« Graf Roderich zog sein Schwert so leise, wie es möglich war, aus der Scheide und bleckte die Zähne. An diesem Abend würden die Schafdiebe für all den Ärger bezahlen, den sie ihm seit Jahren bereiteten. Seine Augen saugten sich an dem nicht übermäßig großen, aber sehnigen Anführer der Waskonen fest. Er konnte nicht mehr sagen, wie oft dieser Schurke ihn bereits an der Nase herumgeführt hatte. Wahrscheinlich hatte das Weib des Kerls schon seit Jahren kein eigenes Schaf mehr in den Kochkessel stecken müssen, so viele hatte der Mann seinen Nachbarn gestohlen und nach Hause gebracht.
Inzwischen waren die Angreifer nahe genug herangekommen und stürmten nun brüllend auf die drei Hirten zu. Diese hoben zuerst ihre mit Eisenspitzen bestückten Stöcke, die sich für den Kampf gegen Bären, Wölfe und Viehdiebe sehr gut eigneten. Dann aber wichen sie von der Zahl der Waskonen erschreckt zurück und trieben dadurch die Schafe ein Stück weiter nach unten.
»Gut gemacht«, murmelte der Graf und zügelte seinen unruhig werdenden Hengst. Auch die Männer an seiner Seite gierten danach, gegen die Waskonen anzureiten.
Gebieterisch hob Roderich die Hand. »Wartet! Erst müssen alle Kerle auf der Weide sein. Ich will nicht, dass einer zwischen die Felsen fliehen kann und entkommt. Dort hinauf müssten unsere Pferde fliegen.«
Einer der Männer lachte, brach aber sofort ab, als Ramiro ihm einen Stoß versetzte. Zum Glück waren die Waskonen selbst zu laut, als dass sie ihn hätten hören können. Ihres Erfolges sicher, sammelten sie sich jetzt auf dem oberen Teil der Weide, und ihr Anführer teilte sie auf, um die Herde abzufangen.
Auf diesen Augenblick hatte Graf Roderich gewartet. »Los, Männer!«, rief er und trieb seinen Hengst an. Solange sie noch zwischen Bäumen waren, musste er vorsichtig reiten, doch kaum hatte er die Weide erreicht, gab er dem Tier die Sporen. Hinter ihm tauchten seine Reiter aus dem Waldesdunkel auf und stürzten sich auf die überraschten Feinde.
Deren Anführer rief seinen Männern zu, zum Felshang zu rennen, und versuchte selbst, das rettende Gelände zu erreichen. Doch das hatten Roderichs Reiter vorausgesehen und schnitten den Fliehenden den Weg ab. Gleichzeitig zuckten die Spitzen ihrer Speere auf die Diebe zu. In den Bergen waren die Waskonen gefährliche Gegner, die aus dem Hinterhalt zuschlugen und ebenso gut klettern konnten wie ihre Ziegen. Hier auf der sanft abfallenden Wiese aber saßen sie in der Falle. Von den besser bewaffneten Reitern in die Zange genommen, versuchten die Schafdiebe vergeblich zu fliehen. Einige warfen sogar die hinderlichen Speere fort, um sich mit gewagten Sprüngen in Sicherheit zu bringen. Sie wurden als Erste getötet.
Der Anführer der Waskonen versuchte, mit den Überlebenden einen Verteidigungsring zu bilden, doch die Asturier nutzten den Vorteil ihrer längeren Speere gnadenlos aus. Während keiner von ihnen ernsthaft verwundet wurde, sank ein Waskone nach dem anderen zu Boden.
Zuletzt standen nur noch der Anführer und der blonde Bursche auf den Beinen. Sie tauschten einen Blick und rannten dann brüllend auf die Asturier zu.
Graf Roderich nahm noch wahr, wie der Blonde, der am Oberschenkel und an der Schulter verwundet war, dennoch weiterzukämpfen versuchte. Dann sah er sich dem Anführer der Schafdiebe gegenüber, der seinen Hengst fixierte. Roderich ahnte, dass der Kerl sein Pferd töten wollte, um ihn zu Fall zu bringen, und zwang das Tier dazu, ein paar Schritte rückwärtszugehen. Bevor der Waskone ihm folgen konnte, waren Ramiro und mehrere andere Reiter heran und rammten dem Mann ihre Speere in den Leib.
Noch während der Waskone zu Boden stürzte, lachte Ramiro wie befreit auf. »Der Kerl hat das letzte Schaf aus unseren Herden geraubt, Don Rodrigo.«
»Wickelt seinen Kadaver in eine Decke und bindet ihn auf ein Pferd. Was ist mit dem Blondschopf? Lebt der noch?«
Ramiro nickte eifrig. »Das tut er, Herr. Auch wenn ich nicht recht begreife, warum wir ihm nicht ebenfalls das Lebenslicht ausblasen sollen.«
»Ich sagte, wir brauchen ihn noch. Also sorgt dafür, dass er lange genug am Leben bleibt. Unsere Verletzten bleiben hier und helfen den Hirten, die toten Schafräuber in die nächste Schlucht zu werfen. Die Übrigen kommen mit mir!« Graf Roderich war zufrieden. Ein wenig bedauerte er es, den feindlichen Anführer nicht selbst getötet zu haben, doch sein Hengst war zu wertvoll, um ihn von einem Bergwilden aufspießen zu lassen. Außerdem war sein Gegner wie ein Dieb gekommen und hatte wie ein solcher geendet. »Auf geht’s, Männer! Wir haben noch einen kleinen Ausflug in die Berge vor uns. Ramiro, du nimmst zwei Reiter und bringst den Verletzten ein Stück über die Grenze und legst ihn dort neben die Straße. Achtet darauf, dass die Leute euch dort sehen, aber lasst euch nicht erwischen.«
»Das werden wir gewiss nicht, Graf Roderich!« Ramiro hatte sich rechtzeitig daran erinnert, dass sein Herr die visigotische Form seines Namens der hispanischen Variante vorzog, und verabschiedete sich mit einem erwartungsfrohen Grinsen.
»Ihr stoßt kurz vor unserem Ziel wieder zu uns. Und nun beeilt euch!« Der Graf winkte Ramiro und dessen Begleitern kurz zu und ritt dann an. Seine Schar folgte ihm im Bewusstsein des eben errungenen Sieges und war bereit, ihm bis an die Pforten der Hölle zu folgen.
Maite starrte fassungslos auf die Reiter, die mit hochmütigen Mienen in ihr Dorf einritten, als sei es ihr gutes Recht, und wünschte, ihr Vater wäre da, um den Kerlen die Zähne zu zeigen. Bei den ungebetenen Besuchern handelte es sich um zwei Dutzend Krieger, von denen jeder eine eiserne Rüstung trug und Schwert und Helm besaß. Die meisten hielten lange Speere in der Rechten und lenkten ihre Rosse mit der anderen Hand. Die Schilde hatten sie auf den Rücken geworfen, als hätten sie hier nicht das Geringste zu befürchten. Dabei handelte es sich um asturische Krieger, und das waren die schlimmsten Feinde, die Maite sich vorstellen konnte.
Ihr Anführer war ein echter Visigote, ein selbst im Sattel noch hochgewachsen wirkender Mann in einem Kettenhemd nach maurischer Art, mit schulterlangen blonden Haaren und blauen Augen, die so kühl blickten wie Eis. Mit verächtlicher Miene musterte er das Dorf mit den aus Bruchsteinen und Holz errichteten Häusern, deren Dächer mit Steinen beschwert waren. In seinen Augen war Askaiz ein Bergnest, in dem der reichste Bewohner kaum mehr besaß als der ärmste und die Ehefrau des Häuptlings ihre Wäsche ebenso selbst waschen musste wie die geringste Magd.
Graf Roderich war jedoch nicht gekommen, um sich das Dorf anzusehen. Auf seinen Wink hin führte einer seiner Begleiter ein Saumpferd heran, schnitt die Stricke durch, mit denen ein längliches, in Tuch eingeschlagenes Bündel am Tragsattel befestigt war, und ließ dieses zu Boden fallen. Dann packte er das Tuch mit beiden Händen und riss daran. Zum Vorschein kam ein blutverschmierter Leichnam.
Als die Dorfbewohner den Toten erkannten, brüllten und heulten sie so, dass es von den nahen Bergflanken widerhallte. Da die Erwachsenen Maite die Sicht verdeckten, sah sie zu Estinne, der Frau ihres Onkels, auf. »Was ist da los?«
»Nichts, Kind!«, rief diese mit gepresster Stimme und versuchte sie wegzuzerren.
Maite riss sich los und zwängte sich durch die Menge. Es dauerte einige Augenblicke, bis sie begriff, dass der blutverschmierte Tote ihr Vater war. Zuerst stand sie wie versteinert. Dann brach ein schier unmenschlicher Ton aus ihrer Kehle, so schrill und laut, dass die Pferde der Eindringlinge unruhig wurden.
Sie ballte die Fäuste und wollte auf die Asturier losgehen, doch eine Frau hielt sie fest. »Sei still, Kleines! Sonst tun dir die bösen Männer noch etwas an.«
Graf Roderich ließ den Dörflern, die ihren erschlagenen Häuptling fassungslos anstarrten, etwas Zeit zu begreifen, dass sich der Wind gedreht hatte. Dann begann er, mit weittragender Stimme zu sprechen: »Euer Anführer Iker und seine Spießgesellen haben sich zu nahe bei meinen Schafherden herumgetrieben. Dabei haben meine Hirten sie erwischt und bestraft. Ich bringe euch seine Überreste, damit ihr wisst, was euch blüht, wenn sich noch mal einer von euch bei meinen Herden blicken lässt.«
Maite wollte dem Mann entgegenbrüllen, dass ihr Vater ein großer Krieger gewesen war, der es mit einem Dutzend asturischer Schafhirten aufgenommen hätte. Die Frau, die sie festhielt, presste ihr jedoch die Hand auf den Mund, so dass sie kaum Luft bekam. Maite strampelte wütend, um freizukommen. Da trat Estinne hinzu und half, das tobende Mädchen zu bändigen.
Da sie nichts anderes tun konnte, funkelte Maite die eigenen Männer an, die wie Schafe herumstanden und vor Angst zu vergehen schienen, obwohl sie Roderichs Schar der Anzahl nach weit überlegen waren. Die Asturier waren in Askaiz aufgetaucht, ohne dass Asier, der Wache halten sollte, das Dorf gewarnt hätte. Nun starrten die Bewohner auf die blitzenden Schwerter und Speerspitzen der Eindringlinge und wagten sich nicht zu rühren.
Maite empfand in diesem Moment mehr Wut als Entsetzen oder Trauer. Ihr Vater wäre mit dem aufgeblasenen Grafen und seinen Reitern fertig geworden, das wusste sie. Daher gab es für sie nur einen Schluss: Die Asturier mussten ihn in eine Falle gelockt haben.
Graf Roderich bemerkte die Drohgebärden des Kindes nicht einmal, sondern ließ den Blick selbstzufrieden über die erstarrten und verängstigten Gesichter der Bewohner von Askaiz schweifen. Ohne einen kühnen Anführer wie Iker sind sie wie Schafe, die vor dem Wolf zittern, dachte er und deutete auf einen der Männer. »Wer ist nun euer Anführer? Er soll vortreten und hören, was ich ihm zu sagen habe!«
Einige der Umstehenden drängten zur Seite und öffneten eine Gasse für den Schwager des toten Häuptlings. Okin, der die dreißig bereits vor Jahren überschritten hatte, war ein kräftig gebauter Mann mit rundlichem Gesicht, das seinen sonst verkniffen wirkenden Ausdruck mit einem Mal verloren zu haben schien. Er ging breitbeinig auf Roderich zu, blieb zwei Schritte vor dessen Pferd stehen und verschränkte die Arme vor der Brust.
»Was willst du?«
Über das Gesicht des Asturiers huschte ein kurzes Zucken, und dann trafen sich die Blicke der beiden Männer in heimlichem Einverständnis. Als Roderich zu sprechen begann, klang seine Stimme jedoch schroff. »Bist du der neue Häuptling?«
»Ich bin Ikers Schwager und von ihm beauftragt, den Stamm während seiner Abwesenheit zu führen.«
»Dann wirst du deinen Stamm wohl auf Dauer führen müssen, es sei denn, Iker kehrt aus der Hölle zurück!« Roderich lachte, während Okins Augen zufrieden aufleuchteten.
Da trat ein alter Mann vor und hob abwehrend die Hand. »Der Visigote kann sagen, was er will, Okin. Du wirst nur so lange unser Anführer sein, bis Ikers Tochter alt genug ist, sich einen Mann zu wählen. Dieser wird dann die Stelle ihres Vaters einnehmen!«
Obwohl Maite erst acht Jahre zählte, begriff sie, dass von ihr die Rede war. Nach dem Tod ihres Vaters floss das Blut der alten Häuptlinge nur noch in ihren Adern, und es war ihre Aufgabe, es an die nächste Generation weiterzugeben. Dafür war sie jedoch noch viel zu jung. Das machte sie noch wütender, denn nun gab es niemanden, der ihren Onkel hindern konnte, sich vor den anderen Stammesmitgliedern als Anführer aufzuspielen, wie er es bisher jedes Mal getan hatte, wenn ihr Vater unterwegs gewesen war. Auch jetzt plusterte er sich auf und redete mit dem asturischen Anführer – dem Mörder ihres Vaters –, als sei dieser ein geehrter Gast. An seiner Stelle hätte sie die Männer aufgerufen, ihren toten Häuptling zu rächen. Aber dafür ist er zu feige, dachte sie hasserfüllt.
Graf Roderich schien sich nicht für den Einwand des Alten zu interessieren, sondern lenkte sein Pferd näher an Okin und stieß ihn mit der Fußspitze an. »Du und deine Leute, ihr werdet König Aurelio die Treue schwören und mir in Zukunft Tribut entrichten. Sonst komme ich zurück, und dann bleibt von eurem Stamm nicht einmal mehr der Name übrig!«
Unter den Männern und Frauen, die sich bis jetzt ängstlich im Hintergrund gehalten hatten, schwoll wütendes Gemurmel auf. Doch niemand wagte, sich gegen die dreisten Forderungen des asturischen Grafen zu stellen. Maite schämte sich immer mehr für ihre Leute, die vor dem Asturier kuschten, anstatt ihn aus dem Sattel zu reißen und für Ikers Tod bezahlen zu lassen.
Inzwischen hatte Estinne ihren Griff gelockert, so dass Maite sich mit einem Ruck befreien konnte. Voller Zorn rannte sie auf Roderich zu. Ihr Onkel sah sie kommen und streckte unwillkürlich den Arm aus, um sie aufzuhalten. Doch ehe sie ihn erreicht hatte, trat er einen Schritt zurück und grub seine Daumen in den Gürtel, als ginge ihn das, was nun folgte, nichts an.
Als Maite das Pferd des Asturiers erreichte, begriff sie, dass sie nichts gegen den Mann ausrichten konnte. Sie besaß ja nicht einmal ein Messer. In ihrer Verzweiflung schlug sie mit ihren Fäusten gegen sein rechtes Bein und schrie ihm dabei sämtliche Flüche ins Gesicht, die sie kannte.
Verblüfft ließ Roderich sie ein paar Augenblicke lang gewähren, dann griff er nach unten, packte sie am Genick und hielt sie so von sich weg, dass ihre Fäuste ihn nicht mehr erreichen konnten.
»Wer ist dieses Mädchen?«, fragte er.
»Ikers Tochter Maite«, erklärte Okin, ohne zu zögern.
»Ein mutiges Ding! Nun, wir werden diese Wildkatze schon zähmen.« Roderich lachte und reichte Maite an einen seiner Krieger weiter. »Hier, Ramiro! Pass auf die Kleine auf. Du solltest sie fesseln, denn sie schielt mir zu sehr nach unseren Dolchen. Zu Hause wird Alma sich ihrer annehmen. Wenn einer so ein Ding zurechtstutzen kann, dann sie.«
Seine Reiter stimmten in sein Lachen ein, denn die Beschließerin der Burg wurde nicht umsonst Alma der Drache genannt. Bei der würde die Kleine kuschen müssen, wenn sie nicht den Hintern versohlt bekommen wollte. Den Hass, der aus Maites Augen sprühte, nahm keiner von ihnen ernst. Sie sahen in ihr nur ein Kind, das sich bald in die neuen Gegebenheiten einfinden würde.
Graf Roderich wandte sich noch einmal an Okin. »Du weißt jetzt, wer eure Herren sind! Halte dich daran, sonst kostet es euch beim nächsten Mal mehr als nur ein paar Tote.« Er warf dem Leichnam des Häuptlings einen Blick zu, der einem erlegten Hirsch hätte gelten können, und gab seinen Männern das Zeichen, ihm zu folgen.
Maite wehrte sich verzweifelt, doch Ramiro gab ihr eine Ohrfeige, die ihr die Sinne zu rauben drohte. Bevor sie sich wieder aufraffen konnte, hatte der Asturier einen rauhen Strick um ihre Handgelenke gewickelt und sie vor sich auf das Pferd gesetzt. Als sie in ihrer Wut mit ihren Füßen gegen den Hals des Pferdes trat, erhielt sie die nächste Ohrfeige und musste die Zähne zusammenbeißen, um nicht vor Schmerz zu schreien. Sie war Ikers Tochter und würde vor den Asturiern keine Schwäche zeigen. Das Pferd erneut zu treten, wagte sie jedoch nicht, und sie konnte auch die Tränen nicht aufhalten, die ihr nun, da das Heimatdorf immer weiter hinter ihr zurückblieb, aus den Augen rannen.
Nachdem die Asturier verschwunden waren, herrschte Totenstille. Dann scharten sich die Dorfbewohner um Okin und sahen ihn erwartungsvoll an. Ein alter Mann sprach schließlich aus, was alle dachten.
»Wie konnte das passieren?«
»Weiß ich es?«, fuhr Okin auf. »Mein Schwager musste ja unbedingt losziehen, um Graf Roderichs Schafe zu stehlen. Jetzt liegt er so tot da, wie ein Mann nur sein kann!«
»Ich will wissen, warum Asier uns nicht gewarnt hat. Wir hätten diesen asturischen Hunden sonst einen heißen Empfang bereiten können!«
Okin fuhr ärgerlich herum. »Glaubst du denn, wir wären mit den gepanzerten Reitern fertig geworden? Schau dich doch um! Was siehst du? Junge Burschen, die noch nie einen Kriegszug mitgemacht haben, und alte Männer wie dich. Iker hat zu viele unserer Krieger in den Tod geführt. Möge er dafür in der Hölle schmoren!«
Das Gemurmel der Leute zeigte deutlich, dass nicht alle so dachten wie er. Einige Frauen, deren Ehemänner und Söhne mit Iker gezogen waren, brachen in Klagelaute aus und schlugen sich wie von Sinnen gegen die Brust.
»Wären wir gewarnt worden, hätten wir Männer aus den anderen Dörfern zu Hilfe holen können!« Der Alte haderte immer noch mit dem Wächter, der es versäumt hatte, sie rechtzeitig zu warnen.
»Dafür wäre nicht genug Zeit geblieben«, wandte Okin ein. Doch ihm war klar, dass er in dieser Situation nicht den Eindruck eines Hundes hinterlassen durfte, der den Schwanz zwischen die Beine klemmt, und ballte drohend die Faust. »Sie mögen Iker und unsere jungen Krieger getötet haben, doch auch damit können sie uns nicht das Rückgrat brechen. Wir werden aus anderen Dörfern junge Männer zu uns holen, damit sich so etwas wie heute nicht wiederholt.«
»Also werden wir diesem aufgeblasenen Asturier keinen Tribut entrichten«, setzte der alte Mann zufrieden hinzu.
Okin zuckte mit den Schultern. »Wahrscheinlich müssen wir ihm ein- oder zweimal ein paar Schafe überlassen, doch sobald aus unseren Knaben Krieger geworden sind, bekommt der Asturier kein räudiges Vlies mehr von uns.«
Einige Hitzköpfe knirschten mit den Zähnen, doch die meisten im Dorf hießen diesen Rat gut. Sie wussten, dass der Stamm Zeit brauchen würde, die verlorenen Krieger zu ersetzen.
Eine Frau jedoch wollte sich damit nicht zufriedengeben und spie vor Okin aus. »Es ist eine Schande für euch Männer, dass die Asturier Ikers Tochter so einfach mitnehmen konnten. Das arme Kind hat erst im letzten Jahr die Mutter verloren – und nun das!«
»Sie werden Maite schon nicht umbringen«, antwortete Okin verärgert.
Die Frau sah ihn an, als könne sie nicht begreifen, was er eben gesagt hatte. »Sie werden eine Asturierin aus ihr machen, und das ist noch viel schlimmer!«
»Was musste das dumme Ding auch auf Roderich losgehen!«
Damit machte Okin die Frau jedoch nur noch wütender. »Warum auch musstest du ihm sagen, dass es sich um Ikers Tochter handelt?«
»Wenn Maite nicht den richtigen Mann heiratet, werden wir uns Häuptling Eneko in Nafarroa anschließen müssen, um der Herrschaft der Asturier zu entgehen«, prophezeite einer der alten Männer düster.
Okin winkte ärgerlich ab. »So weit sind wir noch lange nicht!« Dennoch war er froh, dass ein Junge, der ins Tal hinabgeblickt hatte, in diesem Augenblick einen schrillen Ruf ausstieß. »Ein Mann kommt den Weg hoch. Er trägt einen anderen auf dem Rücken!«
Jetzt sahen die anderen es auch. Die Frau, die eben noch mit Okin gestritten hatte, kniff die Augen zusammen, um besser sehen zu können. »Das ist doch Asier! Wieso …« Sie brach ab und wischte sich über die Stirn.
»Ich werde den Burschen fragen, weshalb er seinen Posten verlassen hat, und gefällt mir seine Antwort nicht, wird er dafür bezahlen.« Okin zog seinen Dolch und rief damit erneut den Unmut der Frau hervor.
»Willst du auch ihn töten, wo wir doch schon so viele der Unseren verloren haben?«
Okin antwortete mit einem Fluch und ging auf den jungen Mann zu. Dieser taumelte unter seiner Last.
»Es ist Danel, mein Bruder! Leute aus Guizora haben ihn zwei Täler weiter gefunden und mich geholt. Er ist schwer verwundet, aber am Leben. Wie es aussieht, wurden Ikers Leute in eine Falle gelockt und niedergemacht. Die Asturier haben Danel an der Grenze unseres Stammes niedergelegt, wahrscheinlich, damit er gefunden werden soll. Ich weiß nicht, warum, aber …«
»Aber ich weiß es!«, schrie Okin ihn an. »Die Bewohner von Guizora sollten ihn finden und dich holen. Du Narr hast deinen Posten verlassen und es damit den Asturiern ermöglicht, ungehindert nach Askaiz zu kommen.«
Asier starrte ihn entsetzt an. »Was sagst du da?«
»Die Asturier sind hier gewesen! Sie haben Ikers Leichnam auf den Dorfplatz geworfen und seine Tochter mitgenommen.«
»Maite? Aber wieso …?« Asier schüttelte verständnislos den Kopf.
Einer der alten Männer runzelte die Stirn und deutete mit dem Finger auf Okin. »Du sprichst, als wäre dies alles mit Absicht geschehen. Die Asturier konnten aber doch gar nicht wissen, dass Danels Bruder bei uns Wache halten würde.«
»Aber die Leute aus Guizora wussten es!«, brüllte Okin, als müsse er seiner Empörung Luft verschaffen. Seine Worte säten Misstrauen gegenüber dem Nachbardorf. Wenn er recht hatte, musste es dort einen Verräter geben, der es mit den Asturiern hielt.
Einer der Alten nickte bedrückt. »Amets von Guizora war schon immer neidisch auf Iker. Außerdem ist er sein Vetter dritten Grades und entstammt wie er der Blutlinie der alten Häuptlinge.«
Okin winkte verächtlich ab. »In seinen Adern fließt nicht mehr Häuptlingsblut als in meinen! Askaiz war immer das Zentrum unseres Stammes und wird es bleiben!«
Beifälliges Murmeln und Kopfnicken antworteten ihm. Okin verschränkte die Arme vor der Brust und unterdrückte ein zufriedenes Lächeln. Wie es aussah, hatte er an diesem Tag drei Ziele mit einem einzigen Pfeil getroffen. Sein Schwager war tot, dessen Tochter eine Gefangene der Asturier, und der Ruf seines Rivalen Amets aus Guizora so ruiniert, dass niemand in Askaiz ihn als Anführer akzeptieren würde.
Obwohl ihre Wangen von Ramiros Schlägen brannten und ihr die Trauer um den Vater schier das Herz abdrückte, biss Maite die Zähne zusammen. Sie war die Tochter eines Anführers und durfte weder Iker noch den Stamm enttäuschen. Daher prägte sie sich die wichtigsten Wegmarken ein, an denen die Truppe vorbeiritt, und schwor sich zu fliehen, sobald sich die Gelegenheit dafür bot. Zwar kannte sie die Gefahren, die einem Mädchen wie ihr drohten, aber die beeindruckten sie nicht. Sie verschwendete auch keinen Gedanken an die Tatsache, wie viele Meilen die Asturier zwischen sich und ihr Heimatdorf legten. Nach Hause würde sie von überall her finden.
Ihre Begleiter waren rauhe Krieger und kümmerten sich nicht mehr als nötig um sie. Gelegentlich reichte Ramiro ihr ein Stück Brot oder ließ sie an einem Bach trinken. Mit der Zeit wurde es ihm jedoch lästig, sie losbinden und hinterher erneut fesseln zu müssen. Daher wandte er sich an seinen Anführer. »Glaubt Ihr nicht, dass sie jetzt gezähmt genug ist, Herr?«
Graf Roderich sah auf das kleine, dünne Mädchen herab, das verschreckt auf der Erde hockte, und schüttelte den Kopf. »Meinetwegen brauchst du das Ding nicht mehr zu binden. Es wird uns schon nicht davonlaufen.«
Das denkst auch nur du, dachte Maite. Da Ramiro sie jedoch scharf im Auge behielt, machte sie nicht den Fehler, bei dieser Rast zu fliehen. Mit ihren Pferden waren die Asturier viel schneller als sie und würden sie rasch eingeholt haben.
Obwohl er sich für Maite verwendet hatte, achtete Ramiro darauf, dass sie nicht an seinen Dolch herankam. Doch ihr erster Zorn war inzwischen verraucht, und sie begriff, dass sie ihren Vater nicht auf diese Weise rächen konnte. Sie war nicht kräftig genug, dem Mann, der sie bewachte, eine Klinge durch die Panzerung in den Leib zu stoßen. Außerdem würde Ramiros Tod nichts ändern. Da hätte sie schon Graf Roderich töten müssen, doch der ritt ein ganzes Stück vor ihnen, und sein Kettenhemd sah so fest aus, als sei es von Zauberschmieden gefertigt worden. Da sie im Augenblick weder fliehen noch Rache üben konnte, beschloss Maite, erst einmal so zu tun, als wäre ihr Wille gebrochen.
Graf Roderich war mit dem Erreichten äußerst zufrieden. Mit Iker von Askaiz hatte er den einzigen Häuptling aus dem Weg geräumt, der die waskonischen Stämme jenseits der Grenze hätte einen können. Jetzt gab es bis nach Nafarroa, wo Eneko Aritza sich ein kleines Reich geschaffen hatte, keinen waskonischen Anführer mehr, der sich der asturischen Macht entgegenzustellen vermochte.
»Der Verräter hat ganze Arbeit geleistet!« Im Hochgefühl seines Erfolgs achtete Roderich nicht auf seine kleine Gefangene, die bei dem Wort Verräter den Kopf hob. Ihr Vater war Opfer eines Verrats geworden! Für Maite war dies eine schmerzhafte Erkenntnis, denn sie mochte ihre Heimat Askaiz und war auch schon oft in Guizora und den anderen Dörfern des Stammes gewesen. Sie war dort stets gut behandelt worden, viele hatten ihr Honigkuchen und leckere Nüsse zugesteckt. Jetzt denken zu müssen, dass einer dieser Menschen Schuld am Tod ihres Vaters trug, war unerträglich.
Roderich lachte selbstgefällig auf. »Mein Verwandter, der König, wird zufrieden sein!« Auch wenn seine Frau Urraxa nur eine illegitime Schwester von Graf Silo, einem Vetter König Aurelios, war, so hatte die Heirat mit ihr ihm Rang und Bedeutung verschafft.
Seine Männer lachten, denn selten hatten sie einen Erfolg leichter errungen als diesen. Sie spotteten über Iker von Askaiz, der ihnen wie ein mit Honig gelockter Bär in die Falle gelaufen war. Offensichtlich ahnten sie nicht, dass ihre Gefangene als Tochter des Häuptlings neben ihrer waskonischen Muttersprache auch das Asturische hatte lernen müssen. Maite hörte aufmerksam zu, doch zu ihrem Leidwesen fiel kein einziges Mal der Name des Mannes, der ihren Vater ans Messer geliefert hatte.
Dennoch schwor Maite diesem Verräter blutige Rache. Es würde Jahre dauern, bis sie etwas gegen ihn unternehmen konnte, das war ihr klar, und wahrscheinlich würde der Mann, den sie einmal heiratete, ihn töten müssen. Doch irgendwann würde sie ihre Hände in das Blut jenes Kerls tauchen, der sie ihres Vaters und den Stamm seines Anführers beraubt hatte.
Ganz in ihre Rachegedanken eingesponnen, merkte sie erst jetzt, dass der Trupp sich seinem Ziel näherte. Zunächst ritten sie durch ein Dorf, das um ein Vielfaches größer war als ihr Heimatdorf Askaiz. Die Bewohner sprachen zwar einen verwandten Dialekt, waren aber schon vor vielen Generationen von den Visigoten unterworfen worden und hatten längst verlernt, was es hieß, Waskonen zu sein. Sie begrüßten den Grafen unterwürfig und betrachteten seine kindliche Gefangene mit großen Augen.
»Wer ist denn das, Don Rodrigo?«, fragte eine junge Frau in einem langen, braunen Kittelkleid.
»Eine kleine Wildkatze, die ich meiner Tochter schenken will«, antwortete der Graf lachend.
Auch wenn er sich selbst Roderich nannte, so nahm er es doch hin, dass er von seiner Umgebung mit dem hispanisierten Namen angesprochen wurde. Über Jahrhunderte hatte sein Volk in Spanien über die früheren Einwohner geherrscht und sich dabei Sprache und Sitten bewahrt. Er wusste jedoch, dass die Kraft der letzten Visigoten nicht mehr ausreichte, das wenige Land zu bewahren, das sie vor den Mauren hatten retten können. Dafür benötigten sie die Hispanier, und wenn diese dafür im Gegenzug zu guten Asturiern wurden, so war es ihm recht.
Roderich winkte den Menschen zu und musterte die jungen Burschen, die die Feldarbeit beendet und mit ihren Waffenübungen begonnen hatten. Ein oder zwei Dutzend von ihnen würde er in seine Leibschar aufnehmen, um einige ältere Krieger zu ersetzen, die ans Heiraten dachten.
Zufrieden mit den Verhältnissen in seinem Machtbereich, ritt er weiter und bog hinter dem Dorf auf einen Weg ein, der steil bergan führte. Der Zugang zur Burg mochte mühsam sein, schreckte aber die berittenen Streifscharen der Mauren ab. Roderich war stolz darauf, dass es den Feinden während seiner Zeit als Graf der Grenzmark nicht ein einziges Mal gelungen war, einen erfolgreichen Feldzug gegen ihn zu unternehmen.
Unterdessen war auch Maite auf die Burg aufmerksam geworden. Die Anlage erhob sich auf einer Felszunge über dem Tal und wurde von einer festen, mehr als zwei Mann hohen Mauer umschlossen. Ein einziges Tor führte in einen langgestreckten Hof, der zu beiden Seiten von Gebäuden gesäumt wurde. Zu Maites Verwunderung waren sowohl die Schutzmauer wie auch die meisten Häuser aus behauenen Quadersteinen errichtet worden und nicht wie in ihrem Heimatdorf aus Bruchsteinen. Nur ein paar Hütten am Rande bestanden aus unregelmäßigen Steinen, und das Blöken von Schafen verriet ihr, dass es sich um Ställe handelte.
Das Hauptgebäude war ein längliches Haus mit kleinen, schießschartenähnlichen Fenstern und einem bronzebeschlagenen Tor. Graf Roderich hielt sein Pferd vor dem Eingang an, schwang sich aus dem Sattel und warf die Zügel einem herbeieilenden Knecht zu.
»Gut abreiben und mit Hafer füttern!« Noch während er es sagte, dachte er, dass er sich diesen Befehl hätte sparen können. Seine Stallknechte wussten wahrscheinlich besser als er, wie sie sein Pferd und die übrigen Rosse zu behandeln hatten. Er klopfte dem Knecht auf die Schulter und wandte sich seinen Begleitern zu.
»Kümmert euch um eure Gäule und lasst euch danach ein paar Becher Wein einschenken. Auch wenn unser Ritt nur gegen ein paar Bergwilde ging, so haben wir doch einen Sieg zu begießen!«
Unterdessen war Roderichs Gemahlin Urraxa aus der Tür getreten und hatte seine letzten Worte gehört. »Ihr Männer denkt immer nur ans Feiern!«
Roderich trat lachend auf sie zu und umarmte sie. »Nun, meine Gute, wir haben auch allen Grund dazu. Immerhin konnten wir Ikers Überfällen endlich einen Riegel vorschieben und seinen Stamm unter unsere Herrschaft zwingen. Dein Bruder wird zufrieden sein.«
Urraxa kannte ihren Bruder weniger gut als ihr Mann. In einem abgelegenen Dorf aufgewachsen, war sie für Silo erst wichtig geworden, als dieser sich berechtigte Hoffnungen auf die Nachfolge König Aurelios machen konnte und dafür Verbündete suchte. Aus diesem Grund hatte er Roderich die Heirat mit seiner Halbschwester angetragen und sich damit die Unterstützung des Grenzgrafen gesichert. Obwohl die Ehe nur durch politische Winkelzüge zustande gekommen war, lebte Urraxa gut mit ihrem Rodrigo zusammen, auch wenn dieser sich nach einer längst vergangenen Zeit sehnte und nicht vergessen konnte, dass er einer der letzten echten Visigoten war. Ihre gemeinsamen Kinder würden sich Asturier nennen und stolz auf das Erbe zweier Völker sein. Lächelnd strich sie sich mit der rechten Hand über den Leib. Noch konnte Rodrigo es nicht sehen, doch sie hoffte, ihm nach einer Tochter in sechs Monaten endlich den erhofften Erben zu gebären. Heute Abend wollte sie ihm dieses kleine Geheimnis anvertrauen. Nun aber wandte sie sich der seltsamen Beute zu, die er mitgebracht hatte.
»Seit wann stiehlst du Kinder, mein Gemahl?«
»Du meinst die kleine Wildkatze da? Das ist Ikers Tochter. Alma soll sich ihrer annehmen. Wenn Ermengilda sie haben will, kann sie ihr als Magd dienen.«
Maite schürzte die Lippen. Niemals würde sie die Magd einer Asturierin werden! Noch während sie überlegte, wie sie aus der gut bewachten Burg entfliehen konnte, sprang Ramiro aus dem Sattel und streckte die Arme aus, um sie herunterzuheben. Er lachte, während er sie auf den Boden stellte, und zerzauste ihr das Haar. »Mach’s gut, du Wildkatze!«
Maite kniff die Augenlider zusammen und fragte sich, ob dieser Asturier so dumm war zu glauben, sie könne vergessen, dass er und seine Freunde ihren Vater getötet und sie entführt hatten. Am liebsten hätte sie ihm in die Hand gebissen, doch er war bereits gegangen. Sie raffte allen Mut zusammen und blickte die mollige Frau an, die ebenso wie sie kastanienbraune Haare hatte und dazu große, wie polierte Steine schimmernde Augen. Kuhaugen sind das, dachte sie und war froh, dass die ihren in einem helleren Braun leuchteten und nicht so hervorquollen. Das Kleid der Frau war wertvoller als alles, was ihre Mutter je besessen hatte, und dazu trug die Asturierin eine goldene Kette um den Hals. Wirklich eine Kuh samt Kette, fand Maite und verzog verächtlich das Gesicht.
Doña Urraxa wollte gerade nach ihrer Beschließerin rufen, als die Tür aufsprang und ein Mädchen herausstürmte, dessen hellblonde Locken im Sonnenlicht aufleuchteten. Sie trug ein in der Taille gerafftes Gewand und sogar Schuhe, wie Maite verwundert feststellte. Es war früher Herbst und der Boden nach dem langen Sommer noch warm. Selbst ihre Mutter hatte um diese Jahreszeit noch keine Schuhe getragen.
Das blonde Mädchen umarmte den Grafen und zeigte dann auf Maite. »Schenkst du mir die Sklavin, Papa?«
»Ich bin keine Sklavin!«, fauchte Maite. Es waren die ersten Worte in der asturischen Sprache, die sie von sich gab.
Der Graf hob erstaunt den Kopf. »Du kannst verstehen, was wir sagen? Das ist gut. Umso rascher wirst du dich eingewöhnen.«
»Bitte, Vater! Ich will sie haben!« Ermengilda blickte mit leuchtenden Augen zu Roderich auf. Sie wusste, wie sehr er sie liebte, weil sie mehr einer Visigotin als ihrer Mutter glich. Sie hatte sogar blaue Augen, nur schimmerten die ihren warm in der Farbe des Sommerhimmels und nicht so hell wie die seinen.
»Natürlich schenke ich sie dir! Wenn sie dir nicht gehorchen will, wird Almas Stock sie schon dazu bringen.« Der Graf küsste seine Tochter, fand dann, dass er Wichtigeres zu tun hatte, als sich mit einer kleinen Waskonin zu befassen, und trat ins Haus.
Ermengilda ging um Maite herum und musterte sie. Viel macht dieses schmutzige, dürre Ding nicht her, dachte sie. Ob sie sich wirklich als Leibmagd eignete? Immerhin war sie bald eine junge Dame und brauchte eine Dienerin, die ihre Kleidung in Ordnung hielt und ihr Haar nach neuester Mode frisieren konnte.
Da sie Maite um ein ganzes Stück überragte, schätzte sie den Altersunterschied größer ein als die zwei Jahre, die tatsächlich zwischen ihnen lagen, und setzte eine hochmütige Miene auf. »Bevor du mir dienen kannst, werden wir dich erst in einen Bottich stecken und kräftig schrubben müssen. Außerdem brauchst du einen sauberen Kittel.«
Doña Urraxa nickte und rief zwei Mägde herbei. Diesen befahl sie, sich Maites anzunehmen. »Wascht sie und gebt ihr etwas zu essen. Sie soll meiner Tochter dienen.« Mit diesen Worten drehte sie sich um und ließ die beiden Mädchen mit den Mägden allein auf dem Hof zurück.
Maite stülpte die Unterlippe vor. Hier redeten alle von ihr, als wäre sie kein Mensch, sondern ein Gegenstand, über den sie nach Belieben verfügen konnten. Da sie keine Anstalten machte, den Mägden zum Waschhaus zu folgen, packten die Frauen sie unter den Armen und schleppten sie mit sich.
Ermengilda folgte ihnen und sah zu, wie die Mägde Maite das schmutzige Kleid auszogen und angeekelt in eine Ecke warfen. Dann wurde das Kind in einen hölzernen Bottich gesetzt, der mit kaltem Wasser gefüllt war, und die Frauen rückten der Kleinen mit Bürsten zu Leibe, als wollten sie jedes Fitzelchen ihrer Haut abschaben. Maite versuchte sich zu wehren, kam aber nicht gegen die beiden kräftigen Frauen an.
Schließlich stand sie mit Tränen in den Augen mitten im Raum und wollte ihre Kleidung zurückholen. Eine der Mägde hielt sie jedoch fest und schob das Kleid mit dem Fuß beiseite.
»Das Zeug hier brauchst du nicht mehr. Du bekommst etwas Besseres«, erklärte sie. Gemeinsam mit der anderen Magd stülpte sie Maite einen sackartigen Kittel aus brauner Wolle über und raffte diesen in der Taille mit einer dünnen Schnur.