Richard Wolff
REBOOT
Wie sich Führungskräfte über 50 neu erfinden können
Knaur e-books
Richard Wolff ist Organisationsentwickler und Coach und leitet das Beratungsunternehmen b4 Consulting & Coaching. Die Unternehmen, die er im Hinblick auf Entwicklungs- und Veränderungsprozesse berät, lesen sich wie das Who’s who der Wirtschaft, unter ihnen sind Bertelsmann, Daimler AG, PwC, Telekom, SAP, Roche, Bayern LB und Sony, aber auch immer mehr Mittelständler.
© 2017 der eBook-Ausgabe Droemer eBook
© 2017 Droemer Verlag
Ein Imprint der Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG, München
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Coverabbildung: FinePic®, München
ISBN 978-3-426-44213-5
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Wir freuen uns auf Sie!
Alles beginnt mit der Frage: Was muss ich heute tun, entscheiden, anfangen, um die nächsten fünfzehn Jahre erfolgreich zu sein? Nicht neben meinem Beruf, nicht ehrenamtlich oder wohltätig, sondern in meinem Beruf. Mit einem angemessenen Einkommen und Wertschätzung für das, was ich kann und leiste.
Alle Führungskräfte um die fünfzig stellen sich diese Frage. Viele blicken gelassen auf die Antwort, fühlen sich sicher, sind zufrieden und blicken optimistisch in die Zukunft. Ich arbeite als Berater jedoch mit Menschen, die dabei durchaus ins Grübeln geraten und oft auch handfeste Bedenken haben.
Die Suche nach authentischen Geschichten, guten Vorbildern, hilfreichen Modellen und wirksamen Strategien bildet das Rückgrat dieses Buches. Lassen Sie sich von den Lageberichten ausgewählter Personen beeindrucken, sie sind alle wahr – zwar verdichtet und verkürzt, aber im Kern »praxiserprobt«. Versuchen Sie sich in der Rolle des stillen Beobachters, des interessierten Augenzeugen. Ich bin sicher: Es wird Ihnen nicht immer gelingen, denn Ihre eigene Geschichte wird in Facetten auftauchen und Fragen aufwerfen …
Erst einmal meinen Glückwunsch – die Tatsache, dass Sie dieses Buch zum Lesen in die Hand genommen haben, zeigt: Sie sind so weit, sich mit Ihrer Situation und Person auseinanderzusetzen. Das ist nicht selbstverständlich, sondern zeugt von geistiger Offenheit und Neugier, aber vielleicht auch von einer gewissen Unzufriedenheit mit der eigenen Situation?
Jedenfalls treibt Sie etwas, tiefer in eine Materie einzutauchen, die Sie persönlich beschäftigt. Sie sind damit nicht allein. Wenn man den Medien und den Trefferzahlen in Internet-Suchmaschinen glauben darf, haben wir es bei dem vielschichtigen Thema »Führungskräfte über fünfzig« mit einem brandaktuellen gesellschaftlichen Thema zu tun. Diese Menschen werden wegen ihrer Erfahrung, ihrer Motivation und ihres Verantwortungsbewusstseins hoch geschätzt, sind aus ihren Unternehmen nach Auskunft von Personalleitern und Unternehmenssprechern nicht wegzudenken, gelten als wichtiger Faktor, wenn von Diversity in Unternehmen – ein zweites Trendthema – die Rede ist. Andererseits grassiert unter Führungskräften jenseits der fünfzig nicht selten die Kündigungsangst, werden die altgedienten Mitarbeiter doch nur allzu oft als wenig flexibel und lernbereit erachtet. Sie scheinen an ihren Sesseln zu kleben und Posten zu »blockieren«, sind als schwierige, weil besserwisserische und gelegentlich despotische Vorgesetzte verschrien – und sie sind teuer. Nicht nur im Alltagsgeschäft, sondern auch, wenn man sie, wie sie befürchten, loswerden will.
Nach einer Umfrage des Magazins Brand eins aus dem Jahr 2015 wollen 76,4 Prozent der Führungskräfte in Deutschland auch nach Erreichen des Rentenalters weiterarbeiten. Und annähernd 78 Prozent der älteren Manager erklären, sie würden einen Abstieg in der Firmenhierarchie erwägen, weil ihnen Titel und Status nicht mehr so wichtig sind. Beide Umfrageergebnisse sprechen für ein hohes Maß an Motivation und Flexibilität. Ein dritter Befund: Als Coach begegnen mir in Beratungssituationen immer wieder Führungskräfte fünfzig plus, die resigniert und frustriert feststellen, dass sie in ihrer derzeitigen Position hängengeblieben sind. Für sie gibt es keine attraktive Perspektive mehr, in der Firmenhierarchie aufzusteigen, die wirklich interessanten Aufgaben und Projekte sind an andere verteilt. Sie verdienen zwar gut bis sehr gut, fühlen sich mit ihren Aufgaben im Job nicht überfordert, sind auch im Alltag mit Familie, Haus und materieller Absicherung gesettelt, doch sie spüren: Es geht nicht mehr weiter. Jahrelang haben diese Führungskräfte zu den notorischen Aufsteigern gehört, haben über Jahrzehnte hinweg Karriere gemacht, sind entweder im Unternehmen »groß geworden« oder haben regelmäßig zum nächsten Karrieresprung das Unternehmen gewechselt. Und jetzt ist damit auf einmal Schluss. Voriges Jahr hat man noch in den Startlöchern für die nächste Position gestanden, auf einmal scheint kein Aufstieg mehr möglich.
Oder betrachten wir es einmal so: Etwa 41 Prozent der deutschen Führungskräfte geben an, nicht weiter in der Firmenhierarchie aufsteigen zu wollen. Was aber tun die übrigen fast 60 Prozent, wenn sie feststellen müssen, dass ihre einzige Perspektive der Ruhestand zu sein scheint? Und das angesichts der Tatsache, dass doch so viele von ihnen sich vorstellen könnten, ihre Erfahrungen und ihr Fachwissen auch über das offizielle Rentenalter hinaus für ihr Unternehmen einzusetzen.
Ich bezeichne die Situation, in der sich diese Führungskräfte befinden, als Stuck State, kurz: Stuck. Der Begriff Stuck State ist dem Neurolinguistischen Programmieren entnommen und beschreibt einen Zustand, in dem jemand »steckengeblieben«, »hängengeblieben« ist, sich »festgefahren«, »verhakt« hat. Gewissermaßen ein Feststecken in der Sackgasse der eigenen Entwicklung und Karriere.
Das ist kein angenehmes Gefühl. Und es wird noch unangenehmer, wenn die brisante Mischung aus intellektueller Unterforderung und emotionaler Überforderung hinzukommt.
Intellektuelle Unterforderung, weil alles schon mal da gewesen ist, weil man alle Arbeitsabläufe kennt, weil man bei Besprechungen schon mit einem Blick auf die Teilnehmerliste voraussagen kann, wer welche Beiträge bringen wird. Weil man weiß, welche Strippen man ziehen und welche Knöpfe man drücken muss, um bestimmte Reaktionen und Ergebnisse zu erzielen. Weil man zu jeder Initiative, zu jedem kreativen Einfall die dazugehörigen Einwände so gut kennt wie das Kantinenessen, das sich im vierwöchigen Rhythmus wiederholt. Emotionale Überforderung, weil die Zusammenarbeit mit neuen Kolleginnen und Kollegen, den jungen High-Potentials zumal, mit zunehmendem Alter nicht einfacher wird. Weil man den eigenen Zynismus spürt, wenn es um die immer gleichen Abläufe und Rituale im Unternehmen geht. Weil man auf einmal all die unerträglichen Argumente gegen neue Ideen, gegen kreative Entwicklungen, gegen ein »Versuchen wir es doch mal« selbst ins Feld führt. Und weil einem nach Jahrzehnten voller Konkurrenz und Wettstreit der Kick fehlt, den es natürlich auch bedeutet, aufzusteigen und neue Aufgaben zu übernehmen.
Der Stuck State ist gefährlich. Er ist gefährlich für den Einzelnen, weil er zu Resignation und Frustration führt. Die Erkenntnis, dass ich mein berufliches Fortkommen nicht mehr selbstbestimmt kontrolliere, ist schmerzhaft und führt zu einem Verlust an Leistungskraft und Lebensfreude. Der Stuck einzelner Führungskräfte oder einer ganzen Gruppe von Führungskräften ist aber auch für die Unternehmen gefährlich, in denen diese Menschen verantwortungsvolle Führungsaufgaben haben. Man kann sich an fünf Fingern ausrechnen, wie es sich in einer Firma auswirkt, wenn eine größere Zahl von Managern demotiviert die Arbeitszeit verwaltet oder gar innerlich gekündigt hat. Und im letzteren Zustand sollen sich Umfragen zufolge etwa ein Viertel aller deutschen Arbeitnehmer befinden.
Was tun also diejenigen, die sich mit dem Stuck nicht so ohne weiteres abfinden wollen? Klassischerweise denken sie über verschiedene Wege aus der Sackgasse nach. Und diese Wege folgen dem bekannten Muster: »Leave it, change it or love it.« Rausgehen, verändern oder dableiben und neue Motivation finden.
Diese drei Wege und das, was sich daraus ergibt, umkreist dieses Buch. Ich habe dafür einen neuen Begriff gefunden: Reboot. Ja, natürlich, er stammt aus der Computerwelt. Wenn ein Computer in einen Stuck-Zustand gerät, wenn er hängenbleibt und nichts mehr weitergeht, bleibt nur noch eine Möglichkeit: ein erzwungener Neustart, den man auch Reboot nennt. Die Analogie ist hoffentlich genauso einleuchtend und selbsterklärend wie beim Begriff des Stuck-Zustands – bis hin zu der ernüchternden Erkenntnis, dass ein Reboot praktisch immer ein erzwungener Neustart ist. Man setzt ihn erst an, wenn nichts anderes mehr geht.
Lassen Sie mich, bevor wir anhand zahlreicher Einzelgeschichten und Interviews in die Tiefe gehen, in groben Zügen skizzieren, wie ich den Stuck sehe. Er ist, so habe ich schon angedeutet, ein negativ empfundenes »Hängenbleiben« in einem Herkunftssystem. Erlebe ich meine Situation in diesem System als Sackgasse, dann gehe ich automatisch auf Distanz zu diesem Kontext. Eine Krise entsteht, in der ich mich entscheiden muss: Lasse ich die Dinge laufen und leide still vor mich hin? Lasse ich zu, dass mich der Kontrollverlust zum Opfer macht? Oder sorge ich für einen neuen Energieschub, prüfe meine Möglichkeiten, hole mir ein neues Maß an Selbstbestimmung zurück, überschreite bisher selbstverständliche Grenzen und begebe mich auf ein neues Terrain? Letztlich läuft es auf eine Neudefinition meiner eigenen Rolle hinaus.
Um diese Neudefinition zustande zu bringen, ist Reflexion erforderlich, und zwar umfassende und tiefgreifende. Die wenigsten Führungskräfte schaffen diese Reflexionsarbeit allein. Sie brauchen einen Sparringspartner in Form eines Experten, eines Coachings, einer Beratung oder Therapie. Am Ende des Denkprozesses sollten sich neue Optionsräume eröffnen, die zeigen, dass geistige Bewegung Energie schafft, Sinnfragen kein Luxus sind und die Ungewissheit des Ausgangs den Kick des bisherigen Höher-Schneller-Weiter durchaus ersetzen kann.
Eine solche Reflexion kann somit neuen Sinn und neue Verbundenheit mit sich und der eigenen Situation stiften. Sie kann neue Wahlmöglichkeiten aufzeigen, Energie und Commitment erzeugen, Ziele und Visionen sichtbar machen und neue Freiheit schenken (obwohl von Schenken eigentlich keine Rede sein kann – der Prozess ist harte Arbeit).
Und dann? Dann bin ich auf einmal wieder Täter, Herr meiner Lage und Akteur in eigener Angelegenheit. Ich kann Entscheidungen treffen, selbstbestimmt und auf einer guten, durchdachten Grundlage.
Wie solche Entscheidungen aussehen? Es ist durchaus denkbar, dass nach einer Phase der Reflexion eine Trennung von der bisherigen Rolle unvermeidlich erscheint. Das kann bedeuten, dass ich mir eine neue Arbeitsstelle suche. Das ist nicht unbedingt einfach mit fünfzig plus, aber machbar. Es kann aber auch den kompletten Ausstieg bedeuten: einen Branchenwechsel, den Sprung in die Selbständigkeit, Mischformen wie Beraterverträge oder eine Phase als Interimsmanager. Wie auch immer: Eine geänderte Haltung ist das Ergebnis der Reflexion. Alles Reflektierte ist eine Ressource! Es bildet gewissermaßen einen neuen Rahmen für das alte Bild von mir selbst. Ich muss nicht mehr angreifen. Ich muss auch nicht mehr verteidigen. Ich kann mich frei entscheiden, etwas ganz anderes zu machen.
Ich kann mich aber auch entscheiden, das Bisherige »nur« ganz anders zu machen, in das alte System, von dem ich mich im Stuck-Zustand distanziert habe, zurückzukehren und mich neu in das Unternehmen, den Job verlieben. Rejoin the Company nennen wir das. Auch das geht, wenn man sich in aller Freiheit und guten Willens dafür entschieden hat.
Kurz, die Reflexionsarbeit schafft eine offene Situation, in der Bewegung und Wachstum möglich sind, in der durch neue oder erneuerte Verbundenheit wieder Sinn entsteht. Und in der Führungskräfte wieder das tun können, wofür sie doch eigentlich berühmt sind. Machen. Tun. Täter sein, nicht Opfer.
Als Leser dieses Buches gehören Sie bereits zu einer Minderheit: Nach meiner Erfahrung lässt sich nur ein kleiner Teil derjenigen, die sich in einer Stuck-Situation befinden oder davon bedroht sind, auf den nötigen Prozess der Reflexion ein. Durch das Lesen steigen Sie bereits in den Reflexionsprozess ein und bekommen möglicherweise Lust, an dieser ureigenen Sache gezielt und effizient weiterzuarbeiten. Zum Zweiten: Die Erfahrung zeigt auch, dass sich die meisten Menschen gern Geschichten erzählen lassen. Deshalb langweile ich Sie in diesem Buch nicht mit Zahlenkolonnen und Faktenhuberei, sondern erzähle Ihnen Geschichten von anderen, die im Stuck waren und weitergekommen sind – auf welche Weise auch immer.
Der erste Teil des Buches trägt die Überschrift »Reboot heißt: wahrnehmen, was ist« und beschäftigt sich mit den nötigen Reflexionsprozessen, die Ihnen helfen, Ihre Situation klarsichtig und beherzt zu analysieren, um neue Optionen für sich auszuloten und Sie wieder zum aktiven Gestalter Ihrer Zukunft zu machen.
Der zweite Teil mit der Überschrift »Reboot heißt: neue Wege suchen« zeigt die verschiedenen Richtungen, in die es gehen kann. Geschichten vom Scheitern und Neuanfang, von kreativen und schwierigen Wegen. Die meisten Kapitel enden mit »Denkanstößen« – Fragen und Gedanken, die Ihnen helfen sollen, erste Schritte mit den in den Erzählungen präsentierten Ansätzen auszuprobieren.
Alle Geschichten und alle Denkanstöße haben im Grunde genommen ein einziges Ziel: Sie sollen Ihnen Mut machen, Ihre eigene Situation in den Blick zu nehmen und sich neue Entscheidungsmöglichkeiten zu erobern. Dazu dient auch ein kleiner »Service-Teil« am Ende des Buches, in dem Sie einige Unterstützungsideen und Literaturtipps finden. Er soll es Ihnen möglich machen, nach den Denkanstößen noch zweite, dritte, weitere Schritte zu gehen, selbstbewusst voranzuschreiten. Aber wenn Sie es bis dahin geschafft haben, sind Sie sowieso schon mit den Gedanken in Ihrer Zukunft.