Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, August 2013
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Die Ausgabe erschien zuerst 2005 bei Transit Buchverlag, Berlin
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(Abbildung: David & Janice L. Frent Collection/CORBIS)
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ISBN Printausgabe 978-3-499-24652 4 (1. Auflage 2008)
ISBN E-Book 978-3-644-51531-4
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ISBN 978-3-644-51531-4
Für Mara
London, 9.3.1967, 4.09 p.m. Hund von Paul McCartney beißt zwei junge Männer im Regent’s Park. Beatle flieht, ohne Ankunft des Notarztes abzuwarten. Junge Mädchen verfolgen den Täter und fordern McCartney auf, sich zu stellen. Bei den Opfern des Beatle-Hundes soll es sich um deutsche Studenten handeln.
An einem Londoner Samstagnachmittag im Frühjahr, Anfang bis Mitte März 1967, fuhren mein Freund Bruno und ich von unserer Wohnung in der Victoria Road in Kilburn zum Regent’s Park. Das Auto, einen alten Fiat 500, stellte ich an der nördlichen Parkseite ab, Bruno trug den Lederball, und wir liefen zu den Fußballfeldern, mittelgroße Plätze mit einfachen Torstangen ohne Netze. Wir schossen und kickten den Ball hin und her, mal ging der eine ins Tor, mal der andere. Auf einmal kam uns ein Hund dazwischen, ein großes, zotteliges, weißgraues Vieh, und schnappte nach dem Ball vor meinen Füßen, wollte mitspielen, und ich, kein Freund dieser Tiere, wich zurück, der Hund blieb am Ball. Nun trat ein junger Mann auf uns zu, dessen Mantel ähnlich zottelig war wie das Fell seines Hundes, rief einen Namen und sagte, sich mit einem freundlichen Lächeln entschuldigend: «Don’t be afraid, she’s a coward!» Unsere Sprachkenntnisse waren mäßig, wir verstanden die Bedeutung von «coward» nicht.
Erst in diesem Augenblick, als er schon abdrehte, erkannte ich das Gesicht, es war Paul McCartney. Auch Bruno hatte den Beatle identifiziert. Aber selbst ihm gelang keine Antwort, nicht einmal ein Gruß oder ein «Good luck, Paul!». Der hatte es eilig weiterzugehen, der Hund folgte ihm. Denn neben uns, hinter Rhododendronbüschen (oder Haselnussbüschen?), war ein Schwarm junger Mädchen aufgetaucht, die juchzend und kichernd hinter McCartney und seinem Hund herjagten. Auf dem gewundenen Weg zwischen Bäumen und Zierbüschen sahen wir den Beatle immer schneller werden, auf der Flucht vor den aufdringlichen Verehrerinnen, die auch schneller wurden, aber ihn doch nicht erreichten und dafür umso lauter kreischten.
Es dauerte also ein wenig, bis wir begriffen: Das war wirklich Paul McCartney! Und wir setzten das Gekicke noch eine Weile fort. Zu Hause schauten wir ins Lexikon: coward heißt Feigling! Sie ist ein Feigling, hatte er gesagt! Nicht mal eine Anekdote, nichts weiter, aber genau aus den Wochen, in denen nebenan in der Abbey Road die LP Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band produziert wurde. Auch davon hatten wir keine Ahnung.
Nicht drei oder vier, sondern zwei nicht gerade englische und keineswegs ältliche Männer fuhren mit einem unscheinbaren Auto zu dem nicht unattraktiven Regent’s Park in London, keine zwei Meilen von ihrer Wohnung entfernt. Dort übten sie die auf der britischen Insel nicht unpopuläre Sportart des Fußballs aus. Mitten im Spiel kam ihnen ein durchaus nicht kleiner, nicht ungefährlicher und keinesfalls lahmer Hund in die Quere. Es schien nicht unwahrscheinlich, dass der nach dem Ball auch die Beine der Spieler nicht verschonen würde. Allerdings trat mit nicht unlässigen Schritten der Hundehalter hinzu und sprach nicht ohne Ironie: «Don’t be afraid!» Die nicht schlecht verblüfften Fußballer entdeckten in ihm den in der ganzen Welt nicht unbekannten Paul McCartney. Aber Hundehalter und Hund liefen nicht gerade langsam auf dem Parkweg weiter, nicht ungestört von einer nicht kleinen Schar von nicht sehr zurückhaltenden Verehrerinnen.
An einem der lausigsten, langweiligsten, märzigsten Londoner Nachmittage bei grauestem Wolkenbehang nahmen zwei junge Männer den rundesten und lederigsten Gegenstand, den sie finden konnten, und suchten die freiste, grünste und zum Spielen geeignetste Rasenfläche im Regent’s Park. Sie kickten aufs fleißigste und amateurhaft sportlichste herum, bis das weißeste, zotteligste und frechste große Hundetier, das sie je gesehen hatten, ihnen das Sportgerät entriss. Sie wichen aufs ängstlichste zurück, sahen sich jedoch sogleich von einer der lieblichsten Stimmen beruhigt: «Don’t be afraid, she is a coward!» In dieser Situation der tröstlichste und witzigste aller denkbaren Sätze, der vielleicht längst ins dunkelste Vergessen abgesunken wäre, wenn sein Urheber nicht der romantischste Komponist, genialste Songwriter, göttlichste Sänger und trefflichste Gitarrist der weltweit berühmtesten Band jener wildesten, drogensüchtigsten und sinnesdurstigsten Aufbruchszeit der mittleren sechziger Jahre gewesen wäre. Während Hundebesitzer und Hund mit dem allergrößten Eifer das Weite suchten, wurden sie verfolgt von einer Gruppe schönster und schamlosester junger Mädchen, die nichts Wichtigeres im Sinn hatten, als in die allernächste Nähe jener Berühmtheit zu gelangen, zu Paul McCartney.
In einer mit reichem Baumbestand (QUERCUS, TAXUS BACCATA, PLATANUS, ALNUS), prächtigem Buschwerk (CORYLUS, RHODODENDRON MAXIMUM) und soliden Rasenflächen gesegneten grünen Oase nah der Londoner Innenstadt tollten an einem vorfrühlingshaften Märznachmittag unter einer durchschnittlich grauen Wolkendecke (NIMBOSTRATUS) zwei junge Burschen (HOMO LUDENS) herum, indem sie mehrere aneinandergenähte und in die Form eines Balles gebrachte Stücke zu Leder gegerbter Haut von Rindern (BOS DOMESTICUS) mit den Füßen in Bewegung brachten. Sie suchten nicht die Nähe der Palmen und der anderen subtropischen Baumarten, nicht die Nachbarschaft des lieblichen Sees in der Mitte des Parks, sondern trieben ihr Spiel dort, wo der berühmte dichtwachsende, kurzgeschnittene, trittfeste grüne Rasen, der da und dort mit verwitterten, torartig geformten Holzstangen verziert war, genügend Auslauf bot. Sie taten das so reizend und natürlich, dass eine edle Hündin (CANIS FAMILIARIS) mit stattlichem weißem Fell sich an dem Spiel mit der Rindshaut beteiligte. Allerdings wurde das Tier von seinem Herrn, einem eiligen jungen Mann, daran gehindert, seinem natürlichen Spieltrieb zu folgen. Die Eile mag damit entschuldigt werden, dass ein höheres Naturgesetz diesen jungen Mann zum Jagdobjekt einer Schar junger Frauen oder gar Jungfrauen (VIRGO) bestimmt hatte, deren feuchte Scheiden verrieten, dass sie nichts so sehr wünschten wie die möglichst baldige Kopulation mit dem Hundebesitzer etwa unter den nahen Rhododendronbüschen, ohne Rücksicht auf die Hündin oder die verdutzten Ledertreter, die sehnsüchtig den jungen Frauen nachschauten und ihrem natürlichen Neid auf den immer schneller fliehenden Hundebesitzer freien Lauf ließen.