Alfred Döblin
Manas
Epische Dichtung
FISCHER E-Books
Mit einem Nachwort neu herausgegeben von David Midgley
1948 erinnerte sich Alfred Döblin an die Reaktion seines Verlegers Samuel Fischer auf die epische Dichtung ›Manas‹: »›Wie sind Sie nur darauf gekommen?‹, fragte mich entsetzt, nachdem das Unglück geschehen war, mein Verleger, der alte Fischer.« Ökonomisch wurde das Buch dann in der Tat ein Misserfolg und ist bis heute als Versuch, mitten in der Moderne »noch hinter Homer« zurückzugehen, ein fast vergessener Solitär.
Das zeitgenössische Feuilleton allerdings urteilte positiv. »Hier herrscht ein strotzendes Lebensgefühl, wie es kein deutscher Dichter seit Jean Paul mehr gehabt hat«, schrieb ›Die Weltbühne‹ 1927. Und kein Geringerer als Robert Musil urteilte in seiner Rezension: »(…) was Döblin schreibt, ist eine Art Urvers, roh und leidenschaftlich, dabei eine ganz unstabile, fortwährende Mischung und Entmischung, und wieder wie zum erstenmal aus dem Gefüge der Prosa hervorgezaubert. Die Leistung ist so gewagt wie gelungen, so außerordentlich wie überraschend.«
Die vorliegende Neuausgabe, die auf dem textkritisch durchgesehenen Erstdruck basiert, lädt zur Entdeckung von Döblins epischer Dichtung ein. ›Manas‹ ist keine schlichte Neuerzählung »indischer Weisheit«, sondern ein Beispiel Döblin’scher Sprach- und Erzählkunst, das aus der üppigen Bildwelt indischer Mythen ebenso wie aus den Diskursen der europäischen Moderne schöpft. Und so wie dieses Epos davon erzählt, dass die Hauptfigur dem Erlöschen entkommt und lebendig bleibt, so zeichnet sich auch der Text selbst vor allem durch eines aus: die Lebendigkeit und Beweglichkeit seiner Sprache.
Covergestaltung: bilekjaeger
Coverabbildung: Veer/Ilyashenko Oleksiy
Alfred Döblin
Gesammelte Werke
Herausgegeben von Christina Althen
Bd. 9
Erschienen bei FISCHER Taschenbuch
Frankfurt am Main, Februar 2016
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2016
Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.
Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.
ISBN 978-3-10-403302-0
Es war kein Regen mehr.
Stürme rissen die schwarzen Wolken hin und hinunter,
Von den östlichen Eishäuptern des Himalaya,
Bliesen sie auf die Berge und Zedernwaldungen,
Auf die Blumenwiesen, südlichen Abhänge,
Das Gewühl der Bäume und Tiere,
Euphorbien Akazien Bambusgebüsch,
Warfen sie, Wasserschwall und Eisnadeln,
Über die senkrechten Felswände,
Die wallenden Hügel und Sturzbäche,
Über die Flüsse, –
Donnernd rannten sie in den tiefen Tälern,
Kosi, Alaknanda, Jumna,
Rollten in die glühende indische Ebene, –
Stürme rissen die schwarzen Wolken hin,
Heulten.
Und die Schluchten Wiesen Felswände erwachten im Trommeln des Wassers,
Heulten wie Meere auf.
Und auf dem Meere fuhren Schiffe.
Was fuhren für Schiffe auf dem Meer,
Schaukelten Boote, huschten mit Segeln, kenterten, standen auf?
Im Wassergeprassel
Seelen, dunstweiße Seelen,
Glitten um Lianengeschling, zogen sich lang um greifendes Gestrüpp,
Im wirrenden wurrenden Lärm lautlos wie Lichtschein.
Rotteten sich zu weißen Massen, standen im Gießen still.
Wind schwang sie hoch, Hauch aus dem Munde Schiwas,
Des dreiäugigen Gottes auf dem kristallenen Kailas,
Schwang sie hoch, drehte sie im Rad,
Verschüttete sie, Dampf mit dem Wasser.
Am Fenster seiner Gartenhalle stand Manas.
Sie sangen im Garten:
»Manas, unser Juwel!
Als du zu Pferde stiegst, wußten wir, du rettest uns.
Du bist zurückgekehrt.
Komm zu uns, komm zu uns.
Komm an den Teich, komm in die Boote.
Die Krieger schrien wie wir, die verloren waren:
Manas, unsere Freude.«
Die Schattenspiele führten sie auf,
Hirtenspiele unter den Palmen,
Flöten bliesen, Tamtam.
Und Manas, Helm abgeworfen, Kettenpanzer am Boden:
»Wie lange soll ich stehn,
Wie lange soll ich stehn am Fenster,
Wie lange soll ich stehn an diesem Fenster,
Wie lange soll ich stehn an diesem blassen gläsernen verhaßten Fenster,
Und euch muß ich anhören,
Anhören Stunde um Stunde um Stunde.«
»Manas, unsere Freude! Zwei Tage singen wir für dich,
So lange warten wir.«
»Euch anhören, die mich berauschen wollen, verzaubern wollen,
Nicht mehr verzaubern sollen.«
Puto, der Gewaltige, berührte die Klinke.
Den Bart hatte er geflochten, Glöckchen klangen drin,
Silbergestickt seine Schärpe.
Am Fenster der streckte zu ihm die Hände:
»Nicht dich beugen. Nicht den Boden küssen vor mir,
Weil ich Feldherr bin, was habe ich vor dir.«
»Du hast Väter und Mütter geschützt,
Sie singen es dir,
Du hast die Kinder geschützt, dich und mich gerettet.«
»Wie lange soll ich stehn,
Wie lange soll ich stehn am Fenster,
Wie lange soll ich stehn an diesem Fenster,
Und laß mich preisen, beschämen, reizen, verhöhnen.
Faß nicht meine Hand, küß nicht meine irrsinnige Hand:
Ihre Aufgabe ist erfüllt.
Berühr nicht meinen Kopf: er hat schlechte Aufgaben gelöst.
Sag mir, Puto –«
»Was soll ich dir sagen, Manas?
Wann willst du kommen und sehen, was sie dir bereitet haben,
Im Palast, im ganzen Udaipur, das prangt und sich vor Jauchzen nicht hält?
Wann willst du das Glück deines Vaters sehen.
Wie die Sehnsucht deiner Frauen ist,
Wie Sawitri tanzt, die dein Herz hat?«
»Sag mir, Puto, welches Leben ist mir bestimmt?«
»Und wieder deine Hand berühren, die uns gerettet hat.
Du weißt es ja,
Wie ein Baum seinen Saft weiß.
Zugedacht ist dir: reiche Liebeslust zu genießen,
Wonnen sind da für dich auf den Feldern,
Kinder sind da zu spielen, Kriegsruhm ist da.
Die Götter sehen gern auf dich.«
Und Manas kniegeworfen vor dem Gewaltigen:
»Aber als sie dalagen in der Schlacht, tot und sterbend unter den Hufen,
– Oh, daß ich es aussprechen darf, jetzt, und du hörst es,
Und bist da und nimmst es und bist mein Freund,
Mein Lehrer, und wirst es mir sagen, –
In der Schlacht, in der letzten, am Narafluß, im Schlamm, in den Lagunen,
Da habe ich ihre Münder und Augen gesehen und Stirnen,
Die winselnden Gesichter meiner Feinde, die zu Blei erstarrten.
Die Seelen habe ich aufgestöbert in ihren Körpern.
Das Ei schlug ich auf: zum erstenmal sah ich Dotter quellen,
Gelbweißes, – ich speie, ich zittere noch, wenn ich daran denke.
Ich wäre fast erschlagen worden.«
»Du hast das Grauen der Kreatur gesehen, der sterbenden, Manas.
Was hat dich erschreckt?«
»Nun endlich kommst du, Puto. Sie haben dich gerufen.
Weil ich hier den dritten Tag stehe und nicht esse.
Sie fürchten um mich, weil ich nicht esse.
Endlich, Puto, mein Lehrer, fragst mich etwas,
Endlich lieg ich vor jemandem da.
Nichts weiter wollte ich die ganzen langen Tage.
Ich habe vor meinem Feind im Sand gelegen,
Ich habe mich zu ihm heruntergeworfen.
So habe ich gelegen und ihn angesehen und angerührt, meinen Bruder.
Oh, er ist mein Bruder, und ich bin es ja selbst, Puto,
Das gräßlich verzerrte Gesicht,
Das werde ich sein, das muß ich einmal sein.
Und das bin ich. Das bin ich.
Und das ist mein Schicksal und die Wahrheit von jetzt.
Von jetzt.«
»Wie du zitterst, Manas.«
»Ich zittere nicht. Ich steh schon auf.
Ich – erstarre.
Ich erstarre vor den Göttern.
Ich erstarre vor dem Tod.
Ich erstarre vor dem Jetzt.
Und als ich am Narafluß noch einmal zuschlug vom Pferd,
Zuschlug, – hat – die Lähmung meinen Arm erfaßt.
Ob ich schlage, ob sie mich schlagen, es ist eins.
Das Schwert, in der Kehle zugestoßen, es sitzt.
Puto, da wogt ein Meer unter dem Land,
Auf dem ich gehe.
Es brennt Feuer unter dem Land,
Auf dem ich gehe.
Alles Siegen nutzt nichts.«
»Und Manas sieht mich nicht, Manas spricht zu einer Wand,
Manas dreht sich nicht um zum Fenster
Und sieht, daß Udaipur ist.«
»Und ich bin verloren. Und kann die Sonne nicht mehr sehen.
Die liebe Sonne ist mir entrissen.
Die Elefanten, die ich zähme, brüllen in meinem Hain,
Die Wärter stehen und ich komme nicht und ich kenne sie nicht.
Ich schrei: Ah, uuih, uuih,
Ich Manas, Sohn des Fürsten,
Ich Sieger zurückgekehrt aus der Salzwüste,
Ich schrei: Uuih, ich will zu den Toten,
Ich will davon zu ihnen, will mich zerreißen, zerknirschen lassen,
Will zum Schmerz, zum Schmerz,
Lieber, lieber als leben, leben.
Lieber, als die süße Sonne sehen, als die süße geliebte Sonne sehen,
Die inbrünstig geliebte Sonne,
Ach Puto, als die Sonne, die ich so innig geliebt habe.«
»Oh, ich kenne dich, mein Kind. Komm, Manas, zum König.
Ich helfe dir, ich bin da. Hier nimm deinen Helm, hier ist dein Panzer.«
»Sterben gibt es, Puto, den furchtbaren furchtbaren Schmerz.
Hin will ich, wo das Grauen geboren wird,
Der tieftiefe Schmerz.
Ich will mich ihm nicht entziehen.
Führ mich nicht wie ein Tier zum Futternapf.
Du bist der Gewaltige, Puto,
Wir haben zusammen gejagt und viele Tiere erlegt.
Setz dich noch einmal auf das Pferd zu mir
Und reite mit mir, noch einmal, ein einziges Mal,
Auf diese Jagd.
Reit mit mir in das finstere Reich.«
»Du willst den Schmerz, Manas.
Leg die Fürstenkleider ab, wirf die Ringe weg.
Es haben viele so getan.
Streu Asche über dich.
Der Schmerz ist schon groß, ist schon unendlich groß
In unserem Leben.
O Manas, du brauchst nicht in das grausige Jenseits zu gehen,
Um Schmerz zu suchen.«
»Halt mich nicht zurück. Es ist zu spät.
Ich muß mich verdammen für das, was ich nicht gesehen habe.
Ich will abstoßen die Süße dieses Lebens,
Ich will ihre Lauheit und Weiche nicht mehr.
Ich will mich stellen: da bin ich.«
»Das finstere Land haben die Götter versperrt.
Der Riegel ist zugestoßen, Manas.«
»Du bist der Gewaltige, Puto.«
»Steht keinem Lebenden zu, was du willst.«
»Ich bin der Sieger, ich bin nicht berauscht.
Ich bin Manas.
Morgen früh sollst du zum König gehen und ihm sagen:
Manas, dein Sohn, ist als Sieger zurückgekehrt
Vom Narafluß, aus der Tharwüste.
Die Festungen sind alle erobert,
Ist keine einzige, die ihm und unserem Heere standhielt.
Die Wüste habe ich durchquert, die Küste unterworfen.
Den Radscha übergebe ich dem König.
Nur Manas, dein Sohn, ist heute aufgebrochen,
Heute früh, um einen neuen Feind zu bezwingen.«
»Der Riegel ist zugestoßen.
Kein Lebender hebt ihn.«
Der Zorn blutete auf der Stirn Manas’,
Die Fäuste wirbelte er über den Kopf:
»Ich bin der Sieger. Ich bin nicht berauscht,
Ich bin nicht verstört.
Udaipur berauscht mich nicht.
Ich bin Manas und gehe nicht bezwungen vor den König.
Wo sie jetzt singen im Garten, werden sie selber morgen in der Frühe
Holz aufstapeln zwischen den Banyanbäumen
Am Ort des Siegestheaters.
Das Holz sollen sie schmücken, wie es sich für mich ziemt.
Jetzt sollen sie singen, wenn das Holz flammt
Und ich brenne.«
»So haben Dämonen, die sich unter den Feind gemischt haben,
Dich verwirrt, die Verruchten, dich Unbezwinglichen.«
»Und so willst du mich betrügen, Gewaltiger,
Und sagen, daß ich lüge.
Noch tausend Schlachten willst du mir gönnen,
Noch tausend Gelächter von drüben,
Wie das Gelächter dieses Triumphes.
Sieh mein Armband, Nephrit mit Gold und Smaragd.
Mein Vater gab es mir nach der ersten Schlacht.
Ich war ein tapferer Krieger.
Seitdem ich weiß, daß ich nicht siegen kann, ruhe ich nicht.
So – knallt das Armband auf den Boden. Zehn Stücke.
Es ist gut. Sieh, das ist Manas.«
»Und sieh diese Fäden, die ich um den Hals geschlungen habe.
Gewaltiger nennst du mich. Schiwa ist mein Gott.
Die Fäden zerreiß ich.
Und will keine Gebete zu Schiwa sprechen,
Bis ich dich geführt habe, wohin du willst.«
Tiefschwarzer Himmel. Funkelnde Garben der Sterne.
Der Mond ertrunken im Himmelsmeer.
Kleines Boot fuhr Puto zur Halle des Königs.
Plätschern, Geriesel.
Pfauen schrien auf den Schlafbäumen,
Fliegende Hunde an den Ästen.
Im Halbkreis der dunkelbewaldeten Hügel dröhnend Udaipur.
Tausend Tempelpauken, Fackelträger.
Jubelnd durch die wimpelschwingenden Straßen,
Auf Elefanten Panzerträger, hoben die Schilde, schwenkten die Lanzen.
Mädchen mit schwarzen Scheiteln,
Opfergaben auf den Händen, Blumen und Reis,
Buntseidige Mädchen klirrten im Gehen.
Am Teich, auf der finsteren Steintreppe tastete Putos Fuß.
Dschag Newas die Insel.
Der Palast des Maharadschas,
Säulenhallen, Kuppeln, Galerien.
Der alte König schlief nicht.
Unter einer Tamarinde saß er. Die Wasseramsel sang herüber.
Und stumm nahm er an, was Puto brachte.
Die Silberpforte, Silberpforte verlor ihren Glanz.
Das Glitzern im Wasser, Glitzern erlosch.
Amsel fing wieder an. Hauchte seine Stimme:
»Ich werde sterben, mein Sohn wird mich nicht bestatten,
Mein Land hat das Schicksal von Tschitor:
Der Siegesturm steht da; jetzt hausen die Affen drin.«
»Die Gnädigen sind mit uns und mit ihm.«
»Manas verhöhnt sie. Er kennt sie nicht.
Er fordert sie heraus,
Muß sie herausfordern.
So schlagen mich die Gnädigen.«
Jajanta stand auf, legte den Arm um Putos Schulter:
»Jetzt du der Vater, der meinen Sohn noch einmal zur Welt bringen soll.
Puto, du warst immer mein, mein,
Nicht wie ein Fischlein dem Mann, der es an der Angel hält,
Sondern wie du zu – mir.
Du hast jetzt meinen Sohn. Ich geb ihn dir, halt mich fest, ich geb ihn dir.«
Und Morgenröte. Flammengüsse über den Wäldern.
Zu einem Schmied trieb der König Puto und den Sohn.
Der Schmied hämmerte einen Ring um ihre Arme.
Und wie die Kette glühte, schwor Puto den Eid,
Keinen Zauber zu brauchen, die Kette zwischen sich und Manas zu lösen,
Keinen Spruch zu tun, die Kette zu lösen.
Sie ließen den stöhnenden Vater zurück.
Und einen Stich empfand Manas in der Brust,
Als hätte ihn ein kalter Säbel aufgespalten.
Die bewaldeten Hügel waren verschwunden,
Die Häuser verdampften.
Und in den weißen Wolken schwammen Puto und Manas.
Die zitternde Luft aufgerissen.
Auf die leichten Nebel gewiegt, Puto und Manas,
Auf Schwaden gezogen,
Schäumend die Luft lichtdurchflossen,
Rieselrasselrauscht.
Und hin, grad hin, blasend hin,
Ins Flimmerflackern, ins gurrende Zackelzucken.
O zuckendes Herz, das dies singt, wohin reißt du mich.
Was wickelst du mich, bindest mich und schleppst mich wie in einem Tierfell,
Und ich schwanke und muß folgen und bin gebunden und muß mit,
Wie es mich auch auflöst.
Puto, wie seltsam, der lange hagere, in einen grauen Mantel gehüllt,
Die Kapuze flog hinter ihn.
Die Augen geschlossen, die Lippen geschlossen.
Sie flogen, sausten.
Putos Stimme kam: »Ich bringe dich zu Menschen, Manas,
Erschrick nicht, erschrick nicht.
Du warst Feldherr in vielen Schlachten,
Du hast viele Menschen getötet.
Ich zeige dir Menschen, du sollst sie berühren,
Sollst sie fühlen, als wärst du es, Manas.
Erschrick nicht, erschrick nicht.
Es sind nicht die Wesen, die vor dir getanzt und gesungen haben.«
Darauf schwieg seine Stimme, der Sturm verschlang sie,
Wolken traten zwischen ihn und Manas.
Der Sturm schüttete Hagel, der bürstete Manas’ Leib.
»Die Kette reißt, die Kette ist zerrissen«, fürchtete sich der Mann.
Aber da war schon Putos Stimme:
»O Manas, ich bin dein Lehrer, und ich muß dir gehorchen.
O daß ich, bei dem du aufgewachsen bist und der dich gepflegt hat,
Der dich von deiner Mutter empfing,
Daß ich fliegen muß mit dir.
O mein leidendes Kind, mein Kind.
Jetzt wappne dich.
Und wenn du ein Fürstensohn und Krieger bist
Und deine Väter in vielen Schlachten gekämpft haben
Und Schrecken erlebt haben,
Manas, Manas, ruf dein Blut, daß es komme,
Dein tapferes Blut, daß es da ist, wenn du es brauchst.«
Und das Schluchzen Putos zerriß der Wind.
»Was weinst du um mich, Puto, der neben dir fliegt,
An einer Kette mit dir?
Was soll ich erfahren?«
»Ich habe nicht allein geweint, Manas.
Waren auch die Geier, die mit mir fliegen.«
»Ich sehe die Geier nicht, Puto.«
»In meinem Haar sitzen sie.
Ihr seid da. Daß ich euch wiedersehe.«
Die Geier flogen furchtbar vor Manas, Kahlkopfgeier, Sukuni,
Nackt die Gurgel, schwarze Schnäbel, blutrot die Füße.
Es toste unter ihnen.
Ein Gebirge brauste heran.
Himalaya warf seine ersten Vorberge hin.
Zwischen Felsen an einen Strudelbach senkten sie sich.
Und Puto wand sich, drückte ihn an sich, der Gewaltige,
Blut auf der Stirn, wovon die Geier getrunken hatten.
»Bring mich weiter«, schrie Manas.
»So küsse ich dich, Manas, ruf ich deine Kräfte an,
Daß du bewahrt bleibst, mein süßes Kind.
Kein Ungetüm, keinen Teufel wirst du sehen.
Du wirst dein Blut und Blut fühlen
Und wirst nicht erstarren dürfen.
Du wirst alles erdulden, wie du willst,
Und wirst dich herausziehen, denn du bist stark.
Wenn deine Mutter mich gesegnet hat, als sie dich mir gab,
So segne ich dich. Und küsse dich.«
Und waren schon aufgestiegen, in furchtbare Wolken gewallt,
In wallende Wolken gerollt.
Sie wußten nicht, ob sie flogen oder standen,
Der Dampf stand wie aus einem Stück um sie herum.
– Und es war kein Regen mehr.
Stürme rissen die schwarzen Wolken hin und hinunter,
Von den Häuptern Himalayas,
Auf die Blumenwiesen und Abhänge,
Gewühl der Bäume und Tiere,
Euphorbien Akazien Bambusgebüsch,
Warfen sie, Wasserschwall und Eisnadeln, auf die Felsen, Hügel,
Auf die geschwollenen Flüsse, die in den tiefen Tälern donnerten,
Kosi, Alaknanda, Jumna,
Die in die Ebene des Pandschab rollten,
Stürme rissen die schwarzen Wolken hin,
Heulten.
Und Hügel Steppen Sawannen erwachten im Trommeln des Wassers,
Heulten wie Meere auf.
Und auf dem Meere fuhren Schiffe.
Was fuhren für Schiffe auf dem Meer,
Schaukelten wie Boote, huschten mit Segeln, kenterten, standen auf?
Seelen, dunstweiße Seelen,
Im Wassergeprassel,
Glitten um Lianengeschling, zogen sich lang um Gestrüpp,
Rotteten sich zu weißen Massen.
Wind schwang sie hoch, Hauch aus dem Munde Schiwas,
Drehte sie im Rad, verschüttete sie, Dampf mit dem Wasser.
Die Stimme Putos: »Jetzt laß ich dich. Jetzt geh.«
Da ging Manas.
Sausten drei Teufel über die Berge heran,
Böse Götter, von Schiwa unterworfen.
Und wie sie Manas sahen, stockten sie, faßten sich an:
»Wer ist es. Wer ist es. Ein Mensch.«
Sie brausten hoch. Erschraken, erschraken furchtbar,
Gewundene zappelnde Schwaden.
»Ein Mensch mit Fleisch und Bein. Mit Knochen und Kleidern.
Er hat die Grenzen durchbrochen. Sieh ihn, du.
Wer ist es. Was wollen wir tun?«
Da sahen sie auch die Geier fliegen,
An der Grenze des Totenfeldes hin und her,
Putos Sukuni.
Und auf den Ästen, im Laub einer Platane, starr wie gefroren, Puto selbst,
Der Gewaltige, den sie kannten.
Und sie sahen die Kette, die lief vom Oberarm des starren Puto,
Vom Baum her über den Abhang,
Dünn wie Luft,
Zog sich wie Gummi und zerriß nicht,
Lief zum Arm des Menschen auf dem Abhang.
»Ah Verruchter,« Schanda schrie »he Puto,
Du willst Priester des Schiwa sein?
Was tust du? Glaubst du, wir sehen dich nicht,
Wie du auf dem Baum sitzst und tust, als ob du schläfst.
Und heimtückisch schickst du einen Menschen her,
Verruchter, auf Schiwas Feld.«
Im Astwerk richtete sich Puto auf,
Hielt sie fest mit harten Augen.
Sie wischten zur Seite.
»Was sprichst du nicht. Was siehst du uns an aus deinen dicken Augen.
Glaubst, wir erschrecken vor deinen dicken Augen, verruchter Puto,
Du hinterlistiger Bösewicht, du scheinheiliger.
Ha, was suchst du auf dem Baum? Und deine Geier, he?«
Da hatten seine Hände den Ring an seinem Arm berührt,
Und schon vor der Bewegung bebten sie, versteckten sich hinter Bambusstauden.
»Er hat den Dienst Schiwas aufgegeben. Er kämpft gegen Schiwa.«
Und stießen sich zuckend mit den Füßen vom Boden ab,
Wie Panther beim Sprung,
Surrten lang hoch.
Schlug Putos Stimme hinter ihnen:
»Stürmt nicht davon. Seht euch vor.
Ihr Hunde, Schakale.
Euch hat der Gott wohl gebeten, sein Land zu bewachen,
Euch, weil ihr Munda, Schanda, Nischumba seid.
Dieser, der da geht, ist mein Kind.
Seht euch vor. Es ist, als ob ich gehe.
Ist Manas, ein Fürstensohn aus Udaipur im Lande Radschputana, wo ich wohne.
Als der Wollbaum seine roten Blumen trieb,
Als er genug gesiegt hatte, drängte er weg aus seinem Palast.
Ich werde ihn schützen.
Er sucht den Schmerz.
Er will schauern und leiden.
Ihr eingesperrten Untiere, seht euch vor.«
Erst umflogen sie Manas furchtsam und neugierig in weitem Bogen.
Wie Kinder einen ungeheuren eben gefesselten Elefanten
Umzogen sie ihn
Und belauerten jede Bewegung des Mannes.
Dabei waren die Dämonen riesengroß, und Manas hielt sie für Wolken.
Dann lachten sie auf.
Tapp tapp stießen sie sich ab, zogen sich lang,
Flirrten hoch auf, meckerten, jackjacherten.
»Ein Mensch. Will schauern und leiden, he.
Das soll er, Zwerglein, Krötchen.«
Schwirrten über die Felsen, durch die Schluchten:
»Geister, Geisterchen. He, ist Besuch da,
Neuer, leiblicher! Ein Mensch mit einem Leib!
Seht ihn euch an. Will schauern und leiden.
Ein Mensch. Seht ihn euch an. Hat einen Leib.
He Geisterchen.«
Hui über die Schlünde,
Hui in die Schlünde.