Was macht eigentlich einen guten Vater aus?
Ein junger Mann hat sich als potentieller Pflegevater beim Jugendamt beworben. Dann
zieht von einem Tag auf den anderen das lebhafte Kleinkind Noah bei ihm ein.
Vom unerfüllten Kinderwunsch, über bürokratische Belange und das Einleben in den neuen
Familienalltag — warm und authentisch erzählt Tobias Wilhelm von den Gefühlen und
Unwägbarkeiten im Leben eines alleinerziehenden Pflegevaters, das sich am Ende doch
kaum von dem eines »ganz normalen« Vaters unterscheidet.
Tobias Wilhelm
Sowas wie dein Papa
Leben mit Pflegekind
hanserblau
»Ich sah, dass die Sonne herauskam«, sagte Frosch. »Ich sah Vögel im Baum, ich sah meine Mutter und meinen Vater imGarten arbeiten. Ich sah Blumen im Beet.«
»Das war der Frühling!«, rief Kröte.
»Richtig«, sagte Frosch. »Ich hatte ihn endlich gefunden.«
Arnold Lobel, Das große Buch von Frosch und Kröte
Seit einigen Jahren erscheinen vermehrt Bücher, Filme, Fernsehbeiträge und Artikel über Familienformen, die als »unkonventionell« bezeichnet werden. Es ist die Rede von »Regenbogenfamilien«, Co-Parenting und anderen Modellen abseits der gesellschaftlichen Norm einer biologischen Kernfamilie. Der öffentliche Diskurs schützt queere Familien oder alleinerziehende Eltern nicht vor Anfeindungen, Hass und Gewalt. Und doch glaube ich, dass mit dieser Aufmerksamkeit der Grundstein für eine breite Akzeptanz dieser Familienmodelle gelegt wird.
Den Beginn einer solchen Entwicklung wünsche ich mir ebenso für ein weiteres Familienmodell, das im öffentlichen Bewusstsein bisher kaum präsent ist, obwohl laut Statistischem Bundesamt mehr als 91.000 Kinder (Stand 2019) in ihm aufwachsen — die Pflegefamilie. Da mein Vater zeit seines Berufslebens beim Jugendamt tätig war, weiß ich schon recht lange, was man sich unter dem sperrigen Begriff »Pflegekinderwesen« vorstellen kann. Wie wenig der Allgemeinheit darüber bekannt ist, wurde mir erst bewusst, nachdem ich selbst ein Pflegekind aufgenommen hatte und mich unglaublich vielen, teils übergriffigen Fragen stellen musste. »Was ist ein Pflegekind?« »Ist das behindert?« »Nehmen sie ihn euch bald wieder weg?«
Dieses Buch soll das Modell der Pflegefamilie einer größeren Öffentlichkeit bekannt machen und dieses komplexe Thema differenziert darstellen. Es erzählt von weitgehend unbekannten Schicksalen, Problemen, aber auch Momenten des Glücks. Nicht zuletzt wünsche ich mir, dass Pflegefamilien in künftigen Diskursen über diverse Familienmodelle eine größere Rolle spielen. Und dass mehr wertgeschätzt wird, was sie leisten. Nur so kann es dringend nötige Reformen geben, die dieses Modell für mehr Menschen mit Kinderwunsch oder einem freien Zimmer im Haus attraktiv machen. Bisher braucht es — so viel kann ich hier schon vorwegnehmen — eine ordentliche Prise Idealismus und eine hohe Frustrationstoleranz, um alles auf sich zu nehmen, was mit dem Alltag von Pflegeeltern einhergeht. Verantwortlich ist dafür in erster Linie eine Gesetzeslage, die den Pflegeeltern nur wenige Rechte zuspricht. Die engsten Bezugspersonen des Kindes sind deshalb in vielen Fällen dem Wohlwollen des Jugendamtes und der Inhaber*innen der elterlichen Sorge überlassen. Es kann im Zweifel über ihren Kopf hinweg entschieden werden. Selbst ein Einklagen ihrer Ansprüche (z.B. Pflegegeld) gestaltet sich im Paragrafendschungel äußerst kompliziert. Das Jugendamt sitzt in dieser Machtdynamik nicht nur durchweg am längeren Hebel, sondern spart sich durch die Unterbringung von Kindern in Pflegefamilien auch viel Geld. Während für einen Heimplatz mehrere tausend Euro pro Monat fällig werden, kann man die Höhe des Erziehungsgeldes als gering bezeichnen. Auch der Unterhalt des Kindes ist in Zeiten steigender Mieten und Preise knapp bemessen. Dass Pflegepersonen keinen Anspruch auf Elterngeld haben und ihre Elternzeit mit finanziellen Rücklagen oder Grundsicherung bestreiten müssen, halte ich für unzumutbar.
Ich bin selbst Pflegevater, doch dieses Buch ist keine Autobiografie, sondern ein erzählendes Sachbuch. Die geschilderten Begebenheiten wurden mir von anderen Pflegeeltern oder Sozialarbeiter*innen berichtet, der Fachliteratur entnommen, teilweise sind sie mir selbst vertraut. Um alle Beteiligten zu schützen, wurden Verfremdungen vorgenommen. Ich werde auf den folgenden Seiten eine Geschichte erzählen, die wie ein Puzzle aus verschiedenen Erfahrungswerten zusammengesetzt wurde. Eine Geschichte, die fest in der Realität verwurzelt ist und einen Teilbereich des deutschen Pflegekinderwesens abbildet. Und doch ist es eine und nicht meine Geschichte.
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