Thomas D. Seeley
Auf der Spur der wilden Bienen
Aus dem Englischen von Sebastian Vogel
FISCHER E-Books
Thomas D. Seeley ist Professor am Fachbereich für Neurobiologie und Verhalten an der Cornell University. Er studierte in den 1970er Jahren bei den großen Verhaltensbiologen und Ameisenexperten Bert Hölldobler und Edward O. Wilson an der Harvard University und erforscht seitdem intensiv das Leben von Bienen. Für seine wissenschaftlichen Arbeiten wurde er mehrfach ausgezeichnet, u.a. von der Alexander von Humboldt-Stiftung. Im S. Fischer Verlag ist zuletzt erschienen ›Bienendemokratie. Wie Bienen kollektiv entscheiden und was wir davon lernen können‹ (2013).
Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de
Über Jahrtausende begab sich der Mensch auf die Spuren wilder Bienen, um ihren Honig zu erbeuten. Erst die Erfindung der Bienenstöcke machte diese Jagd überflüssig. Doch zunehmend mehr Menschen schätzen diese traditionsreiche Beschäftigung, die großes Geschick erfordert und Einblick in das Leben der Bienen ermöglicht, ohne ihnen Schaden zuzufügen. In seinem neuen, reich bebilderten Buch erzählt der international renommierte Bienenforscher Thomas D. Seeley von der aufregenden Jagd nach Honig, gibt Tipps und erklärt liebevoll die Hintergründe dieser alten Kulturtechnik. Entstanden ist sowohl eine anekdotenreiche Kulturgeschichte der Biene als auch ein Leitfaden der Zeidlerei – geschrieben mit großem Charme von einem, der seine Bienen wahrhaftig kennt und liebt.
Erschienen bei FISCHER E-Books
Die Originalausgabe erschien 2016 unter dem Titel »Following the Wild Bees. The Craft and Science of Bee Hunting« bei Princeton University Press, Princeton und Oxford
© 2016 by Princeton University Press
Für die deutsche Ausgabe:
© 2017 S. Fischer Verlag GmbH, Hedderichstr. 114, D-60596 Frankfurt am Main
Umschlaggestaltung: Schiller Design, Frankfurt
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Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.
ISBN 978-3-10-490240-1
Das beste allgemeine Nachschlagewerk über die Nutzung von Honigbienen durch den Menschen von vorgeschichtlicher Zeit bis heute ist The World History of Beekeeping and Honey Hunting von Eva Crane (Crane 1999).
Die älteste bekannte Beschreibung der Bienenjagd stammt von Lucius Junius Moderatus Columella. Sie steht im Buch 9 (über Imkerei) seines Werkes De Res Rustica, dem umfassendsten und detailliertesten römischen Werk über Landwirtschaft. Siehe Columella (1981–1983).
Zwei Bücher sind hervorragende Informationsquellen über die lange Geschichte der Jagd auf wilde Honigbienenvölker. Eva Crane untersucht in The World History of Beekeeping and Honey Hunting (Crane 1999) die weltweite Honig- und Bienenjagd. Dorothy Galton liefert in Survey of a Thousand Years of Beekeeping in Russia (Galton 1971) einen detaillierten Bericht über die intensive Bewirtschaftung der Bienen in russischen Wäldern zwischen dem 12. und 17. Jahrhundert. Sie beschreibt die Arbeit des Bienenmannes (bortnik), der seine Bienenvölker in Ruheräumen der Waldbäume hält und sehr geschickt darin ist, solche wilden Völker durch Bienenjagd zu finden.
Zeichnungen von Bienenfallen aus Holz, Hirschgeweih oder Horn und Beschreibungen der Methoden von Bienenjägern in den Karpaten (die sich von der Tschechischen Republik über die Slowakei, Polen, Ungarn und die Ukraine bis nach Rumänien erstrecken) siehe Gunda (1968).
Im südlichen Ural, in der Republik Baschortostan, werden Bienen noch heute in hohlen Bäumen gehalten. Sehr gute Fotos der Ausrüstung und Methoden dieser urtümlichen Form der Bienenhaltung finden sich in Ilyasov et al. (2015).
Ausgezeichnete Beschreibungen über die ursprüngliche Bienenhaltung in Bienenstöcken, die feste Waben enthielten (in Baumabschnitten, Stroh-Bienenkörben oder Tonröhren), und den späteren Übergang zu Bienenstöcken mit beweglichen Waben und beweglichen Rahmen (auch Magazinbeuten genannt) finden sich in den Teilen VI bis VIII des Buches The World History of Beekeeping and Honey Hunting von Eva Crane (Crane 1999).
Über den Schwänzeltanz der Honigbienen gibt es viele Abhandlungen. Unter ihnen empfehle ich das kleine Buch des österreichischen Zoologen Karl von Frisch, der die »Tanzsprache« der Bienen entschlüsselte (von Frisch 1965).
Zitat aus Am Anfang war die Erde: Plädoyer zur Umwelt-Ethik von Aldo Leopold (1992).
Weitere Informationen über das ungeheuer interessante Sexualleben der Honigbienen finden sich in Koeniger et al. (2014).
Crane (1983) gibt einen Überblick über die zahlreichen archäologischen Befunde (Texte und Wandmalereien), die darauf hindeuten, dass die Beziehung zwischen Honigbienen und Menschen mindestens bis 7000 v. Chr. zurückreicht; bereits damals nutzten Imker in Ägypten und Mesopotamien die Bienen zur Produktion von kostbarem Wachs und Honig. Bloch et al. (2010) beschreiben die Entdeckung der bisher ältesten Bienenstöcke (Tonzylinder), die man in Tel Rehov im Norden Israels gefunden hat. Diese Bienenstöcke sind ungefähr 3000 Jahre alt.
Einen Überblick über das bemerkenswerte Phänomen, dass Honigbienen nicht domestiziert wurden, gibt Oldroyd (2012) in einem Artikel mit der ironischen Überschrift »die Domestizierung der Honigbienen war mit einer Erweiterung der genetischen Vielfalt verbunden«.
Thoreaus Tagebucheintrag vom 30. September 1852 findet sich in seiner Gesamtheit in Thoreau (1962).
Einen Überblick über meine eigenen Forschungen und die vieler anderer zu der Frage, wie ein Honigbienenschwarm durch einen Prozess der kollektiven Intelligenz seine Nisthöhle auswählt, gibt Seeley (2010).
Über die Probleme, die sich ergeben, wenn Honigbienen in dicht nebeneinanderstehenden Bienenstöcken in Bienenhäusern leben, wird zusammenfassend berichtet in Seeley und Smith (2015).
Eine Beschreibung und historische ökologische Darstellung über den Arnot Forest findet sich in Odell et al. (1980).
Besonders gut für die Markierung von Bienen eignen sich feine Künstlerpinsel (Größe 000 oder 0000) mit Feuerwiesel- oder Kamelhaaren, denn mit ihnen kann man einen Farbfleck besonders sanft auf Brust oder Hinterleib einer Biene anbringen. Die Farbkästen auf Schelllackbasis, die ich gern mit solchen Pinseln verwende, werden in Seeley (1995) beschrieben. Gut eignen sich auch Wasserfarben, die mit einem kleinen Pinsel aufgetragen werden. Manche Filzstifte enthalten unangenehm riechende Lösungsmittel, die die Bienen stören und ihre Markierung schwierig machen; deshalb sollte man solche Stifte vermeiden. Ich erziele gute Erfolge mit Filzstiften auf Wasserbasis von POSCA. Siehe POSCA.com (abgerufen am 30. Juni 2015).
Weitere Informationen über Konstruktion und Verwendung von Köderbienenstöcken (auch Schwarmfallen genannt) zum Einfangen von Honigbienenschwärmen finden sich in Seeley (2012a oder 2012b) sowie in Repasky (2013).
Dass für Honigbienen, die außerhalb des Stockes als Nahrungssammlerinnen arbeiten, große Lebensgefahr besteht, wurde von Visscher und Dukas (1997) entdeckt. Sie dokumentierten die lebenslange Sammeltätigkeit sowie das Überleben einzelner Honigbienen und stellten dabei fest, dass für eine Arbeiterin für jede Stunde, die sie außerhalb des Bienenstockes verbringt, unabhängig von ihrem Alter eine Todeswahrscheinlichkeit von vier Prozent besteht. Diese gleichbleibende Sterbewahrscheinlichkeit für jede Stunde der Sammeltätigkeit deutet darauf hin, dass solche Bienen vorwiegend durch Unfälle und natürliche Feinde sterben, nicht aber wegen ihres hohen Alters.
Wie Bartholomew (1981) erläutert, ist der Flatterflug die energetisch aufwendigste Fortbewegungsart bei Tieren. Er vergleicht die Stoffwechselrate verschiedener Tiere, darunter auch solche mit Flatterflug, nämlich Vögel (beispielsweise Kolibris) und Insekten (Bienen und Motten). Um sich klarzumachen, dass die Flugmuskulatur von Insekten das Gewebe mit dem aktivsten Stoffwechsel ist, braucht man nur den gewichtsabhängigen Sauerstoffverbrauch eines zwei Gramm schweren Kolibris (ein winziger Vogel, der für seine phänomenale Stoffwechselrate bekannt ist) und einer 60 Milligramm schweren Honigbiene zu vergleichen: Beim Kolibri sind es 50 Kubikzentimeter Sauerstoff je Gramm und Stunde, bei der Biene 100 Kubikzentimeter. Je Einheit ihres Körpergewichts verbraucht eine fliegende Bienenarbeiterin doppelt so viel Sauerstoff zur Verbrennung von Energien wie ein fliegender Kolibri.
Eine Grafik, in der die täglichen Schwankungen der gesammelten Nektarmengen in einem Bienenvolk für die Zeit von Mai bis Juli im Nordosten von Connecticut dargestellt sind, findet sich als Abbildung 2.15 in Seeley (1995). Verblüffend sind die kurzen Episoden der Tracht von Löwenzahn, Robinien, Sumachsträuchern und Linden.
Weitere Informationen über Honigbienen, die ihr Nest durch Verdunstung abkühlen, befinden sich in Kühnholz und Seeley (1997).
Zu der Frage, wie eine Biene das Aussehen der Bienenbox und die Anordnung der Orientierungsmarken in ihrer Umgebung erlernt, wenn sie zum ersten Mal die Box verlässt, finden sich weitere Informationen in Lehrer und Bianco (2000).
Welche Gefahren sich mit einem Dasein als Räuberbiene verbinden, wird sehr eindringlich beschrieben in Butler und Free (1952). Räuberbienen, die von den Wächterinnen eines Volkes entdeckt werden, werden festgesetzt und gestochen; zwei bis drei Minuten später sterben sie.
Das Gehirn einer Bienenarbeiterin ist klein, besteht aber aus ungefähr einer Million Neuronen; deshalb ist es nicht verwunderlich, dass diese Insekten ein eindrucksvolles, komplexes Verhalten zeigen. Zusammenfassende Darstellungen ihrer kognitiven Fähigkeiten aus neurowissenschaftlicher Sicht finden sich bei Menzel (2012); zur Sichtweise der Verhaltensforschung siehe Seeley (2003b).
Weitere Informationen über die Koordination zwischen Bienenarbeiterinnen, die Nektar sammeln und den Nektar im Bienenvolk weiterverarbeiten, finden sich in Kapitel 6 von Seeley (1995). Nähere Informationen darüber, wie Honigbienen aus Nektar den Honig herstellen, liefert Crane (1980).
Eine hübsche Erklärung der Funktionsweise des Schwänzeltanzes findet sich in dem kleinen Buch von dem Mann, der ihn entschlüsselte: von Frisch (1965).
Die Studie, in der ursprünglich über solche Messungen der Fluggeschwindigkeit berichtet wurde, ist Seeley (1986).
Es ist wichtig, dass man so nahe wie möglich an der Heim-Flugroute der Bienen bleibt, wenn man sich mit der Futterstation weiterbewegt. Weicht man zu stark von dieser Linie ab, besteht die Gefahr, dass die Bienen sich verirren. Das kann geschehen, denn Bienenarbeiterinnen verfügen nicht über eine genaue Landkarte mit den Orientierungsmarken der Region, in der sie unterwegs sind. Vielmehr finden sie durch Koppelnavigation nach Hause. Mit anderen Worten: Wenn eine Biene auf Nahrungssuche ist, weiß sie, in welcher Entfernung und Richtung vom Bienenstock sie sich befindet. Den Rückweg findet sie, indem sie die richtige Strecke in der richtigen Richtung fliegt. Entfernt man eine Biene also zu weit von ihrer normalen Heim-Flugroute, kommt sie vielleicht nie mehr zu Hause an, weil die Flugrichtung und Flugstrecke, die sie kennt, sie nicht mehr zu ihrem Ausgangspunkt zurückführen.
Im Laufe der Jahre habe ich in und um Ithaca im Bundesstaat New York insgesamt acht Bienenvölker beobachtet, die ihre Nester nicht in einem schützenden Hohlraum, sondern im Freien gebaut hatten. Keines von ihnen hat den Winter überlebt.
Propolis (von griech. pro = vor und polis = Stadt, womit sein Vorkommen rund um die Eingänge von Honigbienennestern gemeint ist) ist ein Harz, das die Bienen auf Pflanzen gesammelt haben, insbesondere auf den Knospen von Pappeln, Birken, Rosskastanien, Kiefern und Tannen. Mit Propolis verkleinern Bienen die Eingangsöffnung ihrer Nester, damit sie besser vor Wetter geschützt und leichter zu verteidigen sind, damit vor dem Eingang eine glatte Landefläche entsteht und damit die Wände der Nisthöhle einen widerstandsfähigen, sauberen Überzug haben. Propolis wirkt stark antimikrobiell. Siehe Simone-Finstrom und Spivak (2010).
Der erstaunliche Prozess der kollektiven Entscheidungsfindung, mit dem Bienen eines Honigbienenvolkes ihren zukünftigen Wohnort auswählen, wird im Einzelnen beschrieben in Seeley (2010).
Bei den hier erwähnten genetischen Studien handelt es sich um Seeley et al. (2015) und Mikheyev et al. (2015).
Manch einer fragt sich vielleicht, wie viel Honig man aus einem Bienenbaum gewinnen kann. Die Mengen sind ungeheuer unterschiedlich. Aus den Bienenbäumen, die ich im Juli und August 1975 einnahm, gewann ich zwischen 0 und 26 Kilo, wobei der Durchschnittswert 13 Kilo betrug. Über ähnliche Mengen berichtet auch Edgell (1949): 0 bis 44 Kilo, Durchschnitt etwa 9 Kilo.
Der veröffentlichte Bericht über diese Studie ist Seeley und Morse (1976).
Ein Video, das das »Ausschneiden« zeigt, ist verfügbar unter https://www.youtube.com/watch?v=WjLOaYuNcB0 (abgerufen am 15. Juli 2015).
Über die reichhaltigen, hübschen Fossilfunde von Honigbienen (Apis spp.) wird in groben Umrissen berichtet in Grimaldi und Engel (2005; siehe insbesondere Abbildung 11.82) und ausführlicher in Zeuner und Manning (1976) sowie in Culliney (1983).
Die Aussage über die Welthonigproduktion stützt sich auf Zahlen auf den Webseiten von World Trade Daily (www.worldtradedaily.com) und des National Honey Board (www.honey.com/newsroom/press-kits/honey-industry-facts; beide abgerufen am 15. Juli 2015). Die Angaben über die Gesamtzahl der bewirtschafteten Honigbienenvölker auf der ganzen Welt stützt sich auf Abbildung 1 in van Engesdorp und Meixner (2010).
Für 2009 wurde allein für die Vereinigten Staaten der kommerzielle Wert, den man der Bestäubung zumessen kann, für Honigbienen auf 11,7 Milliarden Dollar und für andere bestäubende Insekten auf 3,4 Milliarden Dollar beziffert. Siehe Calderone (2012).
Rosenkranz et al. (2010) stellen zusammenfassend dar, wie Varroa destructor von seinem ursprünglichen Wirt, der asiatischen Honigbiene Apis cerana, auf Apis mellifera überging, als Völker der europäischen Bienen nach Asien importiert wurden. Außerdem wird dargestellt, warum die Milben durch die Verbreitung von Viren zu den gefährlichsten Parasiten der Honigbienen und der größten Gefahr für die Imkerei geworden sind. Bei Martin et al. (2012) wird berichtet, wie diese Milben die Häufigkeit eines besonders gefährlichen Stammes des Flügeldeformationsvirus DWV in Honigbienenvölkern gesteigert haben.
Milben der Gattung Varroa dienen auf zwei Wegen als besonders effiziente Überträger von Bienenviren: Erstens wirken sie als Reservoire und vielleicht sogar als Brutstätten der Viren, und zweitens verbreiten sie die Viren, indem sie die Erreger in das Blut der Bienen einschleusen, wenn die Milben sich von den Bienen ernähren.
Locke (2016) stellt zusammenfassend dar, was über die Populationen von Apis mellifica, bei denen sich eine Resistenz gegen Varroa destructor entwickelt hat, bekannt ist.
Zu genetischen Studien an den wilden Honigbienenvölkern im Arnot Forest siehe Seeley et al. (2015) und Mikheyev et al. (2015).
Gewidmet den Honigbienen, die im Arnot Forest leben
Honigbienen haben im Laufe der letzten zehn Jahre stark an Beliebtheit gewonnen. Deshalb ist jetzt genau der richtige Zeitpunkt für ein Buch darüber, wie man neben der Imkerei noch auf eine zweite Art Spaß mit diesen großartigen kleinen Lebewesen haben kann. Unser Thema ist die Freiluftsportart der Bienenjagd. Während der Imker seine Honigbienenvölker in Bienenstöcken hält, die er selbst zur Verfügung gestellt hat, sucht der Bienenjäger oder Zeidler nach Bienenvölkern, die in hohlen Baumstämmen und anderen selbst gewählten Behausungen leben. Wenn der Bienenjäger ein wildes Bienenvolk sucht, fängt er zunächst Bienen, die auf Blüten sitzen, und bietet ihnen als Köder einen kleinen Vorrat an Zuckersirup, dem er mit Anis einen betörenden Duft verliehen hat. Anschließend findet er durch Beobachtung der nach Hause fliegenden Bienen heraus, in welcher Richtung ihr geheimer Unterschlupf liegt. Nun wandert er mit seinem Zuckersirup-Futterspender und zusammen mit den Bienen in ihre Flugrichtung. Am Ende hat er ihren geheimnisvollen Wohnort ausfindig gemacht: einen hohlen Baum, ein altes Gebäude oder einen aufgegebenen Bienenstock.
Das alles hört sich ziemlich kompliziert an, und manch einer fragt sich jetzt vielleicht: Kann ich auch auf Bienenjagd gehen? Die Antwort lautet: ja. Um in der Bienenjagd Erfolg zu haben, braucht man wie in allen anderen wirklich faszinierenden Sportarten keine komplizierte Ausrüstung, sondern nur ein paar besondere Fähigkeiten. Dieses Buch ist ein Leitfaden: Es soll helfen, die einfachen Hilfsmittel zu beschaffen und die phantasievollen Methoden zu erlernen, die das Handwerk des Bienenjägers ausmachen. Die Bienenjagd ist zwar kein banal-einfacher Sport, aber sie eignet sich für jeden, der sich gern in der freien Natur aufhält, Geduld und Entschlossenheit mitbringt und sich für die Beherrschung einer Schatzsuche und den Spaß daran begeistern kann.
Die Bienenjagd oder Zeidlerei wurde früher überall in Europa, Nordamerika, dem Nahen Osten und Afrika praktiziert.[1] Vermutlich ist sie so alt wie die Menschheit selbst: Die Frühmenschen, die als Jäger und Sammler in Gruppen lebten, suchten nach Stöcken von Honigbienen und plünderten sowohl die Brut als auch den Honig. Das Gleiche tun manche Völker von Jägern und Sammlern noch heute. Die vermutlich älteste Beschreibung der Methoden, mit denen man das Nest eines wilden Honigbienenvolkes finden kann, stammt von Columella, einem römischen Gutsbesitzer, der im ersten Jahrhundert n. Chr. über Landwirtschaft schrieb.[2] In seinem Buch über Bienenzucht gibt er herrlich detaillierte Anweisungen: Man soll die Bienen im Frühjahr fangen, mit Honig füttern und dann einzeln wieder freilassen, um sie anschließend »bis zu dem Ort zu verfolgen, an dem sich der Schwarm versteckt«.
In Europa war die Bienenjagd vor allem in stark bewaldeten Regionen verbreitet, so im Westen Russlands und in Ungarn. Dort gehörte sie als entscheidender Bestandteil zum Handwerk der Bienenzucht mit hohlen Bäumen.[3] Die Zeidler bedienten sich unterschiedlicher Bienenfallen – manche bestanden zum Beispiel aus einem Kuhhorn mit einem beweglichen Eingang in einem Schlitz und einer kleinen Öffnung, die man mit einem Stopfen verschließen konnte. Man fing eine Biene oder auch mehrere, wartete, bis sie sich mit dem im Inneren des Horns aufgetragenen Honig beladen hatten[4], ließ dann eine Biene nach der anderen frei und folgte ihnen bis zu ihrem Nest, das sich meist in einem hohlen Baum befand.[5] Nun schnitt der Entdecker seine Eigentumsmarkierung in die Baumrinde, brachte im Stamm eine Tür an, um sich Zugang zu der Nisthöhle zu verschaffen, und kletterte in regelmäßigen Abständen auf den Baum, um immer wieder ein paar Waben zu entnehmen. In Nordamerika gewann die Zeidlerei an Beliebtheit, nachdem man Anfang des 17. Jahrhunderts die ersten Honigbienen aus Europa eingeführt hatte. Die nordamerikanischen Bienenjäger bedienten sich bei der Suche nach wilden Bienenvölkern der gleichen Methoden, die in Europa schon seit Jahrhunderten in Gebrauch waren, ernteten aber nur in seltenen Fällen mehrmals den Honig aus dem gleichen Nest. Meist fällten sie stattdessen die Bienenbäume und plünderten sämtliche Waben, wobei das Bienenvolk häufig vernichtet wurde.
Vom 16. bis zum 20. Jahrhundert verlor die Zeidlerei sowohl in Nordamerika als auch in Europa immer mehr an Bedeutung, während sich die Imkerei mit Bienenvölkern, die gruppenweise in Bienenhäusern untergebracht waren, durchsetzte. Bei den Bienenstöcken handelte es sich anfangs einfach um die hohlen, von Bienen bewohnten Stammabschnitte der Bäume; man brachte sie zum Wohnort des Imkers, wo sie als hölzerne Bienenstöcke dienten. Die Schwärme aus solchen Stöcken brachte man in Bienenkörben aus geflochtenem Stroh oder einfachen Kisten unter. Ende des 19. Jahrhunderts verwendeten die Imker zunehmend speziell konstruierte Bienenstöcke mit beweglichen hölzernen Rahmen, die fein säuberlich die Waben aufnahmen und dem Imker eine gezielte Bewirtschaftung seiner Völker ermöglichten.[6]
Die Erfindung der Bienenstöcke mit beweglichen Rahmen trug zusammen mit Selbstraucher, Honigschleuder und anderen modernen Imkereigerätschaften dazu bei, dass Menschen nun den Honig viel einfacher erzeugen konnten: Statt Wildbienenvölkern in den über die Landschaft verstreuten Bäumen nachzujagen, hielt man bewirtschaftete Bienenvölker in Stöcken, die zu Bienenhäusern zusammengefasst wurden. Heutzutage braucht der erfolgreiche Bienenjäger also den Bienenbaum nicht mehr zu fällen, um dann mit Hammer und Keil den Stamm zu öffnen, das Bienennest freizulegen und die honiggefüllten Waben herauszuschneiden. Statt Eimern voller gelblichweißer Waben kann er heute eine ganz andere Beute nach Hause bringen: köstliche Erinnerungen an den Aufenthalt auf sonnendurchfluteten Feldern mit Honigbienen, die von seiner Futterstation heimwärts fliegen, an die Verfolgung der Bienen auf ihrem Weg durch die Luft und an die Entdeckung ihres geheimnisvollen Wohnorts.
Auch wer als Bienenjäger die Bienen unbehelligt lässt, erlebt einen äußerst angenehmen Ausflug. Schließlich ist die Jagd eine der ältesten Tätigkeiten der Menschen, und die Leidenschaft, wilden Tieren nachzustellen, muss bis vor sehr kurzer Zeit ein ungeheuer wertvoller Teil der menschlichen Natur gewesen sein. Wenn ich selbst auf Bienenjagd gehe, spüre ich immer die Begeisterung, meiner Beute auf der Spur zu bleiben. Wenn ich auf der Flugbahn der Bienen weit vorangekommen bin, im Wald ein Volk wilder Bienen ausgemacht habe und schließlich die glitzernden Flügel der Bienen sehe, die in ihrem Zuhause im hohlen Baum verschwinden, macht sich in mir jedes Mal ein Gefühl des Erfolgs und sogar des Triumphes breit. Wenn ich mich dann schließlich auf den Weg zu meinem Zuhause mache, bin ich nicht reicher an Honig als am Morgen, denn ich hinterlasse einen unbeschädigten Bienenbaum und ein ungestörtes Bienenvolk. Der schwindelerregende Jubel des »Ich hab’s geschafft« ist vorüber, aber neben dem köstlichen, bleibenden Gefühl des Erfolgs stellt sich eine stillere, aber ebenso angenehme Empfindung ein: die Befriedigung, den Bienen keinen Schaden zugefügt zu haben.
Neben dem Jubel über die Entdeckung eines wilden Bienenvolkes und seiner versteckten Behausung kann sich der Bienenjäger noch über andere Belohnungen freuen. Eine davon ist das Vergnügen, die Überlebenskunst in der Natur mit der Handhabung von Karte und Kompass zu verbinden und mit körperlicher Anstrengung einen Bienenbaum ausfindig zu machen – eine Leistung, die heute nur die wenigsten Menschen vollbringen. Ein weiterer Lohn ist das ruhige, friedliche Gefühl beim Beobachten von Lebewesen, die aufgrund ihrer Evolution dem Gemeinwohl dienen und deshalb harmonisch zusammenarbeiten. Dieses Gefühl erfreut jeden Imker, der seinen wimmelnden Bienenstock öffnet und die vielen tausend Bewohner sieht: eine Königin, ihre Töchter (die Arbeiterinnen) und Söhne (die Drohnen), die alle friedlich zusammenleben. Ebenso spürt der Bienenjäger die harmonische Zusammengehörigkeit der Bienen, und so empfindet er ebenfalls eine stille Zufriedenheit, wenn er zusieht, wie die wilden Bienen unbeweglich nebeneinander an seinem Futterspender stehen, wobei jede ungestört den Zuckersirup trinkt, den er bereitgestellt hat. Es gibt keine Schubserei und keinen Streit um die reichhaltige Nahrung. Dann wieder wird der Bienenjäger Zeuge, wie die Bienen auf erstaunliche Weise gemeinsam funktionieren, wenn sie ihre Nestgenossen an die Futterstelle locken. Er selbst bringt nur eine Handvoll Kundschafterinnen mit seiner üppigen Zuckersirupquelle in Kontakt, aber aus den wenigen werden in ungefähr einer Stunde Dutzende oder Hunderte: Die ersten Bienen rekrutieren eine Einsatztruppe aus Nestgenossinnen, und alle helfen mit, den vom Bienenjäger dargebotenen Schatz zu heben. Wie können diese winzigen Insekten, deren Gehirn kleiner ist als ein Grassamen, so effizient kommunizieren? Und wie kommt es, dass sie sich nicht verirren, wenn sie – häufig über mehr als einen Kilometer – zwischen ihrem Heim und der Futterstelle des Jägers über Berg und Tal fliegen?
Wer die Bienenjagd einmal ausprobiert, wird sehr schnell aus erster Hand und nächster Nähe feststellen, dass Honigbienen viele Rätsel bergen, insbesondere was ihr erstaunliches Talent für Kommunikation und Orientierung betrifft. Für so manchen Bienenjäger ist es der größte Lohn, wenn sich eine Biene auf seine Mütze setzt – dann kann man stehen bleiben, beobachten und über die erstaunlichen sechsbeinigen Schönheiten nachgrübeln, die dazu beitragen, dass unser Planet blüht und fruchtbar bleibt. Für andere ist die Jagd auf ein wildes Honigbienenvolk vor allem deshalb ein Vergnügen, weil man dabei sowohl physisch als auch geistig Abstand gewinnen kann. Wenn man an einem Wochenende morgens draußen ist, auf einer sonnigen Wiese voller Wildblumen steht und mit den Blicken die Bienen verfolgt, die vom Futterspender wegfliegen, und wenn das Gehirn sich dann die Frage stellt, welche Insekten wohl in nächster Zeit zurückkehren werden, kann man den Gedanken über den Beruf und andere persönliche Themen aus dem Weg gehen – Gedanken über Gutes und Schlechtes, über Wichtiges und Triviales. Die Bienenjagd ist ein großartiges Mittel, um dem eigenen Kopf zu entfliehen, denn die Bienen, die zu den erstaunlichsten Tieren der Erde gehören, können unsere Aufmerksamkeit voll und ganz fesseln.
Einen Gedanken über Honigbienen hat offenbar jeder im Kopf: Auch wenn diese faszinierenden Insekten klein und niedlich sind, haben sie es ganz schön in sich. Manch einer fragt sich vielleicht, wie groß die Gefahr ist, bei der Bienenjagd gestochen zu werden. Eines stimmt sicher: Die Bienen werden um den Bienenjäger herumsummen, wenn er seinen Zuckersirup-Futterspender versorgt und Beobachtungen anstellt. Das mag Neulinge von dieser Sportart abschrecken, aber ich kann hier nur nachdrücklich betonen, dass keine Gefahr besteht, bei der Bienenjagd gestochen zu werden. Die Bienen verhalten sich gegenüber dem Menschen, der ihnen eine kostenlose Mahlzeit bietet, vollkommen friedlich. Sie werden eine Wespe abwehren, die den Futterspender findet. Aber die Bienen haben keinen Anlass, den Bienenjäger zu stechen; ich selbst bin in den 40 Jahren, seit ich auf Bienenjagd gehe, nie gestochen worden. Zum Stich kann es nur durch einen achtlosen Unfall kommen, beispielsweise wenn man den nackten Arm auf eine Biene legt, die sich gerade auf der Armlehne des Klappstuhls ausruht, oder wenn man gedankenlos nach einer Biene schlägt, die vor dem Gesicht herumsummt. Es mag dem Neuling unglaublich vorkommen, aber von solchen Unfällen abgesehen besteht praktisch keine Gefahr, während der Bienenjagd gestochen zu werden.
Noch einen weiteren allgemeinen Punkt im Zusammenhang mit der Bienenjagd möchte ich von vornherein klarstellen: Sie ist als Sportart für Männer und Frauen gleichermaßen erfreulich und geeignet. Der Bienenjäger kommt in diesem Buch stets in der männlichen Form vor, aber das soll nur das Lesen vereinfachen. Jedes »er«, »ihm« oder »sein« in diesem Buch umfasst also auch das »sie« oder »ihr«, und jeder Bienenjäger kann auch eine Bienenjägerin sein.
Das vorliegende Buch ist aber nicht nur ein Leitfaden für den Sport der Bienenjagd, sondern auch ein Ausdruck meiner Dankbarkeit gegenüber einem Mann, dem ich nie persönlich begegnet bin. Dennoch habe ich von ihm gelernt, wie man wilde Honigbienenvölker findet, und diese Fähigkeit hat mir bei meinen wissenschaftlichen Untersuchungen zum Leben von Honigbienen in der Natur erheblich geholfen. Ich meine George H. Edgell (1887–1954). Er war Professor an der Harvard University, Direktor des Museum of Fine Arts in Boston und der Autor dreier bahnbrechender Bücher über die Geschichte der Architektur. Das alles sind atemberaubende Leistungen. Meine Dankbarkeit ihm gegenüber betrifft aber eine seiner eher bescheidenen Tätigkeiten: Er schrieb ein Buch mit dem Titel The Bee Hunter; das kleine Werk erschien 1949, also gegen Ende seines Lebens. Zu jener Zeit hatte er bereits rund 501954