Wer, der sich für die Geschichte der Menschheit interessiert und dafür, wie diese rätselhafte Mixtur sich unter den abwechselnden Experimenten der Zeit beträgt, hätte nicht wenigstens kurz sein Augenmerk auf das Leben der Teresa von Ávila gerichtet und bei der Vorstellung von dem kleinen Mädchen, das sich eines Morgens Hand in Hand mit seinem noch kleineren Bruder aufmachte, um im Land der Mohren das Märtyrertum zu suchen, nachsichtig gelächelt? Da tappten sie aus dem alten Ávila, mit großen Augen und so hilflos wie zwei Rehkälbchen, aber mit menschlichen Herzen, die bereits im Takt eines nationalen Gedankens pochten, bis die häusliche Wirklichkeit ihnen in Gestalt ihrer Onkel begegnete und sie von ihrem großen Vorhaben zurückbrachte. Diese kindliche Pilgerschaft war ein passender Anfang. Teresas leidenschaftliche, idealistische Natur verlangte nach einem heroischen Leben: Was hätten einem so hochbegabten Mädchen vielbändige Romanzen über Ritterlichkeit und Eroberungen auf dem gesellschaftlichen Parkett bedeuten sollen? So leichten Brennstoff verzehrte ihre Flamme im Handumdrehen und loderte, von innen gespeist, einer unermesslichen Befriedigung entgegen, einem Gegenstand, der niemals Überdruss erzeugen konnte und jeden Selbstzweifel mit der beseligenden Gewissheit eines über das eigene Dasein hinausgehenden Lebens versöhnen musste. Was ihren Nachruhm begründete, fand sie in der Reform eines religiösen Ordens.
Diese Spanierin, die vor dreihundert Jahren lebte, war gewiss nicht die Letzte ihrer Art. Viele Teresas wurden geboren, denen kein heroisches Leben beschieden war, erfüllt von ständiger Entfaltung wirkmächtigen Handelns, sondern vielleicht nur ein Leben voller Irrtümer, entsprungen aus der unglücklichen Verbindung einer gewissen spirituellen Größe mit schäbigen Aussichten, ein vielleicht tragisches Scheitern, das kein geistlicher Dichter besang und das unbeweint vergessen wurde. Unsicher tastend unter hinderlichen Umständen, wollten sie ihr Denken und Handeln in edle Übereinstimmung bringen, aber für gewöhnliche Menschen nahm sich ihr Bestreben nur nach Unbeständigkeit und Formlosigkeit aus, denn diese spätgeborenen Teresas stützte keine verbindliche gesellschaftliche Gesinnung und Ordnung, die der inbrünstigen Seele als Wissen hätte dienen können. Ihre Inbrunst schwankte zwischen einem undeutlichen Ideal und den gewöhnlichen Sehnsüchten der Weiblichkeit, und so wurden sie im einen Fall der Überspanntheit geziehen und im anderen Fall des Unvermögens.
Manchen galten diese erratischen Lebensläufe als Ergebnis der unerfreulichen Unbestimmtheit, mit der die Allmacht die Natur der Frauen versehen hat; und gäbe es ein Niveau weiblicher Unfähigkeit, das so verlässlich wäre, wie nur bis drei zählen zu können, könnte man über das gesellschaftliche Los der Frauen mit wissenschaftlicher Gewissheit befinden. Indessen besteht die Unbestimmtheit fort, und die Variationen sind tatsächlich weit größer, als man aus der Gleichförmigkeit weiblicher Haartrachten und der beliebten Liebesgeschichten in Prosa und Dichtung schließen könnte. Hie und da wächst ein junger Schwan unbehaglich zwischen den Entenküken in einem trüben Teich heran und wird nie zu dem schnell fließenden Strom und der Gesellschaft seiner ruderfüßigen Artgenossen finden. Hie und da wird eine heilige Teresa geboren, die nichts begründet, deren inbrünstige Herzschläge und Seufzer der Sehnsucht nach dem unerreichten Guten gelten, sich verlieren und sich zwischen Hindernissen verstreuen, statt ihre Kräfte in einer eindrucksvollen Handlung zu bündeln.
Da ich als Frau nichts Gutes tun kann,
bemühe ich mich ständig um dem Guten Nahes.
Die Braut von Beaumont und Fletcher
Miss Brookes Schönheit war von jener Art, die durch ärmliche Kleidung betont wird. Hand und Handgelenk waren so anmutig, dass sie Ärmel tragen konnte, die kaum weniger unelegant waren als die, in denen die Heilige Jungfrau italienischen Malern erschienen war; und ihrem Profil, ihrer Gestalt und ihrem Auftreten verlieh die einfache Kleidung noch mehr Würde, was sie neben der provinziellen Mode so beeindruckend wirken ließ wie ein vortreffliches Bibelzitat oder wie das Zitat eines unserer alten Dichter, eingerückt in einen Zeitungsartikel unserer Tage. Man bezeichnete sie für gewöhnlich als ausnehmend klug, allerdings mit dem Zusatz, ihre Schwester Celia verfüge über mehr gesunden Menschenverstand. Dennoch trug Celia kaum mehr Putz, und nur sehr aufmerksamen Beobachtern wäre aufgefallen, dass ihre Kleidung sich von der ihrer Schwester unterschied und ein klein wenig koketter war, denn die schlichte Aufmachung Miss Brookes gründete in Umständen, die fast alle auch ihre Schwester berührten. Stolz auf ihren Stand machte sich darin bemerkbar: Die Brookes waren zwar nicht aristokratischer Herkunft, entstammten aber einer unstreitig «guten» Familie; wenn man ein, zwei Generationen zurückging, fanden sich keine Vorfahren, die Ellenreiter oder Ladenschwengel gewesen wären – keine unedleren Berufe als den eines Admirals oder eines Geistlichen –, und es ließ sich sogar ein Ahne ausmachen, der als puritanischer Edelmann unter Cromwell gedient, danach aber die anglikanische Konfession angenommen hatte und dem es gelungen war, aus allen politischen Wirrnissen mit einem beachtlichen Familienbesitz hervorzugehen. Junge Damen solchen Standes, die auf einem friedlichen Landsitz lebten und eine Dorfkirche besuchten, die kaum größer war als ein Wohnzimmer, mussten Putz zwangsläufig für den Ehrgeiz einer Hausierertochter halten. Hinzu kam die Sparsamkeit besserer Kreise, die es in jenen Tagen geraten sein ließ, auf prunkvolle Kleidung als Erstes zu verzichten, wenn alles, was man erübrigen konnte, für standesgemäßere Ausgaben benötigt wurde. All das hätte schlichte Kleidung mehr als hinreichend erklärt, von religiösen Empfindungen ganz abgesehen, doch im Fall Miss Brookes hätten Letztere allein den Ausschlag gegeben; und Celia fügte sich nachgiebig allen Überzeugungen ihrer Schwester, verdünnte sie aber mit dem gesunden Menschenverstand, der eine gewichtige Doktrin hinnehmen kann, ohne in exzentrische Aufwallungen zu verfallen. Dorothea kannte viele Stellen aus Pascals Pensées und von Jeremy Taylor auswendig, und in ihren Augen machten die Geschicke der Menschheit, im Licht des Christentums gesehen, ein Nachdenken über Damenmoden zu einer des Narrenhauses würdigen Beschäftigung. Die Bestrebungen eines spirituellen Lebens samt seinen Folgen in der Ewigkeit konnte sie nicht mit lebhaftem Interesse an Chemisetten und Tournüren in Einklang bringen. Ihr Geist war theoretischer Ausrichtung und sehnte sich nach einem erhabenen Begriff von der Welt, der selbst die Pfarrei von Tipton und Dorotheas eigene moralische Maßstäbe umfassen konnte; sie schwärmte für Inbrunst und Größe und zögerte nicht, alles gutzuheißen, was ihr davon zu künden schien; es war ihre Art, sich nach dem Märtyrertum zu sehnen, Rückzüge anzutreten und dann das Märtyrertum dort zu erleiden, wo sie nicht damit gerechnet hatte. Solche Persönlichkeitselemente eines heiratsfähigen jungen Mädchens waren dazu angetan, ihr Schicksal nicht zu erleichtern, sondern eher zu verhindern, dass es sich wie üblich erfüllte, durch gutes Aussehen, Eitelkeit und hündische Zuneigung. Bei alledem war sie als die Ältere noch keine zwanzig Jahre; beide Schwestern waren nach dem Alter von zwölf Jahren und dem Verlust ihrer Eltern in Befolgung sowohl sparsamer als auch verworrener Grundsätze zuerst in einer englischen Familie und danach in einer Schweizer Familie in Lausanne aufgewachsen, womit ihr lediger Onkel und Vormund die Nachteile ihres Waisendaseins zu lindern gesucht hatte.
Seit kaum einem Jahr lebten sie in Tipton Grange bei ihrem Onkel, einem Mann von Anfang sechzig, gefügigen Temperaments, divergierender Ansichten und wankelmütigen Wahlverhaltens. In jüngeren Jahren war er gereist, und in diesem Teil der Grafschaft galt er als jemand, der sich eine allzu unstete Geistesverfassung angeeignet hatte. Mr. Brookes Beschlüsse waren so schwer vorauszusehen wie das Wetter: Mit einiger Sicherheit konnte man nur sagen, dass er wohlwollende Absichten hegen und bei ihrer Umsetzung so wenig Geld wie möglich ausgeben würde. Denn auch die schlüpfrigsten und sprunghaftesten Geister bergen einen harten Kern der Gewohnheit, und schon mancher hat sich nachlässig in allen persönlichen Belangen gezeigt bis auf den Umgang mit seiner Schnupftabaksdose, über die er misstrauisch, eifersüchtig und habgierig wachte.
In Mr. Brooke war das Erbe puritanischer Energie unzweifelhaft nur schwach ausgeprägt, doch bei seiner Nichte Dorothea durchglühte es ihre Fehler wie ihre Tugenden, äußerte sich bisweilen als Unmut über das Gerede ihres Onkels und seine Art, auf seinen Ländereien «alles beim Alten» zu belassen, und so erwartete sie ungeduldig den Zeitpunkt, an dem sie volljährig sein und über eigenes Geld für großherzige Vorhaben verfügen würde. Sie galt als Erbin, denn die Schwestern hatten von ihren Eltern nicht nur ein Einkommen von jeweils siebenhundert Pfund jährlich geerbt, sondern falls Dorothea heiratete und einen Sohn bekam, würde dieser Sohn Mr. Brookes Landbesitz im vermuteten Wert von dreitausend Pfund Jahreseinkommen erben – wahrer Reichtum in den Augen von Familien in der Provinz, die sich noch immer über Mr. Peels Kehrtwendung in der Katholikenfrage ereiferten und nichts von künftigen Goldfeldern ahnten oder von der großartigen Plutokratie mit ihrer noblen Veredelung vornehmer Lebensbedürfnisse.
Und warum hätte Dorothea nicht heiraten sollen? – ein so schönes Mädchen mit solchen Aussichten? Nichts stand dem im Weg außer ihrem Hang zur Überspanntheit und der Beharrlichkeit, mit der sie im Alltagsleben Grundsätzen huldigte, die einen vorsichtigen Mann davor zurückscheuen lassen konnten, um ihre Hand anzuhalten, und die sie selbst möglicherweise dazu bewegen mochten, jeden Freier abzuweisen. Eine junge Dame aus gutem Hause und mit Vermögen, die sich unvermittelt neben einem kranken Arbeiter auf den gepflasterten Boden kniete und inbrünstig betete, als wähnte sie sich in den Zeiten der Apostel, und die befremdlichen Grillen frönte – zu fasten wie ein Papist und nachts dazusitzen und alte theologische Schwarten zu lesen! So einer Frau war zuzutrauen, dass sie ihren Ehemann eines schönen Morgens mit einem neuen Plan für die Verwendung ihres Einkommens überraschte, der weder mit politischer Ökonomie noch mit dem Halten von Reitpferden vereinbar gewesen wäre, und verständlicherweise würde ein Mann es sich gut überlegen, bevor er wagte, sich auf eine solche Gemeinschaft einzulassen. Von Frauen erwartete man keine ausgeprägten Ansichten; doch der große Schutzschirm der Gesellschaft und des Privatlebens bestand darin, dass Ansichten keine Taten zeitigten. Vernünftige Menschen handelten, wie ihre Nachbarn handelten, sodass man irgendwelche Geistesgestörten, die ihr Unwesen trieben, erkennen und ihnen aus dem Weg gehen konnte.
Die öffentliche Meinung über die neu zugezogenen jungen Damen tendierte – selbst unter den Landarbeitern – eher zugunsten Celias, die so liebenswürdig und arglos war, während Miss Brookes große Augen genau wie ihre religiösen Überzeugungen allzu ungewohnt und auffällig wirkten. Arme Dorothea! Im Vergleich zu ihr war die arglose Celia durchtrieben und weltklug; so viel undurchschaubarer ist der Geist des Menschen als das äußere Gewebe, das sein Wappen oder Zifferblatt bildet.
Doch wer mit Dorothea näher zu tun hatte, stellte ungeachtet aller auf verstörenden Gerüchten fußenden Voreingenommenheit schnell fest, dass sie einen Zauber besaß, der damit schwer zu vereinbaren war. Die meisten Männer fanden sie hinreißend, wenn sie ritt. Sie liebte die frische Luft und die Aussicht im Freien, und wenn ihre Augen und Wangen von den vielfältigen Freuden glühten, glich sie nicht im Entferntesten einer Betschwester. Das Reiten war ein Vergnügen, das sie sich trotz aller Gewissensbisse erlaubte; sie spürte, dass sie es auf heidnisch-sinnliche Weise genoss, und nahm sich immer wieder vor, darauf zu verzichten.
Sie war ungekünstelt, leidenschaftlich und völlig uneitel; es war bezaubernd zu sehen, wie ihre Phantasie ihre Schwester Celia mit Reizen schmückte, die den ihren weit überlegen waren, und wenn irgendein Gentleman den Landsitz aus anderen Beweggründen aufzusuchen schien als dem, Mr. Brooke zu sprechen, schloss sie daraus, dass er in Celia verliebt sein müsse: Sir James Chettam beispielsweise, den sie unablässig von Celias Standpunkt aus betrachtete und dabei erwog, ob Celia gut daran täte, ihn zu heiraten. Dass er ihr selbst den Hof machen könnte, hätte sie als lächerliche Abstrusität abgetan. Bei all ihrer inbrünstigen Sehnsucht, die Wahrheiten des Lebens zu ergründen, hegte Dorothea sehr kindliche Vorstellungen von der Ehe. Sie war überzeugt, dass sie dem «klugen» Hooker ihr Jawort gegeben hätte, wenn sie rechtzeitig geboren worden wäre, um ihn vor dem traurigen Irrtum zu bewahren, den er mit der Wahl seiner Ehefrau begangen hatte, oder John Milton, als er erblindet war, oder irgendeinem anderen der großen Männer, deren Wunderlichkeiten zu erdulden glorreiche Pietät bedeutet hätte; aber ein liebenswürdiger, gutaussehender Baronet, der ihre Bemerkungen mit «Ganz genau» quittierte, selbst wenn sie Ungewissheit ausdrückten – wie sollte so jemand als Liebhaber in Frage kommen? Die wahrhaft beglückende Ehe musste so beschaffen sein, dass der Ehemann eine Art Vater war und einen sogar in Hebräisch unterrichten konnte, wenn man es wünschte.
Wegen dieser Eigentümlichkeiten in Dorotheas Charakter verübelten es benachbarte Familien Mr. Brooke besonders, dass er keine Dame mittleren Alters als Aufsichtsperson und Gesellschafterin für seine Nichten gewählt hatte. Doch er fürchtete sich so sehr vor den untadeligen Damen, die sich für diese Rolle angeboten hätten, dass er sich bereitwillig von Dorotheas Einwänden überzeugen ließ und in diesem Fall tapfer genug war, der Gesellschaft die Stirn zu bieten – anders gesagt Mrs. Cadwallader, der Pfarrersgattin, und dem kleinen Kreis von Landadeligen, mit denen er in diesem nordöstlichen Winkel von Loamshire verkehrte. Also führte Miss Brooke den Vorsitz im Haushalt ihres Onkels und hatte an dieser neuen Autorität und den damit verbundenen Ehrenbezeigungen nichts auszusetzen.
Sir James Chettam wurde an diesem Tag zum Dinner in Brookes Landsitz erwartet, in Begleitung eines Gentlemans, den die jungen Damen nicht kannten und dem Dorothea ehrfurchtsvolle Erwartung entgegenbrachte. Es handelte sich um den Geistlichen Edward Casaubon, in der Grafschaft bekannt als tiefschürfender Gelehrter, von dem es hieß, er sei seit vielen Jahren mit einem gewichtigen religionsgeschichtlichen Werk beschäftigt; zudem hieß es, er sei wohlhabend genug, um seiner Frömmigkeit Glanz zu verleihen, und er vertrete Ansichten, die bei Erscheinen seines Buches klarer erkennbar würden. Sogar sein Name war auf eine Weise beeindruckend, die ohne umfassendes Wissen um die Chronologie der Gelehrsamkeit kaum zu ermessen war.
Früh am Tag war Dorothea von der Kinderschule zurückgekehrt, die sie im Dorf begründet hatte, und nahm ihren gewohnten Platz in dem hübschen Wohnzimmer ein, das zwischen den Schlafzimmern der Schwestern lag, weil sie einen Entwurf für Bauernhäuschen beenden wollte (eine Tätigkeit, der sie mit Vorliebe nachging), als Celia, die sie in dem Wunsch, etwas vorzuschlagen, schüchtern beobachtet hatte, zu ihr sagte: «Liebe Dorothea, wenn es dir nichts ausmacht – wenn du nicht zu viel zu tun hast –, könnten wir dann vielleicht heute Mamas Schmuck ansehen und ihn aufteilen? Heute sind es genau sechs Monate, seit unser Onkel ihn dir gegeben hat, und du hast ihn noch nie angesehen.»
Celias Miene trug die Spur eines Schmollens – das ganze Schmollen unterdrückte sie aus gewohnter Furcht vor Dorothea und Grundsätzen, zwei eng verbundenen Gegebenheiten, die eine geheimnisvolle Elektrizität erzeugen konnten, wenn man sie unversehens berührte. Zu ihrer Erleichterung waren Dorotheas Augen voller Fröhlichkeit, als sie aufblickte.
«Was für ein phantastischer kleiner Kalender du bist, Celia! Sind es sechs Kalendermonate oder sechs Mondmonate?»
«Heute ist der letzte September, und Onkel hat dir die Geschmeide am ersten April gegeben. Du weißt, dass er sagte, er habe es bis dahin vergessen gehabt. Ich glaube, du hast nie mehr daran gedacht, seit du sie in diesem Schränkchen hier verwahrt hast.»
«Meine Liebe, wir sollten sie ja ohnehin niemals tragen, nicht wahr?» Dorothea sprach voll herzlicher Überzeugung, halb schmeichelnd und halb erklärend. Sie hielt den Stift in der Hand und zeichnete am Seitenrand kleine Zusatzentwürfe.
Celia errötete und sah sehr ernst aus. «Liebe Dorothea, ich glaube, es wäre ein Versäumnis an Ehrerbietung Mama gegenüber, wenn wir ihren Schmuck beiseitelegten und uns nicht weiter darum scherten. Und», fügte sie, nachdem sie kurz gezögert hatte, mit einem sich leise bemerkbar machenden Schluchzen der Demütigung hinzu: «Halsketten sind heutzutage verbreitet; und sogar Madame Poinçon, die in manchen Dingen strenger war als du, hat Schmuck getragen. Und was Christen betrifft – sicher hat es Frauen gegeben, die jetzt im Himmel sind und Schmuck getragen haben.» Celia war sich ihrer Überzeugungskraft gewiss, wenn es ihr um etwas ging.
«Du würdest den Schmuck gerne tragen?», rief Dorothea, und der Ausdruck verblüfften Entdeckens belebte ihre ganze Person mit einer Dramatik, die sie von besagter Schmuck liebender Madame Poinçon übernommen hatte. «Ja natürlich, dann lass ihn uns gleich holen. Warum hast du mir das nicht schon früher gesagt? Aber die Schlüssel, die Schlüssel!»
«Hier», sagte Celia, die dieses Gespräch lange erwogen und vorbereitet hatte.
«Mach bitte die große Schublade des Schränkchens auf und nimm die Schmuckkassette heraus.»
Schon bald war die Schatulle vor ihren Augen geöffnet, und die verschiedenen Juwelen lagen ausgebreitet und bildeten auf dem Tisch ein buntes Blumenbeet. Es war keine herausragende Sammlung, aber einige der Schmuckstücke waren tatsächlich von bemerkenswerter Schönheit, darunter am auffallendsten eine Halskette aus purpurnen Amethysten mit feinster Goldeinfassung und ein Kreuz aus Perlen mit fünf Diamanten. Dorothea ergriff sofort die Halskette und legte sie ihrer Schwester um den Hals, den sie so eng umschloss wie ein Armband; dieser Henrietta-Maria-Reif passte vollendet zu Celias Hals und Kopf, was diese in dem großen Wandspiegel an der Wand gegenüber sehen konnte.
«So, Celia! Das kannst du zu deinem indischen Musselin tragen. Aber das Kreuz musst du zu deinen dunklen Kleidern tragen.»
Celia bemühte sich, ihr beglücktes Lächeln zu unterdrücken. «O Dodo, das Kreuz musst du behalten.»
«Nein, nein, meine Liebe, nein», sagte Dorothea mit einer flüchtigen abwehrenden Handbewegung.
«Doch, doch; es würde dir so gut stehen – zu deinem schwarzen Kleid», sagte Celia beharrlich. «Das Kreuz kannst du tragen.»
«Auf keinen Fall, auf keinen Fall. Ein Kreuz ist das Letzte, was ich als Tand tragen könnte.» Dorothea schüttelte sich leicht.
«Dann fändest du es auch verwerflich, wenn ich es trüge», sagte Celia unsicher.
«Nein, mein Schatz, nein», sagte Dorothea und streichelte ihrer Schwester die Wange. «Auch Seelen haben unterschiedliche Charaktere: Was der einen steht, muss nicht unbedingt der anderen stehen.»
«Aber vielleicht hättest du es gerne zur Erinnerung.»
«Nein, ich habe andere Andenken an Mama, ihr Kistchen aus Sandelholz, das mir so gut gefällt – und vieles mehr. Liebe Celia, der Schmuck gehört dir. Wir müssen das nicht weiter erörtern. Da – nimm deinen Besitz an dich.»
Celia war etwas gekränkt. Diese puritanische Nachsicht hatte einen starken Beigeschmack von Herablassung und war für eine weniger exaltierte Schwester kaum erträglicher als puritanische Verfolgung.
«Aber wie soll ich Schmuck tragen können, wenn du als meine ältere Schwester nie welchen trägst?»
«Aber Celia, du kannst doch nicht verlangen, dass ich Tand trage, um dich bei Laune zu halten. Würde ich eine solche Halskette anlegen, käme ich mir vor, als vollführte ich Pirouetten. Die Welt würde sich vor meinen Augen drehen, und ich könnte keinen geraden Schritt tun.»
Celia hatte die Halskette aufgehakt und abgenommen. «Für deinen Hals wäre sie ein wenig eng; eine längere Kette würde dir besser stehen», sagte sie mit einer gewissen Befriedigung. Dass die Halskette in jeder Hinsicht für Dorothea ungeeignet war, erleichterte es Celia, sie anzunehmen. Nun öffnete sie Ringschachteln, die einen schönen Smaragdring mit Diamanten offenbarten, und im selben Augenblick sandte die Sonne, die hinter einer Wolke hervorkam, einen hellen Strahl über den Tisch.
«Wie herrlich diese Steine anzusehen sind!», sagte Dorothea unter dem Einfluss einer neuen Empfindung, die so plötzlich wie der Sonnenstrahl gekommen war. «Es ist merkwürdig, wie tief Farben einen berühren können, genau wie Düfte. Vermutlich ist das der Grund, warum Edelsteine in der Offenbarung Johannis als Sinnbilder der Spiritualität vorkommen. Sie sehen aus wie Partikel des Himmels. Dieser Smaragd erscheint mir schöner als alles andere.»
«Und es gibt ein dazu passendes Armband», sagte Celia. «Das haben wir vorhin nicht bemerkt.»
«Sie sind wunderschön», sagte Dorothea, zog Ring und Armband über ihren zierlichen Finger und ihr schmales Handgelenk und hielt beides gegen das Licht zum Fenster. Unterdessen war sie geistig damit beschäftigt, ihr Entzücken an den Farben zu rechtfertigen, indem sie es mit ihrer mystischen religiösen Begeisterung zu vereinbaren versuchte.
«Die hättest du gern, Dorothea», sagte Celia eher zögernd, denn sie bemerkte verwundert, das ihre Schwester Schwächen zeigte, und außerdem, dass Smaragde ihrem Teint noch besser stehen würden als purpurne Amethyste. «Diesen Ring und dieses Armband musst du behalten, wenn schon nichts anderes. Aber sieh nur, diese Achate sind sehr hübsch – und dezent.»
«Ja, diese hier nehme ich – diesen Ring und das Armband», sagte Dorothea. Dann ließ sie die Hand auf den Tisch sinken und sagte in anderem Ton: «Aber was für elende Menschen finden diese Dinge und bearbeiten sie und verkaufen sie!» Sie hielt wieder inne, und Celia dachte sich, dass ihre Schwester auf das Geschmeide verzichten würde, wie es ihrem Gewissen entsprach.
«Ja, meine Liebe, diese hier werde ich behalten», sagte Dorothea entschieden. «Aber alles Übrige und die Schatulle nimmst du mit.»
Sie nahm ihren Stift, ohne den Schmuck abzulegen, den sie immer noch ansah. Sie spielte mit dem Gedanken, die Schmuckstücke immer in der Nähe zu haben, um ihr Auge an den kleinen Springbrunnen reiner Farben zu erfreuen.
«Wirst du sie in Gesellschaft tragen?», fragte Celia voll ehrlicher Neugier.
Dorothea warf ihrer Schwester einen schnellen Blick zu. All ihre phantasievolle Ausschmückung derer, die sie liebte, durchschoss hin und wieder ein scharfsichtiger Blick, der durchaus etwas Beißendes haben konnte. Sollte Miss Brooke jemals zu vollkommener Demut finden, läge das nicht an der Ermangelung inneren Feuers.
«Vielleicht», sagte sie in eher hochmütigem Ton. «Ich kann nicht voraussagen, zu welchem Niveau ich herabsinken kann.»
Celia errötete bekümmert; sie erkannte, dass sie ihre Schwester gekränkt hatte, und wagte nicht einmal, für das Geschenk des Schmucks zu danken, den sie in die Schatulle zurücklegte und mitnahm. Auch Dorothea war unglücklich, und während sie an ihren Plänen weiterzeichnete, bezweifelte sie die Lauterkeit ihrer eigenen Empfindungen und ihrer Worte in der Szene, die diese kleine Explosion herbeigeführt hatte.
Celias Gewissen sagte ihr, dass sie keineswegs im Unrecht gewesen war; es war völlig natürlich und gerechtfertigt, dass sie die Frage gestellt hatte, und sie sagte sich nochmals, dass Dorothea inkonsequent gehandelt habe; entweder hätte sie ihren Anteil an dem Geschmeide nehmen oder ganz darauf verzichten sollen.
«Ich bin mir sicher – oder hoffe zumindest», dachte Celia, «dass das Tragen einer Halskette meine Gebete nicht beeinträchtigen wird. Und ich wüsste nicht, dass Dorotheas Ansichten für mich verbindlich wären, wenn wir in die Gesellschaft eingeführt werden, obwohl sie natürlich für sie verbindlich sein sollten. Aber Dorothea ist nicht immer konsequent.»
So dachte Celia, die stumm über ihre Gobelinstickerei gebeugt blieb, bis sie hörte, dass ihre Schwester nach ihr rief.
«Kitty, komm und sieh dir meinen Entwurf an; mir scheint, ich könnte eine große Architektin sein, falls ich nicht unmögliche Treppen und Kamine eingebaut haben sollte.»
Als Celia sich über den Entwurf beugte, schmiegte Dorothea ihre Wange an den Arm ihrer Schwester. Celia verstand die Geste. Dorothea hatte erkannt, dass sie im Unrecht war, und Celia verzieh ihr. Solange sie zurückdenken konnten, hatte in Celias Geist eine Mischung aus Kritik und ängstlicher Ehrfucht vor der älteren Schwester geherrscht. Die Jüngere hatte immer ein Joch getragen; aber gibt es ein unterjochtes Geschöpf ohne eigene Meinung?