Sven I. Hüsken
Papa 4
Serial Teil 4
Knaur e-books
Sven I. Hüsken wurde 1976 in Westfalen geboren, wo er auch zusammen mit seiner Frau und seinen beiden Töchtern lebt und arbeitet. Er ist sowohl im Erwachsenen- als auch im Jugendbuch zuhause und wechselt zwischen realistischen und phantastischen Stoffen. Beruflich hat er vor allem mit Kleinstlebewesen zu tun, die er zum Wohle der Menschheit zum Arbeiten zwingt.
Sorgender Ehemann, liebender Vater, eiskalter Killer!
Zwei Jahre ist es nun her, dass Thomas Ried wegen mehrfachen Mordes verhaftet wurde. Niemand – und am allerwenigsten seine Frau Michelle – ahnte etwas von der bestialischen Seite des Mannes, der ein vollkommen normales Leben zu führen schien, bis eines seiner Opfer entkommen konnte. Michelle und ihre Tochter Lillian sind gerade dabei, sich ein neues Leben aufzubauen, als sie eine erschreckende Nachricht erreicht: Thomas ist aus der Psychiatrie ausgebrochen. Kurz darauf verschwindet Lillian bei einem Einkauf – zurück bleibt lediglich ein Polaroidfoto, auf dem zwei Zeichnungen zu sehen sind: ein Schaf und ein Wolf …
Sven I. Hüsken: Eine neue, großartige Stimme unter den deutschen Thriller-Autoren!
© 2013 Knaur eBook.
Ein Unternehmen der Droemerschen Verlagsanstalt
Th. Knaur Nachf. GmbH & Co. KG München.
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise –
nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.
Covergestaltung: ZERO Werbeagentur, München
Covermotiv: © FinePic®, München
Redaktion: Franz Leipold
www.droemer-knaur.com
ISBN 978-3-426-43181-8
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Ya-Long P’an führte Michelle in einen lichtdurchfluteten Innenhof, den ein aufwendiges Glasdach vor Regen und Wind schützte. Der Hof war großzügig, maß vielleicht vierzig Quadratmeter, und es war warm wie in einem Treibhaus.
In der Mitte stand ein Felsen, der aus Spalten und Löchern Wasser in ein Natursteinbecken spuckte. Ringsherum waren Beete angelegt, die vor Blütenpracht übersprudelten. Eine Berieselungsanlage legte einen feinen Dunstschleier auf die Pflanzen und verwandelte die Luft in ein Paradies für Tropenkrankheiten.
Ya-Long ging zu dem Becken und setzte sich auf den Rand. »Willkommen in meinem Arboretum. Ich war überrascht, als ich Ihren Namen auf meiner Liste gelesen habe.« Sie fasste die Sonnenbrille am Bügel und zog sie ein Stück herunter, um darüber hinwegzuschauen.
Michelle zwang sich, dem stechenden Blick standzuhalten. »Mir war gar nicht bewusst, dass ich ihn am Telefon genannt hatte?«
Ein Lächeln huschte über Ya-Longs Mund. »Das war auch gar nicht nötig. Der Mensch ist doch so gläsern. Eine Telefonnummer, zum Beispiel, ist ein guter Anfang und dann ein Bild. Welche Informationen kann uns ein einzelnes Bild geben? Menschen sind so mitteilsam. Manche Bilder enthalten sogar Koordinaten, kann man das fassen?« Die Chinesin lachte spitz. »Nur ein Bild, und ich bekomme einen Namen, eine Adresse, die Namen der Freunde, Verwandten. Was glauben Sie, Michelle, erfährt man, wenn man sich richtig anstrengt? Informationen sind mein Geschäft. Manche beschaffe ich, andere lasse ich verschwinden.«
Darüber wollte Michelle gar nicht so genau nachdenken.
»Bei Ihnen war es einfacher. Ich habe mich an Ihr Gesicht erinnert. Warum sind Sie hier? In meinem Restaurant?«
Michelle setzte gerade zum Reden an, doch ihr Mund war so trocken, trotz der Feuchte ringsum, dass sie husten musste.
Ja nun sag es ihr. Ich bin ja so glücklich, dass Sie die Verhaftung von Tom möglich gemacht haben. So war doch der Plan. Los, sag es.
Michelle schluckte, leckte über ihre Lippen.
Sie merkt, dass du Zeit schindest.
Ihr Gesicht wurde heiß, und während auch das letzte bisschen Selbstbewusstsein aus ihren Poren verdunstete, packte sie eine kalte Gewissheit mit eisigen Klauen. Ihr Plan würde nicht aufgehen. Etwas stimmte nicht daran. Etwas, das diese Frau, die wie ein Marmorengel vor ihr saß, durchschauen würde. Michelle musste umdenken. Schnell. Sofort. »Ich möchte Sie warnen«, sagte sie stattdessen.
»Das überrascht mich.«
»Es war nicht leicht, Sie zu finden, das können Sie mir glauben.«
»Oh, ich bin durchaus in der Lage, abzuschätzen, wie leicht ich zu finden bin. Wovor möchten Sie mich denn warnen?« Ya-Longs Gesichtsausdruck war unverändert.
Michelles Beine wurden schwer, doch sie wagte nicht, sich zu setzen. Ihr Hals fühlte sich an, als bekäme sie eine Erkältung. »Nun, jetzt, wo ich weiß, wer Sie sind, macht mein Vorhaben vielleicht wenig Sinn.«
Ya-Long lachte auf. »Sie kennen meinen Namen, aber Sie wissen nicht, wer ich bin. Und das sollte Sie beruhigen.«
Michelle tat sich schwer, den Ausführungen der Frau zu folgen. »Sie waren diejenige, die meinen Exmann ins Gefängnis gebracht hat. Das reicht.«
»Ein Versehen, mehr nicht.«
»Ein Versehen?« Michelles Kopf leerte sich schlagartig. Jeder Gedanke entglitt ihr.
»Ihr Exmann, Michelle Kettler«, die Chinesin beugte sich nach vorne, »ist, sagen wir, anders als andere. Ich habe hier mit vielen Männern zu tun. Extremen Männern mitunter. Doch Ihr Mann ist ein ganz besonderes Exemplar. Es wundert mich, dass er die Angebote meiner Organisation nicht beansprucht hat. Er stand genau dort, wo Sie jetzt stehen«, sie deutete auf den Bruchsteinboden. »Er wirkte allerdings weniger nervös, und er hat mir seine Phantasien ausführlich beschrieben. Exzessive Phantasien, wenn ich so sagen darf. Hat er sie mit Ihnen geteilt?«
Michelles Fingerspitzen schmerzten. Erst jetzt bemerkte sie, wie sie ihre Finger krampfhaft zu einer Faust ballte. »Sie haben ihn genauso gehasst wie ich.«
»Merkwürdig«, Ya-Long lehnte sich zurück. »Sie haben nicht gefragt, welchen Ihrer Ex-Ehemänner ich gemeint habe. So funktioniert unser Verstand. Wir basteln uns eine eigene Realität aus den Versatzstücken unseres Wissens.«
»Maik hat mit der Sache nichts zu tun.«
Ya-Long leckte sich die Lippen und setzte sich aufrecht hin. »Doch, das hat er. Mehr, als Sie ahnen. Aber Sie haben recht. Im Augenblick geht es um Tom. Ob ich ihn gehasst habe? Zumindest kann ich behaupten, dass ich ihn nicht geliebt habe. Dass ich nicht das Bett mit ihm geteilt habe. Hat er Sie glücklich gemacht, Michelle? Im Bett?«
Michelle ging über die Frage hinweg. »Er wollte Sie umbringen. Ich dachte, Sie würden sich rächen wollen?«
»Erst Hass, jetzt Rache? Michelle, Sie wollten etwas von mir. Was ist es?«
»Ich will Sie warnen. Tom ist aus der forensischen Psychiatrie geflohen. Er wird Sie suchen. Er wird Sie finden, und er wird Sie töten. Ich wollte, dass Sie das wissen, das bin ich Ihnen schuldig.«
Ya-Long legte die Fingerspitzen zusammen. »Hass, Rache, Schuld. So viel Dramatik! Aber für ein echtes Drama fehlt die richtige Kulisse. Dafür ist dieser Raum ungeeignet. Wie gesagt, es gibt für jede Gelegenheit den passenden Raum.« Sie stand auf, schob die Sonnenbrille nach oben und deutete auf eine Tür. »Bitte sehr, ich zeige Ihnen das Theater, wo sich die wirklichen Dramen abspielen.«
Zögernd folgte ihr Michelle.
Im Raum nebenan zweigten weitere Räume ab. Der großräumige Keller war ein Labyrinth. Michelle schätzte, dass sogar die Kellerflächen der Häuser rings um das Restaurant genutzt wurden. Ya-Long P’ans Organisation hatte Geld und Macht, und was Michelle hier tat, war ganz und gar dämlich.
Doch nun gab es kein Zurück mehr.
Für jede Gelegenheit einen passenden Raum. Ya-Long hatte das wörtlich gemeint. Das Kellerkonstrukt, durch das sie gingen, unterlag einer bestimmten Ordnung, die sich Michelle jedoch nicht erschloss. Es schien keinen Hauptkorridor zu geben. Man hatte einfach die Mauern zwischen den Kellern durchbrochen.
Die Decken waren niedrig, die Wände bestanden aus feuchtem Sandstein. In Bodennähe war die weiße Farbe oft schwarz gesprenkelt, und an vielen Stellen mischten sich Stockflecken mit bloßem Stein. Hier unten sparte man sich das Renovieren. Ein Gefühl von Lebendig-begraben-Sein hüllte Michelle ein und fraß ihre Zuversicht bis auf die blanken Knochen.
Die meisten Zimmer, an denen sie vorbeikamen, waren geschlossen; nur ein paar standen offen. Michelle sah nicht viel, aber es reichte, um ihre Phantasie anzuregen. Eines der Zimmer war kunterbunt eingerichtet, wie in Bonbonpapier gewickelt. Der Boden war mit abwaschbaren Matten ausgelegt, in einer Ecke stand eine Popcornmaschine neben einer Schaukel und einer Rutsche. Seile baumelten von der Decke, und auf einem riesigen Bildschirm liefen Trickfilme.
Ein anderes Zimmer war dagegen deutlich spartanischer. Rostige Metallstreben an den Wänden ließen es wie einen Kerker erscheinen. Ein Holzstuhl mit dunkelbraunen Flecken stand in der Mitte, fest am Boden verschraubt. Der Geruch, der aus dem Zimmer drang, erinnerte Michelle an das Altenheim, in dem ihre Mutter die letzten Monate ihres Lebens verbracht hatte.
Ein weiteres Zimmer hätte Michelle gefallen, wenn sie nicht gewusst hätte, für was es gebucht wurde. Ein Himmelbett stand in der Mitte. An den Wänden hingen schwere Vorhänge. Von der Decke baumelte ein Kronleuchter.
Ya-Long ließ sich nicht beirren und führte sie tiefer in die Katakomben. Vorbei an einem Raum, in dem lediglich ein Holzfass stand, gegen das ein Deckel mit einem Loch in der Mitte lehnte und aus dem das Gesumme von Hunderten von Fliegen tönte, gingen sie über einen Flur in einen Saal.
Vor einer Bühne mit heruntergelassenem Theatervorhang standen zwei Reihen Stühle. Die Wände waren mit rotem Teppich verkleidet, und Kronleuchter sorgten für schummriges Licht. Es sah aus wie die Miniaturausgabe eines Staatstheaters.
»Da sind wir«, sagte Ya-Long, hörbar vergnügt. »Das Theater. Hier spielen sich die wirklich spannenden Szenen ab.«
Michelle klammerte sich an ihre Tasche. Sie traute sich nicht, den Verschluss zu öffnen, denn ein kleiner Funke Hoffnung flüsterte ihr zu, dass alles gut ausgehen würde, auch wenn es im Augenblick ganz und gar nicht danach aussah. Es lag eine Bedrohung in der Luft, die sie nicht zu fassen bekam.
Ya-Long drehte sich zu ihr. Wie ein Zauberer hielt sie plötzlich etwas in ihrer Hand, das Michelle bekannt vorkam. »Diese Räume, Michelle, sehen eigentlich nur die zahlenden Kunden.«
»Ich habe bezahlt.«