Alfred Döblin
Futuristische Worttechnik
Offener Brief an F.T. Marinetti
FISCHER E-Books
Mit dem Autorenporträt aus dem Metzler Lexikon Weltliteratur
Mit Daten zu Leben und Werk
Covergestaltung: bilekjaeger, Stuttgart
Veröffentlicht als E-Book 2013.
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2013
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Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.
ISBN 978-3-10-402288-8
Offener Brief an F. T. Marinetti
Lieber Marinetti, das erste Mal waren Sie im vergangenen Sommer bei uns, zur Ausstellung der futuristischen Bilder. Ich schrieb damals für den Sturm: »Der Futurismus ist ein großer Schritt. Er stellt einen Befreiungsakt dar. Er ist keine Richtung, sondern eine Bewegung. Besser: er ist die Bewegung des Künstlers nach vorwärts.« Die Intensität und Ursprünglichkeit, das Kühne und gänzlich Zwanglose schlug bei mir ein. Ich dachte mehrfach und sagte zu Ihnen – bei Dalbelli –: »Wenn wir in der Literatur auch so etwas hätten!« Damals schwiegen Sie. Nach einigen Monaten schwirrten die literarischen Manifeste über unsere Häuser. Das Unzulängliche war Ereignis geworden.
Es war nicht so gemeint. Ich bestreite Ihre Legitimation nicht, uns anzuregen. Sie haben Energie und Härte, Männlichkeit, die einer unter Erotismen, Hypochondrien, Schiefheiten und Quälereien berstenden Literatur mit Vergnügen auf den Pelz gehetzt werden soll. Sie haben in Ihrem »Mafarka« einem massiven, unraffinierten Empfinden öfteren ungebrochenen Ausdruck geliehen. Sie sind rhetorisch, aber Ihre Rhetorik ist keine Lüge. Es ist uns klar, Marinetti, Ihnen wie mir: wir wollen keine Verschönerung, keinen Schmuck, keinen Stil, nichts Äußerliches, sondern Härte, Kälte und Feuer, Weichheit, Transcendentales und Erschütterndes, ohne Packpapier. Die Emballage gehört den Klassikern. Plattfußeinlagen, Gipskorsette und andere Orthopädie verehren wir nebst Sonetten, Weltanschauung höheren Töchtern zum Angebinde. Was nicht direkt, nicht unmittelbar, nicht gesättigt von Sachlichkeit ist, lehnen wir gemeinsam ab; das Traditionelle Epigonäre bleibt der Hilflosigkeit reserviert. Naturalismus, Naturalismus; wir sind noch lange nicht genug Naturalisten.