Marlene Streeruwitz

Jessica, 30.

Roman.
Drei Kapitel.

Roman

FISCHER E-Books

Inhalt

Über Marlene Streeruwitz

Marlene Streeruwitz, geboren in Baden bei Wien, ist eine der wichtigsten Stimmen der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Für ihre Romane, Theaterstücke und Hörspiele ist sie mit zahlreichen Preisen geehrt worden. Sie lebt und arbeitet in Wien und Berlin.

Über dieses Buch

Jessica Somner sieht sehr gut aus. Sie ist jung und intelligent. Jessica macht alles so, wie es sich für die Generation Golf Zwei gehört. Es muss nur noch ein Job her und die Liebe, dann wird alles perfekt sein. Aber auf einmal ist nichts mehr in Ordnung. Die Freundinnen sind nicht solidarisch und der Sex mit dem Politiker ist überhaupt nicht mehr heiß. Jessicas Anpassung hat nicht gereicht. Jessica macht nicht mehr mit und entscheidet sich für Gegenstrategien. Sie bringt die Machenschaften der Mächtigen ans Licht der Öffentlichkeit, im Gegenzug privatisiert sie ihren Körper. Und die Liebe bekommt eine Chance.

Jessica kommt selbst zu Wort. In drei atemlosen Kapiteln folgen wir dem Gedankenmonolog einer junge Frau und ihrem scharfen analytischen Blick auf unsere Gesellschaft und ihre Inszenierungen. So entstand mit ›Jessica, 30.‹ ein großer Roman, in dem Marlene Streeruwitz ihre erzählerischen Mittel thematisch wie stilistisch konsequent weiterentwickelt.

Impressum

Dieser Text ist ein Werk literarischer Fiktion.

Figuren und Handlungen sind frei erfunden.

 

Covergestaltung: Hißmann & Heilmann, Hamburg

Coverabbildung: © Peter Rigaud

© S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2004

 

Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.

ISBN 978-3-10-400838-7

» ... Alles wird gut, ich muss nur die Praterhauptallee hinauf- und hinunterrennen und dann ist wieder alles gut, dann kann ich das Schokoeis von heute Nacht und das Essen von Weihnachten vergessen und dass ich nicht geschlafen habe, wegen dem Gerhard, obwohl ich das gar nicht will und es gar keinen Grund gibt, den so ernst zu nehmen, aber beim Laufen dann, dann brauche ich an nichts zu denken, und bei der Kälte vergeht einem auch noch jeder Wunsch, ich möchte nicht, eigentlich möchte ich nicht, eigentlich möchte ich gar nicht, überhaupt nicht, ich möchte in der Badewanne liegen und warmes Wasser um die Haut und nur daliegen und nicht bewegen, bewegen nur, wenn das Wasser schaukelt und warm und nicht aus dem Auto in diese Kälte hinaus und der Mann da, in dem roten Fiat, der zieht sich auch seine Joggingjacke an, der wurschtelt sich auch in seine Windstopperjacke oder nein, der zieht sie aus, der ist schon fertig, der ist schon laufen gewesen, ich werde erst in einer Stunde so dasitzen und er ist ja auch ganz rot im Gesicht, shit,

atmen und der blöde Schal, es gibt so Hauben mit angeschnittenem Schal, wie für einen Bankraub, so eine sollte ich mir besorgen, nur, wann komme ich auf die Mariahilferstraße oder besser in das Donaucenter, obwohl, da haben sie dann keine Auswahl, bei den Laufschuhen, da waren nur die Nikes für die Burschen und 3 Modelle adidas für Damen, und warum hast du dir das alles nicht in Köln gekauft, in diesem kleinen Geschäft mit den Laufsachen nur für Frauen, die Frau da, die ist mindestens 50, die wäre dir schon längst davongelaufen, aber die trainiert für Marathon, das ist ja dann doch übertrieben, so schlimm ist die Cellulitis dann auch noch nicht und die Mama hat überhaupt keine, woher habe ich das geerbt, und es geht überhaupt nicht, es geht überhaupt überhaupt nicht, diese Beine, die werden ja immer schwerer und so kenne ich das nicht, das muss die Kälte sein, ich kann die Beine nicht einmal heben, die schleifen ja hinter mir her und diese klebrige Kälte unter den Rippen, das geht nicht, das geht so nicht, das kann so nicht gehen, ich muss aufhören, Issi, das solltest du nicht weitermachen, das fühlt sich, das fühlt sich gefährlich an, ich laufe nur noch bis zum Kinderspielplatz und dann drehe ich um, das sind dann gerade vielleicht 5 Minuten und ich habe wiederum vergessen, auf die Uhr zu schauen, wann ich weggelaufen bin und werde wieder nicht wissen, ob ich wirklich 50 Minuten gelaufen bin oder doch nicht und hat es einen Sinn, mit dem

und dieser Autofahrer hätte auch warten können, jetzt habe ich eine Ausrede über die Straße zu gehen und muss dann wieder zu laufen anfangen und die ganze Mühe von vorne und es sind jetzt 17 Minuten und ich könnte auch umdrehen, ich werde sowieso langsamer und dann sind es fast 40 Minuten, aber so richtig heiß ist mir noch nicht und dann ist das Gesicht noch nicht so super entwässert und ich schaue bei der Claudia total aufgeschwemmt aus und sie fragt wieder, was mit mir los ist und schaut so, als wäre ich auf der schiefen Bahn und nicht mehr vertrauenswürdig, ich glaube, es ist ihr sehr wichtig, dass die ganze Redaktion so aussieht, wie sie, sie möchte eine richtige Tussenriege und alle sollen so sein, wie die ideale Leserin, 30, attraktiv, unabhängig und gut verdienend, aber dann müsste sie auch etwas zahlen, aber sie findet ja immer genug Mäuschen, die schon vom Mitmachen zufrieden sind, und für das Magazin, da soll keine Redakteurin gescheiter sein als die Leserinnen, und der kleinste gemeinsame Nenner ist da ohnehin nur die Vuitton-Tasche und wie die anderen das machen, das würde ich sehr gerne wissen, zahlt denen auch allen der Papa noch etwas zur Miete, die Fixen werden auch nicht so viel bekommen, aber die Tanja und die Mia sagen ja nichts darüber, wenn wir noch zusammenwohnten, dann wäre das kein Problem, und dann hätte ich mir auch den Gerhard erspart, der hätte nicht passieren können, in der Josefstädter Straße, das hätten

und es wird nicht gegangen, meine Liebe, nicht aufhören, weiterlaufen, wenigstens bis zu Autobahnbrücke wird gelaufen, dann kannst du nachher richtig zufrieden sein, und nach dem Termin bei der Claudia kannst du dir dann etwas kochen oder beim Italiener bei der Hauptpost Spaghetti essen, obwohl ein Karottensalat zu Hause, das wäre besser, und die Karotten, morgen, dann sind sie sicher nichts mehr, ich sollte vorsichtiger einkaufen, vorsichtiger, viel vorsichtiger, warum habe ich noch immer nicht gelernt, vorsichtiger zu sein, geplanter zu leben, ich falle immer nur von einem Gefühl ins andere und handle danach und es ist nicht Spontaneität, die anderen glauben das immer,