Gerhard Schulze
Krisen
Das Alarmdilemma
Fischer e-books
Gerhard Schulze, geb. 1944, studierte Soziologie zuerst in München und dann in Nürnberg, wo er auch promovierte und sich habilitierte. Seit 1978 ist er – mittlerweile emeritierter – Professor für Methoden der empirischen Sozialforschung und Wissenschaftstheorie an der Universität Bamberg. Einer großen Leserschaft ist er durch seinen Bestseller »Die Erlebnisgesellschaft« bekannt geworden. Zuletzt sind von ihm als Fischer Taschenbuch erschienen: »Die beste aller Welten« (2004) sowie »Die Sünde. Das schöne Leben und seine Feinde« (2008).
Ist das Problem der Krise das Reden über die Krise?
Kein Tag ohne Krise. Und immer geht es um alles, um den Untergang der Welt, das Ende der Menschheit. Gerhard Schulze kehrt in seinem schwungvollen und leidenschaftlichen Essay den Blick nun jedoch um: von der Krise auf das Reden über sie. Unter welchen Voraussetzungen sprechen wir von einer Krise? Welche Denkoperationen setzt das voraus? Worauf einigen wir uns, nachdem wir das Für und Wider erwogen haben? Und schließlich: Was ist überhaupt das Normale? Glänzend formuliert, öffnet seine kritische Analyse die Augen für unsere Gegenwart zwischen Expertentum, Risiko, Alarmdilemma und Dialektik der Vorsicht. Damit uns Krisen nicht überfordern, brauchen wir den Blick auf uns selbst. Eine Dosis Skepsis, zeigt Gerhard Schulze, könnte helfen
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© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2011
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ISBN 978-3-10-401057-1
Meine Darstellung des Untergangs der Titanic folgt Augenzeugenberichten, die Georg Brunold zusammengestellt hat: Nichts als die Welt. Reportagen und Augenzeugenberichte aus 2500 Jahren. Berlin 2009.
Eine der umfassendsten Studien, auf die ich mehrfach zurückkommen werde, hat Jared Diamond vorgelegt: Kollaps. Warum Gesellschaften überleben oder untergehen. Frankfurt a.M. 2005. Die von der UNO-Vollversammlung im Jahr 2000 beschlossenen Millenniumsziele lassen sich auch als Problemkatalog lesen. Heute wirken sie wie vergessen. Wilfried Bommert (Kein Brot für die Welt. Die Zukunft der Welternährung. München 2009) zeichnete ein so umfassendes wie düsteres Bild von der Zukunft der Welternährung; eine gleichzeitig erschienene Studie der Deutschen Bank bestätigte die Befunde (Claire Schaffnit-Chatterjee: Lebensmittel – eine Welt voller Spannung. Frankfurt a.M. 2009).
Gemeint ist damit die Tradition des »pyrrhonischen« Skeptizismus, den Sextus Empiricus überliefert hat: Skepsis als genaues Hinsehen und Suchen, als nie ans Ende kommende Fortsetzung der Wissensarbeit. Sie wahrt gleiche Distanz zum Dogmatismus einerseits und zum Agnostizismus andererseits. Einen Überblick bietet der Beitrag »Skeptizismus« von Jacques Brunschwig, in: Jacques Brunschwig und Geoffrey Lloyd (Hrsg.): Das Wissen der Griechen. Eine Enzyklopädie. München 2000. In ihrer charakteristischen Unruhe zwischen Zweifel und immer nur vorläufigen Überzeugungen ist Skepsis zeitlos und philosophisch fast unvermeidlich.
Niklas Luhmann: Soziologie des Risikos. Berlin/New York 1991. S.37.
Hier soll nicht von Persönlichkeitstypen, sondern von Handlungstypen die Rede sein: Je nach Beurteilung der Situation schlägt man sich mal zu den Optimisten, mal zu den Besorgten.
Den Aufsatz »Was ist Aufklärung«, aus dem das Zitat stammt, veröffentlichte Immanuel Kant 1784 in der Dezember-Nummer der Berlinischen Monatsschrift.
»Das Mündel will Vormund sein« ist der Titel eines 1969 in Frankfurt uraufgeführten Theaterstücks ohne Worte von Peter Handke. Es thematisierte das zentrale Thema der »Achtundsechziger-Bewegung«, das Aufbegehren gegen Autoritäten. Die Bewegung ist Vergangenheit, ihre Vertreter wurden selbst zu Autoritäten, das Thema blieb von zeitloser Relevanz.
Als-ob-Diskurse und Aufklärungsfiktionen im Dienst persönlicher, institutioneller, wirtschaftlicher, politischer und anderer Interessen sind der Gegenstandsbereich von Wissenssoziologie und Wissenschaftssoziologie. Das dort analysierte umfangreiche empirische Material zeigt einerseits die alltägliche Kluft von Anspruch und Wirklichkeit, es gewinnt andererseits aber seinen Sinn erst vor dem Hintergrund der Überzeugung, dass sich diese Kluft verringern ließe. Siehe hierzu etwa: Peter Weingart: Wissenschaftssoziologie. Bielefeld 2003. Peter Weingart: Die Stunde der Wahrheit? Zum Verhältnis der Wissenschaft zu Politik, Wirtschaft und Medien in der Wissensgesellschaft. Weilerswist 2001. Richard Münch: Die akademische Elite. Zur sozialen Konstruktion wissenschaftlicher Exzellenz. Frankfurt a.M. 2007.
Paul Watzlawick: Wie wirklich ist die Wirklichkeit? Wahn – Täuschung – Verstehen. München 1973. Als leicht verständliche und nach wie vor gültige Kritik der Objektivitätstümelei, die verschiedene philosophische Schulen in einer Synthese zusammenführt, empfehle ich: Karl Popper: »Zwei Seiten des Alltagsverstands: ein Plädoyer für den Realismus des Alltagsverstands und gegen die Erkenntnistheorie des Alltagsverstands«, in: Ders.: Objektive Erkenntnis. Ein evolutionärer Entwurf. Hamburg 1973. Popper schüttet das Kind nicht mit dem Bade aus: Nicht alles ist Wahn; skeptische Wahrheitssuche führt zu immer größerer »Wahrheitsähnlichkeit« von Wissen.
Im Sinne der antiken Philosophie ist Poppers Position durch und durch skeptisch (siehe oben Anmerkung 3). Nichts, so scheint es, ist so beständig wie der Grundsatz, alles Wissen nur als vorläufig zu betrachten. Karl Popper: Objektive Erkenntnis. Ein evolutionärer Entwurf. Hamburg 1973. S.11ff.
Stefan Zweig: Die Welt von gestern. Erinnerungen eines Europäers. Frankfurt a.M. 1970 (Erstausgabe 1944). Die Szene findet sich im Kapitel »Die ersten Stunden des Krieges von 1914«, S.248ff.
Jürgen Habermas: Theorie des kommunikativen Handelns. Zweiter Band. Frankfurt a.M. 1987. S.171ff.
Soziale Marktwirtschaft und der Ordoliberalismus der Freiburger Schule sind von bleibender Aktualität. Wichtige Vertreter sind Walter Eucken, Wilhelm Röpke, Walter Rüstow, Alfed Müller-Armack und Ludwig Erhard.
Was den Begriff »Risiko« betrifft, orientiere ich mich an Luhmann, der hervorkehrt, dass der Begriff des Risikos »eine Entscheidung (voraussetzt), die man, wie man voraussehen kann, nachträglich bereuen wird, wenn ein Schadensfall eintritt, den vermeiden zu können man gehofft hatte.« Sehr zu Recht grenzt Luhmann den Begriff des Risikos von dem der Gefahr ab. Eine Gefahr wird nicht einem Entscheider zurechnet, sondern als extern veranlasst gesehen. Dies ist bei vielen Krisen der Fall. Besonders richtungsweisend ist Luhmanns Vorschlag, ins Zentrum einer soziologischen Untersuchung die »Beobachtung des Beobachters« zu stellen, also nicht unmittelbar am Risiko- oder Gefahrendiskurs teilzunehmen (Beobachtung der ersten Ebene), sondern zu analysieren, wie über Risiken und Gefahren kommuniziert wird. Genau dies ist meine Perspektive in diesem Buch. Niklas Luhmann: Soziologie des Risikos. Berlin/New York 1991. S.9ff.
Sozialpsychologie: Zahlreiche Experimente dokumentieren die Abhängigkeit der Qualität unserer Urteile von Schemata, Heuristiken (Faustregeln der Informationsverarbeitung) und Reflexivität (kontrolliertes statt automatisches Denken). Ziva Kunda: Social Cognition. Making Sense of People. Cambridge 1999. Wolfgang Hell, Klaus Fiedler und Gerd Gigerenzer (Hrsg.): Kognitive Täuschungen. Fehl-Leistungen und Mechanismen des Urteilens, Denkens und Erinnerns. Heidelberg 1993. Soziologie: Der von Europa ausgehende Siegeszug der Moderne verdankt sich maßgeblich dem Denken über das Denken und der gemeinsamen Orientierung an Regeln der Wissensproduktion und Wissensänderung. David Landes: Wohlstand und Armut der Nationen. Warum die einen reich und die anderen arm sind. Berlin 1999. Geschichte: »Nationalismus erfordert zuviel Glauben an etwas, das offensichtlich in dieser Form nicht existiert« – mit anderen Worten, er kann nur entstehen, wenn die Menschen das Wie ihres Glaubens ignorieren, statt es zu problematisieren. Eric J. Hobsbawm: Nationen und Nationalismus. Mythos und Realität seit 1980. Frankfurt/New York 1991. Ein Klassiker der historischen Pathologie des Denkens ohne Meta-Ebene ist Charles Mackay: Extraordinary popular delusions and the madness of Crowds. London 1852; Neuauflage New York 1932. Philosophie: Mit den Vorsokratikern fing vor mehr als zweieinhalbtausend Jahren die Beschäftigung mit der Frage an, wie Erkenntnis überhaupt möglich sei und welche Regeln dabei gelten sollen. Dieses Thema hat seine Aktualität bis heute behalten.
Maßgebliche Theoretiker der modernen Diskursethik sind Karl-Otto Apel und Jürgen Habermas. Karl-Otto Apel: Diskurs und Verantwortung. Das Problem des Übergangs zur postkonventionellen Moral. Frankfurt a.M. 1988. Jürgen Habermas: Erläuterungen zur Diskursethik. Frankfurt a.M. 1991.
»Bauchgefühle« im Sinn von intuitivem Wissen sind in vielen Handlungskontexten dem bewussten Abwägen überlegen, in vielen aber auch nicht. Deshalb darf Intuition nicht den Rang von Argumenten in Diskursen einnehmen; man kann höchstens ihre Glaubwürdigkeit zum Gegenstand der Abwägung machen. Zur Theorie und empirischen Erforschung von Intuition siehe Gerd Gigerenzer: Bauchentscheidungen. Die Intelligenz des Unbewussten und die Macht der Intuition. München 2007.
Niklas Luhmann spricht in diesem Zusammenhang von der »Beobachtung des Beobachters« oder von »Beobachtung erster und zweiter Ordnung«. Niklas Luhmann: Soziologie des Risikos. Berlin/New York 1991. S.23ff.
Von einer »Milchkrise« redeten Medien, Politik und Bauernverbände seit der Jahresmitte 2008. Den Weltuntergang sagen viele voraus. Beispiele: Herbert Gruhl: Himmelfahrt ins Nichts. Der geplünderte Planet vor dem Ende. München 1992. Jared Diamond blickt dagegen auf Weltuntergänge zurück, auf Zusammenbrüche ganzer Kulturen: Kollaps. Warum Gesellschaften überleben oder untergehen. Frankfurt a.M. 2005. Apokalypsen sind allerdings kein Spezifikum unserer Zeit; hier eine kleine historische Anthologie: Hans Gasper und Friederike Valentin (Hrsg.): Endzeitfieber. Apokalyptiker, Untergangspropheten, Endzeitsekten. Freiburg/Basel/Wien 1997. Thomas Etzemüller: Ein ewigwährender Untergang. Der apokalyptische Bevölkerungsdiskurs im 20. Jahrhundert. Bielefeld 2007. Gerhard Henschel: Menetekel. 3000 Jahre Untergang des Abendlandes. Frankfurt a.M. 2010. Was die gegenwärtige Situation des Planeten Erde betrifft, so bietet sich ein gemischtes Bild: Einerseits hat beispielsweise die Zahl der Hungernden absolut gesehen zugenommen, relativ gesehen jedoch hat sie abgenommen. Einerseits wächst die Erdbevölkerung immer noch, andererseits verlangsamt sich ihr Wachstum. Einerseits hat etwa eine Milliarde Menschen keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser, andererseits hat sich diese Problemgruppe im Lauf von zehn Jahren fast halbiert. Der Anteil der untergewichtigen Kinder hat sich von 1990 bis 2008 von 25 % auf 16 % verringert, andererseits hat es, von Ausnahmen wie Ägypten oder China abgesehen, nur geringe Fortschritte bei der Bekämpfung der Müttersterblichkeit gegeben (Statistisches Jahrbuch 2010 der WHO). Einerseits wächst das Ozonloch über der Antarktis seit 15 Jahren nicht mehr, andererseits geht die Abholzung des Regenwaldes weiter und die Bedrohung der Biodiversität nimmt zu.
Unsere existenzerhaltende Vorsicht ist im evolutionsgeschichtlich ältesten Teil des Gehirns angesiedelt, im Reptilienhirn, aus dem erst viel später die anderen Teile des menschlichen Gehirns, limibisches System und Neocortext hervorgingen. Wie alle anderen Lebewesen verdanken wir unseren Evolutionserfolg der Angst. Paul D. MacLean: The Triune Brain in Evolution. New Work 1990. Joseph LeDoux: Das Netz der Gefühle. München 2004.
Eine detaillierte Darstellung des plötzlichen Verschwindens zahlreicher Tierarten mit dem Erscheinen des Menschen gibt Jared Diamond: Arm und Reich. Die Schicksale menschlicher Gesellschaften. Frankfurt a.M. 1997. S.56ff.
Woher die austronesischen Völker kamen, ist umstritten. Diamond vertritt die These, dass sie ihren Ursprung vom chinesischen Festland nahmen. Woher auch immer sie kamen, sie verdrängten jedenfalls kraft ihrer überlegenen Landwirtschaft und ihrer besseren nautischen Techniken ältere Bewohner der indonesischen Inseln. Ihren Erfolg verdankten sie also der damals unschlagbaren Kombination zweier Ordnungssysteme – der Ordnung des Aufenthalts und der Ordnung der Transformation. Diesen Gedanken greife ich später in diesem Kapitel mit der Unterscheidung von Normalität 1 und Normalität 2 auf. Jared Diamond: »Schnellboot nach Polynesien«. In: Arm und Reich. Die Schicksale menschlicher Gesellschaften. Frankfurt a.M. 1997. S.413ff.
Jede fundamentale Technologie »beruht auf einer neuen Idee des Herstellen-Könnens, … der Umwandlung des Gegebenen in Verwendbares«. Im Einzelnen: Am Anfang war die Technologie des Werkzeugs. Mit der Sesshaftigkeit entstehen drei Technologien, die Popitz als erste technologische Revolution zusammenfasst: Agrikultur etwa ab 8000 v.Chr., Feuerbearbeitung (Keramik und Metallurgie) ab etwa 6000 v.Chr., Städtebau ab etwa 3000 v.Chr. Die zweite technologische Revolution beginnt mit der Maschine in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, setzt sich mit der Chemie in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts fort und endet mit der Technologie der Elektrizität einschließlich der Mikroelektronik im 20. Jahrhundert. Die Geschichte der Menschheit ist Popitz zufolge kein Weg ins Chaos, sondern in eine immer komplexere Ordnung. Die Lektüre lohnt sich schon aus Gründen der Dialektik – hier haben wir eine Universalgeschichte, die ohne Apokalypse und Verurteilung der Moderne auskommt. Heinrich Popitz: Der Aufbruch zur artifiziellen Gesellschaft. Tübingen 1995.
Siehe hierzu verschiedene Beiträge in: Franz Oswald und Nicola Schüller (Hrsg.): Neue Urbanität – Das Verschmelzen von Stadt und Landschaft. Zürich 2003.
Das Titelbild des SPIEGEL 44/1986 ging in die inzwischen verfestigte Ikonographie der »Klimakatastrophe« (so die Unterschrift) ein. Es zeigte den Kölner Dom zu einem Drittel unter Wasser.
Einen Überblick über mehr als 200 Jahre Kritik der Moderne von Rousseau bis zur Wachstumskritik der Gegenwart bietet: Wolfgang Klems: Die unbewältigte Moderne. Geschichte und Kontinuität der Technikkritik. Frankfurt a.M. 1988.
Antony Giddens: Konsequenzen der Moderne. Frankfurt a.M. 1995. S.187ff.
Gunter Stent: The Coming of the Golden Age. Garden City NY 1969.
»Die Griechen sind wie verzogene Kinder.« Interview mit Kostas Euthimiou. DIE WELT 29.4.2010.
An Aufbruchstimmung mangelte es nicht; unter anderem wurden schärfere Kontrollen der Staatshaushalte erwogen, Strafen bei Überschreitung von Verschuldungslimits, Verbot ungedeckter Leerverkäufe, Insolvenzregelungen für Mitgliedsstaaten, Verschärfung der Eigenkapitalvorschriften für Banken. Skeptisch stimmt der ironische Titel, den Carmen M. Reinhart und Kenneth S. Rogoff ihrem wirtschaftshistorischen Buch über Verschuldungskrisen in 800 Jahren gegeben haben: Diesmal ist alles anders. München 2010. Immerhin entschloss sich die Europäische Union, den IWF als unabhängige Instanz mit ins Boot zu holen. Vielleicht ist die Einmaligkeit des europäischen Experiments Bedingung für die Ausnahme zu jener Regel, die Reinhart und Rogoff im Subtext feststellen: Es ist immer dasselbe.
Anfang August 2010 fand eine Konferenz von Finanzministern und Notenbankchefs der 20 größten Industriestaaten in Südkorea statt. Am Beispiel der Eigenkapitalregeln für Banken zeigte sich, dass von den markigen Ankündigungen nach Ausbruch der Finanzkrise bei den meisten Teilnehmern jetzt nicht mehr viel übrig war. Aus dem Ziel, den Finanzmarkt zu bändigen, war schon wieder das Ziel geworden, ihn bloß nicht zu sehr an die Leine zu legen; jede Nation wollte ihre eigenen Abschwächungen.
Rousseau spricht als der große Skeptiker der »artifiziellen Gesellschaft«, zu der uns Popitz unterwegs sieht (vgl. Anmerkung 5). In der Startphase von Differenzierung, Arbeitsteilung und technokratischer Verabsolutierung der instrumentellen Vernunft spricht er bereits von der »Unendlichkeit« des damit begonnen Weges und von »törichtem Erfindungsreichtum«.
Der anhaltende Trend zur Steigerung der Lebenserwartung ist nach UNO-Statistiken ein weltweites Phänomen; ausgenommen sind Nationen mit einem hohen Anteil an HIV-Infektionen.
Prognos AG: Engangementatlas Deutschland 2009. Berlin 2010.
DUDEN: Ethymologie. Herkunftswörterbuch der deutschen Sprache. Mannheim/Wien/Zürich 1989. Dietrich Stollberg: »Die Bedeutung von Lebenskrisen aus praktisch-theologischer Sicht.« In: Ulrich Schwab (Hrsg.): Erikson und die Religion. Münster 2007.
Beispielhaft: Franz M. Wuketis: Naturkatastrophe Mensch. Evolution ohne Fortschritt. Düsseldorf 1998.
Ausführlicher untersuche ich diese These in meinem Buch Die beste aller Welten. Wohin bewegt sich die Gesellschaft im 21. Jahrhundert? München 2003, Frankfurt a.M. 2004. S.140ff.
Der erste Entwurf ist eine Ich-Erzählung unter der Überschrift »Burleske«, eingebettet in Notizen während eines Aufenthalts in der Tschechoslowakei zur Zeit des Umsturzes. In vielen kleinen Schritten, von denen jeder harmlos scheint, geht der Naive den Bösen auf den Leim. Am Schluss bitten sie ihn um Streichhölzer. »Du sagst dir mit Recht, daß ein Brandstifter, ein wirklicher, besser ausgerüstet wäre, und gibst auch das, ein Heftlein mit gelben Streichhölzern, und am anderen Morgen, siehe da, bist du verkohlt und kannst dich nicht einmal über deine eigene Geschichte wundern.« Max Frisch: Tagebuch 1946 – 1949. Frankfurt a. M 1985. S.214ff.
Im geschichtlichen Rückblick stellen sich Kaltzeiten als schlimme Zeiten dar, Warmzeiten als gute. Wolfgang Behringer: Kulturgeschichte des Klimas. Von der Eiszeit bis zur globalen Erwärmung. München 2007. Josef Reichholf: Eine kurze Naturgeschichte des letzten Jahrtausends. Frankfurt a.M. 2007.
Alarm schlugen die Experten der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und der zuständigen Ministerien und Seucheninstitutionen weltweit. Andere Experten kritisierten sie heftig, so Michael Kochen, Leiter der Allgemeinmedizin in der Universitätsklinik Göttingen oder der britische Epidemiologe Tom Jefferson (Interviews vom 3.11.2009 bzw. 16.11.2009 jeweils in der WELT).
Der Erreger der Schweinegrippe ist seit 1976 bekannt; Impfkampagnen wurden damals eingestellt, weil er sich als wenig aggressiv erwies. Hinsichtlich seiner Mutationsfähigkeit unterscheidet er sich nicht von anderen Erregern. Am Ende des »Schweinegrippejahres« 2009 setzte eine massive Kritik der geplanten Impfungen in den Medien ein (etwa: Das Impfdesaster, Leitartikel in der Süddeutschen Zeitung vom 9.11.2009). Ein Jahr später zog der Seuchenexperte Ulrich Keil von der Universität Münster die Bilanz einer »gigantischen Verschwendung an Ressourcen im internationalen Gesundheitswesen«, die durch eine Neudefinition des Begriffs der Pandemie durch die WHO begünstigt wurde – es kommt nun nicht mehr auf die Gefährlichkeit des Virus an, sondern nur auf seine Ausbreitungsgeschwindigkeit (Der vergessene H1N1-Hype, WELT vom 8.7.2010).
Ein Beispiel für die Theorie der »Naturgemachtheit« jeglichen Klimawandels ist das Buch des Geologen Samuel Kroonenberg (Universität Delft): Der lange Zyklus. Die Erde in 10 000 Jahren. Darmstadt 2008.
Merton, R. K.: »The self-fulfilling prophecy«. The Antioch Review, 8, 1948. S.193–210.
William I. Thomas und Dorothy Thomas: The Child in America (Alfred Knopf, 1929, 2. Aufl., S.572). Erst Robert Merton machte den Satz berühmt.
Ein Beispiel ist das Risiko strahlungsinduzierter Brustkarzinome (Gerd Gigerenzer: Das Einmaleins der Skepsis. Berlin 2004. S.100).
Einen umfassenden Überblick gibt: Hanno Albrecht: Der Zweite Feldzug. DIE ZEIT 14.4.2008.
So in Chobe-Nationapark in Botswana, dessen Tragfähigkeit auf 4000 Elefanten geschätzt wird. Durch Schutzmaßnahmen vergrößerte sich der Bestand auf 18 000 Tiere. Stefan Rust: Elefantenjagd bedeutet Elefantenschutz. Allgemeine Zeitung (Windhoek) 30.9.2008.
Zum Klassiker wurde das inzwischen 14 Mal aufgelegte Buch von Brigitte Erler: Tödliche Hilfe. Bericht von meiner letzten Dienstreise in Sachen Entwicklungshilfe. 14. Auflage Köln 2010 (Erstauflage Freiburg 1985).
»Der Euro in seiner jetzigen Verfasstheit wird nicht mehr bleiben als die Erinnerung an einen Versuch«, schrieb etwa der prominente EU-Skeptiker Hans D. Barbier. Frankfurter Allgemeine Zeitung 4.5.2010. In diesem Sinn äußerten sich 2010 viele weitere Kommentatoren – andere aber widersprachen, und die Politik übte sich in Zweckoptimismus.
Studie unter Leitung von David Lapola von der Universität Kassel unter Beteiligung des Max-Planck-Instituts für Meteorologie in Hamburg, des UN-Umweltprogramms in Nairobi, des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) und des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung in Leipzig. Proceedings of the National Academy of Sciences (online vorab veröffentlicht 2010).
Joel C. Gaydos et al.: »Swine Influenza A Outbreak, Fort Dix, New Jersey, 1976«. In: Emerging Infectious Deseases 12, 2006, S.23–28. Tamar Lasky et al.: »Vaccines and Guillain-Barré-Syndrom«. In: Drug Safety 32, 2009, S.309–323. David N. Juurlink et al.: »Guillain-Barré-Syndrom after Influenza Vaccination in Adults. A Population Based Study«. In: Archives of Internal Medicine 2006, 166. S.2217–2221.
Dennis Meadows. Die Grenzen des Wachstums. Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit. Stuttgart 1972.
Die Bevölkerungsprognose der UNO von 2010 sagt bis zum Jahr 2050 einen Rückgang der durchschnittlichen Geburtenrate von 2,75 auf 2,05 voraus.
Badegewässerbericht der Europäischen Kommission und der Europäischen Umweltagentur 2010. Die vorgeschriebene Mindestqualität erreichten EU-weit 96 Prozent der Badegewässer an Küsten und 92 Prozent der Binnenbadegewässer.
Zhao Yayuan: Weniger Plastiktüten, mehr Stoffbeutel. China Heute 4.8.2010.
Meiner Darstellung liegt ein archäologischer Bericht zugrunde: Herculaneum victims of Vesuvius in ad 79. Alberto Incoronato et al.: Nature 410, 2001. S.769–770.
Ich verweise auf Anmerkung 3 im Kapitel »Worum es geht«.
Sir William Harvey: Exercitatio anatomica de motu cordis et sanguinis in animalibus. Frankfurt 1628. Zitiert nach: Will und Ariel Durant: Kulturgeschichte der Menschheit, Band 10: Gegenreformation und Elisabethanisches Zeitalter. Sonderausgabe Köln 1985. S.482.
Auch wenn es bisher nicht gelungen ist, den Begriff der Wahrheitsähnlichkeit zu quantifizieren, stellt er Klarheit her. Er ersetzt die plumpe, für die meisten wissenschaftlichen Kontexte ungeeignete Klassifikation von wahr oder falsch durch ein Kontinuum. Karl Popper: Logik der Forschung. Stuttgart 2005 (Erstauflage 1935). Kapitel XV: Über Wahrheitsnähe. In der Konkurrenz der Theorien geht es nicht um alles oder nichts, sondern immer nur um besser oder schlechter, wobei das Bessere nie gut genug ist. Einem Vorschlag von Alan Chalmers folgend, kann man sich danach richten, welche Theorie aktuell die wenigsten Widersprüche übrig lässt. Alan F. Chalmers: What is this thing called science? Queensland 1982, Kapitel 14.
Als der Vesuv im Jahr 63 zum ersten Mal tätig wurde, dominierte unter den Gebildeten jedoch bereits eine rationale Erklärung, die Vergil in seinem Lehrgedicht »Der Ätna« überliefert hat: Als Brennmaterial für das unterirdische Feuer galt Gestein, das durch Dämpfe unter hohen Druck geraten war, verursacht durch starke Stürme, die Luftmassen und Wasser unter die Erdoberfläche gepresst hatten.
Genau zu dieser Zeit wurde die sogenannte Himmelsscheibe von Nebra vergraben, und die Nutzung der Ringanlage von Stonehenge wurde eingestellt. Auskünfte von François Bertemes, Institut für Kunstgeschichte und Archäologie Europas der Universität Halle-Wittenberg, und von Frank Sirocko, Universität Mainz, zitiert nach der WELT vom 11.8.2010.
Indikatoren sind etwa die Häufigkeitszunahme von Mikrobeben in der Tiefe des Kraters, von Satelliten erfasste Temperaturveränderungen eines Vulkans oder seine Höhenzunahme um einige Dezimeter. Solche Anzeichen erlauben heute oft rechtzeitige Evakuierungen.
Sir William Harvey (siehe Anmerkung 3) zeichnete sich vor seinen Zeitgenossen dadurch aus, dass er strikt zwischen Fakten und Hypothesen unterschied: zwischen dem also, was er aufgrund seiner Beobachtungen sicher wusste, und dem Reim, den er sich darauf machte. Für heutige Wissenschaftler sollte dies selbstverständlich sein, in ihrer apodiktischen Überzeugtheit aber sind nicht wenige immer noch auf dem Stand von Harveys Zeitgenossen.
In unseren auf soziale Normalität und ihre Durchbrechung bezogenen Haltungen kommen biologisch tief verwurzelte »soziale Instinkte« zum Ausdruck, sie sind »Bauchentscheidungen in Aktion«: Bernd Gigerenzer: Bauchentscheidungen. Die Intelligenz des Unbewussten und die Macht der Intuition. München 2007. S.220ff. Einige der Normalitätsschemata, mit denen wir das gerade ablaufende Geschehen ununterbrochen beurteilen, sind über alle Zeiten und Kulturen hinweg gleich. Die Anthropologie bezeichnet diese Schemata als »Metakultur«; sie sind nachweisbar in der Möglichkeit des grundlegenden Verstehens wildfremder Kulturen: Dan Sperber: On Anthropological Knowledge. New York 1982. Unser Gehirn ist eine Apparatur, um der Welt Regelmäßigkeiten abzulauschen und uns darauf einzustellen – das ist für mich als Soziologen die Quintessenz der Neurophysiologie: Gerhard Roth: Fühlen, Denken, Handeln. Wie das Gehirn unser Verhalten steuert. Frankfurt a.M. 2001. Sprache fasst Wiederholungen in Worte, und Sprache selbst ist Wiederholung: Steven Pinker: Der Sprachinstinkt. München 1996.
Dieses (hier nur angedeutete) Normalitätsmodell bildet beispielsweise den Hintergrund des Buchs des Wirtschaftsnobelpreisträgers Paul Krugman: Die neue Weltwirtschaftskrise. Frankfurt a.M. 2009. Es ist aber allgegenwärtig; es begegnet dem Leser etwa auch in Süddeutscher Zeitung, WELT, Frankfurter Allgemeiner Zeitung sowie Financial Times.
Die Alternativen zum ökonomischen Mainstream gehen unterschiedlich weit, alle aber distanzieren sich von ihm, indem sie gewissermaßen zurückgehen: Derrick Jensen: Endgame. Zivilisation als Problem. München 2008. Ders.: Das Öko-Manifest. Wie nur 50 Menschen das System zu Fall und unsere Welt retten können. München 2009. Wolfgang Uchatius: Wir könnten auch anders. Dossier. DIE ZEIT. 20.5.2009. Meinhard Miegel: Exit. Wohlstand ohne Wachstum. Berlin 2009. Hans Christoph Binswanger: Vorwärts zur Mäßigung. Perspektiven einer nachhaltigen Wirtschaft. Hamburg 2009. Friedrich Hinterberger, Harald Hutterer, Ines Omann, Elisabeth Freytag (Hrsg.): Welches Wachstum ist nachhaltig? Ein Argumentarium. Wien 2009. Elmar Altvater: Der große Krach oder die Jahrhundertkrise von Finanzen und Natur. Münster 2010.
In Nature 249, 1974. S.810–812.
»Wer von den Älteren sich daran zurückerinnert, der schüttelt wohl den Kopf darüber, mit ein bißchen Rührung, denn es gehört ja zur eigenen Kindheit und Jugend … Aber der Rausch war wirklich … Sedan war für die Deutschen mehr als eine gewonnene Schlacht. Es war der Gründungsmythos einer neuen Nationalreligion … Die Deutschen … komponierten Schlachten, so wie sie früher Sinfonien komponiert hatten. Sie vergaßen darüber ihren Clausewitz, den andere studierten.« Sebastian Haffner: Historische Variationen. München 2001. S.76ff.
»Und dann, was wussten 1914, nach fast einem halben Jahrhundert des Friedens, die großen Massen vom Kriege? Sie kannten ihn nicht, sie hatten kaum je an ihn gedacht. Er war eine Legende, und gerade die Ferne hatte ihn heroisch und romantisch gemacht … Die jungen Menschen hatten sogar ehrliche Angst, sie könnten das Wundervoll-Erregende in ihrem Leben versäumen; deshalb drängten sie ungestüm zu den Fahnen, deshalb jubelten und sangen sie in den Zügen, die sie zur Schlachtbank führten …« Stefan Zweig: Die Welt von gestern. Erinnerungen eines Europäers. Frankfurt a.M. 1970 (Erstausgabe 1944). S.261 f.
Siehe hierzu die Gesamtdarstellung »Das ›Dritte Reich‹ im Zweiten Weltkrieg« von Hans-Ulrich Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte. 1914–1949. München 2003. S.842ff.
Für beide Dimensionen hält die Philosophie eine Reihe von Termini bereit. Die Ausdrücke »Wahrheit« und »Wünschbarkeit« entsprechen meiner Interpretation nach dem alltagssprachlichen Verständnis am besten. Wie bereits an anderer Stelle ausgeführt (Anmerkung 4 im vorangegangenen Kapitel »Relativitätstheorie der Krise«), meine ich mit »Wahrheit« keine dichotome Kategorie (wahr oder falsch), sondern ein Kontinuum im Sinne Karl Poppers: relative Wahrheitsähnlichkeit im Vergleich empirischer Theorien. Anstelle des Ausdrucks »Wünschbarkeit« wird in der Diskurstheorie oft der Ausdruck »normative Richtigkeit« verwendet (etwa bei Jürgen Habermas: Theorie des kommunikativen Handelns, Band II, Frankfurt a.M. 1987. S.97ff). Weil in der Umgangssprache das Wort »richtig« oft auch die logische oder empirische Dimension der Wahrheit meint, ziehe ich »Wünschbarkeit« vor.
Zwei Beispiele: Eiszeitvorhersagen in den 1970er Jahren und die Vorhersage des Waldsterbens in den 1980er Jahren.
Dass sich »Sollensaussagen« (über das Wünschbare) nicht aus »Seinsaussagen« (Behauptungen über das empirisch Wahre) ableiten lassen, hat sich als »Humes Gesetz« in der Philosophie etabliert; der Verstoß gegen dieses Prinzip wird »naturalistischer Fehlschluss« genannt. Nirgendwo ist dieser Verstoß häufiger anzutreffen als in Krisendiskursen, auch heute noch, mehr als zweieinhalb Jahrhunderte nach dem Erscheinen von Humes Treatise of Human Nature.
Hinsichtlich der »goldenen Regel« stimmen alle großen Religionen überein. Immanuel Kant hat sie auf die Formel seines »kategorischen Imperativs« gebracht.
Eine solche Einigung ist uns gewissermaßen in die Wiege gelegt, sie ergibt sich aus der Situationslogik der Kommunikation schlechthin. Man kann beispielsweise nicht verlangen, dass einem der andere zuhört, wenn man selbst nicht dazu bereit ist. Vertreter dieser »transzendentalpragmatischen« Position sind Karl-Otto Apel und Jürgen Habermas. Eine kritische Gesamtdarstellung findet sich in: Vittorio Hösle: Die Krise der Gegenwart und die Verantwortung der Philosophie. Transzendentalpragmatik, Letztbegründung, Ethik, 3. Aufl. München 1997.
Neuerdings hat der US-amerikanische Anthropologe und Verhaltensforscher Michael Tomasello dies eindrucksvoll empirisch nachgewiesen (Beispiele aus der Alltagskommunikation, Studien zum Spracherwerb von Säuglingen, Primatenforschung, Gattungsgeschichte der Menschheit): Es gibt eine »psychologische Infrastruktur geteilter Intentionalität«, auf die Menschen zurückgreifen, um sich untereinander abzustimmen und gemeinsam zu handeln, vor allem auch kommunikativ, zum Beispiel in Krisendiskursen. Michael Tomasello: Die Ursprünge menschlicher Kommunikation. Frankfurt a.M. 2009.
Im Kapitel »Kausalität. Zwischen Wissen und Lotterie« gehe ich darauf detaillierter ein (siehe dort Anmerkung 6).
Salomon Kroonenberg: Der lange Zyklus. Die Erde in 10 000 Jahren. Darmstadt 2008.
Für den Wirtschaftshistoriker Niall Ferguson beginnt die große Zeit des westlichen Normalitätsmodells der Ökonomie Ende des 15. Jahrhunderts. Niall Fergusson: Der Aufstieg des Geldes. Die Währung der Geschichte. Berlin 2009. Ferner: »Bald lässt sich China nichts mehr sagen.« DIE WELT 31.7.2010.
Ich bezeichne diese Ordnungen auch als »Normalität 1« und »Normalität 2« (siehe hierzu weiter oben das Kapitel »Wir Krisenwesen«). Ausführlicher gehe ich im nächsten Kapitel (»Im Kabinett der Normalitätsmodelle«) auf beide Ordnungen ein.
Die US-amerikanische Genetikerin Carol Greider bekam 2009 den Nobelpreis für ihre Arbeiten zum Enzym Telomerase. Mit seiner Hilfe lassen sich die für die Alterung entscheidenden Telomere verlängern – und damit auch das Leben, dessen natürliche Grenze sie erst bei etwa 120 bis 150 Jahren erreicht sieht. Interview mit Carol Greider, DIE WELT 6.3.2010
Platon ist gar nicht so weit von unserem Alltagsdenken entfernt. Wenn ein Begriff wie der des Systems in Umlauf ist, dann neigen wir zu der Annahme, das, was er bezeichnet, sei irgendwo gegeben. Platon nimmt ein metaphysisches Gegebensein an, eine immer schon unabhängig von den Menschen vorhandene »Idee«. Dagegen steht die konstruktivistische Auffassung: Begriffe sind selbstgebaute Wahrnehmungsinstrumente, die uns die Welt hoffentlich besser sehen lassen.
In etwa entspricht dieser Systembegriff der Explikation von Wolfgang Detel: Grundkurs Philosophie, Band 2: Metaphysik und Naturphilosophie. Stuttgart 2007. S.109.
Ein Anwendungsfall für das »eherne Gesetz der Oligarchie« ist etwa die Geschichte der Partei »Die Grünen« in Deutschland. Robert Michels: Zur Soziologie des Parteiwesens in der modernen Demokratie. Untersuchungen über die oligarchischen Tendenzen des Gruppenlebens. Erstausgabe Leipzig 1911. 4. Auflage Stuttgart 1989.
Georges Didi-Huberman: Die Erfindung der Hysterie. Die photographische Klinik von Jean-Martin Charcot. Paderborn 1997.
René Descartes: Abhandlung über die richtige Methode des Vernunftgebrauchs. Erstmals publiziert in Holland 1637.
Siegfried Giedion: Die Herrschaft der Mechanisierung. Ein Beitrag zur anonymen Geschichte. Hamburg 1994 (Erstauflage 1948).
Jürgen Habermas: Theorie des kommunikativen Handelns. Band 2. Franfurt a.M. 1987. Ders.: Der philosophische Diskurs der Moderne. Frankfurt a. M 1988. S.342ff.
Niklas Luhmann, Liebe als Passion. Zur Codierung von Intimität. Frankfurt a.M. 1982.
Ludwig Marcuse: Mein zwanzigstes Jahrhundert. Auf dem Weg zu einer Autobiographie. Zürich 1974.
Pressemitteilung des Statistischen Bundesamtes im Jahr 2010.
Zu diesem Kategorienfehler siehe das Kapitel »Die zwei Seiten des Normalen«, dort insbesondere Anmerkung 10. Der Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph E. Stiglitz ist wohl der prominenteste derjenigen Ökonomen, die sich dagegen wehren, ein etabliertes Entwicklungsmodell ohne viel Federlesens zum Maßstab für alle zu erheben: Die Chancen der Globalisierung. Berlin 2006. Ders.: Die Schatten der Globalisierung. Berlin 2002.
Siehe als Versuch hierzu: Gerhard Schulze: Die beste aller Welten. Wohin bewegt sich die Gesellschaft im 21. Jahrhundert? München 2003.
Herbert Obinger: »Die Politische Ökonomie des Wirtschaftswachstums.« In: Herbert Obinger, Uwe Wagschal und Bernhard Kittel (Hrsg.) Politische Ökonomie. Opladen 2003. S.113ff.
Bekanntlich bezieht sich dieser Begriff von Joseph Schumpeter ursprünglich auf die Innovationstätigkeit von Unternehmern.
Konrad Lorenz: Die acht Todsünden der zivilisierten Menschheit. München 1973.
Belegt ist seine Mitarbeit an einer rassenkundlichen »Studie« mit dem Ziel, die im »Reichsgau Wartheland« lebenden Menschen auf ihre »erbbiologische« Eignung hin zu untersuchen, weiterhin in ihrer Heimat verbleiben zu dürfen. Ortsansässige, die aufgrund einer psychologischen Begutachtung als »asozial« oder »erbbiologisch minderwertig« galten, sollten hingegen in Konzentrationslager überführt werden. Lorenz nahm an dieser »Studie«, deren praktische Umsetzung bereits seit 1940 in Gang war, ehrenamtlich teil. Ute Deichmann: Biologen unter Hitler. Vertreibung, Karrieren, Forschung. Frankfurt a.M. 1992. S.250.
Siehe hierzu: Christel Hasselmann: Hans Küngs Projekt Weltethos interkulturell gelesen. Nordhausen 2005.
Siehe hierzu das Kapitel »Wir Krisenwesen«.
Jared Diamond: Kollaps. Warum Gesellschaften überleben oder untergehen. Frankfurt a.M. 2005. S.15.
Die acht schon bisher aufgetretenen Umweltprobleme sind: Entwaldung und andere Formen der Lebensraumszerstörung, Bodenprobleme (Erosion, Versalzung, nachlassende Fruchtbarkeit), Probleme der Wasserbewirtschaftung, Überjagung, Überfischung, Auswirkungen eingeschleppter Tiere und Pflanzen auf einheimische Arten, Bevölkerungswachstum, wachsendes Anspruchsniveau. In unserer Zeit sind laut Diamond vier neue Umweltprobleme dazugekommen: Klimawandel, Anhäufung von Umweltgiften, Energieknappheit und die Übernutzung der weltweiten Photosynthesekapazität durch den Menschen. Jared Diamond: a.a.O.. S.19–20.
Jared Diamond: a.a.O.. S.24–30.
Siehe hierzu den Abschnitt »Selbstzerstörende Prophezeiung. Der paradoxe Idealfall« im Kapitel »Warnen und Beschwichtigen. Zur Dialektik der Vorsicht«. Nach dem Erscheinen von Dennis L. Meadows Buch Die Grenzen des Wachstums kam es zu einem Lernprozess, und zwar aus dem Geist der Moderne heraus und nicht etwa gegen ihn. Wir haben nicht einfach weitergemacht, sondern die Idee der Steigerung auf die Bekämpfung der Probleme angewendet, die durch ebendiese Idee verursacht worden waren. Die durchaus richtige Analyse der Probleme verstellt bei vielen verdienstvollen Autoren, nicht nur bei Diamond, den Blick für das Problemlösungspotential der Moderne, auf das diese Autoren, wenn ich sie recht verstehe, im Grunde nicht verzichten können.
Eine ausführliche Untersuchung der Steigerungslogik habe ich vorgenommen in meinem Buch Die beste aller Welten. Wohin bewegt sich die Gesellschaft im 21. Jahrhundert. München 2003.
Joseph Stiglitz: Die Schatten der Globalisierung. Berlin 2002.
Walter Krämer und Götz Trenkler: Lexikon der populären Irrtümer. Stichwort »Cholesterin«. München/Zürich 1998. Gerd Gigerenzer: Das Einmaleins der Skepsis. Über den richtigen Umgang mit Zahlen und Risiken. Berlin 2004.
Homepage des Statistischen Bundesamt der Bundesrepublik Deutschland: www.destatis.de. Stichwort: Lebenserwartung in Deutschland. Stand: August 2010. (Zeitreihen zur Veränderung der Lebenserwartung verschiedener Altersgruppen seit 2003)
Es ist die Hoffnung der Sozialforschung, dass der Durchschnitt aller Fehler null sei, wie bei einer Serie von Messungen mit Hilfe einer mechanischen Waage, die Rost angesetzt hat und mal zuviel, mal zuwenig anzeigt. Diese Hoffnung ist allerdings selten gerechtfertigt, auch im gewählten Beispiel. In einer Diktatur etwa tritt der Fehler nur bei den Oppositionellen auf, und immer nur in derselben Richtung: Vorspiegelung von Zufriedenheit.
Unter der Ausschöpfungsquote ist das Verhältnis der realisierten Kontakte zu den geplanten Kontakten abzüglich der stichprobenneutralen Ausfälle zu verstehen.
Systematische Fehler entstehen immer dann, wenn Stichprobenausfälle mit den Forschungsinteressen zusammenhängen. Beispielsweise werden sich in einer Diktatur vor allem diejenigen der Befragung zu entziehen versuchen, die oppositionell eingestellt sind – prompt wird der Anteil der Systemkonformen überschätzt. Den systematischen Fehlern stehen die Zufallsfehler gegenüber. Wegen der erheblichen Stichprobenausfälle haben systematische Fehler so gut wie immer viel größeres Gewicht als Zufallsfehler.
Michael Martens: »Getrickst, nicht gefälscht«. Frankfurter Allgemeine Zeitung 30.6.2010.
Die Darstellung beruht auf François Gayot de Pitavals Sammlung Causes célèbres et intéressantes, avec les jugements qui les ont décidées von 1743, der sich seinerseits auf Berichte von Jeanne des Anges und Akten stützt. Von der Episode erzählen Romane von Willibald Alexis, Eyvind Johnson und Aldous Huxley, ein Film von Ken Russel und eine Oper von Krzysztof Penderecki.
Katechismus der katholischen Kirche, 1997, 4. Kapitel, Artikel 8, Nr. 1673.
Volker Faust: Psychosoziale Gesundheit von Angst bis Zwang. www.psychosoziale-gesundheit.net.
Hoimar von Ditfurth: Innenansichten eines Artgenossen. Meine Bilanz. Düsseldorf 1989. S.290ff.
Beispielhaft: Edward Luttwak: Turbokapitalismus. Gewinner und Verlierer der Globalisierung. Wien 1999.
Ein Beispiel für die Wirksamkeit immer wieder anderer einzigartiger Umstände ist die Subprime-Krise in den USA im Jahr 2007. Sie beruhte auf Bedingungen, die so noch nie vorgekommen waren: auf dem schier unbegrenzten Zufluss ausländischen (chinesischen) Kapitals und der unter den maßgeblichen Akteuren verbreiteten, reichlich abenteuerlichen Ansicht, es sei völlig natürlich, dass andere Länder den USA Geld liehen. Der Satz, die Leistungsbilanz sei ein »bedeutungsloses Konzept«, wirkt wie ein Satz aus einem Stück von Bertolt Brecht. Er stammt aber von dem damaligen US-Finanzminister Paul O’Neill; ähnlich äußerte sich US-Notenbankpräsident Alan Greenspan. Carmen M. Reinhart und Kenneth S. Rogoff: Dieses Mal ist alles anders. Acht Jahrhunderte Finanzkrisen. München 2010. S.297ff.
Nachhaltig hat Immanuel Kant diese Auffassung in seiner 1781 erschienenen Kritik der reinen Vernunft in der Philosophie etabliert. Woher aber kommt das Apriori der Kausalität? Eine überzeugende Antwort gibt die evolutionäre Erkenntnistheorie: Es hat sich (neben anderen Aprioris) in der Gattungsgeschichte als überlebensrelevante Erkenntnisdisposition herausgebildet. Eine der beste Arbeiten hierzu hat Rupert Riedl vorgelegt: Die Spaltung des Weltbildes. Biologische Grundlagen des Erklärens und Verstehens. Berlin/Hamburg 1985.
Das Problem der »Drittvariablen« lässt sich durch experimentelle Versuchsanordnungen weitgehend reduzieren, allerdings können wir die weitaus meisten Kausalfragen im Zusammenhang mit Krisen nicht mit experimentellen Methoden beantworten. Um von beobachtbaren Korrelationen zu Kausalmodellen zu gelangen, sind wir auf plausible Vermutungen angewiesen, ob es sich um das Klima, die Wirtschaft, die politische Kultur oder um Lebenswelten handelt.
Eine minutiöse Rekonstruktion des Wechselspiels von persönlichen Beziehungen und Krisendynamik findet sich in: DER SPIEGEL 11/2009.
Jared Diamond: Arm und Reich, a.a.O. Der Anwendungsfall ist bei Diamond die Domestizierbarkeit von Wildtieren: Jedes nicht domestizierbare Tier ist aus einem anderen Grund nicht domestizierbar.
John Mackie: »Causes and Conditionals«. American Philosophical Quarterly, Band 2, 1965. S.245–264.
Insbesondere seine Aussagen über den künftigen Klimawandel versieht der IPCC-Report Climate Change 2007CO im Vergleich zu natürlichen Quellen nicht exakt bestimmbar, auch wenn mit % Sicherheit feststehe, dass der Großteil der aktuellen Erwärmung durch den Menschen verursacht worden sei. Genau dies und vieles andere mehr zweifeln Klimaskeptiker an. Weitere Unsicherheiten bestehen bei der Beurteilung vergangener, vor allem aber auch künftiger Wirkungen des Klimawandels; einige angenommene Folgen hält der Bericht zu lediglich % für wahrscheinlich. Die Quantifizierung von Unsicherheit ist allerdings ihrerseits unsicher. Kritisch kommentiert etwa Gerd Gigerenzer in einem allgemeineren Zusammenhang die Aussagekraft sogenannter Einzelfallwahrscheinlichkeiten: Berlin .