Für die Handwerker, die Geschichte lebendig werden lassen – ob Vase oder Schwert, Trinkhorn oder Rüstung, einfaches Küchenmesser oder teures Geschmeide.
Die Serie «Der Lange Krieg» spielt historisch gesehen zu Beginn der sogenannten Klassischen Ära, die in den Geschichtsbüchern oft mit der Schlacht von Marathon (490 v. Chr.) einsetzt. Einige, wenn nicht gar die meisten der berühmten Helden jener Epoche tauchen als Figuren in der Serie «Der Lange Krieg» auf – und das ist kein Zufall. Athen zur Zeit der Perserkriege ist in vielerlei Hinsicht genauso mystisch wie Tolkiens Gondor, und allein eine vorläufige Auflistung der Künstler, Dichter und Krieger dieser Epoche liest sich wie ein Who’s Who der westlichen Zivilisation. Der Autor führt die Figuren in den Romanen auch nicht zufällig zusammen – waren doch jene Leute fast ausnahmslos Aristokraten, Männer (und Frauen), die einander sehr wohl kannten und die sowohl Gegner als auch Freunde in der Not gewesen sein könnten. Bei den mit einem * gekennzeichneten Namen handelt es sich um historische Personen – auch der Held Arimnestos ist belegt –, und für den Leser oder Geschichtsinteressierten bieten die Einträge bei Wikipedia oder bei der Web-Edition der Encyclopædia Britannica einen Überblick über ihr Leben und Wirken. Wer es als Leser genauer wissen möchte, dem empfehle ich die Lektüre von Plutarch und Herodot – beiden antiken Autoren verdanke ich viel.
Womöglich war es sogar Arimnestos von Platäa, der Herodot von den Ereignissen der Perserkriege berichtete. Dem aufmerksamen Leser wird nicht entgehen, dass Herodot – ein Schreiber aus Halikarnassos – mehrmals in Erscheinung tritt …
Agios – Krieger und Steuermann des Miltiades.
Aischylos – 525 bis 456 v. Chr.; Dichter der griechischen Tragödie; stammt aus einem Adelsgeschlecht; nahm an der Schlacht von Marathon teil.
Ajax – ein Krieger, der erst spät zu den Griechen stößt.
Aleitos – ein angesehener Mann aus Attika; Vater der Euphoria.
Alkaios von Milet – Sprecher der neuen Siedler in Böotien.
Alkaios von Lesbos – ca. 630 bis ca. 580 v. Chr.; griechischer Lyriker, gehörte neben Sappho zu den wichtigsten Vertretern der äolisch-lyrischen Dichtkunst.
Antigonos – Aristokrat; späterer Ehemann der Penelope.
Apollonasia – ein Sklavenmädchen; Gefährtin des Arimnestos.
Archilogos – ein Epheser, Sohn des Dichters Hipponax; ein typischer ionischer Aristokrat, der die persische Kultur ebenso wie die griechische Kultur liebte. Er dient seiner Stadt und legt sich nicht fest, wenn es um die Sache «Griechenlands» geht; darüber hinaus findet er die Herrschaft des Großkönigs gerechter und «demokratischer» als die Herrschaft eines griechischen Tyrannen.
*Arimnestos – Sohn des Chalkeotechnes und der Euthalia.
*Aristagoras – Sohn des Molpagoras, Schwiegersohn und Vetter des Histiaios. Aristagoras führte Milet, während Histiaios Gefangener des Großkönigs Dareios I. in Susa war. Offenbar hat Aristagoras den Ionischen Aufstand geplant – und scheint dies später bereut zu haben.
*Aristeides von Athen – Sohn des Lysimachos, lebte ca. 550 bis 467 v. Chr.; einflussreicher athenischer Staatsmann, erhielt später den Beinamen «der Gerechte». Vielleicht am bekanntesten als militärischer Strategos (vgl. unten) in der Schlacht von Marathon. Stand für gewöhnlich aufseiten der aristokratischen Partei.
*Artaphernes – Bruder des Großkönigs Dareios I. von Persien und Satrap von Sardis. Ein persischer Statthalter des Achämenidenreichs (persischen Großreichs) mit weitreichenden Verbindungen.
Bion – Name eines Sklaven, mit der Bedeutung «Leben». Der treueste Gefolgsmann der Korvax-Familie.
Briseis – Tochter des Hipponax, Schwester des Archilogos.
Datis – Feldherr der Perser; Neffe des Großkönigs Dareios.
*Dareios I. – lat. Darius (549 bis 486 v. Chr.; oft Dareios der Große), Großkönig des persischen Achämenidenreichs; Bruder des Artaphernes.
Draco – Stellmacher und Wagenbauer aus Platäa.
*Dionysios von Phokaia – Pirat; Befehlshaber der Flotte während des Ionischen Aufstands vor Lade.
Empedokles – Priester des Hephaistos aus Theben; weiht die Essen im Namen des Gottes des Feuers und der Schmieden.
Epaphroditos – Krieger, Aristokrat von Lesbos.
Epiktetos – der Ältere und der Jüngere; Nachbarn von Arimnestos.
*Eualkidas – ein Held. Eualkidas steht stellvertretend für die Aristokraten jener Epoche – für jene professionellen Krieger, Abenteurer oder je nach Gelegenheit auch Piraten oder Kaufleute. Stammt aus Euböa.
Euphoria – spätere Frau von Arimnestos.
Euthalia – Mater; Arimnestos’ Mutter.
Galas – ein Steuermann unter Arimnestos.
Harpagos – Vetter des Stephanos von Chios; Steuermann.
*Heraklit (Herakleitos) von Ephesos – ca. 520 bis 460 v. Chr. (bzw. ca. 535 bis 475 v. Chr.); einer der bedeutendsten vorsokratischen Philosophen aus dem ionischen Ephesos. Heraklit stammt aus vornehmer, aristokratischer Familie; er zog die Philosophie der politischen Macht vor; bekannt für seine Aussagen über die Zeit, vgl. die sog. «Flussfragmente», etwa: «Man kann nicht zweimal in denselben Fluss steigen» (zusammengestellt u.a. in Die Fragmente der Vorsokratiker). Seine Auffassung, der Streit/Krieg sei das Urprinzip bzw. der «Vater aller Dinge», sowie andere Sentenzen, die im Verlauf der Romane erwähnt werden, fanden großen Anklang bei Nietzsche. Sein Werk, heute fast vollständig verloren, wird erschlossen aus der fragmentarischen Überlieferung antiker (z.B. byzantinischer) Autoren; Heraklits Philosophie hatte großen Einfluss auf die späteren Stoiker.
Herakleides – ein Äoler, ein Grieche aus Kleinasien (Asia Minor); zusammen mit seinen Brüdern Nestor und Orestes wird Herakleides Gefolgsmann – also Krieger – in Diensten des Arimnestos. Schaut man auf die Anfänge der griechischen Demokratie, erkennt man die Parallelen zu den modernen Regierungsformen – aber zu der Zeit, mit der sich dieser Roman beschäftigt, war die Demokratie unserer heutigen Auffassung längst noch nicht etabliert. Die meisten Armeen bestanden aus quasi feudalen Kriegerscharen, die einem Aristokraten gehorchten.
Heraklides – Aristeides’ Steuermann, ein Athener aus einer der unteren Schichten, der sich im Krieg einen Namen gemacht hat.
Hermogenes – Sohn des Bion, Arimnestos’ Sklave, später sein Gefährte.
*Hesiod – geb. vor 700 v. Chr.; griechischer Dichter aus Böotien. Hesiods Lehrgedichte Werke und Tage und Theogonie fanden Verbreitung im 6. Jahrhundert und sind bis in die Gegenwart lebendig geblieben. Hesiods Lehrgedichte vermitteln seine umfassende Kenntnis bäuerlichen Lebens und bäuerlicher Tätigkeiten.
*Hippias – letzter Tyrann Athens (vgl. Peisistratiden-Tyrannis); gestürzt um 510 v. Chr.; Hippias floh ins Exil und regierte später unter persischer Herrschaft (Dareios I.).
*Hipponax – ca. 540 bis 498 v. Chr.; griechischer Dichter und Satiriker aus Ephesos; Hipponax gilt als Wegbereiter der epischen Parodie. Auf ihn geht vermutlich die Sentenz zurück: «Es gibt nur zwei Tage, an denen du Freude an deiner Frau hast, am Hochzeitstag und an ihrem Begräbnis.»
*Histiaios – Tyrann von Milet und zunächst Verbündeter des Großkönigs Dareios I.; vermutlich Initiator des Ionischen Aufstands. Bruder des Helden Istes.
*Homer – berühmter Dichter, Lebensdaten vermutlich zweite Hälfte 8. Jahrhundert und/oder erste Hälfte 7. Jahrhundert v. Chr. (somit Zeitgenosse Hesiods), es ist ungewiss, ob es Homer überhaupt gab (vgl. Homerische Frage; womöglich schrieben mehrere Dichter unter dem Namen «Homer»); Homers Name wird mit den klassischen Epen Ilias und Odyssee in einem Atemzug genannt: Beide Epen bilden die Grundlagen der Vorstellung von Heldentum und aristokratischem Kodex innerhalb der griechischen Gesellschaft – und das gilt, so könnte man sagen, bis auf den heutigen Tag.
Idomeneus – ein Gefährte von Arimnestos, Priester und Hüter des Schreins.
Istes – Krieger und Held aus Milet; Bruder des Histiaios.
Kalchas – ein ehemaliger Krieger; früher Aufseher und Priester am Grabmal des Leitos, eines böotischen Anführers des griechischen Heeres vor Troja.
*Kallimachos von Aphidnai – Polemarch von Athen, nahm an der Schlacht von Marathon teil.
Kleitos – einflussreicher Athener; Mitglied der Alkmaioniden.
Kleon – Gefährte von Arimnestos.
Kylix – ein Junge, Sklave des Hipponax.
Kyros – ein persischer Krieger.
Leontus – einer der Strategoi aus Athen.
Lykon – ein junger Mann aus Attika; Freund des Antigonos.
Melaina – junge Frau von Chios; Schwester des Stephanos.
*Miltiades – der Jüngere (ca. 550 bis 489 v. Chr.); Feldherr und Politiker, Tyrann der sog. thrakischen Chersones; Miltiades nahm 514/513 v. Chr. am Feldzug des persischen Großkönigs Dareios I. gegen die Skythen Teil; sein Sohn Kimon stieg in der athenischen Politik zu einem führenden Politiker auf. Miltiades kehrte nach dem Ionischen Aufstand zurück nach Athen; hatte großen Anteil beim Sieg über die Perser in der Schlacht von Marathon (er war laut Herodot «Strategos»); Miltiades scheint eine schillernde Persönlichkeit gewesen zu sein, so war er u.a. Pirat und Kriegsherr, gilt darüber hinaus aber auch als Unterstützer der athenischen Demokratie.
Myron – Archon von Platäa.
Nearchos – Schützling des Arimnestos auf Kreta.
Paramanos – ein Nubier; Steuermann an Bord von Arimnestos’ Trireme.
Penelope – oder Pen; Schwester des Arimnestos.
*Pheidippides – ein athenischer Bote (wie ihn Herodot erwähnt); er soll vor der Schlacht von Marathon in Sparta um Hilfe gebeten haben. Später wurde überliefert (bei Plutarch u.a.), dieser Bote sei nach der Schlacht bis nach Athen gelaufen und habe sterbend auf der Agora den Sieg übermittelt (Vorbild für den Marathonlauf).
Philokrates – der «Gotteslästerer»; später Gefährte des Arimnestos.
*Phrynichos – griechischer Tragiker aus Athen (gest. um 470 v. Chr.), gilt als Vorläufer des Aischylos; schrieb u.a. die Tragödie «Die Einnahme von Milet», die Gegenstand dieses Romans ist.
*Sappho – griechische Dichterin von der Insel Lesbos, geboren um 630 v. Chr.; Sappho starb um 570 v. Chr.; entstammte einem mytilenischen Adelsgeschlecht; ihr Vater war vermutlich Herr von Eresos. Sie gilt gemeinhin als berühmteste Dichterin des antiken Griechenlands.
Simon – Vetter des Arimnestos, Sohn des Simonalkes, des Oberhaupts eines Zweiges der platäischen Korvax-Sippe.
*Simonides von Keos – ca. 557/56 bis 468/67 v. Chr.; ein weiterer berühmter griechischer Dichter; entstammte einer aristokratischen Familie; Onkel des Chorlyrikers Bakchylides, der nicht weniger berühmt war; Simonides erlangte vermutlich seiner Epigramme wegen früh Berühmtheit. Eines davon, das sogenannte Thermopylen-Epigramm, lautet:
Ὦ ξεῖν᾿, ἀγγέλλειν Λακεδαιμονίοις ὅτι τῇδε
κείμεθα τοῖς κείνων ῥήμασι πειθόμενοι
«Fremder, melde den Lakedämoniern, dass wir hier liegen, den Worten jener gehorchend.»
Bekannter ist Schillers Übertragung: «Wanderer, kommst du nach Sparta, verkündige dorten, du habest uns hier liegen gesehn, wie das Gesetz es befahl.»
Sophanes – junger Mann aus Athen.
Stephanos – Arimnestos’ Freund von Chios.
Styges – Schützling des Idomeneus; später Lehrling in der Schmiede.
Teukros – Bogenschütze aus Milet; Gefährte von Arimnestos.
*Thales von Milet – ca. 624/23 bis ca. 548/44 v. Chr.; vorsokratischer Naturphilosoph, Geometer und Astronom, dessen Schriften noch in Arimnestos’ Zeit zugänglich waren. Thales bediente sich der Geometrie, um Probleme zu lösen, so z.B. die Frage nach der Höhenberechnung der Pyramiden in Ägypten oder die Frage, wie weit ein Schiff von der Küste entfernt ist. Thales unternahm wenigstens eine Reise nach Ägypten. Er gilt heute als der Begründer der westlichen Mathematik (vgl. «Satz des Thales»).
*Themistokles – (524 bis 459 v. Chr.); Staatsmann und Feldherr. Wegbereiter der attischen Demokratie.
*Theognis von Megara – unter diesem Namen ist eine Sammlung von Gedichten im elegischen Versmaß überliefert; in der Forschung geht man inzwischen davon aus, dass das «Corpus Theognideum» Werke unterschiedlicher Dichter in der Tradition der aristokratischen Dichtung enthält. Darunter fallen Spruchdichtungen für Symposien (Trinkgelage), Lebensregeln für junge Adlige, Klagen über soziale Veränderungen, über den Verfall des Menschen und das Alter sowie allgemeine Betrachtungen zu Freundschaft, Glück und Armut etc. Weitere Abschnitte behandeln Themen wie homoerotische Liebe und Klagen über gescheiterte Romanzen. Es hat offenbar tatsächlich einen Theognis gegeben, der womöglich Mitte des 6. Jahrhunderts v. Chr. lebte, somit vor den Ereignissen, die in dieser Reihe beschrieben werden. Die Dichtung dieses Mannes dürfte von großer Bedeutung für das Weltverständnis von Arimnestos’ Mutter gewesen sein.
Tiraios – Lehrling von Arimnestos, später Meisterschmied.
Ich bin nicht jünger geworden, so viel steht fest. Aber ich vermute, dass meine Geschichte so schlecht nicht sein kann. Denn sonst würdet ihr jungen Leute euch nicht um mich scharen, begierig darauf, dem Fortgang meiner Erzählung zu lauschen.
Meine Liebe, wie ich sehe, hast du wieder deinen Schreiberling mitgebracht. Er hat gelobt, alles auf die neue Weise festzuhalten, aber wenn man mich gefragt hätte, ich hätte lieber einen Rhapsoden gehabt, der nach alter Weise von all den Taten und Ereignissen kündet. Aber die alte Weise starb wohl mit den Medern, wie? Heute ist alles anders. Die Welt, von der ich euch erzählen möchte, ist schon so lange tot wie die trojanischen Helden des alten Homer. Selbst meine Thygater hier glaubt, ich sei ein Relikt einer Zeit, als die Götter noch auf Erden wandelten, ist es nicht so?
Wenn ich euch jungen Leute sehe, muss ich lachen. Ihr seid verweichlicht. Aber das seid ihr nur, weil wir alle Ungeheuer erschlagen haben. Und wessen Fehler ist das?
Ah, da kommt ja auch das Mädchen zurück, das immer so schnell errötet – ich fühle mich gleich viel jünger, wenn ich dich sehe, mein Kind. Ich würde mich ja gern für dich entscheiden, aber dann würden meine anderen Frauen protestieren. Ha! Seht euch an, wie ihr die Farbe ins Gesicht steigt, meine Freunde. Ja, da lodert Feuer unter dieser Haut. Verheiratet sie besser rasch, ehe dieses Feuer dorthin gelangt, wo es nicht sein sollte.
Mir scheint, meine Tochter hat jedes junge Gesicht aus der Stadt mitgebracht, auch einige Fremde von der Küste, wie ich sehe. Und ihr alle wollt hören, was ein alter Mann wie ich von seinem Schicksal zu berichten weiß? Ich fühle mich geschmeichelt, aber ihr wisst ja schon, dass ich von Marathon erzählen werde. Und ihr wisst auch, dass es in der Geschichte der Menschheit wohl keinen edleren Moment gibt – jedenfalls für alle griechischen Menschen. Wir stellten uns ihnen entgegen, Mann gegen Mann, und wir waren die Besseren.
Aber so fing es nicht an.
Für diejenigen von euch, die die ersten Nächte meiner weitschweifigen Erzählung verpasst haben, ich bin Arimnestos von Platäa. Ich habe von meinem Vater erzählt, der Bronzeschmied in unserer Stadt war, aber ihr habt auch gehört, wie wir losmarschierten und bei Oinoe gegen die Spartiaten kämpften. Es kam zu drei Schlachten in nur einer Woche. So wisst ihr auch, dass Pater von seinem Vetter Simonalkes ermordet wurde und ebenjener Simon mich in die Sklaverei verkaufte, und zwar in den Osten, in die Welt der ionischen Griechen. Ich wuchs zu einem Mann heran und diente in Ephesos als Sklave im Hause eines gefeierten Dichters. Schon damals gehörte Ephesos zu den größten Städten des Erdkreises, im Schatten des Tempels der Artemis. Ich war Sklave des Dichters Hipponax und seines Sohns Archilogos. Beizeiten ließen sie mich frei. Ich wurde ein Krieger, ein großer Krieger, um genau zu sein, aber als der Lange Krieg begann – der Krieg zwischen den Medern und den Griechen –, kämpfte ich bei Sardis aufseiten der Athener.
Ihr fragt euch vielleicht, warum. Meine Thygater seufzt bestimmt innerlich, wenn ich wieder davon anfange, aber ich liebte nun einmal Briseis. Aber wenn ich sage, dass ich sie liebte, bringe ich nicht annähernd zum Ausdruck, wie es um mich und mein Herz bestellt war. Ja, Briseis, Hipponax’ dunkelhaarige Tochter: Abbild nicht nur der Artemis, sondern auch der Aphrodite! Was sage ich? Sie war schön wie Helena! Aber davon werdet ihr mehr erfahren, sofern ihr lange genug bleibt und gut zuhört.
Briseis war allerdings nicht der einzige Mensch in Ephesos, dem ich von Herzen zugetan war. Ich liebte Archilogos, den wahren Freund meiner Jugendjahre. Er war mir in so vielen Dingen ebenbürtig. Ich war sein Gefährte, zunächst als Sklave, dann als freier Mann – und ständig lagen wir im Wettstreit miteinander. In allen Belangen. Ich liebte auch Heraklit, den größten Philosophen jener Tage. Für mich wird er stets der Größte sein, denn er ist gottgleich in seiner Weisheit. Ihm allein habe ich es zu verdanken, dass ich nicht nur zu einem Menschenschlächter heranwuchs. Er gab mir Ratschläge, die ich ignorierte – doch sie blieben in meinem Kopf. Bis heute, um genau zu sein. Er lehrte mich, dass der Fluss unseres Lebens immerzu weiterströmt und nicht aufgehalten werden kann. Später wurde mir bewusst, dass er versucht hat, mich von Briseis fernzuhalten.
Als Hipponax, ihr Vater, uns erwischte, erfuhr meine Jugend ein jähes Ende. Ich musste das ehrwürdige Haus verlassen, und deshalb kämpfte ich später aufseiten der Athener bei Sardis und nicht etwa in der Phalanx der Männer aus Ephesos. Leider konnte ich dann Hipponax nicht beistehen, als die Meder ihm die tödliche Wunde beibrachten.
Ich fand ihn auf dem Schlachtfeld, aber da er unsägliche Schmerzen litt und in einem fort schrie, schickte ich ihn auf seine letzte Reise, weil ich ihn liebte. Auch wenn ich einst nur sein Sklave war. Ich erlöste ihn von seinen Qualen, aber aus Liebe. Sein Sohn jedoch, Archilogos, sah das ganz anders. Und so kam es, dass wir zu Todfeinden wurden.
Die darauffolgenden Jahre des Ionischen Aufstands – also die ersten Jahre des Langen Krieges – verbrachte ich damit, mir mit jedem Schwertstreich den Ruhm eines großen Kämpfers zu erwerben. Eigentlich müsste ich mich schämen, wenn ich das sage – aber warum? Als ich bei Sardis kämpfte, war ich ein Mann, dem die anderen Kämpfer in der Phalanx trauen konnten. Aber als ich später auf meinem eigenen Schiff in der großen Seeschlacht vor Zypern gegen die Perser kämpfte, war ich ein Krieger, den andere im Sturm aus Bronze fürchteten.
In der Seeschlacht trugen die Griechen den Sieg davon, an Land waren sie indes ihren Feinden unterlegen. Der Aufstand in Zypern fand ein jähes Ende. Das hätte den Aufständischen eigentlich das Genick brechen müssen, aber es kam anders. Wir zogen uns nach Chios und Lesbos zurück, wo ich mich Miltiades von Athen anschloss – einem berühmten Adligen und gefürchteten Piraten. Wir fanden neue Verbündete, und so verlagerte sich das Kampfgeschehen auf die Chersones-Halbinsel, das Kernland des Trojanischen Krieges. Wir kämpften gegen die Meder auf See und an Land. Manchmal waren wir ihnen überlegen. Miltiades kam zu Reichtum, auch ich strich Prisen ein. Ich befehligte mein eigenes Schiff und wurde reich.
Ich tötete viele Männer.
Dann nahmen wir es in Thrakien mit den Medern auf – mit nur wenigen Schiffen. Unterdessen hatte Briseis den mächtigsten Mann des Ionischen Aufstands geheiratet – und bald festgestellt, dass er ein brüchiges Schilfrohr war. Wir besiegten die Perser und deren thrakische Verbündete, ehe ich Briseis’ Gemahl tötete, obwohl er eigentlich auf unserer Seite stand. Ich muss selbst jetzt noch lachen – ich enthauptete Aristagoras mit einem Streich und spie auf seinen Schatten.
Aber Briseis wollte mich nicht heiraten, auch wenn ich in ihren Gedanken war und ab und zu die Freuden der Liebe in ihrem Bett auskosten durfte. Ja, Briseis liebte mich, wie ich sie liebte – aber sie wollte immer die Königin der Ionier werden, nicht das Weib eines Piraten. Und in all den Jahren damals war ich nichts anderes als ein Pirat, an dessen Händen Blut klebte.
Wie dem auch sei, die Erkenntnis, dass sie mich nicht wollte, erschütterte mich eine Weile.
Ich verließ Thrakien und Miltiades und kehrte in meine Heimat Platäa zurück. Dort hatte der Mann, der meinen Vater auf dem Gewissen hatte, meine Mutter geheiratet und Haus und Hof in Besitz genommen.
Simonalkes, der Verräter, und dessen vier Söhne. Meine Vettern.
Ja, es sind auch deine Verwandten, Thygater. Simon war ein gebrochener Mann und ein Feigling, aber das kann ich von seinen Söhnen nicht sagen. Sie waren zähe Bastarde. Ich erschlug Simon nicht. Stattdessen brachte ich den Fall vor die Versammlung, denn so hätte es Heraklit mir geraten.
Es war das Gesetz, das den alten Simon letzten Endes tötete. Seine Söhne aber sannen auf Rache.
Derweil waren die Perser fest entschlossen, die aufsässigen Ionier zu erledigen und die Griechen wieder unter ihre Herrschaft zu bringen.
Briseis heiratete weiterhin einflussreiche Männer und befand sie für zu schwächlich.
Der Erdkreis ist wie die Ausbuchtung eines Aspis geformt. Außen am Rand fließt die See, die alles umgibt, und weiter oben, wo man den Arm durch den Porpax schiebt, sind Sonne und Mond. Alles, was dazwischenliegt, füllt der Erdkreis aus. Viele Völker tummeln sich auf dem Rund des Aspis, von einem Rand zum anderen: Meder und Perser, Skythen und Griechen, Ionier und Äolier, Ägypter und Lyder, Phrygier und Karier, Kelten und Phönizier, Menschen aus Äthiopien und anderen afrikanischen Gefilden, Menschen aus Italia – die Götter allein wissen, wie viele es sind.
In jener Zeit, als der Lange Krieg aufloderte wie neu entfachtes Feuer auf trockenen Zweigen, sprachen die Leute nur noch vom Krieg. Sie führten Kriege, töteten, stellten Waffen her und übten damit – auf dem ganzen Rund des Aspis, von einem Rand zum anderen, bis der Erdkreis widerhallte von den Lobgesängen auf Ares, den bronzebewehrten Kriegsgott.
Es war im sechsten Jahr des Langen Krieges, und inzwischen war Hipparchus Archon in Athen. Myron trat seine zweite Amtszeit als Archon in Platäa an. Tisikrites von Croton gewann den Lauf über ein Stadion bei Olympia. Das Wetter war gut, die Feldfrüchte wurden eingefahren.
Damals glaubte ich, dass ich sesshaft würde, dass ich das Leben eines Bronzeschmieds und Bauern auf dem Hof meines Vaters führen könnte – wie einst Pater.
Ares wird gelacht haben!
Und dann sollst du, Milet, du Quell verderblicher Taten, / Vielen dienen zum Mahl und vielen zu herrlichen Gaben. / Deine Frauen waschen die Füße lockigen Männern. / Unseren Tempel werden in Didyme andre besorgen.
Herodot, Sechstes Buch, 19