Andreas Franz
Das Syndikat der Spinne
Roman
Knaur e-books
Andreas Franz’ große Leidenschaft war von jeher das Schreiben. Bereits mit seinem ersten Erfolgsroman »Jung, blond, tot« gelang es ihm, unzählige Krimileser in seinen Bann zu ziehen. Seitdem folgte Bestseller auf Bestseller, die ihn zu Deutschlands erfolgreichstem Krimiautor machten. Seinen ausgezeichneten Kontakten zu Polizei und anderen Dienststellen ist die große Authentizität seiner Kriminalromane zu verdanken.
Andreas Franz starb im März 2011. Er war verheiratet und Vater von fünf Kindern.
eBook-Ausgabe 2010
Knaur eBook
© 2002 Knaur Taschenbuch
Ein Imprint der Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG, München.
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise –
nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.
Redaktion: Dr. Gisela Menza
Covergestaltung: ZERO Werbeagentur, München
Coverabbildung: FinePic®, München
ISBN 978-3-426-40707-3
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Gewidmet allen aufrichtigen Menschen, die für das Gute eintreten und sich nicht von einem trügerischen Schein blenden lassen.
Der Weg zur Wahrheit
führt durch ein dichtes Gestrüpp von Lügen
Die Maschine aus Nizza landete pünktlich am späten Nachmittag auf dem Rhein-Main-Flughafen. Pierre Doux war einer der Letzten, der den riesigen Terminal betrat. Er blickte zur Uhr, kurz nach fünf, und begab sich mit der Reisetasche und dem Aktenkoffer zum Ausgang. Es war schwül, wärmer noch als in Nizza, der Himmel milchig blau, der Taunus versteckte sich hinter einer dichten Dunstwolke. Doux setzte sich in ein Taxi und bat den Fahrer, offensichtlich ein Türke, der sich immer wieder mit der Hand über die schweißüberströmte Stirn fuhr, in akzentfreiem Deutsch, ihn zum Marriott-Hotel zu bringen. Während der Fahrt fiel kein Wort, nur ab und zu waren über Funk Anweisungen der Taxizentrale zu hören. Sie quälten sich durch den Wochenendverkehr, immer wieder lange Wartezeiten vor den Ampeln. Schließlich erreichten sie nach mehr als einer halben Stunde das Hotel. Doux zahlte den geforderten Betrag und gab dem Fahrer noch fünf Mark Trinkgeld. Er nahm seine Reisetasche, stieg aus und ging zur Rezeption, um sich anzumelden.
»Monsieur Doux«, sagte die rotblonde junge Frau hinter dem Schalter mit charmantem Lächeln und blickte ihn aus grünen Augen an und anschließend auf das Reservierungsbuch. »Hier ist Ihre Chipkarte, und dann bekomme ich bitte noch die obligatorische Unterschrift. Alles Weitere brauche ich Ihnen ja nicht mehr zu erklären, Sie kennen sich ja bestens hier aus.«
Doux unterschrieb in dem dafür vorgesehenen Feld, nahm die Chipkarte, lächelte die junge Frau an und trat in den Aufzug, der ihn in den 43. Stock brachte. Er hatte dasselbe Zimmer wie immer, mit Blick auf die Stadt, in der er des Öfteren geschäftlich zu tun hatte. Die Klimaanlage war eingeschaltet, es war angenehm kühl in dem Raum. Er stellte seine Tasche und den Aktenkoffer auf den Boden, ging kurz zum Fenster und ließ seinen Blick für einen Moment über die imposante Skyline von Frankfurt schweifen. Er kannte viele Großstädte in Europa, doch keine außer Frankfurt besaß in seinen Augen mehr internationales Flair. Er verglich diese Stadt immer wieder mit den großen Städten Amerikas, New York und Chicago, obgleich deren Häuser noch weiter in den Himmel ragten.
Pierre Doux war einsneunundsiebzig, hatte volles, fast schwarzes Haar, dunkle Augen und einen schlanken, fast asketisch wirkenden durchtrainierten Körper. Er hatte ausgeprägte Wangenknochen, schmale, doch wohl geformte Lippen und ein leicht hervorstehendes Kinn, das ihm etwas Markantes verlieh. Aus der Minibar holte er eine Flasche Wasser und schenkte sich ein. Er trank in kleinen Schlucken und setzte sich dabei aufs Bett. Nachdem er ausgetrunken hatte, stellte er das Glas auf den Nachtschrank, entkleidete sich und machte hundert Liegestütze, davon je fünfundzwanzig mit dem rechten und dem linken Arm und anschließend hundert Sit-ups. Die folgenden zwanzig Minuten verbrachte er mit Tai-Chi. Doux beherrschte seinen Körper wie kaum ein anderer, rauchte nicht, trank keinen Alkohol, außer zu besonderen Anlässen in einem seiner beiden Luxusrestaurants in Nizza und Monaco, aber auch dann höchstens ein Glas Champagner. Das einzige Laster, dem er hin und wieder frönte, waren Frauen. Nach den Übungen begab er sich unter die Dusche. Er ließ das abwechselnd warme und kalte Wasser lange über seinen verschwitzten Körper laufen, wusch sich die Haare und trocknete sich danach ab. Er zog eine frische Unterhose an, nahm seinen Aktenkoffer, holte ein Notebook heraus, steckte das Modem in die dafür vorgesehene Buchse, drückte einen Knopf und tippte ein paar Befehle in die Tastatur. Er wartete, bis die Verbindung hergestellt war, und gab eine kurze Nachricht durch. Anschließend schaltete er das Notebook wieder aus und trank ein weiteres Glas Wasser.
Doux war nicht verheiratet. Er hatte nur einmal eine längere Beziehung gehabt, die jedoch von einem Tag auf den andern von der Frau beendet worden war, was zwar schon mehr als zwanzig Jahre zurücklag, woran er aber in manchen Momenten noch immer wehmütig dachte. Er war nicht bindungsfähig, das wusste er, doch es machte ihm nichts aus. Nur einmal hatte es noch eine Frau gegeben, für die er mehr als bloß oberflächliche Gefühle empfunden hatte, aber diese Frau wollte nichts von ihm wissen, was ihn zutiefst getroffen hatte. Dennoch genoss er das Leben, soweit ihm dies möglich war. Er war vermögend, hatte viele Bekannte, darunter einige namhafte Persönlichkeiten aus Wirtschaft und Politik, aber auch Künstler und Sportstars zählten dazu. Das Einzige, was Doux nicht hatte, waren wirkliche Freunde.
Doux zog eine legere Sommerhose und ein kurzärmliges weißes Hemd an, legte einen Hauch Xeryus Rouge Eau de Toilette auf und fuhr mit dem Aufzug nach unten. Er hatte Hunger, wollte eine Kleinigkeit essen und danach ins Westend fahren. Er kannte einige Leute in Frankfurt und hatte sich mit einer Frau verabredet, zu der er schon seit Jahren engen Kontakt hielt. Neben Französisch sprach er fließend Deutsch, Englisch, Italienisch und Hebräisch, denn Doux war ein weit gereister, viel beschäftigter Mann. Und trotzdem fühlte er sich immer häufiger wie ein einsamer, ruhelos durch die Welt streifender Wolf.
Im Restaurant bestellte er ein Steak mit Salat und ein Glas Orangensaft. Er bemerkte, wie eine etwa dreißigjährige Frau ihn immer wieder anblickte, worüber er innerlich lächeln musste. Sie saß mit einem Mann zwei Tische von ihm entfernt, und Doux wusste, dass es ein Leichtes für ihn gewesen wäre, etwas mit ihr anzufangen. Er kannte die Frauen zur Genüge, vor allem konnte er Blicke deuten, eindeutige Blicke. Vermutlich, dachte er, ist sie die Frau eines dieser reichen Männer, die mit nichts anderem beschäftigt waren, als ihr Geld zu zählen und sich um ihr Geschäft zu kümmern, und dabei ihre Frauen vernachlässigten. Nach dem Essen schaute er auf die Uhr, Viertel nach acht, nahm sein Handy aus der Hemdtasche und tippte eine Nummer ein.
»Ja?«, meldete sich eine weibliche Stimme.
»Hier ist Pierre. Bleibt es bei neun Uhr?«
»Natürlich, warum nicht. Ich warte auf dich.«
»Gut, ich mach mich gleich auf den Weg.«
Er ließ das Essen auf seine Rechnung setzen und ging mit langsamen Schritten an der Frau vorbei, deren Augen ihn auch jetzt wieder kurz anblitzten, warf einen Blick auf den Mann, den er bis jetzt nur von hinten gesehen hatte, und stellte fest, dass es eines dieser ungleichen Paare war, die er so oft antraf. Der Mann war mindestens zwanzig Jahre älter, und das einzig Attraktive an ihm war offensichtlich sein Geld. Er war eher klein, höchstens einsfünfundsechzig, leicht untersetzt, und obgleich es kühl in dem Restaurant war, standen dicke Schweißperlen auf seiner Stirn, während er damit beschäftigt war, eine gewaltige Portion Fisch mit Kartoffeln und Salat zu verschlingen. Doux war nicht entgangen, dass die beiden die ganze Zeit über kein Wort miteinander gewechselt hatten, weil es wahrscheinlich nichts gab, worüber sie sich unterhalten konnten. Er hatte seine Interessen, sie ihre. Seine Freunde, ihre Freunde. Er kannte diese Paare zur Genüge.
Er begab sich nach draußen, wo die Schwüle noch immer wie eine riesige Glocke über der Stadt hing. Mit einem Taxi fuhr er zum Kettenhofweg und stieg vor einem alten, sehr gediegen wirkenden Haus aus. Ein Blick auf die Uhr, fünf vor neun. Er drückte auf den Klingelknopf, nur Sekunden später ging die Tür auf, und er stieg in den vierten Stock, wo er bereits erwartet wurde.
Sie legte ihre Arme um seinen Hals und gab Doux einen langen Kuss. Sie war Mitte dreißig, hatte kurzes dunkles Haar und volle Lippen. Ihre tiefblauen Augen bildeten einen interessanten Kontrast zu den dunklen Haaren und der Haut, die einen natürlichen Braunton hatte. Ein laszives Lächeln umspielte ihren Mund, der Blick aus ihren ozeanblauen Augen hatte etwas Herausforderndes. Sie war gut einen halben Kopf kleiner als er, hatte eine ansehnliche Figur, auch wenn er schönere Frauen kannte, aber Sex mit ihr war immer etwas Besonderes. Sie hatte etwas, das andere Frauen nicht hatten. Vielleicht war es ihr Duft, vielleicht ihre sinnliche Stimme mit diesem slawischen Einschlag, vielleicht aber auch ihre überdurchschnittliche Intelligenz, die sie über die meisten anderen Frauen erhob. Sie trug eine weiße, ärmellose Bluse und einen kurzen Rock. Sie war barfuß, die Zehennägel waren in dezentem Rosa lackiert, ebenso wie die Fingernägel. Bis auf die Lippen war sie ungeschminkt, sie hatte Make-up nicht nötig, denn Make-up hätte die Natürlichkeit ihrer fast porenlosen Haut nur zerstört.
Leise Musik spielte im Hintergrund, während sie sich setzten. Sie trank ein Glas Champagner, er begnügte sich mit einem Glas Wasser.
»Stört es dich, wenn ich rauche?«, fragte sie, denn sie wusste, dass er es nicht mochte, wenn in seiner Gegenwart geraucht wurde.
»Nein. Außerdem ist es deine Wohnung und deine Gesundheit.«
»Warum so spöttisch?«, sagte sie und zündete sich eine Zigarette an. »Hab ich dir irgendwas getan? Wir haben uns doch schon lange nicht mehr gesehen.«
»Es ist nur die Hitze.« Er blickte an die Wand und fuhr fort: »Hast du ein neues Bild?«
»Du kennst doch meine Leidenschaft für alte Meister. Man lebt nur einmal. Und ein echter Monet … Aber was erzähle ich dir da, du kannst den schönen Dingen dieses Lebens ja auch nicht widerstehen. Was führt dich eigentlich nach Frankfurt?«
»Morgen treffe ich mich mit einem Makler. Ich will unter Umständen hier ein Restaurant eröffnen.«
»In Frankfurt?«, fragte sie mit skeptischem Blick. »Meinst du, das rentiert sich?«
»Denke schon«, erwiderte er mit diesem ihm eigenen unwiderstehlichen Lächeln und trank einen Schluck. »Soweit ich weiß, gibt es hier noch kein Restaurant mit bester französischer Küche. Aber erst mal abwarten, was morgen ist. Es ist vorerst nur ein Plan.«
»Und was machen wir jetzt?«, fragte sie mit sinnlicher Stimme und ebensolchem Augenaufschlag, nachdem sie ihre Zigarette ausgedrückt hatte, stand auf und ging auf den Balkon. »Komm her zu mir«, sagte sie, als er mit der Antwort zögerte.
Er stellte sich neben sie und schaute hinunter auf den Garten. »Was schlägst du denn vor?«, fragte er zurück und spielte den Ahnungslosen, weil er wusste, wie sehr sie kleine Spielchen davor liebte.
»Hm, dies und das. Erst dies und dann das … Wir sollten die Zeit nutzen. Wer weiß, wann wir uns wiedersehen. Wann fliegst du eigentlich zurück?« Sie legte einen Arm um seine Hüften, fuhr mit der Hand allmählich tiefer und berührte seinen Po.
»Ich nehme die Maschine am Sonntagmorgen. Aber ich komme bestimmt noch einige Male in der nächsten Zeit nach Frankfurt, vorausgesetzt, das mit dem Makler klappt. Doch ich glaube nicht, dass es da Probleme gibt.«
»Dann sehen wir uns ja noch öfter. Schön. Gehen wir rüber?« Sie machte eine Kopfbewegung Richtung Schlafzimmer.
Doux lächelte, nahm sie bei der Hand und ging mit ihr ins Schlafzimmer. Um drei Uhr morgens schliefen sie ein. Er wurde um kurz nach acht von seiner inneren Uhr geweckt, stand leise auf, zog sich an und warf einen letzten Blick auf die Frau, die noch immer friedlich schlief. Er begab sich zu Fuß zurück zum Hotel; die Straßen waren noch relativ leer, die Sonne brannte jedoch schon jetzt unbarmherzig von einem wolkenlosen Himmel.
Er frühstückte auf seinem Zimmer, duschte, zog sich wieder an und fuhr zum Hauptbahnhof. Dort nahm er einen Schlüssel aus seiner Hosentasche und steckte ihn in das Schloss eines Schließfachs. Er holte eine braune Ledertasche heraus, ohne einen Blick hineinzuwerfen. Im Hotel öffnete er die Tasche, legte den Inhalt aufs Bett und betrachtete ihn. Er hatte die Auswahl und entschied sich schließlich nach einigem Überlegen. Pierre Doux würde heute das Geschäft abwickeln. Kühl und emotionslos, wie er das immer zu tun pflegte. Für genau sechzehn Uhr hatten sie sich verabredet. In einem Haus in Niederrad. Der einsame Wolf war vorbereitet.
Hauptkommissarin Julia Durant war seit etwa anderthalb Stunden wach, hatte ein paar Seiten in einem Buch von Patricia Cornwell gelesen und danach ihre Morgentoilette erledigt, geduscht, die Haare gewaschen und sich der Witterung entsprechend sommerliche Kleidung angezogen, ein gelbes T-Shirt und blaue Shorts. Dominik Kuhn, den sie auf einer Pressekonferenz kennen gelernt hatte und mit dem sie seit einem halben Jahr eng befreundet war, hatte eigentlich schon längst bei ihr sein wollen, war aber wegen einer dringenden Reportage seit gestern Abend aufgehalten worden, obgleich er nur Bereitschaft für die Bild am Sonntag gehabt hätte und sie sich für den gestrigen Abend fürs Kino verabredet hatten. Selbst auf ihr Drängen hin hatte er ihr nicht sagen wollen, um was für eine Reportage es sich handelte.
Sie hatte eine Zigarette geraucht und deckte jetzt den Frühstückstisch mit Graubrot, Toast, Butter, Marmelade und Honig, obwohl, dachte sie schulterzuckend, man könnte auch einen Brunch daraus machen und stellte noch Wurst und Käse dazu. Sie hatte Hunger, und wenn er nicht bald kommen würde, würde sie ohne ihn anfangen. Sie machte das Wohnzimmerfenster auf und gleich wieder zu, als ein Schwall heißer Luft hereinströmte. Durant sah sich um, die Wohnung war einigermaßen aufgeräumt, auch wenn ein Großputz längst überfällig war. Zwei Kippen lagen im Aschenbecher, die sie im Müllbeutel entsorgte. Gerade wollte sie sich eine weitere Zigarette anstecken, als es klingelte. Sie ging zur Tür und öffnete.
»Hi.« Er gab ihr einen Kuss auf den Mund. »Sorry, aber da war ’ne ganz heiße Story, die wir unbedingt morgen bringen müssen. Wir waren natürlich wieder mal die Ersten«, sagte er nicht ohne Stolz.
»Und was war’s diesmal?« Sie setzte sich an den Esstisch. »Oder ist das ein Staatsgeheimnis?«, fragte sie unüberhörbar spöttisch.
Er ging nicht darauf ein und sagte: »Gleich. Ich muss mir nur mal schnell die Hände und das Gesicht waschen.« Er ließ die Badezimmertür offen.
»Und diese Geschichte hat von gestern Abend bis heute Morgen gedauert?«, fragte sie zweifelnd.
»Leider ja.«
»Und um was geht’s?«
»Tja«, antwortete er süffisant lächelnd, als er aus dem Bad kam, »wenn du Bereitschaft hättest, wüsstest du’s.«
»Ha, ha, ha! Jetzt rück schon mit der Sprache raus.«
»Sagt dir der Name Wiesner etwas?«
»Sollte er?«
»Juwelier. Klingelt’s jetzt?«, fragte Kuhn und ließ sich auf den Stuhl fallen. Er stöhnte kurz auf und fuhr sich mit der Hand über die Stirn.
»Ach der. Was ist mit ihm?«
»Der hat gestern Nachmittag seine Geliebte und dann sich selbst erschossen.«
»Und das sagst du mir erst jetzt?« Durant sah ihn mit wütendem Blick an. »Dann hätte ich mir die Warterei gestern und heute sparen können. Ich dachte, wir hätten keine Geheimnisse voreinander. Was genau ist passiert?«
Kuhn zuckte mit den Schultern und sagte mit jungenhaftem, entschuldigendem Lächeln: »Na ja, so genau wissen wir’s auch nicht, doch der Typ muss irgendwie durchgedreht haben. Weshalb auch immer … Tut mir Leid, aber ich wollte dir das Wochenende nicht vermiesen. Außerdem ist die Sache ganz eindeutig. Du wirst damit jedenfalls nichts zu tun haben.«
»Und wer ist die Frau?«
»Eine gewisse Irina Puschkin. Edelnutte, soweit wir rausgefunden haben. Aber das kannst du dir ja alles von deinen Leuten erzählen lassen. Der Fall ist wie gesagt eindeutig. Wichtig ist die Geschichte.«
»Die Geschichte, die Geschichte! Was geilt euch Reporter eigentlich an solchen Tragödien so auf? Da ist ein Mann, der …«
Kuhn hob die Hand und unterbrach sie. »Stopp, stopp! Das ist nicht irgendein Mann, sondern einer der renommiertesten Juweliere in Deutschland. Ein absoluter Experte für Diamanten. Das Problem ist nur, er ist verheiratet, hält sich aber eine Geliebte …«
»Es gibt verdammt viele Männer, die sich eine Geliebte halten. Was ist daran so besonders?« Julia Durant stand auf und steckte zwei Scheiben Weißbrot in den Toaster. »Nur weil der Mann Wiesner heißt?«
»Sicher, das auch«, erwiderte Kuhn gelassen und lehnte sich zurück. »Aber es sind die Umstände und die Hintergründe, die die Leser interessieren. Warum bringt ein Mann, der alles hat, erst seine Geliebte und dann sich selbst um? Es muss einen Grund geben, sonst hätte er es nicht getan.«
Die Toasts sprangen heraus, Julia Durant gab einen ihrem Freund, legte ihren auf den Teller und steckte noch zwei in den Toaster. Kuhn hatte inzwischen Kaffee eingeschenkt. Die Kommissarin schmierte dünn Butter auf ihren Toast und legte eine Scheibe Gouda und drei Scheiben Salami darauf.
»Und was für einen Grund habt ihr herausgefunden?«, fragte sie mit noch einer Prise mehr Spott als eben schon, doch Kuhn ging wieder nicht darauf ein.
»Vermutlich wollte er sich von seiner Frau trennen, aber sie hat ihm allerhand Steine in den Weg gelegt. Und da hat er keinen Ausweg mehr gesehen.«
»›Vermutlich‹ sagst du. Was, wenn du mit deiner Vermutung völlig danebenliegst?«
»Das ist das Risiko des Journalismus. Es ist immer ein bisschen Fortune dabei. Aber glaub mir, ich habe Recht.«
»Und wenn nicht? Habt ihr mit Frau Wiesner gesprochen?«
»Nein, die hat keinen an sich rangelassen, außer ein paar von deinen Leuten. Wir haben es sogar heute Morgen noch mal probiert, doch sie will partout nicht mit uns sprechen. Und deine werten Kollegen mauern ebenfalls. Das Einzige, was ich aus denen rausgekriegt habe, ist, dass es sich um eine Ehe- und Liebestragödie handelt.«
»Du sagst doch, diese Puschkin sei eine Edelnutte gewesen. Glaubst du wirklich, ein Mann wie Wiesner hätte eine Liaison mit einer Hure gehabt?«
»Warum sonst hätte er erst sie und dann sich selbst umbringen sollen?«, fragte Kuhn zurück. »Es gibt keine andere Möglichkeit, zumindest sehe ich keine.«
»Was für Informationen hast du noch?« Julia Durant machte sich eine zweite Scheibe Toast, diesmal mit Marmelade.
»Wir haben ein paar Nachbarn befragt und natürlich eine Angestellte von Wiesner.«
»Und?«, fragte Durant, als Kuhn nicht weitersprach, und sah ihn herausfordernd an.
»Die Nachbarn beschreiben ihn als unauffällig und höflich. Die Angestellte auch. Sie sagt sogar, sie könne sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass er so was getan haben soll.«
»Jemanden umbringen?«
»Die ganze Geschichte. Sie hat jedenfalls versucht uns weiszumachen, dass Wiesner der perfekte Ehemann schlechthin gewesen war. Was zu beweisen wäre. Ich hab jedenfalls schon mit so genannten ehrenwerten Bürgern zu tun gehabt, die mehr Scheiße an den Händen haben, als man in einer Jauchegrube findet. Deswegen würde ich auch bei Wiesner meine Hand nicht ins Feuer legen.«
»Habt ihr Fotos?«
»Nee, leider nicht. Nur ein älteres Foto von ihm, das uns seine Angestellte gegeben hat. An den Tatort sind wir nicht rangekommen.«
»Wo ist es passiert?«
»Kennedyallee. Nicht weit von der Rechtsmedizin«, fügte Kuhn grinsend hinzu.
»Blödmann. Wie hat man eigentlich davon erfahren? Ich meine, wenn er sich mit seiner Geliebten vergnügt hat, dann …«
»Seine Frau. Sie ist so gegen acht Uhr abends in die Wohnung gefahren und hat die beiden dort gefunden. Na ja, und alles Weitere hat sich dann von selbst ergeben.«
»Und Bild war natürlich wieder mal als Erste vor Ort. Wie macht ihr das eigentlich? Ich meine, dass ihr immer die Exklusivstorys habt?«
»Betriebsgeheimnis«, antwortete Kuhn grinsend, nahm eine Scheibe Graubrot vom Teller und legte Wurst darauf. »Wenn wir von der Polizei schon so kurz gehalten werden, müssen wir uns eben selbst helfen.«
»Und jetzt?«, fragte Julia Durant.
»Soll ich ganz ehrlich sein? Ich bin todmüde. Ich könnte hier im Sitzen einschlafen.«
»Warst du die ganze Nacht auf den Beinen?« Durant sah Kuhn zweifelnd an.
»Nicht unbedingt auf den Beinen, aber wir wollten natürlich so schnell und so viel wie möglich über die Vita von Wiesner herauskriegen. Und über die Puschkin auch. Doch das Einzige, was wir von der wissen, ist, dass sie aus Russland kommt, achtundzwanzig Jahre alt und seit Mitte der Neunziger in Deutschland ist. Zumindest muss sie eine gültige Aufenthaltsgenehmigung haben. Sonst gibt es keine Infos über sie. Außer, dass sie eine Nutte war.«
»Und wo bringt ihr die Geschichte? Auf der ersten Seite?«
»Nee, glaub ich nicht. Seite drei, nehm ich an. Für die erste Seite ist Wiesner nun doch nicht prominent genug. Wir müssen halt zusehen, dass wir wenigstens noch ein gescheites Foto bekommen. Könntest du da nicht …«
Julia Durant winkte energisch ab. »Vergiss es! Ich liebe dich, und das weißt du, aber ich kann dir da überhaupt nicht helfen. Außerdem bearbeite ich den Fall ja gar nicht. Entweder ihr kriegt die Informationen von meinen Kollegen, oder ihr habt Pech gehabt. Und wenn, was ich annehme, die Kollegen vom KDD am Tatort waren, dann kannst du’s sowieso abhaken. Die sind inzwischen schlafen gegangen und abgelöst worden. Es ist nur zweitrangig ein Fall für die Mordkommission.«
»Na gut, wir werden schon was Gescheites zusammenbasteln. Hast du was dagegen, wenn ich mich für zwei Stunden aufs Ohr haue?«
»Von mir aus. Ich räum hier ein bisschen auf und les noch ein paar Seiten.« Sie hielt inne und fasste sich mit zwei Fingern an die Nasenspitze. »Sag mal, die beiden wurden doch in einer Wohnung in der Kennedyallee gefunden. Ist das ein Mehrfamilienhaus?«
»Ja, warum?«
»Was ist mit den Nachbarn? Haben die irgendwas gehört oder gesehen?«
»Nee. Wir haben auch nur zwei angetroffen. Die konnten aber überhaupt nichts sagen. Die kannten Wiesner kaum. Behaupten sie zumindest.«
Kuhn stand auf, ging um den Tisch und beugte sich zu Durant hinunter. Er umarmte sie und gab ihr einen langen Kuss. Schließlich sagte er: »Eine Frage hätte ich noch. Hat auch nichts mit dem Fall zu tun. Wir sind jetzt schon seit über einem halben Jahr befreundet … Ich meine, ich will nicht aufdringlich erscheinen, aber könnten wir nicht irgendwann zusammenziehen? Ich weiß ja nicht, ob du dir darüber schon mal Gedanken gemacht hast, aber ich finde die Idee gar nicht so schlecht.«
»Lass uns ein andermal darüber reden, okay? Du bist müde und solltest jetzt erst mal schlafen.«
»Du weichst mir schon wieder aus. Warum hast du solche Angst davor?«
»Geh schlafen. Ich verspreche dir, darüber nachzudenken.«
»Manchmal möchte ich zu gerne wissen, was in deinem hübschen Kopf vorgeht. Du sagst, du liebst mich, aber irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass du dich nicht binden willst. Ich hab doch nicht die Pest oder die Pocken, bin auch nicht verheiratet, hab nicht einmal eine Freundin, nur eine kleine Tochter, die ich alle zwei Wochen für zwei Tage besuche. Daran kann’s doch nicht liegen, oder? Wir haben beide schlechte Erfahrungen gemacht, aber wenn wir uns mögen, dann …«
»Ich sag doch, ich werde drüber nachdenken«, unterbrach sie ihn etwas unwirsch und steckte sich eine Gauloise an. »Aber um dich zu beruhigen, eigentlich wollte ich nach dem letzten Fall für ein bis zwei Jahre nach Südfrankreich gehen, und das habe ich dir auch gesagt. Ich bin aber nicht gegangen, sondern hier geblieben. Und den Grund kennst du, weil du der Grund bist. Zufrieden?«
»Ich liebe dich wirklich, Julia. Und ich könnte mir einfach nichts Schöneres vorstellen, als mit dir zusammenzuwohnen. Aber ich werde dich nicht drängen.«
»Ich weiß. Und jetzt schlaf gut.«
Sie rauchte zu Ende, drückte die Zigarette im Aschenbecher aus, schenkte sich noch eine Tasse Kaffee ein, und wartete, bis Kuhn die Tür zum Schlafzimmer hinter sich zugemacht hatte. Sie ärgerte sich über sich selbst, über ihre Zögerlichkeit, ihre Unentschlossenheit. Seit Jahren wollte sie wieder einen Mann an ihrer Seite haben, und jetzt, wo er da war, verhielt sie sich in bestimmten Situationen dermaßen zurückhaltend, dass es kein Wunder wäre, würde Kuhn eines Tages adieu sagen. Sie musste eine Entscheidung treffen, und zwar bald, denn verlieren wollte sie ihn nicht. Er war der erste Mann seit ewigen Zeiten, der ehrlich zu ihr war, der ihr nicht Gefühle vorgaukelte, die gar nicht vorhanden waren, der ihr ab und zu Blumen mitbrachte, sie zum Essen oder in ein Konzert einlud, der im Prinzip alles für sie tun würde. Aber am wichtigsten war, er war die Schulter, an die sie sich anlehnen konnte. »Julia, du bist verrückt, wenn du das Ding jetzt verbockst«, sagte sie leise zu sich selbst und schloss kurz die Augen.
Sie trank den Kaffee, räumte den Tisch ab und spülte das Geschirr. Die Hitze von draußen war auch in der Wohnung zu spüren, und Julia Durant wünschte sich im Moment nichts sehnlicher als eine Klimaanlage. Sie machte den Fernseher an und blieb wieder einmal bei Viva hängen. Dann setzte sie sich auf die Couch, legte die Beine hoch und nahm das Buch von Cornwell in die Hand. Nach wenigen Minuten aber klappte sie es zu, denn ihre Gedanken kreisten in einem fort um Wiesner und diese Puschkin. Sie überlegte, ob sie im Präsidium anrufen sollte, sagte sich aber, sie würde morgen früh sowieso alles erfahren. Um kurz nach zwei hielt sie es nicht mehr aus, rief doch im Präsidium an und fragte, wer gestern Bereitschaft hatte. Güttler und Wilhelm. Mit Christine Güttler verstand sie sich ganz gut – sie war neben Hellmer die Einzige, mit der sie sich duzte –, und sie beschloss, bei ihr anzurufen. Durant wollte nach dem fünften Läuten schon auflegen, als der Hörer abgenommen wurde.
»Güttler.«
»Hallo, Christine. Hier ist Julia. Hab ich dich aus dem Bett geholt?«
»Nein, ich war im Garten. Was gibt’s denn?«
»Ich hab das mit Wiesner erfahren. Du warst doch am Tatort, oder?«
»Ja. Und was willst du wissen?«
»Zum Beispiel was ihr rausgefunden habt …«
»Steht alles im vorläufigen Protokoll.«
»Habt ihr mit Frau Wiesner gesprochen?«
»Wir haben’s versucht. Aber die Ärmste steht unter Schock. Ich meine, du musst dir mal vorstellen, du kommst in eine Wohnung, deine Wohnung, und findest deinen Mann und seine Geliebte tot vor. Ich glaube, da würde jeder erst mal einen Arzt brauchen. Sie hat immer nur gestammelt, das kann nicht sein, das kann nicht sein, so was hätte er nie gemacht, und so weiter, und so weiter … Du kennst das ja.«
»Hat sie auch gesagt, warum er so was nie gemacht hätte?«
»Nein, die Frau war völlig weggetreten. Und ich weiß nicht, wie’s heute bei ihr aussieht. Willst du etwa mit ihr reden?«
»Vielleicht, ich bin noch am Überlegen. Gib mir doch mal ihre Adresse.«
Und nach einer Weile: »Danke, vielleicht werd ich hinfahren. Wo sind die Leichen jetzt? In der Rechtsmedizin?«
»Die sind noch gestern Abend dorthin gebracht worden.«
»Spurensicherung?«
»War da, ist aber gleich wieder abgezogen, nachdem klar war, dass man dort keine Spuren zu sichern brauchte. Wiesner und diese Puschkin waren beide hackedicht. Die haben sich mit Cognac und Wodka voll geschüttet. Beide waren nackt, nur sie hat ein paar schwarze Strümpfe angehabt.«
»Und die Waffe war in Wiesners Hand?«
»Ja, eine 9 mm Beretta. Er hat Vollmantelgeschosse benutzt.«
»Fotos sind doch aber gemacht worden, oder?«
»Logisch. Spurensicherung nein, Fotos ja …«
»Ist die Wohnung versiegelt worden?«
»Ja, warum?«
»Nur ’ne Frage. Ist irgendwas dort verändert worden?«
»Nein, nicht dass ich wüsste. Sag mal, du willst dich doch jetzt nicht etwa in eine Sache reinhängen, die mehr als eindeutig ist, oder? Julia, lass das bitte sein. Aus welchem Grund auch immer, Wiesner hat womöglich irgendwie Scheiße gebaut, und er wird einen Grund gehabt haben, diese Verzweiflungstat zu begehen. Wenn du gestern da gewesen wärst, dann würdest du mich sicherlich verstehen.«
»Schon gut. Sind die Fotos bereits entwickelt?«
»Julia, bitte, lass es sein.«
»Ich möchte nur die Fotos sehen.«
»Natürlich sind sie entwickelt. Sie liegen, soweit ich weiß, beim KDD. Du kannst ja hinfahren und sie dir anschauen, damit die liebe Seele endlich Ruhe hat.«
»Sorry, wenn ich dich genervt habe. Es gibt halt manchmal Geschichten, die mir ziemlich nahe gehen. Nur noch eine Frage. Die Nachbarn, haben die irgendwas mitbekommen? Ich meine, drei Schüsse sind schlecht zu überhören.«
»Die Kennedyallee ist eine viel befahrene Straße. Wenn du die Fenster aufhast, hörst du nur Autolärm.«
»Also keiner hat etwas gehört, richtig?«
»Ja, zumindest behaupten sie es.«
»Kein Streit, keine Schüsse. Beide nackt, beide betrunken. Bisschen seltsam, bisschen sehr seltsam, findest du nicht?«
»Ich kann deine Gedanken verstehen. Als ich das gestern gesehen habe, da hat sich mir auch der Magen umgedreht, das darfst du mir glauben. Und dann auch noch die Wiesner. Ich hatte Angst, die würde sich am liebsten auch gleich noch umbringen.«
»Danke für die Infos. Ich will dich jetzt nicht länger stören. Wir sehen uns morgen.«
»Keine Ursache. Dann bis morgen. Und glaub mir, das ist zwar eine saublöde Geschichte, aber mit Sicherheit nur sekundär für die Mordkommission. Und jetzt mach dir noch einen schönen Tag. Tschüs.«
Julia Durant legte den Hörer auf den Tisch und öffnete leise die Schlafzimmertür. Dominik Kuhn schlief tief und fest. Sie zog eine Bluse und Jeans an und schlüpfte in ihre Tennisschuhe. Wenn sie sich beeilte, würde sie in einer Stunde wieder da sein. Sie schrieb einen Zettel, falls er wach werden sollte, bevor sie zurück war, und ging zu ihrem Wagen. Sie brauchte nur etwas über zehn Minuten bis zum Präsidium.
Die Fotos waren eindeutig, wie Güttler schon gesagt hatte. Irina Puschkin wurde mit zwei Schüssen getötet, einer in die Brust und einer direkt über der Nasenwurzel. Anschließend hatte Wiesner sich selbst in den Kopf geschossen, die Waffe hielt er noch in der Hand. Eine Autopsie hatte noch nicht stattgefunden.
»Scheißspiel, was?«, sagte einer der Männer vom KDD, der neben Julia Durant stand und ebenfalls die Fotos betrachtete. »Da hat ein Mann alles, was er nur haben kann, und dann gibt es doch irgendwas, was ihn …«
»Ja, es ist ein verdammtes Scheißspiel«, unterbrach ihn die Kommissarin lakonisch. »Wer hat in der Rechtsmedizin Bereitschaft?«
»Keine Ahnung, müsste ich nachschauen.« Nach einer Weile kehrte er zurück und sagte: »Bock.«
Julia Durant nahm den Hörer in die Hand und tippte Bocks Nummer ein. Er meldete sich sofort.
»Hier Durant. Entschuldigen Sie, wenn ich Ihre sonntägliche Ruhe störe. Haben Sie schon die Leichen von Wiesner und dieser Puschkin untersucht?«
»Frau Durant, heute ist in der Tat Sonntag, und wir haben keinen mysteriösen Mordfall zu bearbeiten. Und nein, ich habe die Leichen noch nicht untersucht. Aber ich verspreche Ihnen, das gleich morgen früh zu erledigen.«
»Kann ich die Leichen sehen?«, fragte sie.
»Sicher, morgen früh ab acht«, antwortete Bock barsch.
»Ich würde sie aber am liebsten heute noch sehen. Am besten gleich.«
»Jetzt?!« Bocks Stimme überschlug sich fast.
»Ja, warum nicht?«
»Weil heute verdammt noch mal Sonntag ist!«
»Ich würde sie trotzdem gerne sehen. Sie brauchen doch höchstens eine Viertelstunde, bis Sie dort sind. Sie haben dann auch was gut bei mir.«
»Und was versprechen Sie sich davon, wenn Sie die Leichen sehen? Ich habe sie mir gestern Abend kurz angeschaut, und ich kann Ihnen sagen, ich habe nichts Ungewöhnliches festgestellt.«
»Und wenn ich Sie ganz doll bitte?«, säuselte die Kommissarin in den Hörer.
Und Bock gab tatsächlich nach. »In einer Viertelstunde in der Rechtsmedizin. Und wenn Sie nicht pünktlich sind, bin ich sofort wieder weg.«
»Sie sind ein Schatz«, sagte Durant grinsend, legte auf, nahm ihre Tasche und eilte den Gang hinunter zum Parkplatz. Sie stieg in ihren neuen Corsa und raste los. Knapp fünf Minuten vor Bock war sie da, der ein kurzärmliges blaues Hemd und Jeans trug.
»Sie liegen in der Kühlhalle«, sagte er, schloss die Tür auf und machte das Licht an. Die Neonröhren flackerten kurz auf, bevor alles in ein unwirkliches, dem Tod entsprechendes, bläulich-kaltes Licht getaucht wurde. Hier herrschte der typische Geruch des Todes. Es war sehr kalt. Insgesamt befanden sich vierzehn Leichen in dem Raum, eine davon bis zur Unkenntlichkeit verbrannt.
»Hier hinten sind sie«, sagte Bock und ging vor Durant zu den beiden Bahren, auf denen Wiesner und Puschkin lagen. An ihren großen Zehen hingen die Zettel mit ihren Namen sowie einer Nummer und dem Datum. Irina Puschkin trug noch immer die schwarzen Strümpfe, während Wiesner vollkommen nackt war. Er war schlank und zu Lebzeiten sicher in körperlich guter Verfassung gewesen, wie Durant feststellte. Irina Puschkin hatte eine fast perfekte Figur mit einem großen festen Busen, langen schlanken Beinen und kurzen blonden Haaren. Die Kommissarin trat näher an die Toten heran und ging um sie herum. Die Einschusslöcher waren deutlich zu erkennen, bei Irina Puschkin etwas links vom Brustbein genau ins Herz und ein weiteres Loch in der Stirn direkt über der Nasenwurzel. Bei Wiesner war es anders. Er hatte sich in den Kopf geschossen, etwas unterhalb der Nasenwurzel, leicht rechts von der Nase.
Durant betrachtete noch einmal genau Irina Puschkin, dann Andreas Wiesner. Sie griff sich ans Kinn, überlegte eine Weile und sagte: »Professor Bock, wenn Sie sich in den Kopf schießen würden, wie würden Sie das tun?«
Bock sah die Kommissarin verwundert an, bevor er antwortete: »Die sicherste Methode ist, sich die Waffe in den Mund zu stecken und gegen den Gaumen zu halten. Das ist garantiert tödlich. Gegen die Schläfe kann schief gehen. Manch einer hat das schon versucht und ist jetzt für den Rest seines Lebens ein Pflegefall. Wichtig ist, dass die wesentlichen Teile des Gehirns getroffen werden, also am besten Frontallappen, Parietallappen, Temporallappen und Okzipitallappen. Bei einem Schuss, der genau durch die Nasenwurzel geht und am Hinterkopf genauso gerade wieder austritt, ist der Exitus garantiert. Warum wollen Sie das wissen?«
Sie ließ Bocks Frage unbeantwortet. »Ist den beiden Blut abgenommen worden?«
»Natürlich. Moment, ich muss nur mal schnell nachsehen … Hier hab ich’s, Puschkin 2,3 Promille, Wiesner 1,9 Promille. Todeszeitpunkt bei beiden zirka sechzehn Uhr dreißig, plus minus einer Viertelstunde.«
»Kann jemand mit 1,9 Promille so genau schießen?«
»Wenn er Alkoholiker ist, dann sind 1,9 Promille so gut wie gar nichts. Ein richtiger Alkoholiker kann unter Umständen auch mit 2,5 oder sogar 3 Promille noch gut zielen oder Auto fahren. Es kommt auf die Konstitution an …«
»Es lässt sich doch sicherlich bei einer Autopsie feststellen, ob jemand Alkoholiker war. Würden Sie das bitte für mich rausfinden?«
Zum ersten Mal an diesem Nachmittag grinste Bock. »Da brauch ich mir nur die Leber und die Bauchspeicheldrüse anzuschauen, und schon weiß ich, ob jemand über einen längeren Zeitraum hinweg Alkoholmissbrauch betrieben hat. Die Leber lügt nicht. Man kann’s übrigens auch am Gehirn riechen, wenn jemand gesoffen hat.«
»Das glaub ich Ihnen sogar. Kommt Ihnen dieser merkwürdige Kopfschuss von Wiesner nicht spanisch vor?«
»Ich weiß nicht, was Sie meinen.«
»Na ja, zum einen ist er nicht besoffen genug, um auf seine Geliebte zwei absolut gezielte und tödliche Schüsse abzufeuern, zum anderen geht er bei sich selbst fast dilettantisch vor. Das hätte ja auch schief gehen können, oder?«
»Schief gehen?«
»Dass er eben nicht tot ist, sondern nur ein Pflegefall, wie Sie gerade so schön gesagt haben.«
Bock schüttelte den Kopf. »Nein, nicht bei den verwendeten Kugeln. Die sind komplett durch den Körper gedrungen. Die Puschkin hat zwei kleine Einschusslöcher vorne und genauso kleine Löcher im Rücken und am Hinterkopf. Und bei Wiesner ist die Kugel ebenfalls am Hinterkopf ausgetreten, ohne große Spuren zu hinterlassen. Wollen Sie’s sehen?«, fragte er grinsend.
»Scheiße!«, entfuhr es der Kommissarin. »Da hat er also doch ganze Arbeit geleistet. Nun gut, führen Sie die Autopsie durch und lassen Sie mich wenigstens wissen, ob Wiesner Alkoholprobleme hatte. Wann kann ich den Bericht haben?«
»Morgen Mittag. Aber im Grunde genommen, wenn ich schon mal hier bin … Ich bin sowieso allein zu Hause, meine Frau ist bei ihrer Mutter in Dortmund … Ich kann mir den Wiesner ja gleich mal vornehmen. Vielleicht ruf ich Sie schon in anderthalb oder zwei Stunden an.«
»Ich hab aber heute keinen Dienst. Sie können mich zu Hause erreichen. Vielen Dank, Sie haben wirklich was gut bei mir.«
»In Ordnung. Hier drin ist es wenigstens schön kühl.«
Durant musste unwillkürlich grinsen ob des makabren Humors von Bock. »Dann bis nachher, und erkälten Sie sich nicht.« In der Tür drehte sie sich noch einmal um und sagte: »Hatten die beiden eigentlich Geschlechtsverkehr?«
»Ich nehme an, die haben sich nicht nur wegen der Hitze nackt ausgezogen.«
Julia Durant kam wieder auf Bock zu. »Gut, dann halten wir mal fest: Wiesner hatte 1,9 Promille, die Puschkin 2,3. Ist es da nicht eher wahrscheinlich, dass sie keinen Sex hatten? Ich meine, ich kann mich auch irren, aber Männer haben nach exzessivem Alkoholgenuss oftmals ziemliche Probleme, wenn Sie verstehen, was ich meine. Schauen Sie doch bitte mal nach, ob Sie irgendwelche Spermaspuren finden. Und zwar bei beiden. Ich will vor allem wissen, ob an Wiesners Penis …«
Bock trat dicht vor Durant, die rechte Augenbraue hochgezogen. »Sagen Sie, haben Sie einen Verdacht?«
»Noch nicht. Ich will nur sichergehen, das ist alles. Können Sie mir den Gefallen tun und nach Sperma oder Vaginalsekret an Wiesners kleinem Mann suchen?«
»Ich werde den kleinen Wiesner genauestens inspizieren«, erwiderte Bock erneut grinsend.
»Danke.«
Als sie wieder im Freien war, empfand sie die Hitze als noch erdrückender. Ihr Wagen stand in der prallen Sonne, der Innenraum hatte sich in der kurzen Zeit auf über sechzig Grad aufgeheizt. Sie kurbelte die Fenster herunter, machte die Türen auf und wartete eine Weile. Nach etwa fünf Minuten setzte sie sich auf den glühend heißen Sitz und startete den Motor. Auf der Fahrt nach Hause dachte sie unentwegt an Wiesner und Puschkin. Irgendetwas stimmte nicht, aber sie kam nicht darauf, was es sein konnte.
Als sie zu Hause anlangte, schlief Kuhn noch. Sie zog sich aus und stellte sich zum zweiten Mal an diesem Tag unter die Dusche. Nachdem sie sich abgetrocknet hatte, setzte sie sich bloß mit einem Slip und einem T-Shirt bekleidet auf die Couch. Sie zündete sich eine Zigarette an und überlegte. Es war nur ein vages Gefühl, Intuition, vielleicht auch Instinkt, doch sie spürte, dass irgendetwas an dieser Sache nicht zusammenpasste. Aber sie wusste nicht, woher dieses Gefühl kam. Julia, du verrennst dich da in eine Sache, dachte sie kopfschüttelnd, ging an den Kühlschrank und holte sich eine Dose Bier heraus. Sie öffnete sie, trank einen Schluck und blickte auf den Zettel mit der Adresse von Wiesners Frau. Sie wollte sich mit ihr unterhalten, um herauszufinden, was für ein Mensch ihr Mann gewesen war, und dann alles Weitere den Kollegen überlassen und sich wieder dem drögen Polizeialltag widmen, was nichts anderes hieß, als liegen gebliebene Akten aufzuarbeiten. Nur kurz mit Frau Wiesner sprechen. Nicht mehr. Nur mit ihr sprechen.
Das Telefon klingelte, als Julia Durant gerade Dominik Kuhn wecken wollte, weil sie der Meinung war, dass er lange genug geschlafen hatte. Sie hatte schon vor einer Stunde einmal einen kurzen Blick ins Schlafzimmer geworfen, doch da atmete er ruhig und gleichmäßig, und sie brachte es nicht übers Herz, ihn zu wecken. Sie meldete sich nach dem zweiten Läuten.
»Durant.«
»Hier Bock. Lassen Sie’s mich ganz kurz machen, denn ich will jetzt wirklich bald nach Hause. Also, Wiesners Leber, Bauchspeicheldrüse und Nieren sind absolut in Ordnung. Für mich gibt es keine Anzeichen, die dafür sprechen, dass er über einen längeren Zeitraum hinweg Alkoholmissbrauch betrieben hat. Es kann natürlich nie ganz ausgeschlossen werden, dass jemand nur hin und wieder einmal kräftig einen über den Durst trinkt, und zwar über ein paar Tage hinweg, aber die gesamte körperliche Konstitution lässt mich bei Wiesner eher daran zweifeln. Tja, und jetzt hab ich den nächsten Punkt – er hatte vor seinem Ableben keinen Geschlechtsverkehr. Ich habe daraufhin die Puschkin untersucht, und auch sie hat zumindest an dem Tag mit keinem Mann geschlafen. Wiesners Penis wurde auch nicht gewaschen, ich habe Urin-, Schweiß- und Faserspuren gefunden, doch nichts, was darauf hindeutet, dass er seinen kleinen Mann für irgendwas anderes benutzt hat als zum Pinkeln. Aber, und das muss ich Ihnen leider auch mitteilen, es gibt Schmauchspuren an seiner rechten Hand. Und das ist der Punkt, der nun mal eindeutig ist.«
»Aber warum waren die beiden dann nackt, als sie gefunden wurden?«, sagte die Kommissarin nachdenklich.
»Fragen Sie mich das etwa?« Bock lachte kurz auf. »Du meine Güte, vielleicht hatten sie sich den Tag auch anders vorgestellt und wollten zur Sache kommen, und da … Ach, was weiß ich! Ich hab in meiner Laufbahn schon die merkwürdigsten Dinge auf den Tisch gekriegt, da ist das hier noch relativ harmlos …«
Durant unterbrach ihn. »Und Sie sind sicher, dass Wiesner kein Alkoholiker war?«
»Hören Sie, das Wort sicher gibt es auch in meinem Beruf nicht. Vielleicht hat er erst seit kurzem getrunken, was natürlich in der Leber und anderen Organen nur schwer nachzuweisen ist. Aber nehmen wir mal an, er hat vor etwa zwei Wochen mit der Trinkerei angefangen und seinen Konsum Tag für Tag ein wenig gesteigert, das heißt, erst ein Glas Bier, dann zwei, dann drei und so weiter. Dazu vielleicht noch den einen oder andern Cognac oder Klaren, und schon wäre er in einer Art Abhängigkeit gewesen. Lassen Sie persönliche Konflikte dazukommen, finanzielle oder geschäftliche Probleme. Mein Gott, es geht schneller, als man denkt, die Sauferei meine ich. Also, um es klarzustellen, ich habe zwar an Wiesners Körper keine Spuren von längerem Alkoholmissbrauch ausmachen können, was jedoch nicht zwangsläufig heißen muss, dass er nicht vielleicht erst vor zwei oder drei Wochen damit angefangen hat. Aber mancher Körper verträgt schon nach einer relativ kurzen Zeit ziemlich viel. Reicht Ihnen das fürs Erste?«
Julia Durant atmete tief durch. »Ja, Professor. Haben Sie herzlichen Dank für Ihre Mühe. Ich habe mich da wohl doch in etwas verrannt. Wann schicken Sie den kompletten Bericht rüber?«
»Irgendwann morgen Nachmittag. Ich habe noch keine Schädelöffnung vorgenommen, das überlass ich immer gerne unserem kleinen Quasimodo«, sagte er lachend, womit er seinen Gehilfen meinte, der nur selten etwas sagte und seine meist makabre Arbeit mit einer schon fast unnatürlichen Akribie verrichtete. Besondere Freude schien er daran zu haben, Schädelöffnungen vorzunehmen, wobei sein Lieblingsspielzeug die Handkreissäge war. Doch das war nur die Meinung einiger weniger, denn im Grunde gehörte Akribie zu den wesentlichen Eigenschaften eines guten Rechtsmediziners und seiner Gehilfen. »Außerdem haben wir morgen Vormittag wieder ein paar Studenten und Beamte, und da wollen wir denen schon was bieten. Auch wenn die Leiche von Wiesner bereits etwas ramponiert ist. Aber ich habe alles wieder an seinen ursprünglichen Platz zurückgelegt. Tja, wenn’s weiter nichts gibt, werde ich mich mal auf den Weg nach Hause machen und mich noch ein wenig ausruhen. Schönen Abend noch. Und dass ich bei Ihnen was gut habe, darauf komme ich bei Gelegenheit zurück.«
»Versprochen ist versprochen. Und nochmals vielen Dank. Und auch Ihnen einen schönen Abend.«
Sie legte auf und bemerkte nicht, dass Dominik Kuhn hinter ihr stand. Er wirkte verschlafen, streckte sich und rieb sich die Augen.
»Es ist ja schon gleich sechs«, sagte er etwas vorwurfsvoll und kam auf Durant zu. »Warum hast du mich so lange schlafen lassen? Ich wollte doch den Nachmittag mit dir verbringen, weil ich heute Abend unbedingt noch mal in die Redaktion muss. Es ist schließlich mein Bericht, und ich will nicht, dass irgendwer darin rumpfuscht. Außerdem könnte es immerhin sein, dass die Polizei inzwischen was gesagt hat.«
»Und wann willst du los?«
»Ich dusch mich nur ganz kurz, düse rüber in die Redaktion und bin spätestens um halb zehn, zehn wieder hier. Nicht sauer sein, okay?«
Julia Durant schüttelte den Kopf. »Es ist dein Job«, erwiderte sie nur und zündete sich eine Zigarette an.
»Was hast du eigentlich heute Nachmittag gemacht?«, fragte Kuhn und schlang seine Arme von hinten um sie.
»Ein bisschen gelesen, ferngesehen, dies und das eben«, schwindelte sie. »Komm, mach dich fertig, sonst schnappt dir am Ende noch einer deine Topstory weg.«
»Geht nicht, ich habe sozusagen ein Copyright darauf. Und sollte mir einer in die Quere kommen, dann, peng, kriegt er gewaltig eins vor den Bug.«
Durant grinste, wand sich aus seiner Umarmung und stellte sich ans Fenster. Die Hitze in der Wohnung war beinahe unerträglich, und der Wetterbericht kündigte für die nächsten Tage sogar noch höhere Temperaturen bis fünfunddreißig Grad an. Fünfunddreißig Grad, die in einer Stadt wie Frankfurt zur Hölle werden konnten. Sie dachte für einen Moment an ihr Büro, das an solchen Tagen zu einem wahren Glutofen wurde. Kuhn war ins Bad gegangen, sie hörte das Wasser in der Dusche laufen.
Warum interessierte sie dieser Fall eigentlich so? Sie hatte keine Antwort darauf. Sie wusste nur, dass sie Frau Wiesner kennen lernen musste. Am besten heute Abend noch. Vielleicht hatte sich ihr Zustand ja inzwischen etwas stabilisiert. Sie würde natürlich Kuhn nichts davon sagen, es ging ihn im Prinzip auch gar nichts an. Aber sobald er das Haus verlassen haben würde, würde auch sie sich in ihr Auto setzen und nach Glashütten fahren, wo Frau Wiesner wohnte. Sie hatte nicht einmal eine Vorstellung von der Frau, konnte sich höchstens in ihre Gefühlswelt hineinversetzen (aber auch das nur vage) in dem Moment, als sie ihren Mann und diese ihr fremde Frau nackt und tot vorgefunden hatte. Sie drückte ihre Zigarette aus, trank den letzten Schluck aus der Dose mit dem nun warmen Bier und warf sie in den Mülleimer. Sie ging ins Schlafzimmer, machte das Bett und öffnete das Fenster. Die Sonne stand jetzt genau links über dem Haus, der am Nachmittag noch böige, heiße Wind ließ allmählich nach. Dominik Kuhn kam aus dem Bad. Er trug Jeans und ein T-Shirt, sein Handy hatte er mit einem Clip am Gürtel befestigt. Der Duft eines herben Deodorants breitete sich im Zimmer aus.
»So, dann werd ich mich mal auf den Weg machen. Sorry, dass das Wochenende so beschissen gelaufen ist. Aber ich hab zum Glück erst wieder in drei Wochen Bereitschaft.«
»Und ich die ganze nächste Woche. Es könnte sein, dass wir uns nur wenig sehen«, erwiderte Julia Durant und gab ihm einen langen Kuss. »Und jetzt verschwinde schon.«
»Bis nachher. Ich bin bestimmt nicht später als zehn zurück. Und denk dran, ich liebe dich.«
»Ich weiß.«