Robert Pfaller
Zweite Welten
Und andere Lebenselixiere
Fischer e-books
Robert Pfaller, geboren 1962, studierte Philosophie in Wien und Berlin und war nach Gastprofessuren in Chicago, Berlin, Zürich und Straßburg Professor für Kulturwissenschaft und Kulturtheorie an der Kunstuniversität Linz. Seit 2009 ist er Professor für Philosophie an der Universität für angewandte Kunst Wien. Im Fischer Verlag ist von ihm ›Das schmutzige Heilige und die reine Vernunft. Symptome der Gegenwartskultur‹ erschienen, sowie die vielbeachtete Studie ›Wofür es sich zu leben lohnt. Elemente materialistischer Philosophie‹.
Weitere Informationen, auch zu E-Book-Ausgaben, finden Sie bei www.fischerverlage.de
Covergestaltung: Gundula Hißmann und Andreas Heilmann, Hamburg
Coverabbildung: André Held / akg-images
© 2012 S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main
Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.
Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.
ISBN 978-3-10-402113-3
S. Ginzburg [1995]: 74–91. Die zitierte Formulierung der Frage taucht nur auf dem Rückendeckel des Buches auf; es ist für mich nicht feststellbar, ob sie von der Autorin selbst stammt.
(Meine Übers., R. P.). Siehe Pascal 2004: 1129:) »L’homme n’est ni ange ni bête, et le malheur veut que qui veut faire l’ange fait la bête.«
S. Montaigne 1998: 567.
Vgl. dazu Žižek 1999.
Daher rührt das paradoxe, für den Traum konstitutive Wissen, dass er ein Traum ist. Freud [1900a]: 334, 470, 544; Nietzsche 1988: 38; Lacan 1987: 82.
S. dazu Lacan [1955–56]: 293ff.; vgl. Žižek 2006a: 37.
Trio Lepschi, CD »mit links«, s. www.triolepschi.at
Ich bin Mona Hahn, Wien, dankbar für die Diskussion dieser Fragen im Rahmen des Forschungsprojekts »Transferences: Psychoanalysis – Art – Society« (siehe Vorwort).
»Ich meine nur, jedenfalls hatte der römische Kaiser unrecht, welcher einen Untertanen hinrichten ließ, weil dieser geträumt hatte, daß er den Imperator ermordet. Er hätte sich zuerst darum bekümmern sollen, was dieser Traum bedeutete; sehr wahrscheinlich war es nicht dasselbe, was er zur Schau trug. Und selbst wenn ein Traum, der anders lautete, diese majestätsverbrecherische Bedeutung hätte, wäre es noch am Platze, des Wortes von Plato zu gedenken, daß der Tugendhafte sich begnügt, von dem zu träumen, was der Böse im Leben tut.« (Freud [1900a]: 587)
Siehe Platon, Politeia 266a: »[…] das Erzeugnis der Malkunst […], gleichsam ein Traum, für Wachende zubereitet«.
Siehe Platon, Politeia 597e: »Des dritten Erzeugnisses Vorsteher von dem Wesen ab nennst du also Nachbildner.«
Siehe Platon, Politeia 599d–e: »Lieber Homer, […] sag uns, welche Stadt durch dich zu einer besseren Verfassung gekommen ist«.
Siehe Platon, Politeia 386a ff.; 605c ff.
In Politeia 571c–572b entwirft Platon freilich die Möglichkeit, durch Anregung der Vernunft (Logos) vor dem Einschlafen und durch Beschwichtigung der übrigen Seelenkräfte des Begehrens (Eros) und des Zornes (Thymos), zu verhindern, dass »ruchlose Gesichter in den Träumen zum Vorschein kommen«.
Siehe dazu Platon, Politeia 576b: »So laß uns den Schlechtesten noch einmal kurz zusammenfassen. Es ist aber doch der, welcher, wie wir einen Träumenden beschrieben, ein solcher im Wachen ist.«
Da die Musik, wie in der Antike überdeutlich wurde, Massen in Raserei zu versetzen vermag, wird sie sowohl bei Platon als auch bei Aristoteles zu einem zentralen Gegenstand der politischen Theorie. Mit vergleichbarem Ernst wurde sie wohl erst wieder rund 2400 Jahre später, von den Theoretikern der Popmusik, z.B. in »spex«, behandelt.
S. Aristoteles, Politik 1341b–1342a. Vgl. dazu auch die klare, englische Übersetzung in Bernays 1979: 157.
S. dazu Miggelbrink 1999; vgl. Grunberger/Dessuant 2000: 117ff.; Sloterdijk 2006: 25.
S. dazu Freud [1908d]: 18: »Unsere Kultur ist ganz allgemein auf der Unterdrückung von Trieben aufgebaut. Jeder Einzelne hat ein Stück seines Besitzes, seiner Machtvollkommenheit, der aggressiven und vindikativen [rachgierigen] Neigungen seiner Persönlichkeit abgetreten; aus diesen Beiträgen ist der gemeinsame Kulturbesitz an materiellen und ideellen Gütern entstanden. […] das Stück Triebbefriedigung, auf das man verzichtet hatte, wurde der Gottheit zum Opfer gebracht; das so erworbene Gemeingut für ›heilig‹ erklärt.«
Marx [1844]: 381.
Einen Überblick und viel Information zu den einzelnen Folgen bietet der Band von Smith [2002].
Wegen der Konkretheit ihrer Helden werden die Titel von Tragödien meist durch Eigennamen gebildet, die von Komödien dagegen von abstrakten Funktionsbezeichnungen. Dies hat Alenka Zupančič in einer brillanten Formulierung festgestellt: »It would be hard to imagine, as titles of tragedies, universal or generic names – to change, for example, the title Antigone into The (Untamed) Shrew, Othello into The Jealous Husband, Romeo and Juliet perhaps straight into Love’s Labour’s Lost. It would indeed be hard to do this and still remain on the territory of tragedy.« (Zupančič 2008: 37)
Das Motiv des materialistischen Atomismus der Komödie habe ich vor kurzem in anderem Zusammenhang ausführlicher untersucht, siehe Pfaller 2011, Kap.4.
Dies bemerkt Blaise Pascal, wenn er schreibt: »Zwei ähnliche Gesichter, von denen keines für sich allein lächerlich wirkt, reizen gemeinsam durch ihre Ähnlichkeit zum Lachen.« (Pascal 1997: 40; éd. Lafuma, § 13). Sigmund Freud hat diese Merkwürdigkeit wie folgt erklärt: Die Verdoppelung ist deshalb komisch, da das zweite Gesicht als Kommentar bzw. als Kritik des ersten erscheint (s. Freud [1921c]: 96). Genau solche Kommentare liefert die zweite Bühne von S&C.
S. dazu Mannoni 1985: 9ff. sowie 161ff.
Diese Parallelität von Stadt und Komödie scheint ihre Bestätigung zu finden in dem Umstand, dass die Fähigkeit zu pointiertem, gewitztem Sprechen in der antiken Rhetorik als Tugend der »urbanitas« bezeichnet wurde (siehe Cicero De oratore I, 17, 159; II, 227f., 236; III, 42f.; Brutus 170ff., 285.; Quintilian 1988: 721; vgl. dazu Federhofer 2001; Ramage 1973; vgl. a. Lange 1968: 142f. – Ich bin Rudolf Helmstetter, Berlin, dankbar für entscheidende Hinweise und Diskussionen zu dieser Frage.)
S. dazu Alain 1982: 13: »Gebe ich mich finsteren Gedanken, düsteren Ahnungen, drückenden Erinnerungen hin, spiele ich mir meine Traurigkeit gleichsam vor und genieße sie […]«; vgl. auch ebd. 201: »Ein unhöflicher Mensch ist auch dann noch unhöflich, wenn er allein ist […]«
Zu dieser Instanz des »naiven Beobachters« siehe Mannoni 1985: 9ff; Pfaller 2002, Kapitel 9.
S. Kant [1790]: 186.
S. dazu Oberlehner 2005 sowie Béjin 1984, der darauf hinweist, dass die Form der »Zweierbeziehung ohne Trauschein« inzwischen in vielen westlichen Gesellschaften vorherrschend geworden ist gegenüber der traditionellen Form der Ehe.
S. zu dieser Kritik z.B. Lau 2000: 152, 157. Die von Lau mit Recht kritisierte postmoderne Verengung der Sicht auf die Sexualität dürfte erheblich beigetragen haben zu den aktuell verbreiteten Symptomen der sogenannten »Postsexualität« (s. dazu unten, Kapitel 3).
In diesem Punkt schließen die Heldinnen von S&C an eine Position des modernen Feminismus der 70er Jahre an. Damals bezeichnete zum Beispiel Suzanne Brøgger die Monogamie kühn als den »Kannibalismus unserer Zeit«. (Brøgger [1973]: 11)
S. Pascal 1997, § 412.
S. Smith [2002]: 92
Zum Motiv der Liebesgabe siehe Mauss [1925]: 132; zur Rolle der künstlerischen Produktion als Ablenkung und Rückwendung narzisstischer Libido auf die Außenwelt siehe Dahlke 2006: 58.
Siehe dazu zum Beispiel Guillebaud 2001. Obwohl der Autor klar bemerkt, dass die von ihm beobachtete Veränderung ein Wechsel der Diskurse und nicht der Realitäten ist (»Weder in Europa noch in Amerika hat sich die Gesellschaft über Nacht in eine verbrecherische, blut- und kinderschänderische verwandelt. […] Was sich verändert, sind nicht so sehr die Fakten als vielmehr deren Beurteilung.« Guillebaud 2001: 24–25), verfällt des Öfteren in »realistische« Mutmaßungen wie die folgende: »Weil wir zu leichtsinnig alles über Bord geworfen haben, kehrt das Verbot zurück …« (ibid.: 38)
Ich bin Gijs van Oenen, Rotterdam, und Hermann Gabler, Amsterdam, dankbar für entsprechende Beobachtungen.
In den Begriffen des späten Michel Foucault ausgedrückt, würde dies bedeuten, »dass diese Praxis der Befreiung nicht ausreicht, um die Praktiken der Freiheit zu definieren« (s. Foucault 2007: 255).
Es gibt hier eine bestimmte »perspektivische Illusion«, die gegenwärtig meist bei minoritären Kulturen und Subkulturen auftritt: Sie besteht darin, sich selbst für homogen zu halten – das heißt, zu glauben, dass man sich mit der eigenen Kultur (bzw. »Identität«) gänzlich identifizieren könnte, wenn sie nur nicht von einer anderen unterdrückt würde. In Wahrheit aber gibt es keine eigene Kultur; dies ist eine Illusion, die sich lediglich der Unterdrückung verdankt. Denn jede symbolische Ordnung widersetzt sich der totalen Identifizierung (vgl. dazu Žižek 2002: 22). Ein Großteil der postmodernen Identitätspolitik beruht auf dieser Illusion: die vorherrschende Kultur wird als autoritär wahrgenommen; die unterdrückte hingegen so, als wäre sie gänzlich aneigenbar und ohne bindende Macht für die ihr angehörenden Individuen.
S. dazu http://www.sueddeutsche.de/panorama/artikel/837/135574/print.html (Zugriff: 2008-06-23)
S. dazu die paradigmatische Affäre, die 1989 in Manhattan zur Demontage von Richard Serras’ Arbeit »Tilted Arc« führte. Siehe dazu Lewitzky 2005; vgl. http://www.pbs.org/wgbh/cultureshock/flashpoints/visualarts/tiltedarc_a.html (Zugriff: 2012-04-12)
S. Žižek 2004: »There are two topics which determine today’s liberal tolerant attitude towards Others: the respect of Otherness, openness towards it, AND the obsessive fear of harassment – in short, the Other is OK insofar as its presence is not intrusive, insofar as the Other is not really Other … This is what is more and more emerging as the central ›human right‹ in late-capitalist society: the right not to be harassed, i.e., to be kept at a safe distance from the others.«
Hier wie in vielen anderen sozialen Bereichen lässt sich eine Entwicklung vom Fremdgeglaubten zum Selbstgeglaubten beobachten: von der Rücksicht darauf, was andere denken könnten, zum rücksichtslosen Geltendmachen dessen, wovon man selbst überzeugt ist. Letzteres aber erweist sich dabei als rücksichtslos sogar gegen einen selbst. Zu dieser ideologischen Entwicklung von der objektlibidinösen Form des Aberglaubens zur narzisstischen Form des Bekenntnisses siehe Pfaller 2002.
Siehe dazu Harsha Walla: Slutwalk: To march or not to march, http://rabble.ca/news/2011/05/slutwalk-march-or-not-march (Zugriff: 2012-04-03).
Vgl. dazu z.B. auch die zaghafte Behandlung des Begriffs »Perversion« durch die Sexualwissenschaft (s. dazu Pfaller 2002: 164–168). Jemand, der sich, wie ich glaube, wenigstens in diesem Punkt irrtümlich für einen Anhänger Wilhelm Reichs hält, hat in einem Weblog im November 2007 die Berliner Tagung zur »Postsexualität« kommentiert. Der Verfasser zitiert zustimmend eine Post-Anarcho-Website, in der die »Aufgabe allen Welt-Hasses & der Scham« gefordert wird. (http://fressnet.de/blog/?p=317 http://www.nadir.org/nadir/archiv/PolitischeStroemungen/Anarchistische_Bewegungen/taz/node29.html letzter Zugriff 18.4.2012). – Die Frage ist lediglich, ob die Aufgabe aller Scham nicht genau jene narzisstische Haltung darstellt, die den Welt-Hass hervorruft.
Anstatt die Kultur (die symbolische Ordnung) als Ordnung von Verboten aufzufassen, könnte man sie auch – wie Johan Huizinga dies vorgeführt hat – als Spielregel begreifen (s. Huizinga 1956). Und das Spiel kennt einen strengen, universellen und dem Lustprinzip verpflichteten Imperativ: Sei kein Spielverderber! Dass die Kultur gegenwärtig meist als heteronom und autoritär erfahren wird, hängt bezeichnenderweise eher mit dieser gebietenden als mit ihrer verbietenden Funktion zusammen.
S. dazu Bataille: »Das religiöse Verbot richtet sich grundsätzlich gegen eine bestimmte Handlung, aber es kann dieser Handlung auch einen neuen Wert verleihen. Zuweilen ist es möglich oder sogar vorgeschrieben, das Verbot zu verletzen, es zu überschreiten.« (Bataille 1993: 74)
Bataille ([1957]: 201f.) fasst sogar das, was üblicherweise als Inzestverbot begriffen wird, als ein Gebot auf – nämlich als Gebot der Verausgabung: »Der Vater, der seine Tochter, der Bruder, der seine Schwester heiraten würde, wären dem Besitzer von Champagner gleich, der niemals Freunde einlädt und ›schweizerisch‹ allein in seinem Keller trinkt. Der Vater muß den Reichtum, den seine Tochter darstellt, der Bruder den, der seine Schwester ist, in den Verkehr zeremoniellen Tausch[s] einführen: Er muß sie zum Geschenk geben; aber der Umlauf setzt eine Gesamtheit von […] Regeln voraus, ähnlich den Spielregeln.« – Nach den Verbrechen von Amstetten würde man heute lediglich das Wort ›schweizerisch‹ wohl eher durch ›österreichisch‹ ersetzen.
Eine Kurzfassung erschien in der Zeitschrift Neon, 12/2011: 64f.
Nietzsche notiert: »In Betreff eines Weibes zum Beispiel gilt dem Bescheideneren schon die Verfügung über den Leib und der Geschlechtsgenuss als ausreichendes und genugthuendes Anzeichen des Habens, des Besitzens; ein Anderer, mit seinem argwöhnischeren und anspruchsvolleren Durste nach Besitz, sieht das »Fragezeichen«, das nur Scheinbare eines solchen Habens, und will feinere Proben, vor Allem, um zu wissen, ob das Weib nicht nur ihm sich giebt, sondern auch für ihn lässt, was sie hat oder gerne hätte–: so erst gilt es ihm als ›besessen‹. Ein Dritter aber ist auch hier noch nicht am Ende seines Misstrauens und Habenwollens, er fragt sich, ob das Weib, wenn es Alles für ihn lässt, dies nicht etwa für ein Phantom von ihm thut: er will erst gründlich, ja abgründlich gut gekannt sein, um überhaupt geliebt werden zu können, er wagt es, sich errathen zu lassen–. Erst dann fühlt er die Geliebte völlig in seinem Besitze, wenn sie sich nicht mehr über ihn betrügt, wenn sie ihn um seiner Teufelei und versteckten Unersättlichkeit willen eben so sehr liebt, als um seiner Güte, Geduld und Geistigkeit willen.« (Nietzsche [1886]: 97f.)
S. dazu Griffin 1999.
S. Engels [1884]: 81f.
S. Kant [1798]: BA 42f.
S. Laclos 1993: 225; 1985: 207.
S. Žižek 2004.
Eine ähnliche postmodern-essentialistische Vorstellung lautet, Frauen hätten im Unterschied zu Männern eben ein Bedürfnis nach Monogamie. Dem gegenüber ist es allerdings aufschlussreich zu beobachten, dass homosexuelle Frauen sehr oft ganz andere als monogame Lebensformen wählen. Vgl. dazu Easton/Hardy 2009.
»Tinker, Tailor, Soldier, Spy« UK/F 2011, R: Tomas Alfredson, D: Gary Oldman, Colin Firth u.a., B: John le Carré.
Slavoj Žižek hat vor kurzem in Bezug auf die Enthüllungen von »Wikileaks« sehr präzise diese Antinomie untersucht: Wann ist Aufdeckung, Platzenlassen eines gehüteten Scheins eine emanzipatorische Tat? Und wann ist es, im Gegenteil, die Verhinderung einer solchen? Dazu führt Žižek ein schönes historisches Beispiel aus der portugiesischen »Nelkenrevolution« an; s. Žižek 2011.
S. Althusser 1993: 134 (meine Übersetzung, R. P.).
Eher unfreiwillige Zeugnisse dieser Ödnis liefern die Romane von Jönsson 2008 sowie Jönsson und Maresch 2010.
Daher kommen auch die im Zeit-Magazin Nr.14 vom 29.3.2012 ausführlich beschriebenen Schwierigkeiten, vor einem Liebesakt klar »Ja« oder »Nein« zu sagen – sowie der Umstand, dass sich diese Entscheidung dank »Nachträglichkeit« im Sinn Freuds später oft anders darstellt als im Moment.
Siehe dazu Ausführlicheres weiter unten im Kapitel über die »kleinen Freuden der Ungetäuschten«.
Denn unter hohem Über-Ich-Druck versuchen Menschen, andere Personen an die Stelle ihres eigenen tyrannischen Über-Ich zu setzen. Sie versuchen, sich durch Übertragung zu entlasten, indem sie den Anderen zum eigenen Gewissen machen (s. dazu Freud [1921c]: 119; 133). Das »intrasubjektive« Verhältnis wird dann zum »intersubjektiven« (s. dazu Lacan [1957–58]: 289).
S. dazu Mannoni 1985: 9ff.; vgl. dazu auch Bazon Brocks zivilisatorisches Programm der »Musealisierung« (Brock 2008).
Dies kann übrigens auch die Fiktion des »Dritten« betreffen, der unter Umständen ein unverzichtbarer Katalysator von Zweierbeziehungen sein kann (s. dazu Flaßpöhler 2008).
S. dazu Vaihinger 1913.
Freud 1912–13: 363.
Huizinga 1956: 27.
Freud 1908e: 171.
Krafft-Ebing 1997: 125, vgl. McDougall 1988: 271.
S. Žižek 1992a: 50.
S. Sontag 1990: 134.
S. dazu Pfaller 2002: 164–168.
Freud 1919h.
S. Evans 1996: 92.
S. Grunberger/Dessuant 2000.
Freud 1912d.
S. Freud [1921c]: 132.
Vgl. dazu Kardinal Joseph Ratzinger 1977: »Das Wunder ist das Zeichen dafür, daß Gott handeln kann, und in diesem Sinn hat es […] eine unersetzliche Bedeutung« (zit. nach Geppert/Kössler (Hg.) 2000: 17).
S. dazu Durkheim 1994: 47–51.
S. dazu z.B. den von Joseph Imorde analysierten Fall eines »antikommunistischen« Marienwunders in Syracus, Sizilien, in den 50er Jahren (Imorde 2011).
S. dazu Weiss 1984: 1054; Sennett [1974]: 15.
Umso mehr natürlich bekämpft die Religion »fremde« Wunder: Als in der Renaissance die Idee einer Wunder produzierenden, »dädalischen« Natur aufkam, wurden christliche Religion und frühe Naturwissenschaft sogar zu Verbündeten gegen diese »kreative« Naturphilosophie (s. Weiss 1984: 1059).
S. dazu das Argument von Lukrez (1991: 52f., Buch I: 150–160): Nichts wird aus nichts – denn sonst könnte ja alles aus allem entstehen.
Žižek 2000: 17f.
S. R. Musil, Der Mann ohne Eigenschaften, 1. Buch, 1. Teil, Kapitel 35: »Direktor Leo Fischel und das Prinzip des unzureichenden Grundes« (vgl. dazu auch Žižek 1993: 125). Ich bin Peter Moeschl, Wien, dankbar für wertvolle Hinweise und Diskussion zu diesem Motiv.
Ein anderes Beispiel sind Zauberkunststücke. Durch sie können nur große Menschen, nicht aber kleine Kinder beeindruckt werden: Denn wenn man es bereits erstaunlich und unerklärlich findet, dass aus dem Wasserhahn Wasser kommt, dann ist man auch nicht verblüffter, wenn aus einer Hand, in der eben noch nichts war, Münzen oder kleine Gummihasen kommen. Sowenig wie die Kinder die rationale Erklärung der natürlichen Vorgänge kennen, so unbekannt ist ihnen freilich auch die »irrationale« Erklärung, die Illusion, die im Zaubertrick dargestellt werden soll. Beide Ursachen zusammen führen zu einem Mangel an Verwunderung. (Ich danke Ernst Strouhal, Wien, für zahlreiche Anregungen und Gespräche zu Fragen der Zauberkunst und ihrer aufklärerischen Bedeutung. S. dazu auch Felderer/Strouhal [Hg.] 2007.)
S. dazu im Folgenden Abschnitt 11.
Man hätte vielleicht vermuten können, der Unterschied wäre dadurch begründet, dass das Glauben mit dem Hoffen, d.h. mit wunschgerechten Aussichten, das Unheimliche dagegen mit unerwünschten Folgen zusammenhängt. Freuds Beispiele widerlegen dies aber deutlich: Wenn dem Rattenmann die Tötung eines Rivalen durch Verwünschen zu gelingen scheint, so ist dies für ihn zwar wunschgerecht, aber äußerst unlustvoll und darum unheimlich (s. Freud [1919h]: 262). – Bezeichnend für das Ichfremde der Magie ist auch, dass sie, wie Frazer bemerkte, von der Annahme einer Gesetzmäßigkeit ausgeht (aus denselben Ursachen werden immer dieselben Wirkungen entspringen; s. Frazer 1989: 70). Ichkonform hingegen ist die religiöse Konzeption des Wunders als eines Bruchs mit jeglicher Gesetzmäßigkeit. Denn Gesetzmäßigkeit gilt dem Ich grundsätzlich als etwas Fremdes, der Außenwelt Zugehöriges (s. dazu Grunberger/Dessuant 2000: 117, 186).
S. dazu Pfaller 2008.
Wittgenstein 1993: 124.
Zu diesem Begriff siehe Pfaller 2002: 74ff.
Kant KdU, § 23. Die Kant’schen »Ideen«, mit denen man das Gemüt angefüllt haben muss, sind die Entsprechungen der zuvor erwähnten Mythen, die man kennen muss, um Wunderbares oder Unheimliches erleben zu können.
Dieses Verständnis des psychoanalytischen Begriffs der Sublimierung habe ich in einem anderen Text ausführlich begründet (Pfaller 2009).
Zu dieser Unterscheidung siehe Lacan [1969–70]: 11ff.; vgl. Žižek 1993: 125.
S. Žižek 1993: 125f.; vgl. Freud [1915a].
Shaw [1923], zitiert nach Geppert/Kössler 2011: 10f.
S. oben, Anm.1.
Dies könnte missverständlich sogar als eine Form der christlichen Tugend der »Demut« aufgefasst werden. Demgegenüber aber hatte Blaise Pascal mit Recht darauf hingewiesen, dass Demut nicht darin besteht, vermeintlich untrüglichen Beweisen zu folgen, sondern vielmehr darin, sich Ritualen zu unterwerfen, die einem »dumm« erscheinen und an die man nicht ernsthaft glauben kann (s. Pascal 1997: 230).
Insofern gehört diese trotzige, provokative Selbsterniedrigung zum Typus der sogenannten »schmutzigen Riten«, die Stephen Greenblatt treffend analysiert hat (Greenblatt 1995).
Magic Christian, Mitteilung bei der Enquête »Rare Künste«, Universität für angewandte Kunst, Wien, 10.11.2006.
Phänomene dieser und ähnlicher Art dokumentierte die Ausstellung »Wunder« 2011, Hamburg, und 2012 Krems. S. dazu den gleichnamigen Katalog (Wunder, 2011).
S. dazu Pfaller 2011.
S. dazu Welding 2011: 84.
Vgl. dazu Epikur: »So groß ist der Unverstand der Menschen, oder besser der Wahnsinn, daß einige von der Todesfurcht in den Tod getrieben werden.« (zit. nach Hossenfelder 1996: 218)
Trio Lepschi: CD »mit links«, siehe www.triolepschi.at
S. Montaigne 2006: 23.
S. dazu Signer 1997; Ruhs/Seitter (Hg.) 2007. Ich bin Mona Hahn, Wien, dankbar für Anregungen und Diskussion zu dieser Frage.
S. Deleuze 1979: 22.
Epikur, zit. nach Hossenfelder 1996: 192.
S. dazu Hossenfelder 1996: 23, 157.
S. dazu Lacan [1963]: 135, 152ff.
Ich bin Stian Grøgaard dankbar für diese Formulierung und ein schönes Gespräch über verwandte Fragen.
S. Stendhal o.J.: 33, Anm.; Pope siehe http://poetry.eserver.org/essay-on-man/epistle-iv.txt (Zugriff: 2012-04-06).
S. Epikur 2005: 73.
Als Dokument dieser Haltung siehe Kruse 1998; vgl. auch Parin 1991.
S. dazu Freud [1900a]: 510f., 525.
Epikur 2005: 95.
S. Pascal 1997: 94ff.
S. dazu Greenblatt 1995.
S. Freud [1914g].
Ich habe diese Zusammenhänge ausführlicher erläutert in Pfaller 2008a: 20–23.
Zum Gegensatz von Gemeinschaft und Gesellschaft siehe Tönnies 1912; vgl. Plessner 2002.
S. dazu Althusser [1965D]: 76: »Es gilt zu erkennen, daß es keine Praxis im allgemeinen, sondern nur verschiedene Praxisformen gibt, die nicht in manichäischer Beziehung zu einer Theorie stehen, die ihnen entgegengesetzt und fremd wäre. Es gibt nicht einerseits die Theorie als reine geistige Schau ohne Körper und Materialität und andererseits eine durch und durch materielle Praxis, die dann ›Hand anlegte‹.«
Siehe dazu http://www.wochenklausur.at/kunst.php?lang=de (Zugriff: 2010-01-09).
Siehe http://www.benayoun.com/projetwords.php?id=123 (Zugriff: 2010-01-09).
Es ist vielmehr oft fraglich, ob es solche Naive überhaupt gegeben hat. Dies gilt nicht nur für die Trompe-l’œil, sondern auch für die Mythen von den Wirkungen der Kunst selbst: sollte irgendjemand den Apolog über Zeuxis und Parrhasios jemals für wahr gehalten haben? Wir haben es hier also mit einer »Einbildung ohne Eigentümer«, einer »anonymen Illusion«, zu tun (s. dazu Pfaller 2002).
Hier schließt sich das von der Psychoanalyse Octave Mannonis entdeckte Problem der »Illusionen der anderen« an. Siehe dazu Mannoni 1985; Pfaller 2002.
S. Althusser [1965]: 38 (»cette lecture à ciel et visage ouverts de l’essence dans l’existence«)
S. Spinoza 1976: 110.
S. http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv/.bin/dump.fcgi/2003/0207/feuilleton/0060/ (Zugriff: 2010-01-12); vgl. auch http://de.wikipedia.org/wiki/Guernica_(Bild).
S. http://www.faz.net/s/RubCC21B04EE95145B3AC877C874FB1B611/Doc~E1604F6CE20824743B7545852DB6A2050~ATpl~Ecommon~Scontent.html (Zugriff: 2010-01-12).
S. Mannoni 1985: 9ff.
S. Lévi-Strauss 1978.
S. dazu Lilienthal/Philipp 2000.
S. Freud [1912–13]: 378.
S. dazu Foster 1996.
Einige nicht uninteressante Fragen wirft der Sex auf dem Theater, in der Tanzperformance etc. auf, der in den letzten Jahren ebenfalls, wenn auch zaghafter als in der bildenden Kunst in Erscheinung getreten ist. Es gab ihn auch hier; allerdings fand er – wie zum Beispiel bei der Performance »The Bagwell in Me« der Cie. Ann Liv Young (Impuls Tanzwochen Wien 2009) – zwischen der Darstellerin und ihrem realen Ehemann statt. Ob dies als ein weiterer Beweis für das radikale Eindringen des Realen in die Kunst gewertet werden kann oder vielmehr nur als eine Anpassung an den prüden Zeitgeist der Postmoderne, muss hier dahingestellt bleiben.
Ich bin Ernst Strouhal, Wien, dankbar für den Hinweis auf diese Analogie.
Daraus ergeben sich entscheidende Konsequenzen z.B. für das Verständnis des psychoanalytischen Begriffs der Sublimierung. Sie kann demnach nicht mehr, wie manche Formulierungen Freuds es nahelegen mochten, als Ersetzung realer Handlungen durch symbolische, künstlerische Darstellungen konzipiert werden. Wenn das, was Kunst macht, realer Sex ist und nicht dessen mehr oder weniger mythologisch verbrämte Darstellung, dann muss Sublimierung, wenn es sie überhaupt gibt, ein Vorgang sein, der aus ein und derselben Handlung oder ein und demselben Objekt etwas anderes macht, als es vorher war. Sublimierung würde demnach sowohl in der Kunst als auch in anderen Praktiken stattfinden – und zwar immer dann, wenn etwas Ekliges, Anstößiges, Geschmackloses in etwas »Erhabenes« (Sublimes) verwandelt wird. S. dazu Pfaller 2009.
S. http://www.snopes.com/movies/actors/chaplin2.asp (Zugriff: 2012-04-08).
Vgl. dazu Denis Diderot: »Auf den Brettern ist alles anders: hierher gehört eine andere Gestalt; denn alles ist größer.« (Diderot, Denis: Das Paradox über den Schauspieler, in: Ders.: Erzählungen und Gespräche, Birsfelden/Basel 1984: 398) – Ich verdanke Thomas Macho, Berlin, ein langes, anregendes Gespräch zu dieser Frage.
Wulffen (1987: 86) spricht diesbezüglich zu Recht von einem »Paradigmenwechsel«.
Günter Anders hat diese Struktur unter der Seitenüberschrift »Die Welt wird zum Phantom« abgehandelt (s. Anders 1988, Bd. 1: 129). Jean Baudrillard hat für sie den Terminus »Simulation« vorgeschlagen (s. Baudrillard 1978: 7ff.).
Kraus 1986: 424.
S. McLuhan 1994: 21ff. Seinen Begriff der ›Botschaft‹ definiert McLuhan auf S.22f. wie folgt: »…die Botschaft eines Mediums oder jeder Technik ist die Veränderung des Maßstabs, Tempos oder Schemas, die es der Situation des Menschen bringt.«
S. Malewitsch 1980.
Clint Eastwood hat diese Zusammenhänge präzise dargestellt in seinem Flim »Flags of Our Fathers« (USA 2006).
S. dazu den Artikel von Nan Rosenthali http://www.metmuseum.org/toah/hd/john/hd_john.htm (letzter Zugriff: 2010-01-22).
Vgl. dazu Wulffen 1987: 105: »Wenn das Bild nicht mehr als Bild erscheinen kann, weil der Gegenstand schon selber zum Bild geworden ist, wie kann er gerettet werden? Realkunst bildet die Voraussetzung, die Realitätskünste sind die Konsequenzen.«
Gabriele Jutz hat vor kurzem eine umfassende theoretische Auseinandersetzung mit dem Avantgardefilm, speziell mit dessen Spielarten von »Materialfilm«, »found footage«-Film sowie des performativen »expanded cinema« vorgelegt und diese Traditionen unter dem Begriff des »cinéma brut« erfasst (Jutz 2009). Zu Recht weist sie darauf hin, dass das Avantgardekino nicht nur eine Bewegung der Purifizierung und Selbstbezüglichkeit im Sinn Clement Greenbergs gewesen ist, sondern ebenso sehr auch eine der Selbstbeschmutzung und materialorientierten Weltbezogenheit. Diese beiden Seiten, die auf Reinheit bedachte und die dem Schmutz zugewandte, lassen sich, wenn ich richtig sehe, als die beiden Antworten der Kunst auf die neue, massenmedial geprägte Wirklichkeit begreifen: als Abstraktion und als Einbeziehung von Realem.
S. dazu Freud [1912–13]: 378: »Nur auf einem Gebiete ist auch in unserer Kultur die ›Allmacht der Gedanken‹ erhalten geblieben, auf dem der Kunst. In der Kunst allein kommt es noch vor, daß ein von Wünschen verzehrter Mensch etwas der Befriedigung Ähnliches macht und daß dieses Spielen – dank der künstlerischen Illusion – Affektwirkungen hervorruft, als wäre es etwas Reales. Mit Recht spricht man vom Zauber der Kunst und vergleicht den Künstler mit einem Zauberer. Aber dieser Vergleich ist vielleicht bedeutsamer, als er zu sein beansprucht. Die Kunst, die gewiß nicht als l’art pour l’art begonnen hat, stand ursprünglich im Dienste von Tendenzen, die heute zum großen Teil erloschen sind. Unter diesen lassen sich mancherlei magische Absichten vermuten.« Vgl. dazu auch Nietzsche [1887]: 291f.
Lessing, zit. nach Bernays 1968: 3. Wenn Lessing in der Folge von der Furcht das Gegenteil erklärt, so ändert dies nichts an der grundsätzlichen Ausrichtung seines Arguments. Der Unterschied liegt nur darin, dass Mitleid als Tugend aufgefasst wird, Furcht hingegen als Schwäche. Der allzeit Furchtsame ist darum nur ein zu wenig Mutiger. Sein Gewinn aus der Tragödie ist ein Zuwachs an Mut.
Engels [1885]: 21ff., s. dazu Althusser 1972a: 27; 1972b: 200f.
Zu den Gründen, weshalb die Psychoanalyse die »kathartische Methode« bald aufgab, siehe Freud [1914g]: 207.
Erst der Psychoanalytiker Octave Mannoni hat in den 60er Jahren diese Beobachtungsinstanz beschrieben und benannt – übrigens wieder unter Bezugnahme auf das Theater (s. Mannoni 2006). Daran lässt sich erkennen, wie viel die psychoanalytische Theorie dem Theater verdankt – und zwar in ihren wichtigsten theoretischen Konstruktionen, und nicht nur dort, wo sie selbst sozusagen dramatisch oder kathartisch wird.
Vgl. dazu die Formulierung von Freud [1919h]: 267: »wenn ein Symbol die volle Leistung und Bedeutung des Symbolisierten übernimmt«; vgl. dazu Lévi-Strauss 1978, Pfaller 2008: 251–272.
Freud selbst sieht für diesen Vorgang zwei gegenläufige Bewegungen vor: Unlustvolle Affekte werden abgeführt, zugleich aber wird Sexualspannung miterregt; dies wird als lustvoll empfunden (s. Freud [1942a]: 163).
S. dazu Yablonski 1986: 16.
Der Verfasser bezieht sich hier wohl auf Spinoza, Ethik I, Anmerkung (1976: 46f.) sowie Kant [1790]: 126 (§ 7) [Diese und alle weiteren Anmerkungen stammen vom Herausgeber.]
S. dazu Bachelard 1978: 35ff.
Siehe dazu: http://www.kunstraum.at/archiv/31_08_2000/sos.htm.
S. dazu Pascal 1997, § 821.
S. Lacan 1987: 44.
Zum Begriff der Interpassivität siehe Pfaller 2002, Kapitel 1 sowie Pfaller 2008a (Zur Unheimlichkeit des Vorfalls am Osloer Flughafen gehört auch, dass der Verfasser oder die Verfasserin des anonymen Manuskripts offenbar mit meiner Theorie der Interpassivität vertraut sein muss. R. P.)
S. Keynes 1936, Kap.12; vgl. Žižek 2008.
Vgl. dazu Freud [1921c]: 122: »Es kommt immer zu einer Empfindung von Triumph, wenn etwas im Ich mit dem Ichideal zusammenfällt.«
S. Freud [1921c].
S. Pascal 1997, § 829: »Jene großen Geistesanstrengungen, zu denen die Seele manchmal gelangt, sind etwas, woran sie nicht festhält; sie springt lediglich zu ihnen empor, nicht für immer wie auf einen Thron, sondern nur für einen Augenblick.«
S. dazu Marx [1841]: 371: »…in diesem Sinn haben alle Götter, sowohl die heidnischen als christlichen, eine reelle Existenz besessen. Hat nicht der alte Moloch geherrscht? War nicht der delphische Apollo eine wirkliche Macht im Leben der Griechen?«
Es mag sein, dass Fotomodelle manchen Frauen gefallen – aber wohl eher als Ideale von sich selbst und nicht als erotische Objekte. Männern hingegen gefallen sie wohl kaum. Denn wenn die Pornographie auch nur irgendwie ein Indiz dafür bildet, welche Frauen den Männern wirklich gefallen, dann deutet dieses Indiz in eine ganz andere Richtung: in der Pornographie sind die Frauen vorzugsweise weniger dünn und nicht selten auch beträchtlich älter als die Fotomodelle (s. dazu Waxman 2006).
In diesem Sinn ist die hellsichtige, paradoxe Bemerkung von Jacques Lacan zu verstehen: »Wenn Gott tot ist, dann ist alles verboten.« S. Lacan 1960; vgl. Žižek 1991: 9.
S. dazu Rank 1993.
S. Spinoza Ethik III, Lehrs. 11, Anm. (1976: 121): »Unter Freude verstehe ich demnach im folgenden die Leidenschaft, durch die die Seele zu größerer Vollkommenheit übergeht.«
Vgl. dazu Pascal 1997: § 555: »Es gibt Leute, die gut reden und nicht gut schreiben. Das kommt, weil der Ort und die Zuhörer sie anfeuern und ihrem Geist mehr entlocken, als sie in ihm ohne diese Anfeuerung finden.«
S. dazu Bataille 1993: 74: »Zuweilen ist es möglich oder sogar vorgeschrieben, das Verbot zu verletzen, es zu überschreiten.« Vgl. dazu Freud [1921c]: 122, wo Feste als »vom Gesetz gebotene Exzesse« begriffen werden.
S. dazu Kant [1790]: 166 (§ 23): »So kann der weite, durch Stürme empörte Ozean nicht erhaben genannt werden. Sein Anblick ist gräßlich; und man muß das Gemüt schon mit mancherlei Ideen angefüllt haben, wenn es durch eine solche Anschauung zu einem Gefühl gestimmt werden soll, welches selbst erhaben ist […]« Ebenso gefällt den Sadeschen Libertins an einem Objekt wie dem Exkrement, daß es – wie wenige andere Objekte – geeignet erscheint, zu beweisen, »daß es nicht das Objekt der Ausschweifung ist, das uns reizt, sondern die Idee des Bösen« (Sade 1979, Teil I: 214).
Dieses Buch geht der Frage nach, wovon wir träumen müssen, um etwas Anderes leben zu können. Welche fiktiven Welten müssen wir produzieren, um eine andere, wirkliche Welt realisieren oder in Gang halten zu können?
Fragen wie diese scheinen im Moment ein wenig in Vergessenheit geraten zu sein. Im Maßstab des individuellen Lebens haben postmoderne Identitätspolitiken uns die Vorstellung nahegelegt, jeder, jede und jedes wäre nur einer, eine und eines, und sonst nichts. Dass man, gerade um etwas Bestimmtes zu sein, vielleicht noch etwas Zweites, Anderes sein, oder es wenigstens als Fiktion mit sich tragen muss, fällt gerade in der Postmoderne schwer zu denken – was möglicherweise zur unglücklichen Unabschließbarkeit der »Selbstkonstruktionen« beiträgt, mit der viele Individuen derzeit beschäftigt scheinen: Es gelingt ihnen eben bezeichnenderweise kaum jemals, jenes mythische Eine zu finden, das sie angeblich voll und ganz sein könnten und sollten. Auch im Liebes- und Beziehungsleben besteht große Unduldsamkeit gegen zweite Welten: Gemäß einer postmodernen »Verhandlungsmoral« sollen alle einfach sagen, was sie wollen, und dann, so denkt man, werden sie es doch wohl auch bekommen. Im Fernsehen erklären Ehepaare stolz oder trotzig, sie hätten keine Geheimnisse voreinander. Gleichzeitig zeigen Studien, dass Liebespartner ohne jedes Geheimnis meistens auch als reizlos empfunden werden und dass der Verzicht auf jegliche Fiktion auch die Wirklichkeit des Liebes- und Sexuallebens zum Erliegen bringt.
Auf politischer Ebene hat die Postmoderne uns mit dem »Ende der großen Erzählungen« vertraut gemacht. So scheint es, dass nur frühere Epochen an etwas Bestimmtes geglaubt hätten, während sie munter etwas anderes zur Realisierung brachten. Wir dagegen glauben angeblich an nichts mehr, und das mag unsere Unfähigkeit zu jeglichem Handeln und zum politischen Engagement erklären. Freilich aber erklärt es andererseits nicht die beeindruckende Initiativkraft, mit der die Profiteure der internationalen Finanzmärkte in den letzten Jahrzehnten sich selbst sehr reich und die Gesellschaften unerwartet arm gemacht haben. Unter der Annahme, dass hier nichts geglaubt worden wäre, wird übersehen, welche Einbildungen zu solchen Aktivitäten nötig waren und in welchen Institutionen und politischen Maßnahmen diese Einbildungen materielle Gestalt annehmen mussten, um die neoliberalen Wirklichkeiten zu stützen. Ohne die Erkenntnis der idyllischen zweiten Welten, die hier am Werk waren, übersieht man auch, welche Chancen es gibt, den grausamen ersten Welten Schwierigkeiten zu machen. Die verbreitete Vorstellung von der Ungreifbarkeit des neoliberalen Feindes, jenes mythischen »1 percent« von Nutznießern, würde sich schlagartig ändern, sobald man in Betracht zieht, wie viele kleine Nebenprofiteure und pseudopolitische Komplizen nötig waren, um den großen Profiteuren ungestörtes Arbeiten zu ermöglichen. Wer den einen, großen Feind nicht finden kann, tut vielleicht gut daran, sich mal nach dessen vielen kleinen Gehilfen umzusehen.
So sehr die Postmoderne also die Individuen zur Einheitlichkeit mahnt, erlaubt sie sich selbst in ihrer neoliberalen Wirklichkeit ein Doppelleben – einen Paarlauf von Großprofiteuren und Kleinbeschwichtigern. Die Individuen werden homogenisiert; alles Zweite, Randständige sollen sie in ihrem Ich unterbringen. Die Gesellschaft dagegen fährt mindestens zweigleisig, aber dies bleibt aufgrund unserer zunehmend homogenisierten Sehgewohnheiten mehr und mehr unsichtbar.
Freilich treten in der Postmoderne auch tatsächlich homogen anmutende Individuen auf: Sie sind zum Beispiel ganz Primitive (etwa als rückhaltlose Komatrinker), total Schamlose (in Gestalt pornofixierter Unterschichtler), völlige Idioten, vollkommen Hilflose und Schwache etc. Allerdings sind diese neuen Phänomene, wie wir zeigen möchten, immer Effekte ihrer Betrachtung. Diese Leute »sind« deshalb so, weil sie das Gefühl haben, dass es jemanden gibt, der sie gerne so sehen möchte. Für diese Zusammenhänge hat Sigmund Freud den Begriff der »Übertragung« entworfen. Übertragung besteht darin, dass jemand im Verhältnis zu jemand anderem etwas produziert, was sonst, ohne Übertragung, innerhalb eines Individuums alleine, im konfliktuellen Verhältnis seiner psychischen Instanzen, verhandelt werden müsste. In der Übertragung ersetzt nun das zwischenmenschliche Verhältnis das innerpsychische. So kommt es, dass Leute im Verhältnis zu anderen zum Beispiel eine Schamlosigkeit an den Tag legen, die sie sich selbst niemals gestatten würden. Wenn es ihnen gelingt, ihr Über-Ich auszulagern und es an andere zu delegieren, dann sind sie den innerpsychischen Konflikt los, und sie können sich voll und ganz und ungeniert der einen Seite dieses Konflikts widmen – also zum Beispiel der Schamlosigkeit. Die anderen, die nun als ihr Über-Ich fungieren, werden sie dann schon einschränken oder aber – was gegenwärtig eben häufiger vorkommt – sie sogar dafür loben oder lieben.
Hier schließt sich der Zusammenhang zu den aktuellen gesellschaftlichen Verhältnissen. Denn das, was gegenwärtig die zweite, zartbesaitete Welt eines aggressiven Umverteilungskapitalismus ausmacht, sind Institutionen und Maßnahmen, die immer unter Berufung auf vermeintlich ganz schwache Individuen ins Leben gerufen werden: Man tut etwas für die ganz Bildungsfernen oder die völlig Schutzlosen. Meistens freilich besteht das, was man auf diese Weise tut, darin, dass ein bestehender gesellschaftlicher Standard demontiert wird: Man nimmt den Leuten die Möglichkeit, sich als politische Bürger zu äußern und nicht nur als unterhaltsame Freaks; man gibt Frauen das Gefühl, ewig förderungsbedürftige Wesen zweiter Klasse zu sein, und nicht ebenbürtige, entscheidungsfähige Kräfte; man zerstört die Universitäten als Orte kritischen Nachdenkens und verwandelt sie in öde Zwangslernanstalten; und man diskreditiert im Namen von irgendwelchen hastig herbeigerufenen Phantomen unendlich Schwacher jede politische Initiative, die droht, die entscheidenden Fragen gesellschaftlicher Umverteilung zu berühren.
Die Erkenntnis der Übertragung, die zwischen den vermeintlich homogenen Individuen und denjenigen besteht, die sie so schwach sehen wollen, ist darum gegenwärtig von entscheidendem politischem Wert: Sie bedeutet nicht weniger, als den grausamen Beraubungspolitiken der Gegenwart jenen Deckmantel aus zartfühlenden Rücksichten zu entziehen, den sie zu ihrer Durchführung nötig haben.
Beträchtliche Teile dieses Buches sind im Rahmen des Forschungsprojekts »Übertragungen. Psychoanalyse – Gesellschaft – Kunst« entstanden, das von der Forschungsgruppe für Psychoanalyse »stuzzicadenti« 2009 bis 2011 durchgeführt und vom Wiener Wissenschafts-, Forschungs- und Technologiefonds (WWTF) gefördert wurde; andere Teile entstanden im Zusammenhang meiner universitären Forschungs- und Lehrtätigkeit; weitere schließlich durch Anregung und Auftrag bestimmter Wissenschafts- und Kulturinstitutionen. Ich bin darum den Mitgliedern der Forschungsgruppe »stuzzicadenti«, Georg Gröller, Mona Hahn, Judith Kürmayr, Ulrike Kadi, Eva Laquièze-Waniek und Karl Stockreiter, dankbar für intensive, transdisziplinäre Auseinandersetzung; ebenso den Studierenden und Lehrenden der Universität für angewandte Kunst in Wien, der technischen Universität Wien, der Kunsthochschule Oslo (KHIO), des Piet Zwart Institute Rotterdam, der Ecole supérieure des beaux-arts de Toulouse, der Universität Zürich sowie dem Institut für Erweiterte Kunst in Linz für lohnende Herausforderungen, Anregung und Diskussion. Und schließlich den Programmverantwortlichen des Festivals »steirischer herbst«, deren Veranstaltung 2011 dem Thema »Zweite Welten« gewidmet war und die mich für den Katalog-Essay gewannen, dessen erweiterte Fassung nun den Anfang dieses Buches bildet; weiters Jela Krečič und Ivana Novak, Ljubljana, die mich für ein Symposion über Fernsehserien einluden, was den Ausgangspunkt für die Studie zu »Sex and the City« bildete; Irene Berkel, Berlin, die die Phänomene der Postsexualität zum Thema eines Symposions sowie eines Sammelbandes machte; Gerhard Zenaty, dem ich die Einladung zu einer psychoanalytischen Tagung über die Perversionen verdanke; Daniel Tyradellis, der mich für die Ausstellung »Wunder« in der Schirn Kunsthalle Hamburg und der Kunsthalle Krems für einen Katalogbeitrag gewann; Karin Gludovatz, Dorothea von Hantelmann und Michael Lüthy, die mich zur Tagung »Kunsthandeln« des Sonderforschungsbereichs der FU Berlin »Ästhetische Erfahrung im Zeichen der Entgrenzung der Künste« einluden; Martin Vöhler und Christiane Voss für die Gastfreundschaft im Exzellenzcluster »Languages of Emotion« der FU Berlin, der die Bedeutung der aristotelischen Katharsis untersuchte; sowie Daniel Kurjakovic, der mich ermutigte, ein mysteriöses, anonymes Manuskript für den Katalog »Conflicting Tales: Subjektivität« aufzubereiten. Sie alle bewiesen, dass man mitunter einen Anstoß von außen benötigt, um das zu schreiben, was man immer schon schreiben wollte. Mein Dank gilt darüber hinaus all jenen Journalistinnen und Journalisten, die mich, vor allem im Zusammenhang mit meinem letzten Buch, »Wofür es sich zu leben lohnt«, mit zahlreichen äußerst präzisen Fragen konfrontierten und mich zwangen, meine Thesen weiter zu klären, sie zu erläutern und sie auf neue Zusammenhänge anzuwenden. Die in diesem Buch entwickelte materialistische Theorie wurde auf diese Weise zugleich in ihrer Kohärenz gestärkt wie auch erweitert.
Wertvolle Hinweise, Kritik und Ermutigung verdanke ich außerdem Markus Bodenwinkler, Rainer Bodenwinkler, Ute Bodenwinkler-Burkhardt, Mladen Dolar, Thomas Forrer, Stian Grøgaard, Gerhard Gutenberger, Conny Habbel, Sabrina Habel, Marlene Haderer, Wolfgang Hagen, Rudolf Helmstetter, Thomas Hübel, Ursula Hübner, Eva Kadlec, Thomas Macho, Jso Maeder, Peter Möschl, Alexandra Ötzlinger, Urs Richli, August Ruhs, Ana Samardzija, Eric L. Santner, Franz Schuh, Ulf Stengl, Wilma Stelzhammer, Ernst Strouhal, Malou Thilges, Helmut Tumpel, Johannes Wegerbauer, Jurek Zaba, Slavoj Žižek und Alenka Zupančič.