Stefan Klein
Der Sinn des Gebens
Warum Selbstlosigkeit in der Evolution siegt und wir mit Egoismus nicht weiterkommen
Fischer e-books
Stefan Klein, geboren 1965 in München, ist der erfolgreichste Wissenschaftsautor deutscher Sprache. Er studierte Physik und analytische Philosophie in München, Grenoble und Freiburg und forschte auf dem Gebiet der theoretischen Biophysik. Er wandte sich dem Schreiben zu, weil er »die Menschen begeistern wollte für eine Wirklichkeit, die aufregender ist als jeder Krimi«. Sein Buch ›Die Glücksformel‹ (2002) stand über ein Jahr auf allen deutschen Bestsellerlisten und machte den Autor auch international bekannt. In den folgenden Jahren erschienen die hoch gelobten Bestseller ›Alles Zufall‹, ›Zeit‹, und ›Da Vincis Vermächtnis oder Wie Leonardo die Welt neu erfand‹. Kleins Werke wurden mehrfach ausgezeichnet und in 25 Sprachen übersetzt. Stefan Klein lebt als freier Schriftsteller in Berlin.
Den Selbstlosen gehört die Zukunft: Das ist die erstaunliche Quintessenz des neuen Buches von Stefan Klein, das unser Denken und Handeln verändern wird. Denn die neueste Forschung lässt die Ehrlichen keineswegs als die Dummen dastehen. Entgegen unserem Alltagsglauben schneiden Egoisten nämlich nur kurzfristig besser ab. Auf längere Sicht haben diejenigen Menschen Erfolg, die sich um das Wohl anderer bemühen. Denn nicht nur Wettbewerb, sondern auch Kooperation ist eine Triebkraft der Evolution. Ein Sinn für Gut und Böse ist uns angeboren. Stefan Klein zieht einen faszinierenden Querschnitt durch die aktuellen Ergebnisse der Hirnforschung und der Genetik, der Wirtschaftswissenschaften und der Sozialpsychologie. Er zeigt, welche Gesetze über Erfolg und Misserfolg in unserem Leben bestimmen. Und er stellt dar, warum menschliches Miteinander und das Wohlergehen anderer zu unseren tiefsten Bedürfnissen gehören. Für andere zu sorgen schützt uns nicht nur vor Einsamkeit und Depression. Vielmehr macht uns Selbstlosigkeit glücklicher und erfolgreicher – und beschert uns nachweislich sogar ein längeres Leben.
»Stefan Klein entzaubert Alltagsmythen, korrigiert Kollektivirrtümer, trennt Wischiwaschi von Handfestem … Aufklärung im besten Sinn des Wortes.« Weltwoche
Covergestaltung: hißmann, heilmann, hamburg / Imke Schuppenhauer
Coverabbildung: Laurence & Renaud / plainpicture
Illustrationen: Hermann Hülsenberg, Berlin
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2010
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Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.
ISBN 978-3-10-401295-7
Zit. nach Oliner 2003
Kessler u.a. 2003; Murray & Lopez 1997b; Murray & Lopez 1997a; Seligman 1990; Seligman 2002
In einem Brief an den Geologen Charles Lyell, 1860 (»I have received in a Manchester Newspaper a rather good squib, showing that I have proved »might is right,« & therefore that Napoleon is right & every cheating Tradesman is also right.«)
Die Schilderung beruht auf einem dreiteiligen Video-Interview mit Autrey, veröffentlicht unter http://www.youtube.com/watch?v=bjjkbTcHnYg
Anders als in den Medien dargestellt, war Autrey niemals Soldat. Siehe http://www.navy.mil/search/display.asp?story_id=29707
Boyd & Richerson 2009
Freiwilligensurvey der Bundesregierung
Hitchens 1995
Mutter Teresa 2007
Ghiselin 1974
Darwin 1871 Kapitel 5, S.141
Spencer 1864 zit. nach Carroll 2003, S.586
Hofstaedter 1944
Dawkins
Kropotkin 2005
Zit. nach McElreath und Boyd 2007, S.82
Christopher 1995; Hofstadter 1992; Kropotkin 2005, McLean 2003
Dronamraju 1987
Darwin 2008
Auch öffentlich sprach er sich vehement gegen die Sklaverei aus. Und könnte die Erfahrung in Brasilien sogar ein Schlüsselerlebnis gewesen sein, das zu seiner Evolutionstheorie führte? Unstrittig haben nicht seine später so berühmte Untersuchungen der Finkenschnäbel auf den Galapagosinseln den jungen Gelehrten dazu gebracht, das Rätsel der Herkunft aller Lebewesen zu klären. Der eigentlichen Auslöser für Darwin sei vielmehr die für den Forscher so peinvolle Erinnerung an das Stöhnen des brasilianischen Sklaven gewesen, schreiben die britischen Wissenschaftshistoriker Adrian Desmond und James Moore. Selbst wenn diese These etwas zu stark sein sollte, selbst wenn es den einen Auslöser für eine der bedeutendsten Forschungsleistungen aller Zeiten nicht gibt – Desmond und Moore haben gute Belege dafür, dass Charles Darwin von dem Gedanken beseelt war, die gemeinsame Abstammung aller Menschen zu beweisen. Denn sobald sich alle Frauen und Männer als Geschwister herausgestellt hätten, wäre dem Rassismus ein für alle Mal die Grundlage entzogen. Desmond und Moore 2009
Zit. nach Wright 1999, S.340
Darwin 2008
Darwin 1871 Kapitel 4
Rousseau 1995, S.196
Weltweit erscheinen derzeit ca. 1 Million neue Titel pro Jahr. Wir nehmen für jeden Band eine Stärke von 2 cm an und berücksichtigen nur die Produktion der letzten 20 Jahre.
Eine klassische Arbeit hierzu ist Maynard Smith & Price 1973
Zitiert nach Poundstone 1992
Axelrod & Hamilton 1981; Axelrod 1984; Axelrod 1997; R. Axelrod & R. M. Axelrod 1997
Dem Gegner zwei Betrugsversuche zu erlauben ist häufig, aber nicht immer die beste Lösung. Die Zahl der kooperativen Züge vor der ersten Vergeltung lässt sich optimieren. Die bestmögliche Strategie hängt von den verschiedenen Punktgewinnen bei Kooperation und Konfrontation ab. Auch sollte die Zahl der kooperativen Züge vor der ersten Vergeltung immer wieder zufällig wechseln, weil sich sonst die nachgiebige Strategie von einer bösartigen ausbeuten ließe, die stets genau beispielsweise zwei Züge betrügt und dann wieder zur Kooperation zurückkehrt. Nowak & Sigmund 1992
Unter bestimmten Umständen kann eine etwas stärker machiavellistisch ausgerichtete Strategie diesem Zyklus entkommen. Diese »Pawlow« genannte Strategie besteht darin, dem Gegner Kooperation anzubieten, wenn er im letzten Zug selbst kooperierte, oder wenn beide den Konflikt gewählt haben. Hat hingegen der andere sich im letzten Zug gutwillig ausnutzen lassen, oder selbst »Pawlow« ausgenutzt, entscheidet sich »Pawlow« für Kooperation. Diese Strategie ist allerdings nur erfolgreich, wenn beide Spieler ihre Züge gleichzeitig machen, ohne voneinander zu wissen. In der Wirklichkeit aber werden Partner eher wechselseitig auf den jeweils letzten Zug des anderen reagieren. Siehe Nowak & Sigmund 1995; Wedekind & Milinski 1996
Ridley 1997
Trivers 1971
Hrdy 2010
Zur Kritik an Turnbull siehe Barth & Turnbull 1974; Knight 1994; Heine 1985
Harford 2008
Kiyonari u.a. 2000
Rilling u.a. 2002
Ausführlich habe ich diese Zusammenhänge in meinem Buch »Die Glücksformel« behandelt: Klein 2002
Behrens u.a. 2008
Singer u.a. 2004
Samuelson 1997; Vega-Redondo 1996
Lieberman 2006; Tabibnia 2007
Decety u.a. 2004
McCabe u.a. 1996; McCabe & Smith 2000
King-Casas 2005
King-Casas et al. 2005
Krueger u.a. 2007
Bartels & Zeki 2004
Kosfeld u.a. 2005
Schon in den einfachsten Szenarien der Spieltheorie – etwa dem wiederholten Gefangenendilemma – kommt es auf sogenannte »Trigger« an, die über Fortführen oder Beendigung der Kooperation entscheiden. Mit dem Folk-Theorem, einem der zentralen Sätze der Spieltheorie, lässt sich diese Aussage in sehr allgemeiner Form mathematisch beweisen. Für eine Diskussion des Folk-Theorems siehe z.B. Gintis 2009
King-Casas u.a. 2008
Goddard 2003
Knack & Keefer 1997
Zak & Knack 2001; Beugelsdijk u.a. 2004 bestreiten allerdings die Allgemeingültigkeit dieser Schätzung.
Rizzolatti & Craighero 2004; Fogassi u.a. 2005
Mukamel u.a. 2010
So äußerte sich der indisch-amerikanische Neuropsychologe V. S. Ramachandran. Ramachandran 2006
Wright 1999, S.331
Christakis & Fowler 2010
Rizzolatti & Craighero 2004
Fadiga u.a. 2009; Prather u.a. 2008; Welberg 2008
Die Textstellen finden sich in Leonardos Manuskripten TP 68 und B N 2038 20r. Ich habe darüber ausführlich in meinem Buch »Da Vincis Vermächtnis« geschrieben. Die Passage findet sich übrigens fast wortgleich im Buch über die Malkunst des älteren Renaissance-Kunsttheoretikers Leon Battista Alberti: »Wir Maler wollen die Affekte des Gemüts durch die Bewegungen der Glieder ausdrücken.« Alberti 2000, S.272
Leonardo 1885, 61 v
Über die Verankerung von Emotionen im Körper habe ich in meinem Buch »Die Glücksformel« (2002) ausführlich geschrieben.
Die Übertragung von Gesten des Leibes funktioniert in ähnlicher Weise. (De Gelder 2006)
de Waal 2009
Keysers & Gazzola 2006; Keysers & Perrett 2004
Damasio 1995
T. Singer u.a. 2004
Myers 2006
T. Singer u.a. 2006
Darley & Batson 1973. Das Gleichnis vom barmherzigen Samariter steht im Evangelium nach Lukas 10, 30–37
Lessing u.a. 1972, Brief an Friedrich Nicolai, November 1756
Tankersley u.a. 2007
Frith & T. Singer 2008; Mitchell u.a. 2005
Bischof-Köhler 1991
Warneken & Tomasello 2006
Tomasello 2003; B. Hare u.a. 2003
de Waal 2006
Warneken u.a. 2007
Klein 2009
Lieberman 2006
Es handelt sich um den sogenannten »Kampf der Geschlechter«: Adam und Eva haben ein gemeinsames Problem, er schlägt seinen Weg vor, sie ihren, und einer ist so gut wie der andere. Nun muss jeder seine Wahl treffen, ohne die des anderen zu kennen; wenn aber die Entscheidungen unterschiedlich ausfallen, verlieren beide. Mit reiner Logik kommen unsere Partner offenbar nicht weiter.
Während beim Vertrauensspiel besser fährt, wer den anderen zutreffend einschätzt, hängt beim Kampf der Geschlechter alles davon ab, wie gut jeder die Züge des anderen voraussagen kann. Kuo u.a. 2009
Archer 1997
Solch emotionale Verwirrung stellte eine amerikanische Untersuchung bei immerhin 18 Prozent der Menschen fest, deren Hund gestorben war. (Katcher & International Conference on the Human-Companion Animal Bond 1983)
Die Futtermittel- und Heimtierbedarfsindustrie verzeichnet einen jährlichen Umsatz von 3,5 Milliarden Euro, die Tierärzte geschätzte 1,5 Milliarden Euro allein für die Betreuung von Hunden und Katzen. (Ohr & Zeddies 2006)
Allerdings werden nicht alle Gene des Retters überleben, weil das Erbgut der Geretteten teilweise deckungsgleich ist.
Neyer 2003
Bowles & Posel 2005
Schroeder 1995
Wilson 1975
Segal & Hershberger 1999
Gadagkar 2001; Gadagkar 1997
Davies 1998; Cockburn 1996; Welty 1962
DeBruine 2002
Panksepp 1998
Siehe Donaldson & Young 2008; Panksepp 1998; Lee 2009. Allerdings sind noch längst nicht alle Einzelheiten hierzu geklärt, siehe z.B. Bancroft 2005; C S Carter 1992
Uvnäs-Moberg & M. Eriksson 1996; Lee 2009
Leckman u.a. 1994; Panksepp 1998
Young u.a. 1999
Walum u.a. 2008
Prichard 2007
Kosfeld u.a. 2005
Petrovic 2008
Baumgartner 2008
Singer u.a. 2008
Domes 2007; Guastella 2008
Israel u.a. 2009
Damasio 1995
Moll u.a. 2006
Decety 2009; Moll u.a. 2006
Harbaugh u.a. 2007
Hobbes 1996
Rousseau 2008; Rousseau 2005
Eisenberger u.a. 2003
Ich habe ausführlich darüber im 9. und 10. Kapitel meines Buches »Die Glücksformel« (2002) geschrieben, siehe auch die darin zitierte Literatur.
Zorrilla u.a. 2001
Allman u.a. 1998
Berkman 1979; Cacioppo 2006; House 1988; Reblin & Uchino 2008
Rodriguez-Laso u.a. 2007; S. L. Brown u.a. 2003; W. M. Brown u.a. 2005
Damasio 1995; Klein 2002
Anders als es viele Neo-Darwinisten oft nahelegen, siehe z.B. Wright 1999
Deacon 1988; Wurz 2002; Cremin 2007, S.72
Milo 1998
Ernst Fehr u.a. 2008
Hardin 1968
Trivers 1971, Dawkins 1976, Ridley 1998, Wright 1999
Langford u.a. 2006; Dugatkin 1997; Clutton-Brock 2009
Wilkinson 1984
Ernst Fehr 2002; Loewenstein u.a. 2003
Stevens und Hauser 2004
Einen guten Überblick dazu geben Shermer 2007 und die darin zitierte Literatur
Hauser 200], Hammerstein 2003, Morell 1995
Pacer und Pusey 1997
Stiner u.a. 2009
Morell 1995; Heinsohn & Packer 1995; Packer 1997
Christophe Boesch 2005; Mitani & Watts 2001; Gilby 2006; Muller 2005
Ueno & T. Matsuzawa 2004. Der Unwille von Müttern, Futter mit ihrem Nachwuchs zu teilen, findet sich auch bei anderen Menschenaffen, und zwar in Gefangenschaft wie in freier Wildbahn. Siehe Nowell & Fletcher 2006
Tomasello u.a. 2009
Silk u.a. 2005; Silk 2006
Inoue & Matsuzawa 2007; Herrmann u.a. 2007
Boesch & Boesch-Achermann 2000
Boesch u.a. 2010
Waal 2009
WoldeGabriel u.a. 2009
Vrba 1993; Schrenk 2003
McManus 1999; Martrat 2004; Johnsen u.a. 1989
Zhao u.a. 2000
Chen & Wen-Hsiung Li 2001
Hrdy 2009
Deacon 1988
Fehr u.a. 2008; Brownell u.a. 2009
Cameron 1999, Güth u.a. 1982. Einen Literaturüberblick zu den üblichen Spielergebnissen geben Nowack u.a. 2000
Darum seien Spiele wie »Ultimatum« unnatürlich, erklärt etwa der amerikanische Wirtschaftsnobelpreisträger Vernon Smith, ein Pionier der empirischen Wirtschaftswissenschaften. Niemand sei auf die Situation in diesem Spiel eingestellt, wo sich die Partner einmal anonym und dann nie wieder begegnen. Selbst wenn die Teilnehmer wüssten, dass es so ist, würden sie die Spielanleitung ignorieren und so handeln, als ob es ein zweites und drittes Mal gäbe. Smith 2007
Bewley 2002; Campbell III & Kamlani 1997. Für experimentelle Untersuchungen siehe Fehr & Kirchsteiger 1994; Fehr & Kirchsteiger 1997
Lind 1993; Tyler & E. A Lind 2005
Henrich 2004
Frank u.a. 1993; Frank u.a. 1996; Selten & Ockenfels 1998; Frey & Meier 2004a
Daran, dass eine Firma mit Leistungslohn wettbewerbshungrigere Charaktere anzieht, konnte es kaum liegen, denn Unternehmen hatten ihren Sitz in verschiedenen Städten. (Ernst Fehr, persönliche Mitteilung.) Welcher Fahrradkurier pendelt schon von Zürich nach Bern, weil er dort einen Arbeitgeber mit anderen Abrechnungssmodalitäten findet? (Burks u.a. 2006)
Fehr & Gächter 2002
De Quervain u.a. 2004
Sanfey 2003
Rozin u.a. 2009
Knoch u.a. 2006
Damasio 1995
Gächter u.a. 2008
Gürek u.a. 2006; Hauert u.a. 2007
Hauert u.a. 2007
Boyd u.a. 2003
Frey & Jegen 2001
Frey & Meier 2004b
Rees u.a. 2009
Fehr & Falk 2002
Titmuss 1971
Gneezy & Rustichini 2000. Schweizer Wissenschaftler kamen zu einem ähnlichen Ergebnis: Wenn Freiwilligenarbeit bezahlt wird, geht das Angebot an Freiwilligen zurück. (Frey & Goette 1999)
Hamilton 1964a; Hamilton 1964b
Die Price-Gleichung (Price 1970) beschreibt, wie sich eine beliebige Eigenschaft z (beispielsweise die Frequenz eines Gens für Altruismus) in einer Generationenfolge verändert. Vorausgesetzt wird, dass eine Bevölkerung in k Gruppen mit jeweils ni Individuen zerfällt (i=l … k). Jede dieser Gruppen zugeordnet ist dann ein zi. wi ist die Fitness der Gruppe i, definiert als Verhältnis der Bevölkerungszahlen mit zweier aufeinanderfolgender Generationen: wi = n’i / ni. Sei ∆zi = z’i – zi die Veränderung der Eigenschaft, so gilt die Price-Gleichung:
<w> <∆z> = <w, z> + <w ∆z>
<·> bezeichnet dabei den Erwartungswert und <∙, ∙> die Kovarianz, wobei jeweils über alle Gruppen gemittelt wird.
Die Gleichung gibt an, wie die Zu- oder Abnahme der Eigenschaft z in der Gesamtbevölkerung (linke Seite) abhängt von der Verteilung der Eigenschaft auf die einzelnen Gruppen. Der erste Summand der rechten Seite der Gleichung ist umso größer, je unterschiedlicher die Gruppen sind: Er misst also den Wettbewerb zwischen den Gruppen. Der zweite Summand hängt im Wesentlichen von den Beiträgen der Fitness wi ab, er beschreibt also die Konkurrenz innerhalb jeder Gruppe. Wenn z den Altruismus in der Gruppe angibt, dann ist für alle i: ∆zi < 0 und wi > 0. Folglich haben die beiden Terme der rechten Gleichungsseite unterschiedliche Vorzeichen, und Altruismus setzt sich durch, wenn der Betrag des ersten größer als des zweiten Summanden ist.
Frank 1995)
Smith & Price 1973
Schwartz 2001
Hamilton 1975
Wilson 1975
Begley 2009
Selbst Edward O. Wilson, der wohl prominenteste Soziobiologe und der Gruppenselektion die längste Zeit ablehnend gegenüberstehend, hat nun die Seiten gewechselt (D. Wilson & E. Wilson 2008). Die inzwischen klassische Abhandlung über neuere Theorien zur Gruppenselektion ist D. S. Wilson & Sober 1998
Hamilton 1975; West & Griffin 2007; Lehmann u.a. 2007
Gehen wir von 100 Einwohnern in jedem Dorf vor der Katastrophe aus. Nach der Hungersnot leben von ihnen noch 25 Personen im ersten Dorf. Jeder vierte von ihnen sind Altruisten. 75 überleben im zweiten Dorf, unter ihnen sind drei Viertel Altruisten. In der Gesamtbevölkerung von jetzt 100 Personen sind also ¼ * 25 + * 75 = 62,5 (aufgerundet 63) Altruisten.
Bowles 2006; Bowles 2009 In seiner neueren Veröffentlichung nimmt Bowles an, dass die Gruppenkonkurrenz durch Krieg zwischen den Stämmen entsteht. Diese Annahme ist aber nicht nötig; das Modell gilt auch, wenn Konkurrenz durch äußere Einflüsse wie Naturkatastrophen entsteht. Die Entwicklung des Altruismus auf Krieg zurückzuführen ist problematisch, weil die frühesten Zeugnisse von Gewalt zwischen den Völkern aus der jüngeren Steinzeit stammen, sich die wesentlichen Charakterzüge des modernen Menschen aber fast sicher früher herausgebildet hatten. Hrdy 2009 diskutiert diese Frage ausführlich.
Krueger u.a. 2007; Wallace u.a. 2007; Cesarini 2009
Horowitz 2009
Fessler 1999; Fessler 2004; Fessler & Haley 2003; Haidt 2003
Rakoczy u.a. 2008; Tomasello u.a. 2009
Piaget 1983
Ein anderes, gut dokumentiertes Beispiel über die Bedeutung kultureller Normen in einem Konflikt genetisch identischer Volksstämme ist die Expansion der Nuer im Sudan auf Kosten der Dinka. (Kelly 1985)
Black 2009
Interallied Commission of Enquiry into the Greek Occupation of Smyrna and Adjacent Territories. 1919; Buzanski 1963 und darin zitierte Literatur
Grandberg & Sarup 1992; Berreby 2008; Trotter 1985
Sherif u.a. 1961
Erev u.a. 1993; Bornstein u.a. 2002; Gunnthorsdottir & Rapoport 2006; West u.a. 2006; Tan & Bolle 2007
Klinger & Rebien 2009
Bernhard u.a. 2006
Boehm 2000
Takahashi u.a. 2009
Brown 1978
Diamond 2005
Sosis 2000; Sosis & Bressler 2003
Mit der Zeit können die Vorschriften sogar die Gene einer ganzen Bevölkerung neu sortieren. Nehmen etwa die kulturellen Unterschiede zwischen zwei benachbarten Stämmen zu, pflanzen sich immer mehr Menschen innerhalb der eigenen Gemeinschaft fort: Wer will schon mit einem Partner zusammenleben, dessen tägliche Nahrung einen anwidert? So entmischt sich das Erbgut – nach ein paar Jahrhunderten werden bestimmte Gene unter den Mitgliedern der einen Gruppe öfter auftreten als bei den anderen. Damit begünstigt ein weiterer Faktor die Selbstlosigkeit in der Gruppe: Wie beschrieben, lohnt sich Altruismus umso mehr, je genetisch ähnlicher Menschen einander sind. Solche Gen-Häufungen haben Anthropologen bei heute noch existierenden Stammesgesellschaften tatsächlich gemessen (Bowles 2009). Selbst benachbarte Völker beispielsweise in Papua-Neuguinea unterscheiden sich in ihren Erbanlagen stärker als Europäer aus den verschiedenen Ecken des Kontinents. Nur indem sich jede Gruppe gegenüber Außenseitern verschloss, konnte sie ihre genetischen Eigenheiten erhalten. Und nur wo es solche Abweichungen gab, konnten sich Gene für Altruismus durchsetzen. Der Gewinn daraus, gemeinsame Sache zu machen, wog offenbar den Schaden der zerstörerischen Rituale mehr als auf (Boyd & Richerson 2009; Henrich 2009; Richerson & Boyd 2004).
Kinzler u.a. 2007
Fershtman u.a. 2005
TV-Dokumentation The Story of Ziad Jarrah des kanadischen Senders CBC, ausgestrahlt am 10. Oktober 2001
Atran 2003
Sageman 2004
Richter 16,30
1Scheer 2004
Wie sehr diese Strategien funktionierten, zeigte sich schon, als die Deportation der Juden begann: Fast jeder in Deutschland sah weg. Besonders erschreckend ist ein Vergleich mit dem überfallenen Polen. Obwohl der Antisemitismus in dem Nachbarland ebenfalls eine unrühmliche Geschichte hatte, obwohl die meisten Juden in Polen der Mehrheitsbevölkerung lange nicht so assimiliert waren wie in Deutschland, obwohl das Besatzungsregime jeden Polen, der Juden Unterschlupf gewährte, hinrichten ließ (deutsche Judenretter kamen fast immer mit ein paar Monaten sogenannter Schutzhaft im Konzentrationslager davon), erhielten nach dem Krieg zehnmal mehr Polen als Deutsche den Ehrentitel »Gerechter unter den Völkern« – eine Auszeichnung des Staates Israel, die nach genau definierten Kriterien jedem zusteht, der als Nichtjude unter Inkaufnahme eines persönlichen Risikos Juden im Nazireich schützte. Die Gleichgültigkeit lässt sich keineswegs alleine damit erklären, dass sich in Deutschland mehr Spitzel herumtrieben als irgendwo sonst. Den Nazis war es in ihrem Heimatland vielmehr gelungen, aus Juden Außenseiter zu machen, während sie in den besetzten Gebieten selbst Außenseiter waren. Zu den Risiken für deutsche Judenretter siehe Scheer 2004; Kosmala 2002
Oliner 1988; Schroeder 1995. Für eine ähnliche Studie, die manche methodische Schwierigkeiten der Pionierarbeit Oliners vermeidet, doch zum selben Ergebnis kommt siehe Midlarsky u.a. 2006; Fagin-Jones & Midlarsky 2007
Oliner 2003
Dubs 1951
Peter Bodberd, ein Pionier der amerikanischen Orientalistik, übersetzte »rén« daher auch mit »Mitmenschlichkeit«.
Zitiert nach Black 2009
Lev 19,34
Ps 72,11–12
Babylonischer Talmud: Shabbat 31a, 12–15.
Cicero 1997
Wilson 2002
Mt 21,31
Jaspers 1949
Eisenstadt 1987; Roes & Raymond 2003; Norenzayan & Shariff 2008
Henrich u.a. 2010
Roes & Raymond 2003
Sprüche 25,21
2. Könige 6,8–23
Phelps 2000
Lieberman 2005
Kong 1998
In der Veludvareyya Sutta. Buddha 2006
Mahabharata online, Buch 13 (Anusasana Parva), Abschnitt 113, Vers 8
Nawawi 2007
Donner 1986
Nowak & Sigmund 2005
Takahashi 2000
Milinski u.a. 2002; Wedekind 2000
Ohtsuki & Iwasa 2006
Ensminger 1997
Imhorst 2004
D. T. D. Williams 2007
Die häufig geäußerte Vermutung, Autoren der Wikipedia und Entwickler freier Software wollten mit ihrer Arbeit vor allem auf sich aufmerksam machen und so ihre Karriere vorantreiben, trifft nicht zu. Eine sehr gründliche Analyse der amerikanischen Ökonomen Karim Lakhani und Robert Wolf konnte zeigen, dass die Programmierer freier Software vielmehr intrinsisch motiviert sind: Wie einst Stallman, so haben sie Spaß an ihrer technischen Kreativität. (Lakhani & Wolf 2005) Untersuchungen über die Motivationen von Wikipedia-Autoren bestätigen dieses Ergebnis; auch ihr Antrieb liegt vor allem in der Freude am Schreiben und der Überzeugung, für eine gute Sache zu arbeiten. Siehe Nov 2007; Nov & Kuk 2008) und darin zitierte Literatur.
Bundeszentrale für politische Bildung 2009
Mokyr 2009; Posner 2002
Herrmann u.a. 2008
Putnam u.a. 1993
So konnte die Partei des Medienunternehmers und Politikers Silvio Berlusconi in der Emilia Romagna nie Mehrheiten stellen.
Für europäischer Länder siehe Adam 2006, für US-Bundesstaaten Putnam 2001.
Radtke 2007
Pérez 2008
Buchan u.a. 2009
Bullinger u.a. 1998
Williams & Tapscott 2007
Millward Brown 2010
Dunn u.a. 2008
Siehe die im 15. Kapitel meines Buches »Die Glücksformel« (2002) zitierte Literatur.
Frey & Stutzer 2007; Post 2007; Meier & Stutzer 2008
Für Elias
Wie gute Freunde, so können uns Texte jahrzehntelang begleiten, sogar faszinieren, ohne dass wir sie wirklich verstehen. Mir ging das so mit den folgenden Zeilen:
An meiner Wand hängt ein japanisches Holzwerk
Maske eines bösen Dämons, bemalt mit Goldlack
Mitfühlend sehe ich
Die geschwollenen Stirnadern, andeutend
Wie anstrengend es ist, böse zu sein.
Sie stammen von Bertolt Brecht und stehen unter dem Titel »Die Maske des Bösen«. Ich begegnete dem kurzen Gedicht mit 17 Jahren, als ich wie so viele Heranwachsende sehr böse auf die Welt und voll Sehnsucht nach einer besseren war. Natürlich leuchtete mir der vordergründige Sinn ein; wie viel Kraft es kostet zu hadern, spürte ich ja selbst zur Genüge. Welch eine Energieverschwendung der Zorn sein kann! Schlimmer noch als das unangenehme Gefühl an sich ist, dass es uns von anderen trennt. Wut ist ein Gefängnis. Jede ihrer Zielscheiben ist ein Mensch weniger, mit dem wir gemeinsame Sache machen können.
Aber »böse« bezeichnet nicht nur ein Gefühl, sondern auch ein moralisches Urteil. Fast sicher hatte Brecht diese Bedeutung gemeint: »Die Maske des Bösen« entstand im September 1942, als der Feldzug der Nazis seinen Höhepunkt erreichte und Hitlers Truppen vom Nordkap bis nach Nordafrika, von der Krim bis zum Atlantik Schrecken verbreiteten. Diese Lesart jedoch irritierte mich zornigen jungen Mann tief: Konnte es sein, dass Menschen, die andere ausnutzen, verletzen, sogar umbringen und einen Vorteil daraus ziehen, selbst unter ihrem Tun leiden? Verdienen am Ende gar Himmler und Hitler unser Bedauern?
Viel später begriff ich, dass sich der Gedanke auch umkehren lässt. Wenn wir frei von Bosheit bleiben und uns fair und großzügig zeigen, so tun wir es möglicherweise nicht nur aus Angst vor Strafen und weil es uns die Erziehung so eingebläut hat. Menschlichkeit im Umgang mit anderen könnte uns vielmehr selbst nutzen, weil sie das eigene Wohlbefinden erhöht. Die uralte Frage, ob man sich um andere oder lieber um das eigene Glück kümmern soll, fände dann von selbst ihre Antwort: Um beides – weil es das eine ohne das andere nicht gibt.
Aus dieser Überlegung heraus entstand das vorliegende Buch. Es will allen Ermahnungen zur Anständigkeit widersprechen, übrigens auch den jahrhundertealten Lehren der Philosophie, wonach wir die süße egoistische Neigung bekämpfen müssen, da die bittere moralische Pflicht es verlangt. Wenn eigenes und fremdes Wohlbefinden so eng verknüpft sind, so würde dies zugleich erklären, warum so viele Menschen ihrem privaten Glück hinterherjagen und es trotzdem nicht finden: Vielleicht haben sich diese Glückssucher die falschen Ziele gesetzt.
Dass ein glückliches Leben das Wohl anderer im Blick hat, vermutete der Philosoph Aristoteles schon vor mehr als 2500 Jahren. Aber der griechische Denker konnte seine Spekulation nicht beweisen. Auch darum setzte sich die Vorstellung durch, dass moralisches Handeln nur um den Preis des Verzichts zu bekommen sei. Heute geben empirische Untersuchungen Aristoteles recht: Menschen, die sich für andere einsetzen, sind in aller Regel zufriedener, oft erfolgreicher und sogar gesünder als Zeitgenossen, die nur an ihr eigenes Wohl denken. »Eines weiß ich«, bekannte Albert Schweitzer einmal, »wirklich glücklich werden nur die, die entdeckt haben, wie sie für andere da sein können.«[1] In diesem Sinn setzt dieses Buch mein früheres Werk »Die Glücksformel« fort.
Kommen Altruisten wirklich besser durchs Leben? Dagegen wehrt sich der Alltagsverstand. Wer etwas hergibt, hat hinterher weniger; wer dagegen seine Zeit, seine Kraft oder auch sein Geld für die eigenen Ziele einsetzt, ist auf den ersten Blick im Vorteil. Schon ein Blick auf die Natur scheint nahezulegen, die eigenen Güter zusammenzuhalten: Denn Menschen wie Tiere ringen um knappe Ressourcen. Wer hat, setzt sich durch, wer nicht hat, geht unter.
Mit diesem Buch will ich den Nachweis erbringen, dass und warum sich der Alltagsverstand irrt: Unser Zusammenleben verläuft nach sehr viel komplizierteren Regeln als denen des Dschungels. Die kommenden Seiten werden einige der Gesetze, die über Erfolg und Misserfolg in unserem Leben tatsächlich entscheiden, erklären. Eine zentrale Erkenntnis dabei ist, dass Egoisten nur kurzfristig besser abschneiden, auf lange Sicht aber meist Menschen weiterkommen, die sich auch für das Wohl anderer einsetzen. Weil »meist« natürlich nicht »immer« bedeutet, wird es auch darum gehen, wann die eine, wann die andere Strategie sich besser bewährt.
Wenn erfolgreicher ist, wer sich für seine Mitmenschen einsetzt, würde die Evolution solches Verhalten befördern. Damit steht eine faszinierende Hypothese im Raum: Ist es uns angeboren, für andere zu sorgen? Gibt es Gene für Altruismus?
Dass die Welt von Egoisten nur so wimmelt, spricht nicht dagegen. Denn sicher sind Menschen nicht nur darauf programmiert, selbstlos zu sein. Möglicherweise sind unsere Anlagen, erst auf den eigenen Vorteil zu achten, sogar stärker. Darum fruchten bloße Ermahnungen und Vorsätze, ein besserer Mensch zu sein, so wenig. Interessant ist aber nicht die Frage, ob ein gewisses Maß an Egoismus nun einmal zum menschlichen Wesen gehört. Viel mehr kommt es darauf an, ob wir darüber hinaus noch andere und weniger sattsam bekannte Regungen haben.
Menschen sind so widersprüchlich in ihren Motiven wie kein anderes Geschöpf. Auch sind wir ungewöhnlich frei, gegen unsere Instinkte zu handeln. Die Bandbreite, innerhalb derer wir unsere Talente einsetzen können, ist enorm. Die Evolution hat den Menschen als Läufer konstruiert, weshalb jede gesunde Person nach entsprechendem Training einen Marathon bewältigen kann. Andere legen selbst kurze Wege im Auto zurück, so dass ihre Beinmuskulatur völlig verkümmert. Genauso können wir unsere Anlagen zum Altruismus vernachlässigen – oder sie kultivieren.
Allerdings hat die Natur ein raffiniertes Mittel erfunden, mit dem sie uns dazu bringt, was sie von uns will – sie verführt uns mit guten Gefühlen. Sex ist aufregend und angenehm, denn er dient der Vermehrung. Wirkungsvoller, als vielen lieb ist, sind auch die Lustgefühle beim Essen, damit wir Fettpolster für schwere Zeiten anlegen. Auf ganz ähnliche Weise belohnt uns die Natur für Fairness und Hilfsbereitschaft: Es fühlt sich gut an, großherzig zu sein. Tatsächlich zeigt die Hirnforschung, dass Altruismus im Kopf dieselben Schaltungen aktiviert wie der Genuss einer Tafel Schokolade oder auch Sex.
»Wie traurig es ist, ein Egoist zu sein«, möchte man in Anlehnung an Brecht voll Mitgefühl feststellen – und wie gefährlich. Gar nicht so sehr für die Mitmenschen, denn entwickelte Gesellschaften zumindest halten allzu wilden Egoismus mit Gesetzen und Gerichten im Zaum. Doch wer schützt die Egoisten vor sich selbst? Schwere Depressionen verbreiten sich in Deutschland wie in den meisten Ländern in furchterregendem Tempo. Innerhalb nur eines Jahrzehnts hat sich das Risiko für junge Menschen, krankhaft schwermütig zu werden, mehr als verdreifacht.Und in weiteren zehn Jahren werden Depressionen laut der Weltgesundheitsorganisation bei Frauen die verheerendste Krankheit sein, bei Männern nur Herz-Kreislauf-Erkrankungen noch mehr Schaden anrichten. Viele Fachleute erklären diese erschreckenden Zahlen damit, dass Bindungen an die Familie, an Freunde und Kollegen sich aufgelöst haben und dass in der heutigen Gesellschaft vor allem das Individuum zählt. Sicher ist, dass Einsatz für andere der krankhaften Traurigkeit vorbeugen kann.[2]
Was hindert uns eigentlich daran, zu unserem eigenen Besten mehr für andere zu sorgen? Wer es versucht, stellt fest, wie tief wir dem eigenen Wunsch, großzügig zu sein, misstrauen. Zwar spüren wir oft den Impuls, etwas für andere zu tun, aber dann unterdrücken wir ihn. Denn Altruismus ist fast immer riskanter, als nur auf eigene Rechnung zu handeln.
Da ist zum einen die Angst, uns lächerlich zu machen. Großherzigkeit genießt in unserer Gesellschaft einen seltsamen Ruf: Öffentlich lobt jeder selbstlose Menschen, doch hinter vorgehaltener Hand gedeiht der Zynismus. Bewunderung genießt, wer cool und durchsetzungsstark wirkt. Mitgefühl hingegen gilt als ein Zeichen von Schwäche. Man zweifelt am Verstand derer, die ihre Interessen bisweilen zurückstellen; allzu oft fällt der Begriff des naiven »Gutmenschen«. Dabei sind selbst – und gerade – die größten Spötter im Grund ihres Herzens von der Sehnsucht nach dem Guten erfüllt. Sarkasmus ist schließlich der beste Schutz gegen Enttäuschung.
So sind wir in Sachen Selbstlosigkeit rettungslos ambivalent: Wir wollen daran glauben, können es aber nicht, und wenn wir es könnten, würden wir es nicht zugeben. Nur auf einen Gedanken scheint niemand zu kommen: Dass die Bereitschaft zur Hingabe auf die Stärke eines Menschen hindeuten könnte.
Noch tiefer als die Furcht vor Spott sitzt die Angst, ausgenutzt zu werden. Sie plagt uns völlig zu Recht. Denn solange Menschen ihren eigenen Vorteil anstreben, werden Einzelne von der Gutwilligkeit der anderen profitieren wollen. Dies war die Tragödie jeder von Idealisten angezettelten Revolution.
So erzählt dieses Buch von Geben und Nehmen, von Vertrauen und Verrat, von Mitgefühl und Rücksichtslosigkeit, von Liebe und Hass. Aber die Frage wird nicht sein, ob Menschen gut oder böse sind. Darüber haben einige der größten Philosophen lange genug gerätselt. Was hierzu geschrieben wurde, erinnert manchmal an eine Diskussion darüber, ob Kino an sich lustig oder beunruhigend ist: Natürlich hängt es vom Film ab, der gerade läuft. Auch geht es nicht darum, wie wir uns verhalten sollen. Überzeugende Entwürfe einer Moralphilosophie gibt es mehr als genug. Die Frage ist allerdings, warum wir ihnen so selten folgen.
Vielmehr versuche ich zu klären, unter welchen Umständen Menschen fair und großzügig sind – und wann skrupellos und egoistisch. Dabei gilt es, zwei Fragen zu unterscheiden: Erstens, wie ist Uneigennützigkeit überhaupt möglich? Zweitens, was bewegt uns dazu, etwas für andere zu tun? Und warum sind manche Menschen so viel hilfsbereiter als andere?
Im ersten Teil dieses Buches steht die übersichtlichste, aber keineswegs einfachste Form des Zusammenlebens im Vordergrund: Ich und du. Untersucht wird die Neigung zu teilen, aber auch zu betrügen. Denn kooperatives Handeln lohnt sich zwar, den anderen zu prellen jedoch zumindest kurzfristig noch mehr. Wenn aber auf Dauer meist doch besser fährt, wer großzügig ist, anderen gute Absichten unterstellt und ihnen verzeiht: Wie entscheiden wir dann, wann wir vertrauen und wann wir uns besser zurückziehen sollten? Die Vernunft ist damit oft überfordert. Ihr zur Hilfe kommt ein Hirnsystem der Empathie, das ganz anders funktioniert als das gewohnte strategische Denken. Wenn wir andere Menschen in Freude oder Schmerz erleben, spiegeln wir ihre Gefühle in unserem eigenen Kopf wider. Als löste sich die Grenze zwischen »dir« und »mir« auf, schwingen dann beide Gehirne im Gleichtakt. Ähnliche Mechanismen sorgen dafür, dass Vertrauen und gegenseitiges Verständnis entstehen.
Das empathische Hirnsystem hat außerordentlich viele Facetten: Mitgefühl alleine etwa macht uns weder großzügig noch hilfsbereit, anders als häufig behauptet. Einsatz für andere setzt voraus, dass wir nachvollziehen können, was den anderen bewegt. Und schließlich haben Hirnforscher jüngst auf beeindruckende Weise sogar sichtbar gemacht, wie Freundschaft und Liebe in unseren Köpfen entstehen.
Thema des zweiten Teils ist die Gemeinschaft. Er beginnt mit einer Zeitreise in die ferne Vergangenheit: Wie haben unsere Vorfahren gelernt, miteinander zu teilen? Dies ist noch immer eines der größten Rätsel der Evolutionstheorie. Oft genug wurde der Mensch als das grausamste aller Geschöpfe gescholten; tatsächlich aber sind wir von einer einzigartigen Großherzigkeit. Nach heutigem Wissen der Forscher gibt kein Tier einem anderen freiwillig etwas ab, allenfalls der eigene Nachwuchs bekommt Futter. Menschen überall auf der Welt hingegen sorgen für ihre Nahrung gemeinsam, und schon kleine Mädchen und Jungen machen spontane Geschenke. Viel spricht dafür, dass unsere Vorfahren erst die freundlichsten Affen werden mussten, bevor sie eine Chance hatten, auch die klügsten Affen zu sein. Wir verdanken unsere Intelligenz unserer Bereitschaft zu geben.
Aber wir geben nicht wahllos. Gerechtigkeit gehört zu unseren stärksten Bedürfnissen überhaupt, und sie ist lebensnotwendig. Eine Gemeinschaft, die keinen fairen Umgang unter ihren Mitgliedern durchsetzt, geht über kurz oder lang unter. Gerechtigkeit ermöglicht erst Altruismus, doch der Hunger nach ihr beschert uns Rache und Neid. Und diese sind noch nicht einmal die dunkelsten Seiten der Selbstlosigkeit: Jede Gruppe hält umso besser zusammen, je stärker sie im Wettbewerb mit anderen Gemeinschaften steht. Deshalb sind Abgrenzung und Hass auf »die Anderen« die düsteren Schwestern des Altruismus. Ihren Anlagen, für andere zu sorgen, verdanken Menschen also nicht nur ihre edelsten, sondern auch einige ihre hässlichsten Züge. So bestätigt die moderne Forschung einen Zusammenhang, von dem Mythen zu allen Zeiten erzählten – beginnend mit Luzifer, dem gefallenen Engel, bis hin zu Darth Vader, der sich im Hollywoodepos »Star Wars« von der Lichtgestalt in einen finsteren Tyrannen verwandelt.
Können wir die guten Seiten des Altruismus ohne die schlechten ausleben? Nicht zuletzt davon hängt die Zukunft der Menschheit ab. Solange Unternehmen, Völker und Nationen die eigenen Interessen auf Kosten des Wohls aller verfolgen, wird es kaum möglich sein, die Lebensgrundlagen auf unserem Planeten zu schützen.
Die Geschichte der Menschheit begann mit einer altruistischen Revolution – unsere Vorfahren fingen an, für ihre Nächsten zu sorgen. Nur gemeinsam hatten sie eine Chance in einer Welt, in der Nahrung knapp wurde, weil das Klima sich wandelte. Heute stehen wir vor einer ähnlichen Schwelle: Die Herausforderung ist, Zusammenarbeit in viel größeren Maßstäben zu lernen. Es ist Zeit für eine zweite altruistische Revolution.
Wir haben durchaus Grund, optimistisch zu sein. Durch elektronische Netze, müheloses Reisen und globalen Handel rücken entlegene Gegenden der Welt näher, wachsen Kulturen in atemberaubendem Tempo zusammen. In diesem Buch möchte ich zeigen, wie die Vernetzung auch die Antriebe unseres Verhaltens verschiebt. Es kostet uns zunehmend weniger, selbstlos zu sein, während Egoismus immer riskanter wird.
Die Zukunft gehört den Altruisten. Mit den nötigen Anlagen, sich darin zu behaupten, sind wir geboren. Doch während uns das berechtigte Streben nach dem eigenen Vorteil vertraut ist, fremdeln wir noch mit den Regungen, die uns das eigene Glück im Glück anderer finden lassen. Dieses Buch ist eine Einladung, die freundliche Seite unseres Wesens zu erkunden.
Ich und du