Aufgezeichnet und mit eigenen
Reflexionen versehen von
Swami Kriyananda
(J. Donald Walters)
Gespräche mit
Yogananda
Aus dem Englischen von
Tobias Philippen
Knaur e-books
PARAMAHANSA YOGANANDA (1893–1952) ist einer der einflussreichsten spirituellen Lehrer und Botschafter des Yoga gewesen. Er lebte von 1920 an bis zu seinem Tod in den USA und initiierte dort eine große Zahl von Menschen in die uralte meditative Technik des Kriya Yoga. Mit seinem internationalen Bestseller Autobiographie eines Yogi hat er Millionen inspiriert, und bis heute beeinflussen seine Werke, Zentren und Ashrams unzählige Sinnsucher weltweit.
SWAMI KRIYANANDA (J. Donald Walters) wurde 1948 ein Schüler Yoganandas und gilt als einer der erleuchteten Meister in seiner Nachfolge. Er wurde von Yogananda jahrelang auf seine Aufgabe vorbereitet und gründete nach dessen Tod mit Ananda Sangha eine weltweit agierende Organisation, die die Lehre Yoganandas weitergibt.
www.ananda-online.de
Die englische Originalausgabe erschien 2004 unter dem Titel »Conversations with Yogananda« bei Crystal Clarity, Publishers, c/o Ananda Edizioni, Morano Madonnuccia, 7, 06023 Gualdo Tadino (PG) Italy; Phone: +39-075-9148375; www.anandaedizioni.it.
Genehmigte gekürzte Ausgabe
© 2004 Hansa Trust
© 2021 O. W. Barth Verlag
© 2021 der eBook-Ausgabe Knaur eBook
Ein Imprint der Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.
Illustrationen im Innenteil: Shutterstock.com / Anna Poguliaeva
Covergestaltung: atelier-sanna.com, München
Coverabbildung: Shutterstock.com / Anna Poguliaeva
ISBN 978-3-426-45900-3
Später umbenannt in The New Path.
Dt. Die Essenz des spirituellen Weges.
Psalm 90,10
Gemeint ist der englische Begriff, also ein Geistlicher, der einer Gemeinde vorsteht. [Anm. des Übersetzers]
Für dieses englische Wort gibt es keine richtige Entsprechung im Deutschen, weshalb es an manchen Stellen so übernommen wurde. Es bezeichnet in diesem Zusammenhang jemanden, der mit Hingabe »devotion« Gott sucht. [Anm. des Übersetzers]
Im Kapitel »Aufeinander einschwingen«.
Die Kirchen der Self Realization Fellowship, der von Yogananda gegründeten Organisation mit Sitz in Los Angeles.
Johannes 1,12
Im Englischen wird hier das Wort »disciple« verwendet, für das es keine ganz passende Entsprechung im Deutschen gibt. Für »disciple« ist natürlich auch die Verwandtschaft zu »Disziplin« gegeben. [Anm. des Übersetzers]
Ein »Tag Brahmas« wird in den indischen Schriften beschrieben. Er bezeichnet einen abgeschlossenen Zeitabschnitt kosmischer Manifestation, der Milliarden Jahre lang ist. Dem »Tag Brahmas« folgt eine gleich lange Phase, die man »Nacht Brahmas« nennt. Während Brahmas »Nacht« wird die ganze Schöpfung aus der Manifestation zurückgezogen. Wesen, die noch keine Befreiung erlangt haben, verharren während dieser Zeit in »Samenform«, im Bewusstsein des göttlichen Geistes, und warten auf die nächste Manifestation der Schöpfung. Sobald der folgende »Tag Brahmas« anbricht, nehmen sie wieder den Zustand an, den sie zuvor erreicht hatten.
Matthäus 5,48
Woody war eine enge Schülerin des Meisters.
Insbesondere in: Cities of Light, Crystal Clarity Publishers, 1990.
Gewidmet den aufrichtigen Wahrheitssuchenden aller Religionen
»Der Autor übergibt Paramhansa Yogananda ein Geschenk aus Anlass des Besuchs von Binay R. Sen, dem indischen Botschafter in Amerika, in Mount Washington im März 1952.«
Fünfzig Jahre habe ich gebraucht, um diese Gespräche zu veröffentlichen. Während all dieser Zeit waren die Notizbücher, die sie enthielten, mein wertvollster Besitz und deren Schutz meine größte Sorge. In den Ausläufern der Sierra Nevada in Kalifornien, wo ich viele Jahre gelebt habe, sind Waldbrände eine große Gefahr. Deshalb war mir immer bewusst, dass es, sollte mein Haus je von einem Feuer bedroht sein, meine erste Pflicht sein würde, dieses Material in Sicherheit zu bringen. Alles andere war zweitrangig. Ich verwahrte die Notizbücher sicher in einem Safe auf. Als ich 1996 schließlich nach Italien zog, nahm ich die Notizbücher mit und umsorgte sie liebevoll wie ein Vater sein einziges, schutzbedürftiges Kind.
Von dieser Verantwortung bin ich nun endlich entbunden. Du, lieber Leser, hättest sicherlich alles Recht, mich zu fragen: »Warum, um alles in der Welt, hat das so lange gedauert?« Ich würde allerdings mit gleichem Recht antworten: Eine Mine voller Diamanten abzubauen, braucht eben Zeit. Schüler eines Gurus zu sein, ist eine Lebensaufgabe. Um anderen die Weisheit eines großen Meisters zu vermitteln, benötigt auch der Schüler eine gewisse Reife.
Seit 1948 bin ich Schüler von Paramhansa Yogananda. Als ich zu ihm kam, war ich zweiundzwanzig. Im Mai 1950 legte er mir zum ersten Mal nahe, unsere Gespräche aufzuzeichnen. Ich konnte mir jedoch nicht vorstellen, sie schon bald danach zu veröffentlichen. Damals war ich ja beinahe noch ein Kind. Und der spirituelle Wert seiner Worte war auch nicht beschränkt auf jene Zeit, in der sie gesprochen wurden. Die Gespräche wirken heute noch genauso unmittelbar wie vor mehr als dreiundfünfzig Jahren. Das wird auch in Tausenden von Jahren noch so sein. Glücklicherweise ist meine Erinnerung immer noch lebendig; ich musste mich also nicht ausschließlich auf die Notizen verlassen, sondern konnte ihnen sogar einiges hinzufügen, an das ich mich erinnert habe. So kann ich die Gespräche hier so klar wiedergeben, als hätten sie gestern stattgefunden. Ich glaube, lieber Freund, du wirst auf diesen Seiten viele neue Einblicke gewinnen. Einige werden sicher überraschend für dich sein, denn Leben und Handeln meines großen Gurus folgten nie den üblichen Pfaden und richteten sich nicht nach Konventionen, die er für sinnlos hielt. Er war ein Wegweiser, keine Institution.
Teile des vorliegenden Materials fanden bereits in zwei meiner Bücher Verwendung, nämlich in The Path[1] und in The Essence of Self-Realization[2]. Auch einige andere Aussprüche wurden bereits veröffentlicht, vor allem in dem Buch A Place called Ananda. Das erste dieser drei Bücher, The Path, kam 1978 heraus. Ich schrieb es in Form einer Autobiografie, um für andere erfahrbar zu machen, was es heißt, als Schüler dieses großen Meisters zu leben. Diese Form wählte ich aber auch deshalb, weil ich mich immer noch nicht imstande fühlte, mit der gebotenen Autorität über ihn zu schreiben, und dem kritischen Leser die Möglichkeit geben wollte, alles, was er als des Gurus unwürdig erachtete, auf die Fehlbarkeit desjenigen zu schieben, der hier versuchte, ihm schreibend gerecht zu werden. Außerdem hoffte ich, dass andere in meiner Suche nach Wahrheit, bei der ich mich schließlich zu Füßen von Paramhansa Yogananda wiederfand, Antworten erhalten würden auf ihre eigenen spirituellen Fragen. Diese Hoffnung hat sich, zu meiner großen Genugtuung, für Tausende von Lesern erfüllt.
Viel Material blieb indes übrig, das ich in The Path nicht benutzt habe oder das ich dort nur teilweise zitierte in der Hoffnung, ich könne es in Gänze an anderer Stelle besser verwenden. Mein Gedanke war: Ich will erst auf meinem spirituellen Weg vorankommen; vielleicht bin ich in zwanzig Jahren in der Lage, dieses Material mit größerer Weisheit zu vermitteln.
Im Februar 1990 stellte ich für mein Buch The Essence of Self-Realization Auszüge aus den Notizen zusammen. Die Auswahl beschränkte sich auf das Thema. Wenn ein Zitat also Lehren enthielt, die thematisch nicht relevant waren, ließ ich die entsprechenden Passagen weg. Oftmals finden sich diese Zitate hier nun vollständig. Darüber hinaus gab es aber noch viel mehr Material zu allen möglichen Themen. Das meiste davon erscheint nun in diesem Band, wobei jene Gespräche ausgelassen wurden, von denen sich noch lebende Personen verletzt oder angegriffen fühlen könnten.
Seit The Path geschrieben und veröffentlicht wurde, ist ein Vierteljahrhundert vergangen. In all dieser Zeit habe ich um innere Führung gebetet bei der Frage, wann der richtige Zeitpunkt für eine Veröffentlichung des restlichen Materials sei. Immer kam die Antwort: »Die Zeit wird kommen. Sei geduldig.«
Während das Leben vorbeizieht, schärft das steigende Alter unser Bewusstsein dafür, dass unsere Zeit auf Erden immer kürzer wird. Wie lang würde dieser Körper leben? Man wünschte sich Hunderte von Jahren für eine solche Arbeit, aber wenn ich zu lange wartete, würde ein anderer sie zu Ende führen müssen, der aber den gravierenden Nachteil hätte, den Meister nie selber erlebt zu haben. Ich musste akzeptieren, dass ich allein diese Arbeit ausführen konnte, egal wie inkompetent ich es täte. Wenn unser Leben siebzig Jahre währet[3], hatte ich dieses biblische Maß 1996 bereits überschritten. Die Beendigung dieses Buches bekam eine immer größere Wichtigkeit. Um diesen Gesprächen aber gerecht zu werden, konnte ich sie nicht einfach zusammenhanglos hinstellen, kommentarlos und ohne jede Erklärung. Sie mussten im richtigen Kontext dargestellt werden und durften nicht wie unvollendete Halbsätze in der Luft hängen.
Eingefasst in ein Schmuckstück, wirkt die Schönheit eines Edelsteins umso größer. In gleicher Weise werden die Aussagen klarer, wenn der Leser, wann immer möglich, erfährt, zu wem der Meister gesprochen hat, wann er dies tat, wo und warum. Dabei würde dem aufmerksamen Leser jedoch sofort auffallen, wäre dies alles nur künstlich in Szene gesetzt. Auch hier war ich meist der Einzige, der ganz »im Bilde« war.
Vor Kurzem fühlte ich mich endlich angeleitet, mit der Arbeit zu beginnen. Obwohl es mir eine Herzensangelegenheit war, hat mich, wie ich zugeben muss, die Größe der Herausforderung immer eingeschüchtert. Nicht nur ging ich immer davon aus, mindestens zwei Jahre zu benötigen – eigentlich keine sehr lange Zeit, an anderen Büchern habe ich länger gearbeitet. Wirklichen Respekt flößte mir die Tatsache ein, dass ich keine Ahnung hatte, wie ich die Gespräche in irgendeine logische Abfolge bringen sollte. Ich war es gewohnt gewesen, dass sich ein Thema sukzessive beim Schreiben entwickelte. Mir widerstrebte es, einfach wahllos Haufen unzusammenhängender Gedanken zu vermengen. Und doch stellte sich das Zufallsprinzip schließlich als der beste Weg heraus. Tatsächlich war es der einzig mögliche Weg. Die Gespräche waren einfach zu unterschiedlich und oft auch zu kurz, um sie in irgendeine sinnvolle Reihenfolge zu bringen.
Zu meiner Überraschung tat sich die Arbeit wie von selbst. Wobei sie häufig natürlich lediglich darin bestand, das in den Computer zu übertragen, was bereits in meinen Notizbüchern stand. Dabei merkte ich, dass ich nur einige der Gespräche zu Gruppen zusammenfassen musste, während ich die Abfolge mehr oder minder so lassen konnte, wie sie war, oder einfach mühelos einer inneren Stimme folgte, die sagte: »Warum tun wir nicht dieses hierhin und jenes dorthin?« Ich brauchte nicht einmal zwei Monate, um das gesamte Buch fertigzustellen.
Auf diesen Seiten schreibe ich über mich selbst, wenn nötig, in der ersten Person. Dies schien mir einfacher und klarer als die übliche und natürlich völlig legitime Benutzung der dritten Person. Damit der Leser unterscheiden kann, wann sich die Ich-Perspektive auf mich und nicht auf Paramhansa Yogananda bezieht, habe ich bisweilen in Klammern jenen Namen eingefügt, mit dem er mich gewöhnlich ansprach: »Walter«.
Ein Professor der Columbia University war zu Gast und aß mit dem Meister zu Mittag in dessen Gesprächsraum im dritten Stock von Mount Washington. Ich bediente sie und hatte danach die Gelegenheit, mit im Raum zu sitzen und Notizen zu machen, während sich die beiden unterhielten. Nachdem sie eine Weile diskutiert hatten, fragte der Professor: »Helfen Ihre Lehren den Menschen, mit sich selbst im Reinen zu sein?«
»Das tun sie tatsächlich«, antwortete der Meister, »aber das ist das Mindeste, was sie tun. Vor allem lehren wir die Menschen, im Reinen zu sein mit ihrem Schöpfer.«
Der Columbia-Professor ging den Dingen gerne auf den Grund. Neben vielen weiteren Fragen stellte er folgende: »Welchen Unterschied gibt es zwischen Ihnen und Ihren Anhängern?«
»Alle sind Wellen auf demselben Ozean«, antwortete der Meister, »und wie das Wasser des Meeres, so sind auch wir alle aus derselben Substanz: Geist. Einige Wellen sind höher als die übrigen. Andere wollen sich gar nicht aus dem Ozean erheben. Alle Wellen, egal wie hoch, sind in ihrer Essenz ein und dasselbe. Der Unterschied zwischen dem Guru und dem Schüler besteht also einzig in der jeweiligen Nähe zum Ozean: wie sehr sich der Einzelne des Wesens seiner eigenen Realität bewusst ist. Je größer das Ego-Bewusstsein, desto höher die Welle und desto größer folglich die Unwissenheit. Je größer hingegen die Erkenntnis, dass der Ozean unsere einzige Realität ist, desto kleiner die Welle und umso geringer das Gefühl einer eigenen, separaten Individualität.«
Der Professor: »Aber gibt es nicht einen unterschiedlichen Grad an Entwicklung?«
Der Meister: »Den gibt es, sofern wir Entwicklung verstehen als wachsende Verfeinerung des Bewusstseins. Die großen Wellen nehmen sehr viel überschwänglicher teil am Schauspiel weltlicher Illusion. Die kleinen Wellen hingegen, welche erleuchteter sind, lassen sich davon nicht mehr begeistern. Erleuchtete Wesen haben Freude an allem, nicht um seiner selbst willen, sondern als ›Schauspiel‹ Gottes.«
Professor: »Ist diese Entwicklung irgendwann zu Ende?«
Der Meister antwortete: »Nie. Du machst weiter, bis du die Endlosigkeit erreichst.«
»Ist der Mensch von Bedeutung für das große Ganze?«, fragte der Professor.
»Der Mensch ist nur in einem Sinn von Bedeutung«, antwortete der Meister. »Er wurde geschaffen als Ebenbild Gottes: Darin liegt seine Wichtigkeit. Er ist nicht wichtig wegen seines Körpers, seines Egos oder seiner Persönlichkeit. Das ständige Festhalten am Ego-Bewusstsein ist die Quelle all seiner Probleme.«
Ein andermal sagte der Meister zu uns: »Das Geschenk des Ego-Bewusstseins soll den Menschen dazu inspirieren, Gott zu suchen. Das ist der einzige Grund seiner Existenz. Beruf, Freunde, persönliche Vorlieben: diese Dinge bedeuten, für sich genommen, nichts.«
»Was ist der Unterschied«, fragte der Professor, »zwischen Wissenschaft und Religion in Bezug auf die Suche nach der Wahrheit?«
»Wahre Religion«, antwortete der Meister, »ist keine Theologie. Sie entsteht aus tiefer, innerer Verbindung mit Gott. Wahre Religion lehrt uns zum Beispiel, wie wir zu einem Atom werden, während sich Theologie höchstens einen Begriff zu machen versucht von diesem Atom. Wissenschaft untersucht die äußere Natur des Atoms und beweist dessen Existenz experimentell. Innere Religion jedoch geht über das Experiment hinaus zu tatsächlicher Erfahrung. Sie hilft uns, durch direkte Erfahrung zu verstehen, dass wir in dessen lebendigem Kern eins sind mit dem Atom.«
Es war, meine ich, auch dieser Professor, der eine der klassischen Fragen stellte: »Was war zuerst da: der Baum oder der Samen?«
»Der Baum«, antwortete der Meister ohne Zögern, »denn die Idee einer Tat geht immer der Tat selbst voraus. In diesem Sinne war der Baum schöpferisch etwas Besonderes. Gott gab ihm Samen, als Er diese Entwicklung in Gang setzte, auf dass er andere Bäume seiner Art hervorbringen könne.«
»Am Anfang«, fügte er hinzu, »ist alles eine Idee, eine besondere Neuschöpfung.«
»Die Menschen verbringen zu viel Zeit damit, Aufhebens zu machen um ihre Person und ihre Habseligkeiten. Was für eine Verschwendung, so viel Energie darauf zu verwenden, diesen kleinen Körper, das Zuhause und die eigenen Besitztümer zu hegen und zu pflegen – wo wir doch all das, ganz bald schon, für immer zurücklassen müssen!«
»Wenn du zum Arzt gehst und ein Rezept von ihm bekommst, es aber, sobald du zu Hause bist, zerreißt und wegwirfst, wie kannst du dann erwarten, gesund zu werden? Der Guru ist dein spiritueller ›Arzt‹. Es reicht nicht aus, einen Guru zu haben: Du musst auch tun, was er dir sagt. Selbst wenn du seinem Rat nur ein wenig folgst, wird sich dein Leben verändern. Jeder, der das lebt, was er hier lernt, wird die Pforte des Todes durchschreiten und in ein strahlendes Königreich aus Licht gelangen. Erwarte aber nicht, dort hinzukommen, indem du dich auf den Guru verlässt, ohne selbst etwas zu tun – wie ein abergläubischer Patient, der das Rezept rahmt und an die Wand hängt, als könne allein das Papier ihn heilen! Und glaube ebenso wenig anzukommen, indem du einfach verbissen durchhältst bis zum Ende! Handle immer mit festem Glauben, Hingabe und Freude. Lange bevor du dein göttliches Ziel erreichst, wirst du feststellen, wie zuckersüß das Leben sein kann, wenn man es richtig lebt. Du wirst strahlen vor innerem Glanz, Lebendigkeit und Glück!«
Der Meister sagte uns immer: »Wenn ihr nur den hundertsten Teil von dem lebt, was ich euch lehre, werdet ihr zu Gott gelangen.«
Gegen Ende seines Lebens war der Meister für längere Zeit krank. Eines Nachmittags, als er wieder gelegentlich seine Räume verließ, stieg er in sein Auto. Ein anderer Mönch und ich halfen ihm. »Es geht Ihnen besser, Sir!«, rief ich dankbar.
»Wem geht es besser?«, fragte der Meister in unpersönlichem Ton.
»Ich meinte Ihren Körper, Sir«, antwortete ich. Natürlich wusste ich, dass er sich nicht mit ihm identifizierte.
Für ihn war allerdings schon diese Unterscheidung oberflächlich. »Wo ist der Unterschied?«, fragte er. »Die Welle gehört ganz und gar zum Ozean, aus dem sie hervorgeht. Dies ist Gottes Körper. Wenn Er ihn gesund machen möchte, in Ordnung. Wenn Er ihn krank lassen will, auch gut.
Es ist das Klügste, unvoreingenommen zu sein. Wenn du gesund bist, aber an deiner Gesundheit hängst, wirst du immer Angst haben, sie zu verlieren. Und wenn du diesen Verlust fürchtest und dann krank wirst, leidest du. Warum bleibst du nicht lieber für immer voller Freude in deinem wahren Selbst?
Das größte Problem des Menschen ist sein Ego – sein Bewusstsein von Individualität. Was immer ihm geschieht, das betrifft, so meint er, ihn persönlich. Warum aber sollte man betroffen sein? Du bist nicht dieser Körper: Du bist Er! Er ist alles: Alles ist Geist.
Unglücklicherweise glaubt der Mensch, alles sei separat und einzeln. Der Herr musste diesen Anschein kreieren. Aber frage dich: Warum? Warum ist dies ein Baum, und du bist ein Mensch? Die Antwort ist einfach: Ohne diese Vielfalt gäbe es kein Spiel! Es würde dich einfach nicht interessieren. Wenn die Leute sähen, dass es lediglich eine Essenz in allem gibt – die alle Kulissen baut, Regie führt und alle Rollen spielt –, sie würden schnell die Lust verlieren. Damit ›die Show weitergeht‹, braucht es Aktivität, Spannung. Alles muss real erscheinen. Deshalb die Illusion von Individualität.
Solange sich der Mensch am Theaterstück als solchem erfreuen will, wird er von Inkarnation zu Inkarnation gehen und immer wieder Freud und Leid durchleben. Die Bhagavad Gita beschreibt das als ein Rad, das sich ständig weiterdreht.
Um diesem Rad zu entkommen, muss man eine starke Sehnsucht nach Freiheit haben. Erst dann wird Gott dich entlassen. Du musst vor Verlangen danach brennen. Wenn du das tust und absolut entschlossen bist, nie mehr spielen zu wollen, dann muss der Herr dich freigeben. Mit allerlei Prüfungen versucht Er, dich hier zu halten, aber in Seiner höheren Form, als dein kosmischer Geliebter, verabscheut Er dieses Schauspiel und will, dass du es hinter dir lässt. Warum sollte Er dich also nicht befreien, sobald Er sieht, dass du wirklich nur Ihn willst und nicht Sein Schauspiel: dass du nur in Ihm frei sein willst?
Dieselbe Essenz – bewusstes Leben – ist gleichermaßen in dir und in diesem Baum dort drüben. Der Baum wurde allerdings dort hingestellt, während dich ein gewisses Maß an freiem Willen zu dem gemacht hat, was und wer du bist. Nur die Weisen wissen, wo genau die Vorbestimmung aufhört und der freie Wille beginnt. Aber du musst immer dein Bestes geben, gemäß deinem klarsten Verständnis. Du musst dich nach Freiheit sehnen wie ein Ertrinkender nach Luft. Ohne aufrichtige Sehnsucht wirst du Gott niemals finden. Wünsche Ihn dir mehr als alles andere. Wünsche Ihn dir, damit du Ihn mit allen teilen kannst: Das ist der höchste Wunsch.
Und versuche dabei, die Gegensätze zu überwinden: Freude und Leid, Hitze und Kälte, Krankheit und Gesundheit. Befreie dich vom Bewusstsein der Individualität, von der Einbildung, getrennt zu sein von allem und jedem anderen. Richte deine Aufmerksamkeit ganz unerschütterlich auf Ihn. Bleibe innerlich so unbeeinträchtigt wie der unbewegliche göttliche Geist, zu dem du werden möchtest. Er allein ist, was du wirklich bist. Einzig Seine Glückseligkeit ist deine wahre Natur.«
Ted Krings, ein neuer Schüler, fragte den Meister: »Können Sie, wenn Sie jemanden sehen, gleich erkennen, wie weit fortgeschritten er spirituell ist?«
»Sofort!«, antwortete der Meister mit einem sanften Lachen. »Aber ich spreche nicht darüber. Ich schaue in die Menschen hinein, weil es meine Aufgabe ist. Einer, der sich damit brüstet, diese Dinge zu wissen, weiß sie nicht. Und einer, der sagt, er wisse sie nicht, weiß sie auch nicht! Wer wirklich weiß, spricht nicht darüber. Die Weisheit schweigt.«
»Meister mit einem Tigerfell. Fortgeschrittene Yogis sitzen bei der Meditation manchmal auf einem Tigerfell, eine Praxis, welche die Entschlossenheit und Selbstkontrolle stärken soll.«
Viele Christen halten Scheidung für unvereinbar mit den Lehren Jesu Christi. Die katholische Kirche verbietet sie sogar ganz. In solchen Dingen, die so sehr das Leben eines Menschen betreffen, sollte man jedoch seiner Intuition folgen und nicht nur der Politik einer Kirche. Das heißt auch, man sollte darauf schauen, was weise Lehrer und nicht was irgendwelche Institutionen zum Thema gesagt haben.
Für Paramhansa Yogananda war die Ehe nicht unbedingt »im Himmel geschlossen«, selbst wenn sie von einer Kirche gesegnet wurde. Für ihn hängt die Heiligkeit der Ehe vom Maß an spirituellem Bewusstsein des Einzelnen ab.
Folgende Geschichte erzählte er über Amelita Galli-Curci, die berühmte italienische Opernsängerin, die auch seine ergebene Schülerin war. Sie beschreibt, wie viel wichtiger als der institutionelle oder staatliche Segen die seelische Verbundenheit ist. Für ihn lag in dieser inneren Verbindung die wahre Bedeutung der Worte, die bei der Hochzeitszeremonie gesprochen werden: »Denn was Gott verbunden hat …«
»Madame Galli-Curci«, erzählte der Meister, »war zuerst mit einem Trinker verheiratet, der sie verprügelte, wenn er sehr betrunken war. Eines Tages nahm er einen Stuhl und wollte sie damit schlagen. Sie sah ihm direkt in die Augen, mit ruhiger innerer Stärke. Dann wandte sie sich um und ging für immer aus seinem Leben.
Jahre später heiratete sie Homer Samuels, der sie am Klavier begleitete. Die beiden hatten eine echte Seelen-Verbindung.«
Der Meister sah Scheidung nicht unbedingt im Widerspruch zu den geistigen Gesetzen oder zu den Lehren Jesu Christi. Wenn eine Ehe der geistigen Entwicklung eines Menschen im Wege steht, kann es seine spirituelle Pflicht sein, sie zu beenden. Wie die indischen Schriften lehren: »Wenn eine niedere Pflicht in Konflikt steht mit einer höheren, ist sie keine Pflicht mehr.«
Normalerweise zelebrierte der Meister keine Hochzeiten, wenn er sah, dass ein Paar nicht zueinanderpasste – obwohl er in manchen Situationen gezwungen war, nachgiebig zu sein.
»Einmal kam ein Paar zu mir«, erzählte er uns, »und bat mich, sie zu verheiraten. Ich konnte sofort sehen, dass sie nicht zueinanderpassten, also lehnte ich ab.
›Wir gehen, Schatz!‹, sagte der Mann wütend. [Mit Vergnügen erinnere ich mich an den bengalischen Akzent, mit dem der Meister diese Worte nachahmte.] Sie waren gerade an der Tür, als ich hinzufügte: ›Gestatten Sie mir einen Rat: Versuchen Sie bitte, sich nicht gegenseitig umzubringen!‹
›Komm, wir gehen, Schatz!‹, wiederholte der Mann zornig. Er dachte, ich wolle sie absichtlich beleidigen.
Nun, zwei Monate später kamen sie noch einmal. ›Gott sei Dank haben Sie uns diese Warnung mit auf den Weg gegeben‹, riefen sie. ›Ohne sie hätten wir uns am Ende vielleicht tatsächlich umgebracht!‹
Ihnen war nicht bewusst gewesen, wie viel Wut in ihnen gekocht hatte. In der Ehe flog der Deckel vom Topf. Der Dampf entwich und verbrühte sie.«
Wieder auf Madame Galli-Curci zurückkommend, erzählte der Meister: »Eines Tages unterhielt ich mich mit ihr, und sie sagte voller Überzeugung: ›Ich habe keinerlei Wünsche!‹ Aber einige Zeit später meinte sie ganz überschwänglich: ›Im Himmel, da werde ich immerzu singen!‹ Mit leisem Lachen erwiderte ich: ›Haben Sie mir nicht kürzlich erzählt, Sie hätten keine Wünsche?‹«
Bei anderen Anlässen erklärte er: »Unsere Selbstwahrnehmung als abgetrenntes, ich-bezogenes Selbst beginnt mit dem astralen, nicht mit dem physischen Körper. Die Seele ist individualisierter Geist. Mit dem Kausalkörper beginnt sie, als etwas Eigenes zu existieren, wenn das universelle ›Ich‹ zum ersten Mal diesen speziellen Ausdruck seiner selbst wahrnimmt. Die Seele lädt dann diesen Ausdruck mit Energie auf, indem sie ihn zunächst in einen Astralkörper aus Licht kleidet. Wenn sie danach einen physischen Körper annimmt, wird der Anschein von Individualität unveränderlich und dauerhaft, obwohl er weiterhin eine Illusion ist.
Menschen, die glauben, sie könnten in die Unendlichkeit gelangen, indem sie Selbstmord begehen, durchbrechen ihre äußere Hülle nur zeitweise. Sie sind weiterhin in ihrem Ego gefangen, das dem Astralkörper eingepflanzt ist und all ihre Probleme verursacht. Sie müssen, ich-verbunden, ins Materielle zurückkehren, wo sie zusätzlich die karmische Last ihrer Sünde zu tragen haben. Denn Selbstmord ist eine noch größere Sünde als Mord, da er dem Wunsch entspringt, nicht nur das Recht eines Menschen auf sein Leben zu zerstören, sondern das Leben selbst. Dieser Versuch aber kann niemals glücken. Leben ist Gott. Und Gott ist Leben.«
Der Meister bat mich öfter dazu, wenn er Gäste empfing. Einer der Besucher kam mehrere Male, immer mit großer Begeisterung. Als es aber darum ging, sich mit den Lehren vertraut zu machen, zeigte sich dieser Überschwang weniger. Der Meister bat mich, ihm die Techniken beizubringen, aber nachdem der Mann mehrmals Verabredungen nicht eingehalten hatte, ohne auch nur einen Grund für seine Abwesenheit zu nennen, war ich sicher, dass es ihm mehr darum ging, sich im Glanz des Meisters zu sonnen, als sich mit dem Kern seiner Lehren zu befassen.
»Er ist nicht aufrichtig«, sagte ich zum Meister, als das nächste Treffen mit dem Mann anstand.
Der Meister lächelte. »Na ja, wir werden Spaß haben heute!«, war sein einziger Kommentar. Was folgte, war der übliche Enthusiasmus aufseiten des Besuchers, während der Meister ihn lächelnd so akzeptierte, wie er war. Ich fürchte, meinerseits war die Akzeptanz weitaus geringer.
Später meinte der Meister zu mir: »Wie kühl du zu ihm warst! Wie viele wären wohl noch hier, wenn ich mich euch gegenüber so verhalten hätte – so unnachsichtig?« Tatsächlich bewahrte sich dieser Mann während seines langen Lebens dem Meister gegenüber auf recht ungewöhnliche Weise die Haltung eines hingebungsvollen Schülers.
»Ein Besucher«, erzählte uns der Meister, »hat mich gestern gefragt: ›Wer hat Gott erschaffen?‹ Das fragen viele. Was daher kommt, dass sie im Reich des Kausalen leben. Sie denken, alles muss eine Ursache haben, denn in dieser Welt geschieht nichts ohne Ursache. Gott jedoch ist die höchste Ursache. Er muss nicht verursacht oder erschaffen werden. Er ist die Ursache aller Ursächlichkeit. Die Wahrheit ist, dass tatsächlich nichts wirklich erschaffen wird. Der Geist manifestiert das Universum einfach. Letztlich wird nichts durch nichts anderes verursacht, denn nichts passiert in Wirklichkeit überhaupt!«
Der Meister sprach mit mir über seine Erinnerungen an die ersten Jahre in Amerika. »Ralph«, sagte er, »war ein Fahrer, der mich auf meiner ersten Lesetour quer durch das Land chauffierte. Noch ein anderer Fahrer war mit dabei, Arthur Cometer, ein guter und aufrichtiger Schüler. [Mr Cometer besuchte Mount Washington, kurz bevor der Meister starb. Ich hatte die Gelegenheit, ihn dort kennenzulernen.] Ralph hingegen war arrogant und stand allem skeptisch gegenüber. Wenn er über Landstraßen fuhr, machte er manchmal einen Schlenker, um Hasen zu überfahren und sie zu töten. Ich bat ihn, damit aufzuhören, aber er wollte nicht hören. Also warnte ich ihn: ›Dir wird eine ernste karmische Lektion erteilt werden für das herzlose Morden, das du hier begehst.‹
›Ach ja, Prophet?‹, spottete er. ›Hören Sie auf, ich hab meinen Spaß.‹
›Du wirst schon sehen‹, antwortete ich sehr ernst, ›dein Handeln verstößt gegen karmische Gesetze.‹