Hugo von Hofmannsthal
Jedermann
Das Spiel vom Sterben des reichen Mannes.
FISCHER E-Books
Erneuert von
Hugo von Hofmannsthal
Auf Grund der Vorarbeiten
des Dichters revidierter Text
Herausgegeben
von Heinz Rölleke
Hugo von Hofmannsthal, 1874 in Wien geboren, war in den neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts neben Arthur Schnitzler der bedeutendste Autor des Schriftstellerkreises ›Jung Wien‹. Nach 1902 wandte sich Hofmannsthal vom Ästhetizismus ab und begann eine intensive Auseinandersetzung mit der europäischen Literaturtradition. Mit seinen Dramen, u.a. ›Jedermann‹, und seinen Opernlibretti für Richard Strauss, u.a. ›Der Rosenkavalier‹ und ›Ariadne auf Naxos‹, wurde er weltberühmt. Er starb 1929 in Rodaun bei Wien.
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›Jedermann‹ ist neben dem ›Rosenkavalier‹ Hugo von Hofmannsthals populärstes Werk, nicht zuletzt wegen der alljährlichen Festaufführungen auf dem Salzburger Domplatz. Mit diesem Werk hat sich der Wunsch des Dichters nach Volkstümlichkeit erfüllt, nach einer Kunst, die zu allen spricht. Gleichzeitig eröffnen sich, wie immer bei Hofmannsthal, auch in diesem Stück Perspektiven der Weltliteratur: Als Vorlage diente Hofmannsthal eine alte englische »Moralität«, die auch in einer niederdeutschen Version überliefert ist.
Für sein Publikum hat Hofmannsthal das alte Spiel erneuert und Aspekte der Gesellschafts- und Kapitalismuskritik hervorgehoben. 1911 wurde ›Jedermann‹ unter Max Reinhardt in Berlin uraufgeführt, 1920 wurde das Stück zum ersten Mal in Salzburg vor der Fassade des Doms gespielt.
Die vorliegende Ausgabe basiert auf dem Text der Kritischen Ausgabe der Werke Hugo von Hofmannsthals.
Erschienen bei FISCHER E-Books
© 1990 S. Fischer Verlag GmbH, Hedderichstr. 114, D-60596 Frankfurt am Main
Covergestaltung: kreuzerdesign Agentur für Konzeption und Gestaltung
Coverabbildung: © Can Stock Photo / Morphart
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ISBN 978-3-10-490668-3
Das am 1. Dezember 1911 in Berlin unter der Regie von Max Reinhardt uraufgeführte ›Jedermann‹-Spiel von Hugo von Hofmannsthal (1874–1929) ist neben dem ›Rosenkavalier‹ zu seinem bekanntesten Werk überhaupt geworden, vor allem seit es am 22. August 1920 erstmals vor dem Salzburger Dom und von da an bei allen Salzburger Festspielen in Szene ging.
Die in Thematik und Stil gleichermaßen scheinbar holzschnittartig oder gar anspruchslos wirkende Dichtung ist tatsächlich auf der Basis einer relativ komplizierten Quellenlage in einem vielschichtigen Entstehungsprozeß entstanden.
1903 war der Dichter auf das anonyme englischsprachige ›Everyman‹-Spiel vom Ende des 15. Jahrhunderts (Erstdruck 1529) aufmerksam geworden; er plante eine deutsche Bearbeitung, mit der er die Möglichkeiten der modernen Schaubühne erweitern wollte. Doch seit 1905 beschäftigte ihn eine eigene ›Jedermann‹-Dichtung in Prosa, die dem alten Stück nur noch die Grundsituation verdanken sollte – die unvorhergesehene Konfrontation eines lebensfrohen Mannes mit dem Tod. Diese in jeder Hinsicht moderne Dichtung blieb Fragment und ging teilweise in Hofmannsthals Arbeiten am ›Dominic Heintl‹ auf. Erst im September 1909 wandte sich Hofmannsthal wieder dem ›Jedermann‹-Stoff zu: Der geniale Regisseur Max Reinhardt drängte ihn, das in England inzwischen wieder sehr populär gewordene Sujet baldmöglichst zu bearbeiten, damit ihm niemand damit zuvorkomme. Hofmannsthal erstellte daraufhin eine fast vollständige, eng dem Original verpflichtete Übersetzung in unregelmäßig gereimten und dem Stil des Knittels angenäherten Versen. Bei einer abermaligen Begegnung mit Reinhardt im Januar 1911 wurde beiden ein gewisser Mangel an äußerer Handlung und Farbigkeit der Personenbezeichnung bewußt; um dem abzuhelfen, kontaminierte Hofmannsthal seine Übersetzung mit einem Spiel gleichen Themas von Hans Sachs: ›Ein comedi von dem reichen sterbenden menschen‹ (1549). Letzterem entnahm er Figuren und Handlungselemente vor allem für den ersten Teil, das sog. ›Weltleben‹ Jedermanns.
Darüber hinaus zog er neben vielen anderen, in den Einzelkommentaren zur Kritischen Ausgabe (s. u.) nachgewiesenen Vorlagen ein gereimtes Gebet Dürers (für die erste Szene mit der Mutter), Lieder einiger Minnesänger (für die Bankettszene) sowie sporadisch Schauspiele Calderóns (›Balthasars Nachtmahl‹) und Maeterlincks (›L’Intruse‹) heran. Von ganz besonderem Einfluß auf Ideen und Motive der endgültigen Gestaltung des ›Jedermann‹ waren Georg Simmels ›Philosophie des Geldes‹ (Jedermanns Umgang mit seinem Reichtum und die Mammon-Szene) sowie Robert Burtons ›The Anatomy of Melancholy‹ aus dem 17. Jahrhundert (Jedermanns Charakter).
Fühlte sich der Dichter während der Abschlußarbeiten nur wie ein ›Restaurator‹, der sein Werk allerdings mit hohem Sachverstand betrieb, so stellte er den ›Jedermann‹ nach dem überraschend großen und nachhaltigen Bühnen- und Bucherfolg als seine ureigentliche Schöpfung heraus – und das mit Recht. Wie die ›Volksmärchen‹, auf die er sich in der Vorrede nicht zufällig beruft, ohne das Sammel- und Erzählgenie der Brüder Grimm nie zu einem internationalen Erfolg geworden wären, so wäre auch das ›Jedermann‹-Sujet ohne Hofmannsthals gelungene Kontamination divergierendster Quellen aus vielen Nationalliteraturen und Epochen, vor allem aber ohne seine artifiziell archaisierte und doch so genuin einheitlich wirkende Sprachgebung weithin vergessen geblieben. Dank neuerer Forschungen läßt sich nachweisen, wie genau Hofmannsthal – bewußt und unbewußt – den Bearbeitungsmethoden der Brüder Grimm folgte: Von der Kontamination international verbreiteter und verschiedenen Jahrhunderten entstammender literarischer Quellen über deren sprachliche Bearbeitung in einem einheitlichen Stil bis hin zur Einführung der sowohl in den ›Kinder- und Hausmärchen‹ wie im ›Jedermann‹ gleichermaßen zahlreichen volksläufigen Sprichwörter und Redensarten.
Dabei machen gerade die neuen Quellendokumentationen in der Kritischen Ausgabe deutlich, daß mit diesem Spiel nicht nur ein im wesentlichen dem Geist des Spätmittelalters verpflichtetes, typenhaftes und damit zeitloses Identifikationsangebot an Zuschauer und Leser aller Alters- und Bildungsschichten gegeben ist, sondern auch die Probleme des modernen Menschen, seines gesellschaftlichen Lebens und seines schweren Sterbens subtil eingebracht und aufgearbeitet sind.
Daß in der vorliegenden Ausgabe erstmals Flüchtigkeiten und Versehen in der bisher tradierten Textgestalt im Rückgriff auf Hofmannsthals Vorarbeiten revidiert werden konnten (an die 160 Verbesserungen oder Ergänzungen), mag dazu beitragen, diesem literarischen Welterfolg den Weg ins neue Jahrzehnt seiner Wirkungsgeschichte zu ebnen.
Heinz Rölleke
Die Kritischen Texte der drei verschiedenen ›Jedermann‹-Versionen Hofmannsthals (Prosa- und Übersetzungsfragment sowie Schlußfassung), Darstellung der Entstehungsgeschichte und Quellenlage sowie Dokumentationen der Überlieferungsträger, der Textvarianten und Zeugnisse nebst ausführlichen Einzelerläuterungen bietet die Kritische Ausgabe:
Hugo von Hofmannsthal, Sämtliche Werke, Band IX, Dramen 7, hrsg. von Heinz Rölleke (= Hugo von Hofmannsthal, Sämtliche Werke, Kritische Ausgabe, veranstaltet vom Freien Deutschen Hochstift, hrsg. von Rudolf Hirsch, Clemens Köttelwesch ✝, Heinz Rölleke, Ernst Zinn ✝), Frankfurt am Main, S. Fischer Verlag 1990.
Hugo von Hofmannsthal