LESEEXEMPLAR
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am 18. März 2022 veröffentlichen.
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Elisabeth Lim
Die sechs Kraniche
Aus dem Englischen von Birgit Schmitz
Prinzessin Shiori hat ihre verbotenen magischen Kräfte bisher sorgfältig verborgen. Doch am Morgen ihrer arrangierten Hochzeit verliert sie die Kontrolle über ihre Magie. Ihre Stiefmutter Raikama wittert in ihr eine gefährliche Konkurrentin. Sie verbannt die Prinzessin, verwandelt ihre Brüder in Kraniche und belegt Shiori mit einem Fluch: Sobald ein Wort über ihre Lippen kommt, wird ein Bruder sterben. Auf der Suche nach den Kranichen entdeckt Shiori eine Verschwörung mit dem Ziel, den Thron zu übernehmen. Um das zu verhindern, braucht sie ausgerechnet die Hilfe ihres unbekannten Bräutigams …
Wohin soll es gehen?
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Für Charlotte und Olivia, weil sie
mein größtes Abenteuer sind.
Ihr seid meine Freude, mein Staunen
und meine Liebe.
Kapitel 1
Der Grund des Sees schmeckte nach Schlamm, Salz und Reue. Das Wasser war sehr trüb, und es war eine Qual, die Augen offen zu halten, aber ich danke den großen Göttern, dass ich es tat. Denn sonst hätte ich den Drachen nicht gesehen.
Er war kleiner, als ich mir Drachen vorgestellt hatte, ungefähr so groß wie ein Ruderboot, und er hatte funkelnde rubinrote Augen und Schuppen, so grün wie reinste Jade. Mit den gigantischen Kreaturen, die ganze Kriegsschiffe verschlingen konnten, wie es in den Legenden über Drachen behauptet wurde, hatte er also nicht das Geringste gemein.
Er schwamm näher heran, bis seine runden roten Augen so dicht vor mir waren, dass ich mich darin spiegeln konnte.
Er schaute mir beim Ertrinken zu.
Hilfe, bettelte ich. Mir war die Luft ausgegangen, und ich hatte nur noch eine knappe Sekunde, bis meine Welt zusammenschrumpfen und mein Leben zu Ende sein würde.
Der Drache betrachtete mich und hob seine federartige Augenbraue. Einen Moment lang wagte ich zu hoffen, dass er mir helfen würde. Aber er legte seinen Schwanz um meinen Hals und quetschte das letzte bisschen Atemluft aus mir heraus.
Und es wurde schwarz um mich.
Rückblickend betrachtet hätte ich meinen Zofen besser nicht erzählt, dass ich in den Heiligen See springen wollte. Ich sagte es ihnen auch nur, weil die Hitze an diesem Morgen schier unerträglich war. Sogar die Chrysanthemenbüsche waren verwelkt und die Milane segelten stumm über die Zitronenbäume hinweg. Zu ausgedörrt waren ihre Kehlen. Ganz abgesehen davon, dass ein Bad im See mir als absolut vernünftige Alternative zu meiner Verlobungsfeier erschien – die ich gern als das trostlose Ende meiner Zukunft bezeichnete.
Leider glaubten die Zofen mir, und die Nachricht verbreitete sich schneller als Dämonenfeuer bis zu meinem Vater. Nur Minuten später sandte er einen meiner Brüder mit einem Gefolge streng dreinblickender Wachen aus, um mich abzuholen.
Hier war ich also und wurde am heißesten Tag des Jahres über die unzähligen Flure des Palasts geführt. Dem trostlosen Ende meiner Zukunft entgegen.
Während ich meinem Bruder einen weiteren sonnendurchfluteten Flur entlang folgte, zupfte ich an meinem Ärmel herum und tat so, als wollte ich ein Gähnen verbergen, damit ich unauffällig einen Blick hineinwerfen konnte.
»Hör auf zu gähnen«, tadelte Hasho mich.
Ich ließ den Arm sinken und gähnte noch einmal. »Wenn ich sie alle jetzt schon rauslasse, muss ich es später nicht vor Vater tun.«
»Shiori …«
»Lass du dich mal im Morgengrauen wecken und dir mit tausend Strichen die Haare bürsten«, entgegnete ich. »Versuch du doch mal, in Bergen von Seide herumzulaufen.« Ich hob die Arme, aber die Ärmel meiner Gewänder waren so schwer, dass ich sie nur mit Mühe oben behalten konnte. »Schau dir diese vielen Stoffschichten an. Ich könnte ein ganzes Schiff damit auftakeln, um über das Meer zu segeln!«
Hashos Mund umspielte die Andeutung eines Lächelns. »Die Götter lauschen dir, liebe Schwester. Beklag dich nur weiter so und dein Verlobter bekommt für jedes Mal, wenn du es ihnen gegenüber an Achtung fehlen lässt, eine Pockennarbe mehr.«
Mein Verlobter. Jede Erwähnung seiner Person ging mir zum einen Ohr hinein und zum anderen wieder hinaus, und meine Gedanken wanderten zu angenehmeren Dingen. Zum Beispiel dazu, dass ich den Palastkoch beschwatzen könnte, mir sein Rezept für Rote-Bohnen-Paste zu verraten, oder – besser noch – mich auf einem Schiff zu verstecken, das mich über die Taijin-See brachte.
Da ich die einzige Tochter des Kaisers war, hatte ich noch nie irgendwo hinreisen, geschweige denn die Hauptstadt Gindara verlassen dürfen. In einem Jahr würde ich für solche Eskapaden zu alt sein. Und zu verheiratet.
Meine schmachvolle Lage ließ mich laut aufseufzen. »Dann bin ich verloren. Er wird abscheulich aussehen.«
Mein Bruder gluckste und schob mich weiter vorwärts. »Komm jetzt, keine Klagen mehr. Wir sind fast da.«
Ich verdrehte die Augen. Hasho klang allmählich, als wäre er siebzig und nicht siebzehn. Eigentlich mochte ich ihn von meinen sechs Brüdern am liebsten – er war als Einziger ebenso schlagfertig wie ich. Aber seit er angefangen hatte, sein Dasein als Prinz so schrecklich ernst zu nehmen und seinen scharfen Verstand beim Schachspiel zu vergeuden, anstatt Unsinn zu treiben, gab es gewisse Dinge, die ich ihm nicht mehr erzählen konnte.
Zum Beispiel, was ich in meinem Ärmel verbarg.
Ein Kitzeln wanderte meinen Arm hinauf, und ich kratzte mich am Ellenbogen.
Zur Sicherheit hielt ich die weite Öffnung meines Ärmels zu. Wenn Hasho gewusst hätte, was ich unter all den Stofflagen verbarg, hätte ich ganz schön was zu hören bekommen.
Von ihm oder von Vater.
»Shiori«, flüsterte Hasho. »Stimmt was nicht mit deinem Kleid?«
»Ich dachte schon, ich hätte die Seide bekleckert«, log ich und tat so, als riebe ich an einem Fleck auf meinem Ärmel herum. »Es ist so heiß heute.« Ich lenkte meinen Blick demonstrativ auf die Berge und den See draußen. »Würdest du nicht auch lieber eine Runde schwimmen gehen, statt einer langweiligen Zeremonie beizuwohnen?«
Hasho beäugte mich misstrauisch. »Lenk nicht vom Thema ab, Shiori.«
Ich neigte mein Haupt, gab mir alle Mühe, reumütig dreinzuschauen – und zupfte heimlich meine Ärmel zurecht. »Du hast recht, Bruder. Es wird Zeit, dass ich erwachsen werde. Ich danke dir dafür … dafür …«
Wieder spürte ich ein Kitzeln am Arm und schlug mir auf den Ellenbogen, um das Geräusch zu übertönen. Mein Geheimnis wurde zunehmend unruhig und seine Bewegungen zeichneten sich unter dem Stoff meines Kleids ab.
»… dass du mich zu meinem Verlobten geleitest«, beendete ich rasch den Satz.
Ich hastete auf den Audienzsaal zu, aber Hasho erwischte mich am Ärmel, hob ihn an und schüttelte ihn kräftig.
Ein Papiervogel kam herausgeschossen, so groß wie eine Libelle und auch genauso schnell. Von Weitem sah er aus wie ein kleiner Spatz mit einem roten Punkt am Kopf; er flog von meinem Arm zum Kopf meines Bruders und flatterte dann, heftig mit den schmalen Flügeln schlagend, vor seinem Gesicht herum.
Hasho fiel die Kinnlade herunter, seine Augen weiteten sich vor Schreck.
»Kiki!«, flüsterte ich streng und hielt meinen Ärmel auf. »Komm zurück!«
Aber Kiki gehorchte nicht. Sie ließ sich auf Hashos Nase nieder und strich mit einem Flügel darüber, um ihm ihre Zuneigung zu zeigen. Meine Schultern entspannten sich; alle Tiere mochten Hasho, und ich war sicher, sie würde ihn verzaubern, so wie sie mich verzaubert hatte.
Doch mein Bruder schlug sich die Hände vors Gesicht, um sie zu fangen.
»Tu ihr nicht weh!«, schrie ich.
Kiki flog auf und entging seinen Fangversuchen nur knapp. Sie prallte gegen die hölzernen Läden und schoss – auf der Suche nach einem offenen Fenster – weiter den Flur entlang.
Ich wollte ihr nachlaufen, aber Hasho packte mich und hielt mich fest, sodass meine Schläppchen über den glatten Holzboden rutschten.
»Lass ihn fliegen«, sagte er mir ins Ohr. »Darüber reden wir später noch.«
Die Wachen öffneten uns die Türen und einer von Vaters Ministern meldete mich an: »Prinzessin Shiori’anma, jüngstes Kind und einzige Tochter von Kaiser Hanriyu und der verstorbenen Kaiserin …«
Drinnen, am anderen Ende des riesigen Saals, saßen mein Vater und seine Gemahlin, meine Stiefmutter. Die Luft vibrierte von Ungeduld, Höflinge falteten ihre bereits feuchten Taschentücher neu, um sie an ihre schweißnassen Schläfen zu drücken. Ich sah die Rücken von Lord Bushian und seinem Sohn – meinem Verlobten –, die vor dem Kaiser knieten. Nur meine Stiefmutter bemerkte mich, da ich erstarrt auf der Türschwelle stehen geblieben war. Sie neigte den Kopf und fixierte mich mit ihren hellen Augen.
Mir lief ein Schauer den Rücken herunter. Plötzlich hatte ich Angst, dass ich so werden würde wie sie – kalt und traurig und einsam –, wenn ich diese Verlobung einging. Und schlimmer noch: dass ich Kiki nicht fand, aber es vielleicht jemand anders tat und Vater von meinem Geheimnis erfuhr …
Dass ich einen Papiervogel mithilfe von Magie zum Leben erweckt hatte.
Verbotener Magie.
Ich wirbelte herum und drückte mich an Hasho vorbei, der zu überrascht war, um mich aufhalten zu können.
»Prinzessin Shiori!«, riefen die Wachen. »Prinzessin!«
Ich streifte meinen festlichen Umhang ab, während ich Kiki hinterherrannte. Allein die Stickereien wogen schon so viel wie der Harnisch eines Wächters, und sobald ich meine Schultern und Arme von ihrem Gewicht befreit hatte, war es, als wüchsen mir Flügel. Ich ließ einen Teich aus Seide im Flur zurück und sprang aus einem der Fenster in den Garten.
Das grelle Sonnenlicht stach mir in die Augen, und ich musste sie zusammenkneifen, um Kiki überhaupt sehen zu können. Sie segelte durch den Kirschbaumhain und dann an den Zitronenbäumen vorbei, wo ihr hektisches Geflatter die Milane auffliegen ließ.
Eigentlich hatte ich Kiki, gut versteckt in einem Schmuckkästchen, in meinen Gemächern lassen wollen, aber sie hatte mit den Flügeln geschlagen und so heftig gegen ihr Gefängnis rebelliert, dass ich Angst bekam, ein Diener könnte sie während der Verlobungszeremonie entdecken.
Das Beste wird sein, ich behalte sie bei mir, hatte ich gedacht.
Versprichst du, brav zu sein?, hatte ich sie gefragt.
Und Kiki hatte genickt, was ich als Zustimmung wertete.
Ein Irrtum.
Bei den Dämonen, ich war anscheinend die größte Närrin von Kiata! Aber ich würde mir nicht vorwerfen, dass ich ein Herz hatte, auch wenn es für einen Papiervogel schlug.
Kiki war mein Papiervogel. Da meine Brüder in ein Alter gekommen waren, in dem sie ständig irgendwelchen prinzlichen Pflichten nachkommen mussten, fühlte ich mich einsam. Aber Kiki hörte mir zu, bewahrte meine Geheimnisse und brachte mich zum Lachen. Sie wurde von Tag zu Tag lebendiger. Sie war meine Freundin.
Ich musste sie zurückholen.
Mein Papiervogel landete in der Mitte des Heiligen Sees und trieb seelenruhig auf seiner ruhigen Oberfläche – als hätte sie nicht gerade meinen gesamten Tag durcheinandergebracht.
Keuchend erreichte ich das Ufer. Auch ohne das Obergewand war mein Kleid so schwer, dass ich kaum wieder zu Atem kam.
»Kiki!« Ich warf ein Steinchen ins Wasser, um sie auf mich aufmerksam zu machen, aber sie trieb nur noch weiter hinaus. »Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt zum Spielen.«
Was sollte ich jetzt tun? Falls herauskam, dass ich nur die allerkleinste magische Gabe besaß, würde ich auf ewig aus Kiata verbannt werden – ein Schicksal, das noch weitaus schlimmer war, als einen gesichtslosen drittrangigen Lord zu ehelichen.
Eilig entledigte ich mich meiner Schläppchen, machte mir aber nicht die Mühe, meine Gewänder abzulegen.
Und sprang in den See.
Für ein Mädchen, das ständig drinnen hocken musste, um Kalligrafie zu lernen und die Zither zu spielen, war ich eine gute Schwimmerin. Das verdankte ich meinen Brüdern; bevor sie alle erwachsen wurden, waren wir an den Sommerabenden regelmäßig hinausgeschlichen, um in genau diesem See zu baden. Ich kannte das Gewässer also.
Die Sonne brannte mir auf dem Rücken, während ich zu Kiki schwamm, die jetzt tiefer ins Wasser einsank. Der Stoff meines Kleids legte sich eng um mich, und der Rock klebte mir bei jedem Zug an den Beinen. Ich ermüdete langsam, und der Himmel verschwand, als der See mich nach unten zog.
Prustend und wild mit den Armen rudernd versuchte ich zurück an die Oberfläche zu kommen, aber je mehr ich mich anstrengte, desto schneller sank ich. Die Strähnen meines langen schwarzen Haars umwehten mich wie im Sturm. Ich hatte schreckliche Angst, meine Kehle brannte und mein Puls pochte mir wie verrückt in den Ohren.
Ich löste die goldene Schärpe, die meine Gewänder umschloss, und riss an meinen Röcken, doch ihr Gewicht zog mich immer weiter hinab, bis die Sonne nur noch eine schwach schimmernde Perle aus Licht weit über mir war.
Schließlich konnte ich mich aus meinen Röcken befreien und schwamm wieder nach oben, aber ich war schon zu tief herabgesunken. Bis ich es an die Oberfläche geschafft hatte, würde mir die Luft ausgehen.
Ich würde sterben.
Wild strampelnd rang ich nach Luft, aber es war zwecklos. Ich versuchte, nicht panisch zu werden. Denn wenn ich panisch wurde, würde ich nur noch schneller ertrinken.
Lord Sharima’en, der Gott des Todes, kam mich holen. Er würde das Brennen in meinen Muskeln und den anschwellenden Schmerz in meiner Kehle betäuben. Mein Blut kühlte langsam ab, meine Augenlider sanken nach unten.
In dem Moment erblickte ich den Drachen.
Zuerst hielt ich ihn für eine Schlange. Seit Jahrhunderten hatte niemand einen Drachen gesehen, und von Weitem sah er aus wie eines der Haustiere meiner Stiefmutter. Zumindest bis ich seine Klauen sah.
Er glitt auf mich zu und kam mir so nah, dass ich seine Tasthaare, lang und dünn wie Striche aus Silber, hätte berühren können.
Seine Klaue war ausgestreckt und eingeklemmt zwischen zwei Krallen saß Kiki.
Einen Augenblick lang kam schlagartig wieder Leben in mich. Strampelnd versuchte ich, sie zu erreichen. Doch ich hatte keine Kraft mehr. Keine Luft. Meine Welt schrumpfte, und alle Farbe verschwand.
Mit einem spitzbübischen Funkeln in den Augen schloss der Drache seine Klaue. Dann legte er von hinten seinen Schwanz um mich und wickelte ihn um meinen Hals.
Und mein Herz tat seinen letzten Schlag.
Kapitel 2
»Eine … eine Schlange«, hörte ich Hasho stammeln. Er war kein besonders guter Lügner. »Sie hat eine Schlange gesehen.«
»Und deswegen ist sie den ganzen Weg bis zum See gelaufen? Das ergibt keinen Sinn.«
»Na ja –« Hasho zögerte. »Ihr wisst doch, wie sehr sie Schlangen hasst. Sie hatte Angst, gebissen zu werden.«
Ich hatte rasende Kopfschmerzen, öffnete aber ein Auge zaghaft bis zur Hälfte, um meine beiden ältesten Brüder, Andahai und Benkai, zu beobachten, die an meinem Bett standen. Hasho hielt sich im Hintergrund und kaute auf seiner Unterlippe.
Ich schloss das Auge wieder. Vielleicht würden sie ja alle drei verschwinden, wenn sie dachten, ich schliefe noch.
Aber Hasho – er sei verflucht – hatte mich ertappt. »Seht mal, sie rührt sich.«
»Shiori«, sagte Andahai streng, sein langes Gesicht schwebte über mir, und er rüttelte an meinen Schultern. »Wir wissen, dass du wach bist, Shiori!«
Ich hustete und wand mich vor Schmerzen.
»Genug, Andahai«, sagte Benkai. »Das reicht!«
Meine Lunge brannte noch immer, und ich schmeckte Schlamm und Salz auf meiner Zunge. Ich trank das Wasser, das Hasho mir anbot, und rang mich dann zu einem Lächeln durch.
Keiner meiner Brüder lächelte zurück.
»Du hast deine Verlobungsfeier verpasst«, schalt Andahai mich. »Wir haben dich halb ertrunken am Ufer gefunden.«
Nur mein ältester Bruder brachte es übers Herz, mich dafür zu tadeln, dass ich beinahe gestorben war.
Beinahe gestorben, wiederholte ich im Stillen und griff mir an den Hals. Der Drache hatte seinen Schwanz darumgewunden, als wollte er mich erwürgen. Aber ich konnte weder Blutergüsse noch Verbände ertasten. Hatte er mich gerettet? Seine rubinroten Augen und sein schiefes Grinsen waren das Letzte, woran ich mich erinnerte. Ich entsann mich nicht, an die Oberfläche gekommen zu sein, und von allein konnte ich nicht nach oben getrieben sein …
Flügel schlugen gegen meinen Daumen, und plötzlich wurde ich mir meiner anderen Hand bewusst, die unter der Decke lag.
Kiki, den Ewigen Höfen sei Dank! Sie war noch ein bisschen klamm, wie ich. Aber am Leben.
»Was ist passiert, Shiori?«, drängte Andahai.
»Lass ihr einen Augenblick Zeit«, wandte Benkai ein. Er hockte sich neben mein Bett und strich mir über den Rücken, während ich trank. Stets sanft und geduldig, wie er war, wäre er mein Lieblingsbruder gewesen, wenn ich ihn nur nicht so selten zu Gesicht bekommen hätte. Vater bildete ihn zum Kommandeur von Kiatas Armee aus, während Andahai der Thronerbe war.
»Wir haben uns Sorgen um dich gemacht, Schwester. Komm, erzähl dem alten Benben, woran du dich erinnerst.«
Ich legte den Kopf zurück und lehnte mich an den Rosenholzrahmen meines Bettes. Hasho hatte ihnen bereits erzählt, ich sei vor einer Schlange davongelaufen. Sollte ich eine derart miserable Lüge bestätigen?
Nein, Andahai und Benkai werden nur noch mehr Fragen stellen, wenn ich lüge, machte ich mir rasch klar. Andererseits kann ich ihnen auch nicht die Wahrheit sagen – das mit Kiki dürfen sie auf keinen Fall herausfinden.
Die Antwort war simpel. Wenn es nicht mit einer Lüge funktionierte, dann mit einem Ablenkungsmanöver.
»Ein Drache hat mich gerettet«, antwortete ich.
Andahai verzog den Mund. »Ein Drache. Was du nicht sagst.«
»Er war klein für einen Drachen«, fuhr ich fort, »aber ich vermute mal, er war einfach noch jung. Allerdings hatte er kluge Augen. Sein Blick war noch gewitzter als der von Hasho.«
Ich grinste schief in der Hoffnung, die Laune der drei ein wenig zu heben, doch meine Brüder schauten nur noch missbilligender drein.
»Ich habe keine Zeit für Lügenmärchen, Shiori«, erwiderte Andahai spitz; er hatte von allen meinen Brüdern am wenigsten Fantasie. Er verschränkte die Arme, die langen Ärmel seines Umhangs waren ebenso steif wie seine gewachsten schwarzen Haare. »Ausgerechnet heute läufst du zum See … und lässt die Verlobung mit Lord Bushians Sohn platzen!«
Meinen Verlobten hatte ich komplett vergessen. Ich bekam ein schlechtes Gewissen, und das Lächeln verging mir. Vater musste sehr wütend auf mich sein.
»Vater ist auf dem Weg hierher«, fuhr Andahai fort. »Und an deiner Stelle würde ich nicht darauf zählen, ungeschoren davonzukommen, einfach nur, weil du sein Liebling bist.«
»Sei nicht so hart zu ihr«, sagte Benkai und fügte mit gedämpfter Stimme hinzu: »Nach allem, was wir wissen, könnte es auch ein Anschlag gewesen sein.«
Jetzt runzelte auch ich die Stirn. »Ein Anschlag?«
»Es wird von Aufständen gemunkelt«, erklärte mein zweitältester Bruder. »Viele von den Lords sind gegen deine Heirat mit Lord Bushians Sohn. Sie befürchten, seine Familie könnte zu mächtig werden.«
»Das war kein Anschlag« versicherte ich ihnen. »Ich habe einen Drachen gesehen, und er hat mich gerettet.«
Andahais Gesicht lief rot an vor Wut. »Jetzt reicht es aber mit deinen Lügenmärchen, Shiori. Wegen dir haben Lord Bushian und sein Sohn Gindara bereits den Rücken gekehrt. Blamiert bis auf die Knochen.«
Ausnahmsweise log ich einmal nicht. »Das ist die Wahrheit!«, schwor ich. »Ich habe einen Drachen gesehen!«
»Willst du das Vater erzählen?«
»Was will sie Vater erzählen?«, erklang eine donnernde Stimme, die im Zimmer widerhallte.
Ich hatte nicht gehört, wie meine Türen aufgeschoben worden waren, aber jetzt, wo mein Vater und meine Stiefmutter in meine Gemächer kamen, klapperten sie leise. Meine Brüder verneigten sich tief, und ich senkte den Kopf, bis er fast meine Knie berührte.
Andahai war der Erste, der sich wieder aufrichtete. »Vater, Shiori ist …«
Vater brachte ihn mit einer Geste zum Schweigen. So wütend hatte ich ihn noch nie erlebt. Für gewöhnlich brauchte ich nur zu lächeln, und schon war es um die Strenge in seinem Blick geschehen. Nicht so heute.
»Deine Zofe hat uns berichtet, dass du unverletzt bist«, sagte er. »Das erleichtert mich. Aber was du heute getan hast, ist absolut unverzeihlich.«
Seine Stimme war so tief, dass mein Bettrahmen vibrierte, und sie bebte vor Zorn – und Enttäuschung. Ich hielt den Kopf gesenkt. »Es tut mir leid. Ich hatte nicht die Absicht …«
»Du wirst eine angemessene Entschuldigung für Lord Bushian und seinen Sohn vorbereiten«, unterbrach er mich. »Deine Stiefmutter hat vorgeschlagen, dass du für sie einen Wandteppich anfertigst, um die Schmach wiedergutzumachen, die du seiner Familie zugefügt hast.«
Jetzt schaute ich auf. »Aber, Vater! Das kann Wochen dauern!«
»Hast du anderweitige Verpflichtungen?«
»Was ist mit meinem Unterricht?«, fragte ich verzweifelt. »Meinen täglichen Aufgaben, meinen Nachmittagsgebeten im Tempel …«
Vater blieb ungerührt. »Auf deine Pflichten hast du vorher auch nie etwas gegeben. Sie werden ausgesetzt, bis du den Wandteppich fertiggestellt hast. Du wirst dich sofort an die Arbeit machen, unter Aufsicht deiner Stiefmutter, und den Palast erst wieder verlassen, wenn er vollendet ist.«
»Aber …« Ich sah, dass Hasho den Kopf schüttelte, und zögerte, doch mir war klar, dass er recht hatte. Jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt für Widerspruch und Diskussionen … Unklugerweise entschlüpfte mir die Bemerkung dennoch: »Aber in zwei Wochen beginnt doch das Sommerfest …«
Einer meiner Brüder stieß mich von hinten an. Diesmal kam die Warnung an. Ich biss mir auf die Zunge.
Vaters Blick wurde einen Moment lang weich, doch seine Antwort kam in einem harten Ton: »Das Sommerfest findet jedes Jahr statt, Shiori. Es ist gut für dich, wenn du lernst, dass dein Benehmen Konsequenzen hat.«
»Ja, Vater«, flüsterte ich unter Schmerzen; mein Brustkorb tat mir weh.
Es stimmte zwar, dass es jedes Jahr das Sommerfest gab, aber dieses würde das letzte mit meinen Brüdern sein, bevor ich siebzehn und verheiratet wurde – nein, verstoßen, um mit meinem zukünftigen Ehemann zusammenzuleben.
Und ich hatte es verdorben.
Vater bemerkte mein Schweigen; er wartete nur darauf, dass ich um Nachsicht bettelte, mich herausredete und ihn mit allen Mitteln umzustimmen versuchte. Doch Kikis Flügelschlagen unter meiner Hand zwang mich dazu, stumm zu bleiben. Ich wusste, welche Folgen es haben würde, wenn sie entdeckt wurde, und die waren weitaus schlimmer, als das Sommerfest zu verpassen.
»Ich war immer zu nachgiebig mit dir, Shiori«, sagte Vater leise. »Weil du mein jüngstes Kind bist, habe ich dir viele Freiheiten zugestanden und dich inmitten deiner Brüderschar zu wild aufwachsen lassen. Aber du bist kein Kind mehr. Du bist die Prinzessin von Kiata, die einzige Prinzessin des Reichs. Es wird Zeit, dass du dich so benimmst, wie es dieses Titels würdig ist. Deine Stiefmutter hat eingewilligt, dir dabei behilflich zu sein.«
Ich schaute mit einem Anflug von Panik zu meiner Stiefmutter, die vor den Fenstern stand und sich die ganze Zeit nicht gerührt hatte. Mir war völlig entfallen, dass sie überhaupt da war, was, sobald ich sie anschaute, eigentlich unmöglich erschien.
Sie war von außergewöhnlicher Schönheit, der Art Schönheit, wie sie von Dichtern in Legenden verewigt wird. Meine eigene Mutter war anerkanntermaßen die schönste Frau von ganz Kiata gewesen, und nach den Gemälden zu urteilen, die ich von ihr gesehen hatte, war das keine Übertreibung. Aber meine Stiefmutter war sehr wahrscheinlich die schönste Frau der ganzen Welt.
Beeindruckende, opalartig schillernde Augen, ein Mund wie eine Rosenknospe und tiefschwarzes schimmerndes Haar, das wie ein langes Satintuch auf ihrem Rücken lag. Doch wahrhaft unvergesslich machte sie die Narbe, die diagonal über ihr Gesicht lief. Bei jedem anderen hätte sie wohl erschreckend gewirkt und jeder andere hätte sie bestimmt zu verbergen versucht. Nicht jedoch meine Stiefmutter, und irgendwie mehrte das ihren Zauber noch. Sie puderte sich weder das Gesicht, wie es Mode war, noch gab sie Wachs in ihr Haar, damit es glänzte. Obwohl ihre Zofen klagten, weil sie sich niemals schminken ließ, konnte niemand abstreiten, dass meine Stiefmutter eine strahlende natürliche Schönheit war.
Raikama nannte sie jeder hinter ihrem Rücken. Die Namenlose Königin. Sie hatte einmal einen Namen besessen, damals, in ihrer Heimat südlich von Kiata, aber nur Vater und eine Handvoll seiner vertrauenswürdigsten Beamten kannten ihn. Sie selbst erwähnte ihn oder das Leben, das sie geführt hatte, bevor sie die Gemahlin des Kaisers geworden war, niemals.
Ich wich ihrem Blick aus und schaute auf meine Hände. »Ich bedaure es wirklich sehr, dass ich dir Schande bereitet habe, Vater. Und dir auch, Stiefmutter. Das war nicht meine Absicht.«
Vater berührte meine Schulter. »Ich möchte nicht, dass du noch mal in die Nähe des Sees gehst. Der Arzt hat gesagt, du wärst um ein Haar ertrunken. Was hast du dir nur dabei gedacht, aus dem Palast zu laufen?«
»Ich …« Mein Mund wurde trocken. Kiki flatterte unter meiner Hand, als wollte sie mich ermahnen, bloß nicht die Wahrheit zu sagen. »Also, ich … dachte, ich hätte eine Schla…«
»Sie erzählt, sie hätte einen Drachen gesehen«, sagte Andahai in einem Ton, der deutlich machte, dass er mir nicht glaubte.
»Nicht im Palast!«, rief ich aus. »Im Heiligen See!«
Plötzlich regte sich meine Stiefmutter, die bis jetzt still und stumm dagestanden hatte. »Du hast einen Drachen gesehen?«
Ich blinzelte, ihre Neugier alarmierte mich. »Ich … ja, ja, das habe ich.«
»Wie sah er denn aus?«
Irgendetwas an ihren hellen, harten Augen erschwerte mir, die ich eine geborene Lügnerin war, das Lügen. »Er war klein«, begann ich, »hatte smaragdgrüne Schuppen und Augen wie die rote Sonne.« Die nächsten Worte auszusprechen, fiel mir schwer. »Ich bin sicher, ich habe ihn mir nur eingebildet.«
Raikamas Schultern sanken ein winziges bisschen herab, dann trug sie erneut einen Ausdruck größter Gelassenheit zur Schau, wie eine Maske, die sie aus Unachtsamkeit einen Moment lang abgenommen hatte.
Sie schenkte mir ein gezwungenes Lächeln. »Dein Vater hat recht, Shiori. Du tust gut daran, mehr Zeit im Palast zu verbringen und Fantasie und Wirklichkeit nicht miteinander zu vermengen.«
»Ja, Stiefmutter«, murmelte ich.
Meine Antwort reichte aus, um Vater zufriedenzustellen; er murmelte ihr etwas zu und ging dann. Aber meine Stiefmutter blieb.
Sie war der einzige Mensch, den ich nicht durchschauen konnte. Goldene Sprenkel umrahmten ihre Iris; Blicke, die mich mit ihrer Kälte gefangen nahmen. Ich konnte nicht sagen, ob ihre Augen ein leerer Abgrund oder ob sie übervoll von einer nicht erzählten Geschichte waren.
Wann immer meine Brüder mich aufzogen, weil ich Angst vor ihr hatte, sagte ich: »Doch nur wegen ihrer Schlangenaugen.« Aber tief im Innern wusste ich, dass das nicht alles war.
Raikama hasste mich – auch wenn sie es nie sagte oder zeigte.
Ich hatte keine Ahnung warum. Früher hatte ich gedacht, es läge an der Ähnlichkeit mit meiner Mutter. Sie hatte das Licht seiner Laterne zum Leuchten gebracht, wie Vater immer sagte, war die Kaiserin seines Herzens gewesen. Als sie starb, hatte er ihr zu Ehren einen Tempel errichten lassen, und er besuchte ihn jeden Morgen, um zu beten. Es war nicht so abwegig, dass meine Stiefmutter etwas gegen mich hatte, weil ich ihn an Mutter erinnerte, eine Rivalin, gegen die sie nichts ausrichten konnte.
Und doch glaubte ich nicht, dass das der Grund war. Sie beklagte sich nie, wenn Vater meiner Mutter Tribut zollte; und sie hatte auch niemals darum gebeten, mit Kaiserin angesprochen zu werden anstelle von Gemahlin. Sie schien es vorzuziehen, in Ruhe gelassen zu werden, und oft fragte ich mich, ob es ihr lieber gewesen wäre, offiziell Die Namenlose Königin genannt zu werden statt Eure Brillanz – eine Verneigung vor ihrer Schönheit und ihrem Rang.
»Was hast du da unter deiner Hand?«, fragte meine Stiefmutter. Mein Vogel war inzwischen bis an den Rand des Bettes gekrochen, und mir wurde erst jetzt bewusst, wie verfänglich es aussehen musste, dass ich noch immer schützend meine Hand über sie hielt.
»Nichts«, erwiderte ich schnell.
»Dann leg die Hände in den Schoß, wie es sich für eine Prinzessin von Kiata gehört.«
Sie wartete, und mir blieb nichts anderes übrig, als zu gehorchen.
Verhalt dich ruhig, Kiki. Bitte!
Als ich die Hand hob, pflückte Raikama Kiki sofort von meiner Decke. Zu meiner Erleichterung regte Kiki sich nicht. Jeder andere musste sie für ein simples Stück Papier halten.
»Was ist das?«
Ich schoss hoch. »Nichts. Nur ein Vogel, den ich gefaltet habe – bitte gib ihn mir zurück!«
Ein Fehler.
Raikama zog die Augenbrauen hoch. Jetzt wusste sie, dass Kiki mir etwas bedeutete.
»Dein Vater hat einen Narren an dir gefressen. Er verwöhnt dich. Aber du bist eine Prinzessin und kein einfaches Mädchen vom Dorf. Und du bist zu alt, um noch mit Papiervögeln zu spielen. Es wird Zeit, dass du die Bedeutung von Pflichten verstehst, Shiori.«
»Ja, Stiefmutter«, sagte ich leise. »Es wird nicht mehr vorkommen.«
Raikama hielt mir Kiki hin. Sofort flammte Hoffnung in mir auf, und ich streckte die Hand aus, um sie zurückzunehmen. Doch statt sie mir zu geben, riss meine Stiefmutter sie in der Mitte durch, und dann noch einmal.
»Nein!«, schrie ich und wollte mich auf Kiki stürzen, doch Andahai und Benkai hielten mich fest.
Meine Brüder waren stark. Also wehrte ich mich nicht gegen sie, aber meiner Kehle entrang sich ein Schluchzen. Meine Trauer war überwältigend. Und jedem, der nicht wusste, was Kiki mir bedeutete, musste sie übertrieben erscheinen.
Raikama betrachtete mich mit undurchdringlicher Miene: Ihre Lippen waren gespitzt und die kalten Augen zu Schlitzen zusammengekniffen. Ohne ein weiteres Wort warf sie Kikis Überreste auf den Boden und verließ den Raum.
Andahai und Benkai folgten ihr, doch Hasho blieb.
Er wartete, bis die Türen geschlossen waren, dann setzte er sich auf meine Bettkante.
»Kannst du es noch mal machen?«, fragte er mit gedämpfter Stimme. »Kannst du den Vogel durch einen Zaubertrick noch mal dazu bringen, zu fliegen?«
Ich hatte nie vorgehabt, Kiki zum Leben zu erwecken. Ich hatte nur versucht, Papiervögel zu falten – Kraniche, die Wappentiere meiner Familie –, damit die Götter mich erhörten. Es gab eine Legende, die alle Kiataner kannten: Wenn man tausend Vögel bastelte – aus Papier, Stoff oder Holz –, konnten sie eine Botschaft zum Himmel tragen.
Ich hatte mich wochenlang alleine abgemüht – und nicht mal meinen Bruder Wandei, der stets der Beste in allen Arten von Geduldsspielen und Bastelarbeiten war, beim Falten eines Papierkranichs um Hilfe gebeten. Kiki war der erste Vogel, den zu falten mir gelungen war, aber um ehrlich zu sein, sah sie eher wie eine Krähe mit einem langen Hals aus denn wie ein Kranich. Ich hatte sie auf meinen Schoß gesetzt und einen roten Punkt auf ihren Kopf gemalt – damit sie ein bisschen mehr wie die Kraniche aussah, die auf meine Gewänder gestickt waren – und gesagt:
»Was für eine Verschwendung, Flügel zu haben, aber nicht fliegen zu können.«
Da hatten ihre Papierflügel zu flattern begonnen, und sie hatte sich – langsam und zögerlich, mit der Unsicherheit eines Nestlings, der gerade fliegen lernt – in die Luft erhoben. In den folgenden Wochen hatte ich ihr heimlich beim Üben geholfen, wenn mein Unterricht vorbei war und meine Brüder keine Zeit für mich hatten. Ich hatte sie mit in den Garten genommen, damit sie zwischen den gestutzten Bäumen und den steinernen Gebetsschreinen herumfliegen konnte. In der Nacht erzählte ich ihr Geschichten.
Ich hatte mich so sehr darüber gefreut, eine Freundin zu haben, dass ich mir wegen der Konsequenzen, die mir drohten, weil ich zaubern konnte, keine Gedanken machte.
Und jetzt war sie tot.
»Nein«, flüsterte ich und beantwortete damit endlich Hashos Frage. »Ich weiß nicht wie.«
Er holte tief Luft. »Dann ist es wohl auch besser so. Du solltest die Finger von Magie lassen, die du nicht beherrschst. Wenn es jemand erfährt, wirst du für immer aus Kiata verbannt.«
Hasho schob mein Kinn hoch und wischte meine Tränen weg. »Und wenn man dich weit, weit wegschickt, wer soll dann auf dich aufpassen, kleine Schwester? Wer wird dann deine Geheimnisse bewahren und Ausflüchte für deine Streiche erfinden? Ich jedenfalls nicht.« Er lächelte mich an, aber es war ein kurzes, trauriges Lächeln. »Also sei brav. Bitte.«
»Ich werde doch so oder so weggeschickt«, antwortete ich und wandte mich von ihm ab.
Ich sank auf die Knie und sammelte die Papierfetzen auf, die meine Stiefmutter fallen gelassen hatte. Dann drückte ich Kiki fest an mein Herz, als könnte sie das wieder zum Leben erwecken. »Sie war meine Freundin.«
»Sie war ein Stück Papier.«
»Ich wollte sie in einen echten Kranich verwandeln.« Mir versagte die Stimme und meine Kehle brannte, als ich die vielen Vögel anschaute, die ich gefaltet hatte. Fast zweihundert, aber keiner davon war lebendig geworden wie Kiki.
»Erzähl mir nicht, dass du an die alten Legenden glaubst, Shiori«, sagte Hasho sanft. »Wenn jeder, der tausend Vögel faltet, einen Wunsch frei hätte, würden alle den ganzen Tag Spatzen, Eulen und Möwen basteln und sich Berge von Reis und Gold und über Jahre gute Ernten wünschen.«
Ich sagte nichts. Hasho verstand mich nicht. Er hatte sich verändert. Alle meine Brüder hatten sich verändert.
Mein Bruder seufzte. »Ich werde mit Vater reden, ob er dich nicht doch am Sommerfest teilnehmen lassen will. Wenn er wieder bessere Laune hat. Würde dich das trösten?«
Nichts konnte mich über den Verlust von Kiki hinwegtrösten, aber ich nickte trotzdem.
Hasho kniete sich neben mich und drückte meine Schulter. »Vielleicht werden die nächsten Wochen mit unserer Stiefmutter ja gut für dich sein.«
Ich schüttelte seine Hand ab. Alle standen immer auf ihrer Seite. Selbst die Diener sagten nie etwas Böses über sie, auch wenn sie sie hinter ihrem Rücken Raikama nannten. Und auch meine Brüder nicht. Oder Vater. Vor allem Vater.
»Shiori … unsere Stiefmutter kann nichts für das, was passiert ist.«
Das hast du dir selbst zuzuschreiben, hörte ich ihn im Geiste sagen, aber Hasho war zu klug, um diese Worte auszusprechen.
Er hatte recht, aber ich wollte es nicht zugeben. Irgendetwas an der Art, wie sie mich angesehen hatte, als sie von dem Drachen hörte, ließ mich frösteln.
»Es ist sicher nicht leicht für sie, so weit weg von ihrem Zuhause. Sie hat keine Freunde hier. Keine Familie.«
»Sie hat Vater.«
»Du weißt schon, wie ich es meine.« Mein Bruder erhob sich, aber nur, um sich gleich darauf auf meiner Bettkante niederzulassen und die Beine übereinanderzuschlagen. »Schließ Frieden mit ihr, ja? Das erleichtert die Sache womöglich, wenn ich Vater auf das Sommerfest anspreche.«
Ich presste die Zähne aufeinander. »Na schön, aber das heißt nicht, dass ich mit ihr rede.«
»Musst du denn so störrisch sein?«, bohrte Hasho weiter. »Du liegst ihr am Herzen.«
Ich schaute meinen Bruder an, betrachtete seine hochgezogene Augenbraue, das Zucken an seinem linken Auge. Alles Anzeichen dafür, dass er wahrhaft verärgert über mich war. »Du glaubst mir nicht, stimmt’s?«, fragte ich leise. »Wegen des Drachen.«
Hashos Antwort ließ zu lange auf sich warten. »Natürlich glaube ich dir.«
»Nein, tust du nicht. Ich bin sechzehn Jahre alt und kein Kind mehr. Ich weiß, was ich gesehen habe.«
»Was immer du gesehen hast, vergiss es!«, drängte Hasho. »Vergiss Kiki, vergiss den Drachen, vergiss, was immer du getan haben magst, um all das heraufzubeschwören.«
»Ich habe nichts heraufbeschworen. Es ist einfach passiert.«
»Schließ Frieden mit unserer Stiefmutter«, wiederholte Hasho. »Sie ist unsere Mutter.«
»Meine nicht«, erwiderte ich, doch meine Stimme bebte.
Ich hatte sie einmal als meine Mutter betrachtet. Vor Jahren war ich die Erste gewesen, die Raikama akzeptierte, nachdem Vater sie mit nach Hause gebracht hatte, und damals hatte sie mich gerngehabt. Ich war ihr auf Schritt und Tritt gefolgt, denn sie war so mysteriös, dass ich alles über sie wissen wollte.
»Woher hast du die Narbe?«, fragte ich sie eines Tages. »Und warum suchst du dir keinen Namen aus?«
Sie hatte gelächelt, mir über den Kopf gestrichen, dann meine Schärpe zurechtgerückt und eine ordentliche, feste Schleife hineingebunden. »Wir haben alle unsere Geheimnisse. Eines Tages wirst du deine eigenen haben, Shiori.«
Magie. Mein Geheimnis war die Magie.
Was war ihres?
Kapitel 3
Ich hasste Handarbeiten. Ich hasste die Monotonie dieser Tätigkeit, hasste Nadeln, Garne, das Sticken, alles. Ganz abgesehen davon, dass ich mir so oft in die Finger stach, bis meine Hände am Ende unförmige Pranken waren, weil die Zofen sie dauernd verbinden mussten. Ich wäre fast noch lieber zu meinem Unterricht gegangen. Fast.
Die Tagen krochen dahin, langsamer als die Schnecken, die sich draußen an den papierbespannten Fenstern sammelten. Ich stickte Kranich für Kranich und verbrachte so viel Zeit damit, dass sie mich bis in meine Träume verfolgten. Sie hackten mir in die Zehen, funkelten mich mit ihren pechschwarzen Augen an und verwandelten sich dann plötzlich in Drachen mit spitzen Zähnen und spitzbübischem Grinsen.
Ich musste dauernd an den Drachen aus dem See denken – und an den seltsamen Ausdruck, der über Raikamas Gesicht gehuscht war, als Andahai ihn erwähnt hatte. Als wünschte sie sich, ich wäre im See ertrunken.
Wer wusste schon, was im Kopf meiner Stiefmutter vor sich ging? Sie hatte, wie ich, wenig Begabung fürs Sticken, aber im Gegensatz zu mir konnte sie stundenlang dasitzen und immer weitermachen. Gelegentlich ertappte ich sie dabei, wie sie mit ausdrucksloser Miene in den Himmel starrte. Ich fragte mich, woran sie wohl den lieben langen Tag dachte. Wenn sie an irgendetwas dachte.
Ich ignorierte sie, so gut es ging, aber wenn ich Fehler in meinem Wandteppich machte, kam sie herüber und sagte: »Du stickst nicht gleichmäßig genug, Shiori. Am besten trennst du das wieder auf.«
Oder: »Diesem Kranich fehlt ein Auge. Lady Bushian wird es merken.«
Den Ewigen Höfen sei Dank machten ihre Bemerkungen nie eine Antwort erforderlich, zumindest bis jetzt nicht. Heute aber kam sie mit einer seltsamen Frage zu mir:
»Lord Yuji hatte dir doch eine goldene Schärpe für deine Verlobungsfeier geschenkt – weißt du, wo sie ist?«
Ich zuckte die Achseln. »Sie muss mit mir in den See gefallen sein.«
Meine Antwort missfiel Raikama. Zwar schaute sie weder finster, noch verzog sie das Gesicht, doch an der Art, wie sie ihre Schultern straffte, erkannte ich, dass es nicht die Antwort war, die sie hatte hören wollen.
»Wenn du sie wiederfindest, bring sie mir.«
Ich log, dass ich das tun würde. Dann ging sie, und ich vergaß die Schärpe sofort wieder.
Am Morgen des Sommerfests flanierten Erwachsene und Kinder mit Winddrachen in allen Formen und Farben in den Händen über die kaiserliche Promenade.
Ich sehnte mich danach, hinausgehen zu können. Heute war der einzige Tag, an dem Andahai mal locker und entspannt war, Benkai nicht eifrig für seine Kommandeurslaufbahn trainieren musste und Reiji und Hasho nicht mit ihren Hauslehrern drinnen saßen und büffelten. Selbst die Zwillinge, Wandei und Yotan – die so verschieden waren wie Sonne und Mond und sich ständig über alles stritten –, stritten niemals am Tag des Sommerfests. Gemeinsam entwarfen und bauten sie den prächtigsten Winddrachen. Wir anderen halfen dabei, und wenn wir ihn dann fliegen ließen, wurden wir von allen am Hof beneidet.
Und das viele Essen, das ich verpassen würde! Kekse in Kaninchenform mit einer Füllung aus süßen roten Bohnen; mit frischen Pfirsichen oder Melonenpüree gefüllte Reiswaffeln am Spieß, wie Tiger oder Bären geformtes Konfekt. Wie ungerecht es war, dass ich im Palast bleiben und mit Raikama sticken musste!
Irgendwann hielt es mein Magen nicht länger aus, also sammelte ich all meinen Mut und fragte: »Das Sommerfest beginnt, Stiefmutter. Darf ich gehen? Bitte!«
»Du darfst gehen, wenn deine Stickarbeit fertig ist.«
Ich würde noch einen ganzen Monat brauchen, um sie fertigzustellen. »Aber dann ist das Fest längst vorbei.«
»Nicht schmollen, Shiori. Das schickt sich nicht.« Meine Stiefmutter blickte nicht auf, ihre Nadel bewegte sich flink durch den Stoff. »Wir haben doch eine Vereinbarung mit deinem Vater getroffen.«
Ich verschränkte empört die Arme. Ich schmollte nicht. »Möchtest du denn nicht auch hingehen?«
Sie drehte sich um und öffnete ihren Handarbeitskasten, in dem Hunderte ordentlich aufgerollte Garnknäuel, Zwirn und Sticktwist lagen.
Raikama fing an, ihre Sachen wegzuräumen. »Ich mochte solche Feste noch nie. Ich besuche sie nur aus Pflichtgefühl.«
Draußen vor dem Fenster erklangen Trommeln und Gelächter. An den Grillstationen wanden sich Rauchsäulen nach oben, Kinder tanzten in ihren buntesten Kleidern, und am Himmel flatterten bereits die ersten Winddrachen des Morgens.
Wie konnte sich jemand nicht an solchen Dingen erfreuen?
Ich lehnte mich in meiner Ecke zurück und ergab mich in mein Schicksal. Meine Brüder würden mir Kostproben von den besten Leckereien bringen, da war ich mir ganz sicher. Aber ich würde keine Gelegenheit haben, mit den durchreisenden Köchen zu plaudern oder ihnen bei der Arbeit zuzusehen. Das einzige Gericht, das ich zubereiten konnte, war die Fischsuppe meiner Mutter, aber ich rechnete damit, dass ich mehr kochen – oder zumindest die Zubereitung der Speisen beaufsichtigen – würde, sobald ich in den Norden ziehen musste, die Region mit der fadesten Küche überhaupt.
Ich wünschte mir so sehnlichst, das Sommerfest besuchen zu dürfen, dass ich gar nicht hörte, wie mein Vater den Raum betrat. Als ich ihn erblickte, machte mein Herz einen Satz. »Vater!«
»Ich bin gekommen, um meine Gemahlin einzuladen, mit mir zum Sommerfest zu gehen«, sagte er und tat so, als bemerke er mich gar nicht. »Ist sie bereit?«
Meine Stiefmutter erhob sich mit ihrem Handarbeitskasten im Arm. »Einen kleinen Augenblick. Erlaube mir, den hier zuerst noch wegzuräumen.«
Als sie im angrenzenden Gemach verschwand, wandte Vater sich mir zu. Seine Miene war ernst, und ich machte ein äußerst verzagtes Gesicht in der Hoffnung, sein Mitleid zu erwecken.
Es funktionierte, auch wenn er nicht das sagte, was ich erwartet hatte: »Deine Stiefmutter findet, dass du große Fortschritte mit dem Wandteppich machst.«
»Tut sie das?«
»Du glaubst wohl, sie mag dich nicht«, sagte Vater und betrachtete mich aufmerksam. Seine Augen, die beinahe ein Spiegelbild meiner eigenen waren, fixierten mich.
Als ich nichts erwiderte, seufzte er.
»Deine Stiefmutter hat viel durchgemacht, und es fällt ihr schwer, über ihre Erlebnisse zu sprechen. Es würde mich sehr freuen, wenn du gut über sie denken würdest.
»Ja, Vater. Ich werde mir Mühe geben.«
»Das freut mich«, antwortete er. »Lord Bushian und sein Sohn werden im Herbst anlässlich von Andahais Hochzeit zurückkommen. Dann wirst du ihnen deine Entschuldigung überreichen. Jetzt geh und amüsiere dich auf dem Sommerfest.«
Meine Miene hellte sich auf. »Wirklich?«
»Ich hatte gehofft, wenn du im Palast bleibst, käme dein rastloser Geist zur Ruhe, aber ich sehe, dass dich nichts bändigen kann.« Vater berührte meine Wange und fuhr mit dem Finger über das Grübchen, das sich immer dann zeigte, wenn ich glücklich war. »Du siehst deiner Mutter von Tag zu Tag ähnlicher, Shiori.«
Der Meinung war ich nicht. Mein Gesicht war zu rund, meine Nase zu spitz und mein Lächeln eher schelmisch als liebenswürdig. Ich war, anders als Mutter, keine Schönheit.
Aber wann immer Vater von ihr sprach, bekam er feuchte Augen, und ich sehnte mich danach, mehr zu hören. Das geschah jedoch nur selten. Mit einem stillen Seufzer zog er seine Hand zurück und sagte: »Geh.«
Das ließ ich mir nicht zweimal sagen. Wie ein Vogel, den man endlich aus dem Käfig ließ, eilte ich hinaus, um meine Brüder zu suchen.
Obwohl sich bereits Hunderte auf dem Sommerfest tummelten, fand ich meine Brüder leicht. Sie lagerten – fernab von den Pavillons und den weißen Sandplätzen – faul im Park. Die Zwillinge hatten in diesem Jahr einen prachtvollen Schildkröten-Drachen gebaut, und meine anderen Brüder halfen ihnen dabei, ihm farblich den letzten Schliff zu geben.
Die vier Beine der Schildkröte ragten unter ihrem Panzer hervor, welcher aus Resten alter Seidenschals und Jacken zusammengenäht war. Vor dem klaren Nachmittagshimmel würde die Schildkröte aussehen, als schwämme sie in den azurblauen Teichen der kaiserlichen Gärten.
Ich lief zu meinen Brüdern. Seit unserer Kindheit hatten wir jedes Jahr beim Sommerfest einen Familiendrachen steigen lassen. Inzwischen waren sie alle im heiratsfähigen Alter; Andahai war bereits verlobt und die anderen würden es auch bald sein. Und so war dies das letzte Mal, dass wir es zusammen tun konnten.
»Dieses Jahr habt ihr euch selbst übertroffen, Brüder«, begrüßte ich sie.
»Shiori!« Wandei warf mir einen kurzen Blick zu, während er die finale Größe des Drachens mit einem Faden abmaß. »Du hast es geschafft. Gerade noch rechtzeitig. Yotan war schon drauf und dran, alles aufzuessen, was wir für dich aufgehoben haben.«
»Nur, damit es nicht verdirbt!« Yotan wischte sich die grüne Farbe von den Händen. »Du stellst mich ja als Vielfraß dar!«
»Shiori ist unser Vielfraß. Du bist nur der mit dem vorstehenden Bauch.«
Yotan schnaubte. »Nur meine Ohren stehen vor. Genau wie deine übrigens.« Er zog seinen Zwillingsbruder an den Ohren – die, wie seine eigenen, etwas mehr vom Kopf abstanden als die der anderen Geschwister.
Ich unterdrückte ein Kichern. »Ist denn noch etwas Leckeres übrig?«
Anfänger.
»Ich schlage vor, dass du den Lotus auslässt«, sagte ich und trat neben ihn. »Jeder weiß, dass es das schlechteste Gericht auf dem ganzen Fest ist.«
Ich dachte, ich würde ihn überraschen, doch er zeigte kaum eine Reaktion; hinter seiner Maske funkelten rote Augen. »Dann nehme ich dein Essen.«
Bevor ich auf diese unverfrorene Bemerkung antworten konnte, tauchte Hasho wieder neben mir auf. »Kommst du, Shiori? Gleich beginnt der Winddrachen-Wettbe…«
Der Junge streckte blitzschnell den Fuß aus und stellte meinem Bruder ein Bein, bevor dieser seinen Satz beenden konnte.
Hasho stolperte. Und als er nach vorn kippte und sich an mir festhielt, um nicht hinzufallen, schnellte ein grüner Ärmel nach vorn und zog mir die Tüte mit den Süßkartoffeln unter dem Ellenbogen weg.
»Hey!«, rief ich. »Dieb! Dieb!«
Ich schaffte es kaum, diese Worte auszusprechen, denn Hasho und ich stolperten übereinander und meine noch halb vollen Teller verteilten sich über die Straße.
»Eure Hoheiten!«, riefen die Leute. Sofort wurden Hasho und mir Hände gereicht, um uns aufzuhelfen, und die Leute umringten uns, um sicherzugehen, dass uns nichts passiert war.
Ich nahm kaum Notiz davon. Denn meine Aufmerksamkeit galt dem Jungen mit der Maske.
»So leicht kommst du nicht davon!«, murmelte ich, wobei ich an den Umstehenden vorbeispähte. Er befand sich jetzt bei den Spiele-Zelten, an denen er sich vorbeischob, um dann in den Büschen zu verschwinden. Der Junge bewegte sich noch schneller als Benkai und so leichtfüßig, dass er keine Spuren im Sommergras hinterließ. Ich starrte ihm nach, doch Hasho packte mein Handgelenk.
»Shiori, wo willst du denn …?«
»Ich bin rechtzeitig zum Wettbewerb zurück«, sagte ich und wand mich los.
Hashos Proteste ignorierend, rannte ich dem Jungen mit der Drachenmaske hinterher.