Byung-Chul Han
Die Austreibung des Anderen
Gesellschaft, Wahrnehmung und Kommunikation heute
FISCHER E-Books
Byung-Chul Han, geboren 1959, studierte zunächst Metallurgie in Korea, dann Philosophie, Germanistik und katholische Theologie in Freiburg und München. Nach seiner Habilitation lehrte er Philosophie an der Universität Basel, ab 2010 Philosophie und Medientheorie an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe, und seit 2012 Kulturwissenschaft an der Universität der Künste in Berlin.
Im S. Fischer Verlag ist zuletzt erschienen ›Psychopolitik. Neoliberalismus und die neuen Machttechniken‹ (2014).
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Die Zeit, in der es den Anderen gab, ist vorbei. Der Andere als Freund, der Andere als Hölle, der Andere als Geheimnis, der Andere als Verführung, der Andere als Eros verschwindet. Er weicht dem Gleichen. Die Wucherung des Gleichen macht heute die pathologischen Veränderungen aus, die den Sozialkörper befallen. Sie gibt sich dabei als Wachstum. Nicht Entfremdung, Entzug, Verbot, Verdrängung, sondern Überkommunikation, Überinformation, Überproduktion und Überkonsumtion machen ihn krank. Nicht Repression durch den Anderen, sondern Depression durch das Gleiche ist das Zeitzeichen von heute. Byung-Chul Hans neuer Essay spürt der Gewalt des Gleichen in den Phänomenen wie Angst, Globalisierung und Terrorismus nach, die die heutige Gesellschaft kennzeichnen.
Erschienen bei FISCHER E-Books
Covergestaltung: hißmann, heilmann, hamburg / Simone Andelkovic
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ISBN 978-3-10-490166-4
Martin Heidegger, Vorträge und Aufsätze, Pfullingen 1954, S. 187.
Eli Pariser, Filter Bubble. Wie wir im Internet entmündigt werden, München 2012, S. 22.
Martin Heidegger, Unterwegs zur Sprache, Pfullingen 1959, S. 159.
Max Scheler, Liebe und Erkenntnis, Bern 1970, S. 28.
Paul Celan, Gesammelte Werke in sieben Bänden, Frankfurt am Main 2000, Bd. 2, S. 89.
Vilém Flusser, Kommunikologie weiter denken. Die Bochumer Vorlesungen, Frankfurt am Main 2009, S. 251.
Walter Benjamin, Das Passagen-Werk, Gesammelte Schriften, Bd. V.1, Frankfurt am Main 1998, S. 560.
Jean Baudrillard, Das Andere selbst. Habilitation, Wien 1987, S. 39.
Jean Baudrillard, Die fatalen Strategien, München 1991, S. 65.
Ebd., S. 60.
Ebd., S. 61.
Carl Schmitt, Theorie des Partisanen. Zwischenbemerkung zum Begriff des Politischen, Berlin 1963, S. 87f.
Jean Baudrillard, Der Geist des Terrorismus, Wien 2002, S. 54.
Jean Baudrillard, Transparenz des Bösen. Ein Essay über extreme Phänomene, Berlin 1992, S. 86.
Jean Baudrillard, Der Geist des Terrorismus, a.a.O., S. 54.
Winfried Menninghaus, Ekel. Theorie und Geschichte einer starken Empfindung, Frankfurt am Main 1999, S. 7.
Vgl. Theodor W. Adorno, Negative Dialektik, Frankfurt am Main 1966, S. 190.
Immanuel Kant, Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer Entwurf, Werke in 10 Bänden, hrsg. von Wilhelm Weischedel, Darmstadt 1983, Bd. 9, S. 226.
Ebd., S. 213.
Friedrich Nietzsche, Nachgelassene Fragmente Juli 1882–Winter 1883–1884, Kritische Gesamtausgabe VII1, Berlin/New York 1977, S. 88.
Friedrich Nietzsche, Die fröhliche Wissenschaft, Kritische Gesamtausgabe, Bd. V2, Berlin/New York 1973, S. 240.
Roland Barthes, Die helle Kammer, Frankfurt am Main 1985, S. 45.
Sigmund Freud, Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse und Neue Folge, Frankfurt am Main 1975, S. 406.
Sigmund Freud, Psychologie des Unbewussten, Frankfurt am Main 1989, S. 259.
Vgl. Karl Heinz Bohrer, Authentizität und Terror, in: Nach der Natur. Über Politik und Ästhetik, München 1988, S. 62.
Martin Heidegger, Sein und Zeit, Tübingen 1977, S. 189.
Ebd., S. 126.
Ebd., S. 178.
Ebd., S. 245.
Martin Heidegger, Prolegomena zur Geschichte des Zeitbegriffs, Gesamtausgabe Bd. 20, Frankfurt am Main 1994, S. 433.
Martin Heidegger, Beiträge zur Philosophie (Vom Ereignis), Gesamtausgabe, Bd. 65, Frankfurt am Main 1989, S. 285.
Martin Heidegger, Vorträge und Aufsätze, a.a.O., S. 177.
Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Phänomenologie des Geistes, Hamburg 1952, S. 30.
Martin Heidegger, Die Grundbegriffe der Metaphysik. Welt-Endlichkeit-Einsamkeit, Gesamtausgabe, Bd. 29/30, Frankfurt am Main, dritte Auflage 2004, S. 193.
Ebd., S. 212.
Martin Heidegger, Wegmarken, Frankfurt am Main 1967, S. 103.
Ebd., S. 102.
Martin Heidegger, Parmenides, Gesamtausgabe, Bd. 54, Frankfurt am Main 1982, S. 249.
Zitiert in: Philippe Mengue, Faire l’idiot. La politique de Deleuze, Editions Germina 2013, S. 7.
Martin Heidegger, Brief über den Humanismus, Frankfurt am Main 1947, S. 9.
Heinz Bude, Gesellschaft der Angst, Hamburg 2014, S. 26.
Ebd., S. 24.
Peter Handke, Phantasien der Wiederholung, Frankfurt am Main 1983, S. 13.
Jean Baudrillard, Das Andere selbst, a.a.O., S. 23.
Paul Celan, Die Gedichte. Kommentierte Gesamtausgabe, hrsg. von Barbara Weidemann, Frankfurt am Main 22003, S. 100.
Karl Marx, Ökonomisch-philosophische Manuskripte, Hamburg 2005, S. 56f.
Ebd., S. 57.
Martin Heidegger, Schöpferische Landschaft. Warum bleiben wir in der Provinz, in: Denkerfahrungen, 1910–1976, Frankfurt am Main 1983, S. 9–13, S. 13.
Hubert Winkels, Leselust und Bildermacht. Literatur, Fernsehen und Neue Medien, Köln 1997, S. 89f.
Peter Handke, Eine winterliche Reise zu den Flüssen Donau, Save, Morawa und Drina oder Gerechtigkeit für Serbien, Frankfurt am Main 1996, S. 71.
Martin Heidegger, Der Satz vom Grund, Pfullingen 1967, S. 140.
Maurice Blanchot, Thomas der Dunkle, Frankfurt am Main 1987, S. 21.
Jacques Lacan, Die Ethik der Psychoanalyse, Berlin 1995, S. 305.
Jacques Lacan, Die Angst, Wien 2010, S. 316.
Vgl. Ein Triumph des Blicks über das Auge. Psychoanalyse bei Alfred Hitchcock, hrsg. von Slavoj Žižek, Wien 1992.
Jean-Paul Sartre, Das Sein und das Nichts. Versuch einer phänomenologischen Ontologie, Hamburg 1952, S. 344.
Michel Foucault, Überwachen und Strafen, Frankfurt am Main 1976, S. 259.
George Orwell, 1984, Berlin 2004, S. 6f. Hervorhebung B. Han.
Franz Kafka, Das Schloß, Kritische Ausgabe, hrsg. von Malcolm Pasley, Frankfurt am Main 1982, S. 36.
Ebd., S. 60.
Franz Kafka, Forschungen eines Hundes, Kritische Ausgabe, Nachgelassene Schriften und Fragmente, Bd. 2, Frankfurt am Main 1992, S. 423–482, hier: S. 479.
Franz Kafka, Briefe an Milena, hrsg. von W. Haas, Frankfurt am Main 1983, S. 39.
Roland Barthes, Rauheit der Stimme, in: Der entgegenkommende und der stumpfe Sinn. Kritische Essays III, Frankfurt am Main 1990, S. 269–278, hier: S. 277.
Franz Kafka, Briefe an Milena, a.a.O., S. 302.
Roland Barthes, Rauheit der Stimme, a.a.O., S. 271.
Ebd., S. 272.
Ebd., S. 273.
Novalis, Briefe und Werke, hrsg. von P. Kluckhohn, Berlin 1943, Bd. 3, Nr. 1140.
Daniel Paul Schreber, Denkwürdigkeiten eines Nervenkranken, hrsg. von Samuel M. Weber, Frankfurt am Main 1973, S. 352.
Ebd., S. 354.
Immanuel Kant, Kritik der praktischen Vernunft, Werke in 10 Bänden, a.a.O., Bd. 6, S. 146f.
Martin Heidegger, Sein und Zeit, a.a.O., S. 268.
Ebd., S. 163.
Martin Heidegger, Der Satz vom Grund, a.a.O., S. 91.
Martin Heidegger, Erläuterungen zu Hölderlins Dichtung, Gesamtausgabe, Band 4, Frankfurt am Main 1991, S. 168f.
Briefe Martin Heideggers an seine Frau Elfriede 1915–1970, München 2005, S. 264.
Paul Celan, Der Meridian. Endfassung – Entwürfe – Materialien, hrsg. von B. Böschenstein u.a., Frankfurt am Main 1999, S. 11.
Theodor W. Adorno, Ästhetische Theorie, Gesammelte Schriften, hrsg. von R. Tiedemann, Bd. 7, Frankfurt am Main 1970, S. 191.
Ebd.
Paul Celan, Der Meridian, a.a.O., S. 5.
Martin Heidegger, Vorträge und Aufsätze, a.a.O., S. 195.
Paul Celan, Der Meridian, a.a.O., S. 7.
Peter Handke, Die Geschichte des Bleistifts, Frankfurt am Main 1985, S. 353.
Ebd., S. 346.
Paul Celan, Der Meridian, a.a.O., S. 6.
Ebd.
Peter Handke, Die Geschichte des Bleistifts, a.a.O., S. 352.
ZEIT-Interview vom 12.7.2012.
Paul Celan, Der Meridian, a.a.O., S. 8.
Ebd., S. 9.
Emmanuel Lévinas, Totalität und Unendlichkeit. Versuch über Exteriorität, Freiburg/München 1987, S. 259.
Paul Celan, Der Meridian, a.a.O., S. 9f.
Ebd., S. 9.
Ebd.
Vgl. Martin Buber, Urdistanz und Beziehung, Heidelberg 1978.
Martin Buber, Ich und Du, Stuttgart 1995, S. 34.
Emmanuel Lévinas, Die Zeit und der Andere, Hamburg 1984, S. 30.
Emmanuel Lévinas, Vom Sein zum Seienden, Freiburg/München 1997, S. 40.
Emmanuel Lévinas, Die Zeit und der Andere, a.a.O., S. 45.
Ebd., S. 58.
Emmanuel Lévinas, Jenseits des Seins oder anders als Sein geschieht, Freiburg/München 1992, S. 124.
Ebd., S. 321.
Emmanuel Lévinas, Die Spur des Anderen. Untersuchungen zur Phänomenologie und Sozialphilosophie, Freiburg/München 1983, S. 120.
Friedrich Nietzsche, Menschliches, Allzumenschliches II, Kritische Gesamtausgabe, Bd. IV3, Berlin 1967, S. 408.
Alain Badiou, Lob der Liebe. Ein Gespräch mit Nicolas Truong, Wien 2011, S. 39.
Emmanuel Lévinas, Jenseits des Seins oder anders als Sein geschieht, a.a.O., S. 29f.
Elias Canetti, Das Augenspiel. Lebensgeschichte 1931–1937, München 1985, S. 36.
Ebd., S. 32.
Elias Canetti, Die Provinz des Menschen. Aufzeichnungen 1942–1972, München 1970, S. 307.
Elias Canetti, Die Fliegenpein. Aufzeichnungen, München 1992, S. 64.
Elias Canetti, Die Provinz des Menschen, a.a.O., S. 314.
Die Zeit, in der es den Anderen gab, ist vorbei. Der Andere als Geheimnis, der Andere als Verführung, der Andere als Eros, der Andere als Begehren, der Andere als Hölle, der Andere als Schmerz verschwindet. Die Negativität des Anderen weicht heute der Positivität des Gleichen. Die Wucherung des Gleichen macht die pathologischen Veränderungen aus, die den Sozialkörper befallen. Nicht Entzug und Verbot, sondern Überkommunikation und Überkonsumtion, nicht Verdrängung und Negation, sondern Permissivität und Affirmation machen ihn krank. Nicht Repression, sondern Depression ist das pathologische Zeitzeichen von heute. Die destruktive Pression kommt nicht vom Anderen, sondern aus dem Inneren.
Die Depression als innere Pression entwickelt autoaggressive Züge. Das depressive Leistungssubjekt wird gleichsam vom Selbst erschlagen oder erstickt. Zerstörerisch ist nicht nur die Gewalt des Anderen. Die Austreibung des Anderen setzt einen ganz anderen Zerstörungsprozess in Gang, nämlich die Selbstzerstörung. Allgemein gilt die Dialektik der Gewalt: Ein System, das die Negativität des Anderen ablehnt, entwickelt autodestruktive Züge.
Die Gewalt des Gleichen ist aufgrund ihrer Positivität unsichtbar. Die Wucherung des Gleichen gibt sich als Wachstum. Ab einem bestimmten Punkt ist aber die Produktion nicht mehr produktiv, sondern destruktiv, die Information nicht mehr informativ, sondern deformativ, die Kommunikation nicht mehr kommunikativ, sondern bloß kumulativ.
Die Wahrnehmung selbst nimmt heute die Form von »Binge Watching«, Komaglotzen, an. Es bezeichnet den Konsum von Videos und Filmen ohne jede zeitliche Beschränkung. Den Konsumenten werden fortwährend jene Filme und Serien angeboten, die ganz ihrem Geschmack entsprechen, die ihnen also gefallen. Sie werden wie Konsumvieh gemästet mit dem immer neuen Gleichen. Komaglotzen lässt sich zum heutigen Wahrnehmungsmodus überhaupt generalisieren. Die Wucherung des Gleichen ist nicht karzinomatös, sondern komatös. Sie stößt auf keine immunologische Abwehr. Man glotzt bis zur Bewusstlosigkeit.
Verantwortlich für den Infekt ist die Negativität des Anderen, der ins Selbe eindringt und zur Bildung von Antikörpern führt. Der Infarkt geht dagegen auf das Zuviel des Gleichen, auf die Fettleibigkeit des Systems zurück. Er ist nicht infektiös, sondern adipös. Gegen Fett bilden sich keine Antikörper. Keine immunologische Abwehr kann das Wuchern des Gleichen verhindern.
Die Negativität des Anderen gibt dem Selben Gestalt und Maß. Ohne sie kommt es zur Wucherung des GleichenUnterschied zum Anderen[1]