»Ich kämpfe für eine bessere Polizei« – #Better Police

Oliver von Dobrowolski

»Ich kämpfe für eine bessere Polizei« – #Better Police

FISCHER E-Books

Inhalt

Über Oliver von Dobrowolski

Oliver von Dobrowolski, geboren 1976, ist Polizist aus Leidenschaft, und das seit 23 Jahren in Berlin. Zudem ist er Mitglied von Bündnis 90/Die Grünen und war viele Jahre Bundesvorsitzender der Berufsvereinigung PolizeiGrün. Im April 2021 gründete er die Initiative Better Police. Oliver von Dobrowolski äußert sich regelmäßig in unterschiedlichen Medien kritisch über die Polizei. Aus eigenen Reihen wird er deshalb als Nestbeschmutzer beschimpft, teilweise sogar bedroht. Doch er lässt sich davon nicht beirren in seinem Engagement für eine bessere Polizei.

 

Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de

Über dieses Buch

Wir brauchen die Polizei – aber nicht diese, sagt Kriminalhauptkommissar Oliver von Dobrowolski. Rechtsextreme Chatgruppen, rassistisches Verhalten, Gewalt und Diskriminierungen innerhalb der Polizei kennt er nur zu gut aus seinem Berufsalltag. Zu oft führt die Polizei unbeobachtet ihr Eigenleben und kann der Gesellschaft großen Schaden zufügen. Von Dobrowolskis Ziel: Wir brauchen eine Polizei, der alle vertrauen können – unabhängig von ihrer Hautfarbe, ihrem Geschlecht oder ihrer Religion! Mutig spricht er nicht nur die Probleme der Polizei an, er sagt auch ganz konkret, was sich ändern muss. Dass er deshalb aus eigenen Reihen immer wieder beschimpft und bedroht wird, ist ihm egal. Er kämpft weiter für eine andere, eine bessere Polizei – die wieder die Menschen in unserer Gesellschaft und deren Rechte schützt.

Impressum

Erschienen bei FISCHER E-Books

 

© 2022 S. Fischer Verlag GmbH, Hedderichstr. 114, D-60596 Frankfurt am Main

 

Covergestaltung: Andreas Heilmann und Gundula Hissmann, Hamburg

Coverabbildung: Marcus Höhn

 

Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.

ISBN 978-3-10-491567-8

Endnoten

https://www.jungewelt.de/bibliothek/zitat/?id=3403

https://www.jetzt.de/politik/rassismus-in-der-polizei-ein-junger-polizist-berichtet

https://www.jetzt.de/politik/rassismus-in-der-polizei-interview-mit-dem-polizeiwissenschaftler-rafael-behr

https://www.jetzt.de/politik/rassismus-in-der-polizei-ein-junger-polizist-berichtet

https://www.zdf.de/comedy/zdf-magazin-royale/zdf-magazin-royale-vom-4-dezember-2020-100.html

https://taz.de/Alternativer-Polizeikongress/

https://www.bz-berlin.de/berlin/haben-gruene-ein-gestoertes-verhaeltnis-zur-polizei

https://www.jetzt.de/politik/rassismus-in-der-polizei-interview-mit-dem-polizeiwissenschaftler-rafael-behr

https://www.jetzt.de/politik/rassismus-in-der-polizei-ein-junger-polizist-berichtet

https://www.bz-berlin.de/berlin/haben-gruene-ein-gestoertes-verhaeltnis-zur-polizei

https://www.siegessaeule.de/magazin/719-berliner-polizei-vizepr%C3%A4sidentin-im-interview

https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.schwaben-in-berlin-polizeipraesident-klaus-kandt-vom-underdog-zum-oberboss.9832b617-ddf4-4626-96f0-286bfc70689c.html

https://www.morgenpost.de/vermischtes/article208819069/Vermisste-Polizistin-beging-Suizid.html

https://rp-online.de/politik/deutschland/polizistin-begeht-selbstmord-auf-wache_bid-12052495

https://www.tagesspiegel.de/berlin/polizei-justiz/mitte-berliner-polizist-erschiesst-sich-auf-friedhof/1172100.html

https://www.sueddeutsche.de/panorama/polizistin-begeht-erweiterten-suizid-tragoedie-waehrend-der-dienstzeit-1.955480

https://www.tagesspiegel.de/berlin/freitod-polizist-erschoss-sich-mit-dienstwaffe/184932.html

https://www.tagesspiegel.de/berlin/polizei-justiz/suizid-polizist-nahm-sich-das-leben-kollegen-sprechen-von-mobbing/4602028.html

https://www.tagesspiegel.de/berlin/selbstmord-nach-mobbing-hoffen-auf-das-gericht-eltern-der-toten-polizistin-wollen-aufklaerung/155696.html

https://www.jetzt.de/politik/rassismus-in-der-polizei-ein-junger-polizist-berichtet

https://www.tagesspiegel.de/berlin/politischer-exot-in-der-polizei-ein-gruener-unter-den-blauen-von-berlin/9786302.html

https://taz.de/Polizei-Berlin/

die bereits einmal schlechte Erfahrungen

mit der Polizei machen mussten, aber – so wie ich –

unverzagt an eine Besserung glauben.

 

Und weil Liebe und Hoffnung das Wichtigste sind,

ist es auch für meine Kinder und die Menschen,

denen mein Herz gehört.

Für meine Großeltern war der Fall klar: »Die Polizei, dein Freund und Helfer« – in den Achtzigern natürlich noch ohne Gendern. Für sie als weiße, unpolitische Menschen aus der Mittelschicht mag das damals vielleicht zugetroffen haben, und auch heute noch erfreut sich die Polizei in Deutschland statistisch eines recht beeindruckenden Vertrauens.

 

Leider können die Einschätzung als »Freund und Helfer« aber viele Menschen in Deutschland nicht ohne weiteres unterschreiben. Wer etwa als Mensch mit Migrationsgeschichte gelesen wird, wer sich bei einer Demonstration allzu »links« zeigt, macht schnell die Erfahrung, dass die Polizei auch ganz anders auftreten kann. Glaubhafte Schilderungen persönlicher Erfahrungen von Diskriminierung und sinnloser Polizeigewalt häufen sich in einem solchen Maße, dass das Vertrauen in die Polizei in der Bevölkerung langsam, aber in besorgniserregendem Ausmaß erodiert. Die Ereignisse rund um den sogenannten Weltwirtschaftsgipfel G20 in Hamburg gerieten vor allem wegen randalierender Jugendlicher in die Schlagzeilen, aber die Hamburger Chaostage führten auch zu dutzendfachen gut dokumentierten gewaltsamen Übergriffen von Polizeikräften auf friedliche Demonstrierende, auf Unbeteiligte und sogar auf Journalist:innen.

 

Solche Berichte bleiben nicht ohne Folgen. Die Polizei in Deutschland befindet sich in einer Glaubwürdigkeitskrise. Schuld daran sind aber nicht etwa die Berichte über polizeiliches Fehlverhalten. Schuld an dieser Krise sind die allzu

 

Die Polizei ist in einem demokratischen Rechtsstaat unverzichtbar. Ein Rechtsstaat lebt davon, dass das Recht auch tatsächlich gilt. »Papier ist geduldig« – das würde auch auf die Gesetzblätter in Bund, Ländern und Kommunen zutreffen, wenn die Entscheidungen demokratischer Parlamente nicht durchgesetzt werden könnten. Vielleicht die meisten, aber eben nicht alle Menschen halten sich freiwillig an Recht und Gesetz. Auch wenn der liberale Rechtsstaat den Menschen üblicherweise mit milderen Mitteln gegenübertritt – ganz ohne die Möglichkeit, Zwangsmittel bis hin zu körperlicher Gewalt einzusetzen, geht es auch in einer Demokratie nicht.

 

Umso wichtiger ist aber, dass die Polizei tatsächlich den Anspruch einlöst, auf der Seite des Rechts zu stehen. Was wie eine Selbstverständlichkeit klingt, ist leider nicht immer Realität in den Streifenwagen und auf den Polizeiwachen in Deutschland. Das ist fatal, denn wen kann man noch rufen, wenn die Hüter:innen des Gesetzes selbst das Gesetz brechen? Und wie können die Menschen in der Polizei ihre wichtige Arbeit tun, bei der sie Tag für Tag auf das Vertrauen der Menschen in Deutschland angewiesen sind, wenn Menschen genau dieses Vertrauen verlieren?

 

 

Dies ist ein sehr wichtiges Buch. Denn sein Autor kritisiert die Polizei von innen heraus, stets konstruktiv und mit konkreten Vorschlägen. Und er schreibt aus der tiefen Überzeugung, dass eine bessere Polizei möglich ist: eine bessere Polizei für die Menschen in unserem Land – und zugleich eine Polizei, deren Arbeit umso einfacher wird, je mehr Polizist:innen mit dem Rückhalt der Bevölkerung rechnen können.

Aus Sicht der Grund- und Menschenrechte wünsche ich diesem Buch viele Leser:innen, gerade in Politik und Polizei, denn ich teile die Überzeugung des Autors: Eine bessere Polizei ist tatsächlich möglich, und dieses Buch zeigt Wege auf, wie das gelingen kann.

 

Dr. Ulf Buermeyer, LL.M. (Columbia), ist Vorsitzender der Gesellschaft für Freiheitsrechte e.V. und gestaltet gemeinsam mit dem Journalisten Philip Banse den wöchentlichen Politik-Podcast »Lage der Nation« (lagedernation.org). Er war viele Jahre Strafrichter am Landgericht Berlin und wissenschaftlicher Mitarbeiter des Bundesverfassungsgerichts und des Berliner Verfassungsgerichtshofs.

Gesellschaftliche Fragen und Politik haben mich schon immer sehr interessiert. Mein Beruf brachte es mit sich, dass ich mich vermehrt mit Themen der inneren Sicherheit beschäftigte, und daraus hat sich der Wunsch entwickelt, Politik nicht nur zu ertragen, sondern aktiv mitgestalten zu wollen. So kam es, dass ich etwa um 2010 Mitglied einer politischen Partei wurde, die dem linksliberalen Raum zuzuordnen ist. Einen deutlichen Schub bekam mein Engagement, als unser Land ab 2015 durch die Vielzahl schutzsuchender Geflüchteter und dem gleichzeitigen Aufkeimen abwehrender und menschenfeindlicher Politik vor einer für mich noch nie erlebten Polarisierung stand. Ich hatte mich in einem Moment des Abscheus vor migrationskritischen Aktionen recht deutlich auf Twitter geäußert und das auch noch unter bewusster Benennung meines beruflichen Hintergrunds. Und siehe da: Ohne dass ich damit gerechnet hatte, ging das – für damalige Verhältnisse – ziemlich durch die Decke.

 

Ich bin Polizist aus tiefster Überzeugung und mit großer Leidenschaft. Doch dieser Weg war für mich nicht seit jeher vorgezeichnet.

Groß geworden bin ich als Einzelkind in einem grundsätzlich unpolitischen Elternhaus, das – wurde doch einmal das Thema Politik angeschnitten – deutlich konservativ veranlagt war. Auf dem Gymnasium begann mit vielem anderen zusammen dann auch meine politische Willensbildung, mit der – so wollen es grundsätzlich die Gesetze des Heranreifens – auch eine bewusste Abkapselung von und Kontra-Haltung zu den

Gegen Ende der Schulzeit entschied ich, den Kriegsdienst zu verweigern. Damals gab es noch die (nicht ausgesetzte)

Nach der Ausbildung war ich froh und glücklich und empfand die Berufswahl mehr als zuvor als die Ankunft im Traumjob. Zunächst fokussierte ich mich stark auf das tatsächliche Ankommen in der Praxis, denn wie wir alle wissen, lernt man ja vieles erst nach dem Diplom. So kam es denn auch, dass der frühere Kriegsdienstverweigerer stolz im Beruf eine Waffe trug, seine Vorliebe für den Kraftsport wiederentdeckt hatte und sich auch mit seiner »Fleischkappe« (raspelkurze Haare) nicht sehr von den vielen anderen Polizisten unterschied.

Es folgten viele Jahre beim Kriminaldauerdienst, in Dienststellen zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität, Einbruch und Betrug und in der Kriminalprävention, wo ich die Behörde auch in nationalen Netzwerken vertrat. Zwischenzeitlich qualifizierte ich mich für einen polizeilichen Auslandseinsatz in Afghanistan, um dort 2011 als Trainer und Mentor für afghanische Polizeikräfte zu arbeiten. Seit 2006 bin ich zudem Mitglied des Kommunikationsteams der Berliner Polizei, früher Anti-Konflikt-Team genannt. Seit 2019 arbeite

 

Mein politisches Engagement erwachte, wie gesagt, so richtig erst zur genannten späteren Zeit. Doch natürlich registrierte ich bereits viel früher viele Dinge im Polizeiapparat, die nicht gut waren. Und das hat gewiss einen erheblichen Beitrag zu meinem späteren Aktivismus geleistet. Von einigen Erlebnisse und Erfahrungen werde ich in diesem Buch erzählen. Es soll aber keine persönliche Geschichte werden, schon gar keine »Abrechnung«. Vielmehr möchte ich in Anlehnung an meine politische Betätigung der letzten Jahre, vor allem als Vorsitzender der alternativen Berufsvereinigung »PolizeiGrün« sowie als Gründer der Initiative »BetterPolice«, einen Problemaufriss vornehmen und Lösungsansätze zur Verbesserung anbieten. Denn dass wir auch in unserer demokratischen und rechtsstaatlichen Republik Defizite bei der Polizei haben, kann niemand abstreiten.

 

Wichtig zu betonen ist mir noch, dass nicht sämtliche Beispiele und Anekdoten, die ich hier erzähle, zwingend mir persönlich widerfahren sein müssen. Ein interessanter und in gewisser Weise auch tragischer Umstand ist, dass, vor allem durch das weitgehende Nichtvorhandensein von externen Beratungs- und Untersuchungsstellen für die Polizei, viele Menschen, darunter viele Kolleg:innen, mich in meiner Rolle als Vorsitzender einer Berufsvereinigung/Initiative kompensatorisch als Adressat für eine Vielzahl erstaunlicher, betrüblicher und erschreckender Berichte gebraucht haben.

Ich nenne in diesem Buch bis auf wenige Ausnahmen keine Namen von Menschen, deren Tun oder Nichttun ich beschreibe oder kritisiere. Seien Sie aber gewiss, dass die geschilderten Szenen sich so zugetragen haben.

Ich schreibe nicht als Wissenschaftler. Auch wenn ich im Studium diverse Disziplinen der Rechts- und Sozialwissenschaften auf Hochschulniveau erfolgreich absolvieren musste und letztendlich einen Diplomgrad zugesprochen bekam (der mir, da bin ich ehrlich zu Ihnen, bislang wenig bei Raufereien mit Betrunkenen oder Festzunehmenden geholfen hat …), schreibe ich diese Zeilen vor allem als Mensch, als beobachtender Polizist.

Und vielleicht haben Sie es schon bemerkt: Ich gendere meine Texte. Ich bin der Auffassung, dass heutzutage nicht nur eine nachhaltige Lebensweise, sondern auch ein diverses, inklusives sprachliches Bewusstsein sinnvoll ist. Ich hoffe, dass Sie sich auch bei anderer Auffassung nicht vom Lesen dieses Buches abhalten lassen.

 

Letztendlich noch der Hinweis, dass einige Sachverhaltsschilderungen Szenen polizeilichen Fehlverhaltens und auch Polizeigewalt beschreiben. Für Menschen, die bereits selbst entsprechende Erfahrungen gemacht haben, besteht in diesem Zusammenhang die Gefahr einer Retraumatisierung. Bitte

Ungeachtet dessen werde ich menschenverachtende Bezeichnungen, wie sie mir häufig untergekommen sind (womit zum Beispiel das sogenannte N-Wort oder auch das K-Wort gemeint sind), nicht ausschreiben, sondern mit Sternchen entstellen.

Im Übrigen bemühe ich mich, die einzelnen Themenkomplexe in diesem Buch so darzustellen, dass sie grundsätzlich auch ohne die weiteren Kapitel in sich schlüssig und vor allem verständlich sind. Das bedeutet, dass Sie bei besonderem Interesse zum Beispiel am Phänomen Rechtsextremismus in der Polizei den entsprechenden Teil des Buches direkt aufschlagen können, ohne zwingend die anderen Bereiche gelesen haben zu müssen. Gelingen mag das vielleicht nicht immer zu hundert Prozent, was aber auch daran liegt, dass viele Themen zusammenhängen. So wird man gewiss nicht über Mobbing reden können, ohne die Kommunikationskultur zu betrachten, und ähnlich verhält es sich mit den Komplexen Rassismus und diskriminierender Sprachgebrauch.

 

Ich schließe diese Einleitung mit der Feststellung, was mich dazu gebracht hat, ein solches Buch zu schreiben:

In den letzten Jahren meines Wirkens für die Berufsvereinigung und vor allem mit der steigenden Bekanntheit und dem

Ich bin zutiefst überzeugt von der überragenden Wichtigkeit der Polizei in einer gelingenden staatlichen Infrastruktur. Dies und die Liebe zu diesem Beruf gibt mir die Kraft, weiter für eine bessere Polizei zu streiten!

 

Oliver von Dobrowolski

Berlin, 1. Oktober 2021

In einer freiheitlichen, pluralistischen Demokratie ist die staatliche Exekutive – allem voran die Polizei als ihr sichtbarster Arm – Garant für die Bürger:innen- und Freiheitsrechte der Bevölkerung. Die Erkenntnis, dass Mitarbeitende der Polizeibehörden in erster Linie den Auftrag haben, die Menschen in unserer Gesellschaft und deren Rechte zu schützen, muss sich wieder im Dienstalltag widerspiegeln und Maxime polizeilichen Handelns sein.

Während ich dieses Kapitel schreibe, lese ich in meiner Morgenzeitung von folgendem Vorfall:

=== TW, CN (Polizeigewalt) ===

Ein Polizeibeamter einer Einsatzhundertschaft wurde vor wenigen Tagen dabei gefilmt, wie er bei einem Einsatz auf einer Demonstration von sogenannten Querdenker:innen einer bereits festgenommenen Person einen heftigen Kniestoß gegen den Kopf versetzte.

Es könnte sich um einen Fall illegitimer Polizeigewalt handeln. Warum illegitim? Polizeibedienstete üben im Einsatz unter Zuhilfenahme körperlicher Mittel oder der ihnen zur Verfügung stehenden Werkzeuge rechtlich gesehen stets Gewalt aus. In der Mehrheit der Fälle ist dies nicht gesetzeswidrig, sondern nötiges Übel der ihnen zugewiesenen Aufgabe. In diesem Fall aber ist der auf dem Video erkennbare körperliche Einsatz überflüssig, da die Person bereits weitestgehend fixiert war und von ihr keine aktive Gegenwehr mehr ausging.

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Zu diesem Beispiel mutmaßlich illegitimer Polizeigewalt schreibt eine von mir geschätzte Beobachterin der Polizei auf Twitter: »Genau da wird der #Einzelfall zum #Polizeiproblem.«

Die Bezeichnung »Einzelfall« ist für mich ohne Zweifel das Unwort der vergangenen Jahre, wenn es um die Berichterstattung über die Polizei geht und um die Wahrnehmung polizeilicher Einsätze. »Einzelfall« war und ist ein Kampfbegriff, der vor allem bei Polizeilobbyist:innen – aber ebenso von obersten Dienstherren und vom Bundesinnenminister – reflexhaft gebraucht wird, um Vorwürfe zu relativieren.

Gern wird argumentiert, dass bei einer Gesamtzahl von einer Viertelmillion Polizeimitarbeitenden in unserem Land (hier unterscheiden sich die Angaben, einige Menschen

Diese Sichtweise ist fatal falsch, denn sie wird der Wichtigkeit, der Tragweite polizeilichen Eingriffshandelns nicht gerecht. Wenn eine Blumenfachverkäuferin extremistische Inhalte über einen Messengerdienst verbreitet, dann ist das eine Straftat, der nachgegangen werden muss. Ähnlich verhält es sich mit einem Busfahrer, der eine Prügelei anzettelt. Oder mit einem Bademeister, der seine Gäste im Schwimmbad beleidigt. Aber diesen Beispielen ist gemein, dass über sie in aller Regel niemand öffentlich berichten wird. Der aus den Taten erwachsene Unwert ist für den oder die jeweils Geschädigte(n) tragisch. Meist fühlt sich darüber hinaus aber kein erheblich größerer Personenkreis in seinen Rechten oder seinem Kriminalitätsempfinden beeinträchtigt. Deshalb werden solche Vorfälle es grundsätzlich auch nicht in öffentliche Pressemeldungen der Polizei und infolgedessen auch nicht in Medienberichte schaffen.

Anders verhält es sich definitiv mit Verfehlungen von Polizist:innen. Wenn Angehörige dieser Berufsgruppe prügeln, Menschen beleidigen oder gar volksverhetzende oder nationalsozialistische Inhalte verbreiten, dann sollte dies die Öffentlichkeit selbstredend interessieren. Und zwar nicht, um dadurch primär den Leumund der Institution Polizei und all ihrer Bediensteten zu beschädigen (das geschieht freilich als Folge sowieso), sondern weil die Bevölkerung einen Anspruch darauf hat zu wissen, welcher Art das Denken sowie das Handeln ihrer Exekutive ist. Gleichzeitig entstehen ein höherer

Denn kurios ist, dass in Deutschland ebendiese Dienstaufsicht, häufig angefangen beim direkten Vorgesetzten, die Zuständigkeits- und Verantwortlichkeitsleiter hoch zur Leitung der Polizeibehörde und sogar bis hin zum Innenministerium, oft eine bemerkenswerte Sinneseintrübung aufweist, wenn es um die Bewertung solchen Fehlverhaltens geht. Und hierfür mag es verschiedene Gründe geben:

Wir haben uns zu sehr an die Erzählung gewöhnt, die Polizei arbeite fehlerfrei. Das passiert schnell, wenn führende Verantwortliche in Politik und Medien Dinge sagen wie »Polizeigewalt hat es nicht gegeben« oder »Die Polizei hat heldenhaft gearbeitet«. Ein herausragendes Beispiel hierfür ist der mit Abstand größte Polizeieinsatz in der deutschen Nachkriegsgeschichte, der G20-Gipfel im Sommer 2017 in Hamburg, auf den sich die Zitate beziehen.

=== TW, CN (Polizeigewalt) ===

Noch nie hatte ich ein Ereignis erlebt – sowohl medial als auch durch eigene Erfahrung vor Ort –, bei welchem Realität und Wunschbild so sehr auseinanderfielen. Szenen maßloser Gewalt, auf beiden Seiten unnütz und stupide, aufgezeichnet von unzähligen TV-Kameras und Smartphones. Eine junge Frau in glitzernden Leggings, die rabiat von einem Sonderwagen gepfeffert wird. Wasserwerfer, die ihre Ladung mit hohem Druck gezielt auf Pressemitarbeitende abschießen. Zivil gekleidete Beamt:innen, die als sogenannte Tatbeobachter:innen inmitten von Demonstrationszügen aufwiegeln, um einen unfriedlichen Verlauf herbeizuführen. Und Entscheidungen

Doch: »Ein Wasserwerfer hat keinen Rückwärtsgang«[1], so der Gesamteinsatzführer der Hamburger Polizei, Hartmut Dudde, bereits im Vorfeld des Großereignisses.

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Die Fehlerkultur und das Kritikverständnis sind in der deutschen Verwaltung im Allgemeinen und innerhalb der Polizei im Besonderen nach wie vor desaströs. Hinweise werden häufig nicht beachtet, Vorwürfe werden in der Regel reflexhaft zurückgewiesen. Die Lobbygruppen (Gewerkschaften, Fachpolitiker:innen der Mitte und rechts davon) sind hierbei lauter als die eigentlichen Behörden, doch auch diese äußern sich – wenn überhaupt – meist Ausflüchte machend und relativierend, kaum differenziert und besonnen.

Es verwundert daher nicht, wenn sich diese Überzeugung, unfehlbar zu sein, von der Spitze eines Präsidiums aus bis hinunter zum frischesten Polizeimeisteranwärter durchsetzt.

Ganz selbstverständlich ist ein Grund auch, dass die Polizeibehörden landauf, landab händeringend nach ausreichend qualifiziertem Personal suchen. Mangelhafte Ausstattung, teils ruinöse Liegenschaften und stark verbesserungswürdige Alimentation: Die vergangenen Jahre unüberlegten Verwaltungssparens haben in nahezu sämtlichen Landespolizeien Schäden verursacht, die niemand in diesem Ausmaß erwartet hätte. Gleichzeitig wurden viele Arbeitgeber:innen am Arbeitsmarkt deutlich attraktiver für junge Berufsanfänger:innen. Zustände wie die kaum ausgeprägte Fehlerkultur sind ein deutlicher Dämpfer für sämtliche Rekrutierungsbemühungen und trüben

»Es kann nicht sein, was nicht sein darf« führt in diesem Fall zu der falschen Annahme, dass sich eine offene und progressive Ausrichtung der Institution nachteilig auf die eh schwierige Akquise von neuem Personal auswirkt.

 

Der »Einzelfall« als Kampfbegriff zur Abwehr von Kritik an polizeilichem Fehlverhalten – so ermüdend es ist, ihn medial und aus dem Munde verantwortlicher Menschen in Politik und Ministerien zu hören, so sehr hat er sich mittlerweile selbst überholt. Als im Jahr 2020 die Menschen irgendwann nicht mehr mit Verwunderung reagierten, als auf ihren Smartphones die nächsten Push-Mitteilungen über wieder neu aufgeflogene rechtsextremistische Chatgruppen bei der Polizei erschienen, hat sich dieser Begriff selbst abgeschafft. Zwar bedienen immer noch Unverbesserliche dieses Narrativ, jedoch hat sich eine neue Beschreibung im öffentlichen Diskurs etabliert: das Polizeiproblem.

Einerseits folgerichtig, die Gesamtheit an haarsträubenden, erschreckenden und beängstigenden Verfehlungen und Entgleisungen innerhalb der Polizei so zu nennen. Doch bedeutet es im Prinzip auch eins: In den Augen vieler ist die Polizei in Deutschland nicht mehr Problemlöserin, erste Anlaufstelle bei Not und Gefahr – nein, sie ist selbst zum Problem geworden!

Geändert hat sich an der Reaktion der Verantwortlichen und bei den meisten der von diesem Vertrauensentzug Betroffenen wenig. Es kann nicht sein, was nicht sein darf. In Endlosschleife.

Aber mal ehrlich, wohin führt das alles?

Die größte Gefahr ist eine Entfremdung von der Bevölkerung. Diese ist heute schon in Teilen zu erleben, insbesondere wo die Polizei in bestimmten Nachbarschaften anders auftritt als andernorts. Dies spiegelt sich allein schon in einer veränderten Optik, in einer zunehmenden Militarisierung der Polizei wider. Hat man zur Jahrtausendwende den Notruf gewählt, um zum Beispiel Hilfe nach einem Verkehrsunfall zu erbitten, stiegen wenig später Polizeimitarbeitende in Hemd und Jacke aus dem Einsatzfahrzeug. In vielen, vor allem urbanen Bereichen sieht man sich heute auch bei 08/15-Einsätzen einer Art »SEK light« gegenüber – mit Oberschenkelholster, ballistischer Westenhülle inklusive zahlreichem Zubehör. Mit Blutgruppen-Patch und Tourniquet (ein feldmedizinisches Abbindesystem für gravierende Verletzungen, das vor allem beim Militär verwendet wird) wirken diese Kolleg:innen oft so, als hätten sie sich für einen Kriegseinsatz gerüstet.

An dieser Stelle möchte ich betonen, dass das Bedürfnis nach Eigensicherung – als primär dem Schutz der eigenen Gesundheit und des Lebens sowie der aller Teammitglieder im Einsatz – vollkommen legitim und zu respektieren ist. Viele Polizist:innen schütteln bei Diskussionen um die