Byung-Chul Han
Die Errettung des Schönen
FISCHER E-Books
Byung-Chul Han, geboren 1959, studierte zunächst Metallurgie in Korea, dann Philosophie, Germanistik und katholische Theologie in Freiburg und München. Nach seiner Habilitation lehrte er Philosophie an der Universität Basel, ab 2010 Philosophie und Medientheorie an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe, und seit 2012 Kulturwissenschaft an der Universität der Künste in Berlin. Im S. Fischer Verlag ist zuletzt erschienen ›Psychopolitik. Neoliberalismus und die neuen Machttechniken‹ (2014).
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Die Schönheit befindet sich heute in einer paradoxalen Situation. Einerseits breitet sie sich inflationär aus: Überall wird ein Kult um die Schönheit betrieben. Andererseits verliert sie jede Transzendenz und liefert sich der Immanenz des Konsums aus: Sie bildet die ästhetische Seite des Kapitals. Die Erfahrung der Negativität angesichts des Schönen wie Erhabenheit oder Erschütterung weicht komplett dem kulinarischen Wohlgefallen, dem Like. Letzten Endes kommt es zu einer Pornographisierung des Schönen. Der vorliegende Essay beschwört jene Formen des Schönen, die sich als Wahrheit, als Desaster oder als Verführung manifestieren. Erschlossen werden auch jene Dimensionen des Schönen, die eine Ethik oder Politik des Schönen begründen würden.
Erschienen bei FISCHER E-Books
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2015
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ISBN 978-3-10-403526-0
G.W.F. Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik 1, in: Ders., Werke in zwanzig Bänden, hrsg. von E. Moldenhauer u.a., Frankfurt am Main 1970, Bd. 13, S. 61.
Ebd.
Roland Barthes, Mythen des Alltags, Frankfurt am Main 2010, S. 196f. Hervorhebung von B. Han.
Ebd., S. 198.
Christian Gampert, Deutschlandfunk, Kultur heute, Beitrag vom 14.5.2012.
Jeff Koons über Vertrauen, Süddeutsche Zeitung vom 17.5.2010.
Hans-Georg Gadamer, Aktualität des Schönen. Kunst als Spiel, Symbol und Fest, in: Ders., Gesammelte Werke, Ästhetik und Poetik I: Kunst als Aussage, Bd. 8, Tübingen 1993, S. 94–142, hier: S. 125.
Vgl. Wolfgang Welsch, Ästhetisches Denken, Stuttgart 2010, S. 9ff. Welsch versteht die Anästhesierung oder die Anästhetik nicht im Sinne der Anästhesie, sondern der Nicht-Ästhetik, der er positive Aspekte abzugewinnen versucht.
Roland Barthes, Die Lust am Text, Frankfurt am Main 1982, S. 16f.
Jean Baudrillard, Das Andere selbst, Wien 1994, S. 27.
Georges Bataille, Die Erotik, München 1994, S. 140f.
Winfried Menninghaus, Ekel. Theorie und Geschichte einer starken Empfindung, Frankfurt am Main 1999, S. 7.
Karl Rosenkranz, Ästhetik des Häßlichen, Darmstadt 1979, S. 312f.
Robert Pfaller, Das schmutzige Heilige und die reine Vernunft. Symptome der Gegenwartskultur, Frankfurt am Main 2008, S. 11.
Jean Baudrillard, Das Andere selbst, Wien 1987, S. 35.
Walter Benjamin, Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, Frankfurt am Main 1963, S. 36.
Barthes, Die helle Kammer, Frankfurt am Main 1989, S. 124.
Platon, Gastmahl, 210e.
Ebd., 211e.
Platon, Phaidros, 244a.
Edmund Burke, Philosophische Untersuchung über den Ursprung unserer Ideen vom Erhabenen und Schönen, Hamburg 1989, S. 193f.
Ebd., S. 160.
Ebd., S. 192.
Ebd., S. 154.
Ebd.
Ebd., S. 155f.
Ebd., S. 194.
Ebd., S. 67.
Ebd., S. 176.
Theodor W. Adorno, Ästhetische Theorie, Gesammelte Schriften, hrsg. von R. Tiedemann, Bd. 7, Frankfurt am Main 1970, S. 77.
Immanuel Kant, Kritik der Urteilskraft, in: Ders., Werke in zehn Bänden, hrsg. von W. Weischedel, Darmstadt 1957, S. 330.
Zum Beispiel: Wolfgang Welsch, Ästhetisches Denken, Stuttgart 2003.
Adorno, Ästhetische Theorie, a.a.O., S. 410.
Ebd.
Ebd., S. 364.
Ebd., S. 108.
Ebd., S. 115.
Ebd., S. 111.
Ebd., S. 115.
Ebd.
Ebd., S. 114.
Ebd., S. 115.
Ebd., S. 113.
Ebd., S. 114.
Ebd., S. 115.
Ebd., S. 114.
Barthes, Die helle Kammer, a.a.O., S. 51.
Ebd.
Walter Benjamin, Goethes Wahlverwandtschaften, in: Ders., Gesammelte Schriften, Bd. 1.1., hrsg. von R. Tiedemann u.a., Frankfurt am Main 1991, S. 197.
Ebd., S. 195.
Augustinus, Ausgewählte Schriften, Bd. 8, Ausgewählte praktische Schriften homiletischen und katechetischen Inhalts, München 1925, S. 175.
Gershom Scholem, Zur Kabbala und ihrer Symbolik, Frankfurt am Main 1973, S. 77f.
Ebd., S. 78.
Ebd., S. 78f.
Roland Barthes, Die Lust am Text, Frankfurt am Main 2010, S. 18.
Ebd., S. 19.
Ebd.
Jean Baudrillard, Transparenz des Bösen, Berlin 1992, S. 191.
Jean Baudrillard, Die fatalen Strategien, München 1991, S. 120.
Ebd., S. 130.
Roland Barthes, Fragmente einer Sprache der Liebe, Frankfurt am Main 1988, S. 124.
Jacques Derrida, Was ist Dichtung?, Berlin 1990, S. 10.
Martin Heidegger, Parmenides, in: Ders., Gesamtausgabe, Bd. 54, Frankfurt am Main 1982, S. 249.
Barthes, Die helle Kammer, a.a.O., S. 36.
Ebd., S. 60.
Ebd., S. 37.
Ebd., S. 59.
Ebd., S. 68.
Ebd., S. 51.
Ebd., S. 60.
Ebd., S. 60f.
Ebd., S. 51.
Ebd., S. 65f.
Ebd., S. 65.
Ebd.
Ebd.
Ebd., S. 62.
Immanuel Kant, Kritik der praktischen Vernunft, a.a.O., S. 300.
Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik 1, a.a.O., S. 203f.
Ebd.
Maurice Blanchot, Die Schrift des Desasters, München 2005, S. 147.
Ebd., S. 12.
Ebd., S. 67.
Ebd., S. 176.
Maurice Blanchot, [… absolute Leere des Himmels …], in: Die andere Urszene, hrsg. von M. Coelen und F. Ensslin, Berlin 2008, S. 19.
Adorno, Ästhetische Theorie, a.a.O., S. 82.
Ebd., S. 83
Ebd., S. 84.
Ebd., S. 114.
Ebd., S. 213.
Ebd., S. 216.
Ebd., S. 216.
Theodor W. Adorno, Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben, in: Ders., Gesammelte Schriften, a.a.O., Bd. 4, Frankfurt am Main 1980, S. 87. Hervorhebung von B. Han.
Kant, Kritik der Urteilskraft, a.a.O., S. 234: »Wenn nun auf ähnliche Art für diesen mittleren Mann der mittlere Kopf, für diesen die mittlere Nase u.s.w. gesucht wird, so liegt diese Gestalt der Normalidee des schönen Mannes […].«
Ebd., S. 317.
Ebd., S. 318.
Ebd., S. 312
Eva Illouz, Warum Liebe weh tut. Eine soziologische Erklärung, Berlin 2011, S. 83.
Carl Schmitt, Nomos der Erde, Berlin 1950, S. 13f.
Carl Schmitt, Theorie des Partisanen. Zwischenbemerkung zum Begriff des Politischen, Berlin 1963, S. 87f.
Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik 1, a.a.O., S. 157.
Ebd., S. 201.
G.W.F. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, in: Ders., Werke in zwanzig Bänden, a.a.O., Bd. 7, S. 439.
G.W.F. Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften II, in: Ders., Werke in zwanzig Bänden, a.a.O., Bd. 9, S. 368.
G.W.F. Hegel, Phänomenologie des Geistes, in: Ders., Werke in zwanzig Bänden, a.a.O., Bd. 3, S. 340.
Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik 1, a.a.O., S. 138.
Ebd.
Ebd., S. 156
Ebd., S. 154.
Ebd., S. 60.
Ebd., S. 155.
Ebd., S. 155f.
Ebd., S. 155.
G.W.F. Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften I, in: Ders., Werke in zwanzig Bänden, a.a.O., Bd. 8, S. 12.
Immanuel Kant, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, Akademie-Ausgabe, Bd. 7, S. 201.
Hannah Arendt, Vita activa oder Vom tätigen Leben, München 1981, S. 23.
Platon, Politeia, 358a.
Elaine Scarry, On Beauty and Being Just, Princeton 1999, S. 93.
Ebd., S. 108.
Ebd., S. 111f.
Ebd., S. 114.
Am Rande. Wo sonst, ein ZEIT-Gespräch mit Botho Strauß, ZEIT vom 14.9.2007.
Noch nie einen Menschen von innen gesehen?, FAZ vom 17.5.2010.
Arthur Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung, in Ders., Sämtliche Werke, hrsg. von W. Frhr. von Löhneysen, Frankfurt am Main 1986, Band 1, S. 530.
Michael Theunissen, Negative Theologie der Zeit, Frankfurt am Main 1991, S. 295.
Ebd.
Friedrich Nietzsche, Die fröhliche Wissenschaft, in: Ders., Kritische Gesamtausgabe, Bd. V2, Berlin 1973, S. 122.
Hans-Georg Gadamer, Die Aktualität des Schönen. Kunst als Spiel, Symbol und Fest, Stuttgart 1977, S. 54.
Ebd., S. 60.
Walter Benjamin, Goethes Wahlverwandtschaften, in: Ders., Gesammelte Schriften, I.1, Frankfurt am Main 1991, S. 123–201, hier: S. 178.
Marcel Proust, In Swanns Welt, übersetzt von E. Rechel-Mertens, Frankfurt am Main 1997, S. 63f.
Marcel Proust, Die wiedergefundene Zeit, übersetzt von E. Rechel-Mertens, Frankfurt am Main 1984, S. 279.
Ebd., S. 263.
Ebd., S. 483.
Ebd., S. 289.
Friedrich Nietzsche, Menschliches, Allzumenschliches I, in: Ders., Kritische Gesamtausgabe, Bd. IV2, Berlin 1967, S. 145.
Briefe Martin Heideggers an seine Frau Elfriede 1915–1970, München 2005, S. 264.
Martin Heidegger, Zu Hölderlin. Griechenlandreisen, in: Ders., Gesamtausgabe, Bd. 75, Frankfurt am Main 2000, S. 29.
Martin Heidegger, Vom Wesen der Wahrheit. Zu Platons Höhlengleichnis und Theätet, in: Ders., Gesamtausgabe, Bd. 34, Frankfurt am Main 1997, S. 238.
Martin Heidegger, Der Ursprung des Kunstwerkes, mit einer Einleitung von Hans-Georg Gadamer, Stuttgart 1986, S. 67.
Platon, Symposion, 211b.
Alain Badiou, Lob der Liebe, Wien 2011, S. 43.
Einmal,
da hörte ich ihn,
da wusch er die Welt,
ungesehn, nachtlang,
wirklich.
Eins und Unendlich,
vernichtet,
ichten.
Licht war. Rettung.
Paul Celan
Das Glatte ist die Signatur der Gegenwart. Es verbindet Skulpturen von Jeff Koons, iPhone und Brazilian Waxing miteinander. Warum finden wir heute das Glatte schön? Über die ästhetische Wirkung hinaus spiegelt es einen allgemeinen gesellschaftlichen Imperativ wider. Es verkörpert nämlich die heutige Positivgesellschaft. Das Glatte verletzt nicht. Von ihm geht auch kein Widerstand aus. Es heischt Like. Der glatte Gegenstand tilgt sein Gegen. Jede Negativität wird beseitigt.
Der Ästhetik des Glatten folgt auch das Smartphone. Das Smartphone von LG G Flex ist sogar mit einer selbstheilenden Haut überzogen, die jeden Kratzer, also jede Verletzungsspur nach kürzester Zeit verschwinden lässt. Es ist gleichsam unverletzbar. Seine künstliche Haut hält das Smartphone immer glatt. Es ist außerdem flexibel und biegsam. Es ist leicht nach innen gebogen. So schmiegt es sich perfekt ans Gesicht und Gesäß. Diese Anschmiegsamkeit und Widerstandslosigkeit sind Wesenszüge der Ästhetik des Glatten.
Das Glatte beschränkt sich nicht auf das Äußere des digitalen Apparats. Auch die Kommunikation, die über den digitalen Apparat erfolgt, wirkt geglättet, denn es werden vor allem Gefälligkeiten, ja Positivitäten ausgetauscht. Sharing und Like stellen ein kommunikatives Glättmittel dar. Negativitäten werden eliminiert, weil sie Hindernisse für die beschleunigte Kommunikation darstellen.
Jeff Koons, wohl der erfolgreichste Künstler der Gegenwart, ist ein Meister glatter Oberfläche. Andy Warhol bekannte sich zwar auch zur schönen, glatten Oberfläche, aber seiner Kunst ist noch die Negativität des Todes und des Desasters eingeschrieben. Ihre Oberfläche ist nicht vollständig glatt. Die Serie »Death and Disaster« etwa lebt noch von der Negativität. Bei Jeff Koons gibt es dagegen kein Desaster, keine Verletzung, keine Brüche, keine Risse, auch keine Nähte. Alles fließt in weichen, glatten Übergängen. Alles wirkt abgerundet, abgeschliffen, geglättet. Jeff Koons’ Kunst gilt glatter Oberfläche und ihrer unmittelbaren Wirkung. Sie gibt nichts zu deuten, zu entziffern oder zu denken. Sie ist eine Kunst des Like.