Wie ein Leuchten in tiefer Nacht

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Und für alle Bibliothekarinnen.

20. Dezember 1937

Hört zu: Drei Meilen tief im Wald, direkt unterhalb von Arnott’s Ridge, ist die Stille so kompakt, dass man glaubt, hindurchzuwaten. Nach der Morgendämmerung gibt es kein Vogelgezwitscher mehr, nicht einmal im Hochsommer, und ganz besonders nicht jetzt, wenn die eisige Luft so feucht ist, dass die wenigen Blätter, die sich noch an den Ästen festklammern, schlaff herunterhängen. Auch unter den Eichen und Grannenkiefern rührt sich nichts; die Tiere haben sich tief in den Boden gegraben, schmiegen ihre weichen Pelze in engen Höhlen oder hohlen Baumstämmen aneinander. Der Schnee ist so hoch, dass die Beine des Maultiers bis über die Sprunggelenke darin verschwinden und es alle paar Schritte unsicher wird und misstrauisch schnaubt. Nur das kleine Flüsschen weiter unten strömt munter voran, sein klares Wasser rauscht und schäumt über das steinige Flussbett in Richtung einer Mündung, die kein Mensch hier je gesehen hat.

Margery O’Hare bewegt ihre Zehen in den Stiefeln, aber sie hat schon längst jedes Gefühl darin verloren und zuckt bei dem Gedanken an die Schmerzen zusammen, die sie

Noch vier Meilen, denkt sie und wünscht sich, sie hätte mehr zum Frühstück gegessen. Noch den Steilhang hinauf, über den Goldkieferpfad und durch zwei weitere Geländesenken, dann wird die alte Nancy auftauchen, Kirchenlieder singend, wie sie es immer tut mit ihrer klaren, kräftigen Stimme, die durch den Wald schallt, während sie ihr wie ein Kind die Arme schlenkernd entgegengeht.

«Sie müssen nicht fünf Meilen marschieren, um mich zu treffen», erklärt sie der alten Frau alle vierzehn Tage. «Das ist unsere Aufgabe. Deswegen sitzen wir im Sattel.»

«Oh, ihr Mädchen tut schon genug.»

Sie kennt den wahren Grund. Nancy, ebenso wie ihre ans Bett gefesselte Schwester Phyllis in dem winzigen Blockhaus bei Red Lick, kann nicht einmal den Hauch der Möglichkeit ertragen, dass sie ihren Lesenachschub verpassen könnte. Sie ist vierundsechzig Jahre alt, hat drei gute Zähne und eine Schwäche für gutaussehende Cowboys. «Bei diesem Mack Maguire kriege ich das Flattern wie ein frischgewaschenes Laken auf der Wäscheleine.» Sie faltet die Hände und hebt den Blick zum Himmel. «Wie ihn Archer beschreibt, also,

Sie beugt sich verschwörerisch vor. «Es ist nicht nur das Pferd, das ich gern reiten würde. Mein Mann hat immer gesagt, ich hätte richtig gut im Sattel gesessen, als ich jung war!»

«Das kann ich mir sehr gut vorstellen, Nancy», gibt Margery jedes Mal zurück, und die alte Frau lacht schallend auf und klopft sich auf die Schenkel, als hätte sie es zum ersten Mal gesagt.

Ein Zweig knackt, und Charleys Ohren zucken. Mit diesen Riesenohren kann er wahrscheinlich bis halb nach Louisville hören. «Hier lang, Junge», sagt sie und führt ihn von einer Felsnase weg. «In einer Minute hörst du sie.»

«Wo soll’s denn hingehen?»

Margerys Kopf fährt herum.

Er schwankt leicht, aber sein Blick ist fest und direkt. Der Hahn seines Gewehrs ist gespannt, das sieht sie, und er trägt es wie ein Schwachkopf mit dem Finger am Abzug. «Jetzt schaust du mich an, was, Margery?»

Sie beherrscht ihre Stimme, während sie fieberhaft nachdenkt.

«Ich sehe Sie genau, Clem McCullough.»

«Ich sehe Sie genau, Clem McCullough.» Speichel sprüht, während er ihre Worte wiederholt wie ein gehässiges Kind auf dem Schulhof. Sein Haar steht auf der einen Kopfseite ab, als wäre er gerade aufgestanden. «Du siehst auf mich herab. Du siehst mich an wie Dreck an deinem Schuh. Als wärst du was Besonderes.»

Sie war noch nie der ängstliche Typ, aber sie kennt diese Männer aus den Bergen gut genug, um keinen Streit mit einem Betrunkenen anzufangen. Ganz besonders, wenn er ein geladenes Gewehr dabeihat.

«Jeder Streit, den Ihre Familie mit meinem Daddy hatte, ist mit ihm begraben worden. Ich bin die Einzige, die noch übrig ist, und ich habe kein Interesse an Blutfehden.»

McCullough hat sich jetzt mitten auf dem Weg aufgebaut, steht breitbeinig im Schnee, den Finger immer noch am Abzug. Seine Haut weist die unregelmäßige, violette Schattierung derjenigen auf, die zu betrunken sind, um mitzubekommen, wie sehr sie frieren. Vermutlich auch zu betrunken, um ordentlich zu zielen, aber darauf will sie es nicht ankommen lassen. Sie verlagert ihr Gewicht, lässt das Muli langsamer gehen, und wirft einen Blick zur Seite. Die Böschung des schmalen Flussbetts ist zu steil und zu dicht mit Bäumen bewachsen, um auszuscheren. Sie würde McCullough entweder dazu bringen müssen, zur Seite zu treten, oder ihn niederreiten, und die Versuchung, Letzteres zu tun, ist sehr verlockend.

Die Ohren des Mulis zucken nach hinten. In der Stille kann sie ihren eigenen Herzschlag als beharrliches Pochen in ihren Ohren wahrnehmen. Ihr geht der Gedanke durch den Kopf, dass sie ihn noch nie so laut gehört hat.

«Ich mache nur meine Arbeit, Mr. McCullough. Ich wäre Ihnen verbunden, wenn Sie mich vorbeilassen würden.»

Er runzelt die Stirn, hört die latente Beleidigung in ihrem allzu höflichen Gebrauch seines Namens, und als er sein Gewehr hebt, erkennt sie ihren Fehler.

«Deine Arbeit … Du hältst dich wirklich für was Besseres, he? Weißt du, was du nötig hast?»

Er spuckt geräuschvoll aus, wartet auf ihre Antwort.

«Schätze, unsere Ansichten darüber, was das sein könnte, liegen meilenweit auseinander.»

«Du hast wirklich auf alles eine Antwort parat, was? Denkst du, wir wissen nicht, was ihr macht? Denkst du, wir wissen nicht, was du unter anständigen, gottesfürchtigen Frauen verbreitet hast? Wir wissen, was du im Schilde führst. Du hast den Teufel im Leib, Margery O’Hare, und es gibt nur eine Art, einem Mädchen wie dir den Teufel auszutreiben.»

«Tja, also ich würde wirklich gern herausfinden, was das ist, aber ich muss meine Runde machen, also können wir das vielleicht irgendwann anders –»

«Halt die Klappe!»

McCullough zielt mit dem Gewehr auf sie. «Halt deine verdammte Klappe!»

Sie presst die Lippen zusammen.

Er kommt mit wiegenden, breitbeinigen Schritten näher. «Runter von dem Muli.»

Charley bewegt sich unruhig. Eine Faust scheint ihr Herz zusammenzudrücken. Wenn sie umdreht und flieht, wird er sie erschießen. Der einzige Weg hier führt durch das Flussbett; der karge Waldboden besteht hauptsächlich aus Flintstein, der Baumbestand ist zu dicht, um schnell davonkommen zu können. Im Umkreis mehrerer Meilen befindet sich kein anderer Mensch, wird ihr bewusst, niemand, bis auf die alte Nancy, die langsam die Bergkuppe überquert.

Sie ist auf sich allein gestellt, und sie weiß es.

Er senkt die Stimme. «Ich hab gesagt runter von dem Muli, sofort.» Er kommt näher. Seine Schritte knirschen im Schnee.

Und das ist die bittere Wahrheit, die für sie und alle anderen Frauen in dieser Gegend gilt: Es spielt keine Rolle, wie gescheit du bist, wie klug, wie selbständig – du kannst immer

Und dann hört sie es. Nancys Stimme in der Ferne.

Oh, wie verwirken wir oftmals den Frieden!

Oh, wie bringen wir nutzlosen Schmerz hervor …

Er hebt den Kopf. Sie hört ein Nein!, und irgendein entfernter Teil ihres Bewusstseins erkennt überrascht, dass es aus ihrem eigenen Mund gekommen ist. Seine Finger grabschen nach ihr, ziehen an ihr. Er bringt sie aus dem Gleichgewicht, und unter seinem entschlossenen Zupacken, seinem heißen Atem hat sie das Gefühl, als würde sich ihre Zukunft in etwas Schwarzes und Grässliches verwandeln. Doch die Kälte hat ihn schwerfällig werden lassen, er fummelt wieder nach seinem Gewehr, dreht ihr den Rücken zu, und in diesem Moment erkennt sie ihre Gelegenheit. Sie greift mit der linken Hand hinter sich in die Satteltasche, und als er den Kopf umdreht, lässt sie den Zügel los, packt die andere Ecke des schweren Buchs mit der rechten Hand und knallt es ihm mit aller Kraft ins Gesicht. Ein Schuss löst sich aus seinem Gewehr, ein plastisches Krachen, das von den Bäumen

Und dann flüchtet sie durch das Flussbett, keuchend und mit jagendem Herzschlag darauf vertrauend, dass das Muli sicheren Tritt in dem spritzenden, eisigen Wasser findet. Sie wagt keinen Blick über die Schulter, um festzustellen, ob McCullough wieder auf die Füße gekommen ist und sie verfolgt.

Drei Monate zuvor

Es war, da stimmten alle überein, während sie sich vor den Läden Luft zufächelten oder sich im Schatten der Eukalyptusbäume hielten, ungewöhnlich heiß für September. In der Gemeindehalle von Baileyville hingen die Gerüche von Seifenlauge und schalem Parfüm, dicht gedrängt saßen die Menschen in guten Popelinkleidern und Sommeranzügen. Die Hitze hatte sogar die Wände durchdrungen, sodass das Holz knarrte und seufzte. Alice ging dicht hinter Bennett, der sich zwischen zwei eng besetzten Stuhlreihen durchschob und sich ständig entschuldigte, weil alle mit kaum verhohlenem Stöhnen aufstehen mussten. Sie hätte schwören können, dass die Körperwärme jedes Einzelnen ihre eigene durchdrang, während die Leute sich zurückbeugten, um sie vorbeizulassen.

Entschuldigung. Entschuldigen Sie bitte.

Endlich kam Bennett zu zwei leeren Plätzen, und Alice, deren Wangen vor Verlegenheit brannten, setzte sich und ignorierte die Seitenblicke der Leute. Bennett senkte den Blick auf seinen Jackenaufschlag, strich einen nichtexistenten Fussel weg, und dann fiel ihm auf, welchen Rock sie trug.

«Du hast gesagt, wir sind spät dran.»

«Das bedeutet aber nicht, dass du in deiner Alltagskleidung kommen solltest.»

Sie hatte versucht, einen Cottage Pie zu machen, um Annie zu ermuntern, auch einmal etwas anderes als Südstaatengerichte auf den Tisch zu bringen. Aber es war ihr nicht gelungen, die Hitze der Herdplatte richtig einzuschätzen, sodass sie von oben bis unten Fettspritzer abbekam, als sie das Fleisch in die Pfanne legte. Und als Bennett hereinkam, weil er nach ihr suchte (sie hatte natürlich nicht mitbekommen, wie die Zeit verging), konnte er beim besten Willen nicht verstehen, warum sie das Kochen nicht einfach der Haushälterin überließ, wenn eine wichtige Versammlung bevorstand.

Alice legte ihre Hand über den größten Fettfleck auf ihrem Rock und beschloss, sie während der nächsten Stunde dort zu lassen. Denn natürlich würde es eine Stunde dauern. Oder zwei. Oder, Gott steh ihr bei, drei. Gottesdienste und Gemeindeversammlungen. Gemeindeversammlungen und Gottesdienste. Manchmal fühlte sich Alice Van Cleve, als würde sie einfach einen öden Zeitvertreib durch einen anderen ersetzen. Noch an diesem Vormittag hatte Pastor McIntosh in der Kirche beinahe zwei Stunden damit verbracht, gegen die Sünder zu Felde zu ziehen, die offenbar in eben diesem Moment mit ihrer Gottlosigkeit im Städtchen überhandnahmen, und nun fächelte er sich Luft zu und erweckte den beunruhigenden Eindruck, zur nächsten Predigt bereit zu sein.

«Zieh deine Schuhe wieder an», murmelte Bennett. «Jemand könnte es bemerken.»

«Es ist doch nur wegen der Hitze», sagte sie. «Meine englischen Füße sind diese Temperaturen nicht gewöhnt.»

Ihr Eheleben, so hatte man ihr gesagt, würde ein Abenteuer werden. Die Reise in ein neues Land! Sie hatte schließlich einen Amerikaner geheiratet. Neue Gerichte! Eine neue Kultur! Neue Erfahrungen! Sie hatte sich vorgestellt, wie sie in New York leben würde mit seinen quirligen Restaurants und überfüllten Bürgersteigen, gekleidet in elegante, zweiteilige Kostüme. Sie würde nach Hause schreiben und mit ihren neuen Erfahrungen prahlen. Oh, Alice Wright? Hat sie nicht diesen umwerfenden Amerikaner geheiratet? Ja, ich habe eine Postkarte von ihr bekommen – sie war in der Metropolitan Opera oder der Carnegie Hall …

Niemand hatte sie darauf vorbereitet, dass so viel oberflächliches Geplauder mit ältlichen Tanten beim Tee dazugehören würde, so viel sinnloses Flicken und Handarbeiten, und, noch schlimmer, so viele todlangweilige Predigten. Endlose Predigten und Versammlungen. Wahrhaftig, diese Männer liebten den Klang ihrer eigenen Stimmen. Sie fühlte sich, als würde sie über Stunden ausgescholten, und zwar vier Mal wöchentlich.

Die Van Cleves hatten unterwegs bei nicht weniger als dreizehn Kirchen angehalten, und die einzige Predigt, die Alice gefallen hatte, war die in Charleston gewesen, wo der Pastor dermaßen lange gesprochen hatte, dass die Gemeinde beschloss, ihn «niederzusingen» – ihn mit Liedern zu überschwemmen, bis er die Botschaft verstand und reichlich

Die Gemeindemitglieder von Baileyville, Kentucky, hatte sie festgestellt, schienen dagegen enttäuschend hingerissen.

«Zieh sie einfach wieder an, Alice. Bitte.»

Sie fing den Blick von Mrs. Schmidt auf, in deren Empfangszimmer sie vor zwei Wochen zum Tee gewesen war, und sah wieder nach vorn in dem Versuch, nicht allzu freundlich auszusehen, für den Fall, dass sie ein zweites Mal eingeladen werden sollte.

«Nun, danke Hank für diese Ratschläge zur Saatgutaufbewahrung. Ich bin sicher, dass Sie uns eine Menge Stoff zum Nachdenken gegeben haben.»

Als Alice in ihren Schuh schlüpfte, fügte der Pastor hinzu: «Oh nein, noch nicht aufstehen, Ladys und Gentlemen. Mrs. Brady bittet noch um einen Moment Ihrer Zeit.»

Alice, die inzwischen wusste, was dieser Satz zu bedeuten hatte, streifte ihre Schuhe wieder ab. Eine kleine Frau mittleren Alters ging nach vorne – ihr Vater hätte sie vermutlich «gut gepolstert» genannt, mit festen, gediegenen Kurven, bei denen man an ein bequemes Sofa denken musste.

«Es geht um die mobile Bücherei», sagte sie, wedelte sich mit einem weißen Fächer Luft zu und rückte ihren Hut zurecht. «Es hat Entwicklungen gegeben, über die ich Sie in Kenntnis setzen möchte.»

«Wir sind uns alle der … hm … verheerenden Konsequenzen der schweren Wirtschaftskrise für dieses großartige Land bewusst. Es musste so viel Aufwand für das bloße

«Sie ist Episkopalistin.»

«Wie bitte?»

«Roosevelt. Sie ist eine Episkopalistin.»

Mrs. Bradys Wange zuckte. «Nun, das wollen wir ihr nicht vorhalten. Sie ist unsere First Lady, und sie hat im Sinn, große Dinge für unser Land zu tun.»

«Sie sollte lieber im Sinn haben, wo ihr Platz ist, und nicht überall Unruhe stiften.» Das war von einem Mann mit Hängebacken und einem hellen Leinenanzug gekommen, der nun auf der Suche nach Zustimmung kopfschüttelnd um sich blickte.

Am anderen Ende der Stuhlreihe beugte sich Peggy Foreman nach vorn, zupfte ihren Rock zurecht und sah in demselben Moment herüber, als Alice sie bemerkte, was es so wirken ließ, als habe Alice sie angestarrt. Peggy runzelte die Stirn und reckte ihre kleine Nase in die Luft, bevor

Alice, du wirst dich hier nicht einleben, wenn du keine Freundschaften schließt, sagte ihr Bennett immer wieder, als könne sie Peggy Foreman und ihr sauertöpfisches Damenkränzchen für sich gewinnen.

«Deine Liebste schleudert wieder ihre bösen Blicke auf mich», murmelte sie.

«Sie ist nicht meine Liebste.»

«Ich habe gedacht, sie war es.»

«Ich habe es dir doch erzählt. Wir waren noch Kinder. Dann habe ich dich kennengelernt, und … nun, das ist alles längst vorbei und vergessen.»

«Ich wünschte, du würdest ihr das auch einmal sagen.»

Er beugte sich zu ihr. «Alice, du hältst dich so sehr zurück, dass die Leute anfangen zu denken, du willst … nichts von ihnen wissen.»

«Ich bin Engländerin, Bennett. Es liegt uns nicht … gastlich zu sein.»

«Ich denke einfach, je mehr du dich beteiligst, umso besser ist es für uns beide. Pa glaubt das auch.»

«Oh, was du nicht sagst, tut er das, ja?»

«Sei nicht so.»

Mrs. Brady warf ihnen einen Blick zu. «Wie ich schon sagte, aufgrund des Erfolges derartiger Bestrebungen in den Nachbarstaaten hat die WPA Mittel freigegeben, damit wir auch hier im Lee County eine mobile Bibliothek aufbauen können.»

Alice unterdrückte ein Gähnen.

 

Aber wenn sie ehrlich zu sich war, musste sich Alice Van Cleve eingestehen, dass ihre Heirat der Höhepunkt einer Serie von Zufällen gewesen war. Begonnen hatte es mit einem zerbrochenen Porzellanhund, als sie und Jenny Fitzwalter im Haus Badminton gespielt hatten (Es hatte geregnet, was hätten sie sonst tun sollen?), sich steigernd mit dem Verlust ihres Platzes an der Sekretärinnenschule wegen dauernden Zuspätkommens und schließlich – bei einem Weihnachtsumtrunk – ihrem offenbar ungehörigen Ausbruch dem Chef ihres Vaters gegenüber. («Aber er hat meinen Hintern getätschelt, als ich mit den Blätterteig-Pastetchen herumgegangen bin!», hatte Alice protestiert. «Sei nicht vulgär, Alice», hatte ihre Mutter erschauernd gesagt.) Diese drei Ereignisse, zusammen mit einem Vorfall, der mit einigen Freunden ihres Bruders Gideon, zu viel Rum und einem ruinierten Teppich zu tun hatte (sie hatte nicht gewusst, dass Alkohol in dem Punsch war!), hatten ihre Eltern dazu gebracht, ihr eine «Phase der Besinnung» nahezulegen, was im Grunde bedeutete, «Alice im Haus zu behalten». Sie hatte die beiden in der Küche reden hören. «Sie war schon immer so. Sie ist wie deine Tante Harriet», hatte ihr Vater herablassend gesagt, worauf ihre Mutter volle zwei Tage nicht mit ihm gesprochen hatte, als sei die Vorstellung, Alice könnte das Produkt ihres genetischen Erbes sein, unglaublich beleidigend.

Und so wurde Alice über den langen Winter, in dem Gideon ständig zu Bällen oder Cocktailempfängen ging und für lange Wochenenden zu Freunden verschwand, nach und

Und so kam es, dass Bennett Van Cleve, als er zwei Monate später plötzlich mit seinem amerikanischen Akzent, seinem markanten Kiefer, seinem blonden Haar und seiner Aura von einer Welt, die eine Million Meilen vom verschlafenen Surrey entfernt war, beim Frühlingsfest der Pfarrei auftauchte, ehrlich gesagt genauso gut der Glöckner von Notre-Dame hätte sein können, und Alice hätte trotzdem gefunden, dass ein Umzug in einen scheppernden Glockenturm eine sehr gute Idee wäre, vielen Dank auch.

Bennett war augenblicklich hingerissen von dieser eleganten jungen Engländerin mit ihren großen Augen und dem welligen blonden Bubikopf, deren klare, akzentuierte Stimme keiner einzigen ähnelte, die er jemals in Lexington gehört hatte, und die, wie sein Vater anmerkte, mit ihren vorzüglichen Umgangsformen und ihrer kultivierten Art, eine Teetasse anzuheben, ebenso gut eine britische Prinzessin hätte sein können. Als Alices Mutter fallen ließ, dass sie durch eine Heirat vor zwei Generationen eine echte

Vater und Sohn befanden sich mit einer Abordnung der Kirche von Ost-Kentucky auf einer Europareise, bei der die Ausübungsformen des Glaubens außerhalb von Amerika studiert werden sollten. Mr. Geoffrey Van Cleve hatte, wie er in Gesprächspausen gern verkündete, zu Ehren seiner seligen Frau Dolores persönlich die Reisekosten für einige der Teilnehmer übernommen. Er mochte ein Geschäftsmann sein, aber das bedeutete nichts, rein gar nichts, wenn man seine Tätigkeit nicht unter die Schirmherrschaft des Herrn stellte. Alice fand, er wirkte ein wenig entsetzt über die doch recht uneifrigen Bekundungen religiösen Eifers in St. Mary’s on the Common – und tatsächlich hatte es der Gemeinde bei Pastor McIntoshs hemmungslosem Gegeifer über das Fegefeuer geradezu den Atem verschlagen. (Die arme Mrs. Arbuthnot hatte durch die Seitentür an die frische Luft geführt werden müssen.) Doch was den Briten an religiösem Eifer fehlte, so stellte Mr. Van Cleve mehr als einmal fest, machten sie durch ihre Kirchen und Kathedralen und all ihre Geschichte wett. Und war das nicht selbst eine spirituelle Erfahrung?

Alice und Bennett waren in der Zwischenzeit mit ihrer eigenen, etwas weniger heiligen Erfahrung beschäftigt. Als sie sich voneinander verabschieden mussten, taten sie es mit fest ineinander verschlungenen Händen und leidenschaftlichen Beteuerungen ihrer gegenseitigen Zuneigung, die Art von leidenschaftlicher Zuneigung, die durch die Aussicht auf baldige Trennung noch gesteigert wird. Sie schrieben sich Briefe während seines Aufenthalts in Reims, dann wieder,

«Wirklich, du bist einfach perfekt», versicherte ihr Bennett, der mit Daumen und Zeigefinger ihr zartes Handgelenk umschloss, als sie auf der Bank im Garten ihrer Eltern saßen und aus dem Bibliotheksfenster nachsichtig von ihren Vätern beobachtet wurden, die beide im Stillen und aus jeweils anderen Gründen über diese Partie erleichtert waren. «Du bist so grazil und erlesen. Wie ein Vollblut.» Er zog die Worte mit seiner amerikanischen Aussprache in die Länge.

«Und du siehst lächerlich gut aus. Wie ein Filmstar.»

«Mutter hätte dich geliebt.» Er strich ihr mit dem Zeigefinger über die Wange. «Du bist wie ein Porzellanpüppchen.»

Mittlerweile war Alice ziemlich sicher, dass er sie nicht mehr als Porzellanpüppchen betrachtete. Sie hatten schnell geheiratet, die Hast dadurch erklärt, dass sich Mr. Van Cleve wieder um seine Geschäfte kümmern musste. Es kam Alice vor, als hätte sich alles ins Gegenteil verkehrt; sie war so glücklich und aus dem Häuschen, wie sie während des Winters niedergeschlagen gewesen war. Alices Mutter packte ihre Koffer mit derselben unpassenden Begeisterung, mit der

Bennetts und Alices Hochzeitsreise bestand aus einer fünftägigen Schiffspassage zurück in die Vereinigten Staaten und dann weiter über Land von New York nach Kentucky (sie hatte den Eintrag dazu im Lexikon nachgelesen und war sehr angetan von all den Pferderennen. Es klang nach einem immerwährenden Pferdederby). Sie kreischte vor Begeisterung bei jedem Anblick: Bennetts riesiges Auto, die Größe des enormen Ozeandampfers, die Ohrringe mit Diamantanhängern, die ihr Bennett bei einem Juwelier in der Londoner Burlington Arcade kaufte. Falls sie ein wenig enttäuscht war, weil sie während der gesamten Reise von Mr. Van Cleve begleitet wurden, so zeigte sie es nicht. Es wäre schließlich sehr unhöflich gewesen, den älteren Mann allein zu lassen, und sie war zu überwältigt von dem Gedanken, aus Surrey fortzukommen, mit seinen stillen sonntäglichen Salons und dem ständigen Gefühl von Missbilligung.

Auf dem Dampfer von Southampton nach New York konnten sie und Bennett wenigstens in den Stunden nach dem Abendessen auf den Decks umherschlendern, während sein Vater über seinen Geschäftspapieren saß oder mit den Herren am Tisch des Kapitäns plauderte. Dann zog Bennett

«Das ist nicht gerade das Brautgewand, das ich mir vorgestellt habe», flüsterte sie in Unterhemd und Pyjamahose. Mit weniger bekleidet fühlte sie sich nicht wohl, nachdem Mr. Van Cleve senior einmal nachts im Halbschlaf den Vorhang ihrer Doppelkoje mit der Badezimmertür verwechselt hatte.

Bennett küsste sie auf die Stirn. «Es wäre ohnehin irgendwie nicht richtig, wenn Vater so dicht daneben ist», flüsterte er. Er legte ein längliches Kissen zwischen sie («Sonst kann ich mich vielleicht nicht beherrschen»), und sie lagen nebeneinander, keusch im Dunkeln Händchen haltend, und atmeten hörbar, als das riesige Schiff unter ihnen vibrierte.

Im Rückblick erschien ihr die lange Reise erfüllt von unterdrücktem Verlangen, verstohlenen Küssen hinter Rettungsbooten und überbordenden Phantasien, während sich unter ihr die See hob und senkte. «Du bist so hübsch. Es wird alles anders, wenn wir erst zu Hause sind», murmelte er ihr ins Ohr, und sie betrachtete seine schönen Gesichtszüge und vergrub ihr Gesicht an seinem wohlriechenden Hals und fragte sich, wie lange sie das noch ertragen konnte.

Und dann, nach der endlosen Reise und den Unterbrechungen mit diesem Kirchenvertreter und diesem Pastor auf dem ganzen Weg von New York nach Kentucky, hatte ihr Bennett verkündet, dass sie nicht etwa in Lexington wohnen würden, wie sie angenommen hatte, sondern in einer

 

Mit zusammengebissenen Zähnen, genau wie sie das Internat und den Pony Club durchgestanden hatte, versuchte Alice sich auf das Leben in dieser Kleinstadt einzustellen. Es war ein erheblicher Kulturwandel. Sie konnte, wenn sie sich anstrengte, eine gewisse schroffe Schönheit in der Landschaft mit ihrem weiten Himmel, ihren menschenleeren Straßen und dem wandernden Licht erkennen, in diesen Bergen, zwischen deren Abertausenden von Bäumen wilde Bären herumstrichen und über deren Gipfel Adler flogen. Sie war überwältigt von den Ausmaßen, die hier alles hatte, den riesigen Entfernungen, die ihr ständig präsent schienen, so als müsse sie ihre ganze Wahrnehmung neu ausrichten.

Das Leben in dem großen, weißen Haus empfand sie als erdrückend, auch wenn ihr die meisten Haushaltspflichten von Annie, der nahezu stummen Haushälterin, abgenommen wurden. Das Haus war vollgestellt mit antiken Möbeln, und überall standen Fotos von der verstorbenen Mrs. Van Cleve oder Nippes oder Puppen, und von jedem Gegenstand merkten beide Männer an, er sei «Mutters Lieblingsstück» gewesen, sobald Alice versuchte, ihn auch nur einen Zentimeter zu verrücken. Mrs. Van Cleves anspruchsvoller, frommer Einfluss hing über dem Haus wie ein Leichentuch.

Mutter hätte die Kissen nicht so angeordnet, nicht wahr, Bennett? Oh nein, Mutter hatte sehr entschiedene Ansichten, was die Polstermöbel angeht.

Mutter liebte ihren bestickten Psaltereinband. Und hat nicht sogar Pastor McIntosh gesagt, dass er in ganz Kentucky keine Frau kennt, die einen säuberlicheren Kantelstich zustande bringt?

Alice fand Mr. Van Cleves ständige Gegenwart anmaßend; er entschied, was sie taten, was sie aßen, sogar, wie sie ihren Tag verbrachten. Er konnte es nicht ertragen, an irgendetwas nicht beteiligt zu sein. Selbst wenn sie nur mit Bennett in ihrem Zimmer Grammophon hörte, platzte er herein, ohne anzuklopfen. «Spielen wir ein bisschen Musik? Oh, du solltest Bill Monroe auflegen. Der alte Bill ist unschlagbar. Los, Junge, nimm dieses Gedudel runter und leg den alten Bill auf.»

Wenn er ein oder zwei Gläser Bourbon getrunken hatte, kamen solche Äußerungen entschlossen, schnell und nachdrücklich, und Annie suchte nach Entschuldigungen, um sich in die Küche zurückzuziehen, bevor er begann, sich aufzuregen und am Abendessen herumzumeckern. «Er trauert

Bennett vertrat niemals eine andere Meinung als sein Vater, wie Alice schnell feststellte. Bei den wenigen Gelegenheiten, bei denen sie sich selbst geäußert und in aller Unschuld angemerkt hatte, dass Schweinekotelett eigentlich noch nie ihr Lieblingsgericht gewesen war – oder dass sie Jazzmusik richtig mitreißend fand –, ließen die beiden Männer ihre Gabeln fallen und starrten sie mit einer so entsetzten Missbilligung an, als hätte sie sämtliche Kleider abgeworfen und auf dem Esstisch ein Freudentänzchen aufgeführt. «Warum musst du so eigenwillig sein, Alice?», flüsterte ihr Bennett zu, als sein Vater den Tisch verließ, um Annie mit erhobener Stimme Anweisungen zu geben. Sie verstand bald, dass es besser war, überhaupt keine Meinung zu äußern.

Außer Haus war es ein wenig besser. Die Leute aus Baileyville betrachteten sie mit demselben abschätzenden Blick, mit dem sie alles «Fremde» bedachten. Die meisten Einwohner waren Farmer, sie schienen ihr Leben lang nicht über ein paar Meilen im Umkreis hinauszukommen und wussten alles übereinander. Oben beim Bergbau gab es anscheinend Leute von außerhalb, Hoffman Mining beherbergte etwa fünfhundert Familien von Minenarbeitern aus aller Welt, die von Mr. Van Cleve beaufsichtigt wurden. Doch weil die meisten der Minenarbeiter in den Häusern wohnten, die von der Bergbaugesellschaft zur Verfügung gestellt wurden, ebenso wie sie in den betriebseigenen Laden, die betriebseigene Schule und die betriebseigene Arztpraxis gingen, und weil sie zu arm waren, um Autos oder Pferde zu besitzen, kam nur selten einmal jemand von ihnen nach Baileyville.

Die meisten Familien hatten einen Obst- und Gemüsegarten, ebenso wie ein oder zwei Schweine und eine Schar Hühner. Es gab einen einzigen Gemischtwarenladen, neben dessen Tür riesige Säcke mit Mehl und Zucker standen, während sich auf den Regalen Konservendosen drängten. Und es gab ein Restaurant: das Nice ’N’ Quick mit seiner grünen Eingangstür, der strengen Belehrung Gäste müssen Schuhe tragen und Speisen, von denen Alice noch nie gehört hatte, wie gegrillte grüne Tomaten und Blattkohl. Außerdem gab es etwas, das sie Biscuits nannten, was in Wirklichkeit aber eine Kreuzung zwischen einem Dumpling und einem Scone war. Alice versuchte einmal, sie selbst zu machen, aber sie kamen nicht weich und luftig aus dem launischen Ofen wie die von Annie, sondern hart genug, um zu klappern, wenn man sie auf einen Teller fallen ließ (Alice schwor, dass Annie die Biscuits verhext hatte).

Sie war bei mehreren Damen zum Tee eingeladen worden und hatte versucht, Konversation zu betreiben. Doch wie sie feststellte, hatte sie kaum etwas zu sagen, war ein hoffnungsloser Fall bei der Herstellung von Quiltdecken, was

Irgendwann kam es ihr einfacher vor, sich nur auf das Bett in ihrem und Bennetts Zimmer zu setzen und die wenigen Zeitschriften noch einmal zu lesen, die sie aus England mitgebracht hatte, oder Gideon den nächsten Brief zu schreiben und sich darin nicht anmerken zu lassen, wie unglücklich sie war.

Sie hatte, wie ihr zunehmend bewusst wurde, nur ein häusliches Gefängnis gegen ein anderes getauscht. An manchen Tagen konnte sie die Aussicht kaum ertragen, abends Bennetts Vater in seinem knarrenden Schaukelstuhl auf der Veranda in der Bibel lesen zu sehen («Gottes Wort sollte alle geistige Anregung sein, die wir brauchen, hat das nicht Mutter immer gesagt?»), während sie danebensaß, den Geruch der ölgetränkten Lappen einatmete, die sie verbrannten, um die Moskitos abzuwehren, und die abgewetzten Stellen in seiner Kleidung flickte («Gott hasst Verschwendung – diese Hose ist erst vier Jahre alt, Alice. Die hält noch lange»).

Alice murmelte tonlos, dass Gott, wenn er in beinahe vollständiger Dunkelheit die Hosen von jemand anderem flicken müsste, sich vermutlich ein neues Paar in Arthur J. Harmon’s Gentleman’s Store in Lexington kaufen würde. Doch dann lächelte sie nur und spähte noch angestrengter auf ihre Stopfarbeit. Bennett dagegen trug mittlerweile häufig die Miene eines Mannes zur Schau, der sich hatte übertölpeln lassen und nicht darauf kam, wie und was da vor sich gegangen war.

 

«Und was zum Teufel ist überhaupt eine mobile Bibliothek?»

«In Mississippi haben sie eine, für die sie Boote verwenden», rief eine Stimme weiter hinten im Saal.

«Mit Booten kommst du aber nicht unsere Flüsschen rauf. Sind zu seicht.»

«Ich denke, es wird mit Pferden geplant», sagte Mrs. Brady.

«Sie wollen Pferde den Fluss rauf und runter bringen? Das sind doch Spinnereien.»

Die erste Bücherlieferung war aus Chicago angekommen, fuhr Mrs. Brady fort, und weitere waren auf dem Weg. Es würde eine große Auswahl an Erzählungen geben, von Mark Twain bis Shakespeare, dazu Ratgeber mit Rezepten, Tipps zu Haushalt und Kindererziehung. Sogar Comics würde es geben – eine Enthüllung, bei der einige der Kinder begeistert loskreischten. Alice warf einen Blick auf ihre Armbanduhr und fragte sich, wann sie ihr Wassereis bekommen würde. Das einzig Gute an diesen Versammlungen war, dass sie nicht den ganzen Abend zu Hause hocken musste. Sie fürchtete sich jetzt schon vor dem Winter, wenn es noch schwieriger würde, einen Grund zum Ausgehen zu finden.

«Welcher Mann soll denn Zeit für solche Ritte haben? Wir müssen arbeiten, statt Privatbesuche mit der letzten Ausgabe des Ladies’ Home Journal zu machen.» Gelächter hallte durch den Raum.

«Tom Faraday sieht sich allerdings gern die Damen-Unterwäsche im Sears-Katalog an. Ich hab gehört, dass er damit Stunden im Klohäuschen verbringt!»

«Mr. Porteous!»

Darauf folgte eine kurze Stille.

Alice drehte sich um. Eine Frau in einer dunkelblauen Baumwolljacke mit aufgerollten Ärmeln lehnte hinten an der Eingangstür. Sie trug lederne Reithosen, und ihre Stiefel waren nicht gewichst. Sie war wohl Ende dreißig oder Anfang vierzig, gutaussehend, und ihr langes dunkles Haar war zu einem unordentlichen Knoten hochgesteckt.

«Die Ritte werden von Frauen übernommen. Sie liefern die Bücher aus.»

«Frauen?»

«Allein?»

Einen Moment lang kam Unruhe auf. Gebannt sah Alice die Frau an.

Mrs. Brady winkte die Frau in den Reithosen nach vorn.

«Oh, allerdings, die O’Hares kennen wir.»

Er setzte sich wieder.

«Wir haben ein großes County zu versorgen», ergänzte Mrs. Brady. «Das können wir mit zwei Leuten nicht schaffen.»

«Also, es würden Ritte zu einigen der abgelegeneren Siedler in unserem County dazugehören, und die Versorgung mit Lesestoff für diejenigen, die keine Möglichkeit haben, selbst zur County-Bibliothek zu kommen, weil sie krank oder gebrechlich sind oder kein Transportmittel haben.»

«Du hast doch nur Angst, dass sie nicht zurückkommt, Henry Porteous.»

Darauf folgte Gelächter.

WPA

«Ich würde mich freiwillig melden, aber wie viele von Ihnen wissen, habe ich ein schweres Hüftleiden. Doktor Garnett hat mich gewarnt, dass so lange Ritte eine zu große körperliche Herausforderung für mich wären. Idealerweise suchen wir unter unseren jüngeren Damen nach Freiwilligen.»

«Mr. Simmonds, wenn Sie nicht erkennen, was für ein

«Es sind Bücher, Mr. Simmonds. Die gleichen, mit denen Sie als Junge gelernt haben. Allerdings glaube ich mich zu erinnern, dass Sie mehr darauf aus waren, die Mädchen an den Zöpfen zu ziehen, als zu lesen.»

Niemand stand auf. Eine Frau sah ihren Mann an, doch er schüttelte nur kurz den Kopf.

bezahlte

«Ich kann nicht», sagte eine Frau mit extravagant aufgestecktem rotem Haar. «Nicht mit vier Kindern unter fünf Jahren.»

Mrs. Brady klang zunehmend verzweifelt. «Ein Monat Probezeit. Kommen Sie, meine Damen. Ich kann doch nicht zu Mrs. Nofcier zurückgehen und ihr erklären, dass sich in Baileyville keine einzige Freiwillige gemeldet hat. Was soll sie dann bloß von uns denken?»

Niemand sagte etwas. Das Schweigen zog sich in die Länge. Links von Alice flog eine träge Biene ans Fensterglas. Die Leute begannen, auf ihren Plätzen herumzurutschen.

Anscheinend zogen plötzlich sehr viele Schuhpaare höchste Aufmerksamkeit auf sich.

Eine junge Frau, klein und sehr rundlich, schlug entsetzt die Hand vor den Mund. Alice sah den Protestruf mehr, als dass sie ihn hörte. «Mutter!»

Schweigen.

«Ich mache es», sagte Alice in die Stille.

«Ja, das bin ich. Alice.»

Alice beugte sich vor. «Mein Mann hat mir oft erklärt, wie wichtig ihm der Einsatz für das Gemeinwohl ist, genauso wie früher seiner lieben Mutter, und daher stelle ich mich sehr

«Ja, du kennst dich nicht aus, Liebling», zischte Bennett. Er wirkte unruhig und warf einen Blick auf seinen Vater.

«Alice, ich …», flüsterte Bennett.

«Seit ich vier Jahre alt war.»

«Das ist ein Anfang.»

«Also, ich glaube nicht, dass das eine kluge Idee ist», sagte George Simmonds. «Und genau das werde ich morgen an Governor Hatch schreiben. Ich glaube, junge Frauen allein loszuschicken, bedeutet, dem Unheil Tür und Tor zu öffnen. Und ich sehe in diesem schlecht durchdachten Einfall nur die Ermunterung zu unchristlichen Gedanken und ungebührlichem Benehmen, First Lady oder nicht. Einen guten Tag, Mrs. Brady.»

Schleppend begann sich die Versammlung aufzulösen.

Bennett sah ihr nach. «Mrs. Van Cleve, ich weiß wirklich nicht, was du dir dabei eigentlich denkst.»