Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg bei Reinbek, April 2019
Copyright © 2019 by Rowohlt Verlag GmbH, Hamburg bei Reinbek, April
Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der Genehmigung des Verlages
Redaktion Regina Carstensen und Ulrike Gallwitz
Umschlaggestaltung zero-media.net, München
Umschlagabbildung Andreas Brunke
Schrift DejaVu Copyright © 2003 by Bitstream, Inc. All Rights Reserved.
Bitstream Vera is a trademark of Bitstream, Inc.
Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen
ISBN Printausgabe 978-3-499-63458-1 (1. Auflage 2019)
ISBN E-Book 978-3-644-40667-4
www.rowohlt.de
Hinweis: Alle angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die Printausgabe.
ISBN 978-3-644-40667-4
Dass Tiere miteinander kommunizieren und wir Menschen langsam verstehen, was sie sich untereinander zu sagen haben, ist kein großes Geheimnis mehr. Wir erleben Tiere mal laut und mal leise, mal schnatterhaft gesprächig und dann wieder maulfaul, so gar nicht redselig. Da wird gesäuselt, vor Feinden gewarnt, einfach aus Wohlgefühl gegrunzt. Aber machen Pflanzen das auch? Frage ich das bei Vorträgen oder bei meinen Hausbesuchen als Pflanzenarzt, ernte ich meist Schulterzucken, gerade noch weiß man, dass die Pflanzen den Sauerstoff produzieren, den wir zum Atmen brauchen, dass sie am Anfang unserer Nahrungskette stehen, sie als fossiler Brennstoff eine wertvolle Energiereserve sind und dass sie die wunderbare Eigenschaft haben, heilen zu können – sei es als Rohstoff für Heilmittel oder in Form eines langen, seelenberuhigenden und immunstärkenden Waldspaziergangs.
Während man gelernt hat, Tiere für sich zu beobachten und ihnen ein Leben mit eigenen Emotionen zuzugestehen, ist man bei Pflanzen noch weit davon entfernt. Bis heute kennen wir Pflanzen nicht wirklich. Erst seit wenigen Jahren wissen wir, dass sie über ihre Wurzeln kommunizieren können, vor Fressfeinden warnen, bei Schädlingsbefall bestimmte Insekten zu Hilfe rufen, über Duftstoffe, also chemische Signale, aber auch über elektrische Impulse – Pflanzen können in Wurzeln wie Delfine Klicklaute produzieren – die unterschiedlichsten Signale und Botschaften aussenden und austauschen. Und zwar nicht nur einfache Informationen, sondern höchst komplexe. Pflanzen sind nämlich ganz schön clever.
Sie können sogar Umweltveränderungen wahrnehmen und darauf reagieren. Was auch notwendig ist, denn in den letzten Jahren waren sie hierzulande heftigen Witterungsschwankungen ausgesetzt. Einige Sommer hintereinander regnete es zum Beispiel Bindfäden, die Pflanzen mussten mit den Wassermassen regelrecht kämpfen – und manchmal verloren sie auch den Kampf. Mit viel Mühe hatte ich im Frühjahr 2017 in meinem Garten Kartoffelpflanzen angelegt, die Ernte konnte ich aber leider vergessen, sie ging im wahrsten Sinn des Wortes baden. Mein Wurzelgemüse verfaulte, Pilzkrankheiten breiteten sich aus.
Dann kam der Sommer 2018, so heiß und trocken wie seit langem nicht mehr. Die Pflanzen litten unter großem Durst, viele Rasen wiesen eine Kokosoptik auf, selbst die robuste Goldrute machte leicht schlapp. Zugleich steuerte die Natur dagegen. Die Rosen blühten gefühlt so prachtvoll wie nie, der gefürchtete Pilz des Buchsbaumtriebsterbens (Cylindrocladium buxicola) hatte in diesem Sommer keine Chance, auch andere Pilzkrankheiten wurden von Mutter Natur in die Schranken gewiesen. Und an den Obstbäumen sah man vielerorts mehr Birnen, Äpfel, Kirschen und Pflaumen als Blätter. Ein Hinweis dafür, dass viele Insekten sich reichlich vermehren und die Obstblüten bestäuben konnten. Es bedeutete aber auch, dass die Vögel genügend Futter hatten, um ihre Brut über die Runden zu bringen. Die Natur sorgt irgendwie immer für einen Ausgleich. Man kann sich also auch ein wenig entspannen, das Wetter ist für Pflanzen nicht das größte Problem.
Selbst harte und kalte Winter (die oft auf heiße und trockene Sommer folgen) können ihnen nur bedingt etwas antun, wobei dennoch die eine oder andere Pflanze erfrieren wird. Aber auch dem einen oder anderen eingewanderten, nervtötenden Plagegeist (in Fachkreisen werden diese Schädlinge auch invasive Arten genannt) können starke Minusgrade den Garaus machen. In den vergangenen Jahren waren unsere Winter aber eher mild – und nicht minder nass als die vorherigen Sommer. Die Vegetationszeit, also der Zeitraum, in dem sich Pflanzen entwickeln können, hat sich dadurch verlängert. Erste Fröste sind inzwischen erst im Januar zu erwarten und nicht wie früher Mitte bis Ende Oktober.
Sie als Gärtner – ganz gleich, ob Sie nur Ihren Balkon bepflanzen, eine Terrasse, ein Stück Erde groß wie ein Handtuch oder ein Fußballfeld – muss das nicht beunruhigen. Werfen Sie also nicht gleich die Flinte ins Korn, es gibt für Sie kein schlechtes Wetter. Gartenpflanzen, die über Jahre ihren angestammten Standort haben und zudem noch heimisch sind, mithin ihren Ursprung in Europa haben, werden Ihnen kaum Schwierigkeiten bereiten. Es kann sein, dass durch veränderte klimatische Bedingungen eine Art überhandnimmt und sich rasch vermehrt, aber wenn Sie selbst nicht eingreifen, werden Sie beobachten können, wie die Natur einen Weg findet, um dem entgegenzuwirken. Ob Pflanze oder Tier, da macht sie keine Ausnahme.
In Braunschweig zum Beispiel gab es vor ein paar Jahren eine Kaninchenplage. Wer irgendetwas anpflanzen wollte, musste die Flächen kaninchensicher einzäunen. Ganze Häuser wurden unterwühlt, und so mancher Kleingärtner wurde zum Raubtier, obwohl Kaninchen ja putzige Tiere sind. Doch in Massen wurden sie zu Fressmaschinen und futterten ganze Kleingärtnerkolonien leer. Bis eines Tages immer weniger Tiere auf Wiesen und in Gärten gesehen wurden, stattdessen sichtete man vermehrt verendete Kaninchen. Ursache war die Myxomatose (Kaninchenpest), eine Virusinfektion, die durch Insekten übertragen wird. Die Krankheit sorgte dafür, dass die Kaninchenbestände radikal zurückgingen. So kann Selbstregulierung aussehen.
Die Oker ist ein kleiner Fluss, 128,3 Kilometer lang, ein linker Nebenfluss der Aller in Niedersachsen, und aus den Höhenlagen des Harzes fließt sie auch durch meine Heimat Börßum. Hier lassen sich tolle Kanufahrten veranstalten, doch nicht ohne Folge: Neophyten sind auch hier mittlerweile in großem Ausmaß zu finden. Das sind Pflanzen, die in dieser geographischen Region nicht heimisch sind und in jüngster Zeit eingeschleppt wurden, wobei sie die an der Oker etablierten Arten verdrängen. Erwähnen möchte ich dabei das Drüsige Springkraut (Impatiens glandulifera), auch als Indisches Springkraut bezeichnet. Ursprünglich ist diese Art als Zierpflanze von Indien nach Europa gewandert. In kürzester Zeit kann sie Wuchshöhen von über 2 Metern erreichen und überdeckt so andere heimische Pflanzen. Dafür braucht sie eine ausreichende Wasserversorgung, die sie an der Oker bekommt. Die Ausbreitung erfolgt zum Beispiel durch abgerissene Pflanzenteile, die durch das Wasser verteilt werden. Oder durch Samen, die am Gefieder oder Fell von Tieren kleben bleiben und so neue Ausbreitungsmöglichkeiten finden. Auch hier wird die Natur früher oder später eingreifen, denn Monokultur ist in der Natur nicht vorgesehen. Artenvielfalt ist ihr angesagtes Programm.
Stirbt von vielen Arten eine aus, was im Laufe der Evolution immer wieder vorkommt, ist das normal. Aber damit das Aussterben nicht wahllos um sich greift, lautet die Devise bei Pflanzen: Überleben! Unbedingt überleben! Selbst bei massiven Schädigungen! Und damit das gewährleistet wird, haben Pflanzen, die seit über 400 Millionen Jahren unseren Planeten besiedeln, eine Menge Strategien entwickelt. Zu den Tricks, die sie auf Lager haben, gehört ihre ureigene Kommunikationsform. Sie müssen auch einiges in petto haben, um an die begehrten Nährstoffe im Boden zu gelangen, bevor ein Rivale sich diese schnappt. Knallhart wird da vorgegangen, damit die Art unter allen Umständen erhalten bleibt. Pflanzen müssen sich auch unentwegt schützen, insbesondere vor allen möglichen Fressfeinden, die mikroskopisch klein wie die Spinnmilbe sein können (sie saugen das Blattgrün aus einer Pflanze) oder riesengroß wie die Giraffe, die das komplette Blattwerk eines Baumes vertilgen kann. Nicht zu vergessen diese vermaledeiten Pilze, die ganze Blätter der befallenen Pflanzen abdecken und so das wichtige Licht nicht durchlassen. Mit der Folge, dass die lebensnotwendige Fotosynthese nicht stattfinden kann. Pilze haben auch die unangenehme Eigenschaft, Leitungsbahnen zu verstopfen, sodass Nährstoffe und Wasser nicht mehr fließen können. Den Klempner, der die Leitungen wieder frei macht, können Sie hier leider nicht rufen. Aber Pflanzen haben andere Möglichkeiten entwickelt.
Ich möchte, dass Sie mehr über Pflanzen erfahren, dass Sie nicht nur besser verstehen, wie diese für uns Menschen nützlich sein können, sondern auch mit welcher List sie sich ihr Überleben sichern – betrachtet aus der Sicht eines Gärtners. In meinem Beruf erlebe ich, wie Pflanzen tief im Verborgenen, im Raum der Dunkelheit, die begehrten Nährstoffe über ihre Wurzeln suchen, wie sie aber auch für andere zum Nähstofflieferanten werden. Wie sie mit Stängel und Blatt in die Höhe steigen, dem Licht entgegen, in ihrem für viele Fressfeinde unwiderstehlichen Grün. Wie sie Blüten bilden und Nektar spenden oder das auch nur vortäuschen. Wie sie weithin leuchtende Früchte produzieren, die schmackhaft oder auch giftig sein können, einzig dazu geschaffen, um die nächste Generation auf den Weg zu bringen. Ausgeklügelt in Millionen von Jahren, um weitere Millionen Jahre die Erde zu besiedeln. Mit oder ohne uns Menschen.
Pflanzen verstehen heißt erst einmal, Wurzel, Stängel, Blatt, Blüte und Frucht zu verstehen, im nächsten Schritt aber auch ihre Kommunikationsformen mit der Umgebung. Kennt man die einzelnen Teile der Pflanze vielleicht noch aus dem Anlegen eines Herbariums in der Schule, fehlt dann meist weiteres Wissen. Das wäre aber ganz nützlich, damit Sie Ihren Pflanzen im Notfall wieder auf die Sprünge helfen können.
Und damit wäre ich bei meinem zweiten Anliegen. Haben Sie ein tieferes Verständnis für Ihre Pflanzen entwickelt, so können Sie besser dafür sorgen, dass sie sich in Ihrem Garten oder auf Ihrem Balkon wohlfühlen. Von uns Menschen kultivierte Pflanzen leben nicht wie in der Natur, doch Sie können diese so zusammenstellen, dass Sie einen naturnahen Garten haben. Und Sie können Ihren Schützlingen bei einem Schädlingsbefall unter die Arme greifen – und zwar ohne den Einsatz einer Chemiekeule. Wie Sie dabei vorgehen und vom bloßen Pflanzenliebhaber zum «Pflanzenversteher» werden können, zeige ich Ihnen in diesem Buch.
DIE WURZEL
Die Wurzeln von Pflanzen sind für mich vergleichbar mit dem menschlichen Gehirn. Dabei stelle ich mir vor, wie mein Gehirn im Kopf eingeschlossen ist, in Dunkelheit, wie es verbunden ist mit vielen Nerven und Adern. Alle möglichen Reize gelangen ins Gehirn und werden dort verarbeitet – ähnlich wie Nährstoffe von der Wurzel aufgenommen und dann weitergeleitet werden. Mag das auch etwas unkorrekt oder gewagt klingen und Gehirnforscher leicht despektierlich gucken lassen: Im Gehirn wie in der Wurzel – beides eine Anhäufung von Zellen – wird etwas «gegessen» und mittels eines eigenen Kommunikationsapparats in Form von elektrischen, chemischen oder hormonellen Signalen in Menschen- oder Pflanzenkörper transportiert.
Hirntot ist ein Mensch (oder Tier), wenn sämtliche Funktionen des Gehirns irreversibel ausgefallen, wenn weitgehend alle Nervenzellen abgestorben sind. Bei einer Pflanze lässt sich natürlich kein Herzstillstand beziehungsweise Hirntod feststellen, aber auf rein äußerliche Merkmale kann man sich hier ebenfalls nicht verlassen. Denn sterben die Blätter ab, heißt das noch längst nicht, dass die gesamte Pflanze tot ist. In der Botanik gilt weitgehend, dass eine Pflanze nicht mehr am Leben ist, wenn ihre Wurzel das Zeitliche gesegnet hat. Doch ganz so einfach ist es nicht. Pflanzen sind eben keine einfachen Organismen.
Lebensnotwendig ist bei der Pflanze letztlich wie beim Menschen der Stoffwechsel – bei Pflanzen besteht dieser vorrangig in der Fotosynthese, dem Aufbau von organischen Substanzen aus anorganischen, jedenfalls bei Pflanzen mit Blattgrün. Für diesen Stoffwechsel werden rund siebzig verschiedene Zellarten und mehrere Organe gebraucht und in Gang gesetzt. Und solange wichtige Organe funktionstüchtig sind und sie entscheidende Stoffwechselleistungen betreiben können, lebt die Pflanze weiter, egal ob mit oder ohne Wurzel. Das kann man gut an Schnittblumen und abgesägten Bäumen erkennen. Trotz dieser einschneidenden Zäsur sind sie oft noch eine Weile putzmunter, bringen Knospen zum Erblühen oder entwickeln Blätter. Und jeder, der schon einmal selbst Stecklinge herangezogen hat, weiß, dass manche abgeschnittenen Pflanzenteile durchaus in der Lage sind, wieder Wurzeln zu schlagen. Das verdeutlicht, dass sie lebendig sind. Selbst bei einem frischen Rosenzweig, der in einer Vase steht, kann es manchmal sein, dass sich Wurzeln bilden. Für die meisten abgeschnittenen Frühlingsblumen gilt das aber nicht. Die Schnittfläche kann hier nur begrenzt die Ernährungsfunktion erfüllen. Irgendwann stirbt auch die letzte Zelle ab und die Pflanze ist dann tatsächlich tot. Erst bei einer vollständigen Vertrocknung kann also von einem Exitus gesprochen werden.
Doch zurück zur Wurzel. Sie, die verborgen in der Erde ihr Dasein fristet, kann sich meist nicht nach Belieben ausbreiten, sondern hat sich in einem unterirdischen Dickicht zu behaupten. Da gibt es einen Haufen Nebenbuhler, die sich mit einem dicken Wurzelgeflecht breitmachen, andere drängen und schlängeln sich geradezu meterlang durchs feuchte Gelände. Bei ihren Grabeaktionen stoßen die Wurzeln auf Widerstände, etwa in Gestalt von Steinen oder unterirdischen Höhlen von Nagern, die vegetarisches Zubrot überhaupt nicht verachten. Wurzeln müssen sich den Boden aber auch mit einer Anzahl von nahezu mikroskopisch kleinen Feinden teilen, Wesen, die durchs Dunkel kriechen und denen nichts anderes im Sinn steht, als aufmerksam die Unterwelt nach all dem abzusuchen, was ihr Überleben sichert. Und die Hölle hält immer etwas bereit. Und dann gibt es noch die Gärtner, die von oben etwas auf die Pflanze kippen, damit es nach unten zur Wurzel sickert, leider jedoch manchmal zu viel des Guten. Oder etwas komplett Falsches.
Unabhängig von den unwirtlichen Gegebenheiten, zielen die Anstrengungen der Wurzeln darauf ab, die Pflanze in der Erde zu verankern (es gibt auch Wurzeln, die sich in der Erde nicht zu Hause fühlen, aber sie bilden die Ausnahme) und ihr Nährstoffe zu verabreichen. Ihr Ansinnen ist es weiterhin, den Pflanzenkörper, also Spross, Stängel, Halm oder Stamm, mit Wasser aufrecht zu halten, schön stramm und straff, mit vollem Druck. Ich will hier nicht jedes pflanzenphysiologische Detail ausbreiten, aber grundsätzliche Einblicke geben, damit Sie beim Gärtnern Pflanzen besser verstehen und viele Fehler buchstäblich im Keim ersticken. Denn keineswegs soll Ihnen die Lust beim Pflanzen, Graben und Umtopfen verlorengehen.
Wurzeln sind so richtige Energiebolzen, wie stechfreudige Insekten durchbohren und zerteilen sie den Boden, sie können also enorme Kräfte freisetzen. Unermüdlich kämpfen sie sich durch den härtesten Boden, nutzen die kleinste Ritze oder Spalte, können sogar Betonwände spalten. Das soll ihnen erst einmal einer nachmachen. Ihre Energie beziehen sie dadurch, dass sie Tausende von feinen Wurzelspitzen haben, die gleich den Nervenzellen eines menschlichen oder tierischen Gehirns operieren, eine Kommandozentrale bilden und so zahlreiche Funktionen ausführen können, einschließlich eines enormen Bewegungs- und Spaltungsvermögens.
Arbeitsteilung – heute gefeiert als eine der bedeutendsten kulturhistorischen Erkenntnisse der Menschheit, insbesondere um durch Spezialisierung technische und ökonomische Fortschritte zu erzielen – ist in ihrer Effizienz erst spät erkannt worden. Erst die Gedanken und Erkenntnisse des schottischen Aufklärers Adam Smith beendeten mittelalterliche Wirtschaftsformen. Pflanzen und ihre Wurzeln hatten das Prinzip Arbeitsteilung aber schon seit Urzeiten ausbaldowert, hatten die Feinwurzeln (sie können einen Durchmesser von unter einem Millimeter haben) für die Wasser- und Nährstoffaufnahme verantwortlich gemacht, für die Aufnahme von im Wasser enthaltenen Mineralien. Die verholzten und alten Wurzeln mussten sich nicht mehr als Goldgräber betätigen, das wurde den Jungspunden überlassen, sie konnten es etwas gemächlicher angehen und sollten nur noch für den Transport und die Verankerung im Boden zuständig sein.
Ein derartiges komplexes Wurzelsystem, mit dem jeder Hobbygärtner vorwiegend zu tun hat, zeigt dennoch immer wieder unterschiedliche Varianten auf. So hat ein Rasen ein anderes Wurzelsystem als die Rose. Bei Gräsern gibt es keine alleinige Hauptwurzel, sondern sie zeichnen sich durch viele einzelne Wurzeln aus, die gleich stark sind. Der Grund dafür: Gräser sind einkeimblättrige Pflanzen, auch monokotyle Pflanzen genannt, ihnen fehlen wesentliche Voraussetzungen für das Dickenwachstum. Sie können dadurch nicht in die Breite gehen (für manche Menschen wäre das ein Traum). Bei zweikeimblättrigen, also dikotylen Pflanzen wie der Rose wächst dagegen eine einzelne Hauptwurzel, sie wandert erst einmal senkrecht nach unten, bis sich dann von ihr viele Seitenwurzeln abzweigen.
Um Wurzeln und den über sie erfolgenden allgemeinen Transport von Wasser und Nährstoffen besser zu begreifen, ist es ganz sinnvoll, sich einmal die verschiedenen Wurzelarten anzuschauen. So kann man für die unterschiedlichen Ansprüche bei einer Anpflanzung im Garten den richtigen Standort wählen und der Pflanze die richtige Pflege angedeihen lassen:
Tiefwurzler sind Pflanzen, die Wurzeln ausbilden und damit – bei der Bezeichnung nicht weiter verwunderlich – weit ins Erdreich vordringen können, manchmal sogar bis zu einer Tiefe von dreißig Metern, sodass einige Bäume aus diesem Grund bis zu hundert Meter hoch werden können. Solche pfahlartigen Wurzeln ermöglichen der Pflanze, weiter unten im Erdreich gebunkerte Wasservorräte zu erreichen und unterschiedlich harte Bodenschichten zu bewältigen. Zudem sorgen sie für einen besonders festen Stand – kein Wind kann Tiefwurzler so leicht aus der Bahn werfen. Und sie bieten Schutz vor Pflanzenausreißern (ob Mensch oder Tier, das spielt keine Rolle). Jeder, der schon einmal versucht hat, einen Löwenzahn oder Meerrettich aus dem Boden zu ziehen, weiß, was es heißt, Pfahlwurzeln aus dem Dunkel zu holen.
In der Winterzeit werden Weihnachtsbäume oft in einem kleinen Kübel angeboten, damit die Nordmann-Tanne im neuen Jahr nicht einfach lieblos zum Abholen auf die Straße geworfen wird, sondern sie im eigenen Garten weiterwachsen darf. Preislich gibt es da große Unterschiede, gerade die Baumschulware erscheint einem Käufer als richtig teuer. Sollten Sie zu einer billigeren Variante gegriffen haben, werden Sie die Erfahrung machen, dass die Tanne, ein Tiefwurzler, nur in den seltensten Fällen anwächst. Sie wurde mit dem Pflug gerodet, mit der Folge, dass man ihre Pfahlwurzel ohne Rücksicht zerstört hat. In Baumschulen dagegen gräbt man eine junge Nordmann-Tanne vorsichtig aus (was Arbeit und Zeit bedeutet), sodass ihre Pfahlwurzel erhalten bleibt und sie mit den Jahren kräftige Seitenwurzeln bilden kann – sie soll ja im Orkan nicht auf Ihr Dach fallen. Selbst auf lockeren Böden bleiben Nordmann-Tannen noch äußerst sturmfest.
Tiefwurzler sind auch: Wacholder, Eibe, Eiche, Weißdorn, Kirschlorbeer, Feuerdorn, Robinie, Linde, Mehlbeere, Weinrebe, Rose, Ginster, Flieder, Mohn oder Lupine. Und sollen solche Tiefwurzler umgepflanzt werden, so kann das mit reichlich Aufwand verbunden sein. Wird nicht sorgsam genug mit dem Wurzelsystem umgegangen, werden gerade die vielen ausgeprägten Feinwurzeln zerstört. Auch wenn die Hauptwurzel nicht ganz freigelegt werden kann, nimmt die Pflanze das sehr übel. Schnell kann es dann zu einem definitiven Aus der Pflanze kommen, sie verendet.
Flachwurzler strecken ihre Wurzeln knapp unter der Bodenoberfläche aus, sie mögen es horizontal, ihnen kommt nicht in den Sinn, vertikal in Erdschichten vorzupreschen. Wasser und Nährstoffe gibt es auch hier, warum sich also so viel Mühe machen und in die Tiefe vordringen? Zumal ein Breitenwachstum dabei hilft, immer neue Quellen zu erschließen. Außerdem sind die oberen Bodenschichten oft besonders nährreich, da Regenwasser und eingeschwemmte Mineralien direkt abgefangen werden können, bevor sie in tiefere Erdschichten auf Nimmerwiedersehen versickern. Im Umkehrschluss bedeutet dies aber auch, dass Flachwurzler darauf angewiesen sind, dass es regelmäßig regnet, denn ans Grundwasser kommen sie nicht ran. Und großen Halt finden sie so auch nicht, ein heftiger Sturm kann sie aus dem Boden heben und entwurzeln.
Typische Flachwurzler sind zum Beispiel Kastanie, Erle, Kiefer, Azalee, Rhododendron, Hortensie, Forsythie, Magnolie, Liguster oder Lavendel. Bei der Bodenbearbeitung muss unbedingt behutsam vorgegangen werden, da die oben liegenden Wurzeln schnell beschädigt werden können; Wurzelkrankheiten sind dann vorprogrammiert. Das Umpflanzen von Flachwurzlern geht leichter von der Hand als bei Tiefwurzlern, hier können die Pflanzen auch schon etwas älter sein, wenn man ihnen einen neuen Standort zumuten möchte. Ein Rhododendron, der zwanzig Jahre an einer Stelle stand, lässt sich noch gut umsiedeln. Beim Anpflanzen von flachwurzeligen Bäumen ist zu beachten, dass sie, wenn sie älter werden, die Eigenschaft haben, ihre Flachwurzeln unverblümt zu zeigen, manchmal in einem Radius, der so groß wie die Krone ist. Eine Bodenbearbeitung kann man dann vergessen, auch eine Unterpflanzung.
Bei ihnen wachsen die Wurzeln in alle Richtungen, jedoch weder sehr tief noch besonders flach, sie sind also eine Mischform. Betrachtet man einen Querschnitt dieser Pflanzenwurzeln, kann man eine halbkugelige Anordnung erkennen, die häufig wie ein Herz aussieht. Daher der Name. Herzwurzler sind extrem anpassungsfähig und entwickeln ihr Wurzelsystem nach den jeweiligen Gegebenheiten. Ist der Boden sehr durchlässig, bilden sich mehr tiefe Wurzeln aus, ist er an der Oberfläche äußerst nährstoffreich, bleibt das Wurzelsystem insgesamt eher flach. Herzwurzeln entstehen auch, wenn die Pfahlwurzel beispielsweise wegen eines Hindernisses nicht weiter nach unten wachsen kann oder die oberen Bodenschichten einem Flachwurzler nicht genügend Feuchtigkeit liefern. Da finden dann interessante Transformationen statt, eine Pfahlwurzel wird so zu einer Herzwurzel. Ziemlich intelligent ist das.
Beispiele für Herzwurzler sind: Kirsche, Birke, Linde, Hainbuche, Trompetenbaum, Spitzahorn, Ginkgo, Walnuss, Lärche, Tulpenbaum. Haben Sie Herzwurzler im Garten, hacken Sie in der Umgebung dieser Gewächse und Bäume nicht wild drauflos, auch Umgrabungen sollten nicht rabiat passieren; ein Schongang wäre angebracht. Im Gegensatz zu Flachwurzlern sind Unterpflanzungen möglich, Farne und Stauden eignen sich da hervorragend.
Das Wachstum von Pflanzen ist wohl die auffälligste Naturerscheinung und hat den Menschen von jeher beschäftigt. Aber was sind die Bedingungen für Wachstum? In welcher Geschwindigkeit erfolgt es? Kann man es beschleunigen, und wenn ja, ist das überhaupt sinnvoll? Und was ist überhaupt Wachstum?
Wachstum ist dann gegeben, wenn Pflanzen größer und breiter werden, wenn sie, wie bei Tieren und Menschen zu beobachten, sichtbar zunehmen. Ausgelöst wird das durch die Bildung von neuen Zellen und das Größerwerden von schon vorhandenen. Der griechische Philosoph Aristoteles (384–322 v. Chr.), ein großartiger Beobachter der Natur, begründete die Humustheorie, nach der sich eine Pflanze von Humusstoffen ernährt, die sie mit ihren Wurzeln aus dem Boden aufnimmt. Die Fruchtbarkeit eines Bodens wurde gleichgesetzt mit einem bestimmten Humusgehalt. Nach dem Absterben werden die Pflanzen wieder zu Humus, so würde ein ewiger Kreislauf in Gang gehalten. Das war schon mal nicht schlecht gedacht, aber die Wirklichkeit war – wie in vielen Fällen – komplizierter als angenommen. Um genau bestimmen zu können, was Pflanzen denn so «essen», um ihr Wachstum anzukurbeln, fehlte ein chemisches Verständnis darüber, was sie aufnahmen und was sie ausschieden.
Justus von Liebig verhalf knapp vor der Mitte des 19. Jahrhunderts der Mineralstofftheorie zum Durchbruch. Sie hatte einen interessanten Ansatz: Durch analytische Methoden wurden hierbei nicht die einzelnen Bodensubstanzen aufgeschlüsselt, sondern jene Elemente, aus denen die Pflanze besteht: Kohlenstoff, Phosphor, Stickstoff, Schwefel etc. Dabei wies der Chemiker nach, dass Pflanzen ihre Nährstoffe in mineralischer Form aufnehmen – deshalb Mineralstofftheorie. Und er dachte weiter: Wenn Pflanzen aus diesen Elementen bestehen, dann sind das auch jene, die ihr Wachstum befördern. Und wenn diese Bestandteile dem Boden entzogen werden, müsste man sie auf Dauer gesehen auch wieder ersetzen. Und schon war die Agrikulturchemie geboren, die Düngung.
Aber welche Bedeutung hatten dabei die Bestandteile der Luft, insbesondere der Luftstickstoff und der Kohlenstoffdioxidgehalt? Die Wissenschaft tat sich schwer. Erst nach und nach und anhand von vielen Experimenten zeigte sich, dass Pflanzen im Gegensatz zu Menschen nicht aktiv Sauerstoff einatmen, sondern über die Blattunterseite das Gas Kohlendioxid (CO2) aufnehmen, eine Verbindung aus Kohlenstoff und Sauerstoff, eine letztlich energiearme Verbindung, die in der Umwelt eher als Abfallprodukt von Verbrennungsprozessen zu finden ist.
So kam man der Fotosynthese auf die Spur, ein grundlegender Prozess der Stoff- und Energieumwandlung bei Pflanzen, wobei die Ausgangsstoffe das über die Wurzeln aufgenommene Wasser und das über die Blätter aufgenommene Kohlendioxid der Luft sind. Als Produkte entstehen in den grünen Blättern Kohlenhydrate (Glucose) und Sauerstoff, wobei der Sauerstoff über die Blätter an die Umgebung abgegeben wird. Gute Luft für uns.
Heute ist bekannt, dass das Pflanzenwachstum von insgesamt sechs Faktoren beeinflusst wird, die eng miteinander verknüpft sind:
Nährstoffe
Wasserversorgung
Sauerstoff und Kohlendioxid
Temperatur
Lichtintensität
Luftfeuchtigkeit
Damit Pflanzen wachsen und Fotosynthese betreiben können, benötigen sie eine Reihe an Nährstoffen, die Sie als Hobbygärtner kennen sollten (zumindest die wichtigsten), denn sie finden sich in jedem Dünger, den Sie kaufen, um Ihren Pflanzen zu einem besseren Gedeihen zu verhelfen:
Stickstoff hat in Pflanzen vielfältige Funktionen, neben dem Wachstum ist er auch für die Grünfärbung verantwortlich. Da er am meisten gebraucht wird, ist er der Motor jeder Pflanze, ohne Stickstoff kann sie nicht wachsen. Ein Stickstoffmangel führt rasch zur Verringerung des Wachstums und damit zu einer geringeren Ernte. Erstes Symptom dafür ist eine Aufhellung der alten Blätter, die dann schließlich gelb und dann abgeworfen werden. Die Pflanze selbst bleibt klein und entwickelt oft eine Notblüte, um sich noch schnell zu vermehren, bevor sie ganz verhungert.
Es gibt auch einen Stickstoffüberschuss, der dann auftritt, wenn Sie es zu gut mit Ihren Pflanzen meinen und sie überdüngen. Die Pflanzen bekommen in diesem Fall dunkelgrüne Blätter, die Blütenbildung lässt auf sich warten und die Standfestigkeit lässt nach. Das gesamte Pflanzengewebe wird weicher und lädt Schädlinge ein, diese haben nun ein leichtes Spiel, an die begehrten Pflanzensäfte zu gelangen. Auch können Ertrag und Geschmack von Früchten sich negativ verändern.
Stickstoffmangel am Zitrusbaum/Zitronenbaum
Phosphor gehört zu den Hauptnährelementen, er spielt für die Pflanzengesundheit und Pflanzenentwicklung eine wichtige Rolle. So ist er für den Aufbau bestimmter Pflanzenenzyme entscheidend – nicht nur Menschen haben Enzyme, sondern auch Pflanzen, sie sind sogenannte Katalysatoren: das heißt, sie beschleunigen bestimmte chemische Reaktionen. Die meisten Enzyme sind dabei reaktionsspezifisch, das bedeutet, sie beschleunigen oder erleichtern genau eine bestimmte chemische Reaktion. Phosphor unterstützt zudem die Wurzelentwicklung und das Wurzelwachstum, die Zellteilung, die Bildung von Pflanzenabwehrstoffen und hilft bei der gesunden Entwicklung von Blüten, Früchten und Samen. Ob und wie viel Phosphor aufgenommen werden kann, hängt maßgeblich vom Boden beziehungsweise der verwendeten Erde ab. Ein zu niedriger pH-Wert (das Maß für den Säuregehalt einer Lösung, es erlaubt die Unterscheidung zwischen Säuren und Basen), ein zu feuchter oder verdichteter Boden oder geringe Humusgehalte führen meist zu einer geringen Aufnahme von Phosphaten. Bei der Versorgung der Pflanzen mit Phosphaten ist also immer auf die Bodenqualität zu achten.
Phosphatmangel am Wein
Ein Mangel an Phosphor führt auf Dauer zu Pflanzenschäden. Typische Phosphatmangelsymptome sind: kümmerlicher Pflanzenwuchs, ein schlecht ausgebildetes Wurzelsystem oder eine ausbleibende beziehungsweise verzögerte Blüte. Manchmal werden die Blätter dunkler oder bekommen eine rötliche Färbung, viele sterben auch vorzeitig ab.
Pflanzen, die eigentlich frosttolerant oder frosthart sind, gehen bei Phosphatmangel ebenfalls unerwartet ein. Nicht wenige Privatgärten sind jedoch überversorgt, doch auch das wirkt sich negativ auf das Pflanzenwachstum aus: Die Verfügbarkeit anderer wichtiger Spurennährelemente wird eingeschränkt.
Der drittwichtigste Nährstoff neben Stickstoff und Phosphor ist Kali beziehungsweise Kalium. Das Salzmineral ist an vielen Stoffwechselprozessen beteiligt und sorgt für widerstandsfähige, frostfeste Pflanzen. Es ist mit für die Bildung des Stützgewebes verantwortlich, sodass Stängel nicht beim geringsten Windstoß umknicken. Kali ist notwendig, damit Pflanzen gegenüber Krankheiten und Fraßfeinden widerstandsfähig werden, zudem verbessert es die Wasserzirkulation. Darüber hinaus ist es ein wesentlicher Nährstoff, um die Qualität von Obst- und Gemüsefrüchten zu garantieren. Tomaten oder Zucchini, die stark den Boden auszehren, benötigen eine Extraportion Kali, damit wir leckere Früchte ernten. Auch gelingt durch das Salz das Lagern von Gemüse wie Möhren, Pastinaken oder Sellerie besser – sie sind dann länger haltbar.
Frostschaden (und Pilzschaden) durch Kalimangel am Kirschlorbeer
Die Aufnahme vom Kalium hängt wie beim Phosphor stark von den Bodeneigenschaften ab. Diese werden maßgeblich vom in der Erde enthaltenen Ton-Humus-Anteil beeinflusst. Kali wird von der Pflanze grundsätzlich nur in Wasser gelöst aufgenommen, und das noch bei einer Bodentemperatur von 5 Grad Celsius. Ein Kalimangel führt sehr häufig dazu, dass Pflanzen krankheitsanfällig werden. Auch hier sind die Symptome Blattaufhellung sowie ein Gelbwerden und Absterben der Blätter vom Rand her, und zwar zuerst bei den älteren.
Bei Tomatenpflanzen fördert eine Kali-Unterversorgung die Kraut- und Braunfäule, eine der häufigsten und gefürchteten Krankheiten an Tomatenpflanzen, die durch braune Flecken an den Blättern und Stängeln zu erkennen ist. In der Folge sterben die Blätter ab und an den Früchten bilden sich schwarze Flecken. Die Tomaten werden dann hart, weisen Risse auf und faulen im schlimmsten Fall ab. Ein unerwartetes Welken kann dafür schon ein erster Hinweis sein. Durch Überversorgung mit anderen Nährstoffen kann ebenfalls ein Kalimangel entstehen. Beispielsweise passiert dies, wenn im Boden zu viel Magnesium oder zu hohe Stickstoffanteile vorhanden sind, die eine optimale Aufnahme von Kali verhindern. Ebenso kann eine Kali-Überversorgung dazu führen, dass Pflanzen nicht mehr richtig wachsen. Das liegt unter anderem daran, dass Magnesium nicht weiter in den Mengen aufgenommen werden kann, die notwendig wären. Das Kali verhindert das. In der Folge steigt die Salzkonzentration im Boden.
Blütenendfäule durch Calciummangel an Tomaten
Calcium ist ein Kommunikator. Es vernetzt die Zellwände und ist wichtig für deren Festigkeit, wodurch ein vorzeitiger Blattfall verhindert wird. Bei einem Calciummangel wird das Wachstum der Wurzel gestört, junge Blätter werden gelb. Stibbe, eine Mangelerscheinung bei Äpfeln, hat hier ihre Ursache (zu erkennen auf der Schale als kleine, eingesunkene, meist nur stecknadelgroße braune Flecken, die sich aber auch im Fruchtfleisch fortsetzen), ebenso die Blütenendfäule bei Tomaten, Paprika und Gurken (die Früchte weisen dann graubraune bis schwarzbraune Verfärbungen im Bereich der Blütenansatzstelle auf).
Calcium reguliert den pH-Wert im Boden, und bei einer Unterversorgung tritt ein zu niedriger pH-Wert auf.
Magnesium zählt ebenfalls zu den Hauptnährstoffen der meisten Pflanzen, es wird aber in deutlich geringeren Anteilen benötigt als die zuvor genannten. Das Mineral befördert eine bessere Phosphorversorgung, hilft bei der Bildung von Chlorophyll (Blattgrün), beim Wachstum und optimiert die Geschmacksqualität von Obst und Gemüse. Ein Magnesiummangel ist schnell zu erkennen, die Blätter bekommen helle Flecken oder eine Gelbfärbung, wobei die Blattnerven jedoch ihre grüne Färbung behalten. Auch nimmt die Fotosyntheseleistung der Pflanzen ab, da nur noch ungenügend Chlorophyll von den Pflanzen gebildet wird.
Meist lässt sich eine Unterversorgung mit Magnesium rasch beheben. Wird der Mangel jedoch nicht beseitigt, so werden die Blätter abgeworfen, die Erträge bleiben aus, und die Pflanze stirbt ab. Überschusssymptome sind nicht bekannt, da überschüssiges Magnesium in den Vakuolen, den Hohlräumen zwischen den Blattzellen, gespeichert wird. Besteht im Boden oder in der Balkonerde jedoch ein Magnesiumüberschuss, so kann dies zur verminderten Aufnahme von Calcium und Kali führen.
Magnesiummangel am Liriodendron (Tulpenbaum)
Schwefel hat ähnliche Funktionen im pflanzlichen Stoffwechsel wie der Stickstoff, beide sind notwendig beim Aufbau von Eiweiß oder von Blattgrün. Ein Schwefelmangel zeigt sich durch ein Gelbwerden junger Blätter (während bei Stickstoffmangel ja zuerst die älteren Blätter betroffen sind), oft sind dabei die Blattadern heller als die Blattflächen. Ein Schwefelüberschuss ist relativ unschädlich, doch wenn die gasförmige Verbindung in einer überhöhten Konzentration auftritt, ist das Gift für unsere Pflanzen (und auch für uns Menschen in Industriegebieten, die eine entsprechende Luft einatmen müssen).
Mit Chlor als Pflanzennährstoff ist nicht das giftige Chlorgas (Cl2) gemeint, sondern das Chlorid-Ion. Es ist bekannt als Bestandteil von Kochsalz (NaCl), bildet aber auch mit vielen anderen Metallionen Salze, zum Beispiel Kaliumchlorid (KCl). Chlorid wird von den Pflanzen leicht aufgenommen und ist sehr beweglich. Es wird nicht in die Pflanzen eingebaut, sondern kommt nur als freies Chlorid-Ion vor. Wie Kali ist es für die Regulierung des Zellinnendrucks nötig. Chlorid ist für Pflanzen zwar nur in geringen Mengen wichtig, dennoch ist es in ihnen oft in großer Menge enthalten. Da sie aus verschiedenen Quellen mit Chlor versorgt werden (Boden, Bewässerung, Regen, Düngemittel, Luftverschmutzung), besteht eher die Gefahr einer Chlorüberversorgung (Toxizität) als die eines Chlormangels.
Pflanzen unterscheiden sich auch erheblich in ihrer Chloridempfindlichkeit, das ist für jeden Hobbygärtner gut zu wissen, spätestens bei der Frage nach dem richtigen Dünger (siehe S. 36). Wenn wir mineralischen Dünger im Garten verwenden, so ist chloridarmer, also salzarmer Dünger meist hochwertiger (dadurch aber auch teurer).
Futterrübe, Sellerie oder Mangold sind richtiggehend salzliebend. Gut salzverträglich sind: Getreide, Mais, Raps, Spargel, Grobkohlarten, Rote Beete, Rhabarber, Grünland, Kleegras, Ölpalme, Kautschuk, Reis, Erdnuss, Soja, Zuckerrohr, Banane, Baumwolle. Zu den bedingt salzverträglichen Pflanzen zählen: Sonnenblume, Weinrebe, Kernobst, Schwarze Johannisbeere, Pflanz- und Speisekartoffel, Tomate, Rettich, Radieschen, Kohlrabi, Feinkohlarten, Erbse, Spinat, Karotte, Lauch, Meerrettich, Chicorée, Ananas, Gurke, Kiwi, Kaffee, Tee. Und ziemlich salzempfindlich sind: Rote Johannisbeere, Stachelbeere, Himbeere, Erdbeere, Brombeere, Heidelbeere, Zitrusfrüchte, Chili, Pfirsich, Kern- und Steinobst (speziell Süßkirsche), Buschbohne, Dicke Bohne, Gurke, Melone, Zwiebel, Salat, Frühgemüse, alle Unterglaskulturen, Koniferen, Blumen und Zierpflanzen sowie Keimlinge und Setzlinge der meisten Pflanzen.