Virginia Woolf
Flush
Eine Biographie
Herausgegeben von Klaus Reichert
Übersetzt von Karin Kersten
FISCHER E-Books
Virginia Woolf wurde am 25. Januar 1882 als Tochter des Biographen und Literaten Sir Leslie Stephen in London geboren. Zusammen mit ihrem Mann, dem Kritiker Leonard Woolf, gründete sie 1917 den Verlag The Hogarth Press. Ihre Romane stellen sie als Schriftstellerin neben James Joyce und Marcel Proust.
Zugleich war sie eine der lebendigsten Essayistinnen ihrer Zeit und hinterließ ein umfangreiches Tagebuch- und Briefwerk. Virginia Woolf nahm sich am 28. März 1941 in dem Fluß Ouse bei Lewes (Sussex) das Leben.
Klaus Reichert, 1938 geboren, ist Literaturwissenschaftler, Autor, Übersetzer und Herausgeber. Von 1964 bis 1968 war er Lektor in den Verlagen Insel und Suhrkamp, von 1975 bis 2003 war er Professor für Anglistik und Amerikanistik an der Frankfurter Universität, 1993 gründete er das »Zentrum zur Erforschung der Frühen Neuzeit«. Von 2002 bis 2011 war er Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. Er schrieb Bücher über Shakespeare, Joyce, moderne Literatur und über die Geschichte und Theorie des Übersetzens, veröffentlichte drei Gedichtbände und ein Wüstentagebuch. Er übersetzte u.a. Shakespeare, Lewis Carroll, Joyce, John Cage und das Hohelied Salomos. Er war Herausgeber der deutschen Ausgabe von James Joyce und gibt seit 1989 im S. Fischer Verlag die Werke Virginia Woolfs heraus. Bei S. Fischer erschien seine Prosaübersetzung der Sonette Shakespeares.
Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de
Virginia Woolf erzählt vom Spaniel des Dichterpaares Elizabeth Barrett und Robert Browning, und nie ist die uralte Beziehung zwischen Mensch und Hund, die Gemeinsamkeit und Getrenntheit der Kreatur, sensibler geschildert worden als in dieser graziös unterhaltsamen, das Gegenständliche, das Sinnhafte, das Bewusste und Unbewusste zart und fest greifenden Prosa.
Erschienen bei FISCHER E-Books
Die Originalausgabe erschien 1933 unter dem Titel ›Flush. A Biography‹ im Verlag The Hogarth Press, London.
© 1933 Quentin Bell and Angelica Garnett
Für die deutschsprachige Ausgabe:
© 1993 S. Fischer Verlag GmbH, Hedderichstr. 114, D-60596 Frankfurt am Main
Covergestaltung: Manfred Walch, Frankfurt
Coverabbildung: Sarah Schumann, Berlin
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Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.
ISBN 978-3-10-490489-4
Sternchen verweisen auf die Anmerkungen VWs, S. 111ff.
Sir Philip Sidney (1554–86), Dichter, Gentleman, Soldat, Begründer der englischen Dichtungstheorie. Seine umfangreiche Prosaromanze, The Countess of Pembroke's Arcadia, die in zwei Fassungen existiert (1581 und 1583–4), ist eine Kompilation höfischer und bukolischer Themen nach französischem und italienischem Vorbild.
Zu den Mitfords, insbesondere zu der aus Not Schriftstellerin gewordenen Mary Russell Mitford (1787–1855), vgl. VWs Essay »Miss Mitford« in Der gewöhnliche Leser. Band I, Frankfurt 1989, 220–226. Mary Russell Mitford war bekannt als Lyrikerin, erfolgreich als Dramatikerin (Foscari, 1826, Rienzi, 1828), überlebte aber vor allem durch ihre Schilderungen des englischen Landlebens (Our Village, 1832), sowie als Verfasserin gescheiter und klatschsüchtiger Briefe (an Lamb, Ruskin, Landor, Elizabeth Barrett Browning etc.).
Edward Bouverie Pusey (1800–82), Hebraist, einer der Führer des Oxford Movement, einer Bewegung zur Rückbesinnung auf die Werte der High Church of England, die durch eine größere Nähe zur römischen Kirche als die Richtungen der Low oder Broad Church gekennzeichnet war. Über seinen älteren Bruder ist nichts zu sagen.
Elizabeth Barrett (1806–61) hatte sich bereits als Dichterin und Übersetzerin aus dem Griechischen einen Namen gemacht, als sie 1838 auf Grund eines geplatzten Blutgefäßes todkrank wurde. In Torquay an der Westküste, wo sie Heilung suchte, verschlimmerte sich ihr Zustand noch dadurch, daß ihr älterer Bruder, Edward, ertrank, was sie in eine tiefe Depression stürzte und wie ein Schatten über ihrem künftigen Leben lag. Immer noch krank, kehrte sie 1841 nach London zurück.
Der tyrannische Edward Moulton Barrett, der seinen erwachsenen Söhnen und Töchtern die Heirat verbot, besaß große Plantagen in Jamaika.
John Kenyon (1784–1856), Poet und Philanthrop, Verwandter, Freund und Vertrauter Elizabeth Barretts, der ihr die deutsche Literatur (etwa Schiller) nahebrachte, sie aber auch mit dem Dichter Robert Browning (1812 – 89) bekannt machte. Seine Freundschaft nimmt einigen Raum im Briefwechsel der beiden dichtenden Liebenden ein. Ihm widmete sie 1844 ihr Gedicht »The Dead Pan« und 1856 ihr berühmtestes Gedicht »Aurora Leigh«. Siehe auch VWs Exzerpte zu Kenyon als Vorleser Barrettscher Gedichte, unten S. 111f.
Richard Henry oder Hengist Horne (1803–84), Autor und Redakteur, korrespondierte seit 1839 mit Elizabeth Barrett. Seine von der Regierung in Auftrag gegebene Untersuchung über Kinderarbeit in Bergwerken und Fabriken war der Auslöser für Elizabeth Barretts berühmtes Gedicht »The Cry of the Children«.
Elizabeth Barrett hat die Episode und die Gedanken, die sie in ihr auslösten, in einem Sonett festgehalten: »Flush, or Faunus«. VWs Mrs Browning erinnert sich an dieses Gedicht beim Tode Flushs. Siehe S. 107 und die Übersetzung Anm. 44.
Die schlimmste der zahlreichen irischen Hungersnöte im 19. Jahrhundert, »The Great Famine«, herrschte von 1845–7.
Anna Brownell Jameson (1794–1860) schrieb vor allem Aufsätze zur bildenden Kunst, reiste in Italien und stand im Briefwechsel mit Elizabeth Barrett.
»Sleep no more« – es mag sich dahinter eine Anspielung auf Macbeth verbergen: nach der Untat klingt dem Mörder dieses Wort als stetes Memento in den Ohren.
Der erste Brief des Dichters Robert Browning an Elizabeth Barrett trägt den Poststempel: 10. Januar 1845. Er beginnt mit den Worten: »Ich liebe Ihre Verse von ganzem Herzen, liebe Miss Barrett«, und fährt fort, diese Liebe zu begründen. In diesem und im folgenden Jahr wechselten sie über 500 Briefe. Der letzte der durchweg undatierten Briefe trägt den Poststempel des 19. September 1846. Zu diesem Zeitpunkt hatten sie bereits heimlich geheiratet und waren dabei, England zu verlassen. Für die bibliographische Angabe vgl. »Quellenangaben« in VWs Anhang, S. 109.
Die Forschung hat ermittelt, daß der Besuch um drei Uhr stattfand, nicht um halb drei!
Brief von Elizabeth Barrett an Robert Browning, mit Poststempel vom 9. Juli 1846, II, 321. »Ach Flush, Flush! – er hat Dich nicht wirklich verletzt? Du vergibst ihm um meinetwillen? Die Wahrheit ist, daß er alle Menschen ohne Unterröcke haßt und daß er, obwohl er Dich nicht haßt, Dir gegenüber einen gewissen Argwohn hegt, der durch irgendein äußeres Zeichen, wie etwa einen Regenschirm, wieder virulent wird. Aber wenn Du gesehen hättest, wie leid es ihm gestern tat und wie beschämt er war! Ich gab ihm eins hinter die Ohren und habe ihm gesagt, ich würde ihn niemals wieder lieben: und er saß auf dem Sofa (er lag nicht, sondern saß) und fixierte mich die ganze Zeit, als ich die Blumen richtete, mit einem Ausdruck stiller Verzweiflung in seinem Gesicht. Schließlich sagte ich, ›Wenn du brav bist, Flush, darfst du kommen und sagen, daß es dir leid tut‹ … woraufhin er durchs Zimmer geschossen kam und mir, am ganzen Leibe zitternd, erst die eine Hand küßte und dann die andere und die Pfoten hob, damit ich sie schüttelte, und mir mit einem derart flehentlichen Blick ins Gesicht sah, daß Du ihm gewiß genauso verziehen hättest wie ich. Es ist keine Blutrunst. Wenn er Dich erst einmal liebte, könntest Du ihn an den Ohren und am Schwanz ziehen und einen Knochen aus seinem Maul nehmen – er würde Dich nicht beißen. Er hat keine blutrünstigen Anwandlungen wie andere Hunde und Menschen, die ich kenne.«
Aus Robert Brownings Brief mit Poststempel vom 10. Juli 1846, II, 325.
Dies und die beiden folgenden Zitate stammen aus dem Brief mit dem Poststempel vom 13. Juli 1846, II, 329.
Flushs Verhalten und Bestrafung ist erzählt im Brief von Elizabeth Barrett mit Poststempel vom 22. Juli 1846, II, 353.
Für dies und das folgende siehe Brief von Elizabeth Barrett mit Poststempel vom 27. Juli 1846, II, 363.
Brief mit Poststempel vom 2. September 1846, II, 505. Flush wurde insgesamt dreimal gestohlen. Vgl. VWs Anmerkung, S. 112. Beim erstenmal waren 6 Guineen zu zahlen, beim zweitenmal 7 Pfund, beim drittenmal 20 Guineen. (Zum Vergleich: Wilson, die eine »teure Dienstbotin« war, erhielt 16 Pfund Jahreslohn.)
Thomas Beames ist der Verfasser des Berichts The Rookeries of London, 1850.
»Rookery«: der Ausdruck steht seit den zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts für Elendsquartier bzw. »Mietskaserne«.
Brief mit Poststempel vom 3. September 1846, II, 510.
Brief von Robert Browning mit Poststempel vom 3. September 1846, II, 513.
Barnard Gregory (1796–1852), Herausgeber und Besitzer der Londoner Wochenschrift ›The Satirist, or the Censor of the Times‹, in der es eine Skandalspalte gab: »Enthüllungsartikel« wurden zunächst an die betreffenden Personen verschickt und mit der Veröffentlichung gedroht, falls sie nicht bereit waren, eine bestimmte Summe zu bezahlen. Die Zeitschrift wurde 1849 verboten. Robert Browning nennt Gregory in einem Brief mit dem Poststempel vom 4. September 1846, II, 518.
Robert Browning hatte den Satz des Dichters John Donne (1571/2 bis 1631) zitiert: »Weakness invites, but silence feasts oppression« (»Schwäche ermuntert Unterdrückung, doch Schweigen mästet sie.«). Brief mit Poststempel vom 4. September 1846, II, 514.
Elizabeth Barretts Brief mit Poststempel vom 5. September 1846, II, 522.
Für das folgende vgl. Brief von Elizabeth Barrett mit Poststempel vom 7. September 1846, II, 525ff.
Das ein »Roman in Versen« von Elizabeth Barrett benannte Gedicht, 1857 publiziert, beschreibt die Lebensgeschichte einer Schriftstellerin. Themen wie die Rolle der Frau in der Gesellschaft spielen ebenso eine Rolle wie große Beschreibungen der Londoner Massen und des Elends.
Die Brownings wohnten sechs Monate lang in Pisa im Collegio Ferdinando.
Brief an die Schwester Henrietta, Florenz, 9. Juli 1847, in: Elizabeth Barrett Browning, Letters to Her Sister, 1846–1859, ed. Leonard Huxley, London: John Murray, 1929, 39.
Leopold II., der Großherzog der Toskana, hatte seinem Volk eine Verfassung und politische Liberalisierung versprochen, daher der Marsch zum Palazzo Pitti, wo er residierte. Das Ereignis berichtet Elizabeth Barrett Browning in einem Brief an die Schwester vom 13. September 1847, a.a.O., 43ff.
Isabella Blagden, Romanautorin, war der Mittelpunkt der in Florenz lebenden Engländer und wurde eine enge Freundin der Brownings. – Walter Savage Landor (1775 – 1864), Verfasser imaginärer Gespräche. – Hattie Hosmer, junge amerikanische Bildhauerin, führte ein exzentrisches und »emanzipiertes« (so Elizabeth Barrett Browning über sie) Leben. – Edward Robert Bulwer Lytton (1831–91), Sohn des berühmten Romanautors Edward George Bulwer Lytton und selbst Autor von Gedichten, wurde Vizekönig von Indien.
Das einzige Kind der Brownings, Robert Wiedeman Barrett Browning, genannt »Pen« oder »Penini«, wurde am 9. März 1849 geboren.
Algernon Charles Swinburne (1837–1909), Virtuose kompliziertester Versformen, sensualistischer Dichter, von großem Einfluß auf den Symbolismus. Auch als Kritiker und Entdecker verlorengegangener Traditionen bedeutend.
John Ruskin (1819–1900), Kunstkritiker und Sozialreformer, der einerseits die zeitgenössische englische Kunst verständlich zu machen versuchte, andererseits insbesondere Italien als Kunstlandschaft entdeckte (The Seven Lamps of Architecture, 1849, The Stones of Venice, 1851–53). – George Eliot (1819–80), große Romanautorin, deren Roman Romola (1863) im Florenz des ausgehenden 15. Jahrhunderts spielt. Vgl. VWs Essay ›George Eliot‹ in Der gewöhnliche Leser. Band 1, Frankfurt 1989, 196–208.
Vgl. Anm. 1.
Jane Carlyle (1801–66), die Frau des Historikers und philosophischen Schrifstellers Thomas Carlyle (1795–1881). Auch die Verbindung der beiden Carlyles war eine der großen, wenn auch problematischen, Romanzen des viktorianischen Zeitalters.
Charles Kingsley (1819–75), Schriftsteller und Sozialreformer. Am berühmtesten wurde sein Roman Alton Locke (1850), der die Leiden der Arbeiterklasse schildert, sowie sein Feenroman Water Babies (1863), eine Einführung für Kinder in die Naturgeschichte.
Marguerite Power, Countess of Blessington (1789–1849), Romanautorin und Reiseschriftstellerin mit einem Interesse am Spiritismus. Auch Elizabeth Barrett Browning war an parapsychologischen Phänomenen interessiert, die von ihrem Mann eher als Schwindel lächerlich gemacht wurden.
Philip Henry, 5th Earl Stanhope (1805–75), Politiker und Historiker, Gründer der National Portrait Gallery.
H. Chorley gab 1872 die Letters of Mary Russell Mitford, 2nd Series in zwei Bänden heraus.
Frederick Tennyson (1807–98), älterer Bruder des Dichters Alfred Lord Tennyson, der ebenfalls Gedichte schrieb. – Hiram Powers, in Italien lebender amerikanischer Bildhauer, mit den Brownings befreundet. – Mr Villari: nicht ermittelt.
Mr Kirkup, Kunstenthusiast und Archäologe. Die spiritistische Sitzung ist beschrieben im Brief Elizabeth Barrett Brownings an ihre Schwester vom 12. Februar 1855, a.a.O., 212f.
»Du siehst den Hund. Es war erst gestern,/daß ich hier, seine Anwesenheit vergessend, sann,/bis Gedanke um Gedanke Träne um Träne fließen ließ,/als aus dem Kissen, darauf ich mit feuchten Wangen lag,/ein Kopf behaart wie Faun jäh/gegen mein Gesicht stieß – zwei golden-klare/große Augen erstaunten die meinen – ein hängendes Ohr/schlug gegen meine Wangen, das Naß zu trocknen!/Ich schrak erst auf wie eine Arkaderin,/erstaunt vom Ziegengott im Dämmerlicht des Hains;/doch als die bärtige Vision die Tränen/näher tilgte, erkannt' ich Flush und erhob mich über/Erstaunen und Tristesse – dankte dem wahren Pan,/der, durch niedere Kreaturen, zu Liebeshöhen führt.«
Flush starb im Juni 1854.
Margaret Reynolds, die VWs Anmerkungen ergänzt bzw. korrigiert hat, bemerkt, Elizabeth Wilson sei ab 1844 im Dienst Elizabeth Barretts gewesen, und ihr Leben sei weder so dunkel noch so romantisch gewesen, wie die Autorin es sich vorstellte. Elizabeth Wilson endete in geistiger Umnachtung.
Im Postskriptum ihres am 19. September 1846 abgestempelten Briefs, II, 567.
Nathaniel Hawthorne (1804–64), der große amerikanische Erzähler (The Scarlet Letter, 1850), kannte die Brownings in Rom 1858/9. Sein Roman The Marble Faun (1860) spielt in Rom.
Byrons Hund hieß Boatswain. Auf seinem Denkmal in Newstead steht, er habe »Schönheit ohne Eitelkeit« besessen, »Stärke ohne Frechheit, Mut ohne Wildheit, und alle Tugenden des Menschen ohne seine Laster«.
Es herrscht allgemeines Einverständnis darüber, daß die Familie, von der der Gegenstand dieser Erinnerungen abzustammen beansprucht, bis in uralte Zeiten zurückreicht. So ist es denn auch nicht weiter seltsam, daß der Ursprung des Namens selbst sich in dunkle Fernen verliert. Vor vielen Millionen Jahren gärte das Land, das heute Spanien genannt wird, im ungemütlichen Prozeß seiner Schöpfung. Unendliche Zeiten vergingen; Vegetation stellte sich ein; wo es Vegetation gibt, so dekretiert das Naturgesetz, da sollen Kaninchen sein; wo es Kaninchen gibt, so bestimmt es die Vorsehung, da sollen Hunde sein. Daran ist nichts Fragliches oder Bemerkenswertes. Wenn wir jedoch fragen, weshalb denn der Hund, der das Kaninchen fing, Spaniel genannt wurde, dann fangen Zweifel und Schwierigkeiten an. Manche Historiker behaupten, als die Karthager in Spanien landeten, hätten die Soldaten wie aus einem Munde »Span! Span!« gerufen – denn Kaninchen seien aus jedem Strunk und Strauch hervorgeschossen. Das Land wimmele von Kaninchen. Und Span bedeute in der karthagenischen Sprache Kaninchen. So sei das Land denn Hispania oder Kaninchenland genannt worden, und die Hunde, die man fast augenblicklich dabei erblickte, wie sie aus Leibeskräften Jagd auf die Kaninchen machten, habe man Spaniels oder Kaninchenhunde genannt.
Viele von uns wären es nun zufrieden, die Sache auf sich beruhen zu lassen; wir sehen uns um der Wahrheit willen jedoch genötigt hinzuzusetzen, daß es noch eine andere Schule des Denkens gibt, die eine andere Meinung vertritt. Das Wort Hispania, behaupten diese Gelehrten, habe nicht das allermindeste mit dem karthagenischen Wort span zu tun. Hispania komme von dem baskischen Wort españa, das Saum oder Grenze bedeutet. Wenn das der Fall ist, müssen Kaninchen, Gesträuch, Hunde, Soldaten – überhaupt das ganze romantische, ergötzliche Bild aus der Vorstellung gestrichen werden; und wir müssen einfach annehmen, daß der Spaniel Spaniel genannt wird, weil Spanien España heißt. Was nun die dritte Schule der Altertumsforscher angeht, die behauptet, gerade wie ein Liebhaber seine Geliebte Ungeheuer oder Äffchen nenne, so würden die Spanier ihre Lieblingshunde abgefeimt oder auch ruppig nennen (das Wort españa läßt sich dazu bewegen, diese Bedeutungen anzunehmen), weil der Spaniel notorisch das Gegenteil davon sei – so ist das denn doch eine allzu phantastische Mutmaßung, als daß man sie im Ernst zu vertreten vermöchte.
Wenn wir diese Theorien, und noch viele andere, die uns hier nicht aufzuhalten brauchen, beiseite lassen, gelangen wir in das Wales um die Mitte des zehnten Jahrhunderts. Der Spaniel ist bereits dort, ist schon vor vielen Jahrhunderten, so heißt es jedenfalls, von dem spanischen Klan der Ebhor oder Ivor dorthin gebracht worden; und mit Sicherheit um die Mitte des zehnten Jahrhunderts ein Hund von hohem Wert und Ansehen. »Der Spaniel des Königs ist ein Pfund wert«, so legte Howel Dha den Preis in seinem Book of Laws fest. Und wenn wir uns ins Gedächtnis rufen, was man im Jahr des Herrn 948 mit einem Pfund alles kaufen konnte – wie viele Ehefrauen, Sklaven, Pferde, Ochsen, Truthähne und Gänse –, dann wird offenkundig, daß der Spaniel bereits ein Hund von Wert und Ansehen war. Er hatte seinen Platz bereits an der Seite des Königs. Früher als die Familien vieler berühmter Monarchen wurde die seine schon in Ehren gehalten. Er ließ es sich in Palästen wohl sein, während die Platagenets und die Tudors und die Stuarts hinter anderer Leute Pflügen durch anderer Leute Schlamm stapften. Lange bevor sich die Howards, die Cavendishs oder die Russells über das gemeine Volk der Smiths, Jones' und Tomkins erhoben hatten, war die Spanielfamilie bereits eine vornehme und besondere Familie. Und mit dem Verstreichen der Jahrhunderte brachen Seitentriebe aus dem Hauptstamm hervor. Nach und nach entstanden, während die englische Geschichte ihren Lauf nahm, wenigstens sieben berühmte Spanielfamilien – die Clumber, die Sussex, die Norfolk, die Black Field, die Cocker, die Irish Water und die English Water, die zwar alle von dem Urspaniel prähistorischer Zeiten abstammten, dabei jedoch unterschiedliche Eigenschaften aufwiesen und infolgedessen zweifellos ebenso unterschiedliche Privilegien beanspruchten. Daß es, während Königin Elizabeth den Thron innehatte, eine Hundearistokratie gab, bezeugt Sir Philip Sidney: »… Greyhounds, Spaniels und Hounds«, bemerkt er, »wobei erstere als Lords gelten können, die zweiten als Gentlemen und letztere als Freisassen«, schreibt er in seiner Arcadia.[1]
Doch wenn uns das auch vermuten läßt, daß die Spaniels dem menschlichen Beispiel folgten und zu den Greyhounds als über ihnen stehend aufblickten und die Hounds als tieferstehend betrachteten, so müssen wir doch zugeben, daß ihre Aristokratie besser begründet war als die unsere. Zu der Schlußfolgerung muß jedenfalls ein jeder gelangen, der die Satzung des Spaniel Clubs studiert. Durch jenes erlauchte Regelwerk wird klipp und klar festgelegt, was die Untugenden eines Spaniels ausmacht und was seine Tugenden. Helle Augen, beispielsweise, sind unerwünscht; gelockte Ohren sind noch schlimmer; gar mit einer hellen Nase oder einem Schopf geboren worden zu sein, ist nichts weniger als verhängnisvoll. Die Vorzüge des Spaniels sind gleichermaßen klar umrissen. Sein Kopf muß glatt sein und sich ohne allzu ausgeprägte Wölbung von der Schnauze erheben, der Schädel muß entsprechend gerundet sein und gut ausgebildet, so daß darin hinlänglich Platz für ein tüchtiges Gehirn ist; die Augen müssen rund, ohne jedoch vorzuspringen, seine Ausstrahlung muß insgesamt die einer sanftmütigen Intelligenz sein. Der Spaniel, der diese Merkmale an den Tag legt, wird gefördert und zur Zucht verwendet; der Spaniel hingegen, der darauf besteht, Haarschöpfe und helle Nasen fortzupflanzen, wird von den Privilegien und Erträgnissen seiner Rasse abgeschnitten. So legen die Richter das Gesetz fest und schreiben, indem sie das Gesetz festlegen, die Bestrafungen und Privilegien vor, die gewährleisten, daß dem Gesetz auch Folge geleistet werden wird.
Wenn wir uns jetzt jedoch der menschlichen Gesellschaft zuwenden, welchem Chaos und welchem Wirrwarr begegnen wir da! Kein Club hat eine vergleichbare Rechtsprechung im Hinblick auf die Zucht des Menschengeschlechts! Am nächsten kommt dem Spaniel Club noch das Wappenamt. Es unternimmt immerhin gewisse Anstrengungen zur Reinerhaltung der menschlichen Familie. Wenn wir jedoch fragen, was denn die adlige Abkunft ausmache – ob unsere Augen hell sein sollen oder dunkel, unser Ohrbehang gelockt oder glatt, ob ein Schopf verhängnisvoll ist, dann verweisen unsere Richter uns lediglich auf unsere Wappenzeichen. Vielleicht haben Sie keins. Dann sind Sie niemand. Doch erheben Sie einmal berechtigten Anspruch auf sechzehn Teilungsfelder, belegen Sie Ihr Anrecht auf eine Krone, dann heißt es, Sie seien nicht nur geboren, sondern obendrein noch hochwohlgeboren. Daher kommt es denn, daß in ganz Mayfair nicht ein einziger Muffinbäcker ohne seinen kauernden Löwen oder seine sich aufrichtende Meerjungfrau auskommt. Selbst noch unsere Weißzeughändler montieren sich das Königliche Wappen über die Türen, als beweise das, daß sich in ihrem Bettzeug sicher schlafen ließe. Allseits wird Rang beansprucht, und dessen Tugenden werden geltend gemacht. Doch wenn wir dann die Königshäuser derer von Bourbon, Habsburg und Hohenzollern einmal näher betrachten, die mit wer weiß wie vielen Kronen und Teilungsfeldern dekoriert sind, die von wer weiß wie vielen kauernden oder sich aufrichtenden Löwen und Leoparden strotzen, und wir sie sämtlich im Exil finden, ihrer Autorität entkleidet, jeglichen Respekts für unwürdig befunden, können wir nur kopfschüttelnd zugeben, daß die Richter des Spaniel Clubs besser gerichtet haben. So lautet die Lektion, die unmittelbare Bekräftigung findet, sowie wir von derlei hochgestochenen Themen zur Betrachtung der Anfänge Flushs in der Familie der Mitfords[2] übergehen.
Um das Ende des 18. Jahrhunderts herum lebte ein Zweig der berühmten Rasse der Spaniels bei Reading im Haus eines gewissen Dr. Midford oder Mitford. Jener Herr zog es, in Übereinstimmung mit den geheiligten Grundsätzen des Wappenamts, vor, seinen Namen mit ttd