Dr. med. Alexander Sembritzki
Wie Gefühle heilen
Der Schlüssel zu Lebendigkeit, Wohlbefinden und Gesundheit
Knaur e-books
Dr. Alexander Sembritzki ist Facharzt für Allgemeinmedizin und zugleich erfahrener Therapeut und Dozent in Chinesischer Medizin. Aus einer zeitgemäßen Synthese fernöstlicher und westlicher Heilmethoden eröffnet er neue Wege und Sichtweisen zu ganzheitlicher Heilung. Sein ganzheitlich-naturheilkundlicher Ansatz bezieht sowohl die körperliche wie die geistig-seelische Ebene ein. Dabei steht die Aktivierung der Selbstheilungskräfte und der individuellen Lebensenergie im Vordergrund. Er lebt und arbeitet in München.
www.dr-sembritzki.de
© 2015 der eBook-Ausgabe Knaur eBook
© 2015 Knaur Verlag
Ein Imprint der Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.
Redaktion: Carlo Günther
Körpergrafik: Shutterstock/Vadimmus
Illustrationen: Jürgen Katzenberger
Covergestaltung: ZERO Werbeagentur, München nach einem Entwurf von Jürgen Katzenberger
Coverabbildung: FinePic®, München
ISBN 978-3-426-42656-2
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Ich widme dieses Buch in Dankbarkeit
meinen Kindern Julian und Luisa
Eine junge Frau kam wegen seit Jahren auftretender starker Migräneanfälle zu mir in die Praxis. Zugleich litt sie unter einer schweren chronischen Entzündung der Gallenwege, die drohte, allmählich die gesamte Leber zu zerstören.
Im Zuge der Behandlung mit chinesischen Rezepturen und Akupunktur trat eine spürbare Besserung ein, doch der eigentliche Durchbruch wurde durch ein ungewöhnliches Ereignis ausgelöst.
Nachdem sie einige Wochen nicht in der Praxis erschienen war, erzählte sie beim nächsten Besuch, dass ihr Mann fremdgegangen sei und diese andere Frau ein Kind von ihm erwartete. Diese Nachricht habe sie so mit Wut und Zorn erfüllt, dass sie sich tagelang betrunken habe. Unter dem Alkoholeinfluss habe sie ihrer Wut schreiend und tobend Luft verschafft, allerdings ohne dabei jemanden tätlich anzugehen. Sie komme nun mit schlechtem Gewissen und in der bangen Erwartung, dass sich ihr Leberbefund nach den Alkoholexzessen wohl deutlich verschlechtert haben müsste.
Doch ein neuer Test zeigte zu ihrer und auch meiner Verblüffung, dass sich der körperliche Befund und sämtliche Leber- und Gallenblasenwerte im Blut drastisch und nachhaltig verbessert hatten! Auch die Anspannung in der Lebergegend war vollständig verschwunden. Und das Erstaunlichste war, dass von diesem Zeitpunkt an kein einziger Migräneanfall mehr aufgetreten war! Trotz der anfänglichen persönlichen Enttäuschung fühlte sie sich nach diesem Ereignis viel gelöster. Sie hatte so viel mehr Energie, dass sie, entgegen früherer Gewohnheiten, unbändige Lust auf Bewegung verspürte und begonnen hatte, täglich Sport zu treiben.
Was war in der kurzen Zeit geschehen? Was hatte diese enorme psychische und physische Verbesserung verursacht? Aus Sicht der Traditionellen Chinesischen Medizin gibt es eine einfache Erklärung für die Beschwerden der Frau. Wahrscheinlich waren sowohl die Gallenbeschwerden wie auch die Migräne nur ein körperlicher Ausdruck für ihre jahrelang unterdrückte und aufgestaute Wut. Jahrelang hatte sie ihren Ärger gar nicht zugelassen oder zum Ausdruck gebracht. Erst das Fremdgehen ihres Mannes hatte ihr einen ausreichenden Grund gegeben, ihre übergroße innere Aggression auch nach außen zu richten und damit ihre jahrelang gefestigte Blockade zu durchbrechen. In späteren therapeutischen Sitzungen wurde ihr klar, wie gründlich sie alle aggressiven Impulse jahrelang verdrängt hatte. Es war ihr früher nicht aufgefallen, wie lustlos sie oft im Alltag gewesen war und wie häufig sie gedanklich über alles und jeden schimpfte und grummelte, ohne es überhaupt als Aggression wahrzunehmen. Nun fiel ihr zu ihrem Entsetzen auf, dass sie dabei nicht nur andere, sondern vor allem sich selbst permanent beschimpft hatte. Die Aggression hatte sich also größtenteils unbemerkt gegen sie selbst gerichtet.
Diese Erkenntnis, dass unterdrückte Gefühle krank machen, ist keineswegs neu: Schon die alten chinesischen Weisen und Ärzte kannten neben den Lebensgewohnheiten vor allem zwei wesentliche Ursachen für Krankheit: die äußeren in Form von Klimafaktoren wie Hitze oder Kälte und die inneren in Form von unterdrückten oder überschießenden Gefühlen. Das bedeutet allerdings nicht, dass alle körperlichen Beschwerden und Krankheiten aus unterdrückten Gefühlen entstehen. Aber obwohl sich in den letzten Jahren selbst in der modernen westlichen Medizin immer mehr die Erkenntnis durchsetzt, dass Gefühle bei der Entstehung und auch Heilung von Krankheiten eine gewaltige Rolle spielen, scheint sie noch nicht in der Gesellschaft angekommen zu sein. Zu viele Patienten, die ich tagtäglich behandle, weisen die Kraft der Gefühle für den Heilungsprozess weit von sich, vertrauen zu sehr auf die Wirkung von Medikamenten und die Macht der logischen Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge – und sind dann umso mehr erstaunt, welchen Einfluss ihre Gefühle am Ende doch haben. In meiner täglichen Arbeit als Allgemeinmediziner und Arzt für integrative sowie Traditionelle Chinesische Medizin und anderer fernöstlicher Heilmethoden geht es mir darum, ihren Stellenwert in der Heilung hervorzuheben, Zusammenhänge zu erklären, Bewusstsein zu schaffen und Lösungsansätze zu zeigen. Das werde ich auch in diesem Buch tun.
So kann der Titel dieses Buches Wie Gefühle heilen in doppeltem Sinne verstanden werden. Wir werden uns der Frage zuwenden, wie Gefühle einerseits »gesund und heil machen können« und andererseits »gesund und heil werden«. Als Arzt finde ich es schwierig, vom »Heilen« zu sprechen, da ich mir bewusst bin, dass auch der beste Therapeut von außen lediglich Impulse zu setzen vermag. Heilung ist grundsätzlich nur von innen heraus durch die Selbstheilungskräfte möglich. Selbst der Chirurg, der den entzündeten Blinddarm entfernt, ist darauf angewiesen, dass das Gewebe danach heilt und alle Funktionen wieder in Gang kommen.
Wenn wir uns unwohl fühlen und zum Arzt gehen, dann fragt dieser häufig: »Was fehlt Ihnen denn?«, oder auch: »Was für Beschwerden haben Sie?« Er fragt also, wovon wir zu wenig oder was wir zu viel haben, um uns gesund und ganz zu fühlen. Das bedeutet, dass wir uns unwohl und krank fühlen, wenn wir in irgendeiner Hinsicht aus dem Gleichgewicht geraten sind, ganz besonders auch in unseren Gefühlen. Einerseits sind wir von starken Gefühlen wie besessen, z.B. von übermächtiger Angst oder auch von ständigem Streben nach Lust und Freude. Andererseits macht es uns krank, wenn wir unsere Gefühle allzu lange unterdrücken und verdrängen. Doch im Spannungsfeld zwischen beruflichen Ansprüchen und persönlichen Bindungen in Familie und Partnerschaft, mit Kindern und Freunden neigen wir dazu, unsere Gefühle in jedem Augenblick unter Kontrolle zu halten. Wir sind so damit beschäftigt, alles richtig zu machen und dabei irgendwelchen Erwartungen gerecht zu werden. Wir bemühen uns, keine Ängste zu haben, nicht traurig zu sein und über unseren Ärger hinwegzusehen. Auch wenn solche Gefühle längst in uns wirksam sind, verbergen wir sie nicht nur vor anderen, sondern auch vor uns selbst. Oft reden wir uns ein, dass es gar keinen Grund dafür gebe, Angst zu haben oder sich zu ärgern – schließlich versuchen wir ja ein bestimmtes Selbstbild aufrechtzuerhalten.
Aus diesem Grund lassen wir in den meisten Momenten nur Anteile unserer Gefühle zu. Dadurch sind wir nicht mehr vollständig in Kontakt mit uns selbst und dem, was uns wirklich bewegt. Wir haben gelernt, weniger unseren Empfindungen und Gefühlen zu vertrauen als unseren Gedanken. Wenn wir aber unsere Gefühle immerzu unterdrücken und ausblenden, dann berauben wir uns unserer Lebendigkeit. Unterdrückte Gefühle stauen sich dann im Unterbewusstsein auf und entladen sich unkontrolliert in unseren Gedanken, in unserem Verhalten oder auch in Krankheiten. Gleichzeitig geht es nicht darum, Gefühle einfach unkontrolliert auszuleben, sondern darum, zu verstehen, dass keines unserer Gefühle an sich gut oder schlecht ist. Unsere Gefühle machen uns lediglich auf innere Spannungen und unerfüllte Bedürfnisse aufmerksam und lassen uns über das unmittelbare Empfinden im Körper ganz im Hier und Jetzt sein. So sind sie der Schlüssel für unser Wohlbefinden, unsere Gesundheit und unser Glück.
Doch wie funktioniert es, dass unsere Gefühle uns krank und unglücklich, aber auch gesund und glücklich machen können? Wie und wo nehmen wir Gefühle wahr und erkennen ein Gefühl als Gefühl?
Als Erstes gehen wir der Frage nach, was Fühlen für uns Menschen bedeutet und ob wir Fühlen mit Gefühl gleichsetzen können.
Nicht alles, was wir umgangssprachlich »Fühlen« nennen, ist auch ein Gefühl im engeren Sinne. Mit unseren hochspezialisierten fünf Sinnen sehen, hören, riechen, schmecken und ertasten wir die Welt. Äußere Reize lösen Sinnesempfindungen aus, mit denen wir über den Körper unsere Umwelt wahrnehmen und mit dieser in Beziehung treten. Gleichzeitig nehmen wir auch uns selbst im Körper wahr, unsere Muskeln, Knochen und Gelenke, unsere Körperposition, unser Gleichgewicht im Raum. Auch das innere Empfinden im Bauch- und Brustraum gibt uns wichtige Informationen, ob wir uns wohl oder unwohl fühlen, ob wir Hunger oder irgendwelche anderen Bedürfnisse haben. In diesem Sinne ist Hunger kein Gefühl, sondern eine Körperempfindung, die wir in der Magengegend wahrnehmen. Verschwindet der innere oder äußere Reiz, dann verschwindet auch bald die ausgelöste Empfindung. Ist der Hunger also gestillt, haben wir schon fast vergessen wie er sich anfühlt. Unser Bauch- und Brustraum ist von einem primitiven Nervennetz durchzogen, dem vegetativen Nervensystem, auch Solarplexus genannt. Zusammen genommen würde es mindestens von der Erde bis zum Mond reichen. Es findet sich schon bei Weichtieren und einfachen Lebensformen.
Schon Seeanemonen zeigen eine Urreaktion auf Reize: bei passender Wassertemperatur und entsprechendem Nahrungsangebot öffnen sie sich, bei Gefahr oder Störung ziehen sie sich zusammen und verschwinden in ihrer festen Basis. Dieses Reiz-Reaktions-Muster des Öffnens auf angenehme Reize und des Schließens auf unangenehme, weil potenziell bedrohliche Reize ist charakteristisch für alles Leben. Als unangenehm werden Reize ab einer bestimmten Reizintensität oder Plötzlichkeit empfunden. Dieses Reflexverhalten ist auch in unserem sogenannten vegetativen oder auch autonomen Nervensystem tief verankert und prägt das Instinktverhalten von Mensch und Tier. Auf laute Geräusche zucken wir instinktiv zusammen, und unsere Magengegend verkrampft sich, im Extremfall bis zur Schmerzhaftigkeit.
Bei Wirbeltieren wie Eidechsen arbeitet das vegetative Nervensystem mit dem sogenannten Stammhirn zusammen, das neben dem Instinktverhalten auch für die Regulation der Körperfunktionen wie Temperatur, Kreislauf und Atmung zuständig ist. Diese Funktionen erfolgen fast vollständig unbewusst.
Zu stark empfundene Reize lösen reflexartig Rückzugsverhalten als Schutzmechanismus aus. Über diese Mechanismen haben sich auch die Gefühle entwickelt. Wenn wir beispielsweise Angst haben, ziehen sich unser Vegetativum und unser Körper in ähnlicher Weise reflexartig zusammen. Und doch haben Gefühle noch weiter reichende Dimensionen als einfache Körperempfindungen, Reflexe und Instinktverhalten. Gefühle finden nicht primär im Gehirn, sondern im Körper statt, sodass wir sie vor allem durch die Reaktionen und Empfindungen in unserem Körper wahrnehmen. Empfindungen sind in der Lage, Gefühle auszulösen, und Gefühle lösen Körperempfindungen aus. Wenn wir nicht auf unsere Körpersignale achten, dann tun wir uns auch schwer, unsere Gefühle entsprechend wahrzunehmen.
Wenn Sie prüfen wollen, wie Sie sich in diesem Moment fühlen, sollten Sie daher nicht Ihren Verstand fragen und darüber nachdenken. Vielmehr empfiehlt es sich, innezuhalten im Tun, für einen Moment die Augen zu schließen und in den eigenen Körper horchend hineinzufühlen.
Welche Lage im Raum nehmen Sie gerade ein?
Bemerken Sie Verspannungen? Wo fühlen Sie im Körper, ob Sie sich wohl oder unwohl fühlen? Achten Sie auf die vielfältigen Empfindungen in Ihrem Körper.
Wenn da ein Gefühl ist, wo im Körper würden Sie dieses wahrnehmen? Und was macht ein Gefühl zum Gefühl – im Unterschied zur reinen Empfindung?
Empfindungen können wir überall im Körper haben, ganz besonders an Händen, Füßen und am Kopf. In diesen Regionen tun wir uns jedoch mit dem Wahrnehmen von Gefühlen schwer. Gefühle nehmen wir in unserer Körpermitte, in Bauch- und Brustraum und, wenn sie stark sind, manchmal auch im Hals wahr. Empfindungen sind lediglich in den Arealen zu spüren, auf die ein bestimmter Reiz einwirkt, und mit dessen Verschwinden lassen sie sofort nach. Gefühle spüren wir in der Tiefe unseres Körpers, sie erfassen uns als ganze Person und können weit länger dauern als der auslösende Reiz.
Denn Gefühle sind Bewegungen in unserem Inneren. Sie haben nicht nur unterschiedliche Intensitäten, sondern je nach Gefühl auch verschiedene Bewegungsrichtungen und Auswirkungen. Gefühlsbewegungen in unserem Körperstamm können mächtig sein und uns vollständig erfüllen. Meist sind sie mit einer Vielzahl von Empfindungen im ganzen Körper verbunden. Wenn Sie sich beispielsweise ärgern, spüren Sie eine wachsende Anspannung im Bauch, die dann zunehmend nach oben aufsteigt. Ärger hat also eine spezifische Bewegungsrichtung von unten nach oben. Entlädt sich der Ärger nach außen, dann wird er als Emotion nach außen hin sichtbar. Das Wort »Emotion« kommt vom lateinischen »e-movere« (herausbewegen, emporwühlen) und bringt den Bewegungscharakter von Gefühlen deutlich zum Ausdruck. Der Übergang von einem innerlich wahrgenommenen Gefühl zu einer durch Mimik, Gestik, Lautäußerung und Verhalten äußerlich sichtbaren Emotion ist naturgemäß fließend. Doch es stellt sich die Frage, was bewegt uns im wahrsten Sinne des Wortes, wenn wir von einem Gefühl erfasst wurden?
Einerseits bewegt und verändert sich etwas in unserer Atmung, wenn wir emotional werden. Andererseits finden wir in der chinesische Medizin eine schlichte, aber folgenreiche Antwort: In unserem Körper bewegt sich Lebensenergie, die im Chinesischen mit dem unübersetzbaren Begriff Qi bezeichnet wird. Jedes Gefühl ist Ausdruck dieser Lebensenergie und hat eine spezifische Bewegungsrichtung in unserem Körperstamm. Dabei löst es verschiedene begleitende Körperreaktionen aus. Eine Konsequenz ist, dass diese Lebensenergie sogar dann körperlich wirksam ist, wenn wir das damit verbundene Gefühl gar nicht bewusst wahrnehmen. Wenn wir beispielsweise überzeugt sind, nicht wütend zu sein, unterschwellig aber doch verärgert sind, dann wirkt die energetische Dynamik unseres Ärgers unabhängig von unserer Wahrnehmung. Er kann sich dann über verschiedene Körpersymptome wie Magenkrämpfe, verspannte Schultern oder Kopfschmerzen äußern, weil die mit dem Gefühl verbundene Lebensenergie Qi nicht einfach verschwindet. Oder der Ärger platzt umso vehementer beim nächsten, noch so unbedeutenden Auslöser als Wutanfall hervor. Dann erschrecken wir selbst vor der Heftigkeit des unerwarteten Gefühlsausbruchs.
Wir können die Wahrnehmung eines Gefühls ausblenden oder ihren Ausdruck nach außen unterbinden, und dennoch gilt ein gewisser Energieerhaltungssatz. Gefühle sind Lebensenergie und sie verschwinden nicht einfach, bis wir sie wahrgenommen und bis zu einem gewissen Grad zugelassen haben, so dass sie sich in andere Energieformen verwandeln können. Gefühle werden häufig symbolisch mit Wasser verglichen. Sie können eingefroren sein wie Eis, sie können schmelzen, fließen, überfluten, überkochen, sich in Luft auflösen oder kondensieren. Wie Wasser sind sie wandelbar und eng mit den Wandlungen der Lebensenergie Qi verbunden.
Interessanterweise haben Reptilien ein auffallend großes sogenanntes Riechhirn, das entwicklungsgeschichtlich der Ausgangspunkt für die Entwicklung des emotionalen Gehirns, des sogenannten limbischen Systems, wurde. Diese sehr direkte Verbindung zwischen Riechorgan und limbischem System ist auch der Grund dafür, dass bestimmte Geruchsreize – beispielsweise von Sexualduftstoffen – auch beim Menschen unbewusst wahrgenommen werden und unmittelbare Gefühlsregungen auslösen können. Manche Gerüche lösen unmittelbar Anziehung und Lustgefühle, andere Abstoßung und Unlustgefühle aus. Man sagt ja auch, dass man »jemanden gut riechen« oder »nicht riechen kann«.
Aus den wechselwarmen Reptilien haben sich die warmblütigen Tiere entwickelt, einerseits die Vögel und andererseits die Säugetiere. Gerade für die Brutpflege wurde nun jedoch eine deutlich komplexere Kommunikation notwendig, zumal die Nachkommenschaft viele Fähigkeiten und einen großen Anteil des Wissens von den Eltern erlernt und nicht mehr nur instinkthaft mitbringt. Aus diesem Grund entwickelte sich bei Vögeln und in noch stärkerem Ausmaß bei Säugetieren das als emotionales Gehirn bezeichnete limbische System. Dieses besteht aus verschiedenen, in Form von kreisenden Nervenbahnen miteinander verbundenen Anteilen. Bei Lernprozessen und bei der Verarbeitung emotionaler Eindrücke spielt das Wiederholen durch kreisende Erregung eine wichtige Rolle. Insofern zeigt hier schon die Hirnentwicklung die enge Verbindung des Gefühlslebens mit Lernprozessen. Beispielsweise ist bekannt, dass reine Information im Allgemeinen schwerer aufgenommen und gelernt wird als emotional aufgeladene Lernerfahrungen, vor allem wenn diese mit verschiedenen Sinnesreizen gekoppelt sind. Bei Säugetieren und Menschen hat sich also im Gefolge des Gefühlslebens eine über das Individuum hinausgehende soziale Wahrnehmung und Kommunikation entwickelt. Stimmungen und Gefühle anderer können wahrgenommen und sogar nachgefühlt werden.
Bei uns Menschen hat sich über dem limbischen System, unserem »Gefühlsgehirn«, die Großhirnrinde mit ihren beiden großen Hirnhälften entwickelt. Sie ermöglicht uns komplexere Denkprozesse und ist Sitz des bewussten Verstandes. Doch auch hier wird uns nur ein kleiner Teil der Aktivitäten bewusst. In der Großhirnrinde findet auch das Wiedererkennen bereits erlebter Situationen statt, indem bestimmte Empfindungen und Gefühle mit Erinnerungen und Bildern assoziativ in Verbindung gebracht werden.
Wenn wir mit unseren Sinnen etwas wahrnehmen, sei es außerhalb oder auch innerhalb des Körpers, dann versucht unser Gehirn sofort zu verstehen, worum es sich handelt und welche Bedeutung dies für uns hat. Schon während wir ein Gefühl erleben, analysiert der Verstand, um welches Gefühl es sich handelt und worauf es sich bezieht. Automatisch vergleicht der Verstand mit früheren Erlebnissen und früher erworbenem Wissen und versucht, das Gefühl zu kategorisieren. Nachdem der Verstand selbst nicht zu fühlen in der Lage ist, geht er unweigerlich in Distanz zum Gefühl. Er betrachtet es sozusagen von oben und fühlt sich in der Regel darüber erhaben. Das Gefühl kann diese Distanz nicht selbst herstellen, es ist stets eins mit sich selbst.
Wie unser entwicklungsgeschichtliches Erbe bei uns wirkt, wird erkennbar, wenn Sie zum Beispiel ein kleines Kind beobachten, das zum ersten Mal eine Herdplatte berührt. Bei Hitzeempfindung zieht es instinktiv und reflexartig die Hand zurück. Möglicherweise ist es furchtbar erschrocken und im ersten Moment wie gebannt. Dann empfindet es den Schmerz und eine Fülle von Emotionen, die sich in lautem Schreien und Weinen entladen. Es fühlt sich in seiner Integrität, also Unversehrtheit, angegriffen und weiß noch nicht, wie gefährlich das Erlebte wirklich ist. Es sieht sich hilfesuchend nach der Mutter um. Die Mutter nimmt es in den Arm und die Tränen kullern. Die Mutter gibt Geborgenheit und liebevolles Verständnis und zugleich die Versicherung, dass nichts wirklich Schlimmes geschehen ist. Sie hält mit dem Kind die Hand unter kaltes Wasser und zeigt ihm, wie es mit einer solchen Situation umgehen kann. Jeder dieser Augenblicke ist für das kleine Kind mit vielen Gefühlsbewegungen verbunden. Insbesondere durch das Verhalten der Mutter wird es sich der Situation bewusst und lernt nicht nur, dass es mit Herdplatten vorsichtig sein muss. Es lernt auch, dass seine Empfindungen und Gefühle richtig und wichtig sind und wie es mit ihnen umgehen kann.
Ein Reiz löst also über die Sinnesempfindung bestimmte Reflexreaktionen aus. Erst danach führt die dadurch ausgelöste innere Bewegung zu emotionaler Reaktion. Und erst einen Schritt später erfolgt die Bewertung durch den Verstand und das Bewusstwerden über sich und die Umwelt. Durch eine Vielzahl von Erlebnissen werden auf allen drei Ebenen – der Empfindungsebene, der Gefühlsebene und der Verstandesebene – verschiedenste Nervenverknüpfungen angelegt, sogenannte Synapsen. Diese ermöglichen uns zu lernen und uns den jeweiligen Umweltbedingungen anzupassen. Diese Mechanismen prägen entscheidend, wie stark wir unser Körperbewusstsein entwickeln, wie wir mit Gefühlen umgehen und welches Verständnis wir von der Welt haben. Jede Erfahrung prägt uns lebenslang. Andererseits hört dieser Lernprozess niemals auf, so dass eingefahrene Reiz-Reaktions-Muster auch wieder überschrieben werden können und neue Nervenverbindungen geknüpft werden.
Ob wir eher ein Verstandesmensch oder ein Gefühlsmensch sind, hat wesentlichen Einfluss darauf, wie wir die Dinge wahrnehmen, Entscheidungen treffen und uns in verschiedenen Situationen verhalten. Gerade in Beziehungen wird deutlich, wie viele Paare über Missverständnisse in Streit geraten, weil der eine auf Verstandesebene und der andere auf Gefühlsebene argumentiert.
Der Mensch hat die einzigartige Fähigkeit, seine Umwelt und sogar sich selbst zu betrachten, sich ein eigenes Bild von der Welt zu schaffen und seine Umwelt danach zu bewerten und zu gestalten. Der Verstandesbetonte versucht eine vermeintlich objektive Sicht auf die Dinge einzunehmen, bei der er nicht in, sondern außerhalb einer Situation steht. Auf Verstandesebene geht es darum, Sachverhalte festzustellen und möglichst klar und rasch Lösungen zu formulieren.
Ganz anders der Gefühlsmensch, der sich mehr von seinen Stimmungen und Gefühlen leiten lässt. Unsere Gefühle sind subjektiv und sie setzen uns unmittelbar, aber auf sehr individuelle Weise mit unserer Umwelt und mit anderen Menschen in Beziehung. Mit ihrer Hilfe versetzen wir uns in andere hinein und versuchen deren Bedürfnisse zu verstehen. Gefühle schaffen eine persönliche Beziehung und Betroffenheit. Gehen wir bewusst mit unseren Gefühlen um, dann erhalten wir wichtige Informationen über uns selbst, unsere Mitmenschen und unsere Beziehungen zu ihnen, die unserem Verstand möglicherweise ganz verborgen blieben. Mit unserer Fähigkeit zu fühlen können wir uns in bestimmte Situationen oder in andere Menschen so hineinversetzen, dass wir Komplexität besser erfassen. Handeln wir gefühlsbetont, dann suchen wir zuallererst den Kontakt zu und den Austausch mit anderen Menschen und wir verstehen, dass sich in Menschen subjektive Perspektiven begegnen.
Während unsere Gedanken größtenteils linear aufeinanderfolgen und mehr oder weniger kausal miteinander verknüpft sind, erleben wir im Gefühl viele Aspekte und Wechselbeziehungen auf einmal. In Gefühlen drückt sich oft auch Mehrdeutigkeit aus, wenn wir zum Beispiel gegenüber einer Person gleichzeitig Ärger und Liebe fühlen.
Auch wenn der Verstand mehr für die Sachebene und das Gefühl mehr für die Beziehungsebene zuständig ist, arbeiten Verstand und Gefühl letztlich doch aufs engste zusammen. Sie ergänzen sich gegenseitig und schließen einander nicht aus. So einfach das zu sein scheint, so ist es doch genau die Koordination dieser beiden Ebenen in uns selbst, die uns tagtäglich vor die größten Herausforderungen stellt!
Neben den gefühlsbetonten und den verstandesbetonten Menschen gibt es übrigens noch einen dritten, den vorwiegend handlungsbezogenen Typus. Er ist stärker körperbetont und probiert alles gerne spontan aus – meist im Alleingang. So findet er heraus, was funktioniert und was nicht. Weder möchte er lange überlegen und diskutieren, noch gibt er sich Gefühlen hin. Handlungsbezogene nehmen die Dinge, wie sie im Augenblick sind, und handeln – am besten unmittelbar.

Das Dreieck zwischen Gefühlen, Verstand und Handlung
Natürlich trägt jeder Mensch alle drei Pole in sich. Dennoch haben wir alle bestimmte Neigungen, die sich in unserem Verhalten zeigen. Wie jemand mit einer Situation umgeht, hängt nicht zuletzt davon ab, wie er sich momentan im Spannungsfeld zwischen Körperlichkeit, Gefühlslage und Verstandestätigkeit bewusst oder unbewusst positioniert. Dieses Verständnis hilft uns im täglichen Miteinander. Wenn wir zum Beispiel erkennen, dass wir selbst eher verstandesorientiert sind, unser Partner jedoch gefühlsbezogen und der Chef überwiegend handlungsbetont, dann verstehen und akzeptieren wir uns und die anderen in der jeweiligen Motivation besser. Und wenn jeder so sein darf, wie er von seinem Wesen her ist, können wir uns einfacher annähern und einigen.
Sobald wir unsere persönlichen Erfahrungen zu einem allgemeingültigen Prinzip erklären, gewöhnen wir uns so an diese eine Sichtweise, dass wir für eine andere oft gar nicht mehr zugänglich sind. Dann verstehen wir nicht, dass die erlebte Wirklichkeit eines anderen mit der unseren oft gar nicht vergleichbar ist. Wie schnell urteilen wir dabei über andere, weil wir überzeugt sind, dass unsere Sichtweise richtig, die des anderen aber eindeutig falsch sei. Doch auch wenn wir uns für verstandesbetont halten: Die meisten unserer Handlungen sind stärker gefühlsgesteuert, als wir uns das eingestehen. Wir neigen dazu, für unser Handeln und unsere Entscheidungen allerlei vernünftig klingende Gründe zu finden, zum Beispiel beim Kauf eines Autos oder wenn wir eine Beziehung beenden. Die wirklichen Gründe für solche Entscheidungen sind meist emotionaler Natur, für die wir rationale Argumente finden. Auch wenn uns das nicht immer bewusst ist: Meist hat unser Bauch schon entschieden, bevor wir anfangen, darüber nachzudenken!
Für ein gelingendes Miteinander kann uns der fernöstliche Ansatz helfen, der nicht danach fragt, wer recht hat, sondern der davon ausgeht, dass jeder Mensch eine eigene Wirklichkeit hat und diese auf den unterschiedlichen Ebenen sehr verschieden sein kann. In dieser Sichtweise geht es nicht ums Rechthaben. Entscheidend ist die Kommunikation der verschiedenen Ebenen untereinander, sei es in uns, sei es zwischen uns.
Jetzt könnte man meinen, dass wir in der heutigen Zeit doch, zumindest als Erwachsene, über unseren Körper und unsere Gefühle erhaben sein müssten. Nachdem Effektivität, Produktivität und wirtschaftliches Wachstum immer mehr an Bedeutung gewinnen, prägt dies zunehmend auch unser Denken, Fühlen und Wollen. Wir glauben, schnell und reibungslos funktionieren und möglichst viele Informationen sammeln zu müssen. Viele sind davon überzeugt, dass wir nur das Richtige denken müssten, um erfolgreich und glücklich zu sein.
Die Dominanz des vernunftbetonten Denkens ist in unserer Gesellschaft einer der Gründe, weshalb wir unseren Empfindungen und Gefühlen oft nicht vertrauen. Schließlich haben wir von klein auf gelernt, dass nicht die Gefühle, sondern bestimmte Gedanken uns in der Gesellschaft voranbringen. In Schule und Ausbildung galt es, die »richtige« Lösung auf eine Frage allein über den Verstand zu finden. Dabei erscheinen Gefühle und Empfindungen als Störfaktoren, die eine rationale Lösung eher behindern als fördern. Die Frage ist allerdings, ob Sie allein mit Ihrem Verstand immer die besseren Entscheidungen im Leben treffen? Denn unser Verstand existiert nicht losgelöst, sondern ist im Gegenteil zutiefst von unseren persönlichen Erfahrungen und Gefühlen geprägt. Er betrachtet in jedem Augenblick stets nur einen kleinen Ausschnitt unserer Wirklichkeit. Und in der Regel hat in unserem Verstand in einem Augenblick nicht mehr als ein bewusster Gedanke Platz. Deshalb müssen Gedanken immerzu und in rasendem Tempo von einem Objekt zum nächsten springen, so wie das Auge von Punkt zu Punkt springend ein Bild abtastet. Dadurch werden die einzelnen Punkte in uns zu einem Ganzen verknüpft. Die Beweglichkeit des Verstandes gibt uns einerseits eine erstaunliche Freiheit, denn der Verstand kann Zeit und Raum problemlos überspringen. Sie kann uns allerdings auch rastlos in dauernde Aktivität versetzen und die Verankerung unseres Seins im Körper und im Gefühl rauben.
Denn der Verstand befindet sich immer irgendwo in der Vergangenheit oder in der Zukunft. Jeder Gedanke kann sich nur auf etwas beziehen, das entweder bereits geschehen oder noch gar nicht verwirklicht ist. Insofern kennt der Gedanke keine Gegenwart. Bis der Gedanke das eben Geschehene erfasst hat, ist es ja schon vorüber! Dann springen die Gedanken in die Zukunft und fragen, was wohl als Nächstes kommen wird.