Kerstin Höckel
Wie wir damals auf dem Bauernhof geheiratet haben, und der Alois am Tag drauf fast den Hund erschossen hat, weil er was gegen die Stadtmenschen hat und das Glück überhaupt
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Kerstin Höckel studiert Schauspiel an der Hochschule der Künste Berlin. Nach ein paar Jahren am Theater beginnt sie, Independentfilme zu drehen und Drehbücher zu schreiben. Höckel lebt abwechselnd in Berlin und auf ihrem Bauernhof im Schwarzwald.
Der Kampf um einen alten Bauernhof ist immer ein Feldzug für die Liebe. »Franz behauptet nämlich, ich sei schuld, ich sei ausgeflippt, nachdem ich den Ofen in der Bauernstube entdeckt hatte, Komm wir kaufen au bittebitte komm schon komm, hätte ich ihm zugeflüstert, und den Ottmar oben im Gebälk angeflirtet und runtergehandelt, als ginge es um Leben und Tod.« Mit irrem Tempo und großem Sprachwitz schreibt Kerstin Höckel über ihre Flucht aus der Stadt auf’s Land, wo ihr Glück in Gefahr gerät, bis der Bauernhof Stellung bezieht, urplötzlich ein Baby unterwegs ist und der Städtertraum vom Dorftheater Wirklichkeit wird.
Covergestaltung: bürosüd°
Coverabbildung: Martina Frank
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2011
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ISBN 978-3-10-401055-7
Für Agnes
Franz behauptet, ich sei ausgeflippt, ich hätte den Ausschlag gegeben, ich hätte ihn angefleht. Nachdem ich den großen Ofen in der Bauernstube entdeckt hatte, hätte ich gebettelt, Frommholz zu kaufen, Komm wir kaufen au ja bittebitte komm schon komm, und dann machen wir ein Baby, hätte ich ihm zugeflüstert. Obwohl ich nie ein Hausbesitzer hatte werden wollen noch eine Kleinfamilie, nie, all die Verpflichtungen, Risiken, Zahlungsaufforderungen, nein danke. Ich hätte den Ottmar noch während der Besichtigung um den Finger gewickelt, auf dem Dachboden, oben im Gebälk, hätte ich von null auf hundert angefangen, mit dem zu flirten, als ginge es um Leben und Tod, und den Preis um fünfzehntausend Euro runtergehandelt, dabei war der so schon ein Witz. Dabei war ich noch nicht mal dreißig, dabei war es noch nicht allzu lange her, dass ich aus der Provinz in die Stadt geflohen war.
Mit siebzehn damals in meinem ersten Leben, da musste es nämlich unbedingt die große Stadt sein, so Stadt wie möglich, eine riesige Stadt, unübersichtlich, unabsehbar, Stadtstadt musste es sein. Mit siebzehn soll dich auf der Straße keiner kennen, niemand soll sich Gedanken machen, was die Tochter vom Soundso und die Nichte von der Soundso und die Schwester vom Bruder treibt, und alles das mit der Schwägerin vom Soundso durchhecheln, Die Tochter vom Dings hat vier Bier getrunken und kaum noch den Weg nach Hause gefunden, dabei ist die doch erst siebzehn, Die Schwester vom Dongs weiß nicht, was das Wort Fut bedeutet, das an den Stromkasten geschmiert wurde, dabei ist sie doch schon siebzehn, das hat ihr dann ihr Freund erklärt, der, mit dem sie ausgeht, ohne mit ihm zu gehen, na so was, Die Nichte vom Doktor Soundso hat sich mit einem Kumpel und einer heißen Kartoffel eigenhändig Ohrlöcher gestochen, stellen Sie sich das mal vor, Frau Schwägerin, und der ihre Mutter hat neulich vier Paletten Kiwis gekauft, vier Paletten Sonderangebot beim Aldi, ich bin ja nicht neugierig, aber wer bitte soll die denn alle essen schnatter schnatter lechz.
Die Großstadt war gewesen, was ich brauchte, das Leben am Überangebot vorbei, möglichst weit entfernt von der Frau Schwägerin vom Doktor Soundso, bei dem ja auch der Neffe vom Dings in Behandlung ist mit diesem Furunkel am Kinn schlimme Sache der arme Bub wie will der denn mit dem Ei im Gesicht eine Freundin finden. Der Studienplatz war Vorwand genug, endlich ihrem Wirkungskreis zu entkommen, jedem ihrer Kreise, ich wollte weg sein, gänzlich entbunden, ein winziges Zimmer in einer billigen Wohnung behausen, Schallplatten hören in jeder Lautstärke, Kassetten, Radio. Mitbringen, wen ich wollte und wann, rauchen auf der Fensterbank. Ich nahm die stundenlangen Wege zur Hochschule in Kauf, das Warten vor der Telefonzelle, vor der sich am Wochenende endlose Schlangen bildeten, den Abstieg in den Keller zum Kohleholen Abend für Abend im kontinentalen Winter der Stadt der Städte. Gesund war das nicht, aber es war, was ich wollte. Ich wollte auf den Gehwegen, in den Untergrundbahnen nichts als fremde Gestalten mit ihren Leben und Tätowierungen auf den Schultern, mit ihrer Musik, ihren unbekannten Sehnsüchten und Leiden. Und ich mitten unter ihnen, leidend auch, leidenschaftlich, eine Fremde, sich selbst fremd, doch hartnäckig an einer Liebe festhaltend zu ihrer großen Stadt, beschützt von deren Anonymität, eure Ignoranz war mein Deodorant.
Ich hätte das im Grunde ohne ihn entschieden, behauptet der Franz im Nachhinein gerne, insbesondere wenn es Probleme mit Frommholz gegeben hat und ich mich aus der Affäre ziehen wollte mit Geldsorgen und Zeitnot, erinnerte der Franz mich, dass ich es so gewollt hätte, dass er keine andere Wahl gehabt habe. Wegen meines Jobs waren wir überhaupt in der Gegend unterwegs gewesen, ich sollte Drehorte scouten in Sachen Wald der Märchen, einer dieser aufwendigen Mehrteiler fürs Privatfernsehen, Fördermittel aus Baden-Württemberg, ein bisschen Mystik und deutsches Kulturgut ins Heute übersetzt. Hänsel und Gretel verirren sich auf der Flucht vor dem bösen Wolf, werfen Schneewittchens Stiefschwestern in den Hochofen, wobei im friendly fire die sieben Geißlein draufgehen, eines dieser aufwendigen Projekte, von denen die Cafés in den großen Städten überquellen, Hirngespinste, die eine ganze Generation Praktikum auf Trab hielten, mich inbegriffen, und die es meist haarscharf und dann doch nicht ganz bis zur Realisierung schafften, da einem da oben plötzlich der Mut schwand, oder das Geld, oder das Sagen, was ja gewissermaßen ein und dasselbe ist. Die Produktionsfirma hatte keinen Firmenwagen angeboten, worüber wir großzügig hinwegsahen, der Franz und ich, weil wir mal wieder ziemlich frisch verliebt waren und nach dem Abgeklappere magischer Szenerien des Schwarzwaldes in meinem alten Passat weiterdüsen wollten ans Mittelmeer.
Bloß, dass wir es nicht mal bis an den Alpenrand schafften, weil der Franz eigenmächtig dem Stau auf der Autobahn Richtung Basel und kurz darauf dem Feierabendverkehr am Hirschsprung ausgewichen war. Weil der Franz Schlangestehen hasst wie kaum einen Zweiten und eine kleine Abzweigung zuvor quer in die Hügel geheizt und an Traktoren und Holztransportern vorbeigeschossen war, dass mir schwindelig wurde in den Serpentinen und ich restlos die Orientierung auf der Karte verlor. Die Namen der Ortschaften wurden immer eigentümlicher und nicht mehr verzeichnet, und nach drei Stunden querfeldein Richtung gefühltem Süden schmerzte Franz sein Knie mörderisch, und unsere Mägen knurrten, und unsere Launen sanken tief und tiefer ins Reich der Unterzuckerung, und wir vergaßen, dass wir frisch verliebt waren, und ein Wort gab das andere, und bald stritten wir ohne Sinn und Verstand und keiften und schoben uns die Schuld zu wie einen faulen Fliegenpilz, keiner wollte sie bei sich behalten, die arme. Und der Franz brüllte, ich sei schuld, da ich ihn überhaupt erst in diesen Wald verschleppt hätte, in dem es seit Tagen ohne Unterlass regnete, mit meinem beknackten Übereifer, als hätte das eine mit dem anderen zu tun, und ich antwortete irgendwas ausnehmend Arrogantes, das ich zum Glück vergessen habe, das ihn allerdings restlos in Rage brachte und das Steuer rumreißen ließ und in einen Waldweg einbiegen und viel zu temporeich über das Gewurzel poltern, bis uns der Auspuff vom Katalysator riss.
Wir stiegen aus und begutachteten den Salat, und mir kam diese Mär in den Sinn, an die mein Cousin mich neulich wieder erinnert hat, diese Gruselgeschichte aus Kindertagen, wo zwei in der Pampa eine Panne haben, und er geht Hilfe holen und sie bleibt allein zurück, bis dann ein Verrückter bibber bibber schlotter if you know what I mean, und ich wollte um keinen Preis beim Auto bleiben, während der Franz sich aufmachte zur nächsten Tankstelle oder einem Gasthof oder überhaupt einer menschlichen Behausung, denn es wurde bereits duster und auch so bitterkalt, daher schlug ich einen versöhnlicheren Ton an, nannte ihn Big Love und so und nahm alle Schuld auf mich, auch das mit dem Regen, der applaudierend einsetzte. Wozu streiten, mir war sowieso eher nach Lachen zumute, solch ein hungriges hysterisches, während ich fieberhaft auf der Karte nach unserem Unfallort suchte, und der Franz unterdrückte den Impuls, mir irgendwas ins Gesicht zu stopfen, damit das Gegacker aufhörte, und stapfte einfach drauflos, und zwar statt zurück zur Straße und in die Zivilisation noch tiefer ins Gehölz hinein. Und ich erst mitsamt Landkarte hinterher durch den Regen, und dann blitzartig kehrtgemacht, Wagentüren verschließen, damit der Typ aus der Irrenanstalt aus dieser Mär unsere Laptops nicht mitgehen ließ, und stolperte ihm nach und rief, er solle bitte warten, Jetzt warte doch mal, Mann, Big Love, was willst du bei dem Wetter mitten im Wald, Mann.
Statt einer Antwort begann der Boden zu beben, die Bäume erzitterten, und ein tiefes Brummen näherte sich, der Franz bog trotzig vom letzten halbwegs vernünftigen Weg ab und hetzte, sich in Farn und Tannensetzlingen verfangend, den Hang runter, ich sage nur, Zuckerabfall, und ich stampfte auf der Stelle und versuchte gleichzeitig zu orten, woher das Markerschütternde kam, und schrie, er solle warten, Mann, verdammte Scheiße, und fluchte und fluchte, und der Lärm übertönte aber alles, rückte um die Biegung ins Blickfeld, und zwar als rostgelbes Ungetüm, ein Laster, der den Pfad entlang über Stock und Stein, Felsbrocken und Wurzelwerk getaumelt kam, als wolle er Fahrer mitsamt Lenkung seitlich aus einem der Fenster spucken.
Ich wich in die Böschung aus, das Fuhrwerk hielt vor meiner Nase, ein Mann rief mir etwas zu, was ich nicht verstand, erst nach dreimaliger Wiederholung begriff ich, dass es an seinem Dialekt lag und dass es sich nicht um den Bösen Wolf ins Heute übersetzt handelte, und kletterte mit rotem Kopf aus dem Dickicht und sagte, Wie bitte, und der Fahrer fragte geduldig zum vierten Mal, ob der Mann, der da hinten den Abhang runtergerannt sei, ob der zu mir gehöre, er mutmaßte, dass wir nicht von hier seien, und warnte, dass der Ortsfremde, mein Mann, der in Wirklichkeit mein Freund war, damals noch jedenfalls, unterwegs sei ins Moor, was nicht ganz ohne sei. Er sagte, Besser wir holen den da raus, und ich nickte erschrocken, und stolperte gleich los und rief Franz Franz, und schon sprang der Mann aus dem Führerhaus des Lasters und stürzte sich kopfüber in die dunklen Fluten des Waldes, und ich hätte es ihm zu gerne gleichgetan, seitlich den Berg runter, Franz schreiend und He und Warte, und verhedderte mich aber in einem Brombeerstrauch und brauchte eine halbe Ewigkeit, bis ich die Widerhaken seiner Stacheln aus meiner Haut und dem Pullover und wieder aus dem Fleisch und dann aus dem Hosenbein entfernt hatte, da kamen die Männer schon zurück, der Lasterfahrer vorneweg und der Franz bis an die Fußknöchel voller Schlamm, sie waren derart ins Gespräch vertieft, dass sie mich gar nicht bemerkten, auch die Brombeerstriemen nicht, sie hatten bereits verabredet, dass Ottmar unseren Wagen abschleppen werde, nachdem er seine lächerliche Ladung Holz abgeladen habe, Ottmar wusste auch ein Ferienzimmer für die Nacht, das von seinem Nachbarn, kein Problem, das stehe das ganze Jahr über leer, taha, und Ottmar bot an, sich morgen unseren Auspuff vorzunehmen, Kein Problem, wenn er den nicht selbst anschweißen könne, würde er den Neffen seiner Frau anrufen, der sei in Ausbildung zum Automechaniker und hätte bestimmt am Abend Zeit.
Der Ottmar von der Freiwilligen Feuerwehr, Trainer der F-Jugend, der Ottmar, für den auf fast alle Fragen die Antwort Kei Problem lautete, Sell isch gar kei Problem, Ottmar, der seine Sätze gegen Ende alemannisch an die Decke zog, als müsse man die dort zum Trocknen aufhängen, der sich fast genauso torkelnd fortbewegte wie sein Laster auf felsgesäumten Waldwegen, wegen seines verflixten Knies, Ottmar der Große mit dem Stierschädel, dem markanten Kinn und dem luschdige Mund, der unser Auto anders als verabredet gleich an seinen beladenen Unimog kettete und aus dem Wald zerrte, schepper schepper klong, der Ottmar, der mir die ganze Fahrt bis zu seinem Haus von seinem Ärger mit der Maklerin erzählte, während der Franz den Passat steuerte, da habe er extra das Fußballtraining sausen lassen, weil die ihm einen Termin mit Interessenten vorgeschlagen hatte, die nur zu demunddem Zeitfenster in der Gegend seien, Zeitfenster, wenn er das schon höre, Und dann sagt die fünf Minuten vorher ab, weil sie sich angeblich erkältet habe, als könne man sich innerhalb von fünf Minuten erkälten, da stecke irgendwas anderes dahinter, die habe denen bestimmt einen anderen Hof, ein attraktiveres Objekt, wo für sie mehr bei rausspringt, habe die denen andrehen wollen, da sei er ganz sicher, den Hof habe er halt sehr preiswert angeboten, vielleicht zu günschdik, bestimmt sogar, damit sie ihn endlich loswerden, diesen Leuten gehe es doch nur um den eigenen Profit, so sehe er das jedenfalls, da denke doch keiner mehr mit für den anderen, da denke doch jeder nur noch an sich selbst, bei ihnen im Ort, da greife das auch um sich, die Jungen, die hätten doch heutzutage alles Mögliche im Kopf, nur keine Lust, was fürs Gemeinwohl zu tun, den Hang vor der Kirche sensen oder das Weiherfest organisieren, da müssten immer noch er und seine Kumpels von der Landjugend ran, die alle mittlerweile wacker auf die vierzig zugingen, fünf Minuten vorher hätte die sich gemeldet, da habe er doch längst am Hof gewartet auf die Kundschaft, er sei nämlich ein pünktlicher Mensch, und seine Frau, die Regina, die habe extra den Vater anrufen müssen, weil die nicht wegkonnte, da stand doch das Abendessen auf dem Herd, die habe extra seinen Vater gebeten, dass der rüberlaufe und ihm, dem Ottmar, Bescheid gebe, dass die Besichtigung wegen Krankheit ausfalle, von wegen Krankheit, von wegen Erkältung innerhalb von fünf Minuten, wo gebe es denn so was, eine Unverschämtheit sei das, an Training war da nicht mehr zu denken gewesen, da habe er sich dermaßen geärgert über die, diese.
Die blöde Kuh, schlug ich vor, und er schaute prüfend rüber, ob ich das jetzt ernst meinte, und ich grinste und sagte todernst, Warten ist scheiße, ich hasse Warten, und meinte das auch so, ich hasse das wirklich, auch wenn ich wahrscheinlich nicht so ein pünktlicher Mensch bin wie der Ottmar, jedenfalls wirft mir das der Franz immer vor, warf mir das der Franz immer vor, früher, und der Ottmar beschloss, glaube ich, in diesem Moment, dass ich in Ordnung sei, auch wenn ich ewig brauche, um mich aus einem Brombeerstrauch zu befreien, Ich auch, schnaubte er erleichtert und direkt konspirativ, Und wie ich Warten hasse, aber bei euch Frauen, da bleibt einem ja manchmal nichts anderes übrig, taha, seine Regina, wenn sie mal wo eingeladen seien, da sage die immer, sie sei gleich so weit, gleich sei bei der aber ein dehnbarer Begriff, denn dann dauere das und dauere und dauere, da wäscht sie sich die Haare und föhnen muss sie auch und die Pracht in Form bringen, er, der Ottmar, verstehe ja davon nichts, er merke nicht mal, wenn die frisch vom Friseur komme, ha taha, ein regelrechter Scheidungsgrund werde das noch, und bis sie die richtige Hose ausgesucht habe und die passende Handtasche dazu, sagte er und seufzte und schielte rüber, ob ich begriff, was er meinte, So eine blöde Kuh, nicht die Regina, betonte er, diese Maklerin, eine Unverschämtheit sei das, Fünfzehn Prozent will die Kuh kassieren, und dann kann sie nicht mal rechtzeitig absagen, man habe aber hier oben nicht groß die Wahl, ihr Vorgänger sei auch so ein windiger Typ gewesen, und ich staunte, wie viele Agenten dieses Objekt schon verschlissen hatte, jedenfalls habe er, der Ottmar, sich dermaßen geärgert über die Maklerin, eine richtige Wut hatte er, dass seine Regina ihn ohne Abendessen in den Wald geschickt habe zum Holzmachen, und da habe es dann prompt wieder angefangen zu regnen, so eine blöde Kuh, das sei heute nicht sein Tag.
Der Höflichkeit halber und da der Ottmar sich so in Fahrt geredet hatte, stellte ich Fragen zu diesem Ladenhüter von einem Bauernhof, der mich nicht im Geringsten interessierte, schon allein, da zwei Jahre zuvor ein älterer Mann darin gestorben war, ganz übles Karma, seither stand das Ding leer, unter anderem, weil die Erben sich nicht einigen konnten, wie denn nun was denn, und das sei nix für einen Hof, wenn da niemand drin wohne, da verkomme so ein alter Hof, da gebe es doch ständig was dran zu schaffen, ewig habe sich das ja bereits hingezogen mit dem Pfunder Eugen, dem Ottmar seinem Onkel, der konnte am Schluss ja nicht mal mehr für sich selbst sorgen, geschweige denn das Haus in Schuss halten, fast täglich habe die Regina bei dem vorbeischauen müssen, sonst wäre der an seinen offenen Wunden regelrecht verfault, das habe der dann auch irgendwann zum Hals rausgehangen, der Regina, sie sei doch keine Krankenschwester, habe sie geschimpft, und das stimmte ja, die Regina habe auch das Haus nie besonders gemocht, grausig wie das da roch und überall der Staub und die Mäuse, deren wirst du ja in so einem Kasten nicht Herr, sonst hätte er, der Ottmar, sogar überlegt, ob er ihn der Erbengemeinschaft abkaufe und mit der Familie da einziehe, das sei jedenfalls besser, als wenn der Klotz leer stehe, Familienbesitz sei nun mal Familienbesitz, ihm, dem Ottmar, bedeute das schon was, in dem Haus sei sein Ururgroßvater groß geworden, und sein Vater, der jüngere Bruder vom Eugen, der habe noch dort auf der Ofenbank seine Schulaufgaben gemacht. Aber die Regina, die wollte eben lieber im Neubau wohnen bleiben, der habe er eine nagelneue Küche versprochen, wenn das mit dem Verkaufen eines Tages doch noch klappe, kein Problem, eine Kleinigkeit solle da schließlich auch für ihn bei rausspringen, das haben die Erben ihm zugesagt, sonst hätte er sich auch nicht bereit erklärt, sich drum zu kümmern, lästig sei das, viel mehr Arbeit als erwartet, die Regina schimpfe schon immer deswegen, ausnutzen ließe er sich, der Ottmar, sage sie, aber eines Tages, da würde er ihr eine Küche einbauen, dass sie aus dem Staunen gar nicht mehr rauskomme.
Der Ottmar hielt vor dem Haus seines Nachbarn und erklärte dem Manfred die Sachlage, dass da zwei Berliner eine Panne hatten und ein Dach überm Kopf für eine Nacht suchen, der Nachbar schaute unfreundlich rüber und murrte, dass er erst seine Frau fragen müsse, ob sie so kurzfristig Gäste aufnehmen können, die Betten seien nicht gemacht, geputzt sei nicht, und verschwand wieder im Haus und knallte uns die Tür vor der Nase zu, und der Ottmar schüttelte lachend den Kopf, nickte und schüttelte nochmal den Kopf und sagte, Ha ja, Manieren hat der keine, aber kein Problem, der sei schon in Ordnung, der Manfred. Worauf kurz Manfreds Frau mit einem Kopf voller Locken in der Tür erschien und uns feindselig den unglaublich niedrigen Preis für die Nacht mitteilte und sagte, dass wir aber erst in einer Dreiviertelstunde in die Wohnung dürften, da sie putzen müsse, und zeigte uns, wo es nachher langgehe, neben dem Hauseingang die Treppe runter, sie sperre später den Zugang zum Souterrain auf, und knallte uns wieder die Tür vor der Nase zu, und der Ottmar lachte entschuldigend und zog die Schultern hoch, schüttelte den Kopf, nickte, schüttelte den Kopf und sagte, Ha ja, so sind sie hier oben, und lud uns zu sich zum Abendessen ein, und feixte, aber erst müsse er seine Frau fragen, die Regina, und lachte wieder sehr sehr laut und rief, Neinein taha, das sei nur ein Spaß gewesen, bei ihm zu Hause, da habe schon er manchmal noch die Hosen an, nicht immer, aber immer öfter, tahahaha, und schloss seine Tür auf und rief, Regina, Besuch aus Berlin, stell zwei Teller mehr auf den Tisch.
Wir waren so ausgehungert, der Franz und ich, dass wir uns beim Abendbrot kaum beherrschen konnten und den Kindern vom Ottmar und der Regina alles wegfraßen, die kriegten sowieso vor Staunen den Mund kaum zu, die glotzten uns an wie Wesen aus einer fernen Galaxie, dabei war ihre Mutter die mit den lila Strähnchen im Haar und vier Ohrringen auf einer Seite, glotzten und liefen rot an, wenn der Franz ihnen eine Frage stellte, so eine NaundihrzweiMonsterfrage, und kriegten dann wieder den Mund nicht auf, sondern grinsten und schielten beiseite, auch wenn ihr Vater sehrsehrlaut lachte und sich schüttelte und regelrecht den Bauch hielt vor Lachen über unsere Blödeleien und unsere zur Schau gestellte Coolness aus der Stadt Berlin. Unsere Laune stieg direkt proportional zur Menge, die wir verschlangen, also schier ins Übermütige, da Regina Brot nachreichte und den letzten Käse, und die Kinder glotzten und verschluckten sich beim Limonadetrinken und versteckten sich unter dem Wachstischtuch.
Als ich nach dem dritten Glas Bier sagte, dass ich irrsinnig gern Ottmars Bauernhof angucken würde morgen früh, bevor wir fuhren, aus reiner Höflichkeit log ich dem Ottmar und seiner Frau das vor, weil die sich solch eine Mühe mit uns gegeben hatten und auch schon den Neffen von der Regina verständigt hatten wegen unseres Auspuffs, da trat mir der Franz so fest gegen das Schienbein, dass ich aufjaulte und mir nichts anderes übrig blieb, als mich direkt an ihn zu wenden, den Franz, Spinnste, du brauchst ja nicht mitkommen, und sonst sei er doch der, der vor den Schaufenstern der Immobilienfirmen weiche Knie kriege, das muss nämlich zu meiner Entlastung festgehalten werden, ich wollte nie eine Hausbesitzerin werden, der Franz dagegen immer schon, der hatte das im Blut, egal, welchen Zipfel Europas wir bereisten, England, Italien, Korsika, Griechenland, der Franz brachte Stunden auf den Bürgersteigen vor den Auslagen der Makler zu mit dem Vergleichen von Fotos und Preisen, Grundrissen, Quadratmetern und geschätzten Sonnenlagen, mit dem Notieren von Telefonnummern und dem Gegenrechnen seiner Finanzlage, manchmal ließ er sich sogar ein paar dieser Häuser zeigen, die wir uns nicht leisten konnten, der Franz war der, der bei jeder Ruine am Straßenrand den Mietwagen anhielt, der für einen Haufen Steine mit Meerblick jeden Umweg in Kauf nahm, der mich überredete, über Mauern und Zäune und durch verrammelte Fenster zu klettern, um im Innern der Bruchbuden die Position seines Zeichentisches zu imaginieren, da hockte er sich breitbeinig in die Luft wie zum Kacken und legte die Hände flach auf die durchsichtige Tischplatte, stets die Wand im Rücken und die Tür im Blick.
Lange bevor wir uns tags drauf heimlich aus dem Staub machen konnten, klopfte tatsächlich der Ottmar an die Tür zum Souterrain, er hätte sich extra zwei Stunden später zum Dienst angemeldet, da wir doch den Bauernhof angucken wollten, und nachher würde er uns bis zur B Soundso Richtung Schweiz vorausfahren, dass wir nicht wieder mitten im Wald stecken blieben oder gar im Moor tahaha, ob die Regina Franzens Schuhe schnell noch in die Waschmaschine werfen solle, sell sei gaa kai Problem, wenn wir Hunger hätten, seien wir auch herzlich, da man ja hier im Ort nichts bekomme, aber auch gar nichts, nicht mal einen Zigarettenautomaten hätten sie mehr, seit der Gasthof letztes Jahr dichtgemacht hatte. Ich übernahm die Konversation, der Franz folgte uns widerstrebend um den Teich, in dem sich der Himmel sonnte, ein paar Flugzeuge hatten Streifen aus Fernweh ins Blau geritzt, es war überraschend warm für Ende Oktober, direkt spätsommerlich und sehrsehrstill, ich zog den Anorak über dem Pullover aus, Ottmar schritt pfeifend im T-Shirt voraus, der Franz schwitzte grimmig in seiner Lederjacke. Wir kamen an prächtigen alten Schwarzwaldhöfen und weniger prächtigen Neubauten vorbei, Kühe wandten den Kopf, Katzen nahmen keine Notiz, neben der Kapelle blieb Ottmar stehen, deutete rüber auf eine gigantische cremefarbene Eternitwand und sagte, Taha, da haben wir das Sorgenkind.
Nach Westen hatte unser Hof sage und schreibe kein einziges Fenster, die der Straße und der Bushaltestelle zugewandte Nordseite machte seiner Bezeichnung als Ladenhüter ebenfalls alle Ehre, hier hatte der Pfunder Eugen in den Siebziger Jahren die Außenwand mit neuen Ziegelsteinen verstärkt und Doppelglasfenster mit integrierten Gardinen eingebaut, ohne jeglichen Charme, scheußlich im Quadrat, genau wie das kackbraune Tor zur Garage, die zugleich den Vordereingang des Ladenhüters darstellte und an die sich die Güllegrube des Nachbarn schmiegte wie ein olfaktorischer Frontalangriff, zu allem Überfluss handelte es sich nämlich bei dem Gebäude um eine Doppelhaushälfte, man hatte sich hinten die Einfahrt zum Wirtschaftsbereich mit dem Nachbarn zu teilen, na danke prost Mahlzeit, am Ende darfst du den um Erlaubnis fragen, wenn du auf dem fußballfeldgroßen Dach mal einen Ziegel austauschen musst, und dieser Anrainer war laut Ottmar auch nicht gerade, was man einen umgänglichen Menschen nennt.
Vielleicht war das Ottmars Trick, er gab sich nämlich nicht die geringste Mühe, uns das Objekt schmackhaft zu machen, im Gegenteil, er wies uns ausdrücklich auf jeden Mangel hin, und so gaben wir uns irgendwann auch keine Mühe mehr, die Katastrophenblicke hinter seinem Rücken auszutauschen, wir bissen uns nicht auf die Zungen, um unser Lachen zu unterdrücken, Ottmar schien es geradezu darauf abgesehen zu haben, er schnaubte dankbar dazu, nickte, schüttelte den Kopf, nickte, er brauchte neutrale Zeugen aus der Hauptstadt, die ihm ein für alle Mal bestätigten, dass der alte Kasten unverkäuflich war, vielleicht konnte er so die uneinige Erbengemeinschaft von der Notwendigkeit eines Abrisses überzeugen und mit einem Neubau einen anständigen Preis erzielen, auch wenn ihm das selbst gegen den Strich ging.
Die vollgemüllte Garage, das rosa marmorierte Wannenbad aus den Siebzigern, der stockdunkle, achtzehn Meter lange, mit Nut und Feder verunstaltete Flur, in der dusteren Küche stank es nach den Henkersmahlzeiten und Geschwüren vom Pfunder Eugen, der enge Nebenraum, wo er bis zuletzt auf der schmalen Pritsche gelegen haben musste, war schwarz verrußt vom schlechten Abzug des Küchenherdes, Feuchtigkeit kroch Tischbeine, Kühltruhen und Schranktüren hoch, selbst die handbeschriebenen Medikamentenfläschchen auf der Anrichte, die dem Pfunder Eugen seine Pein in die Länge gezogen haben mochten, starrten vor fetter Patina, das Haus schwitzte die Verwesung des kranken Mannes aus, als hätten sie seine Leiche seit zwei Jahren im Naturkeller aufgebahrt. Der Franz drängte von Kammer zu Kammer, an keinem der klebrigen Tische ließ er sich nieder, um seinen imaginären Laptop aufzustellen, er wollte den Albtraum hinter sich lassen und so schnell wie möglich ans Mittelmeer.
Ich folgte benommen und zugleich mehrundmehr fasziniert, der marode letzte Lebenshauch vom Pfunder Eugen hatte mich angefasst, noch nie hatte ich einen Ort betreten, in dem die Zeit auf so geheimnisvolle Weise stehengeblieben war und ihrem liebsten Schauspiel beiwohnte, dem aussichtslosen Kampf des Lebens gegen den Tod. Das Haus schien mir in Aufruhr, es rebellierte still gegen den eigenen Verfall wie wir alle eines Tages, der innere Tumult war fühlbar, wie er sich in staubigen Ecken, unter den antiken Kommoden und Betten, in den ranzigen Schubladen und Regalen gesammelt hatte, zwischen den Schnapsgläsern und Bierhumpen, und jählings ekelte mich das alles nicht mehr die Spur, nicht mal das rostige Brotmesser in der Spüle, an dem noch dunkelgelb die letzte Butter fürs Brot vom Pfunder Eugen klebte, das große Haus, Das Monstrum, wie Ottmar und der Franz es kopfschüttelnd betitelten und sich dabei kumpanenhaft auf die Schultern klopften, rührte mich in seiner Hilflosigkeit, ich lauschte seinem traurigen Lied, im Lauf der Jahrhunderte mögen etliche hier gestorben sein, der alte Schnitter Tod war dem Hause vertraut und willkommen, denn stets hatten neue Menschen die Räume mit Leben erfüllt, mit ihrem Alltag, ihren Kindern und Großeltern, Haustieren, Träumen und Nöten, bis vor zwei Jahren.
Ich nehme an, das war der Grund, dessentwegen für mich allmählich das Pendel umschlug, nicht so sehr die harten Fakten auf der Habenseite wie der große, notdürftig gepflegte Garten mit Birke, herrlichem Birnbaum und Hühnerhaus, das reichliche zum Hof gehörige Land mit angeblich Alpenblick an der Grundgrenze, die vielen Quadratmeter Wohnbereich, wo konnte man sich sonst dermaßen aus dem Weg gehen, nicht die unter zwei Schichten PVC und Kleister hervorlugenden Holzdielen auf allen Fußböden, nicht die einmaligen Holzkassetten an den Wänden, auch unter der Nut und der Feder, nicht mal der wunderschöne, flaschengrüne Kachelofen, die sogenannte Kunscht, mit den beheizbaren Sitzbänken in der original erhaltenen Bauernstube, durch deren Vorhänge die Morgensonne Muster in die dicke Luft malte, Verlängerungen der Kondensstreifen am Himmel, die hier herinnen zum Bleiben einluden. Die Unendlichkeit der Ausbaumöglichkeiten im Schweinestall, Scheunenbereich, Heuschober, das vom Pfunder Eugen gehortete Holz für haufenweise Winter, das museumsreife Werkzeug in seiner Werkstatt im ersten Stock, wo Seilwinden, Sägemotoren, Zaumzeug und Zaunrollen von der Decke baumelten, das hübsche Ensemble der Schlafzimmermöbel, der unverstellbare Blick, die Südterrasse, das makellose Wetter heute, das makellose Dach mit Bestnoten vom Amt, der makellose Preis. Es war die bittere Melancholie des verlassenen Hofes, die zu mir sprach, Sentimentalitäten, und gefeilscht hab ich schon immer gerne, woraufhin der Franz anfing zu rechnen, am Abend desselben Tages waren wir handelseinig.
Ich seh dem Franz lieber nicht lange in die Augen, dieser zur Schau getragene Ernst, die Schicksalsergebenheit mit hängenden Schultern und lauter Knitterfalten um die dunkel betonten Tränensäcke, als würde der Franz gar nicht mehr schlafen, noch magerer ist er geworden seit dem letzten Mal, schafskäsig vom Winter obendrein, seine Nase sticht monströs aus dem geschrumpften Gesicht, die Wangenhaut bohrt Löcher unter die Jochbeine und zerrt an den Mundwinkeln, das Grau an den Schläfen hat den Kranz um den Schädel geschlossen, okay, ich übertreibe maßlos, aber der Franz neigt auch in der Krise zum Bombast, wählt neuerdings seine Worte mit Bedacht, spricht leise, als wollte er die Geister, die er rief, nicht aufstören, der Franz, der noch nie halbe Sachen ausstehen konnte oder Zaghaftigkeiten, hat sich eine ehrwürdige Aura der Tragik verpasst, wenn schon Mittlebenskrise, dann richtig, Du siehst gut aus, murmelt er vorsichtig, Küsschen rechts, Küsschen links, dann drückt er meinem Cousin die Hand und flüstert, Danke nochmal.
Wir wechseln einen besorgten Blick, mein Cousin und ich, wir kennen den Franz als strahlenden Egozentriker, als zynischen Witzbold, mit allen Wassern gewaschen, Franz, den brutalen Problemlöser, den Fels in der Brandung, den überzeugten Misanthropen und Einsiedlerkrebs, zugleich den Leidenschaftler, Charmeur und Überrumpler, Franz, den Hasser von Autostaus und Schlangen an der Lidlkasse oder bei der Post, wie er da nach dreißig ihm endlos erscheinenden Sekunden vorprescht an den Schalter, Zitat, An all diesen erbärmlichen Kreaturen vorbei, die nichts Besseres mit ihrer Zeit anzufangen wissen, um lautstark die Beamten in der Mittagspause anzupfeifen und so sehr in Verlegenheit zu bringen vor versammelter Mannschaft, dass sie ihre Zigaretten mit Füßen treten und ihm zu Diensten sind, der Franz, den Corinna irgendwann Die Zwei Atomkraftwerke getauft hat, so machte er sie staunen mit seiner Energie, seinem festgefügten Stundenplan, seiner manischen Produktivität. Klar mag, mochte ich auch den verzweifelten Franz, den müden, enttäuschten, verletzten, anlehnungsbedürftigen, den sogar besonders, klar, selbst den Franz unter Tränen, klarklar, in zwölf Jahren haben auch Atommeiler mal eine Unregelmäßigkeit im Betriebswerk zu melden, aber Franzens Schwachheiten haben nie lange durchgehalten gegen seinen Tatenzorn. Diesmal schon, seit Monaten geht das jetzt so, die Krise hält meinen Franz im Würgegriff und quetscht die Lebenssäfte aus ihm heraus.
Franz hat angerufen, hat mein Cousin am Telefon geflötet, und dann mit einer großen Portion Stolz, typisch mein Cousin, Franz habe ihn, meinen Cousin, gebeten, ich wiederhole, meinen Cousin, den der Franz immer unsäglich fand, dem er stets die kalte Schulter präsentiert hat, weil Zitat Der nervt mit seiner Prahlerei, dem Gelaber und seinen Anglizismen, den also habe der Franz gebeten, mir Bescheid zu sagen, dass sie heute das Internetinserat aufsetzen, das gehe ja auch mich an, und mir das direkt ins Gesicht zu sagen, hat der Franz sich offenbar nicht getraut. So so so interessant, hab ich gedacht, ich habe durchaus bisweilen eine Affinität zur Verschwörungstheorie, das räume ich ein, aber auf solch eine Infamie wäre ich nicht gekommen, so eine Gemeinheit hinter meinem Rücken.
Genau genommen kann ich demnach keinem von beiden richtig in die Augen sehen, dem Franz aus genannten Gründen, und für diesen Naivling von einem Cousin schäme ich mich obendrein, merkt der nicht, dass er ausgenutzt wird, der Franz wird ihn fallenlassen wie eine heiße Kippe hinterm Postschalter, sobald er ihn nicht mehr gebrauchen kann. Genau wie mich, schießt es mir durch den Kopf, aber den Gedanken dränge ich weg, während mein Cousin, den wir übrigens der Einfachheit halber genauso gut Bernd nennen können, zur Hochform aufläuft, Bernd unterstreicht zunächst, dass er auf keinen Fall Geld annehmen möchte für seine uns angebotenen Dienste, und der Franz nickt demütig nach dem Motto Danke du Mensch danke, nur weil er nicht in der Verfassung ist, ein lächerliches Internetinserat aufzugeben, und ich denke, entschuldige mal, bist du mein Cousin Bernd Ashole oder was jetzt, tu mal nicht so großkotzig, und frage mich, ob der Franz womöglich was genommen hat, irgendeinen dieser Downer, die ich ihm damals für unsere Reisen beziehungsweise die Schlangen vor der Gepäckkontrolle am Flughafen empfohlen habe, die am Gate und die vor dem Mietwagenschalter, sage aber nichts, ich halte hier erst mal meinen Mund, bevor am Ende irgendeine Aussage gegen mich verwandt werden kann, am Ende, schießt es nach, Ende, und dass das heute das Ende ist, das Ende vom Franz und mir und Franz und mir und Frommholz, der Franz hat allen Ernstes vor, unseren Bauernhof zu verkaufen, er hat den Handel in aller Ruhe vorbereitet, wie sich herausstellt, nachdem er aus unserer Berliner Wohnung ausgezogen ist auf Zeit und wir auch das Telefonieren eingestellt haben auf Zeit, auf Zeit, rebelliere ich, Zeit war verabredet, Zeit, Zeit sollte ich ihm lassen, Zeit wollte ich ihm schenken, verdammt, und das ist der Moment, und gratuliere Ihnen, dass Sie ihm live beiwohnen dürfen, der Moment, da ich endlich kapiere, dass nach Wochen, Monaten in meinem trägen Gehirn die Meldung ankommt, Es ist aus, wenn es so weit kommt, dass wir Frommholz verkaufen, dann gibt es kein Zurück.
Mit einem Ohr höre ich, wie Bernd uns verschiedene Immobilienportale empfiehlt, fünf Bilder seien daundda im Preis inbegriffen, Wenns euch recht ist, suche er die aus, Franz habe ihm freundlicherweise den Ordner mit Fotos zur Verfügung gestellt, thank you Franz, und er habe da einen Blick für, jahrelange Experience, das mit mir und den Ziegen finde er zum Beispiel supersweet, die Südterrasse sowieso, das von der Hochzeitsgesellschaft in der Stube sei vielleicht zu urig, zu düster, auf jeden Fall eins vom Tiefschnee, blablabla and so on, das kriege ich alles wie gesagt nur zur Hälfte mit, von wegen, It’s all about the mood, Leute, Bernd kritzelt unter anderem für die Googlesuchmaschine auf dem Rand einer Zeitung einen Haufen Assoziationen zusammen wie Ruhe, Natur, Ursprünglichkeit, Echtzeit, Zeit, Zeitlosigkeit, Zeit ohne Ende, unendliche Ruhe, Grün, blau, Himmelblau, Landluft, Frischluft, Frischmilch, frische Ziegenmilch, frischer Wind, und streicht Wind und notiert stattdessen Brise, beste Luft, Bergluft, Bergbach, Bergbauernhof, Ferien auf dem Bauernhof, Hühnerfarm, Kühe, Ziegen, Schwalbennester, Vogelgezwitscher, Waldwege, Wanderwege, Weite, Wiesen, Weiden, welliges Land, Wellness ohne Ende, wahrer Frieden, innerer Frieden, und nochmal versehentlich Ruhe, weil Ruhe genau das ist, wonach mein Cousin lechzt in letzter Zeit, Ruhe, Rast, Freiheit, Seele baumeln, Seele gesunden, Sehnsucht nach grün, grün grüner Schwarzwald, Deine Sehnsucht findet ein Zuhause, Dein Ausgleich zum hektischen Leben in der Stadt, was Frommholz in seinen Augen ist, wie sollte mein Cousin es besser wissen, da er nur ein einziges Mal vor Ort gewesen ist, damals zu unserer Hochzeit, Vergesst nicht, Leute, schreit er, It’s all about the mood.
Ich sehe mich über Bernds Angloamerikanismen mutterseelenallein den Kopf schütteln statt im Gleichtakt mit dem Franz, beobachte verwundert, wie ich like ferngesteuert alle Wörter ausstreiche, die Bernd notiert hat, eins nach dem anderen, Freiheit, Frieden, scheiß drauf, alle bis auf das Wort Zeit lösche ich aus, höre mich vehement protestieren, als der Franz vorschlägt, dass wir Ottmar bitten sollten, unseren etwaigen Interessenten den Hof zu zeigen, damit nicht einer von uns für zwei Stunden die ganze Strecke, Ausgerechnet Ottmar, halte ich dagegen, ausgerechnet unseren besten Freund vor Ort, der uns unzählige Male aus der Patsche geholfen hat, der uns damals mit seinem Überredungstalent und seinen Kontakten zum Bruder vom Neffen von der Soundso ihrer Freundin auch gleich den Kredit verschafft hat, der jeden Herbst und Frühling aufs Dach klettert, wenn der West- oder Ost- oder ausnahmsweise der Nordwind Frommholz wieder ein paar Ziegel ausgerupft hat, auf keinen Fall will ich Ottmar in dieses Verbrechen verwickeln, die Leute vor Ort, die werden erst informiert, wenn das Ding unter dem Hammer sei, höre ich mich bestimmen, vernehme kurz darauf ein lautes Lachen, meine zur Schau gestellte Heiterkeit, als Bernd fragt, was wir uns denn so als Verhandlungsbasis vorgestellt hätten, der Franz und ich, und der Franz eine komplett lächerliche Summe vorschlägt, nicht mal das Doppelte vom Kaufpreis, der wie gesagt schon unter aller Kanone war, dem Franz ist schon alles egal.
Als hätte er total vergessen, wie viel Sorgfalt und Geduld und Ideen und Geld und körperliche Arbeit und Träume und ha taha Zeit wir in unseren Bauernhof investiert haben, Zeit ohne Ende, I mean, wer hat Frommholz vor dem Verfall gerettet, wer hat die Heizung einbauen lassen von den dicken Kohlbrennerbrüdern, deren einer bei dieser Gelegenheit mitsamt seinen hundertvierzig Kilos und dem Warmwasserboiler durch die morsche Decke in die Räucherkammer gekracht ist und sich die Nase gebrochen hat, wer hat die Dielenböden auf den Knien geschliffen und lackiert, dreimal hinternander im gesamten Wohnbereich bei schönstem Sonnenschein, wer hat die Zwischenwand in der Küche einreißen lassen vom besten Architekten der Region, dem Elfmederjohnny, Ottmars Kumpel aus der Grundschule, der so klein ist, wie es sich für einen Schwarzwaldhof gehört, der demnach nicht an jedem Türsturz den Kopf einziehen braucht, der täglich einen anderen Hut trägt, der stets kräftig durchblutete Wangen hat und eine rote Nase, der immer für einen Kaffee zu haben ist und meistens auch für ein Speckbrot, obwohl er irrsinnig viel zu tun hat, der mindestens so verknallt ist in die alte Bausubstanz wie wir, der geniale Ideen auf den Tisch legt, sie zu retten, der noch genialere Kostenvoranschläge neben den Tisch legt, der ein wahrer Künstler ist und seine Entwürfe immer noch mit Bleistift auf Papier zeichnet, was den Franz natürlich sehr für ihn eingenommen hat, aber weiter im Text Doppelpunkt, wer hat die klapprigen Vorfenster eigenhändig restauriert, dass sie wie neu und alt zugleich aussehen, wer ist zu diesem Zwecke alle zwei Tage runter an den Rhein in den Baumarkt geheizt, weil irgendwas dauernd fehlte, ein Winkel, die Spezialschräubchen oder der Holzmörtel war zur Neige gegangen, wer hat für jedes Zimmer ein Fliegengitter angefertigt gegen die Stechmücken vom Weiher und die Fliegen von den Kuheutern, wer hat im sogenannten Kinderzimmer den Boden weinrot lackiert, weil der in Natura nicht zu retten war, wer hat jede Ritze in der viel zu niedrigen Decke vom sogenannten Kinderzimmer silikonisiert, wer hat die gesamte Rückwand vom Kinderzimmer in ein Bücherregal aus alten Bodendielen verwandelt, weil wir überhaupt keine Kinder hatten, wer hat aus Eugens überfüllter Werkstatt ein irrsinnig schönes Arbeitszimmer gezaubert, wer hat die ganzen alten Möbel wiederbelebt, die Türen abgebeizt, geföhnt, geschliffen, lasiert, wer hat den Malerbetrieb in Rutzlingen so lange genervt, bis er exakt die Originalfarbe für die Holzkassetten in Franzens Studio nachgemischt bekam, wer hat die alte Küchenanrichte in denselben Farben bemalt, wer hat die Maden in den Kühlschränken mit Madenvertilgungsmittel entsorgt, wer hat dem Marder die Wege durch die Wand mit Bauschaum madig gemacht, wer hat die Mäuse, die sich zwei Jahre als Hauptmieter aufgeführt hatten, mit dem Marmeladenglas gefangen und ins Nachbardorf gefahren, wer hat das Holz im Schweinestall neu geschichtet, wer hat dem Eugen seine Werkzeuge sorgfältig archiviert in der neuen Werkstatt genannt Wintergarten, wer hat die Bengele für mindestens vier Winter gehauen und mit Ottmars Hilfe und dem seinem Unimog draußen zum Trocknen aufgebahrt, wer hat die Telefonleitungen reparieren lassen, den Strom erweitern, die Satellitenschüssel anbringen lassen, wer wer wer ist auf dem Dach rumgerutscht, als der Aluschornstein von der Gastherme durch die Schneelast zur Seite gedrückt worden war und abzureißen drohte, wer hat die alten Leitungen im unteren Bad notdürftig isoliert, wer hat die Wasserzufuhr in der Küche mit Heizdraht gesichert, wer hat eine neue Waschmaschine aufgestellt, wer bitte wer wer, wenn nicht wir, hat im Herbst die Kuhfladen in der Schubkarre gesammelt als Dung für Franzens Rosen, sieh nur, wie sie blühen, wer hat Lavendel gepflanzt und Salbei und die bunten Büsche als Sichtschutz zum Nachbargrund, wer hat die Wege geebnet, die Wiese jahrelang in Schuss gehalten, Wühlmäuse vertrieben, Rehkitze durch den Draht um die jungen Obstbäume enttäuscht, Kirsche, Apfel, Pflaume, Mirabelle, nicht zu bremsen bin ich, und die Männer lauschen andächtig und plädieren schließlich dafür, dass im Falle eines Falles unbedingt ich runterfahren müsse nach Frommholz, um Frommholz zu verkaufen, da ich hier so glaubhaft die toughe Geschäftsfrau mit brillanten Argumenten markiere, klarer Fall, ich sei schon immer im Verhandeln die Cleverererere gewesen, und selber schuld, da ich Ottmar nichts verraten will, dem Tratschweib. Mein anderes Ohr lauscht indes in die Ferne, wo hinter den Bergen bei den sieben Zwergen unser armes altes Haus Wind von der Sache bekommt.