Cover

Impressum

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, Januar 2017

Copyright © 2009 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der Genehmigung des Verlages

Texte Dr. Eckart von Hirschhausen

Redaktion Susanne Herbert

Ideen Illustrationen Dr. Eckart von Hirschhausen

Gestaltung & Illustration Esther Wienand

Assistenz Illustration Änni Perner

Pinguin-Illustration Jörg Pelka, Mainz

Fotos im Buch Dr. Eckart von Hirschhausen

Gedicht von Hilde Domin «Nicht müde werden» auf Seite 347: Hilde Domin, Gesammelte Gedichte, © S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 1987

Foto auf Seite 372 mit freundlicher Genehmigung von «ARD aktuell»

Umschlaggestaltung Esther Wienand

Umschlagfoto Markus Hauschild

Foto des Autors Frank Eidel

Schrift DejaVu Copyright © 2003 by Bitstream, Inc. All Rights Reserved.

Bitstream Vera is a trademark of Bitstream, Inc.

Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

ISBN Printausgabe 978-3-499-62484-1

ISBN E-Book 978-3-644-00107-7

www.rowohlt.de

 

Hinweis: Alle angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die Printausgabe.

ISBN 978-3-644-00107-7

Fußnoten

Hochwissenschaftlich publiziert: BMJ 2008; 337; a2338, James H. Fowler and Nicholas A. Christakis: Dynamic spread of happiness in a large social network: longitudinal analysis over 20 years in the Framingham Heart Study

Aber kein Stress! Tragen Sie erst mal Ihr eigenes Netzwerk ein und untersuchen Sie, wie Ihr Glück sich ausbreitet!

Packungsbeilage

Glück ist Erwartungsmanagement. Oft hält sich die Welt nicht an das, was man sich laut Prospekt versprochen hat. Die Situation ist aussichtslos – aber nicht ernst.

Vorwort

für Optimisten und Neugierige

Dieses Buch kann Sie glücklich machen. Es lässt sich in keine Schublade stecken. Da gehört es auch nicht hin. Es kann auf dem Wohnzimmertisch liegen, wo Sie ab und an in den Fotos blättern und sich inspirieren lassen. Es kann neben der Badewanne liegen, wo Sie sich gegenseitig die Witze und Glücksmomente vorlesen. Und es kann auf dem Schreibtisch liegen, denn dieses Buch ist auch ein Arbeitsbuch mit Übungen und Anregungen für den Alltag. Es ist halb und wird erst ganz, wenn Sie es vervollständigen, damit etwas anstellen und ruhig die Bastelbögen herausschneiden. Es ist ja keine Literatur. Auf mühselige Erklärungen wird verzichtet, denn was hilft einem die Philosophiegeschichte, wenn ich wissen möchte, wie ich im Alltag meinen Jammerlappen auswringen kann? Das Leben ist viel zu wichtig, um es ernst zu nehmen. Zum Glück wissen Sie das besser. Sonst wären Sie ja nicht Optimist und neugierig auf anwendbare Glücksforschung.

Sie werden mehr finden, als Sie für sich selbst brauchen – also geben Sie Ihr Glück an andere weiter. Und das Buch auch. Viel Spaß mit allem, was ich zusammengetragen habe. Und wenn nur eine positive Botschaft für Sie dabei ist, hat sich das Ganze doch schon gelohnt, oder?

Vorwort

für Pessimisten und Kritiker

Dieses Buch kann Sie enttäuschen. Es lässt sich in keine Schublade stecken. Es ist zwar wissenschaftlich fundiert, aber dafür viel zu leicht und zu persönlich geschrieben. Und dann noch diese ganzen Fotos, Zitate, Witze und Glücksmomente statt eines durchgehenden Textes mit Fußnoten. Das ist keine Literatur, nichts Halbes und nichts Ganzes. Sie werden bemerken, dass die Philosophiegeschichte, die Soziologie und die Grenzen der Begrifflichkeit unzureichend reflektiert werden. Und ständig tue ich so, als hätte das etwas mit Ihrem und meinem Leben zu tun. Und als sei die Welt kein Jammertal. Dabei wissen Sie es doch besser. Sonst wären Sie ja nicht Pessimist geworden. Das Thema Glück ist viel zu ernst, um es so albern abzutun. Es tut mir leid, ich kann nicht anders. Sie werden nicht finden, was Sie suchen. Aber behalten Sie das nicht für sich, erzählen Sie ruhig weiter, wie schlecht das Buch ist. Sonst erwischt es noch jemanden, der nicht ausreichend kritisch an die Sache herangeht. Und der würde womöglich Spaß daran haben. Und sollten Sie doch ein Licht am Ende des Tunnels erblicken, ist es wahrscheinlich ein entgegenkommender Zug.

Ich hätte gerne eine positive Botschaft für Sie gehabt – aber vielleicht nehmen Sie auch zwei negative?

Lernen aus der Geographie: Nach Sorgenfrei führt kein direkter Weg.

Gebrauchsanweisung: Glück kommt selten allein

Was du verstehst, setzt du für dich um. Was du nicht verstehst, gibst du als Ratschlag an andere weiter.

Alte Trainerweisheit

Stellen Sie sich vor, Sie selbst wären das Glück. Würden Sie dann gerne bei sich vorbeikommen?

Die Perspektive umzudrehen überrascht. Automatisch fällt uns vieles ein, was wir tun können, um dem Glück eine Freude zu machen, damit es eher zu uns kommt. Und in welchen Ecken unseres Lebens wir besser noch aufräumen, für den Fall, dass das Glück über Nacht bleiben will. Eigentlich wissen wir schon viel übers Glück. Gleichzeitig widersprechen die Ergebnisse der Glücksforscher oft unseren intuitiven Annahmen: Schönheit macht traurig und lange Ladenöffnungszeiten unzufrieden. Viele alte Freunde machen glücklicher als Familie und Kinder. Und die Jugend ist nicht die schönste Zeit. Das Beste, was dieses Buch erreichen kann: Sie ändern gar nichts in Ihrem Leben, fühlen sich aber besser damit. Doch das will ich Ihnen nicht versprechen.

Vielleicht haben Sie gute Gründe, genau so zu sein, wie Sie sind, von denen wir beide keine Ahnung haben. Mit Glückstipps ist es so ähnlich wie mit Diätratgebern. Wenn etwas wirklich funktionieren würde, wäre der Markt nicht voll davon!

Glück kommt selten allein. Und wer glücklich ist, bleibt selten allein. Dabei kann uns auch Alleinsein sehr glücklich machen. Glück ist paradox. Je mehr wir es jagen, desto weiter entfernt kommt es uns vor. Im Ernst: Wie soll dich das Glück finden, wenn du ihm ständig hinterherrennst?

Dieses Buch ist auch paradox. Es ist das Resultat meiner jahrelangen Recherche und meines täglichen Scheiterns. Es enthält jede Menge wissenschaftlicher Studien und genauso viele persönliche Geschichten. Ich habe die meisten der Tipps, die ich brauchbar fand, an mir selbst ausprobiert. Und bleibe dabei – alle Rezepte, die einem das schnelle Glück versprechen, ganz schnell zu vergessen. Wenn es eine Glücksformel gibt, dann die, dass Glück sich nicht auf eine Formel bringen lässt. Es gibt schon sehr viele schlüssige Bücher übers Glück – und deshalb habe ich ein unschlüssiges geschrieben. Denn manchmal vergessen wir vor Gewissenhaftigkeit und Vollständigkeit, über die Widersprüche des Lebens zu lachen, besonders wir Deutschen.

Wer gerade eine Münze auf der Straße gefunden hat, antwortet auf die Frage «Wie glücklich sind Sie mit Ihrem Leben?» deutlich zufriedener. Glückliche Menschen sind gesünder. Eine der günstigsten Maßnahmen, viele Deutsche gesünder zu machen, wäre also, einen Teil der Krankenkassenbeiträge auf die Straße zu werfen statt aus dem Fenster. Die Crux: Sobald wir uns daran gewöhnen, jeden Tag eine Münze zu finden, lässt die beglückende Wirkung rasch nach. Wir gewöhnen uns daran, so wie wir uns an fast alles gewöhnen. Wir leben in einem der reichsten Länder der Welt, sind aber im Glück nie über das Mittelmaß hinausgekommen.

Ich habe viele Glücksbücher gelesen, wahrscheinlich zu viele. Und durch viele habe ich mich gequält. Ich dachte oft: Warum soll ausgerechnet die Beschäftigung mit freudigen Gefühlen so mühsam sein? Die Wissenschaftler haben tatsächlich viele spannende Dinge in den letzten Jahren herausgefunden – und direkt oder zwischen den Zeilen werden Sie die großen Strömungen der Glücksforschung in diesem Buch in lauter kleinen Geschichten wiederfinden oder kennenlernen. Aber viele der Geschichten widersprechen sich, denn: Genau der Widerspruch, das Paradoxe, das Nicht-Verstehbare finde ich das Spannendste am Glück. Und Sie ja vielleicht auch. Unser Verstand hat die Dinge lieber eindeutig und sortiert. Der eleganteste Ausweg, über Widersprüchen nicht zu verzweifeln, ist, über sie zu lachen! Dieses Buch kann Sie erheitern und ernüchtern zugleich. Glück ist Erwartungsmanagement. Und der Weg dahin ist eine Enttäuschung über all die Irrwege, wo wir es nicht finden werden.

Sollte man besser gar nicht nach dem Glück fragen? Sind nur die Unwissenden, die Kinder, die geistig Armen glücklich? Das ist zum Glück auch Quatsch. Doch eins nach dem anderen. Wir haben ja noch ein paar Seiten Zeit. Aber nur wenn Sie wollen.

Was auch immer Sie von dieser Geschichten- und Ideensammlung halten, es stimmt nicht alles. Also zumindest nicht für Sie. Wären Sie mit allem, was ich geschrieben habe, einer Meinung, hätte es das Buch ja gar nicht gebraucht. Sie müssen es nicht von vorne nach hinten lesen. Sie müssen es überhaupt nicht lesen, sondern können sich einfach mit den Fotos vergnügen. Dieses Buch ist zum Ausprobieren. Lauter Glückspröbchen. Ein Gute-Laune-Lesebuch, was nicht automatisch gute Laune verspricht, aber Ihnen viele scheinbar gerechtfertigte Gründe für schlechte Laune nimmt. Und wenn Sie etwas finden, was nicht zu Ihnen passt, schauen Sie mal in Ihrer Umgebung – vielleicht passt es da jemandem. Bei den anderen sehen wir eh viel leichter, was ihnen wirklich noch zu ihrem Glück fehlt.

Ich bin Bühnenkünstler und da eher in meinem Element als im stillen Kämmerlein. Das sage ich nur, damit Sie sich nicht wundern, dass ich Sie direkt mit «SIE» anspreche, als würden Sie vor mir im Theater sitzen. Und wenn es manchmal so klingt, als würde ich von oben herab sprechen – das ist nur die Bühne. Wir treffen uns nach der Vorstellung im Foyer – auf Augenhöhe. Und wenn das Buch in dieser Form Ihnen manchmal zu persönlich wird, dann rede ich nicht von Ihnen – dann meine ich Ihren Nachbarn. Oder mich selbst. O.k.?

Einige werden sich tatsächlich in diesem Buch wiederfinden. Denn die Zuschauer meines Abendprogramms schreiben in der Pause immer viele Postkarten: «Ich war richtig glücklich, als …» Die Zitate in den Sprechblasen sind alle echt. Bessere hätte ich nicht erfinden können. Unfrisierte Gedanken aus über 500000 Köpfen und Herzen. Zum Schmunzeln, zum Nachdenken, zum Nachmachen. Herzlichen Dank für alle, die auf diesem Weg persönliche Glücksmomente mit uns teilen.

Glück kommt selten allein. Aber erst recht nicht, wenn wir auf das Glück der anderen schielen. DAS Glück zu suchen ist Quatsch – DAS gibt es nicht. Aber wenn Sie IHREM Glück auf die Schliche kommen, ist das womöglich besser, als es klingt. Und wer weiß, vielleicht halten Sie einen Schlüssel dazu schon in der Hand.

Vorsicht, dieses ist kein Selbsthilfebuch. Denn ein Selbsthilfebuch hilft auch, ohne dass man es liest – von selbst. Dieses Buch ist eher Hilfe vor der Selbsthilfe.

Mir hat mal eine wohlmeinende Freundin ein Buch geschenkt: «Feng Shui gegen das Gerümpel des Alltags». Ich habe es in eine Ecke gelegt und geschaut, ob es von selbst hilft. Dann habe ich kurz geblättert und verstanden: Für das Buch ist es energetisch besser, in einer anderen Ecke zu liegen. Hat aber auch nichts gebracht. Später habe ich mir noch zwei andere Bücher gekauft, die hießen «Einfach aufräumen» und «Nie wieder suchen».

Wenn ich ehrlich bin: Momentan wüsste ich von keinem der drei Bücher, wo genau es sich befindet.

Klar muss sich etwas ändern, aber wer fängt damit an: ich oder die Welt?

 

Dazu einer meiner Lieblingswitze:

Ein Funkgespräch zwischen einem US-Marinefahrzeug und kanadischen Behörden vor der Küste Neufundlands.

Amerikaner: Bitte ändern Sie Ihren Kurs um 15 Grad nach Norden, um eine Kollision zu vermeiden.

Kanadier: Ich empfehle, Sie ändern IHREN Kurs 15 Grad nach Süden, um eine Kollision zu vermeiden.

Amerikaner: Dies ist der Kapitän eines Schiffs der US-Marine. Ich sage noch einmal: Ändern SIE IHREN Kurs.

Kanadier: Nein. Ich sage noch einmal: SIE ändern IHREN Kurs.

Amerikaner: Dies ist der Flugzeugträger «USS Lincoln», das zweitgrößte Schiff in der Atlantikflotte der Vereinigten Staaten. Ich verlange, dass Sie Ihren Kurs 15 Grad nach Norden ändern, oder es werden Gegenmaßnahmen ergriffen, um die Sicherheit dieses Schiffes zu gewährleisten.

Kanadier: WIR sind ein Leuchtturm.

Der Glückskompass durchs Buch und durchs Dickicht des Glücks

Glück ist eigentlich ein ziemlich unglücklicher Begriff. Obwohl wir sonst so eine präzise Sprache haben, verwirrt sie uns ausgerechnet beim höchsten der Gefühle. Im Englischen gibt es Luck, Pleasure und Happiness. Und so habe ich versucht, auch im Deutschen die verschiedenen Sorten des Glücks etwas auseinanderzuhalten. Es sind jetzt fünf geworden:

Das Glück des Zufalls, des Genusses und der Selbstüberwindung. Dazu kommen noch die Freuden der Gemeinschaft und das, was ich Boah-ey-Glück nenne, die erhabenen Momente. Und ein Kapitel mit den Grundlagen. Das klingt vielleicht kompliziert, macht aber auf dem Weg die Sache viel einfacher. Vertrauen Sie mir, ich bin Arzt. Eins nach dem anderen, die Dosis macht das Gift, und zu viel Glück ist auch nicht gut.

Der Kompass dient nur zur groben Orientierung, damit wir uns nicht zu rasch verrennen. Auf dem Kompass sind die Sorten des Glücks gleich groß, im wirklichen Leben nicht unbedingt. Die Landschaft ist ja auch etwas anderes als eine Landkarte. Und ich kenne Ihre Maßstäbe nicht!

In welche Richtung Sie anfangen zu gehen, ist dem Kompass egal. Glück gibt es in jeder Richtung, in einem und außerhalb. Rechts und links. Oben und unten. In diesem Buch fange ich mit den einfachen Freuden der Gemeinschaft an und höre mit den erhabenen Freuden des Alleinseins auf.

  1. Glück der Gemeinschaft. Alles, was mit Liebe, Freundschaft und Familie zu tun hat. Es ist für die meisten das Herzstück des Glücks und das größte Tortenstück. Die wichtigste Quelle des Glücks – und des Unglücks.

     

  2. Glück des Zufalls. Der Glücksfall ist im engeren Sinne keine dauerhafte Quelle, denn Lottogewinner sind nach zwei Jahren nicht besser drauf als vor dem Gewinn. Und alle, die nicht gewinnen, sind nach dem Lottospielen noch ärmer dran. Der Einfluss äußerer Lebensumstände wird maßlos überschätzt.

     

  3. Glück des Momentes. Der Genuss. Wer nicht genießt, wird ungenießbar. Aber wenn etwas gut ist, mehr davon ist nicht unbedingt besser. Genuss wird durch Intensität gesteigert, nicht durch Menge. Ein Glas Rotwein am Abend ist herrlich, drei Tetrapak über den Tag nicht. Ein Stück Schokolade genossen ist schöner als eine ganze Torte verschlungen. Ein Wellness-Wochenende ist besser als drei Wochen nur Massage. Nichts gegen Sex, aber 24 Stunden am Tag?

     

  4. Glück der Selbstüberwindung. Anhaltende Zufriedenheit kommt nicht nur im Moment, sondern hinterher, zum Beispiel nach konzentriertem Tun, dem FLOW. Erfüllte statt totgeschlagene Zeit. Innerer Schweinehund überwunden, stolz drauf. Der Kaiserschmarrn schmeckt auf der Hütte besser als im Tal!

     

  5. Glück der Fülle. Die überwältigenden Dinge des Lebens, über die man schwer schreibt, aber die das Leben erst vollständig machen. Stille, Natur, Musik. Glückseligkeit und Gänsehaut.

     

Natürlich überschneiden sich die Kompass-Kategorien in komplexen Fällen. Ein Beispiel, was es nicht einfacher macht, aber spielerischer: Das Liebesspiel kann Glück der Gemeinschaft stiften und zerstören, wenn eine Zufallsbekanntschaft dazwischenfunkt. Es kann genussreich sein oder Selbstüberwindung. Oft ist man währenddessen sehr glücklich, aber im glücklichsten Fall auch noch hinterher. Und wer aufhört zu rauchen, darf nach dem Sex auch einfach schweigen oder Musik hören. Alles klar? Los geht’s.

Hirschhausens bunte Bastelbögen

Glückskompass

Glück gibt es in jeder Richtung!

ANLEITUNG:
  1. Kompass ausschneiden

  2. Eine leere Dose mittig lochen

  3. Mit einer Flügelklammer befestigen

  4. Finde dein Glück – in jeder Richtung!

Hier gibt es die Bastelvorlage zum Download (www.rowohlt.de/Bastelbogen_Glueckskompass)

«… als mein Freund mir nach 4,5 Jahren das erste Mal sagte, dass er mich liebt.»

«… als ich vom Notarzt erfahren habe, dass mein Mann nicht sterben würde, sondern einfach zu viel getrunken hatte.»

«… als ich morgens aufwachte, mit meiner Frau tollen Sex hatte und sie danach mindestens genauso sehr liebte.»

«… als meine Frau trotz Schnarchens wieder ins Bett zurückgekehrt ist (nach Wochen!) – und das aus Liebe, wie ich einfach vermute!»

Glück hängt von vielen Faktoren ab. Einige kennt man schon.

Fachinformation: Kann man Glück wissenschaftlich untersuchen?

Manfred Spitzer antwortet

95,8 Prozent aller Statistiken sind gefälscht.

Was genau ist Glück eigentlich? Wie kommt es, dass manche Menschen glücklicher zu sein scheinen als andere? Ist Glück genetisch verankert, kann man es kaufen oder – neuerdings – auf Rezept bekommen?

Die Wissenschaft vom Glück ist ein relativ zartes Pflänzchen, verglichen mit der Wissenschaft von der Angst, der Wut oder der Depressivität: Zwischen 1967 und 1994 erschienen hierzu etwa 90000 Artikel in den einschlägigen wissenschaftlichen Zeitschriften, im gleichen Zeitraum nur 5000 über Glück, Freude und Zufriedenheit. Das Negative stand damit zum Positiven in einem überwältigenden Verhältnis von 18:1. Dies hat sich jedoch geändert: Es gibt mittlerweile nicht nur einen eigenen Wissenschaftszweig, die «Positive Psychologie», sondern seit dem Jahr 2000 sogar eine eigene Zeitschrift, das «Journal of Happiness Studies». Als der Kollege Hirschhausen dann die Wissenschaft vom Glück auf die Bühne brachte und damit in Theatern und zur Ärztefortbildung auftrat, lernten wir uns kennen und stehen seitdem in regem Austausch.

Die Messung des Glücks hat durchaus ihre Tücken. Die Frage «Wie glücklich ist Claudia?» scheint zunächst ganz einfach. Gewiss, wenn man weiß, dass Claudia ein ganz normaler Mensch mit ganz normalen Bedürfnissen und Neigungen ist, dann weiß man auch, weil es die Wissenschaft festgestellt hat, dass sie durch die Gemeinschaft mit Freunden, ein gutes Essen, Trinken, Sex und beruflichen Erfolg Freude empfinden wird. Umgekehrt wissen wir, dass Schmerzen, der Verlust eines lieben nahestehenden Menschen, ein bitterer Geschmack oder unmittelbare Bedrohung Claudias Glück mindern.

«Wie glücklich ist Claudia?» ist eine unscharfe Frage. «Jetzt gerade?», «Heute?», «Diese Woche?» oder «Überhaupt?», «Am Arbeitsplatz oder zu Hause?», «Mit ihrem Freund oder mit ihren Eltern?» oder «Mit dem, was sie erreicht hat, oder insgesamt und überhaupt?». Man braucht nur alle Einflüsse auf positives und negatives Erleben zu kennen und eine Art Mittelwert zu bilden, um zu wissen, wie glücklich Claudia ist. Natürlich kann man erst einmal damit anfangen, Claudia einfach in bestimmten Zeitintervallen zu fragen und diese Daten als Messungen zu verwenden. Dann braucht man nur noch Mittelwerte zu bilden, und das Glück ist gemessen. Objektiv.

Doch bei der Bewertung des Glücks gilt die Regel der Verzerrung: Man bestellte Studenten zu einer «psychologischen Untersuchung» ein und sorgte dafür, dass die Hälfte von ihnen kurz vor der Untersuchung in einem öffentlichen Telefon ein Zehn-Cent-Stück fand. Danach wurden die Studenten unter anderem nach der Zufriedenheit mit ihrem Leben befragt. Es zeigte sich, dass diejenigen Studenten, die kurz zuvor zehn Cent gefunden hatten, ihr gesamtes früheres Leben signifikant positiver beurteilten.

Unser Glückserleben kann uns heftige Streiche spielen. Es unterliegt Gewöhnungs- und Kontrasteffekten, übersieht die Dauer, bewertet Höhepunkt und Endpunkt zu stark, bewertet global anders als im Einzelnen und täuscht sich oft heftig im Hinblick darauf, was wirklich gut für uns ist. Wie können wir da glücklich werden?

Es ist höchste Zeit, dass wir nicht nur die Psychologie des Glücks betrachten, sondern auch dessen Neurobiologie. Diese hat eine bis in die 50er Jahre des letzten Jahrhunderts zurückreichende Geschichte; gerade in den vergangenen fünf Jahren jedoch wurden ganz besonders bedeutsame Fortschritte gemacht. Bereits Ende der 50er Jahre hatte man zufällig herausgefunden, dass Ratten die elektrische Stimulation eines ganz bestimmten Gehirnareals offensichtlich mögen. Die Tiere konnten per Knopfdruck ihre eigenen Neuronen selbst stimulieren. Sie drückten den Knopf immer wieder. Selbst wenn eine andere Quelle der Lust, wie zum Beispiel ein paarungsbereites Weibchen, anwesend war, konnte diese die Männchen nicht vom Drücken des Knopfes ablenken. Auch vergaßen die Tiere vor lauter Knopfdrücken ganz das Essen und Trinken. Manche starben, weil sie schlichtweg nichts weiter taten, als sich permanent ganz offensichtlich höchsten Lustgewinn durch Stimulation der hierfür zuständigen Gehirnzentren zu verschaffen.

Weitere Stimulationsexperimente wurden durchgeführt und legten den Schluss nahe, dass das Lustzentrum identisch war mit dem Suchtzentrum. Unklar war jedoch, weswegen es ein solches Zentrum geben sollte: Wir haben sicherlich im Verlauf der Evolution kein Gehirnzentrum entwickelt, dessen Aufgabe es ist, uns süchtig werden zu lassen! Jede derartige Mutation hätte sofort in einer Sackgasse geendet, denn wer süchtig ist, kümmert sich nicht mehr um Fortpflanzung und schon gar nicht um die Nachkommen. Was ist also die eigentliche Funktion eines solchen Zentrums?

Erst systematische Untersuchungen an Affen brachten den Durchbruch. Sehr tief im Gehirn, im sogenannten Mittelhirn, sitzt eine kleine Ansammlung von Neuronen, die den Neurotransmitter Dopamin produzieren und über zwei Faserverbindungen weiterleiten: zum einen in den Nucleus accumbens und zum anderen direkt ins Frontalhirn.

Was genau machen diese Neuronen? Wie man heute weiß, feuern sie dann, wenn ein Ereignis eintritt, das besser ist als erwartet. Dies hat zwei Konsequenzen: Neuronen im Nucleus accumbens, die ihrerseits opiumähnliche Eiweißkörper herstellen und als Neurotransmitter im Frontalhirn ausschütten, werden aktiviert. Unser Gehirn produziert selbst Opium, die Endorphine, und wenn diese im Frontalhirn ausgeschüttet werden, dann macht das – Spaß!

Von der Kokaininjektion bei einem Süchtigen im Entzug über Schokolade essen, Musik hören, schnelle Autos, beim Videospiel gewinnen bis hin zu einem netten Blick oder einem aufbauenden Wort – all dies aktiviert die Dopamin-Neuronen. Dies wiederum bewirkt, dass das Frontalhirn und der Arbeitsspeicher besser funktionieren. Auf gut Deutsch: Man kann besser denken, verarbeitet die gerade vorliegenden Informationen besser, was wiederum zur Folge hat, dass besser gelernt wird. Das beschriebene System löst damit eine ganz wesentliche und zugleich schwierige Aufgabe unseres Gehirns: In jeder Sekunde strömen unglaublich viele Informationen auf uns ein, die wir nicht alle verarbeiten können. Unser Gehirn hat also das Problem der Auswahl: Was von dem vielen soll weiter beachtet und verarbeitet werden, und was kann es getrost übergehen? Es braucht daher ein Modul, das bewertet und vergleicht. Solange alles nach Plan läuft, also nichts geschieht, was wir nicht schon wüssten, tut dieses Modul nichts. Geschieht jedoch etwas, das besser ist als erwartet, dann feuert das Modul. Dann werden wir wach, aufmerksam, wenden uns dem Erlebnis zu und verarbeiten die Informationen besser. Das Wichtigste: Wir lernen besser. Auf diese Weise lernen wir langfristig alles, was gut für uns ist.

Betrachten wir ein ganz einfaches Beispiel: Sie laufen durch den Wald und essen grüne, saure Beeren. Nun erwischen Sie eine rote, stecken sie in den Mund und sind ganz überrascht, dass sie so schön süß schmeckt. Von da an suchen Sie rote Beeren, denn Sie haben etwas gelernt. Es geht bei der Aktivierung des Moduls nicht nur um den Spaß, es geht vor allem um das Lernen von all dem, was gut für uns ist. Das Modul springt immer als Folge eines Vergleichs an, nur dann, wenn etwas besser ist als erwartet. So gesehen ist das Glücksempfinden nur ein Nebenprodukt (ich sage ausdrücklich nicht: Abfallprodukt) unseres Lernvermögens.

Man sieht auch sofort: Auf andauerndes Glücklichsein ist das Modul gar nicht ausgelegt. Vielmehr darauf, dass wir dauernd nach dem streben, was für uns gut ist! Beim Modul unseres Gehirns, das für Glückserlebnisse zuständig ist, geht es also nicht um dauerndes Glück, es geht vielmehr um dauerndes Streben. Das ist ein großer Unterschied! Dabei kann man eine Menge für sein Glück tun. Man muss nur wissen, was. Und was nicht. Glück hängt also durchaus mit Wissen zusammen, dem Wissen, was man tun kann, um glücklich zu sein. Man findet Antworten auf die Frage nach dem Glück also genau dort, wo man sie zunächst am wenigsten vermuten würde: in der Wissenschaft.

Und weil unser Gehirn Geschichten mehr liebt als reine Fakten, wünsche ich Ihnen viel Freude mit der unterhaltsamen Art meines geschätzten Kollegen. Aber erwarten Sie nicht zu viel – dann ist es vielleicht besser als erwartet.

 

In diesem Sinne viel Dopamin und viel Glück allen Lesern wünscht

Manfred Spitzer

Anmerkung des Autors:

Sie finden Literaturhinweise, weiterführende Texte und Links, auch zum Thema Depression und seelische Gesundheit, und ein kostenfreies wissenschaftlich evaluiertes Online-Training auf der Seite www.glueck-kommt-selten-allein.de

Wem das Wasser bis zum Hals steht, sollte den Kopf nicht hängen lassen.

Nebenwirkungen: Glück schützt vor Herzinfarkt und Depression

Das Leben ist voller Elend, Einsamkeit und Leiden – und dann ist es auch noch viel zu schnell vorbei.

Woody Allen

Glück ist kein Naturzustand, Gesundheit auch nicht. Nicht jeder, der gesund ist, ist glücklich. Und nicht jeder, der krank ist, ist unglücklich. Aber wer öfter glücklich ist, wird seltener krank und lebt länger. Deshalb schreibe ich dieses Buch. Und eigentlich müssten Ihnen die Krankenkassen das Geld dafür erstatten, denn sein Glück zu mehren ist die beste Prävention.

Ruut Veenhoven von der Erasmus-Universität in Rotterdam erforscht seit Jahren das Zusammenspiel von Glück und Gesundheit. Über 30 Einzelstudien bestätigen: Glücklichsein schützt konkret vor Herzinfarkten, Infekten und Diabetes – und natürlich auch vor Depression, dem Gegenteil von Glück. Auch deshalb schreibe ich dieses Buch, und in diesem Kapitel bin ich jetzt mehr Arzt als Komiker.

Wie positive Gefühle auf den Körper wirken und wie gleichzeitig chronische Krankheiten uns mürbemachen können, wird gerade erst als Forschungsthema entdeckt. Klar ist: Stress macht Unglück. Und Unglück macht Stress. Darunter leiden nicht nur die Laune und die Blutgefäße, sondern auch das Immunsystem. Wenn man Versuchspersonen eine definierte Menge an Schnupfenerregern ins Gesicht pustet, werden diejenigen seltener krank, die zu dem Zeitpunkt gut gelaunt sind. Die anderen haben vorher und nachher die Nase voll.

Glückliche Menschen reagieren gelassener auf Belastungen. Außerdem haben sie einen gesünderen Lebensstil: Sie achten auf ihr Gewicht, sind sportlicher und gehen verantwortungsvoll mit Alkohol und Zigaretten um. Weiterhin aktivieren Freude und Glück den Körper und machen ihn fitter. Bei unglücklichen Personen beobachtet man das Gegenteil: Ihre körperliche Aktivität sinkt, und sie sind anfälliger für Krankheiten.

Wenn Menschen jedoch bereits schwer krank sind, verlängert ein positiver Gemütszustand nicht das Leben, wohl aber die Lebensqualität. So fordert auch Ruut Veenhoven eine Gesellschafts- und Gesundheitspolitik, bei der das Glücksempfinden des Einzelnen gestärkt wird. Dafür können Menschen informiert, trainiert und angeleitet werden, sich glücklich zu fühlen und auf einen Gutteil ihres Stresses zu verzichten. Auf diese Weise würden weniger Personen krank, und die Kosten einer Behandlung könnten somit für eine sinnvolle Vorsorge verwendet werden. Eine neue Forderung?

Freude stärken. Leiden mindern. Dieses brauchbare Lebensmotto findet sich im Buddhismus genauso wie im hippokratischen Eid. Und so verstehe ich auch dieses Buch: Sollte es Sie glücklich machen, freut mich das. Aber der größere Effekt könnte sein, dass Sie sich nicht mehr für unglücklicher halten, als Sie sind. Das ist so ähnlich wie beim Salatessen. Warum ist Salat so gesund? Weil man, während man Berge von Salat isst, sich den Magen nicht mit etwas Ungesundem vollschlägt. Deshalb nimmt man auch ab, wenn man viel lacht. Nicht etwa, weil man beim Lachen nennenswert Kalorien verbrennt, sondern weil man beim Lachen nicht essen kann. Oder etwas philosophischer: «Glück ist Unglück, was man nicht hat.» Aber keine Sorge, etwas optimistischer als Schopenhauer ist dieses Buch schon.

Der größte Trick, sein Leben zu verlängern, ist tatsächlich kein großes Geheimnis, sondern erschreckend banal: Lass einfach alles weg, was das Leben nachweislich verkürzt. Wer nicht raucht, nicht zu viel säuft und frisst und Spaß mit sich und anderen hat, lebt 14 Jahre länger als einer, der lieber Risikofaktoren sammelt und alles daransetzt, seine Sammlung auch zu vervollständigen. Brokkoli hat die größte Wirkung, vor Krebs zu schützen, bei den Menschen, die am wahrscheinlichsten Krebs bekommen, bei den Rauchern. Ob die anderen viel von Brokkoli profitieren, ist schwerer zu belegen. Aber das heißt nicht, dass sie jetzt mit Rauchen anfangen müssten oder mit Brokkoli aufhören sollten.

Ich mache mir keine große Illusion, wie viel dieses Buch zum Glück unserer Nation und zu Ihrem persönlichen beitragen kann, aber viele kleine. Wenn es ein bisschen mehr nützt als schadet, ist das doch auch was. Sind Sie überhaupt der richtige Leser für dieses Buch?

Als ich noch Kinderarzt in der Charité war, hatte ich die erste Begegnung mit dem «Gesetz der umgekehrten Bedürftigkeit». Welche Eltern bringen ihre Kinder pünktlich zu allen Untersuchungen? Die, die sich sowieso schon kümmern. Das sind nicht die Familien, die den Arzt am dringendsten bräuchten. Da dachte ich: Mensch, warte nicht im Krankenhaus, bis die Kranken zu dir kommen. Sorg dafür, dass sie gar nicht erst krank werden. Mach Prävention, bring medizinisches Wissen in die Öffentlichkeit, mach Gesundheitsfernsehen. Ich habe fünf Jahre in der ARD eine wöchentliche Gesundheitssendung moderiert. Jeden Donnerstag um 19 Uhr 30 fasste ich sinngemäß zusammen: nicht rauchen, bewegen, Gemüse essen. Jetzt frage ich Sie: Wer guckt so eine Sendung? Genau: alle, die das schon wissen. Die Raucher, die sich nie von der Fernsehcouch wegbewegen und Pommes für Gemüse halten, schauen selten ARD-Gesundheitsmagazine. Die gucken RTL 2.

Man predigt immer den Falschen. Das ist in der Kirche auch so. Die, die in die Kirche kommen, denen muss man kein schlechtes Gewissen machen. Das haben die schon. In der Wirtschaft gilt genau das Gleiche. Wenn man Telefonmarketing für Hörgeräte macht – die, die rangehen, sind nicht die, die sie am dringendsten brauchen. So steht zu befürchten, dass Sie gar nicht so schlecht drauf sind.

Dieses Buch kann einen Besuch beim Arzt nicht ersetzen – aber vielleicht anregen. Und deshalb noch ein paar ernste Worte zum Thema Depression: Was ist das Gegenteil von Glück? Unglück? Könnte man denken. Glück geht vorbei. Unglück auch. Das Gegenstück zu Glücksgefühlen ist, wenn man gar nichts mehr fühlt. Depression ist die Krankheit der «-losigkeit». Alles ist sinnlos, hoffnungslos, emotionslos. Wer unter Depressionen leidet, ist schlaflos, antriebslos und wäre am liebsten sich selbst ganz los. Die Depression ist die häufigste seelische Störung überhaupt und auch die teuerste. Sie kostet vielen Menschen das Leben durch Suizid, sie kostet zusammengenommen viele Jahrhunderte an Lebensqualität, und sie kostet die Gesellschaft Milliarden, weil Depressive lange ausfallen als Eltern, Lehrer, Partner oder Steuerzahler. Fünf Millionen Menschen sollen in Deutschland depressiv sein, wobei strittig ist, ob die Krankheit zugenommen hat oder nur die Aufmerksamkeit für die Diagnose.

Der Biologe Lewis Wolpert, emeritierter Professor vom University College London, erfuhr am eigenen Leib, welches Stigma der Depression bis heute anhaftet. Eindringlich schildert er in seinem Buch «Anatomie der Schwermut» seine Scham und die seiner Angehörigen sowie seine Hoffnung, dass die Erkrankung biologisch bedingt sei und er sie somit nicht selbst verschuldet haben konnte. Wolpert meint, wer dieses schlimme Leiden mit Worten beschreiben könne, habe es nicht selbst durchlebt. Es sei die schmerzlichste Erfahrung seines Lebens.

Die Neurologen und Psychiater unterteilen Depression in verschiedene Schweregrade, je nachdem wie stark die Symptome ausgeprägt sind und wie lange sie schon anhalten. Eine Selbstdiagnose macht wenig Sinn: Manche Patienten neigen zur permanenten Selbstbeobachtung der Psyche und machen sich dadurch das Leben schwer. Die anderen ignorieren dagegen jede seelische Komponente und rennen jahrelang wegen Herz-, Rücken- oder Verdauungsproblemen zum Arzt, bis einer die richtige Diagnose stellt. Aber alles ist besser, als gar nicht zum Arzt zu gehen.

Was passiert bei einer Depression im Gehirn? Die komplizierten Gleichgewichte der verschiedenen Signalstoffe sind gestört. Maßgeblich fehlen Serotonin und Noradrenalin, das erste Hormon signalisiert normalerweise Freude, das zweite Antrieb. Beides fehlt dem Depressiven. Zudem fehlt es an Nervenwachstum. Genauso, wie sich der Depressive von seiner Außenwelt zurückzieht, haben auch die Nervenzellen im Hirn keine Lust mehr, sich anzustrengen und neue Kontakte zu knüpfen. Was zuerst kommt, der äußere oder der innere Rückzug, ist wie bei der Henne und dem Ei schwer zu klären. Aber das fehlende «Netzwerken» im Kopf erklärt sehr gut, warum eine Behandlung mit Medikamenten nie sofort anschlägt. Denn bis sich die Synapsen wieder berappelt haben und neugierig auf andere zugehen, vergehen gerne mal zwei bis vier Wochen.

Welchen «Sinn» macht eine Krankheit der Sinnlosigkeit? Am ehesten den einer Notbremse. Permanenter Stress und Überforderung führen zum Rückzug aus dem aktiven Leben, der Betroffene spart Energie und bringt andere dazu, ihn zu unterstützen. Wer einmal mit schwer Depressiven zu tun hatte, weiß, dass es ein Stadium gibt, in dem alle gutgemeinten Ratschläge wie «Raff dich doch einfach auf» nichts nützen und nur alle Beteiligten noch hilfloser machen und bisweilen auch wütend. Depression ist eine Krankheit, kein Versagen. Wenn Sie ausgebrannt sind, gilt das Gleiche, wie wenn Ihre Wohnung brennt: Holen Sie Hilfe! Am besten schon, wenn Sie die ersten Rauchzeichen wahrnehmen.

Depression kommt meist nicht aus heiterem Himmel, sondern entsteht aus trüben Gedanken, die einen in endlosen Spiralen abwärtsziehen. Ein eindrucksvolles Tierexperiment revolutionierte das Verständnis dieser Lernprozesse.

Martin Seligmans bahnbrechende Entdeckung war in den 60er Jahren die «gelernte Hilflosigkeit». Hunde, die in einem Käfig saßen, bekamen Futter, Wasser und – kleine Stromstöße. Die waren nicht gefährlich, aber unangenehm. Ein paar Stromstöße verträgt jeder, aber wenn sie immer wieder ohne ersichtlichen Grund kommen und ich «armer Hund» nichts dagegen unternehmen kann, ergebe ich mich bald in mein Schicksal. Die Hunde legten sich apathisch hin und machten keinerlei Anstalten, sich aus der unangenehmen Situation zu befreien. So ähnlich fühlen sich viele Menschen, die sich sinnlos vom Schicksal mit Schlägen gebeutelt sehen, beispielsweise durch den Verlust des Arbeitsplatzes. Wer selbst kündigt, fühlt sich ganz anders als jemand, der sich angestrengt hat, aber trotzdem geht die Firma pleite, und er wird arbeitslos. Das macht depressiv.

Die eigentliche Erkenntnis kam, als Seligman den Käfig öffnete. Was geschah? Nichts. Die Hunde hätten abhauen können, aber sie taten es nicht. Sie hatten die Hilflosigkeit gelernt, sodass sie keinen Schritt mehr in die eigene Freiheit unternehmen wollten.

Depressive Menschen erschaffen sich ihren Käfig in Gedanken, und wenn Stöße und Erschütterungen dazukommen, können sie sich nicht mehr aus ihren Denkgittern und Endlosschleifen befreien: «Ich bin wertlos, meine Welt ist düster, meine Zukunft ist hoffnungslos.» Der Therapeut Aaron Beck entdeckte diese typischen Denkmuster und dass man nicht nur Hilflosigkeit lernen kann, sondern auch Optimismus, indem man lernt, die Denkmuster zu unterbrechen. Die Methode heißt «Kognitive Verhaltenstherapie» und ist nach heutigem Wissensstand eine der wirksamsten Methoden überhaupt, Depressionen zu behandeln.

Was hilft noch? Den Umgang mit sich und anderen achtsamer gestalten: Die sozialen Fähigkeiten übt die «Interpersonelle Therapie» (IPT), und die Achtsamkeitsmeditation unterstützt den gelasseneren Umgang mit sich selbst. Mehr darüber erfahren Sie im Kapitel «Stille halten».

Und welche Rolle spielen Medikamente? Bei leichter Depression braucht man sie nicht. Bei schwerer Depression ist ein Gespräch oft unmöglich, und somit können Medikamente helfen, eine psychotherapeutische Situation überhaupt erst möglich zu machen. In Amerika gehört es zum Lifestyle, das Antidepressivum «Prozac» zu nehmen, in Deutschland gehört es zum Lifestyle, Psychopharmaka in Bausch und Bogen zu verdammen. Beides ist meiner Ansicht nach nicht hilfreich: Wer nicht depressiv ist, hat wenige Vorteile von Antidepressiva. Wer aber schwer depressiv ist, tut sich keinen Gefallen, keine Medikamente zu nehmen. Sie wirken langsam, und auch in der Wahl des Mittels muss man geduldig sein. Sie machen nicht süchtig, denn sie geben keinen Kick, weil sie mehrere Wochen brauchen, um zu wirken. Somit durchlebt man keinen Entzug, wenn man sie nicht mehr nimmt. Niedrig dosiert verhindern sie auch Rückfälle.

Nur jeder fünfte Patient mit Depression in Deutschland wird richtig erkannt und behandelt. Dass jemand mit einer angeborenen Neigung zur Kurzsichtigkeit sich eine Brille verschreiben lässt, regt niemanden auf. Wenn jemand mit einer angeborenen Neigung zur Schwarzsichtigkeit und Freudlosigkeit ein Medikament verschrieben bekommt, das seine Hirnchemie korrigiert, erscheint uns das immer noch wie ein Frevel. Das kommt mir irgendwie kurzsichtig vor.

Das beste Mittel gegen die krankhafte Schwermut bleibt das Glück, in vielen kleinen Schritten. Seinen Weg zu ändern ist manchmal leicht. Meistens braucht es Wiederholungen, bis man etwas wirklich verstanden hat. So ähnlich wie beim Fernsehen, wenn man eine Wiederholung sieht und denkt: Mann, das kenn ich doch schon – aber nicht mehr genau weiß, wie es ausgeht, und dann doch zu Ende guckt. In unserem Leben schauen wir oft bis zum Ende zu, obwohl wir wissen, wie es ausgeht – weil uns eben der Weg interessiert und das Loch …

Als ich das erste Mal folgenden Text hörte, dachte ich, er sei nur für mich geschrieben worden. Wenn Sie ihn mögen, sind wir schon zwei:

Umwege erhöhen die Ortskenntnis

 

Ich gehe die Straße entlang

Da ist ein tiefes Loch im Gehsteig

Ich falle hinein

Ich bin verloren … Ich bin ohne Hoffnung

Es dauert endlos, wieder herauszukommen

 

Ich gehe dieselbe Straße entlang

Da ist ein tiefes Loch im Gehsteig

Ich tue so, als sähe ich es nicht

Ich falle wieder hinein

Ich kann nicht glauben, schon wieder am gleichen Ort zu sein

Aber es ist nicht meine Schuld

Immer noch dauert es sehr lange herauszukommen

 

Ich gehe dieselbe Straße entlang

Da ist ein tiefes Loch im Gehsteig

Ich sehe es

Ich falle immer noch hinein … aus Gewohnheit

Meine Augen sind offen

Ich weiß, wo ich bin

Es ist meine eigene Schuld

Ich komme sofort heraus

 

Ich gehe dieselbe Straße entlang

Da ist ein tiefes Loch im Gehsteig

Ich gehe darum herum

 

Ich gehe eine andere Straße

ZEHN WARNSIGNALE
drohender Zufriedenheit
  1. Die Neigung, spontan zu denken und zu handeln ohne Angst.

  2. Die unverkennbare Fähigkeit, jeden Moment zu genießen.

  3. Verlust des Interesses, andere zu beurteilen.

  4. Verlust des Interesses an Konflikten.

  5. Verlust des Interesses, sich selbst zu verurteilen.

  6. Verlust der Gewohnheit, sich Sorgen zu machen.

  7. Wiederkehrende Phasen der Wertschätzung und Würdigung allen Lebens.

  8. Zufriedenmachende Gefühle der Verbundenheit mit anderen und der Natur.

  9. Die zunehmende Neigung, den Überfluss des Lebens wahrzunehmen und anzunehmen.

  10. Anfälle von herzlichem Lachen.

  11. Dass es Ihnen egal ist, dass es 11 Warnsignale sind.

Kapitel 0:
Glück kommt selten allein –
es kommt mit Missverständnissen

Hirschhausens bunte Bastelbögen

Anleitung zum sicheren Erfolg

Erst den Erfolg erzielen, dann das Ziel definieren.

SO GEHT'S:

Pfeil werfen, Zielscheibe ausschneiden. Egal wo der Pfeil gelandet ist: Zielscheibe drumherum drapieren – dann erst anderen Bescheid sagen und Bewunderung einholen!

Hier gibt es die Bastelvorlage zum Download (www.rowohlt.de/Bastelbogen_Anleitung_zum_sicheren_Erfolg)

Typisch – ein «Aha» wird angekündigt, aber der Wegweiser läuft nicht mit.

Sieben Dinge über das Glück, die Sie nie wissen wollten, aber eigentlich schon wissen

1. Menschen sind gerne unglücklich.

Davon kann jeder Arzt berichten: Hypochonder zum Beispiel – denen geht es nicht gut, wenn es ihnen gutgeht. Masochisten tut es weh, wenn es nicht weh tut. Singles fehlt der Partner. Wozu? Na, zum Glück! Offenbar lieben wir Schmerz, der nachlässt, mehr als neutrale Gefühle. Das erklärt auch, warum Frauen so gerne Schuhe kaufen, die einen Tick zu eng sind – für den kontrollierbaren Glücksmoment am Abend, wenn der Schmerz beim Ausziehen nachlässt.

2. Wir sind nicht auf der Erde, um glücklich zu sein.

Das Ziel der Evolution war immer: Überleben. Wenn Sie diesen Text hier lesen, hat Ihr Hirn seinen Job erfüllt! Glücksmomente sollen uns antreiben, unsere Überlebenschancen zu verbessern. Deshalb macht Essen Spaß. Deshalb macht Sex Spaß. (Einige erinnern sich.) Aber auf Dauer glücklich sein? Nein – das wäre der Tod! Die Urmenschen, die nach Mammutsteak und Orgie glücklich über die Wiese liefen, hat der Säbelzahntiger gefressen. Von denen stammen wir nicht ab. Wir überleben, weil Glück vorbeigeht und wir weiter dazulernen. Kein Mensch ist dazu verdammt, dauerhaft glücklich zu sein. Das ist eine frohe Botschaft.

3. Kein anderer Mensch ist dafür da, uns glücklich zu machen.

Die romantische Idee, dass es einen Richtigen gibt, den du nur finden musst, dann ist das Glück auf Dauer garantiert, macht seit Jahrhunderten die Menschen nur eins: unglücklich! Mal ehrlich: Wie wahrscheinlich ist es, unter sechs Milliarden Menschen den einzig richtigen zu finden – innerhalb der ersten 80 Lebensjahre? Weil es Perfektion nicht gibt, wir sie aber trotzdem erwarten, halten wir den Partner, den wir womöglich gerade haben, fest – und suchen heimlich weiter.

4. Shit happens.

Mal bist du die Taube, mal bist du das Denkmal. Glück kommt und geht. Unglück auch. Aber IM Unglück denken wir automatisch: Das bleibt jetzt für immer so. Eine der schönsten Nachrichten aus der Traumaforschung ist, dass über 80 Prozent der Menschen, die brutale Schicksalsschläge erleben, gut damit klarkommen. Es braucht eine Zeit, aber auch ohne therapeutische Intervention sind sie zwei Jahre später nicht dauerhaft beeinträchtigt, oft sogar noch gestärkt. Unfälle, Krankheit, Trennung und Tod sind Teil des Lebens. Es gibt «das Böse» auf der Welt – warum, weiß Gott oder der Geier. Und ich hoffe inständig, es sind zwei verschiedene Instanzen.

5. Go for bronze!

Wer ist Ihrer Meinung nach glücklicher, Silber- oder Bronzemedaillen-Gewinner? Richtig: Bronze gewinnt! Glückstechnisch. Nicht das Ergebnis macht uns glücklich oder unglücklich – es ist die Bewertung, vor allem die Frage: Mit wem vergleiche ich mich? Mit wem vergleicht sich Silber? Er schielt nach oben und flucht: Drei Hundertstel, und du hättest Gold! Bronze denkt: Drei Hundertstel, und du hättest gar keine Medaille! Bronze ist glücklich, denn er weiß: Richtig doof ist Vierter.

6. Wenn du wirklich was für dich tun willst, tu was für andere.

Wir können uns nicht selbst kitzeln. Denn bevor sich meine Finger an meinen Füßen bewegen, ist mein Hirn vorgewarnt. Es fehlt einfach die Überraschung. Das ist so ähnlich wie beim Sex. Immer nur allein – irgendwann denkst du: Okay – war schön, aber ich hab das jetzt auch kommen sehen. Sinnlichkeit miteinander zu teilen, macht mehr Spaß als allein. Glück auch. Glück kann man sogar weitergeben, ohne es selbst vorher gehabt zu haben! Und das ist nicht nur für Schwaben etwas sehr Attraktives. Glück ist ansteckend. Und jemand anderen glücklich zu machen und glücklich zu sehen, bringt dir viel mehr, als deinen eigenen Bauch zu pinseln. Dafür haben wir sogar Nervenzellen im Kopf, die Spiegelneuronen. Lachen steckt an, also umgib dich mit lebensfrohen Leuten. Lache – und die Welt lacht mit dir. Schnarche, und du schläfst allein!

7. Liebe dich selbst, dann können die anderen dich gernhaben.