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Impressum

Dieses E-Book basiert auf der gedruckten Ausgabe, die 1989 unter dem Titel «Todesjacht» im Paul List Verlag erschien.

 

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, Juli 2018

Copyright © 2017 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg

Die Originalausgabe erschien 1988 unter dem Titel «Wildtrack» im Verlag Michael Joseph in der Penguin Group, London.

«Wildtrack» Copyright © 1988 by Rifleman Productions Ltd.

«Todesjacht» Copyright © 1989 by Paul List Verlag in der Südwest Verlag GmbH & Co. KG, München

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der Genehmigung des Verlages

Umschlaggestaltung any.way, Barbara Hanke/Cordula Schmidt

Umschlagabbildung D.Sim/Getty Images

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ISBN Printausgabe 978-3-499-27368-1

ISBN E-Book ISBN 978-3-644-40264-5

www.rowohlt.de

ISBN 978-3-644-40264-5

Sie sagten, ich würde nie wieder laufen können.

Sie sagten, ich müsste im Rollstuhl bleiben, bis man mich in die Kiste heben und den Deckel zuschrauben würde. Ich solle etwas Kaufmännisches lernen, sagten sie. Etwas Behindertenfreundliches, irgendwas mit Computer zum Beispiel.

Sie behielten mich fast ein ganzes verdammtes Jahr da, bohrten eine Metallstange in meine rechte Hüfte und verpflanzten Haut da, wo meine Hüften und mein Arsch verbrannt waren. Sie malträtierten mein Rückgrat mit einer Mischung aus grober Zimmermannsarbeit und Mikrochirurgie, und als das halbwegs zu wirken begann – das hieß, ich mit den Zehen meines linken Fußes zucken konnte –, machten sie mich erneut auf und probierten noch ein bisschen mehr herum. Das alles hatte Monate gedauert, aber ich konnte noch immer nicht gehen.

Sie müssen sich daran gewöhnen, sagten sie, weil Sie nie wieder laufen werden. Sie werden nie wieder segeln können. Sie sind jetzt doppelseitig gelähmt, Nick, also schlagen Sie sich das alles aus dem Kopf. Ich sagte ihnen, sie könnten mich …

«Das ist nicht die richtige Einstellung, Nick!», sagte Doktor Maitland mit seiner nüchternen Stimme. «Schließlich ist

Das war das erste Hoffnungszeichen, das er mir zuteilwerden ließ, und ich reagierte erregt. «Tatsächlich?»

«Mein lieber Nick, selbstverständlich können Sie. Es gibt da einen Motorsegler auf dem Solent, der auf Fälle wie Ihren eingerichtet ist.»

Meine Erregung verebbte. «Fälle wie meinen?»

«Rampen für die Stühle und ausgebildetes Personal an Bord.» Maitland sprach stets in sachlichem Ton über diese Dinge, als wäre es absolut alltäglich, dass Menschen mit Schläuchen in ihrer Blase herumlaufen. «Vielleicht nehmen Sie jemanden von der Presse mit?», setzte er hoffnungsvoll hinzu. «Die wollen Sie alle interviewen.»

«Sagen Sie ihnen, sie könnten sich zum Teufel scheren. Keine Presse. Das war abgemacht, erinnern Sie sich? Ich will keinen einzigen verdammten Reporter sehen.»

«Also keine Presse.» Maitland konnte seine Enttäuschung nicht verbergen. Er liebte Publicity für sein paraplegisches Paradies. «Vielleicht werde ich mitkommen. Es ist schon viele Jahre her, seit ich segeln war.»

«Sie können allein gehen», erwiderte ich.

«Das ist nicht die richtige Einstellung, Nick.» Er zupfte an meinen Hüllen, an denen es nichts zu zupfen gab.

Ich schloss die Augen. «Ich werde dieses verdammte Gebäude auf meinen eigenen zwei Beinen verlassen.»

«Das muss Sie doch aber nicht daran hindern, im

Ich öffnete die Augen. «Als ich das letzte Mal segeln war, befand ich mich auf der Forty Footer eines Freundes und kam gerade von Island zurück. Bei den Färöern wurde sie schwer angeschlagen und verlor ihren Mast über den Spreizen. Wir hackten das zerbrochene Zeug ab, takelten die Mastbacken auf und brachten sie fünf Tage später sicher nach North Uist. Das war eine saubere Arbeit, Doc.» Ich erwähnte nicht, dass sich mein Freund den Arm gebrochen hatte, als das Boot quergeschlagen war, und dass das alles in einer verdammt scheußlichen Nacht geschehen war. Wichtig war nur, dass wir es mit dieser Scheißnordsee aufgenommen und unser Boot nach Hause gebracht hatten.

Maitland hatte geduldig zugehört. «Das war vorher, nicht wahr, Nick?»

«Es kommt ja überhaupt nicht in Frage, Doc, dass ich auf Ihrer Krüppelbarke hocke und all die schönen Boote an mir vorbeiziehen sehe.» Ich wusste, dass ich flegelhaft und undankbar war, aber das war mir egal. Ich würde wieder laufen können.

«Wenn Sie meinen, Nick, wenn Sie meinen.» Maitlands Stimme deutete an, dass ich selbst mein größter Feind war. Er ging zur Tür, hielt dann aber inne, um sich im Zimmer umzusehen. Ein Ausdruck höchsten Erstaunens breitete sich auf

«Ich hasse das verdammte Fernsehen.»

«Wir halten es für ein extrem wichtiges therapeutisches Instrument, Nick.»

«Ich brauche keine verdammte Therapie. Ich will ein Paar Wanderschuhe.»

«Wollen Sie tatsächlich keinen Fernseher?», erkundigte sich Maitland ungläubig.

«Ich will keinen Fernseher.»

Und da schickten sie mir an diesem Nachmittag die neue Psychotherapeutin.

 

«Hallo, Mister Sandman», sagte sie strahlend. «Ich bin Doktor Janet Plant. Ich gehöre seit kurzem zum Team für Orientierungshilfe.»

Sie hatte eine nette Stimme, aber ich konnte sie nicht sehen, weil ich der Tür den Rücken zugewandt hatte. «Sie sind die neue Seelenklempnerin?»

«Ich bin die neue Orientierungstherapeutin», stimmte sie zu. «Was machen Sie da?»

Ich hielt mich mit der rechten Hand am Bettgestell fest und schob meinen rechten Fuß vorsichtig in Richtung Fußboden. «Ich bringe mir selbst das Gehen bei.»

«Ich dachte, dafür hätten wir eine physiotherapeutische Abteilung?»

«Da will man mir nur beibringen, wie man im Rollstuhl pinkelt. Sie versprechen mir, im Frühjahr zu Punkt zwei überzugehen, wenn ich ein braver Junge bin.» Ich zuckte zusammen. Der Schmerz war unerträglich. Selbst wenn ich

Gott, war ich kraftlos. Mein rechtes Bein zitterte. Angeblich sollten die Nervenstränge durchtrennt sein, aber ich hatte herausgefunden, dass mein Knie angewinkelt blieb, wenn ich es mit den Händen beugte. Also schob ich das Bein hinunter und hangelte mich dann ganz behutsam vom Bett. Ich hielt mich noch immer am Bettgestell fest. Mein linkes Bein wurde ein bisschen belastet, und der Schmerz glitt wie Feuer die Sehnen entlang. Ich hatte weder Gleichgewicht noch Kraft, aber ich zwang mich vom Bett, bis ich halbgebeugt stand. Meine rechte Hand umklammerte das Fußende so krampfhaft, dass die Knöchel weiß waren. Ich konnte nicht atmen. Buchstäblich. Der Schmerz war so stark, dass mein Körper die Atemanweisungen nicht finden konnte. Er raste hinauf in meinen Oberkörper, meinen Hals und explodierte dann glühend in meinem Schädel.

Ich fiel rücklings aufs Bett. Als mein Atem zurückkam, begann mich der Schmerz zu verlassen, aber ich hielt die Augen geschlossen, damit man die Tränen nicht sah. «Als Erstes», versuchte ich ganz nonchalant zu klingen, «muss ich lernen, mich aufzurichten. Und dann einen Fuß vor den anderen zu setzen. Der Rest ist ganz einfach.» Ich wünschte, ich hätte nicht gesprochen, denn die Worte kamen als Schluchzer heraus.

Ich hörte, dass Dr. Plant einen Stuhl heranzog und sich setzte. Mir war nicht entgangen, dass sie keinen Versuch

«Es ist ein Boot», sagte ich mürrisch. Mein Atem ging inzwischen leichter, aber meine Augen waren noch geschlossen.

«Wir segeln eine Contessa zweiunddreißig», sagte Doktor Plant.

Ich öffnete die Augen und sah eine vernünftige, kurzhaarige und mütterliche Frau. «Wo liegt Ihre Contessa?», fragte ich.

«In Itchenor.»

Ich lächelte. «Ich bin einmal auf die Sandbank von East Pole aufgelaufen.»

«Unvorsichtig.»

«Es war nachts», verteidigte ich mich, «und es hat ein Schneesturm gewütet, sodass ich die Markierungen nicht sehen konnte. Und eine mistige, hohe Flut. Ich war erst fünfzehn. Ich hätte nicht versuchen sollen, in den Kanal zu kommen, hatte aber Angst, mein alter Herr würde mir das Fell versohlen, wenn ich die ganze Nacht draußen blieb.»

«Hätte er?», fragte sie.

«Vermutlich nicht. Er langte nicht gern zu. Ich hab’s häufig genug verdient, aber er ist nun mal ein ziemlich weicher Knabe.»

Sie lächelte, als wollte sie zeigen, dass ich endlich ein

«Ich bin wohl ein richtiges Puzzle für Sie, was?»

«Nehmen Sie das denn an?», wollte sie wissen.

«Ich nehme an», erwiderte ich, «dass ich es hasse, wenn verdammte Seelenklempner mich fragen, was ich annehme. Mein Vater hat Dreck am Stecken, meine Mutter hat sich aus dem Staub gemacht, mein Bruder ist ein Arschloch, meine Schwester noch schlimmer, und meine Frau hat mich verlassen, um einen verdammten Parlamentsabgeordneten zu heiraten. Aber aus keinem dieser Gründe bin ich hier, Doktor. Ich bin hier, weil ich eine Kugel in den Rücken bekommen habe und der National Health Service die Aufgabe übernommen hat, mich wieder zurechtzuflicken. Und zu dieser Behandlung gehört nicht – ich wiederhole: nicht –, in meinem Hirn herumzustöbern.» Ich starrte zur Decke. Ich hatte fast ein Jahr damit verbracht, an diese verdammte Decke zu starren. Sie war cremefarben und hatte einen Haarriss, der irgendwie wie die Silhouette einer nackten Frau von hinten aussah. Wenigstens kam es mir so vor. Aber ich hielt es für besser, Dr. Plant nicht zu viel zu sagen, sonst würde ich noch mit an den Schädel geklebten Elektroden auf eine Couch geschnallt. «Ich habe mal eine Contessa zweiunddreißig nach Holland gebracht», sagte ich. «Ein hübsches Boot.»

«Das ist es», sagte sie enthusiastisch. «Erzählen Sie mir von Ihrem Boot.»

Ich nehme an, ich habe es ihr gesagt, weil sie Seglerin war. Der Trick, den nationalen Folterdienst zu überleben, besteht

«Sie heißt Sycorax», sagte ich. «Achtunddreißig Fuß, Mahagoni auf Eiche, Teakholzdecks. Wurde 1922 als gaffelgetakelte Ketsch gebaut. Für einen reichen Mann, daher wurde an nichts gespart. Ihre übliche Takelung besteht aus Klüver, Stag-, Groß-, Topsegel und Besan. Alle aus schwerer Baumwolle. Sie hat Messingluken und kardanisch aufgehängte Öllampen in der Kabine.» Meine Augen waren wieder geschlossen. «Und die hübschesten Konturen diesseits vom Paradies. Sie ist dunkelblau mit weißen Segeln. Sie hat einen langen Kiel, ist gebaut wie ein Sherman-Panzer und kann genauso eigensinnig sein wie die Hexe, von der sie ihren Namen hat.» Ich lächelte, erinnerte mich an die Sprödigkeit meiner Sycorax vor einem auffrischenden Wind.

«Die Hexe Sycorax.» Dr. Plant runzelte die Stirn in dem Bemühen, den Namen unterzubringen. «Von Shakespeare?»

«Aus dem Sturm. Sycorax war Calibans Mutter. Wer ihren Zorn erregte, den zwang sie in einen Baum. Das ist ein Witz, wissen Sie, weil ein aus Holz gebautes Boot seinen Besitzer in Schulden zwingt.»

Dr. Plant zeigte ein pflichtschuldiges Lächeln. «Ich hoffe, sie liegt während Ihres Aufenthalts hier auf Land.»

Ich schüttelte den Kopf. «Ich hatte keine Zeit, sie aus dem Wasser zu holen. Aber sie ist kupferummantelt und liegt an einem privaten Liegeplatz. Sie ist vielleicht ein bisschen ramponiert, aber das kann ich reparieren.»

«Sie sind Tischler?» Da war ein Anflug von Überraschung in ihrer Stimme.

«Kennen Sie sich mit Holzarbeiten aus?», beharrte sie.

Ich hob die Hände mit den Schwielen meiner Tätigkeit. Aber wenn die Schwielen auch hart waren – die Fingerspitzen waren weiß und zart. «Früher einmal. Und ich war auch ein guter Mechaniker.»

«Sie betrachten sich also durchaus als einen Mann fürs Praktische, oder etwa nicht?», fragte sie mit der professionellen Wendung.

«Sie mischen sich schon wieder ein», warnte ich. «Sie sind gekommen, um Doktor Maitlands Arie zu singen. Lernen Sie was, Nick. Lassen Sie sich zum Buchhalter und Programmierer ausbilden. Reden Sie mit den Zeitungen, Nick. Man wird Sie für das Interview bezahlen, und dann können Sie sich mit dem Geld einen hübschen kleinen, elektrisch betriebenen Rollstuhl mit Hupe kaufen. Mit anderen Worten – geben Sie auf, Nick, fügen Sie sich. Wenn ich das gewollt hätte, Doktor, wäre ich in der Armee geblieben. Dort hat man mir einen Schreibtischjob angeboten.»

Sie stand auf und ging zum Fenster. Ein kalter Wind trieb winterlichen Sprühregen gegen die Scheiben. «Sie sind ein sehr starrköpfiger Mann, Mister Sandman.»

«Stimmt.»

«Aber wie wird Ihre Starrköpfigkeit mit der Tatsache fertig, dass Sie nicht mehr gehen können?» Sie wandte sich mit einem fragenden Ausdruck auf dem mütterlichen Gesicht vom Fenster ab. «Wenn Sie feststellen, dass Sie Ihre Sycorax nie wieder segeln werden?»

«Nicht um Kap Hoorn?», unterbrach Dr. Plant scharf.

Ich warf ihr einen warnenden Blick zu. «Schon wieder Einmischungen?»

«Es war keine unfaire Frage.»

«Nehmen Sie an, ich wolle nicht in den südlichen Atlantik zurück?»

Sie schwieg einen Moment. «Dieser Gedanke ist mir gekommen, ja.»

«Ich habe keine Albträume, Doktor, nur Träume.» Das stimmte nicht. Noch immer fuhr ich zitternd aus dem Schlaf hoch, mit meinen Gedanken auf einer Insel im Südatlantik. Aber das war meine Sache, nicht ihre.

Dr. Plant lächelte. «Träume können in Erfüllung gehen, Nick.»

Sie lachte und klang plötzlich viel mehr nach einem Segler als nach einem Psychotherapeuten. «Sie sind wirklich ein sturer Hund, was?» Ich war es; und zwei Wochen später, obwohl ich es niemandem erzählte, schaffte ich es, humpelnd, hüpfend und schlurfend bis zum Fenster zu kommen. Es kostete mich drei Minuten und heftige Schmerzen, und mein Atem rasselte wie Glaspapier, als ich mich schließlich ans Fensterbrett klammerte und die Stirn gegen die kühlen Scheiben lehnte. Es war ein wolkenloser Winterabend. Der Vollmond stand über dem Krankenhausgelände, auf dem die kahlen Bäume mattschwarz und -silbern schimmerten. Ein Auto bog um das Nachbarhaus, und seine Scheinwerfer blendeten mich einen Augenblick lang. Dann waren sie verschwunden. Als ich wieder sehen konnte, suchte ich den Aldebaran. Es hatte eine Zeit gegeben, in der ich diese ferne Sonne mühelos hinunter zum morgendlichen Horizont bringen konnte. Das gelang durch das Wunder eines Sextantenspiegels. Jetzt war ich ein zitternder Krüppel, aber irgendwo weiter südwestlich wartete mein Boot. Sie würde an ihren Warpleinen zerren, ihre Trossenschoner an der Kaimauer reiben und wie ich darauf warten, freigelassen zu werden. Frei zu sein für die langen, langen Winde unter dem kalten Licht des Aldebarans.

Denn eines Tages, egal was die verdammten Ärzte auch sagten, würde die Sycorax mich nach Neuseeland tragen. Nur wir zwei in großartigen Wassern, nach Süden segelnd und frei.

Vierzehn Monate später durchschritt ich das Krankenhaustor.

Ich wusste, dass Dr. Maitland der Presse von meiner Entlassung berichten würde, deshalb ging ich zwei Tage vor der Zeit. Ich wollte kein großes Theater. Ich wollte nur zurück nach Devon, dort in ein Pub gehen und so tun, als wäre ich lediglich ein oder zwei Wochen fort gewesen, mehr nicht.

Also hinkte ich die Auffahrt hinunter und redete mir ein, der Schmerz in meinem Rücken sei erträglich und der humpelnde Gang nicht allzu grotesk. Vor dem Krankenhausgelände bestieg ich einen Bus, dann einen Zug nach Totnes und schließlich einen weiteren Bus, der sich durch die tiefeingeschnittenen Täler zwischen den Hügeln der West Harns entlangschlängelte. Der Winter ging zu Ende, und an den Hecken entlang der Straße blühten Schneeglöckchen. Ich hätte heulen können; aus diesem Grund hatte ich niemandem erzählt, dass ich nach Hause kam. Ich hatte gewusst, wie glücklich mich der Anblick der Hügel von Devon machen würde.

Ich bat den Busfahrer, mich oben an der Ferry Lane abzusetzen. Er sah zu, wie ich die Stufen des Fahrzeugs hinunterhinkte, und hörte mein Ächzen unter der Anstrengung des

«Ausgezeichnet», log ich. «Ich möchte nur ein bisschen laufen.»

Die Tür zischte zu, und der Bus rumpelte auf das Dorf zu, während ich mich humpelnd die Straße zur alten Fähren-Helling hinunterquälte. Von dort aus konnte ich einen Blick über den Fluss auf die Sycorax werfen.

Ein Blick auf mein Zuhause, denn wie angeschlagen sie durch den Frost und die Stürme des Winters auch sein mochte – die Sycorax war mein Zuhause. Sie war das einzige Zuhause, das ich hatte oder wollte, und der Gedanke an sie hatte mich durch die langen Monate bis zu dem Moment aufrechterhalten, an dem ich nun auf sie zuging.

Oder besser zuhinkte. Das Laufen schmerzte, aber ich wusste, dass es für den Rest meines Lebens schmerzen würde. Ich musste ganz einfach damit leben, und ich hatte entschieden, dass der beste Weg zum Damitleben das Vergessen war. Und der beste Weg zum Vergessen war, an etwas anderes zu denken.

Das fiel mir plötzlich ganz leicht, denn als ich auf halbem Wege um die scharfe Biegung kam, spiegelte sich eine wässrige Sonne überraschend strahlend in den Fenstern des alten Hauses meines Vaters hoch über dem anderen Ufer.

Ich blieb stehen. Der neue Besitzer hatte einen Vorbau hinzugefügt und ihn fast vollständig verglasen lassen, sodass man über die weiten, geschwungenen Rasenflächen bis hinunter zum Wasser blicken konnte. Der hohe Mast, den mein Vater auf der Terrasse installiert hatte, stand immer noch da mit seinem Dwarssaling, seinen Wanten und seiner winkligen

Ich nahm meine kleine Tasche auf und hinkte weiter. Im Sommer war diese Straße voller Dingi-Segler, die ihre Fahrzeuge zum Ufer zogen. Aber jetzt, im Kielwasser der Winterkälte, war lediglich ein Auto oben an der alten Helling geparkt. Es war ein großer Kombi, gefüllt mit Werkzeug, Warpleinen und all den Utensilien, die nötig sind, um ein Boot für die neue Saison fertig zu machen. Ein Mann mittleren Alters verstaute Dosen und Pinsel in einem Sack. «Morgen! Ist es nicht ein herrlicher Tag?»

«Ist es», stimmte ich zu. Draußen im Fluss war etwa ein Dutzend Boote vertäut – eine Handvoll, verglichen mit der Zahl der Schiffe, die diesen Ankerplatz im Sommer nutzten, aber genügend, um mir die Sicht auf die Sycorax zu versperren. Sie lag an der Anlegemauer, die zum alten Bootshaus meines Vaters führte, am gegenüberliegenden Ufer.

Es war Ebbe. Ich hoffte, dass der Mann mich nicht beachten würde, weil nun der Moment gekommen war, der mich die ganzen Monate im Krankenhaus am Leben erhalten, mich die Schmerzen hatte ertragen lassen. Das war der Traum: das Boot zu sehen, das mich nach Neuseeland bringen würde. Ich war auf das Schlimmste vorbereitet, dass ihre oberen Seitenteile schäbig und ihr Rumpf von der Kälte zweier Winter angegriffen war. Im Herbst hatte Jimmy Nicholls geschrieben, dass an ihr etwas getan werden müsse, und zwischen den Zeilen hatte ich gelesen, dass eine Menge Arbeit nötig war. Ich hatte mir aber eingeredet, dass es ein Vergnügen sein würde,

Wie ein Kind, das eine Vorfreude verlängern will, sah ich nicht auf, während ich zum Ende der Helling humpelte. Erst als meine Füße fast das schnellfließende Wasser des Flusses berührten, hob ich den Blick. Ich hielt den Atem an. Ich war wieder zu Hause.

Und die Sycorax war fort.

 

«Ist irgendetwas nicht in Ordnung?»

Mein rechtes Bein zuckte unkontrolliert. Die Sycorax war fort. An ihrer Stelle, festgemacht an der Mauer, die mein privater Liegeplatz war, befand sich ein kastenförmiges Hausboot.

«Entschuldigen Sie …» Es war der Mann mittleren Alters, der sich auf weichsohligen Gummistiefeln genähert hatte. Es war ihm peinlich, die Frage stellen zu müssen. «Geht es Ihnen auch gut?»

«Ja», erwiderte ich schroff, da ich nichts von der Verärgerung verraten wollte, die ich empfand. Ich sah zur großen Bucht weiter flussaufwärts, in der eine Handvoll Boote vertäut waren, aber auch dort war die Sycorax nicht. Ich blickte zur Flussbiegung, die das Dorf verbarg, aber da war kein einziges Schiff festgemacht. Sie war fort.

Ich drehte mich um. Der Mann war zurückgegangen, um sein Schlauchboot mit Gerätschaften zu beladen. «Haben Sie während des Winters draußen gelegen?», fragte ich.

«Ich fürchte, ja», erwiderte er zögernd, als würde ich ihn beschuldigen, sein Boot zu misshandeln.

«Sie wissen nicht zufällig, was mit der Sycorax geschehen ist, oder?»

«Ja.» Es war kaum der richtige Zeitpunkt für die Erklärung, dass mir mein Vater die Yacht vor langer Zeit verkauft hatte.

«Traurig», sagte er. «Eine Schande, wirklich. Sie liegt da oben.» Er deutete über den Fluss. Ich drehte mich um, und endlich sah ich sie.

Sie war nicht verschwunden, sondern auf den bewaldeten Hügel südlich vom Bootshaus gezogen worden. Ich konnte gerade noch ihr Heck im Unterholz erkennen. Ein tiefgekielter Rumpf wie der der Sycorax sollte auf einen Stapelschlitten gehoben oder auf Böcken gelagert werden, aber wer auch immer mein Boot an Land gebracht hatte, hatte es wie ein Stück totes Fleisch ins Trockene gehievt und im Unterholz ausgesetzt.

«Eine verdammte Schande», meinte der Mann bekümmert. «Sie war ein hübsches Ding.»

«Können Sie mich hinüberbringen?», fragte ich.

Er zögerte. «Ist das nicht Privatbesitz?»

«Das Gehölz nicht, glaube ich.» Ich war sicher, aber ich wollte meine Beziehungen zu diesem Flussstreifen nicht preisgeben. Er verfolgte die unbeholfenen Manöver, die nötig waren, damit ich in sein Dingi klettern konnte. Statt einfach einzusteigen, musste ich mich auf die Steine am Rand der Helling setzen und dann den Körper zur Seite wuchten, als wollte ich vom Bett in den Rollstuhl.

«Wie ist das passiert?», fragte er.

«Autounfall. Vorderreifen geplatzt.»

«Pech.» Er ließ die Säcke mit Farbe und Pinseln

«Machen Sie es nicht», sagte ich.

«Sie will Disney World sehen.»

Wir verfielen in gemeinschaftlichen Trübsinn. Ich sah zur Sycorax hinüber. Die goldene Beschriftung am Heck fing einen Sonnenstrahl auf und zwinkerte mir zu. «Wer hat sie an Land gebracht?», fragte ich.

«Weiß der Himmel. Es ist eigentlich nicht Bannisters Art.»

«Bannister?», fragte ich.

«Tony Bannister.» Er bemerkte mit einigem Erstaunen, dass ich den Namen nicht sofort unterbringen konnte. «Tony Bannister? Der Tony Bannister? Ihm gehört jetzt der Besitz. Er hat sein Boot unten in der Marina des Ortes.»

Nun war es an mir, erstaunt zu sein. Anthony Bannister war ein Fernsehmoderator, der ein Liebling des britischen Publikums geworden war. Sein Ruhm ging über den Glanz der Idiotenkiste weit hinaus. Sein Gesicht erschien auf den Titelseiten von Zeitschriften, und seine werbende Fürsprache wurde für so unterschiedliche Produkte wie Autos und Sonnencreme gesucht. Er war auch ein Segler, einer von diesen goldenen Amateuren, deren große Boote die teuersten Regatten der Welt schmücken. Aber Bannister, erinnerte ich mich,

«Vielleicht ist es ein Unglückshaus, wie?» Der Zahnarzt starrte an der breiten Glasfront empor.

«Wegen seiner Frau, meinen Sie?»

«Tommy Sandman hat auch dort gewohnt.»

«Ich erinnere mich.» Ich hielt meine Stimme neutral.

Der Zahnarzt lachte glucksend. «Ich frage mich, wie ihm sein neues Zuhause gefällt.»

Das Glucksen zeigte ein eindeutig britisches Vergnügen am Sturz eines reichen Mannes. Mein Vater, der einmal so glanzvoll erfolgreich gewesen war, saß jetzt im Gefängnis. «Ich nehme an, er wird überleben», bemerkte ich trocken.

«Jedenfalls leichter als sein armer Sohn. Für immer gelähmt, habe ich gehört.»

Ich schwieg und heuchelte Interesse an dem hässlichen Hausboot, das an meinem Liegeplatz festgemacht war. Es war einmal ein Arbeitsschiff gewesen, ein Trawler vielleicht, aber sein Oberwerk war abmontiert und durch eine Hütte ersetzt worden. Es gab kein anderes Wort dafür: eine Hütte, die so hässlich aussah wie ein Container auf einer Barke. Die Hütte hatte ein geschwungenes Dach, das mit Dachpappe gedeckt war. Mittschiffs ragte ein Ofenrohr empor. Am Heck umspannte eine Reling das Achterdeck, auf dem zwei Liegestühle

«Bannisters Regatta-Crew. Verdammte Affen sind das.»

Das Hausboot an meinem Liegeplatz wies darauf hin, dass es Bannister gewesen sein musste, der die Sycorax entfernt hatte, aber ich wollte nicht, dass es so war. Anthony Bannister hatte in der Öffentlichkeit das Image eines starken und besonnenen Mannes; das eines Menschen, an den sich jeder von uns mit der Bitte um Rat und Hilfe wenden könnte. Ich zögerte, diesen imaginären Freund aufzugeben. Abgesehen davon war er ein Segler, der seine Frau verloren hatte. Das ließ mich ihm gegenüber Mitleid empfinden. Ich war sicher, dass ein anderer die Sycorax entfernt hatte.

Wir waren jetzt auf der Höhe des Bootshauses, und ich konnte ein zweites Bannister-Fahrzeug im Inneren erkennen. Dieses Schiff war ein flaches, gedrungenes zweimotoriges Rennboot mit hochpoliertem Rumpf und einem protzigen Radarschirm. Ich konnte seinen Namen erkennen, Wildtrack II, und ich erinnerte mich, dass Bannisters Yacht, die fast die St. Pierre gewonnen hätte, den Namen Wildtrack getragen hatte. Am Dachbalken über dem Motorboot hing ein Schild: «Privat. Kein Zutritt.»

«Sind Sie sicher, dass wir richtig handeln?» Der Zahnarzt drosselte den Motor, beunruhigt durch weitere Schilder am Flussufer: «Privat»; «Anlegen verboten»; «Privat». Die Beschriftung war rot auf weiß; grelle Verbote, die die Landschaft verschandelten.

«Der Makler sagte, das ginge schon in Ordnung.» Ich reckte meinen Kopf der Sycorax entgegen. «Er meinte, jedermann könne sie besichtigen.»

«Ich habe daran gedacht», sagte ich vorsichtig.

Die Erklärung schien den Zahnarzt davon zu überzeugen, dass ich kein Einbrecher war; auch mein Dialekt klang vermutlich beruhigend, aber er wirkte noch immer skeptisch. «Sie werden ein bisschen Arbeit in sie investieren müssen.»

«Die Therapie habe ich nötig.» Ich sah zur Sycorax und bemerkte, dass sie volle zwanzig Fuß über die Hochwassermarkierung geschleppt worden war. Auf dem Hang lagen Steine, die mit Sicherheit ihre Planken aufgerissen oder zumindest zerschrammt haben mussten, als sie hügelan gezerrt worden war. Ihr Heck war mir zugewandt, der Kiel zeigte den Hügel hinunter, und die Schraube war fort. Man hatte sie zwischen die Bäume geschleppt und zum langsamen Sterben verurteilt. «Warum hat man sie nicht einfach im Wasser verrotten lassen?», fragte ich ärgerlich.

«Das hätte die Hafenbehörde wohl kaum zugelassen, oder?» Der Zahnarzt wendete das Schlauchboot fachmännisch und ließ sein Heck leicht an die Anlegemauer stoßen, wo eine Treppe zum Wäldchen hinaufführte. Er hielt das Dingi flott, während ich unbeholfen an Land kletterte. «Winken Sie, wenn Sie zurückwollen», sagte er.

Ich musste mich auf die Steine setzen, bis der Schmerz in meinem Rücken nachließ, und sah dabei zu, wie der Zahnarzt sein Schlauchboot zu den Liegeplätzen flussaufwärts steuerte. Als sein Motor erstarb, waren nur noch die sanften Geräusche des Flusses zu hören, aber ich war nicht in der Stimmung, den Frieden zu genießen. Mein Rücken tat weh, mein Boot war ein Wrack, und ich fragte mich, warum Jimmy Nicholls es zugelassen hatte, dass man so mit der Sycorax umgegangen war.

Die Kletterei war anstrengend. Die ersten paar Schritte waren die schwierigsten, weil es keine Bäume gab, an denen man sich hätte festhalten können, und weil der Boden vom Transport der Sycorax glattgewalzt war. Nach ein paar Metern musste ich vornübergebeugt stehen bleiben, um wieder Luft in meine Lungen zu bekommen. Auf den letzten paar Metern gaben niedrighängende Äste und das Unterholz genügend Halt, aber als ich die Sycorax erreicht hatte, war es so, als bohre sich weiß glühender Stahl in mein Rückgrat. Ich hielt mich an ihrem Ruder fest und zwang mich zu der Überzeugung, dass der Schmerz erträglich war. Es muss volle zwei Minuten gedauert haben, bis ich mich wieder aufrichten und mein Boot in Augenschein nehmen konnte.

Es lag auf der Seite, gesprenkelt von der Wintersonne. Wenigstens ein Drittel der Kupferummantelung war fortgerissen. Treibeis hatte ihre Planken gedellt, aber nicht aufgerissen. Der Kiel war aufgebrochen, der Bleiballast gestohlen. Masten und Bugspriet waren fort. Die Masten waren nicht herausgelöst, sondern plan mit dem Deck abgesägt worden. Die Teak-Gräting im Cockpit, die Setzborde und beide Lukendeckel fehlten. Die Kompasse waren verschwunden.

Die Springluken aus Messing waren herausgerissen worden. Die Wegweiser und die Rollen waren fort. Alles von Wert war entfernt worden. Das Kabinendach muss auf dem Transport den Hügel hinauf gegen einen Baumstumpf geraten sein, denn es war aufgeschlitzt wie von einem

Es dauerte einen Moment, bis sich meine Augen an das Dämmerlicht gewöhnt hatten. Anfangs konnte ich lediglich den schwachen Schimmer unbewegten Wassers tief unten im Rumpf erkennen. Aber dann sah ich, was ich erwartet hatte: nichts. Die Funkgeräte waren nicht mehr da, die Ofen gestohlen, und es fehlten alle Lampen. In der Hauptkabine war die Täfelung heruntergerissen. Eine Matratze lag im Regenwasser. Inzwischen musste die Fäule im Schiffskörper sein. Salzwasser imprägniert Holz, aber Süßwasser zerstört es. Der Motor lag frei, weil die Kabinenstufen herausgerissen worden waren. Er zeigte eine dicke Rostschicht.

Ich war seltsam ruhig. Wenigstens war die Sycorax hier. Sie war nicht verschwunden, nicht gesunken. Sie konnte restauriert werden. Alles, was ich dazu benötigte, waren meine Zeit und das Geld des Mistkerls, der ihr das angetan hatte. Der Schaden war herzzerreißend, doch ich empfand eher Schuld als Wut. Als ich acht Jahre alt war, wurde mein Hund, ein Foxterrier, von einem Milchlaster überfahren. Ich fand die Hündin vor, wie sie im Gras neben der Straße starb. Sie begrüßte mich mit wedelndem Schwanz, und ich weinte neben ihr, fühlte mich schuldig, weil ihr ganzes aufrichtiges Vertrauen in mich verraten worden war. So empfand ich jetzt auch. Ich hatte das Gefühl, die Sycorax im Stich gelassen zu haben. Auf See achtete sie auf mich, aber in den Gefilden, an denen die Menschen leben, war ich ihr Beschützer; und ich hörte mich mit ihr sprechen – genauso wie ich mit ihr gesprochen hatte, als wir auf See waren. Ich tätschelte ihr aufgeschlitztes Kabinendach und sagte, es würde schon alles wieder in

Dann stolperte ich wieder den Hügel hinunter. Ich nahm mir vor, den Fluss zu überqueren und dann in das Pub zu gehen und Jimmy Nicholls ein paar sehr unangenehme Minuten zu bereiten. Warum zum Teufel hatte er nichts unternommen? Der Liegeplatz gehörte mir, und kein Gesetz auf Gottes Erdboden konnte mir mein Recht streitig machen. Die Anlegestelle war vor zweihundert Jahren gebaut worden, als Kalk über den Fluss transportiert worden war, aber jetzt waren die gut zwanzig Meter der altern Steinmauer mein Besitz. Selbst die Hafenbehörde hatte kein Recht an dieser Front, weil ich sie von meinem Vater gekauft hatte, weil sie ein Hafen für die Sycorax war und einen Ort darstellte, den ich Zuhause nennen konnte. Verdammt noch mal, es war meine Adresse, meine einzige Adresse: Lime Wharf, Tidesham, South Devon, und jetzt hatte Anthony Bannister sein abscheuliches Hausboot dort festgemacht. Ich konnte immer noch nicht glauben, dass ein solcher Prominenter wie Bannister die Anlegestelle gestohlen hatte, indem er die Sycorax einfach entfernte – aber irgendjemand hatte mein Boot aufs Trockene gesetzt, und ich schwor, denjenigen zu finden und auf jeden Penny zu verklagen, den mein geborstenes Schiff für die Wiederherstellung nötig hatte.

Ich trat über eines der Springtaue, die das Hausboot an meiner Anlegestelle festhielten. Ich wollte den Zahnarzt für die Fahrt über den Fluss heranwinken, warf aber zuvor einen Blick in das Bootshaus.

Und sah dort mein Dingi. Ordentlich vertäut hing es an der Steuerbordseite der Wildtrack II. Abblätternde Farbe an

Ich nehme an, dass es die Hässlichkeit dieses Motorbootes war, die mich von Bannisters Schuld überzeugte. Jemand, der ein so protziges und aufgemotztes Boot besaß, konnte nicht so vernünftig und besonnen sein, wie sein Image in der Öffentlichkeit vorgab. Für mich wurde er zu einem weiteren reichen Mistkerl, der überzeugt war, sein Geld gäbe ihm Privilegien, die über geltendes Gesetz weit hinausreichten.

So ein blöder Hund. Er hatte mein Boot ruiniert, meine Anlegestelle gestohlen, aber ich wollte verflucht sein, wenn er auch mein Dingi stehlen konnte. Ich beschloss, das Beiboot wieder in meinen Besitz zu nehmen und damit bei Ebbe zum Pub im Dorf zu rudern. «Hallo!», rief ich laut. Keine Antwort. Ich schlug gegen die Seitenwand des Hausbootes, aber niemand schien an Bord zu sein.

In das Bootshaus gelangte man entweder über das Wasser oder durch eine Tür vom Garten aus. Ich musste die Gartentür benutzen, die mit einem Vorhängeschloss gesichert war. Ich verharrte einen Moment, grübelte über die Rechtslage nach, entschied mich dann aber gegen die Möglichkeit, dass Bannister das Dingi sichergestellt hatte, um es bis zu meiner Rückkehr aufzubewahren. Die Existenz seines scheußlichen Hausbootes an meiner Anlegestelle wies auf anderes hin, und so entschloss ich mich einzubrechen.

Mein Rücken schmerzte schauderhaft, als ich einen schweren Stein aufhob und damit gegen das Metallschloss hämmerte. Die Geräusche meines Angriffs hallten dumpf vom kurzgeschorenen Rasenhang unter dem alten Haus meines Vaters

Ich trat ein und sah, dass die Wildtrack II sanft in der fallenden Flut schaukelte. Das Boot war vom Windschirm bis zu den massiven Zwillingsmotoren am Heck mit einer grünen Persenning verhüllt. Der Bug, scharf wie die spitze Nase eines Kampfjets, war glänzend verchromt. Das Boot war ein Monstrum, ausgebrütet von der Gier nach Vulgarität, und mein Vater hätte jeden Zentimeter an ihm geliebt.

Ich humpelte über das innere Dock des Bootshauses. Meine Baumwollsegel, noch immer in ihren Säcken, waren neben meinem Anker an einer Wand gestapelt. Die Leinensegelsäcke trugen den Namen Sycorax. Ich bückte mich, pfiff vor Schmerz durch die Zähne und spürte die verräterische Feuchtigkeit in den Säcken. Dieser verdammte Bannister, dachte ich. Gott verfluche seine Habgier!

Ich fand zwei Riemen, warf sie in mein Dingi und kletterte dann vorsichtig über das Schutzgeländer aus rostfreiem Stahl an Deck der Wildtrack II. Das Boot erzitterte unter meinem Gewicht. Ich stellte fest, dass die beiden Springtaue, die mein Dingi am Motorboot festhielten, unter der Persenning irgendwie mit Klampen befestigt waren. Also begann ich, den steifen Stoff aufzuschnüren und von dem Windschirm zurückzurollen. Als die Umhüllung zurückgefaltet war, trat ich zum schwarzen Ledersitz des Steuermanns hinunter.

Und fand meine Springluken.

Und meine Funkgeräte. Das Hochfrequenzradio und das Kurzwellengerät waren da – beide kurzgeschlossen.

Die Funkgeräte befanden sich in einem Haufen anderer Gegenstände, die in zwei Teekisten gestapelt unter der

«Keine Bewegung!»

Die Stimme kam von der Tür, die ich aufgebrochen hatte.

Ich drehte mich um.

«Keine Bewegung, habe ich gesagt, du Bastard!» Der Mann schrie, so wie wir geschrien hatten, wenn wir in irgendeiner nordirischen Hinterstraße in ein Haus eingedrungen waren. Das erste Kommando ließ die Menschen drinnen stets erschreckt hochfahren, und wir schrien den zweiten Befehl, um sie erstarren zu lassen.

Ich erstarrte.

Der Mann stand als Silhouette im Türrahmen. Die Sonne schien hell auf den fahlen Rasen hinter ihm, während das Bootshaus in tiefem Schatten lag, sodass ich sein Gesicht nicht erkennen konnte. Ich sah nur, dass er riesig war, weit über eins achtzig groß, mit muskelbepackten Schultern und einem kurzgeschorenen Schädel. Mit Sicherheit war es nicht Bannister, der mir da gegenüberstand. Der Mann trug eine doppelläufige Schrotflinte, die auf meine Brust gerichtet war.

«Ich nehme mein Eigentum wieder an mich», stellte ich fest.

«Sie haben das Schloss aufgebrochen und sind eingedrungen», korrigierte der Südafrikaner. «Sie sind ein beschissener Dieb, Mann. Kommen Sie her!» Er fuchtelte mit der Waffe, um seiner Anordnung Nachdruck zu verleihen.

«Warum verpissen Sie sich nicht?» Ich hätte nicht so aggressiv reagieren sollen, nicht in meinem geschwächten Zustand; aber ich war sauwütend über das, was mit der Sycorax geschehen war. Ich bückte mich zum Bugspringtau meines Dingis und riss es aus der Stahlklampe.

Die Wildtrack II schaukelte heftig, als der Mann auf das Vordeck sprang. Die Bewegung brachte mich ins Schwanken, und ich musste mich am Radarschirm festhalten – gerade als er mit seiner linken Hand über den Windschirm griff. Ich fing die Hand mit meinen Fingern in dem instinktiven Versuch ein, ihn auf mich zuzuziehen und aus dem Gleichgewicht zu bringen.

Ich hatte vergessen, wie wenig Kraft in meinen Beinen war. Ich zog ein bisschen, und dann gab mein rechtes Knie nach. Ich stolperte zurück zu den Teekisten. Der Südafrikaner lachte, und ich sah den stumpf glänzenden Metalllauf seiner Waffe auf mich zukommen.

Ich hatte keine Balance, ich konnte nicht parieren, und der Lauf bohrte sich wie eine Ramme gegen meine Rippen. Mit den Fingern stieß ich nach seinen Augen, aber meine

Ich hörte mich schreien, als mein Rücken über die Oberkante des Windschirms glitt. Ich schlug nach ihm, aber das musste ihn erheitert haben, denn er ließ ein merkwürdig feminines, hohes Kichern hören, bevor er mich wie Müll auf das Dock warf. Ich landete auf meinen eigenen Segelsäcken, die nicht weich genug waren, um zu verhindern, dass der Schmerz wie glühender Phosphor meine Beine hinunterfuhr. Die Flinte drückte erneut gegen meine Rippen.

Er stand über mir. Überzeugt davon, mir eine Niederlage beigebracht zu haben, ließ er die Waffe sinken. «Stehen Sie auf», meinte er knapp.

«Hören Sie, Sie Bastard …» Mühsam schob ich mich in die Senkrechte, aber der Schmerz schlug wie eine Kugel in meinen Rücken. Ich ächzte und stürzte zurück. Ich wollte darauf bestehen, nicht notwendigerweise höflich, dass der Südafrikaner mir half, mein Eigentum aus dem Bootshaus zu schaffen, aber der Schmerz drückte mir die Kehle zu.

Mein sich windender, ächzender Körper muss ihm Angst eingejagt haben. «Stehen Sie auf.» Er machte eine Pause. «Sie machen mir was vor, Sie Weichei.» Besorgnis klang aus seiner Stimme. «Sie sind nicht verletzt, Mann. Ich habe Sie doch kaum angerührt.» Er versuchte, sich selbst zu überzeugen.

Er muss sich zu mir heruntergebeugt haben, denn ich erinnere mich an seine Hände unter meinen Oberarmen und auch daran, dass er mich hochgezogen hat. Er ließ mich los, und ich versuchte, mein rechtes Bein zu belasten, aber es war wacklig wie Pudding. Ich stürzte erneut, und diesmal muss

Und ich schrie mich in eine segensreiche Ohnmacht.

 

Als ich wieder zu mir kam, sah ich über mir eine cremefarbene Decke. Da war kein Haarriss; stattdessen waren da zwei hell fluoreszierende Röhren, die eingeschaltet waren, obwohl Tageslicht durch ein großes Fenster rechts von mir zu kommen schien. Ich konnte die Töne eines Kardiographen hören. Links von mir stand ein Chromgestell, von dessen Haken Kochsalzlösung tropfte. In meinem linken Nasenloch steckte ein Schlauch, der sich dick und würgend meine Speiseröhre entlangschob. Zwei ernste Gesichter waren über mich gebeugt. Eins gehörte einer Schwester, das andere einem Arzt, der mit einem Stethoskop gegen meine Brust drückte.

«Großer Gott», sagte ich.

«Sprechen Sie nicht.» Der Arzt nahm das Stethoskop aus den Ohren und begann meine Rippen zu betasten.

«Lieber Himmel!» Plötzlich spürte ich den Schmerz. Nicht den alten Schmerz, sondern einen neuen, in meinem Oberkörper.

«Ich sagte, Sie sollen nicht sprechen.» Der Arzt trug eine Halbbrille. «Können Sie die Finger Ihrer rechten Hand bewegen?» Ich versuchte es – offenbar erfolgreich, denn er nickte zufrieden. «Nun die linke. Das ist gut. Das ist sehr gut.» Sein Gesicht spiegelte den Optimismus seiner Worte nicht wider. «Wenn Sie sprechen», riet er, «dann machen Sie es sehr vorsichtig. Können Sie uns Ihren Namen sagen?»

«Meinen Namen?» Ich war verwirrt.

«Sie hatten keinerlei Papiere bei sich, als man Sie gefunden

«Sandman», sagte ich. «Nick Sandman.»

Er schien den Namen nicht zu kennen. «Das ist gut, Nick.» Während ich sprach, hatte er meine Rippen befühlt, aber jetzt beugte er sich vor, um mir in die Augen zu leuchten. «Wo wohnen Sie?»

«Hier», sagte ich, wohl wissend, dass das keine hilfreiche Antwort war. Aber plötzlich verschmolz der neue Schmerz mit dem alten, durchfuhr mich, ließ mich den Rücken krümmen. Ich sah, dass die Hand des Arztes zum Tropf schoss, und wusste, was geschehen würde. Aber ich wollte jetzt nicht schlafen. Ich wollte wissen, wie schwer verletzt ich war. Und so versuchte ich zu protestieren, aber kein Wort kam über meine Lippen. Ich sah, dass mich die Schwester stirnrunzelnd betrachtete, und ich wollte ihr versichern, dass ich schon Schlimmeres durchgemacht hatte, viel Schlimmeres, aber ich konnte nicht sprechen, weil ich wieder in den weichen, dunklen und vertrauten Tunnel pharmazeutischen Schlafs fiel.

Wo ich von der Sycorax träumte. Nachts, wenn das Nachleuchten in ihrem wirbelnden Kielwasser funkelte, setzte ich gern ihre Ruderpinne fest und ging nach vorn. Ganz nach vorn, an der Kanzel vorbei, bis ich auf dem Bugspriet stand und mich am Fockstag festhielt. Dort drehte ich mich um und sah sie mir an. Davon träumte ich jetzt, allerdings hatte ich in meinem Traum zwei gesunde Beine. Ich träumte, ich stehe auf dem Bugspriet und betrachte die schlanke Schönheit eines leeren Schiffskörpers, der durch dunkle Wasser treibt und einen pfeilförmigen Pfad aus Licht unter den Sternen hinterlässt.