Andreas Bernard
Das Diktat des Hashtags
Über ein Prinzip der aktuellen Debattenbildung
FISCHER E-Books
Andreas Bernard, geboren 1969 in München, ist Professor für Kulturwissenschaften am »Centre for Digital Cultures« der Leuphana-Universität Lüneburg. Von 1995 bis 2014 war er Autor und Redakteur der »Süddeutschen Zeitung«. Derzeit schreibt er für das »ZEIT Magazin« die Rubrik »Laufende Ermittlungen – Notizen aus dem Alltag« sowie für das Feuilleton der »Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung«. In den Fischer Verlagen ist erschienen: »Die Geschichte des Fahrstuhls: Über einen beweglichen Ort der Moderne« (2006), »Kinder machen: Neue Reproduktionstechnologien und die Ordnung der Familie« (2014) und zuletzt »Komplizen des Erkennungsdienstes: Das Selbst in der digitalen Kultur« (2017).
Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de
Öffentliche Debatten werden heutzutage per Hashtag geführt. Mit seiner Hilfe werden die Beiträge gebündelt und zugeordnet: Alles muss sich auf ein gemeinsames Schlagwort konzentrieren. Dieses Prinzip sorgt für eine stärkere Sichtbarkeit und Orientierung kollektiver Argumente, hat aber auch eine riskante und manchmal fragwürdige Konsequenz. Denn der Hashtag verstärkt formal genau das, was inhaltlich kritisiert wird: Differenzen verschwimmen, und Unterschiedliches wird zu Gleichem. Zuletzt hat die #MeToo-Debatte dieses Problem sichtbar gemacht. In seiner pointierten Darstellung zeichnet Andreas Bernard die steile Karriere des Hashtags nach und zeigt überzeugend, wie unsere aktuellen Debatten durch ein Prinzip strukturiert werden, das so beiläufig wie mächtig geworden ist. Wer unsere öffentliche Diskussionskultur verstehen will, kommt an diesem Buch nicht vorbei.
Originalausgabe
Erschienen bei FISCHER E-Books
© 2018 S. Fischer Verlag GmbH, Hedderichstr. 114, D-60596 Frankfurt am Main
Covergestaltung: Schiller Design, Frankfurt
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ISBN 978-3-10-490954-7
Adorno (1956/1997), S. 106
Vgl. etwa die Inhaltsverzeichnisse in Der Spiegel 11/2018 und 17/2018
twitter.com/chrismessina/status/223115412?lang=de
factoryjoe.com/2007/08/25/groups-for-twitter-or-a-proposal-for-twitter-tag-channels/; Bruns/Burgess (2011) und Bruns/Burgess (2015), S. 18
Zitiert von Pandell (2017)
twitter.com/lmorchard/statuses/218773732; vgl. Orchards Blog Decafbad, decafbad.com/blog/2007/08/21/sticky-tags-for-twitter/
Vgl. zu der Funktion »Track« blog.twitter.com/official/en_us/a/2007/tracking-twitter.html
Zitiert von Pandell (2017)
Ebd.
Foucault (1969/1981), S. 43
Ebd., S. 48 und S. 144
Ebd., S. 58
Ebd., S. 133
Caleffi (2015), S. 48 und S. 67
Vgl. die zahlreichen Funde bei Fine (2015) über die Herkunftsgeschichte des #-Zeichens
Houston (2013), S. 42
Vgl. die Abbildung bei Fine (2015)
Vgl. zur sogenannten »Toronto-Konferenz« von 1888 Martin (1934/2003), S. 548 und zur Entwicklung der »Universaltastatur« im Allgemeinen S. 531 sowie die auf derselben Seite abgebildete Illustration des Keyboards der Remington 2; vgl. zur Entwicklung der DIN-Normtastaturen in Deutschland Dingwerth (1993), S. 143f.
Kerr (2006), S. 2 u. 4
Vgl. die genaue Beschreibung des technischen Ablaufs bei Kerr (2014), S. 6
Ebd.
Vgl. Kerr (2006), die revidierte Erinnerung von Kerr (2014), v.a. S. 7 und Houston (2013), S. 49
Scheible (2015), S. 119; vgl. auch den gesamten Buchabschnitt zum Rautezeichen auf dem Tastentelefon S. 118–122
Kämmerling (2003); vgl. in diesem Zusammenhang auch die Glossen von Safire (1991) und Lückemeier (2008)
Die Programmiersprache »C« wurde in den späten sechziger Jahren ebenfalls in den Bell Labs, den Forschungslaboren von AT&T, entwickelt.
Roloff (1950/1968), S. 31
Zitiert bei Förschner (1987), S. 5. Zu den Debatten im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts vgl. Heinrici (1931), S. 11 und Spieler (1975), S. 10. In den USA beginnen die Diskussionen um ein möglichst einfach zu gestaltendes System der Auffindung von Büchern bereits im Zusammenhang mit den aufkommenden »public libraries« im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts; vgl. Cutter (1876) und Bartelt (1978), S. 15f.
Roloff (1950/1968), S. 115; Stählin (1950), S. 333
Vgl. für die Züricher Stadtbibliothek bereits Wyss (1909), für Erlangen die »Regeln für den Schlagwortkatalog« ab 1952
Roloff (1950/1968), S. 121
Die aktuelle Auflage der »Regeln für die Schlagwortkatalogisierung« ist auf der Website der Deutschen Nationalbibliothek abrufbar, vgl. d-nb.info/1126513032/34; zur Schlagwortnormdatei, die inzwischen den Namen »Gemeinsame Normdatei« trägt, vgl. dnb.de/DE/Standardisierung/GND/gnd_node.html
Vgl. help.twitter.com/en/using-twitter/how-to-use-hashtags
Vgl. etwa Dang-Anh. u.a. (2013), S. 142 oder Zappavigna (2015), S. 277
Roloff (1950/1968), S. 115
Huang u.a. (2010), S. 173
Lepp (1908), S. 1
Bauer (1920), S. 208 und 212. Wilhelm Bauers Begeisterung für eine schlagwortgeleitete Politik blieb keine theoretisch-historische. Er trat früh für eine nationalsozialistische Ausrichtung der Wiener Universität ein und gehörte zu jener antisemitischen Professorengruppe namens »Bärenhöhle«, die schon seit den 1920er Jahren die Berufung jüdischer Kollegen an die Universität Wien zu verhindern versuchte.
Wülfing (1982), S. 38ff. und Wolter (2000), S. 23
Bauer (1920), S. 231
Ebd., S. 238 und Wolter (2000), S. 21 u. 39
Peters (2009), S. 129
Smith (2008), S. VII
Vgl. vanderwal.net/folksonomy.html
Vgl. Linz (2018), S. 84–89
Ebd., S. 92
Bruns/Burgess (2015), S. 13; Gerbaudo (2012), S. 3; Rambukkana (2015b), S. 29
Penney (2017), S. 7. Vgl. hierzu auch Anne Antonakis-Nashifs These, »dass die spezifischen Kommunikationsweisen des Hashtags neue Möglichkeiten der Partizipation für jene geschaffen haben, die sich in der traditionellen Medienöffentlichkeit nicht genug berücksichtigt fühlen« (Antonakis-Nashif (2015), S. 101).
Mottahedeh (2015), S. 7. Vgl. hierzu auch Zappavigna (2012), S. 174: »#iranelection war der erste weitverbreitete politische Hashtag, über den auch in den konventionellen Medien berichtet wurde.«
Vgl. die Zahlen unter theguardian.com/us-news/2017/jan/17/black-lives-matter-birth-of-a-movement
Vgl. Bonilla/Rosa (2015), S. 6
Ebd., S. 8f.
Rambukkana (2015a), S. 4f.
Mottahedeh (2015), S. 8. Vgl. die ähnlichen Passagen zur Transformation von Daten in Körper S. 17f., S. 103f.
Rambukkana (2015b), S. 42
Nichols (2017). Der Unternehmensberater Sebastian Merz etwa verspricht den Lesern in seiner Broschüre »Hashtag Marketing«, »durch gezielten Einsatz von Hashtags mehr Kunden, eine bessere Reputation und Visibilität zu erreichen. Wer künftig eine gute Platzierung in Suchmaschinen erreichen und sich auf dem globalen Internet-Markt behaupten will, kommt nicht um strategisches Hashtag-Marketing herum.« (Vgl. Merz (2015), Ankündigungstext auf dem Buchrücken)
Bennet (2014); zu der Informationsgrafik vgl. etwa die Seite digitalmarketingphilippines.com/the-history-and-power-of-hashtags-in-social-media-marketing-infographic/; Chen (2018)
Laestadius/Wahl (2017), S. 7
Zu Domino’s Pizza vgl. mashable.com/2012/03/23/twitter-hashtag-campaigns/?europe=true#mH86p_Ea2Sqy; zur American-Express-Kampagne vgl. edition.cnn.com/2013/02/11/tech/social-media/twitter-hashtag-purchases/
Chen (2018)
Nichols (2017)
Vgl. Losh (2014), S. 16
Nichols (2017)
Lukács (1923/2013), S. 258
Lukács (1923/2013), S. 259 (wobei er die Marx-Passage aus dem Kapital nicht ganz korrekt zitiert und »Warenformen« statt »Warenform« schreibt) und S. 261; vgl. auch Alfred Sohn-Rethels Studien zur Formanalyse der Ware, die ebenso die Aspekte der Standardisierung und Nivellierung ins Zentrum seiner Überlegungen zur Warenanalyse stellen (Sohn-Rethel (1961/1978), v.a. S. 105)
Vgl. zu diesen Zahlen Salter (2018), S. 701
Kohane (2016) über das Urteil Eksonzian v. Albanese; zum Sherwin-Zitat vgl. Salter (2018), S. 705; über die fehlende Verwirrung der Herkunft vgl. Falconer (2016), S. 3
Zitiert bei Kohane (2016)
Salter (2018), S. 707
Jones (2018)
Rankl (2013)
Zitiert in theguardian.com/sport/2016/jul/22/us-olympic-committee-bullying-unofficialsponsors-hashtags
Vgl. den schönen Essay von Turner (2012)
Gerbaudo (2012), S. 110 u. 116
Singh (2015), S. 272
Ursprünglich veröffentlicht in der französischen Tageszeitung Le Monde, vgl. lemonde.fr/idees/article/2018/01/09/nous-defendons-une-liberte-d-importuner-indispensable-a-la-liberte-sexuelle_5239134_3232.html
Der Siegeszug der Sozialen Netzwerke ist in den letzten zehn Jahren auch ein Siegeszug des Schlagworts gewesen. Seitdem Twitter ab 2007 und Instagram ab 2010 den »Hashtag« eingeführt haben, charakterisiert eine Form der Organisation von Aussagen und Dokumenten die alltägliche Mediennutzung, die noch vor kurzer Zeit auf hochspezialisierte Berufsfelder und Personenkreise beschränkt war. Wo hat der Gebrauch von »Schlagwörtern« vor einem Vierteljahrhundert eine Rolle gespielt? In den Sinn kommen die Bibliotheks- und Archivwissenschaften, die sich seit dem frühen 20. Jahrhundert darum bemüht haben, durch immer strenger standardisierte »Schlagwortkataloge« die Auffindbarkeit von Dokumenten zu erleichtern. Ein anderer Einsatzort ist die »historische Schlagwortforschung«, eine sprachwissenschaftliche Teildisziplin, der es um die Analyse der prägenden Ausdrücke einer Epoche oder einer politischen Bewegung geht. Beide Schauplätze sind jedoch akademische Randgebiete, und es lässt sich ohne Zweifel sagen, dass der Kategorie des »Schlagworts« in der öffentlichen Wahrnehmung bis an die Wende zum 21. Jahrhundert eine eher unscheinbare Position zukam. Die Etablierung des Hashtags hat dieses Nischenelement in rasantem Tempo ins Zentrum gegenwärtiger Medienrealität gerückt. Jede Twitter-Timeline, jeder Instagram-Beitrag legt heute Zeugnis von der kollektiven Verschlagwortung der Welt ab, die in den Sozialen Netzwerken von allen Nutzern betrieben werden kann, als ein schöpferischer Akt, ohne die Einschränkung vorinstallierter Standards oder hierarchisch gestaffelter Zugangsweisen.
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