Fredrik Backman

Stadt der großen Träume

Roman

Aus dem Schwedischen von Antje Rieck-Blankenburg

FISCHER E-Books

Inhalt

Über Fredrik Backman

Fredrik Backman, geboren 1981, arbeitete als Journalist, Gabelstaplerfahrer und vieles mehr – heute ist er Familienvater und einer der erfolgreichsten Autoren Schwedens. Sein erster Roman »Ein Mann namens Ove« wurde zu einem internationalen Phänomen; die Verfilmung mit Rolf Lassgård wurde mit dem Europäischen Filmpreis ausgezeichnet. Auch Fredrik Backmans folgende Romane eroberten die Bestsellerlisten in Deutschland, den USA und vielen anderen Ländern; sein Werk wird in 40 Sprachen übersetzt. Der Autor lebt mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Solna bei Stockholm.

 

Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de

Über dieses Buch

Es ist nur ein Spiel, aber für Björnstadt kann es alles bedeuten. Die Menschen in dem kleinen Ort tief in den Wäldern haben viele Rückschläge hinnehmen müssen. Doch sie sind stark und leidenschaftlich wie Bären, und sie halten zusammen. Deshalb fiebern und träumen sie alle mit den Eishockeyjunioren, deren große Chance bevorsteht. Endlich nur ein einziges Mal wieder spüren, dass sie in Björnstadt etwas bedeuten, dass sie auch etwas gewinnen können! Nicht nur Freude und Selbstbewusstsein, vielleicht sogar neue Sponsoren und Arbeitsplätze, eine Zukunft. Noch ahnt niemand von ihnen, dass sich ihre Gemeinschaft bald für immer verändern wird.

Impressum

Erschienen bei FISCHER E-Books

 

Die Originalausgabe erschien 2016 unter dem Titel »Björnstad« im Piratförlaget, Stockholm

© Fredrik Backman 2016

Published by Arrangement with the Salomonsson Agency

 

Für die deutschsprachige Ausgabe:

© 2017 S. Fischer Verlag GmbH, Hedderichstr. 114, D-60596 Frankfurt am Main

 

Covergestaltung: www.buerosued.de

Coverabbildung: Markus Roost

Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.

ISBN 978-3-10-491103-8

Für Saga Backman, meine Großmutter, die mich gelehrt hat, den Sport zu lieben. Welch ein stilles Dasein ich ohne ihn gefristet hätte. Ich kann nur hoffen, dass die große Bar im Himmel vernünftige Dry Martinis serviert und sie dort Wimbledon immer auf einer Großbildleinwand zeigen. Ich vermisse dich.

 

Und für Neda Shafti-Backman, meine witzigste, smarteste, streitsüchtigste beste Freundin, die mir Auftrieb verleiht, wenn ich es nötig habe, und mich erdet, wenn ich es verdient habe. Asheghetam.

1

An einem späten Abend Ende März nahm ein Teenager eine doppelläufige Schrotflinte in die Hand, ging damit geradewegs in den Wald, richtete die Waffe gegen die Stirn eines anderen Menschen und drückte ab.

 

Die nachfolgenden Geschichten erzählen, wie es dazu gekommen ist.

2

Klack-klack-klack-klack-klack.

 

Es ist gerade Anfang März, und noch ist in Björnstadt nichts passiert. Heute ist Freitag, und alle warten gebannt auf den morgigen Tag, an dem die Juniorenmannschaft von Björnstadt Eishockey im Halbfinale gegen die beste Mannschaft der Jugendliga Schwedens spielen wird. Wie wichtig mag das sein? Natürlich nicht besonders wichtig. Wenn das Spiel nicht ausgerechnet hier stattfinden würde.

 

Klack. Klack. Klack-klack-klack.

 

Die Stadt erwacht wie an jedem Wochentag schon früh, denn kleine Orte müssen sich einen gewissen Vorsprung sichern, um sich in der Welt behaupten zu können. Auf die Reihen der Pkws auf dem Parkplatz vor der Fabrik hat sich schon eine Schneeschicht gelegt, und die Beschäftigten stehen mit halbgeöffneten Augen und noch halbgeschlossenem Bewusstsein schweigend Schlange, um sich ihre Existenz mittels elektronischer Zugangskarten von der Stempeluhr bestätigen zu lassen. Dort stampfen sie sich in Erwartung eines ersten Kicks in Form von Koffein, Nikotin oder Zucker, der ihre Körper zumindest bis zur ersten Pause einigermaßen funktionstauglich machen soll, mit Autopilotblicken und Anrufbeantworterstimmen den Schneematsch von den Stiefeln.

Draußen auf der Landstraße verlassen die Pendler gerade in ihren Autos den Ort, um die größeren Städte hinterm Wald anzusteuern, wobei sie mit ihren Fausthandschuhen fluchend gegen das Gebläse hämmern, wie man es nur tut, wenn man betrunken ist, im Sterben liegt oder zu früh am Morgen in einem eiskalten Peugeot sitzt.

 

Wenn sie sich ganz still verhalten, können sie es selbst in ihren Autos hören: Klack-klack-klack. Klack. Klack.

 

Maya wacht in ihrem Zimmer auf, in dem die Wände zugepflastert sind mit Bleistiftzeichnungen und gesammelten Eintrittskarten von Konzerten, bei denen sie war, weit weg von Björnstadt. Es sind zwar nicht annähernd so viele, wie sie sich wünschen würde, aber bedeutend mehr, als ihre Eltern ihr eigentlich erlaubt haben. Sie bleibt im Bett liegen und spielt im Pyjama Gitarre. Sie liebt alles an diesem Instrument. Das Gewicht auf ihrem Körper, das Klingen des Holzes, wenn sie mit ihren Fingerspitzen dagegenklopft, und den festen Druck der Saiten auf ihrer Haut, noch bevor sie richtig wach ist. Für sie klingen die schlichten Töne und die sanften Riffs wie ein himmlisches Spiel. Sie ist fünfzehn und hat in ihrem Leben schon viele Leidenschaften entwickelt, doch die Gitarre wird immer ihre erste Liebe bleiben. Das Instrument hat ihr das Dasein in dieser Stadt erträglicher gemacht und geholfen, es als Tochter des Sportdirektors eines Eishockeyklubs mitten im Wald auszuhalten.

Sie hasst Eishockey, kann aber die Leidenschaft ihres Vaters nachvollziehen, denn der Sport ist nur ein anderes Instrument als ihres. Ihre Mutter flüstert ihr immer ins Ohr: »Trau keinem, der nichts im Leben uneingeschränkt liebt.« Ihre Mutter liebt einen Mann, der einen sportbegeisterten Ort liebt. Björnstadt ist eine Eishockeystadt, deren Einwohnern man vieles nachsagen kann, aber nicht, dass sie unzuverlässig wären. Wenn man hier wohnt, weiß man, was einen erwartet. Tagein, tagaus.

 

Klack.

 

Björnstadt, die Stadt der Bären, liegt völlig abseits im Nirgendwo, und selbst auf der Landkarte hat der Ort eine ziemlich unnatürliche Form. Er sieht aus »wie ein besoffener Riese, der versucht hat, seinen Namen in den Schnee zu pissen«, würden manche sagen. »Als hätten Mensch und Natur ein Tauziehen um den Lebensraum gegeneinander veranstaltet«, würden möglicherweise die etwas Gemäßigteren einwenden. Die Stadt verliert sukzessive in allem, jedenfalls ist es schon lange her, dass sie einmal irgendetwas gewonnen hat. Die Arbeitsplätze werden immer weniger, so dass die Einwohnerzahl jedes Jahr sinkt, und der Wald verleibt sich in jeder Saison ein oder zwei leerstehende Häuser ein. In ihrer Blütezeit hat die Gemeinde am Ortseingang ein Schild mit einem Slogan aufgestellt, wie es damals modern war: »Willkommen in Björnstadt – Wir wollen ein wenig mehr!« Doch die Worte »ein« und »mehr« sind innerhalb weniger Jahre dem Wind und Schnee zum Opfer gefallen und ausradiert worden. Manchmal hat man den Eindruck, der ganze Ort wäre ein philosophisches Experiment: Wenn eine Stadt dem Wald anheimfällt, aber niemand davon erfährt, spielt es dann noch irgendeine Rolle?

Um darauf antworten zu können, muss man ein paar hundert Meter bis zum See hinuntergehen. An seinem Ufer steht eine Eishalle, die nicht besonders viel hermacht. Sie wurde vor vier Generationen von Fabrikarbeitern errichtet, Männern, die sechs Tage in der Woche arbeiteten und am siebten etwas brauchten, worauf sie sich freuen konnten. All die Liebe, die diese Stadt aufzubringen vermag, scheint sie noch immer diesem Spiel zu widmen: dem Eis und der Bande, den roten und blauen Linien, den jungen Körpern mit den Schlägern in der Hand, die auf der Jagd nach dem Puck in voller Fahrt auf die Bande zustürmen, kraftstrotzend und entschlossen. Diese Liebe scheint erblich zu sein, denn die Tribüne ist jahrein, jahraus an jedem Wochenende bis auf den letzten Platz gefüllt, obwohl sich die Leistungen des Klubs im selben Takt verschlechtert haben wie die wirtschaftliche Lage der Stadt. Vielleicht auch gerade deswegen, weil alle hoffen, dass sich alles andere schon von allein erholen wird, wenn es mit dem Klub nur wieder bergauf geht.

Das ist der Grund dafür, dass Orte wie dieser ihre Hoffnungen auf die Jugend setzen müssen, denn die Jugendlichen sind die Einzigen, die keine Erinnerung daran haben, dass es früher einmal besser war. Manchmal kann das ein Segen sein. Und so haben sie ihre Juniorenmannschaft genauso aufgebaut wie die älteren Generationen ihre Gemeinschaft: hart arbeiten, Rückschläge einstecken, nicht beschweren, nicht aufbegehren – und den verdammten Großstädtern zeigen, woher wir kommen.

In der Gegend gibt es nicht viel Bemerkenswertes. Aber alle, die schon einmal hier waren, wissen, dass es sich um eine Eishockeystadt handelt.

 

Klack.

 

Amat wird bald sechzehn. Sein Zimmer ist so klein, dass es, wenn es in einer größeren Wohnung in einem teuren Wohnviertel einer Großstadt läge, noch nicht einmal als begehbarer Kleiderschrank durchgehen würde. Die Tapeten sind bis auf zwei Ausnahmen vollständig mit Postern von Spielern der National Hockey League zugepflastert. Das eine ist ein Foto von ihm selbst als Siebenjährigem mit zu großen Handschuhen an den Händen und einem in die Stirn gerutschten Helm. Er ist der Kleinste von allen Jungs auf dem Eis. Das andere ist ein weißes Blatt Papier, auf das seine Mutter Teile eines Gebets geschrieben hat. Als Amat geboren wurde, lag sie mit ihm auf der Brust in einem engen Bett in einem kleinen Krankenhaus auf der anderen Seite der Erdhalbkugel, sie beide ganz allein auf der Welt. Eine Krankenschwester flüsterte ihr damals das Gebet ins Ohr, von dem es heißt, Mutter Teresa hätte es an die Wand über ihrer Schlafstätte geschrieben, und die Krankenschwester hoffte, dass es der einsamen Frau Kraft und Hoffnung verleihen würde. Seit fast sechzehn Jahren hängt dieser Zettel nun an der Wand im Zimmer ihres Jungen. Die Worte sind zwar etwas durcheinandergeraten, aber sie hat alles so niedergeschrieben, wie sie es aus der Erinnerung wusste:

»Wenn du ehrlich und offen bist, kann es sein, dass andere dich übers Ohr hauen – sei dennoch ehrlich und offen.

Wenn du freundlich bist, kann es sein, dass andere dir eigennützige Motive und Hintergedanken vorwerfen – sei dennoch freundlich.

Das Gute, das du heute tust, werden die Menschen morgen oft schon wieder vergessen haben. Tu dennoch weiterhin Gutes.«

Amats Schlittschuhe stehen jede Nacht an seine Bettkante gelehnt. »Muss ja für deine Mutter ’ne schreckliche Geburt gewesen sein, wenn du schon mit den Dingern an den Füßen rausgekommen bist«, sagt der alte Hausmeister immer mit einem Grinsen im Gesicht. Er hat dem Jungen angeboten, sie in einem Schrank im Keller des Klubs zu verwahren, doch Amat trägt sie lieber bei sich, denn er möchte in ihrer Nähe sein.

Er ist schon immer in allen Mannschaften der Kleinste gewesen, hat nie so ausgeprägte Muskeln wie die anderen Spieler besessen und nie so hart geschlagen wie sie. Aber niemand in dieser Stadt holt ihn auf dem Eis ein. Keiner aus einer anderen Mannschaft, gegen die er gespielt hat, war je so schnell wie er. Er kann es sich nicht erklären, aber er vermutet, dass es ähnlich funktioniert wie beim Betrachten einer Geige. Manche sehen nur einen Haufen Holz und Schrauben, während andere Musik sehen. Die Schlittschuhe waren seinem Körper nie fremd, im Gegenteil, wenn er seine Füße in normale Schuhe steckt, kommt er sich vor wie ein Seemann an Land.

Die letzten Zeilen, die seine Mutter auf den Zettel an seiner Wand geschrieben hat, lauten:

»Was du jahrelang aufgebaut hast, kann ein anderer über Nacht zerstören – baue es dennoch wieder auf. Letztendlich ist alles eine Sache zwischen dir und Gott; es war ohnehin nie eine Sache zwischen dir und den anderen.«

Unmittelbar darunter steht mit rotem Wachsmalstift und mit der entschlossenen Handschrift eines Grundschulkindes geschrieben:

»SIE SAGEN, DAS ICH ZU KLEIN ZUM EISHOKYSPIE LEN BIN. WERDE DENNOCH 1 GROSSER SPIELER

 

Klack.

 

Früher war die erste Mannschaft von Björnstadt Eishockey einmal die zweitbeste in der Schwedischen Eishockeyliga, doch das ist mehr als zwei Jahrzehnte und drei Divisionen her, aber morgen darf sich Björnstadt wieder mit den Besten messen. Wie wichtig kann also ein Spiel der Juniorenmannschaft sein? Wie sehr mag einer Stadt das Halbfinale seiner Jugendmannschaft mit ein paar Teenagern am Herzen liegen? Natürlich nicht sehr. Wenn es nicht gerade auf diesem Fleck auf der Landkarte stattfinden würde.

 

Einige hundert Meter südlich des Ortsschilds beginnt die Wohngegend, die nur »Anhöhe« genannt wird. Es ist eine kleine Ansammlung exklusiver Häuser mit Seeblick. Ihre Bewohner sind Besitzer von Supermärkten, Fabrikdirektoren oder Pendler, die anspruchsvollere Arbeitsplätze in den größeren Städten innehaben, wo sie auf Firmenfesten von ihren Kollegen immer mit ungläubigen Blicken gefragt werden: »Björnstadt? Kann man denn so tief im Wald überhaupt wohnen?« Darauf antworten sie natürlich irgendetwas Angemessenes übers Jagen und Fischen oder die Nähe zur Natur, aber im Grunde genommen fragen sich mittlerweile fast alle, ob es wirklich noch länger möglich ist und ob die Stadt noch irgendetwas zu bieten hat außer Immobilienpreisen, die genauso sinken wie die Temperaturen.

 

Doch dann wachen sie von einem »KLACK« auf und müssen lächeln.

3

Nach mehr als einem Jahrzehnt haben sich die Nachbarn in den umstehenden Häusern mittlerweile an die Geräusche aus dem Garten der Familie Erdahl gewöhnt: Klack-klack-klack-klack-klack. Dann eine kurze Pause, in der Kevin die Pucks einsammelt. Danach wieder Klack-klack-klack-klack-klack. Er war zweieinhalb, als er zum ersten Mal auf Schlittschuhen stand, drei, als er seinen ersten Schläger bekam, mit vier war er den Fünfjährigen überlegen, und als er fünf war, spielte er besser als die Siebenjährigen. Doch in dem Winter, als er sieben wurde, zog er sich so starke Erfrierungen im Gesicht zu, dass man die kleinen weißen Flecken oberhalb seines Jochbeins noch immer sehen kann, wenn man dicht vor ihm steht. Am Nachmittag hatte er sein erstes richtiges Ligamatch gespielt und in den letzten Sekunden einen Schuss aufs leerstehende Tor verschossen. Die Knirpse aus Björnstadt siegten mit 12-0, und Kevin hatte alle Tore geschossen, war aber dennoch untröstlich. Erst spätabends stellten seine Eltern fest, dass er nicht wie erwartet in seinem Bett lag, und gegen Mitternacht war die halbe Stadt draußen im Wald unterwegs, wo man eine Suchkette bildete. Verstecken ist in Björnstadt kein geeignetes Spiel, denn ein kleines Kind wird rasch von der Dunkelheit verschluckt, und bei minus dreißig Grad erfriert ein Kinderkörper rasend schnell. Es dauerte bis zum Morgengrauen, bis ein Mitglied des Suchtrupps ihn unten auf dem zugefrorenen See erblickte anstatt wie vermutet irgendwo zwischen den Bäumen im Wald. Er hatte ein Tor, fünf Pucks und alle Taschenlampen, die er auftreiben konnte, dort hingeschleppt und Stunde um Stunde dagestanden, um aus demselben Winkel heraus aufs Tor zu schießen wie beim letzten verpassten Torschuss am Nachmittag. Als sie ihn nach Hause trugen, weinte er vor Wut. Die weißen Flecken verschwanden nicht. Er war sieben Jahre alt, und alle wussten schon damals, dass er einen Bären in sich trug, der sich nicht aufhalten ließ.

Seine Eltern ließen im Garten hinterm Haus eigens für ihn eine kleine Eisbahn errichten, die er jeden Morgen eigenhändig vom Schnee befreite, und jeden Sommer hoben die Nachbarn in ihren Beeten ganze Friedhöfe von Pucks aus. In der Blumenerde hier wird man noch über Generationen hinweg Reste vulkanisierten Gummis finden.

Jahr für Jahr haben sie den Jungen wachsen hören, denn die Schläge wurden immer härter und schneller. Jetzt ist er siebzehn, und diese Stadt hat keinen Eishockeyspieler gesehen, der auch nur annähernd sein Talent besitzt, seit sie weit vor seiner Geburt in der Schwedischen Eishockeyliga vertreten war. Er besitzt die physischen Voraussetzungen dafür, geschickte Hände, einen klugen Kopf und das nötige Herzblut. Aber vor allem hat er den richtigen Blick, denn was er auf dem Eis sieht, scheint langsamer vonstattenzugehen als das, was alle anderen sehen. Was Eishockey betrifft, kann man vieles lernen, aber das nicht. Mit dem Blick wird man geboren oder eben nicht. »Kevin? Der hat’s drauf«, pflegt Peter Andersson, der Sportdirektor des Klubs, immer zu sagen, und er muss es schließlich wissen. Als jemand zuletzt so gut war, war es der Sportdirektor selbst, und er hat es bis nach Kanada in die NHL gebracht, wo er sich mit den Besten der Welt maß.

Kevin weiß, was von ihm erwartet wird, denn alle haben es ihm eingebläut, seit er zum ersten Mal auf Schlittschuhen stand. Einfach alles. Ihm wird alles abverlangt. Also joggt er an jedem Morgen schon in der Dämmerung durch den Wald, während seine Klassenkameraden unter der warmen Bettdecke noch tief und fest schlafen, und danach steht er hier, klack-klack-klack-klack-klack. Pucks wieder einsammeln. Klack-klack-klack-klack-klack. Pucks einsammeln. Jeden Nachmittag Training mit der Juniorenmannschaft und jeden Abend mit der ersten Mannschaft, dann ins Fitnessstudio, danach eine weitere Joggingrunde durch den Wald und zum Abschluss eine Stunde Training zu Hause im Schein der extra auf dem Dach der Villa installierten Scheinwerfer. Klack-klack-klack-klack-klack. Das ist das Einzige, was dieser Sport einem abverlangt. Einfach alles, was man hat.

 

Kevin hat schon viele Angebote erhalten, zu einem der großen Klubs zu wechseln oder ein Leistungszentrum in einer größeren Stadt zu besuchen, aber er hat alle konsequent abgelehnt. Er ist ein Björnstadt-Junge und sein Vater ein Björnstadt-Mann, was woanders vielleicht nicht viel zu bedeuten hat, aber hier schon.

Wie wichtig kann ein Halbfinale in einer Juniorenliga also sein? Nur so wichtig, dass die beste Juniorenmannschaft in Schweden dem Rest des Landes die Existenz dieses Ortes wieder in Erinnerung rufen würde. Nur so wichtig, dass die Regionalpolitiker Gelder für ein eigenes Leistungszentrum hier anstatt in Hed bewilligen würden, damit es die größten Talente in diesem Teil des Landes nach Björnstadt zieht anstatt in die großen Städte. Dass eine erste Mannschaft voller eigener Gewächse wieder in die oberste Liga aufsteigen und damit Sponsoren anlocken könnte. Was die Kommune dazu ermuntern würde, eine neue Eishalle, breitere Zufahrtsstraßen und vielleicht sogar das Konferenzgebäude und das Einkaufszentrum zu bauen, von denen schon jahrelang die Rede ist, so dass neue Unternehmen gegründet und mehr Arbeitsplätze geschaffen werden könnten und die Einwohner anfangen würden, darüber nachzudenken, ihre Häuser und Wohnungen zu renovieren, anstatt sie zu verkaufen. Es wäre also »nur« wichtig für die Wirtschaft. Für den Stolz. Fürs Überleben.

Es ist nur so wichtig, dass ein Siebzehnjähriger schon seit der besagten Nacht vor zehn Jahren, in der er sich Erfrierungen an den Wangen zugezogen hat, im Garten der Villa seiner Eltern steht und mit der Last eines ganzen Ortes auf den Schultern einen Puck nach dem anderen aufs Tor schießt.

 

Es bedeutet einfach alles.

 

»Die Senke« liegt am anderen Ende von Björnstadt, nördlich des Ortsschilds. Das Zentrum von Björnstadt besteht aus kleinen Einfamilienhäusern und Reihenhäusern auf einer absteigenden Mittelschichtsskala, während in der Senke nur Mietshäuser stehen, die so weit entfernt von der »Anhöhe« errichtet wurden wie nur möglich. Anfänglich handelte es sich dabei natürlich nur um phantasielose Ortsbeinamen: »Die Senke« liegt tiefer als das restliche Stadtgebiet, da das Gelände dort zu einer ehemaligen Kiesgrube hin abfällt, während »die Anhöhe« auf dem Hügel oberhalb des Sees liegt. Doch nachdem sich die Menschen je nach ihren finanziellen Verhältnissen dort verteilten, blieben die Namen im Volksmund erhalten, bis sie genau wie die Stadtteile selbst zu einem Klassenmerkmal wurden. Selbst in den entlegensten Dörfern der Welt lernen Kinder schon früh, dass es unterschiedliche soziale Realitäten gibt, aber hier in Björnstadt ist es ganz einfach: Je weiter weg man von der Senke wohnt, desto besser.

Fatima wohnt in einer Zweizimmerwohnung im äußersten Teil der Senke. Sie zieht ihren Sohn mit sanfter Gewalt aus dem Bett, woraufhin er als Erstes nach seinen Schlittschuhen greift. Sie sitzen allein im Bus und schweigen. Amat hat sein System, den eigenen Körper zu transportieren, ohne sein Gehirn einschalten zu müssen, praktisch perfektioniert. »Mumie« nennt Fatima ihn liebevoll. In der Eishalle angekommen, zieht sie sich ihre Putzuniform an, während er losgeht, um den Hausmeister ausfindig zu machen. Zuerst versucht Amat ihr immer dabei zu helfen, den Müll auf der Tribüne einzusammeln, bis sie mit ihm schimpft und ihn fortschickt. Der Junge macht sich Sorgen angesichts der Rückenschmerzen seiner Mutter, doch seine Mutter macht sich Sorgen darüber, dass andere Jugendliche den Jungen in ihrer Nähe sehen und ihn damit aufziehen könnten. Solange sich Amat erinnern kann, waren sie immer nur zu zweit auf der Welt. Als er klein war, hat er am Ende des Monats immer leere Bierdosen auf der Tribüne eingesammelt, was er heute mitunter noch immer tut.

Er hilft dem Hausmeister jeden Morgen, die Türen aufzuschließen, alle Leuchtstoffröhren zu kontrollieren, Pucks einzusammeln, mit der Eismaschine über das Eis zu fahren und die Halle für den Tag vorzubereiten. In der Frühe kommen zuerst die Eiskunstläufer. Danach alle Eishockeymannschaften, eine nach der anderen entsprechend der Rangordnung bis hin zu den begehrtesten Zeiten, die der Juniorenmannschaft und der ersten Mannschaft vorbehalten sind. Die Juniorenmannschaft spielt mittlerweile so gut, dass sie fast ganz oben in der Hierarchie steht.

Amat ist noch nicht reif dafür, denn er ist erst fünfzehn, aber vielleicht in der nächsten Saison, wenn er alle Anforderungen erfüllt. Eines Tages wird er seine Mutter von hier fortbringen, das weiß er, und dann kann er endlich aufhören, ihre Einkünfte und die Rechnungen im Kopf ein ums andere Mal zu addieren und zu subtrahieren. Kinder, die in einem Haushalt aufwachsen, wo das Geld ausgehen kann, unterscheiden sich von anderen. Auch dadurch, in welchem Alter sie das begreifen.

Amat weiß, dass seine Möglichkeiten begrenzt sind, und er verfolgt einen simplen Plan: zuerst in die Juniorenmannschaft aufgenommen zu werden, dann in die erste Mannschaft und schließlich Profi zu werden. Wenn sein erstes Gehalt auf dem Konto eingegangen ist, wird er seiner Mutter den Putzwagen aus den Händen reißen und dafür sorgen, dass sie ihn nie wieder ansehen muss. Er wird ihren schmerzenden Fingern und ihrem geschundenen Rücken Ruhe verordnen und ihr Zeit geben, um morgens auszuschlafen. Es geht ihm nicht darum, Sachen zu kaufen. Er möchte nur an einem einzigen Abend zu Bett gehen können, ohne rechnen zu müssen.

Der Eismeister klopft Amat auf die Schulter, sobald er fertig ist, und reicht ihm seine Schlittschuhe. Amat schnürt sie, nimmt den Schläger in die Hand und fährt hinaus auf die leere Eisfläche. Das ist der Deal: Er hilft dem Hausmeister mit schweren Gegenständen und den widerspenstigen Bandentüren, was dem Mann aufgrund seines Rheumas zunehmend schwerfällt, und wenn Amat das Eis hinterher selbst glättet, hat er die Fläche eine Stunde lang ganz für sich allein, bevor die Eiskunstläufer mit ihrem Training beginnen. Es sind die besten sechzig Minuten seines Tages, jeden Tag aufs Neue.

Er steckt sich die Stöpsel in die Ohren, stellt die Musik auf maximale Lautstärke, und dann legt er in vollem Tempo los. Er rauscht übers Eis und kracht auf der gegenüberliegenden Seite so heftig in die Bande, dass sein Helm gegens Plexiglas schlägt. Dann wieder mit voller Fahrt zurück. Und wieder. Und wieder. Und wieder.

 

Fatima schaut kurz von ihrem Putzwagen auf und nimmt sich ein paar Sekunden Zeit, um ihren Sohn da draußen auf dem Eis zu betrachten. Der Hausmeister begegnet ihrem Blick, und sie formt ihre Lippen zu einem »Danke«. Der Hausmeister nickt nur mit einem unterdrückten Lächeln. Fatima erinnert sich noch daran, wie seltsam es ihr vorkam, als die Trainer im Klub ihr zum ersten Mal von Amats außergewöhnlicher Begabung berichteten. Damals verstand sie die schwedische Sprache nur bruchstückhaft, und die Tatsache, dass Amat schon Eislaufen konnte, bevor er in der Lage war, richtig zu gehen, erschien ihr wie ein göttliches Mysterium. Viele Jahre sind inzwischen vergangen, und sie hat sich noch immer nicht an die Kälte in Björnstadt gewöhnt, aber gelernt, die Stadt zu lieben, wie sie ist. Doch niemals wird sie irgendetwas im Leben sonderbarer finden als die Tatsache, dass der Junge, den sie an einem Ort entbunden hat, an dem es noch nie geschneit hat, der geborene Eissportler geworden ist.

 

In einem der kleineren Häuser im Zentrum des Ortes steigt Peter Andersson, der Sportdirektor von Björnstadt Eishockey, mit rotgeränderten Augen völlig erschöpft aus der Dusche. In der vergangenen Nacht hat er kaum geschlafen, und das Wasser hat seine Nervosität nicht wegspülen können. Heute Morgen hat er sich schon zweimal übergeben müssen. Er hört, wie Mira durch den Flur vor dem Bad wirbelt, um die Kinder zu wecken, und weiß genau, was sie gleich zu ihm sagen wird: »Mein Gott, Peter, du bist schon über vierzig, und wenn der Sportdirektor eines Klubs vor einem Spiel der Juniorenmannschaft nervöser ist als die Junioren selbst, wäre es dann nicht vielleicht an der Zeit, ein Valium oder einen Drink zu nehmen und etwas kürzerzutreten?« Die Familie Andersson wohnt jetzt schon seit über einem Jahrzehnt hier, seit sie aus Kanada wieder zurückgekehrt ist, aber Peter hat seiner Frau noch immer nicht richtig klarmachen können, welche Bedeutung das Eishockey für Björnstadt hat. »Mal im Ernst, merkst du denn nicht selbst, dass ihr erwachsenen Männer euch etwas zu stark ereifert?«, fragt Mira ihn schon die ganze Saison lang. »Die Junioren sind gerade mal siebzehn, also fast noch Kinder!«

Beim ersten Mal schwieg er, doch eines späten Abends sagte er ihr die Wahrheit: »Ich weiß, dass es nur ein Spiel ist, Mira. Ich weiß. Aber wir sind eine Stadt mitten im Wald. Wir haben keinen Tourismus, keinen Tagebau und keine Hightech-Industrie. Stattdessen haben wir nur Dunkelheit, Kälte und eine hohe Arbeitslosigkeit. Wenn es uns gelingt, dass diese Stadt wieder eine Leidenschaft entwickelt, können wir uns glücklich schätzen. Ich weiß, dass du nicht von hier bist, Schatz, diese Stadt ist nicht deine, aber schau dich doch mal um: Die Arbeitsplätze werden wegrationalisiert, und die Gemeinde schnürt den Gürtel immer enger. Hier wohnen zwar hartgesottene Menschen, wir haben Bären in uns, aber wir mussten zuletzt einen Rückschlag nach dem anderen einstecken. Diese Stadt muss endlich mal wieder etwas gewinnen. Wir müssen nur ein einziges Mal spüren, dass wir die Besten sind. Ich weiß, dass es nur ein Spiel ist. Aber es geht eben nicht nur … darum. Jedenfalls nicht ausschließlich.«

Mira drückte ihm daraufhin einen festen Kuss auf die Stirn, umarmte ihn, lächelte und flüsterte ihm zärtlich ins Ohr: »Du bist ein Idiot.« Das ist er natürlich. Und er weiß es auch.

 

Er verlässt das Bad und klopft an die Zimmertür seiner fünfzehnjährigen Tochter, bis er als Antwort die Klänge ihrer Gitarre hört. Seine Tochter liebt ein Instrument, nicht den Sport. Es gibt Tage, an denen ihn das traurig stimmt, aber auch viele andere, an denen er sich für sie freut.

 

Maya liegt noch immer im Bett und spielt etwas lauter, als es an der Tür klopft, während sie ihre Eltern draußen im Flur hört. Ihre Mutter hat zwei Universitätsexamen und kann das gesamte Gesetzbuch zitieren, aber einfach nicht begreifen, was die Begriffe Icing oder Offside bedeuten, selbst wenn man sie deswegen vor Gericht zerren würde. Ihr Vater kann im Gegenzug jede einzelne nur mögliche Eishockeystrategie bis ins kleinste Detail erklären, aber dafür keine Serie mit mehr als drei Figuren schauen, ohne alle fünf Minuten zu fragen: »Und was passiert jetzt? Wer ist das denn? Was, wieso soll ich still sein? Oh, jetzt hab ich verpasst, was sie gesagt haben … können wir noch mal zurückspulen?«

Maya muss darüber sowohl lachen als auch seufzen. Nie sehnt man sich mehr danach, von zu Hause auszuziehen, als mit fünfzehn. Es ist genauso, wie ihre Mutter immer sagt, wenn die Kälte und die Dunkelheit ihre Geduld am stärksten auf den Prüfstand stellen und sie drei oder vier Gläser Wein getrunken hat: »Man kann in dieser Stadt nicht wohnen, Maya, man kann es nur überleben.«

 

Noch ahnt keiner von ihnen, wie wahr dieser Ausspruch ist.

4

Auf dem ganzen Weg von den Umkleiden bis zur Vorstandsetage werden die Jungen und Männer im Eishockeyklub Björnstadt mit einer Redewendung diszipliniert: »Hohe Decke und dicke Wände.« Harte Worte sind genauso ein Teil des Spiels wie heftige Bodychecks, doch was hier drinnen geschieht, verlässt den Raum nicht. Das gilt sowohl auf dem Eis als auch im gesamten Gebäude, denn alle Mitglieder müssen wissen, dass das Beste für den Klub immer Vorrang hat.

Es ist noch früh genug am Morgen, so dass die restliche Eishalle noch leer sein müsste bis auf den Eismeister, die Putzfrau und einen einsamen Spieler aus der Jugendmannschaft, der unten auf dem Eis hin- und herrast. Doch aus einem der Büros im Obergeschoss dringen die entschlossenen Stimmen von Männern in Anzügen in die Korridore hinaus. An der Wand hängt ein mindestens zwanzig Jahre altes Mannschaftsfoto aus dem Jahr, als Björnstadt Eishockey schwedischer Vizemeister wurde. Manche der Männer im Raum waren damals dabei, andere nicht, doch alle haben den einmütigen Entschluss gefasst, genau dorthin wieder zurückzukehren. Diese Stadt soll nicht länger irgendwo in den unteren Ligen vor sich hin dümpeln und in Vergessenheit geraten, sondern ihre Jungs müssen wieder zur Elite aufsteigen und die Größten herausfordern.

Der Klubdirektor sitzt an seinem Schreibtisch. Er ist ohnehin der am stärksten schwitzende Mann in der ganzen Stadt und verhält sich wie ein von ständiger Angst geplagtes Kind, das etwas geklaut hat, doch an diesem Morgen tritt es noch deutlicher zutage als sonst. Sein Oberhemd ist mit Krümeln übersät, und er kaut sein belegtes Brötchen so ungeschickt, dass man sich fragen muss, ob er beim Essenlernen womöglich irgendetwas missverstanden hat. Er verhält sich immer so, wenn er nervös ist. Die Männer haben sich zwar in seinem Büro versammelt, aber er hat die geringste Macht von allen.

Von außen betrachtet funktioniert die Hierarchie in einem Klub ganz simpel: Der Vorstand ernennt einen Klubdirektor, der im Hinblick auf den alltäglichen Betrieb als Chef fungiert, und der Klubdirektor stellt wiederum einen Sportdirektor ein, der Spieler für die erste Mannschaft anwirbt und Trainer einstellt. Die Trainer stellen ihre Mannschaften auf, und keiner redet dem anderen in seine Arbeit rein. Doch hinter verschlossenen Türen geschehen natürlich noch ganz andere Dinge, die für den Direktor Grund genug sind, um ins Schwitzen zu kommen. Die Männer um ihn herum sind Vorstandsmitglieder und Sponsoren, einer von ihnen ist Kommunalpolitiker, und gemeinsam gehören sie zu den größten Investoren und Arbeitgebern der gesamten Region. Alle sind natürlich inoffiziell hier. So nennen sie es jedenfalls, wenn sich die Bonzen mit Einfluss und Geld so früh am Morgen zufällig am selben Ort zum Kaffeetrinken einfinden, dass noch nicht einmal die Lokalreporter wach sind.

Die Kaffeemaschine von Björnstadt Eishockey hat einen größeren Reinigungsbedarf als der Klubdirektor, so dass keiner wegen des Inhalts der Becher hergekommen sein dürfte. Jeder Mann im Raum hat seine eigene Agenda und persönliche Interessen, was sich aus einem erfolgreichen Klub generieren lässt, doch einen wichtigen Punkt haben alle gemeinsam: Sie sind sich einig, wer gefeuert werden muss.

 

Peter ist in Björnstadt geboren und aufgewachsen, und er hat hier schon viele Rollen innegehabt: zuerst war er ein Knirps in der Eislaufschule, dann ein vielversprechender Junior, danach der jüngste Spieler in der ersten Mannschaft, schließlich der Mannschaftskapitän, der den Klub zum zweitbesten landesweit aufsteigen ließ, daraufhin ein großer Star, der Profi in der NHL wurde, und nicht zuletzt der Held, der heimkehrte, um in Björnstadt Sportdirektor zu werden.

Im Augenblick ist er aber vor allem ein Mann, der schlaftrunken im Flur seines kleinen Hauses herumtappt, wobei er ungefähr bei jeder dritten Runde mit der Stirn gegen die Hutablage stößt und vor sich hin brummt:

»Mein Gott, hat i-r-g-e-n-d-j-e-m-a-n-d die Volvo-Schlüssel gesehen?«

Er durchsucht nun schon zum vierten Mal all seine Jackentaschen. Sein zwölfjähriger Sohn kommt aus der anderen Richtung und weicht ihm mit zwei raschen Sprüngen auf Zehenspitzen gekonnt aus, ohne den Blick von seinem Handy heben zu müssen.

»Leo, hast du die Volvo-Schlüssel gesehen?«

»Frag Mama.«

»Und wo ist Mama?«

»Frag Maya.«

Leo verschwindet im Bad. Peter holt tief Luft.

»SCHATZ

Keine Antwort. Er wirft einen Blick auf sein Smartphone und sieht, dass er inzwischen schon vier SMS vom Klubdirektor mit der Aufforderung erhalten hat, umgehend ins Büro zu kommen. In einer ganz normalen Woche verbringt Peter zwischen siebzig und achtzig Stunden in der Eishalle, und dennoch schafft er es kaum, sich das Training seines eigenen Sohnes anzuschauen. In seinem Auto liegen Golfschläger, die er zweimal im Lauf des Sommers benutzen kann, wenn er Glück hat. Seine Arbeit als Sportdirektor nimmt den ganzen Tag in Anspruch: Er handelt die Verträge mit den Spielern aus, telefoniert mit deren Vermittlern und sitzt stundenlang in einem dunklen Raum, wo er die Videos mit den Neuzugängen studiert. Doch dieser Klub ist verhältnismäßig klein, so dass er nach getaner Arbeit den Hausmeister noch dabei unterstützt, defekte Neonröhren auszuwechseln und die Kufen der Schlittschuhe zu schleifen, Busfahrten zu buchen und Wettkampftrikots zu bestellen. Er fungiert als Reisebüro und Hausverwalter zugleich und wendet für den Unterhalt der Eishalle ebenso viele Stunden auf, wie er für den Aufbau einer Mannschaft benötigt, was die restlichen Stunden des Abends und der Nacht verschlingt. Auf diese Weise lässt sich Eishockey leicht begreifen; es kann niemals nur einen Teil des Lebens ausmachen. Es bestimmt das ganze Leben.

Als Peter den Job als Sportdirektor angenommen hat, telefonierte er eine ganze Nacht lang mit Sune, dem Mann, der schon die erste Mannschaft in Björnstadt trainiert hat, als Peter noch ein Kind war. Sune hat Peter das Eislaufen beigebracht und ihm ein zweites Zuhause in der Eishalle gegeben, als es in seinem Elternhaus nur Alkohol und blaue Flecken gab. Er wurde für ihn eher zu einem Mentor und einer Vaterfigur anstelle eines Coaches, und in gewissen Phasen in Peters Leben war der alte Mann der Einzige, dem er wirklich vertraute. »Du musst jetzt als Knoten fungieren«, erklärte Sune dem neuen Sportdirektor. »Jeder hier hält einen Faden in der Hand: die Sponsoren, der Vorstand, die Politiker, die Fans, die Trainer, Spieler und Eltern, und alle versuchen den Klub in ihre Richtung zu ziehen. Du musst der Knoten sein.«

Als Mira am darauffolgenden Morgen erwachte, erklärte Peter ihr den Job noch etwas einfacher: »Alle brennen in Björnstadt für Eishockey, und meine Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass nichts Feuer fängt.« Mira küsste ihn auf die Stirn und erklärte ihm, dass er ein Idiot sei.

»SCHATZ, HAST DU DIE VOLVO-SCHLÜSSEL GESEHEN?«, ruft Peter jetzt durchs ganze Haus.

Keine Antwort.

Die Männer im Büro gehen die nötigen Punkte kühl und sachlich durch, als handele es sich um den Austausch eines Möbelstücks. Auf dem alten Mannschaftsfoto an der Wand steht Peter Andersson in der Mitte. Damals noch Mannschaftskapitän, heute Sportdirektor. Es ist die perfekte Erfolgsstory, und die Männer im Raum wissen um die Bedeutung dieser Art von Mythen für die Medien und Fans. Neben Peter auf dem Foto steht Sune, der Trainer der ersten Mannschaft, der Peter dazu überredet hat, nach seiner Profikarriere mit der ganzen Familie aus Kanada wieder zurückzukehren. Daraufhin haben die beiden die Jugendsparte mit dem Ziel aufgebaut, eines Tages die beste Juniorenmannschaft landesweit zu stellen. Damals lachten alle, doch jetzt lacht niemand mehr. Denn morgen spielt genau diese Juniorenmannschaft im Halbfinale, im nächsten Jahr wechseln Kevin Erdahl und einige andere Spieler nach oben in die erste Mannschaft, die Sponsoren pumpen Riesenbeträge in den Klub, und die Investition in die Elite nimmt ernsthaft Form an. All das wäre ohne Peter nicht möglich gewesen, denn er war schon immer Sunes bester Schüler.

Einer der Sponsoren wirft einen irritierten Blick auf die Uhr.

»Sollte er nicht längst hier sein?«

Dem Direktor rutscht fast das Handy aus den Schweißfingern.

»Er ist bestimmt schon unterwegs. Ich glaube, dass er nur noch kurz die Kinder an der Schule absetzt.«

Der Sponsor lächelt herablassend.

»Dann hat seine Frau als Anwältin wohl wie immer ein wichtigeres Meeting als er, oder? Ist das hier für Peter eigentlich ein Job oder eher ein Hobby?«

Ein Vorstandsmitglied räuspert sich halb im Scherz, halb im Ernst: »Wir brauchen einen Sportdirektor, der als Stiefel fungiert, und nicht als Pantoffel.«

Der Sponsor grinst und schlägt vor: »Vielleicht können wir ja statt ihm seine Frau einstellen. Ein Pumps mit Absatz dürfte doch ebenso gut funktionieren, oder?«

Die Männer im Raum lachen laut auf, so dass es bis zur Decke hallt.

 

Peter steuert auf der Jagd nach seiner Frau die Küche an, wo er statt Mira Ana antrifft, die beste Freundin seiner Tochter. Sie bereitet gerade einen Smoothie zu. Jedenfalls nimmt er es an, da die gesamte Arbeitsplatte mit einer rosafarbenen, feindlich anmutenden Plörre bedeckt ist, die sich gerade bedenklich der Kante nähert, wo sie kurz davor ist, herunterzutropfen und den Parkettfußboden anzugreifen, zu besiegen und zu annektieren. Ana zieht ihre Ohrhörer aus den Ohren.

»Guten Morgen! Euer Mixer ist ja echt sauschwierig zu bedienen!«

Peter holt tief Luft.

»Hallo, Ana. Du bist ja … schon früh hier.«

»Nein, ich hab hier übernachtet!«, antwortet sie sorglos.

»Schon wieder? Das ist jetzt die … vierte Nacht in Folge, oder?«

»Ich hab nicht mitgezählt.«

»Nein. Das habe ich gemerkt. Danke. Aber findest du nicht, dass es Zeit wird, abends mal wieder nach Hause zu gehen und … ich weiß nicht. Zum Beispiel frische Kleidung aus deinem Schrank zu holen, oder so?«

»Ach, das ist kein Problem. Ich hab einfach meine gesamten Klamotten mit hierhergenommen.«

Peter massiert seinen Nacken und ist angesichts ihrer Bemerkung redlich bemüht, eine ebenso fröhliche Miene aufzusetzen wie Ana.

»Wie … schön. Aber … vermisst dein Vater dich nicht langsam?«

»Nein, nicht besonders. Wir telefonieren ja oft und so.«

»Schon klar, aber ich meine, dass du vielleicht trotzdem irgendwann mal wieder nach Hause gehen und bei dir übernachten solltest, oder?«

Ana befördert eine etwas zu große Menge unmöglich zu identifizierende gefrorene Beeren und andere Früchte in den Mixer und starrt ihn mit großen Augen an.

»Okay, aber das wird verdammt unpraktisch, jetzt, wo ich meine gesamten Klamotten hier habe.«

Peter steht lange reglos da und betrachtet sie. Dann schaltet sie den Mixer ein, ohne vorher den Deckel zu schließen. Peter macht auf dem Absatz kehrt, stürzt zurück in den Flur und ruft mit zunehmender Verzweiflung:

»SCHATZ

 

Maya liegt noch auf ihrem Bett, wo sie bedächtig an den Saiten ihrer Gitarre zupft, so dass die Töne in immer größeren Abständen von den Wänden und der Decke abprallen, bis sie im Raum verhallen. Kurze einsame Rufe nach Gesellschaft. Sie hört Ana in der Küche herumhantieren und wie sich ihre Eltern frustriert im Flur begegnen, ihr Vater noch verschlafen und überrascht, als erwache er jeden Morgen an einem Ort, an dem er noch nie zuvor gewesen ist, ihre Mutter zielstrebig wie ein Rasenroboter, dessen Sicherung für das Erkennen von Hindernissen durchgebrannt ist.

 

Ihre Mutter heißt eigentlich Mira, hat aber noch nie jemanden in Björnstadt gehört, der ihren Namen richtig ausspricht. Irgendwann hat sie aufgegeben und sich einfach »Mia« nennen lassen. Die Leute hier sind so einsilbig, dass sie nicht einmal bereit zu sein scheinen, Konsonanten zu verschwenden. Anfänglich hat Mira sich immer den Scherz erlaubt, zu antworten »Ach, Sie meinen Pete?«, wenn jemand im Ort nach ihrem Mann fragte. Doch daraufhin schauten sie sie nur mit ernsten Blicken an und wiederholten: »Nein, Peter!« Ironie gefriert wie alles andere an diesem Ort zu Eis. Jetzt amüsiert sich Mira nur noch selbst über die Feststellung, dass ihre Kinder beispielhaft konsonantenarme Namen wie »Leo« und »Maya« tragen, damit im Einwohnermeldeamt niemandem der Schädel platzt.

Sie bewegt sich in festgelegten Mustern durch das kleine Haus, wo sie sich in einer Vorwärtsbahn durchs Bad, den Flur und die Küche fertig anzieht und zugleich ihren Kaffee trinkt. Im Zimmer ihrer Tochter hebt sie mit einer einzigen Bewegung einen Pulli vom Fußboden auf und faltet ihn zusammen, ohne ihre Ermahnungen darüber zu unterbrechen, dass es Zeit ist, die Gitarre zur Seite zu legen und endlich aufzustehen.

»Geh duschen, du riechst ja, als hätte es im Zimmer gebrannt und irgendwer den Versuch unternommen, das Feuer mit Red Bull zu löschen. Papa fährt euch in zwanzig Minuten zur Schule!«

Maya schält sich widerwillig, aber durch Erfahrung weise aus ihrer Bettwäsche. Sie hat keine Mutter, mit der man diskutieren kann, sondern eine, die als Rechtsanwältin ihre Arbeit nie ganz hinter sich lassen kann.

»Papa hat aber gesagt, dass du uns zur Schule fährst.«

»Papa ist nicht richtig informiert. Und du, sei so gut und bitte Ana, in der Küche sauberzumachen, wenn sie die Smoothies fertig hat. Ich mag sie, sie ist deine beste Freundin, und mir macht es nichts aus, dass sie öfter hier als bei sich zu Hause übernachtet, aber wenn sie in unserer Küche Smoothies macht, muss sie lernen, den Deckel des Mixers zu schließen, und du solltest sie zumindest in die ALLEREINFACHSTEN Funktionen eines verfluchten Wischlappens einweihen. Okay?«

Maya lehnt ihre Gitarre an die Wand und geht in Richtung Bad, wobei sie hinter dem Rücken ihrer Mutter die Augen so stark verdreht, dass man ihre Pupillen auf einem Röntgenbild mit Nierensteinen verwechseln könnte.

»Verdreh nicht die Augen hinter meinem Rücken. Ich merke es trotzdem, auch wenn ich es nicht sehe«, zischt ihre Mutter.

»Spekulationen und Gerüchte«, murmelt ihre Tochter.

»Ich hab dir doch gesagt, dass die Leute so was nur in amerikanischen Fernsehserien von sich geben!«, protestiert ihre Mutter.

Ihre Tochter antwortet, indem sie die Badezimmertür übertrieben laut hinter sich zuknallt. Peter ruft von irgendwoher »SCHATZ!!!«, während Mira einen weiteren Pulli vom Fußboden aufhebt und Ana gerade noch »Fuckscheiße« ausrufen hört, bevor das Mädchen die Zimmerdecke der Küche mit Smoothie zukleistert.

»Ich hätte auch ein ganz anderes Leben haben können, wisst ihr«, sagt Mira leise vor sich hin, bevor sie den Autoschlüssel für den Volvo in ihre Jackentasche gleiten lässt.

 

Die Männer im Büro lachen noch immer über den Witz mit dem Pumps, als ein dezentes Räuspern vom Türrahmen her zum Schreibtisch vordringt. Der Klubdirektor winkt die Putzfrau herein, ohne sie eines Blickes zu würdigen. Die Putzfrau bittet alle um Entschuldigung, doch die meisten der Männer im Raum ignorieren sie, auch wenn einer von ihnen hilfsbereit seine Füße anhebt, als sie sich nach dem Papierkorb streckt, um ihn zu leeren. Dann bedankt sich die Putzfrau höflich, wovon wiederum keiner der Anwesenden Notiz nimmt, doch sie verübelt es ihnen nicht im Geringsten, denn Fatimas größte Fähigkeit besteht darin, niemanden zu stören. Sie wartet, bis sie wieder draußen im Korridor ist, bevor sie sich an den Rücken greift und vor Schmerzen kurz aufstöhnt. Sie will nicht, dass es jemand mitbekommt und es dann Amat zuträgt, denn ihr geliebter Junge macht sich ohnehin schon viel zu viele Sorgen um sie.

 

Der Schweiß brennt in Amats Augen, als er unten auf der Eisfläche etwas Tempo rausnimmt und auf die Bande zugleitet. Er lässt seinen Schläger auf dem Eis entlanggleiten, während die Feuchtigkeit seine Finger einige Millimeter tiefer in den Handschuh hineinrutschen lässt, ihm die Atemzüge im Hals brennen und die Milchsäure in seine Oberschenkel schießt. Die Tribüne ist leer, doch hin und wieder linst er dennoch hinauf. Seine Mutter sagt immer, dass sie beide dankbar sein müssen, und er versteht sie. Niemand ist dankbarer als sie, gegenüber dem Land und der Stadt, dem Klub, der Gemeinde, den Nachbarn und ihrem Arbeitgeber. Dankbar, dankbar, dankbar. Das ist die Aufgabe von Müttern, während ihre Kinder träumen dürfen. Ihr Sohn träumt davon, dass seine Mutter eines Tages einen Raum betreten kann, ohne um Entschuldigung bitten zu müssen.

Er blinzelt den Schweiß aus seinen Augen, rückt seinen Helm zurecht und stößt sich mit seinen Schlittschuhen auf dem Eis ab. Und wieder. Und wieder. Und wieder.

 

Peter hat vier verpasste Anrufe vom Klubdirektor auf seinem Handy und wirft einen gestressten Blick auf die Uhr, während er sich Mira zuwendet, die gerade die Küche betritt. Sie betrachtet lächelnd die klebrige Schmiererei, die Ana auf der Arbeitsplatte und dem Fußboden hinterlassen hat, und weiß, dass Peter bei diesem Anblick vor Wut innerlich platzen könnte. Sie beide putzen auf ganz unterschiedliche Art und Weise: Mira hasst es, wenn Kleidung auf dem Fußboden herumliegt, während Peter klebrige Oberflächen verabscheut. Als sie sich zum ersten Mal begegneten, sah seine gesamte Wohnung aus, als hätte dort jemand eingebrochen, außer die Küche und das Bad, die an sterile Operationsräume erinnerten. In Miras Wohnung hingegen war es genau andersherum. Diesbezüglich sind die beiden Eheleute jedenfalls nicht gerade auf einer Wellenlänge, wie man es wohl zusammenfassen kann.

»Da bist du ja! Ich bin spät dran zum Meeting im Klub. Hast du die Volvo-Schlüssel gesehen?«, fragt Peter schnaubend.

Während er versucht hat, sich zum Jackett eine Krawatte zu binden, was ihm nur mit Mühe und Not gelungen ist, sieht Mira tadellos aus, und die Kleidung, die sie trägt, schmeichelt ihrem Körper. Sie trinkt ihren Kaffee aus und wirft sich mit derselben gelassenen Bewegung ihren Mantel über.

»Ja.«

Er steht mit verwuschelten Haaren, rotgeflecktem Gesicht und Smoothieflüssigkeit auf den Strümpfen da und fragt: »Hast du vielleicht Lust, es mir zu sagen?«

»Sie liegen in meiner Tasche.«

»Was, warum das denn?«

Mira drückt ihm einen Kuss auf die Stirn.

»Ja, mein Zuckerschneckchen, das ist eine gute Frage. Ich nehme an, dass ich dachte, es wäre gut, sie bei mir zu haben, wenn ich mit dem Volvo zur Arbeit fahren will. Ich hab nämlich die Vermutung, dass es etwas unpassend erscheinen könnte, wenn eine Anwältin in einer Schrottkarre zur Arbeit kommt, die aussieht wie gestohlen.«

Peter fährt sich mit beiden Händen verwirrt durchs Haar.

»Aber … was zum Teu … du wolltest doch den kleinen Wagen nehmen, oder?«

»Nein, du wolltest den kleinen Wagen in die Werkstatt bringen, nachdem du die Kinder an der Schule abgesetzt hast. Das haben wir so besprochen.«

»Das haben wir NICHT besprochen!«

Peter wischt zwanghaft die Unterseite ihres Kaffeebechers mit Haushaltspapier ab. Sie lächelt.

»Aber mein lieber Mann, so steht es im Kalender am Kühlschrank.«

»Du kannst doch nicht einfach Dinge in den Kalender schreiben, ohne vorher mit mir zu REDEN

Sie kratzt sich beherrscht an der Augenbraue.

»Wir haben darüber geredet. Und wir reden jetzt. Wir tun nichts anderes als reden. Aber zuhören hingegen …«

»Liebe Mira, ich habe gleich ein Meeting! Wenn ich zu spät komme, dann …«

Mira nickt mit einer übertriebenen Kopfbewegung.

»Natürlich, natürlich, Liebling. Wenn ich zu spät zu meiner Arbeit komme, kann es sein, dass ein Unschuldiger ins Gefängnis wandert. Aber Entschuldigung, ich habe dich unterbrochen: Erzähl mehr davon, was passiert, wenn DU zu spät kommst.«

Er atmet so geduldig wie nur möglich durch die Nase ein.

»Morgen findet das wichtigste Spiel des Jahres statt, Schatz.«

»Ich weiß, Liebling. Und morgen werde ich auch so tun, als wäre es tatsächlich wichtig. Aber bis dahin musst du dich damit begnügen, dass alle anderen Einwohner der Stadt das finden.«

Sie lässt sich im Allgemeinen nur schwer umstimmen, was seiner Auffassung nach sowohl ihre attraktivste als auch irritierendste Charaktereigenschaft ist. Er bemüht sich, ein besseres Argument zu finden, doch Mira seufzt stattdessen mit gespielter Dramatik, legt die Volvo-Schlüssel auf den Küchentisch und ballt vor dem Blick ihres Mannes die Faust.

»Okay. Stein-Schere-Papier.«