Echte Helden, falsche Helden

Christoph Giesa

Echte Helden,
falsche Helden

Was Demokraten gegen
Populisten stark macht

Knaur e-books

Inhaltsübersicht

Über Christoph Giesa

Christoph Giesa, Jahrgang 1980, beschäftigt sich als Publizist, Drehbuchautor Redner und Moderator seit mehr als einem Jahrzehnt mit relevanten Zukunftsthemen an der Schnittstelle zwischen Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Sehr früh analysierte er die Macht neurechter Netzwerke und warnte vor deren Einfluss auf die politische Kultur. Im Rahmen zahlreicher Veranstaltungen zur politischen Bildung für Erwachsene, Studenten und Schüler widmet er sich regelmäßig den Herausforderungen für die Demokratie. Giesa lebt und arbeitet als Publizist in Norddeutschland und engagiert sich an verschiedenen Stellen im politischen und gesellschaftlichen Umfeld.

www.christophgiesa.de

Twitter: @christophgiesa

Impressum

© 2020 Droemer eBook

Ein Imprint der Verlagsgruppe
Droemer Knaur GmbH & Co. KG, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit
Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.

Covergestaltung: total italic, Thierry Wijnberg

ISBN 978-3-426-45757-3

Für V. und A., weil Eure Zukunft mein Ansporn ist.

Einige Anmerkungen vorab

Dieses Buch kommt ohne Gendersternchen, Neutralisierung, Binnen-I oder andere Formen der genderneutralen Sprache aus. Dahinter steckt keine Abneigung gegen den Versuch, Sprache gerechter zu gestalten. Vielmehr haben alle Formen ihre Vor- und Nachteile. Was wiederum bedeutet, dass ich es nie allen recht machen kann. Also nutze ich, solange es für den Lesefluss nicht nachteilig ist, an vielen Stellen die männliche und weibliche Form, an anderen Stellen nur die männliche oder nur die weibliche Form. Selbstverständlich gilt alles, was ich schreibe, gleichermaßen für alle Geschlechter, egal ob männlich, weiblich oder keines von beiden.

Vorab auch noch ein Wort zu den verwendeten Beispielen. Selbstverständlich gebührt Frauen der gleiche gesellschaftliche Rang wie Männern. Eine ausgeglichene Gewichtung der Beispiele nach Geschlechtern ist aufgrund der langsamen Entwicklung der Gleichstellung in unserer Gesellschaft derzeit leider unmöglich. Dafür bitte ich um Nachsicht. Ich hoffe sehr, dass sich dieses Problem nicht mehr stellt, wenn meine Tochter und mein Sohn eines Tages das Erwachsenenalter erreicht haben.

Das fehlende Puzzleteil

Die Würde des Menschen ist unantastbar.« Was für ein Satz! In roter Schrift auf schwarzem Grund ist der erste Artikel auf dem Titel des neuen, schicken Grundgesetzes nicht zu übersehen. In vielen Buchhandlungen ist diese Version seit einiger Zeit für zehn Euro zu erstehen. Prominent platziert und im A4-Format eines Magazins aufbereitet, soll sie den Bürgerinnen und Bürgern, also uns, die Verfassung unseres Landes wieder näherbringen. Es soll attraktiv sein, danach zu greifen, darin zu blättern, sich inspirieren zu lassen. Klar, so wirkt der Text gleich ganz anders als in diesen kleinen, wenig kreativ gestalteten und aus der Zeit gefallen wirkenden Broschüren, die man aus der Schulzeit kennt. Aber ist das wichtig? Und wenn ja, warum?

Die Macher hinter der neuen Version des Grundgesetzes beschreiben ihre Motivation in kleiner Schrift auf Seite 6 versteckt. Der Dank für den Anstoß gelte dem Wissenschaftsjournalisten Ranga Yogeshwar. Er habe als Gast in einer Talkshow von Markus Lanz festgestellt: »Das Grundgesetz ist sensationell. Das ist die Nation.« Und weiter: »Wer es nicht gelesen hat, sollte es durchlesen. Es ist toll!« Aus dieser ansteckenden Begeisterung heraus sei die Idee entstanden, das Grundgesetz »erstmals gut lesbar zu gestalten«.

So viel Emotion für einen Gesetzestext ist selten. Früher hätte mich das irritiert, inzwischen kann ich sie nachvollziehen. Denn inzwischen weiß ich: Das Grundgesetz hat einen wesentlichen Anteil daran, dass dieses Land derzeit die beste Version seit seinem Bestehen ist. Deshalb habe ich mir auch ein Exemplar des schön gestalteten Heftes gekauft.

Um an diesen Punkt zu kommen, musste ich allerdings einen Prozess durchlaufen. Auslöser war ein berufliches Projekt, in dessen Rahmen ich mich eine Weile mit der Entstehungsgeschichte und der Auslegung des Grundgesetzes intensiver beschäftigen durfte. Das hat etwas mit mir gemacht. Und ich bin mir sicher, dass solch eine Erfahrung auf viele Menschen in diesem Land einen ähnlichen Effekt haben würde. Doch wer hat schon die Möglichkeit dazu? Ich vermute, dass viele von uns die Schönheit und die Kraft unseres Verfassungstextes nicht besonders gut kennen. Dass er deswegen bei kaum jemandem solche Emotionen wie bei Ranga Yogeshwar auszulösen vermag, ist nur der Beginn einer umfassenderen Problembeschreibung.

Ich glaube, dem Grundgesetz geht es wie so vielen Dingen, die irgendwie immer da sind. Beziehungen und Freundschaften etwa laufen Gefahr, dass man sie irgendwann als gegeben hinnimmt und sich nicht ausreichend kümmert. Erst wenn sie nicht mehr da sind, merkt man, was einem fehlt. Doch dann ist es häufig zu spät.

Erst wenn uns Unrecht geschähe oder etwas aus dem Ruder liefe, wenn der Staat uns bespitzelte, unsere Bürgerrechte zu beschneiden versuchte oder die Presse unter Druck setzte, würden wir uns vielleicht die Zeit nehmen, die entsprechenden Artikel unserer Verfassung nachzulesen und darüber zu diskutieren, wie man ihnen zur Durchsetzung verhelfen kann. Doch was könnten wir in diesem Moment noch ausrichten? Wie scharf wäre das Schwert des Grundgesetzes noch, wenn dieses faktisch bereits außer Kraft gesetzt wäre?

Dieser Gedanke ist alles andere als abwegig, wie ein trauriger Blick nach Ungarn offenbart. Dort wurde im Windschatten der Corona-Pandemie der Rückbau von Grundrechten so weit vorangetrieben, dass Ishaan Tharoor in der Washington Post schrieb: »Coronavirus kills its first democracy.« Dabei war Ungarn lange das Vorzeigeland, was die Transformation von einer sozialistischen in eine liberale Gesellschaftsordnung anging.

Es ist gut, dass zumindest im größten Teil der Europäischen Union, aber auch in vielen anderen liberalen Demokratien rund um die Welt, diesen Impulsen widerstanden wird. Und dass dies selbst in absoluten Ausnahmesituationen wie während der Pandemie in der ersten Jahreshälfte 2020 gilt. Doch sollte man sich deshalb nicht stolz und zufrieden zurücklehnen. Genau dieses Gefühl – das Gefühl, dass die Regeln unseres Zusammenlebens wie in Stein gemeißelt sind, dass die Ideen des Grundgesetzes niemals wieder ernsthaft infrage gestellt werden dürften – hat eine Lücke gelassen. In diese Lücke stoßen seit einigen Jahren Populisten und Radikale trickreich, durchdacht und mit aller Wucht hinein und erzielen deutliche Landgewinne. Wer hätte das noch vor ein paar Jahren geahnt?

»Unglücklich das Land, das Helden nötig hat«, schrieb Bertolt Brecht 1938 in Leben des Galilei. Dieser Satz beschreibt einen wesentlichen Teil des Selbstverständnisses der erst gut zehn Jahre später geborenen Bundesrepublik. Wenn Patriotismus überhaupt wieder vorstellbar sein sollte, dann nur in einer ungefährlichen, zahmen Form namens Verfassungspatriotismus. Jede Form der Personifizierung war unerwünscht, Emotionen in der Politik wurden und werden fast nur als Sinnbild von Populismus diskutiert.

All das ist mit Blick auf die deutsche und europäische Geschichte durchaus verständlich. Nach dem nationalsozialistischen Horror fühlten sich zunächst die verantwortlichen Politiker und nach und nach auch eine immer größere Zahl der Deutschen zu tiefster Rationalität verpflichtet. Nur so glaubte man ein für alle Mal sicherstellen zu können, dass »Auschwitz nie wieder sei«, wie es Theodor W. Adorno formuliert hat.

Lange überwog die Angst vor dem »Heldenkult«, wie es Bertrand Russell in seinem Aufsatz Die geistigen Väter des Faschismus nannte, alles andere. Immerhin hatte dieser uns einerseits in den Faschismus und andererseits in seinen Zwilling, den Kommunismus, geführt. Die Geschichte lehrt uns also: Wer zu sehr auf starke Führer setzt, stellt die Demokratie infrage.

Nun muss man solche Festlegungen allerdings im Kontext ihrer jeweiligen Zeit betrachten. Unter dem Eindruck zweier Weltkriege kann man jeden Menschen verstehen, der nach 1945 nichts mehr von großen Emotionen, von Heldinnen und Helden hören wollte. Doch muss man das heute, unter dem Eindruck der Ereignisse der letzten Jahre, noch genauso sehen?

Wir erleben trotz der ständig beschworenen Mäßigung ein Umsichgreifen des Gefühls, dass die Stimmung tatsächlich kippen könnte. Das hübsch aufgemachte Grundgesetz und das häufiger in Meinungsbeiträgen auftauchende Bekenntnis zum Verfassungspatriotismus sind in diesem Kontext kein Beweis dafür, dass es um die Verfassung unseres Landes besonders gut stünde. Nein, ganz im Gegenteil. Es handelt sich vielmehr um zwei Symptome einer äußerst unguten Entwicklung. In den Beschwörungen schwingt die Hoffnung mit, dass das Grundgesetz so etwas ist wie die Antwort »42« in Douglas Adams’ Roman Per Anhalter durch die Galaxis – die Antwort auf alle wichtigen Fragen. Doch genau wie die »42« im Roman niemanden wirklich weiterbringt, hilft uns unser Verfassungstext alleine nicht weiter.

Aus diesem Grund mischen sich in den zur Schau gestellten Verfassungspatriotismus zunehmend sorgenvolle Bezüge auf die Weimarer Republik. Bonn ist nicht Weimar lautete 1956 der plakative Titel eines Buches des Journalisten Fritz René Allemann, der über die Jahrzehnte zu einem häufig bemühten Bonmot wurde. Doch heute spüre ich in dieser Hinsicht eine beunruhigende Unsicherheit in weiten Teilen der Bevölkerung.

In der Vergangenheit war es genau dieses Gefühl der Verunsicherung, das die Menschen nach furchtlosen Führern rufen ließ, die ihnen Orientierung geben sollten. Es waren genau diese Momente, in denen neue Wege beschritten wurden, die häufig in den Abgrund führten.

Es sind aber auch genau diese Situationen, in denen Heldensagen ihren Anfang nehmen können. Nicht nur Populisten und Diktatoren sind geborene Krisengewinnler, sondern auch Heldenfiguren. Sie tauchen in ausweglosen Situationen auf, wenn die Gefahren groß, die Möglichkeiten gering und die Hoffnungen verloren scheinen. Dann wendet der Held alles zum Guten. Er stellt sich gegen den Tyrannen, die feindliche Übermacht oder die Lüge. Auch wenn er sich dabei opfert, hat er der guten Sache gedient, die weit über seinen Tod hinauswirkt.

Mangels Tyrannen und übermächtiger Feinde waren sich die großen Denkerinnen und Denker des bundesrepublikanischen Geisteslebens – Philosophinnen, Journalisten, wichtige Politikerinnen und Politiker – weitgehend einig, dass diese Art von Helden in Deutschland kein Mensch mehr braucht. Doch was, wenn die Alternative bedeutet, dass man den Populisten kampflos ein wichtiges Feld überlässt? Der Wunsch nach starken Persönlichkeiten, die vorangehen, ist derzeit so deutlich wie lange nicht zu spüren. Darauf braucht es eine demokratische Antwort.

Wie passt diese Beobachtung damit zusammen, dass so viele Menschen wie nie zuvor selbstbestimmt leben und ihre Arbeit auch dann erledigen, wenn ihnen kein Vorgesetzter auf die Finger schaut? Ist das nicht ein unauflösbarer Widerspruch? Auf den ersten Blick mag das so wirken. Allerdings hat der renommierte Führungsexperte Reinhard K. Sprenger bereits 2012 festgestellt, dass auch in Zeiten flacher Hierarchien und dicht geknüpfter Netzwerke Führung weiterhin unabdingbar bleibe. »Nach nichts sehnen sich die Menschen mehr als nach einer kraftvollen Führungsidee und einem Menschen, der sie verkörpert«, ist er überzeugt.

In den vergangenen Jahrzehnten war es die Stellung in der Hierarchie oder der Titel – Geschäftsführer, Pfarrer, Gewerkschaftsführer –, die zur Führung berechtigten. Heute sind es das Auftreten und die Rhetorik, die Fähigkeit, soziale Medien zu bespielen und die Menschen bei den Emotionen zu packen, die zu zählen scheinen. Das muss man nicht gut finden, aber man kann es auch nicht ignorieren.

Der zurückgenommene, wenig emotionale Verfassungspatriotismus ist das genaue Gegenteil dieser Vorstellung. Dessen bekanntestes Gesicht ist das der scheidenden Bundeskanzlerin. Oder wie der Soziologe Harald Welzer es in einem Beitrag für den Stern formuliert hat: »Ruhige Zeiten haben keine Helden, die haben Angela Merkel.«

Angela Merkel selbst würde Welzers Aussage sicher als Kompliment verstehen. Eine Politikerin an der Regierungsspitze zu haben, die gegen den Populismusvirus vollkommen immun zu sein scheint, kann wahrlich nicht jede westliche Demokratie von sich behaupten. Aber leben wir denn in ruhigen Zeiten?

Zu Beginn der Corona-Krise, um ein Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit zu bemühen, hätte man sich ein klareres Durchgreifen an der einen oder anderen Stelle gewünscht. Dass bis Anfang April 2020 Flüge aus dem Hochrisikogebiet Iran ohne weitergehende Kontrollen der Passagiere in Deutschland landen durften, ist nur ein Beispiel für die negativen Seiten von Merkels »ruhiger Hand«. So angenehm und nüchtern ihr Kommunikationsstil in Krisensituationen sein mag, so wenig angenehm ist die Zurückhaltung, wenn es um wichtige Entscheidungen geht.

Die prägenden Gesichter der Corona-Krise waren dann auch andere. Etwa die Ministerpräsidenten Markus Söder und Armin Laschet, die Virologen Drosten, Kekulé, Streeck und Brinkmann. Oder die vielen plötzlich zu Helden und Heldinnen erklärten Menschen an der Corona-Front, von Ärztinnen und Ärzten über das Pflegepersonal bis hin zu den tapferen Menschen an den Supermarktkassen. Schwierige Zeiten brauchen eben Menschen, die Lösungen anbieten und handeln, nicht Zögerer und Zauderer.

Während die Blazer der Kanzlerin seit 2005 höchstens ihre Farbe ändern, beginnen selbst Fans der Kanzlerin zu spüren, dass ihr Vorbild nicht ausreicht, die Menschen im Land immun gegen antidemokratische Einflüsse zu machen. Ganz im Gegenteil. Merkels kühle Art provoziert äußerst emotionale Gegenreaktionen, die bis tief hinein in die Mitte der Gesellschaft verfangen – und dabei Maß und Mitte längst verloren haben. Nichts scheint mehr undenkbar, nicht einmal Gewalt auf den Straßen.

Das Bild des reinigenden Gewitters, nach dem wieder alles glänzt und glitzert, wurde nicht nur heute, sondern bereits vor Beginn des Ersten Weltkriegs häufig gebraucht. Der Glaube daran greift sogar unter jenen Bürgerinnen und Bürgern um sich, die in einem solchen Prozess eine Menge zu verlieren hätten. Pure negative Emotion übertrumpft längst alle Rationalität. Doch woher kommt diese emotionale Explosion? Und warum bricht sie sich gerade jetzt Bahn?

Alexis de Tocqueville liefert dafür einen interessanten Erklärungsansatz. Er hatte bereits rund um die Französische Revolution im Jahr 1789 beobachtet, dass der stärkste revolutionäre Impuls gerade in den Gegenden zu spüren war, wo in den Jahren zuvor bereits die größten Schritte aus der Knechtschaft gelungen waren. Es scheint also kein Widerspruch zu sein, sich gegenüber einem vergleichsweise gut funktionierenden, aber natürlich auch nicht perfekten System besonders unduldsam zu zeigen. Der Philosoph Odo Marquard schrieb dazu: »Je mehr Negatives aus der Wirklichkeit verschwindet, desto ärgerlicher wird – gerade weil es sich vermindert – das Negative, das übrig bleibt.« Besser kann man es kaum formulieren.

Die liberale Demokratie hat sich zwar nach und nach gegen die konkurrierenden Systeme durchgesetzt. Der Niederlage der Monarchie folgten nacheinander die des Faschismus und des Kommunismus. Doch nun offenbart sich ein Problem, das anscheinend jedes Unternehmen, jeder erfolgreiche Sportler und jede Idee hat, die als überragend, einzigartig und erfolgreich wahrgenommen werden. Der Verdruss über die vermeintliche Alternativlosigkeit nimmt zu, der Ruf nach Veränderung wird laut. Selbst Ideen, deren Unzulänglichkeit sich bereits erwiesen hatte, wirken plötzlich wieder jung und interessant.

Als Nutznießer dieser Entwicklung hat sich in den letzten Jahren die Alternative für Deutschland (AfD) etabliert. Zwar bietet diese keine Lösungen für die Herausforderungen unserer Zeit. Das wurde spätestens in der Corona-Krise deutlich, als es wirklich um etwas ging. Auf einmal hörte und las man von der AfD und ihren Hausmedien kaum mehr etwas. Das lag allerdings nicht daran, dass diese ihre Arbeit eingestellt hätten. Es waren die Menschen, die die Botschaften zuvor noch massenhaft über die sozialen Medien multipliziert hatten, die plötzlich anderes zu tun hatten. Die staatstragenden Parteien und Medien dagegen erreichten plötzlich wieder eine Menge Menschen, die man schon auf Dauer verloren geglaubt hatte.

Man kann daraus schließen, dass populistische und radikale Parolen so etwas wie Partydrogen sind. Man holt sich damit den Kick am Wochenende, greift aber nicht darauf zurück, wenn man einen kühlen Kopf braucht. Doch diese Ernsthaftigkeit bleibt nicht für immer.

Sobald die Normalität Einzug gehalten hat, werden sich die Politikerinnen und Politiker vom rechten Rand wieder als Renegaten, als Widerständige, als Rebellen und Revolutionäre inszenieren und als Helden feiern lassen. Als Helden im Kampf für »deutsche Interessen«. Bei aller Abneigung gegen diese Inszenierung muss man zugeben, dass der Verfassungspatriotismus im Vergleich dazu ziemlich lahm wirkt.

Ein weiteres Instrument, das die Feinde der offenen Gesellschaft für sich entdeckt haben, ist die Emotionalisierung durch die Verknüpfung von politischen Botschaften mit bekannten Persönlichkeiten der deutschen Geschichte. So versuchen sie seit einiger Zeit durchaus mit einigem Erfolg die wenigen verbliebenen Vorbilder des kollektiven Gedächtnisses der Bundesrepublik umzudeuten. Identitäre tragen bei ihren provokanten Aktionen Stauffenberg-T-Shirts. Björn Höcke und Co. stecken sich die Weiße Rose der Geschwister Scholl ans Revers, während sie menschenfeindliche Parolen verkünden. Rechtsextreme Magazine erklären Holocaustleugner, Kriegsverbrecher und sogar Kleinkriminelle zu Freiheitskämpfern gegen eine vorgebliche Meinungsdiktatur. Bei Millionen Deutschen stoßen diese Erzählungen auf offene Ohren. »Unglücklich das Land, das die falschen Helden hat«, könnte man Brecht aus heutiger Perspektive korrigieren.

Der konservative schottische Historiker Thomas Carlyle war bereits im 19. Jahrhundert der Überzeugung: »Demokratie bedeutet die Hoffnungslosigkeit, Helden zu finden, die euch regieren könnten, und widerwilliges Abfinden mit ihrem Fehlen.« Müssen wir als Demokraten die Problematik also anerkennen und schulterzuckend akzeptieren, dass wir nichts tun können? Carlyle war zwar kein großer Freund der Demokratie, dafür ein umso größerer Freund autoritärer Staatsführer und kluger Feldherren. Das nimmt seinen Worten allerdings nicht automatisch die Wucht. Denn manchmal sind es gerade die Gegner einer Idee, die in der Lage sind, deren Schwächen am besten aufzudecken. Carlyles Beobachtung sollte daher als Arbeitsauftrag für unsere Zeit verstanden werden.

Die rechten Menschenfänger haben also etwas erkannt, was auch die Freunde des Verfassungspatriotismus akzeptieren müssen. Ein bisschen Grundgesetz, dazu ein wenig Einigkeit und Recht und Freiheit, gedruckt auf Papier und beschworen in Sonntagsreden – das ist vielen Menschen zu wenig. In einer Zeit, in der sich Umfragen zufolge bis zu 40 Prozent der Deutschen wieder autoritäre Alternativen zur Demokratie vorstellen können und eine rechtsradikale Partei Wahlerfolg nach Wahlerfolg feiert, braucht es emotionale demokratische Gegenentwürfe und Gesichter, die diese verkörpern.

Die gestellte Aufgabe ist selbstverständlich schwierig und komplex. Man muss Menschen suchen, die vorweggehen und begeistern können und sich gleichzeitig vor den negativen Seiten des Heldenkults in Acht nehmen. Die Debatte darüber steht derzeit noch am Anfang.

Mitten hinein in die Arbeit an diesem Buch bekamen die Heldinnen und Helden immerhin unerwartet viele Fürsprecher an prominenter Stelle. So forderte der französische Präsident Macron in einem Spiegel-Interview mehr »politisches Heldentum«. Außerdem erschien ein Buch mit dem Titel Warum Demokratien Helden brauchen, geschrieben von dem Philosophen Dieter Thomä. Zeit Campus machte ein Heft mit dem Titel Neue Helden und stellte dort 30 junge Menschen vor, »die Deutschland jetzt verändern«. Das dazugehörige Wochenblatt beschrieb außerdem über mehrere Seiten hinweg den Stoff, aus dem Helden sind. Der Stern brachte ebenfalls ein Sonderheft mit dem Titel Zeit für Helden auf den Markt. Und auf dem Höhepunkt der Corona-Pandemie trendete plötzlich #heroic bei Twitter. Die Reihe ließe sich fast beliebig fortsetzen.

Es mag paradox klingen, doch dass die liberale Demokratie sich zumindest in Teilen wieder neu erfinden muss, hat sie dem Siegeszug ihrer eigenen Prinzipien zu verdanken. Einer der Wesenskerne des Liberalismus ist der Individualismus, der sich inzwischen auf gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Ebene umfassend durchgesetzt hat. Aus Sicht der einzelnen Individuen ist das eine gute Nachricht. Sie gilt nicht nur für diejenigen, die früher nicht so recht in die vorgegebenen Schablonen passen wollten. Gesellschaftlich ergeben sich hingegen riesige neue Herausforderungen.

Die Institutionen, die zuvor viele Menschen unter ihrem Dach versammelt haben – Verbände, Kirchen, Gewerkschaften –, büßten in den letzten beiden Jahrzehnten ihre Schlagkraft fast vollständig ein. Die Menschen handeln freier als früher. Sie können unabhängigere, auch egoistischere Entscheidungen treffen und hinterfragen die Vorgaben, die ihnen gemacht werden, deutlich kritischer als früher. Deswegen muss man sie stets aufs Neue von einer Sache überzeugen.

Das kann anstrengend sein, wenn Zwang eben keine Option ist. Auf jeden Fall funktioniert es nicht über Artikel und Paragrafen, Gesetze und Grundsatzreden. Die Frage, wie es die liberale Demokratie schaffen kann, wieder Emotionen zu wecken und zu begeistern, ohne auf eine kollektivistische oder nationalistische Karte zu setzen, steht also wie der sprichwörtliche Elefant mitten im Raum. Nicht nur in Deutschland, sondern weltweit.

Eine Instanz, die mit dieser Herausforderung seit Langem zu kämpfen hat, ist die Europäische Union. Der ehemalige EU-Kommissionspräsident Jacques Delors, der dafür stritt, aus der EU mehr zu machen als nur einen losen wirtschaftlichen Zusammenschluss, erkannte das Problem der fehlenden emotionalen Bindung und der weitgehenden Gesichtslosigkeit der europäischen Idee bereits in den 1980er-Jahren. »Niemand verliebt sich in einen Binnenmarkt«, fasste er damals seine Bedenken in Worte. Er sollte recht behalten.

Die einzigen europäischen Programme, die wirklich positive Emotionen wecken, sind das studentische Austauschprogramm Erasmus und Interrail als europaweit gültige Zugfahrkarte für junge Menschen. Dabei sind es nicht die schnöden Regeln und Regularien oder die finanzielle Unterstützung, die für eine positive Wahrnehmung sorgen, sondern die persönlichen Begegnungen während der Auslandsreisen. In Menschen kann man sich eben durchaus verlieben.

Auch die politischen Erfolgsgeschichten der letzten Jahre sind weniger Geschichten von Ideen als von Persönlichkeiten. Das gilt weltweit. Die Beobachtung gilt unabhängig davon, ob man die Anliegen dieser Menschen inhaltlich unterstützt oder ablehnt. Barack Obama und Donald Trump in den Vereinigten Staaten, Jair Bolsonaro und zuvor Lula in Brasilien, Emmanuel Macron oder Nicolas Sarkozy in Frankreich, um nur ein paar der bekanntesten zu nennen, waren oder sind Persönlichkeiten, die wie selbstverständlich Menschen in Bewegung setzen können.

In Deutschland hingegen war die Sache mit der Spitzenpolitik und der Emotion in der Vergangenheit eine eher komplizierte Angelegenheit. Der Letzte, der durch, je nach Einstellung, »Charisma« oder »Populismus« Erfolge verbuchen konnte, war Ende der 1990er-Jahre Bundeskanzler Gerhard Schröder. Im Duett mit seinem Vizekanzler, Außenminister Joschka Fischer, hatte er immer wieder für hitzige Debatten gesorgt. Man kann den beiden nicht vorwerfen, dass sie in ihrer Regierungszeit nicht die Volksseele bewegt hätten. Doch vor allem Schröder überdrehte am Ende und musste sich Angela Merkels emotionslosem Pragmatismus geschlagen geben.

Auch andere Versuche der Emotionalisierung endeten für die Protagonisten oft mit einer Bauchlandung, wie etwa im Falle des FDP-Parteivorsitzenden Guido Westerwelle. Dieser schaffte es 2002 zwar, eine riesige Euphorie zu entfachen, scheiterte aber vor der Wahl am Umgang mit der harten Realität. Weder beim Antisemitismusstreit rund um Jürgen Möllemann noch beim verheerenden Oderhochwasser von 2003 konnte er eine gute Figur machen. Es folgte um 2010 herum das Phänomen Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU), der damals als große Kanzlerhoffnung der Union von Teilen der Bevölkerung gefeiert wurde wie ein Popstar. Er schwebte allerdings nur so lange über den Niederungen der Politik, bis er an Verfehlungen rund um seine Doktorarbeit scheiterte.

Die vorläufig letzte Euphoriewelle spülte den frisch zum SPD-Kanzlerkandidaten gekürten Martin Schulz 2016 zunächst in den Umfragen fast an Angela Merkel vorbei, riss den »Schulz-Zug« dann aber im Jahr 2017 mit dem schlechtesten SPD-Wahlergebnis aller Zeiten aus der Spur. Schulz hatte es nicht geschafft, den hohen Erwartungen der Wähler auch nur im Ansatz gerecht zu werden.

Diese Geschichten des Scheiterns sollte man nicht als Ausdruck einer Art deutschen Naturgesetzes sehen. Es scheint eher so, als ob der größte Teil des politischen Personals in diesem Land schlicht nicht mehr auf Situationen vorbereitet ist, in denen wirklich etwas bewegt werden kann (oder muss). Die allermeiste Zeit verbringen Politikerinnen und Politiker nicht mit den großen Zukunftsfragen, sondern eher mit dem Management des Status quo. Das alleine ist noch kein Vorwurf – es hat ja auch sein Gutes, wenn derzeit nicht über Krieg und Frieden oder die Stationierung von Atomraketen auf deutschem Boden diskutiert werden muss. Aber vielleicht verlieren manche Volksvertreter die nötige Ernsthaftigkeit und verstricken sich in unnötige Nebenkriegsschauplätze und Spielchen.

Nehmen wir nur Thomas Kemmerich, den thüringischen Kurzzeit-Ministerpräsidenten aus den Reihen der FDP als Beispiel. Nicht nur, dass er mit seiner Kandidatur glaubte, einen PR-Coup landen zu können – und dabei vom AfD-Strategen Björn Höcke klassisch ausgekontert wurde. Er war schlicht nicht in der Lage, in einem Moment der emotionalen Zuspitzung den Ernst der Lage zu erkennen und eine kluge Entscheidung zu treffen. Stellen wir uns nur vor, Kemmerich hätte auf die Wahl durch AfD-Stimmen nicht mit Trotz und ohne Plan reagiert. Stellen wir uns vor, er hätte Höcke den Handschlag verweigert und als erste Amtshandlung in seiner Antrittsrede dem Landtag ein Sofortprogramm für den Kampf gegen Rechtsextremismus vorgelegt. Der AfD wäre die politische Handgranate, die sie Kemmerich unter den Sessel gelegt hatte, in der eigenen Hand explodiert. Er wäre Handelnder gewesen, nicht Spielball eines zynischen Manövers. So aber geht er als tragische Figur in die Geschichte ein, die ihre Chance nach allen Regeln der Kunst vertan hat.

Davon zu reden, große Dinge zu tun, ist einfach. Den Worten im entscheidenden Moment Taten folgen zu lassen, bleibt offensichtlich wenigen großen Persönlichkeiten vorbehalten. In genau diese Kerbe hieb auch Giovanni di Lorenzo, Chefredakteur der Zeit, als er auf der Titelseite seiner Wochenzeitung unter dem Titel Himmelsgeschenk fragte: »Warum fehlt es den Kandidaten der alten Volksparteien an jener Ausstrahlung, die Menschen erst mobilisiert?« Eine Antwort lieferte er selbst nicht, aber durchaus weitere Beispiele, die das Dilemma greifbar machen. Mit Blick auf den Prozess zur Wahl eines SPD-Parteivorsitzenden-Duos fragte er etwa, wie von Politikern ein Funke überspringen solle, von denen bei einer 23-teiligen Castingshow um den SPD-Vorsitz nicht ein einziger Satz aufgefallen, geschweige denn haften geblieben sei. Ja, wie eigentlich?

Die weitgehend geräuschlose Organisation des politischen Alltagsbetriebs gelingt häufig recht zuverlässig. Mit den Diskussionen rund um bürokratische Ungetüme mit unaussprechlichen Namen oder Fragen rund um Hartz-Gesetze oder Mindestlohn schafft man es allerdings nicht, irgendjemanden zu begeistern. Es scheint ein Puzzleteil zu fehlen. Vielleicht nur ein kleines. Wir alle wissen: Fehlt nur ein Teil des Puzzles, wird es niemals komplett sein. Und ein unfertiges Puzzle kann zu einer großen Unzufriedenheit führen.

»Wer nur an den Verstand appelliert, erreicht die Herzen der Menschen nicht«, beschrieb di Lorenzo dieses fehlende Puzzleteil in einem weiteren Zeit-Artikel mit dem Titel Auf in den Nahkampf. Er hat recht. Es fehlen Visionen, die mitreißen, und Politikerinnen und Politiker (aber nicht nur), die diese entwickeln. Doch die darin versteckte Aufgabe ist nicht so einfach zu lösen. Das ließen die Antworten auf di Lorenzos Artikel erahnen, die man eine Woche später im Leserbriefbereich der Zeit in Teilen nachlesen konnte. Einer der Leser stellte erschrocken fest, es läge wohl der Wunsch nach einem Führer in der Luft, und warnte: »Charisma kann auch das Böse haben.« Dagegen schrieb ein anderer: »Giovanni di Lorenzo spricht mir aus dem Herzen.« Allerdings nicht ohne nachzuschieben, an wen er denkt, wenn es um Charisma in der Politik geht: »Wo sind heute Politiker wie Helmut Schmidt, Willy Brandt, Franz Josef Strauß und Hans-Dietrich Genscher geblieben?« Eine Leserin sah das Problem nicht in den Persönlichkeiten, sondern im Geld- und Gesellschaftssystem. Ein weiterer Leser vermutete in Richtung des Zeit-Chefredakteurs: »Wenn man Ihnen so jemanden heute real präsentieren würde, würden Sie selber schnell dafür sorgen, jeden kleinsten aufkeimenden Mythos sofort kleinzureden, zu zerstören.«

Viele Deutsche wollen also offenbar nicht ohne Lichtgestalten auskommen, sind sich aber überaus uneins in der Frage, wie viel Lichtgestalt überhaupt sein darf und wie diese genau auszusehen hat. Der typische Impuls mag verständlich sein, damit den härtesten Durchgreifer zu assoziieren, den »Lautsprecher«. (Hier ist die Wahl der männlichen Form tatsächlich einmal genau so gemeint.) Doch man muss das nicht akzeptieren, als sei es ein Naturgesetz.

Blicken wir zurück auf den Anfang der Corona-Pandemie. Sowohl innerhalb der politischen Klasse als auch in der Wissenschaft kristallisierten sich schnell Persönlichkeiten heraus, die die Debatte prägten. In der Politik waren das die Ministerpräsidenten von Bayern und Nordrhein-Westfalen, Markus Söder und Armin Laschet, auf wissenschaftlicher Ebene die beiden Virologen Christian Drosten und Alexander Kekulé. Während Söder und Kekulé eher für eine Linie harten Durchgreifens standen, waren Laschet und Drosten die Gesichter der Fraktion, die vor allzu radikalen Maßnahmen warnten. Letztlich taten die vier Herren nichts anderes, als in einer wichtigen Debatte unter großer Unsicherheit zwei legitimen Denkschulen Gesichter zu geben. Beide »Lager« konnten Anhänger für ihre Herangehensweise gewinnen. Ohne dass sich einer der Protagonisten schriller Töne hätte bedienen müssen. Die gab es zwar an anderer Stelle, sie verhallten aber weitgehend ungehört.

Menschen sehnen sich also nach starken Persönlichkeiten, hinter denen sie sich im Sinne der gemeinsamen Sache versammeln können. Selbst dann, wenn diese nicht perfekt sind. Eine starke deutsche Demokratie braucht Leitfiguren, die unter schwierigen Bedingungen und bei Gegenwind Kurs halten, Orientierung geben und bereit sind, etwas zu riskieren. Diese demokratischen Heldinnen und Helden müssen all das mit Leben erfüllen, was das moderne Deutschland als freiheitliches Land mitten in Europa ausmacht. Starke Männer, wie man sie aus der Geschichte (und in vielen Ländern rund um den Globus leider auch aus der Gegenwart) kennt, sind allerdings nicht die Antwort auf diese Herausforderung.

Geschichten und Vorbilder aus der Vergangenheit, an denen man sich orientieren kann, gibt es trotzdem genug. Etwa aus der Zeit der Hexenverbrennung oder der Bauernkriege, aus der Kaiserzeit oder der Weimarer Republik, aus dem Nationalsozialismus, der DDR und der Bundesrepublik. Unter ihnen sind bekannte Menschen, aber auch viele weithin unbekannte. Zu ihnen gehören Retterinnen und Märtyrerinnen, Publizisten und Juristen, Frauenrechtlerinnen und Kämpfer gegen die Verfolgung Homosexueller. Es waren Politikerinnen und Journalisten, die den Lauf der Welt geprägt oder sich dem vermeintlich Unvermeidbaren entgegengestellt haben. Und sie waren Pazifisten und Christen, Juden, Muslime und Atheisten, Menschen mit Behinderung, Soldatinnen und Zivilisten. Sie haben Widerstände überwinden müssen, um Gutes zu bewirken. Manche von ihnen waren erfolgreich, bei anderen blieb es bei dem Versuch.

Nicht selten riskierten diese Menschen viel – bis hin zu ihrem Leben. Wofür sie es taten? Für den Traum von einem Land, in dem die Menschen so leben können wie wir heute in Deutschland. Nun ist es an uns, eine Antwort auf die Frage zu finden, wer in Zukunft vorangehen soll. Die Suche nach meiner ganz persönlichen Antwort beschreiben die nachfolgenden Seiten.

Dieses Buch ist ein Debattenbuch. Ich greife in diesem Impulse auf, die derzeit Gegenstand der Diskussion sind, versuche sie einzuordnen und weiterzuentwickeln. Erkenntnisse aus Artikeln, Büchern, Podcasts oder TV-Dokumentationen stützen mich bei dieser Arbeit. Vor allem jedoch meine Erfahrungen aus persönlichen Begegnungen und zahllosen Gesprächen.

Ich habe seit 2014 rund 250 Veranstaltungen zur Demokratiebildung im In- und Ausland organisiert oder moderiert, war Vortragender, Workshopleiter oder Diskussionsteilnehmer. Schwerpunkte waren Strategien der Neuen Rechten und der Umgang damit, der NSU-Komplex, das Phänomen Reichsbürger und der Antisemitismus. Da kommen eine Menge persönlicher Begegnungen quer durchs Land und darüber hinaus zusammen.

Es stand nicht von Anfang an fest, was am Ende dieser Arbeit herauskommen würde. Seit ich mit meinem Projekt begonnen habe, sind einige Jahre ins Land gegangen. Anfänglich gab es nicht viel mehr als ein Bauchgefühl und die These, dass der Verfassungspatriotismus ohne eine Bindung an herausragende Persönlichkeiten und deren Handeln nicht mehr ausreichend ist. Alles Weitere hat sich entlang des Recherche- und Schreibprozesses entwickelt.

Mir ist bewusst, dass ich mich mit vielen meiner Positionen in einer Zeit zwischen die Stühle setze, in der die öffentliche Debatte zunehmend bipolar geführt wird. Schwarz oder weiß. Wer nicht für mich ist, ist gegen mich. Das ist nicht meine Welt.

Ebenso ist mir klar, dass es Menschen geben wird, die versuchen werden, das gesamte Projekt zu delegitimieren und zu desavouieren. Das sind genau die Menschen, derentwegen ich dieses Buch unbedingt schreiben wollte. Es sind aber nicht die Menschen, für die ich dieses Buch geschrieben habe. Von Ersteren – den Populisten und Demokratieverächtern – erwarte ich nichts. Von Letzteren – den Demokraten aller Farben – erhoffe ich mir eine lebhafte Debatte.

Alte Helden, neue Heldinnen und
falsche Vorbilder