Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, August 2017
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ISBN Printausgabe 978-3-499-29013-8 (Taschenbuch, 1. Auflage 2018)
ISBN E-Book 978-3-644-00027-8
www.rowohlt.de
ISBN 978-3-644-00027-8
Für Hysteria
10.7.2015 Ich hab meinen vierten Jahrestag im Callcenter ganz vergessen!
Einen vierten Strich
in den Arm ritzen.
10.7.2015 «Rufnummernauskunft, Stefanie Fröhlich, was kann ich für Sie tun?»
«Ich hätte gern eine Nummer, also Falkel, ich meine Johann Hölzl in Niederösterreich.»
«Ein Privateintrag?»
«Ja.»
«Wo in Niederösterreich?»
«Weiß ich nicht genau.»
«O.k., es gibt nämlich viele Einträge mit dem Namen, und WAS war noch mal der Name, den Sie dazugesagt haben?» (Ich habe eine Vermutung, möchte aber nicht glauben, dass ich richtig gehört habe. Sie klingt so normal.)
«Davor? Falco.»
«FALCO??»
«Ja, Falco, der Popstar.»
«Also, Falco ist in den 90ern gestorben.»
«Ach so, danke. Wiederhören.»
9.7.2015 Theoretisch könnte ich, glaube ich, aufhören mit dem Callcenter.
Halt genauso bescheiden leben wie davor, nur ohne Callcenter.
Aber ich bin wie Toby Radloff aus American Splendor.
Ich will meine Struktur nicht aufgeben wegen einer MTV-Karriere.
10.7.2015 Das Erste, worüber mir Witzmann berichtet, nachdem wir uns längere Zeit nicht gesehen haben, ist die Beschaffenheit seines Stuhls.
Es gibt die Bezeichnungen «Bolognese» (auch: «die Soße»), «das Gesprühte» (auch: «der Sprühschiss», «die Explosion») den «nicht endenden Haufen», das «Kuhartige» oder auch (sehr selten) «die Kompaktwurst».
10.7.2015 Alles, was hier geschrieben steht, ist fiktiv.
In Wirklichkeit heiße ich Lara Schmitz
und arbeite in der Grafikabteilung
einer NGO.
10.7.2015 Wenn ich genug Geld verdient habe, ziehe ich in den Wald und eröffne eine kleine Lebensberatungspraxis.
11.7.2015 Erfolg ist so billig.
11.7.2015 Je bekannter ich werde, desto linker muss ich mich stellen.
11.7.2015 Witzmann ist meine Muse.
11.7.2015 Witzmann hört es nicht gerne, wenn ich ihn als meine Muse bezeichne.
11.7.2015 Man merkt sofort, wenn KünstlerInnen aus KünstlerInnenfamilien kommen. Ihnen fehlt einfach dieser Rechtfertigungsantrieb, dieses Schuldgefühl gegenüber Menschen mit richtiger Arbeit.
11.7.2015 Impulsgesteuert taumle ich durch die Welt.
11.7.2015 Die Junkies in der U-Bahn wissen genau, was als Nächstes zu tun ist. Ich schau ihnen gerne zu, wie sie durch die Stadt jagen, immer ein Ziel vor Augen, wie vom Hunger gehetzte Tiere.
11.7.2015 Witzmann sagt, seine Lieblingstiere sind der Hai und die Biene.
13.7.2015 Die Leute, die bei der Rufnummernauskunft anrufen, haben die Nummer ausm Teletext.
13.7.2015 «Rufnummernauskunft, Stefanie Fröhlich, was kann ich für Sie tun?»
«Hallo, ich bin ein Schulkind, und wir haben heute in Biologie über Sex gelernt. Können Sie mir da Genaueres erklären?»
13.7.2015 Ich check nicht, wie die Welt funktioniert.
13.7.2015 Ich bin heute zu sensibel für die Welt.
Nasenbussi, weiche Decke. Kakao, Kakao.
13.7.2015 Will 1 Kamill’nteebeutel sein
im heißen Wasser treiben
für Menschen, denen schlecht is
für Menschen, die sich anspeiben
13.7.2015 Gute Menschen mögen kühles Wetter.
Schlechte Menschen mögen heißes Wetter, weil sie aus der Hölle kommen und Reinkarnationen des Teufels sind.
13.7.2015 Wenn ich traurig bin, esse ich einfach ganz viele Sachen.
13.7.2015 «Rufnummernauskunft, Stefanie Fröhlich, was kann ich für Sie tun?»
«Guten Tag, wissen Sie, wer vor Horst Seehofer deutscher Bundeskanzler war?»
13.7.2015 Vielleicht mach ich ein Asianudel-Geschäft auf.
13.7.2015 Diese Wirtschaftsnazis strahlen immer so eine Sicherheit aus. Wie Kühlschränke voller Wurst. Die Linken schauen eher so aus, als wäre im Kühlschrank nur alter Wein, der korkt, eine fast leere Dose Kapern und vielleicht ein vergessener Analogfilm vom FKK-Urlaub in den 80ern.
15.7.2015 Mir is schlecht vom Superfood.
15.7.2015 Warum wollen Menschen Karriere machen? Ist ihnen langweilig in der Freizeit?
15.7.2015 Ich: «Ich mag es, normale Sachen mit dir zu machen wie ins 3D-Kino gehen, Dinosaurierfilm schaun, Popcorn essen, Cola trinken.»
Witzmann: «Ja, beim Jurassic-Park-Schauen wirken wir echt fast wie normale Menschen.»
15.7.2015 Witzmann schlichtet hektisch in der Wohnung herum und sagt, man muss die Wände mit Bücher- und Plattenregalen polstern, weil die Wohnung eine Festung ist, gegen die Außenwelt. Ich nicke und lerne. Wenn er fertig ist, holt er zwei Löffel, schaltet den Motorsportkanal ein, bittet mich zu sich auf die Couch, öffnet die 7-Liter-Speiseeisbox, und wir essen Eis. Manchmal gehen wir auch raus in ein Restaurant, aber nur wenn sich keine anderen Menschen darin befinden, oder wir gehen in den Pötzleinsdorfer Schlosspark und setzen uns auf die Wiese vor dem Ziegengehege. Wir sitzen einfach da, ein, zwei Stunden und schauen uns schweigend die Ziegen an, weil Witzmann sagt:
«Die Ziegen beruhigen uns.»
15.7.2015 Gibt es eigentlich die Möglichkeit, im Mutterleib zu bleiben, jedes Jahr nur ein paar Millimeter zu wachsen und dabei – versorgt mit mütterlicher Nahrung – einfach für immer drinzubleiben? Gibt’s das?
15.7.2015 Witzmann bucht unsere Urlaube im Reisebüro.
16.7.2015 Im Fernsehen reden seit 50 Jahren miteinander verheiratete Paare über ihre Beziehungen. Die Frauen erklären, warum sie sich verliebt haben. «Es war eindeutig die Optik, ein rassiger Typ mit schwarzem Haar.» – «Er kam im Schwimmbad auf mich zu mit dieser Topfigur, und ich dachte mir, den muss ich haben.» – Sie sagen auch, das Geheimnis ihrer erfolgreichen Ehe ist: «Freundschaft und Abhängigkeit, wirtschaftliche Verbindlichkeiten.»
16.7.2015 Ich bin ein Hippie, gefangen im Körper eines Hipsters.
16.7.2015 Bis auf die täglichen Suizidgedanken bin ich ein sehr glücklicher Mensch.
16.7.2015 Es ist so still hier in meiner kleinen Wohnung.
17.7.2015 Habe ein Gedicht geschrieben:
Schlaganfall Vorzeichen
Leberzirrhose Anzeichen
Lungenkrebs Symptome
Thrombose Früherkennung
17.7.2015 Vielleicht zwinge ich Witzmann, sich zu verschleiern.
17.7.2015 Ich mag den Geruch in der Nacht.
17.7.2015 Im neuen Terminator wehren sie sich gegen eine diabolische App, die die Welt zerstört, indem sie alles klitzeklein schlagen, sich gegenseitig ins Maul treten und alles anzünden. Sie verprügeln das ganze Internet.
18.7.2015 Witzmann lächelt.
Ich: «Bist du glücklich?»
Witzmann lächelt: «Ich war noch nie glücklich.»
Ich: «Nie?»
Witzmann: «Nein, deshalb weiß ich gar nicht, wie sich glücklich sein anfühlen soll. Na ja … Ich hatte schon auch meine glücklichen Momente.»
Ich: «Wann zum Beispiel?»
Witzmann: «Als Lewis Hamilton 2014 in Abu Dhabi Weltmeister wurde.»
18.7.2015 Witzmann: «Wann warst du mal glücklich?»
Ich: «Ich bin immer glücklich, wenn du für mich tanzt.»
18.7.2015 Tauben sitzen nicht auf Bäumen, weil sie die Natur hassen.
18.7.2015 Man tippt erschöpft ein paar Buchstaben, weil man sich doch ausdrücken will, weil man die Aufmerksamkeit mag, dann sackt man wieder zusammen für ein paar Stunden.
18.7.2015 Ich friere neben der Büroklimaanlage.
18.7.2015 Manchmal trinke ich aus Versehen sieben Tage keinen Alkohol. Aber am achten Tag kommt pünktlich der Druck.
18.7.2015 Ich habe in vier Jahren Callcenter noch nie gefunden, dass jemand «sympathisch klingt».
18.7.2015 Ich geh nicht mehr so gern in die Einhornbar, seit ich dort Lokalverbot hab.
18.7.2015 Schau, wir kommen aus zwei verschiedenen Welten, und meine is halt cool und deine whack.
19.7.2015 Ich dachte immer, Schriftsteller wären eher introvertierte Schüchtis, verschlossen, vergrübelt, still. Aber die, die ich bis jetzt kennengelernt hab, sind eigentlich arge Quasselstrippen. Das ist ja auch logischer, dass Menschen, die mit Sprache arbeiten und seitenweise erzählen, auch gerne sprechen und gerne erzählen.
19.7.2015 Sie wolln mich in die Reha stecken, aber ich sag na na naaa.
19.7.2015 Ich bin eine sehr leidenschaftliche Frau.
19.7.2015 Der Satz «Ich bin eine sehr leidenschaftliche Frau» klingt automatisch, als wäre man alt, müde, dick und besoffen von Rotwein.
19.7.2015 Witzmann will jetzt Vegetarier werden. Aber weniger so alternativer Öko-Vegetarier, mehr so Hitler-Vegetarier.
20.7.2015 Wenn niemand bei dir ist
Du denkst, dass keiner dich sucht
Du hast die Reise ins Jenseits
vielleicht schon gebucht
wenn dein kaltes Bett
dich nicht schlafen lässt
halt dich an meinen Büchern fest.
21.7.2015 In der Straßenbahnlinie 6 sind kleine Kinder aller Ethnien wie auf den Weltfriedenillustrationen, wo sie um den Planeten Händchen halten, mit dem Unterschied, dass der Planet das Ghetto ist, und statt Händchen halten sie Energydrinks.
21.7.2015 Die Erwachsenen machen uns Kindern die Welt kaputt mit ihrer Politik.
21.7.2015 Ich hab im Zielpunkt eine Skulptur aus den Nudelpackungen geschaffen.
21.7.2015 «Rufnummernauskunft, was kann ich für Sie tun?»
«Ich brauch den Konsumentenschutz.»
«Ja, welchen? Den in Wien?»
«Na ja, Sie sind ja die Auskunft!»
21.7.2015 Ein Margaretengürteljunkie zum anderen: «Herst, i foa sicha ned ohne Tschick ins Spitoi!»
22.7.2015 Ich: «Der Raiffeisen-Bankomat im Supermarkt hat grad meine Karte eingezogen. Dort stand Automat defekt, dann hat er meine Karte eingezogen, und jetzt ist er wieder ohne Fehlermeldung in Betrieb.»
Callcenter: «Da müssen Sie zu Ihrem Berater.»
Ich: «Zu welchem Berater?»
Callcenter: «Zu Ihrem Bankberater.»
Ich: «Ich bin aber kein Kunde Ihrer Bank. Ich habe nur den Bankomaten benützt.»
Callcenter (genervt): «GEHEN SIE BITTE ZU IHREM BERATER!»
Ich: «Welcher Berater? Wie bekomme ich denn die Karte wieder?»
Callcenter (genervt): «Jaja, ich leite das weiter.»
Ich: «Ohne dass Sie wissen, von welchem Bankomat genau ich spreche? Sie sind sehr unfreundlich zu mir …»
Callcentermitarbeiter sind echt das Letzte.
22.7.2015 Witzmann: «Wenn man aufs Klo geht, nachdem du gacken warst, kann man deine ganzen Erfahrungen riechen. Man riecht, dass du schon sehr lebenserfahren bist.»
23.7.2015 Ich brauch jemanden, der meine Phantasiewelt übersetzt in die Welt der Exceltabellen, der Ringmappen und der Locher. Der mich anbindet an einen Bürostuhl, damit ich nicht wegfliege ins Weltall.
23.7.2015 «Rufnummernauskunft, Stefanie Fröhlich, was kann ich für Sie tun?»
«Ja, guten Tag. Also meine Tochter hat einen Golden Retriever. Den hat sie schon ihr halbes Leben, und jetzt geht’s halt dem Ende zu. Wo kann ich den einschläfern lassen?»
23.7.2015 Witzmann und ich machen einen dreitägigen Salzburgurlaub, um der Hitze zu entfliehen. Der Wetterbericht verspricht Regen. Der Plan ist, in einer billigen Pension zu sitzen, bei offenem Fenster dem Unwetter zuzuschaun und Chips zu essen.
23.7.2015 Teenagerkind: «Hey, wir wollen dich ficken!»
Ich: «Wie bitte? Was is los mit dir?»
Teenager greift sich am Schwanz und wackelt mit den Hüften.
Ich gehe langsam zum Käfig, öffne die Tür und stelle mich knapp vor ihn, habe Kabeln. «Was hast du gesagt? Spinnst du? Entschuldige dich sofort!»
Teenie: «Schleich dich!»
Ich (lauter): «Was is los mit dir? Hast du keinen Respekt vor Frauen? Soll ich zu deinen Eltern gehen? Ich wart hier und schau, wo du wohnst!»
Teenie: «Tschüs, Depperte!»
Ich (lauter): «Du zeigst jetzt Respekt vor Frauen! Entschuldig dich! Ich ruf die Polizei.» (What?)
Er: «Haha, ja, ja, Polizei, schleich dich, du Fotze.»
Ich (out of control): «ICH HOL JETZT MEINEN FREUND AUSM BAU! DER WOHNT DA OBEN, UND DER BRICHT DIR DIE BEINE, DU KLEINES ARSCHLOCH! DU ZEIGST GEFÄLLIGST RESPEKT VOR FRAUEN! ICH HOL DEN JETZT, UND DER HAUT DIR IN DIE PAPPN, BIS DU BLUTEST!»
Teenie: «’tschuldigung.»
Ich: «O.k., o.k.»
Seine Freunde: «Wir haben aber nix gemacht! Das war nur er!»
Ich: «Jaja, ihr eh nicht.»
Die Freunde: «Bitte holen Sie niemanden. Entschuldige dich noch mal.»
Teenie weinend: «Entschuldigung, Entschuldigung.»
Ich: «Jaja, ich hol eh niemanden. Spielt einfach weiter. Baba.»
23.7.2015 Witzmann: «Der beste Urlaub ist, find ich: im Hotelzimmer liegen und fernschaun.»
24.7.2015 Ich war nie ein besonderer Tierfreund, aber der Ausflug zu diesem Salzburger Gnadenhof Gut Aiderbichl, auf dem von Schlachthöfen und aus Tierfabriken gerettete Tiere Zuflucht finden, ist wie Gehirnwäsche. Dort sind Esel, Kühe, alte Pferde; Hängebauchschweine spazieren gemütlich an einem vorbei. Hunde, Katzen, Schweine mit Biographie. Ich stehe zu Tränen gerührt zwischen einem Pony und einem einäugigen Esel und lese die Geschichte über «Resi», die Kuh. Sie ist zusammen mit ihren Kuhfreundinnen von einem Tiertransporter geflüchtet und war drei Wochen auf der Flucht, bis man sie gefunden hat.
24.7.2015 Nach ein paar Stunden bin ich wieder ein bisschen runtergekommen. Wir haben Hunger bekommen und sind in das vegane Selbstbedienungsrestaurant eingekehrt. Alles dort ist voller Fliegen, und es ist heiß. Wir essen schwitzend Spaghetti und haben den Geruch alter Esel in der Nase, die wir vorhin noch so niedlich fanden, als sie ihre feuchten Mäuler in unsere Richtung streckten. Und wir betrachten die Fliege, die auf unserer veganen Bolognese sitzt, und sie schaut der, die man vorher auf dem verschlammten Arsch des schlafenden Warzenschweins «Lieselotte» gesehen hat, verdächtig ähnlich. Es ist so schwül, und man denkt zurück an den Pferdenieser, der einen vorher auf dem Arm erwischt hat, und die blinde Kuh mit den verkrusteten Augen und fragt sich, welche Krankheiten die vielen lieben Tiere eigentlich haben, die man eifrig gestreichelt hat, weil es einen plötzlich überall juckt.
24.7.2015 Witzmann nach Besuch des Gnadenhofs: «Wir dürfen nie wieder Fleisch essen. Nie wieder.»
(Zwei Stunden später im Billa.)
«Mh, schau, Prosciutto im Angebot. Jamm.»
24.7.2015 Ein Gnadenhof voller traumatisierter und behinderter Tiere, die gehegt werden und die man streicheln darf, ist eigentlich das bessere Konzept als ein Zoo.
25.7.2015 Witzmann: «Ich hab Heimweh.»
25.7.2015 Darf man den Notfallhammer im Zug eigentlich auch dazu benutzen, den andern Fahrgästen den Schädel einzuschlagen?
25.7.2015 Die Tiere haben uns gutgetan, das Schweinestreicheln, die Ponys, die Esel und das Baden im See und die Enten.
25.7.2015 Die FPÖ Amstetten ist gegen die Subventionierung von Frauenhäusern, da diese Ehen zerstören und Familien zerrütten. In Amstetten hätte man doch wohl bessere Methoden, um Konflikte zu überdauern und den Zusammenhalt von Familien zu stärken. Z.B. geförderter Kellerausbau etc.
25.7.2015 Vielleicht habe ich gar keine sozialen Ängste. Vielleicht sind die meisten Menschen einfach anstrengend.
25.7.2015 Ich bin zu einer Künstlerinnenparty eingeladen. Ich weiß gar nicht mehr, wie Künstlerinnenpartys gehen, seit ich im Wald lebe.
26.7.2015 Ich mag das, wie sie in meinem Kebabgeschäft an den Tagen kein Falafel haben, an denen der Typ arbeitet, der einfach zu faul ist, die Fritteuse im Hinterraum anzustellen. Er sagt dann einfach: «Falafel haben wir nicht, hatten wir nie!»
26.7.2015 Was ist die richtige Übersetzung von Foodie? Essi oder Speisi?
26.7.2015 Mama: «Nimmst dein Haberer net amoi mit?»
Ich: «Der mag keine Leute, der ist ein bisschen eigen …»
Mama: «Aso und wüst da kan Normalen suachn?»
Ich: «Nein!»
26.7.2015 Es ist so nett, dass das Pflegepersonal von sehr alten Menschen die Personen immer SELBER hier bei der Rufnummernauskunft anrufen lässt. Auch wenn sie überhaupt nicht mehr verständlich sprechen können, lassen sie sie selber anrufen, wegen der Autonomie. Sie schreiben dann lediglich die Nummer mit, nachdem man «VOISOMI» endlich als «Vogelsang, Michael» identifizieren konnte. Also sie schreiben die Nummer auf, die die Person, die nicht mehr richtig sprechen kann, ansagt. Ich sage also der sehr alten Person «VIER ACHT». Ich höre die sehr alte Person zu ihrer Pflegerin «UAH EB» sagen, und ich höre dann im Hintergrund das Pflegepersonal «SIEBEN DREI» wiederholen, während sie es notieren. Es ist wirklich nett von ihnen. Aber es macht keinen Sinn.
26.7.2015 Heute waren Witzmann und ich in der neuen, hippen Espressobar bei ihm ums Eck frühstücken. Kultivierte, bürgerliche Kosmopoliten möchten sich nämlich einerseits von den Ungebildeten und den Groben distinguieren, andererseits eröffnen sie Espressoshop, die sie im Look eines kleinen ärmlichen sizilianischen Ladens fliesen lassen. Sie kaufen extra alte italienische Waschmittelpackungen, als würden sie diese an Hausfrauen verkaufen, die aber nur Dekor hinter der hübschen Kunststudentenbarista sind, damit der schöngeistige Genussmensch von wäschewaschenden Mamas phantasieren kann, während er seinen original italienischen Espresso schlürft. Diese Menschen lieben auch diese Arte-Dokus Die urige Kost der Bergbauern, in denen es um einfaches Leben und die Romantik harter Arbeit geht, die an Festtagen mit von schwieligen Händen gewürzten Schafsköpfen belohnt wird und Wurst aus noch echtem unbehandelten Schweinedarm. Über deren kleingeistige Fremdenfeindlichkeit schütteln sie dann am nächsten Tag beim Bio-Almkäsekauen und Zeitunglesen am iPad verständnislos den Kopf, bevor sie sich aufs Rennrad schwingen für den Espresso.
28.7.2015 Manchmal gehe ich mit Witzmann spazieren, und wir sprechen kein Wort, und plötzlich sagt er aus dem Nichts: «Aufhörn!»
28.7.2015 Das Thema meines neuen Erfolgsbuches wird:
«Ich suche die große Liebe, aber es gibt die glaub ich gar nicht wegen unserer Generation.»
«Ich mach oft Schluss mit Leuten wegen ich glaub unserer Generation.»
«Manchmal streite ich in meiner jahrelangen Beziehung, weil so ist unsere Generation.»
29.7.2015 Witzmann legt eine Mozartplatte auf: «Depressiven Menschen hilft Mozarts Flötenkonzert, das ist wissenschaftlich erwiesen.»
30.7.2015 «Rufnummernauskunft, Stefanie Fröhlich, was kann ich für Sie tun?»
«Guten Tag, ich hätte gerne die Nummer von Volvo Austria.»
«Ja, wo genau?»
«Na, in Österreich.»
«Ach so. Also die Zentrale is in Tribuswinkel. Die Nummer lautet 5342193.»
«Ja, weil ich hab einen Volvo. Und in der Slowakei, also in Tschechien, wurde mir tschechisches Benzin eingefüllt, und jetzt geht er nimmer.»
«Verstehe, dann rufen Sie am besten in der Firmenzentrale an.»
«Ich hab sogar schon in Holland angerufen, und die haben gesagt, ich muss in Österreich anrufen. Sie meinen, weil ich seit 22 Jahren unfallfrei Volvo fahre, bekomme ich ein Auto geschenkt.»
«Na dann.»
30.7.2015 Billig, extrovertiert und abgefuckt
30.7.2015 «Rufnummernauskunft, Stefanie Fröhlich, was kann ich für Sie tun?»
«Ich hab ein Telegramm aufs Handy bekommen, und da steht drinnen 5058.»
«Sie haben ein Telegramm aufs Handy bekommen?»
«Ja, heute zum allerersten Mal.»
«Erstaunlich.»
30.7.2015 Wenn man nur noch selten trinkt, ist man wegen jedem Scheiß gleich drei Tage verkatert. Da kann man sich im Grunde auch gleich jeden Tag ansaufen.
31.7.2015 Es hat mich in Trance versetzt, als der Junkie am Margaretengürtel gerade 20 Minuten lang den Leggingarsch seiner Freundin als Bongo benutzt hat. Hab einen richtigen Ohrwurm davon. Klatschediklatsch. Patsch, patsch. Klatschediplatsch.
1.8.2015 Eissalons wirken so demokratisch, wenn man den Leuten beim Einkehren zusieht. Auf Speiseeis können sich einfach alle einigen. Der dicke Geschäftsmann, die Mindestpensionistin, der Problemschüler und die Wirtschaftsstudentin. Vorm Eissalon sind sie alle gleich und wirken wieder wie Kinder, wie gierige kleine Schleckermäuler, die sich einfach mal was gönnen.
1.8.2015 Ich: «Schaun wir heute ORF?»
Witzmann: «Nein, heute is Alltag unterm Hakenkreuz! Ich liebe Alltag unterm Hakenkreuz! Bitte Alltag unterm Hakenkreuz!! Bitte, bitte!! Alltag unterm Hakenkreuz!»
2.8.2015 «Rufnummernauskunft, Stefanie Fröhlich, was kann ich für Sie tun?»
«Ich brauch die Nummer von Pitzburg.»
«Pitzburg? Hm, finde ich nicht. Ist das in Österreich?»
«Haha, natürlich nicht. Pitzburg in Uscher.»
«Uscher, was ist Uscher?»
«Na Uscher, Emerika.»
3.8.2015 Ich bin nur ein kleiner Problemjugendlicher.
Die Sozialarbeiter warten auf mich im Park.
3.8.2015 Wenn ich schlecht drauf bin, reiß ich Blumen aus den Magistratziergärtchen.
3.8.2015 Meine Gegend wird immer hässlicher, niemand will sie genftisieren.
3.8.2015 Meine Abwasch is verstopft. Ich hab versucht, sie mit kochendem Wasser frei zu kriegen. Ich habe versucht, sie mit einer Gabel frei zu kriegen. Ich habe versucht, sie mit Chemikalien frei zu kriegen. Nichts funktioniert. Das Wasser musste ich abschöpfen. Den Rest habe ich mit Küchenrolle aufgesaugt. Die Küchenrolle habe ich ins Klo geschmissen. Jetzt ist das Klo verstopft. Alles ist verstopft. Jedes Loch in der Wohnung. Ich sitze da und frage mich: Soll diese Situation eine Metapher darstellen für mein Leben?
3.8.2015 «Rufnummernauskunft, Stefanie Fröhlich, was kann ich für Sie tun?»
«Hallo, ich brauch die Nummer von Helene Fürst in Deutschland.»
«O.k., wo in Deutschland?»
«Na ja, also die ist … die ist im Fernsehen.»
«O.k. Ähm … Hat sie eine Sendung oder wie?»
«Ja, also das ist eine Sendung mit der Frau Helene Fürst, und ich würde sie gern erreichen.»
«Welcher Sender?»
«Das weiß ich nicht genau. »
«Also, ich kann Ihnen die Nummer von RTL geben, und Sie können da fragen.»
(Helena Fürst – Anwältin der Armen, RTL)
3.8.2015 Im Büro ist Obstwoche
Lecker Birnchen
Schnapp
5.8.2015 Witzmann: «Schau mal, beim Mömax gibt’s Schweinskarree mit Pommes um 1,50.»
Ich: «Es gibt sicher so Familien mit wenig Geld, die gehen dann so fein essen dorthin.»
Witzmann: «Glaubst?»
Ich: «Wir sind eigentlich auch manchmal fein frühstücken zum Leiner gefahren, das war was Besonderes.»
Witzmann: «Wohin?»
Ich: «Zum Leiner.»
Witzmann: «HAHAHAHA.»
5.8.2015 «Rufnummernauskunft, Stefanie Fröhlich, was kann ich für Sie tun?»
«Ich hätte gerne eine Rufnummernüberprüfung. Die Nummer ist: 0669 …»
«O.k., also Sie meinen wahrscheinlich 0699, weil 0669 existiert als Vorwahl nicht.»
«Aha, okay, na ja, dann suchen Sie den Namen AHMED, mit H, RADVAN.»
«O.k. Und schreibt man das Richard, Anton, Dora?»
«Was heißt Richard Anton? AHMED!»
«Ich meine den Nachnamen …»
«AHMED mit H!! Wo is da ein R? IHR SEID WIRKLICH SO DUMM, DAS GIBT’S JA NICHT!!» (Legt auf.)
5.8.2015 Mein Bankbetreuer hat mir eine SMS geschrieben, dass meine Karte da ist und ich anrufen soll. Ich rufe an und lande in einem Callcenter. Dort kann ich nur einen Rückrufwunsch für meinen Bankbetreuer hinterlassen. Drei Stunden vergehen. Ich gehe duschen. Das Telefon läutet, zu spät springe ich aus der Dusche. Ich rufe wieder im Callcenter an, hinterlasse einen Rückrufwunsch. Ich frage, wann ich angerufen werde. Kann man nicht sagen. Werde ich heute noch angerufen? Kann man nicht sagen. Morgen? Weiß man nicht.
5.8.2015 Österreicher sudern gerne über alles, als wäre das Leben hier unerträglich und als ginge das Land den Bach runter, sind aber gleichzeitig der Meinung, dass das hier für Ausländer das Paradies sein muss.
6.8.2015 «Rufnummernauskunft, Stefanie Fröhlich, was kann ich für Sie tun?»
«Ich möchte mein Telefon. Es ist geschlossen. Möchte es zurückbringen in das Leben.»
«Ähhh, ja, das ist 0800 …»
«Es ist das Telefon im Haus.»
«Aha, Festnetz. Die Nummer ist 0800–100100.»
«Das ist für das altmodische? Mit Schwanz?»
«Ja, genau. Fürs altmodische Schwanztelefon.»
6.8.2015 Ich habe dem Bankcallcenter nun gesagt, ich wäre heute halt ab 12 zu erreichen. Habe um Punkt 12 zwei Anrufe in Abwesenheit. Schätze, ich muss nun wieder anrufen im Callcenter und einen Rückruf von meinen Betreuer einfordern. Man wird sehen.
6.8.2015 Ich glaub nicht, dass es Zufall is, dass so viele Afrikaner nach Österreich kommen und plötzlich hamma 40 Grad!
7.8.2015 Ich finde meinen Pass nicht, also kann ich meine Bankomatkarte nicht von der Bank holen. Ich kann auch keine Überweisungen machen und die Miete zahlen. Wenn ich meinen Pass also nicht irgendwann finde und der letzte Hunderteuroschein aufgebraucht ist, der hier auf meinem Schreibtisch liegt, wird das mein Ausstieg aus der Gesellschaft sein.
7.8.2015 Meine Lieblingskörperpflege is Zehennägel zwicken.
9.8.2015 Witzmann: «Ich hatte mal einen Freund, der hatte einen geistig behinderten Bruder. Der hat ausgesehen wie ein Pinguin, und wir haben immer zu dritt UNO gespielt. Er war auf seine Art sehr weise, er hat z.B. immer gesagt: ‹Ich weiß nicht, worüber sich die Menschen so aufregen.› Ich hab ihm manchmal Tocotronic vorgespielt, und er hat sich bei dem Satz ‹Es gibt kein Leben ohne Schande› immer so abgepeckt. Er hat jedes Mal einen wahnsinnigen Lachanfall bekommen, und ich musste ihm die Stelle bei jedem Treffen wieder vorspielen.»
9.8.2015 «Rufnummernauskunft, Stefanie Fröhlich, was kann ich für Sie tun?»
«Ich hätte gerne die Hautärztin Dr. Pfingschir in Innsbruck.»
«Wie schreibt man das genau?»
«Ganz normal.»
«O.k. Was is normal?»
«Na ganz normal. Zingischi.»
«O.k. Hab es sogar gefunden. Dr. Martina Zingg-Schir. Ganz normal.»
10.8.2015 Ich liege vor dem Ventilator und atme schwer, mein Kopf pocht, und ich kontrolliere minütlich, ob sich die Wetterlage vielleicht schon geändert hat.
11.8.2015 Mhhh, jetzt ein glutenfreies alkoholfreies Craftbier aus einem alten Jutesack.
11.8.2015 Was ist mit euch, ihr Generation!
13.8.2015 Das wirklich Schlimme an diesen ganzen normierten, gephotoshopten Frauenkörpern ist, dass es Leute gibt, die echt so ausschaun.
13.8.2015 «Rufnummernauskunft, Stefanie Fröhlich, was kann ich für Sie tun?»
«Ich brauch bitte die Uniqua-Versicherung.»
«Ja, welche, wo genau?»
«Na ja, die nächste von mir halt.»
«O.k. Welches ist die nächste? Ich weiß nicht, wo Sie sind. Ich bin ja nicht bei Ihnen. Auch wenn Sie gerade meine Stimme hören, bin ich eigentlich woanders.»
14.8.2015 Bei vollverschleierten Frauen glaubt man automatisch, dass sie extrem hot sind.
14.8.2015 Pessimismus ist wesentlich empfehlenswerter als Optimismus. Man wird viel öfter positiv überrascht und ist im schlimmsten Fall auch nicht enttäuscht.
15.8.2015 Ich bin mit Witzmann wieder in die Berge gefahren. Wir sitzen in einem Gasthaus und hören alten Männern beim Diskutieren zu. Sie sprechen über tolle, schlanke, zarte, markante, die von weitem irgendwie aber anders ausschaun als aus der Nähe, über schöne, aber schwierige. Über die breiten, die man vergessen sollte. Erleichtert realisiere ich, dass sie über Wege beim Bergsteigen reden.
16.8.2015 Wir haben das Burgmuseum besucht:
«Schon geil, diese Schwerter und Spieße, wenn man sich den Kampf so vorstellt. Das Abschlachten, das Reinstechen. Eigentlich ist man schon blutrünstig als Mensch.»
Witzmann: «Du bist blutrünstig.»
«Wieso? Das denkt doch jeder, wenn er das sieht.»
Witzmann: «Nein, das denkt nicht jeder. Ich denke an das viele Leid und das Unglück.»
Ich: «Ach so … ja, stimmt. Ich auch.»
16.8.2015 Wie wohl die Menschen ohne Unterkunft im Flüchtlingslager Traiskirchen den nächtlichen Platzregen überdauert haben?
18.8.2015 Schmieriger Taxler: «Na, Sie sind eine fesche Frau.»
Ich: «Sie sind aber auch ein sehr fescher Mann!»
Schmieriger Taxler lächelt und schaut verlegen zu Boden.
19.8.2015 Ich hasse es, wenn man meine eigenen rhetorischen Stilmittel gegen mich verwendet. Es ist einfach so respektlos.
19.8.2015 «Rufnummernauskunft, Stefanie Fröhlich, was kann ich für Sie tun?»
«Ich hätte gerne die Nummer vom Rathaus Bad Radkersburg.»
«Ja, die Nummer lautet: drei, fünf, vier, null, drei, null.»
«Könnt ihr das nicht normal ansagen?»
«Was genau ist normal?»
«Na ja, z.B. fünfunddreißig und nicht drei fünf … Das ist ja wie in der Volksschule!»
«O.k. Die Nummer ist Dreihundertvierundfünfzigtausendunddreißig.»
20.8.2015 Gibt es eigentlich schon ein Traiskirchen-Stickeralbum, in das man seine Flüchtlinge einkleben kann, die man beim Spendenbringen knipst?
20.8.2015 Traiskirchen-Foto-Challenge:
Mach ein Foto von einem Kind, das traurig schaut.
Mach ein Foto, auf dem du selbst traurig schaust (weinst).
Mach ein Foto von jemandem, während du ihm die Hand reichst.
Mach einen Selfie, auf dem du eine am Boden sitzende Frau auf den Kopf küsst.
Mach einen Selfie, auf dem du einen Flüchtling fütterst (z.B. mit Nüsschen).
Mach ein Foto, auf dem du jemanden über den Zaun hinweg streichelst.
20.8.2015 In meiner Gemeindebauwohnung habe ich schon 20 Flüchtlinge untergebracht. Und so. Ich bin nur zu edel, um es raushängen zu lassen.
20.8.2015 Der Österreicher wird sehr neidisch, wenn er im Fernsehen sieht, dass die Flüchtlinge gratis Bananen bekommen am Bahnhof. Er jammert: «Na und wea hüfd mia? Wea hüft mia, wenn i noch da Barbara Karlich Show ned vo da Bettbaung aufkum? Wea hüfd mia?»
22.8.2015 Habe ich gestern nach zehn Bier auf diesem kleinen Festival wirklich das Mikro genommen und die ganzen Besucher dazu aufgefordert, sich zu Allah zu bekennen und in den Heiligen Krieg zu ziehen?
22.8.2015 Manchmal schaue ich beim Spazierengehen auf den Asphalt unter mir und denke nach, über was ich da gerade gehe. Über getrocknete Kotze von irgendwem, über Schlatze von irgendwem, über den alten Kaugummi von irgendwem, über die Urinspuren, über die Vanilleeistropfen von irgendwem, die Tränen von irgendwem.
23.8.2015 Ich warte im Café Weidinger und kaue gelangweilt an den Fingernägeln. Witzmann kommt und begrüßt mich «Tut mir leid, ich kann dich nicht küssen. Ich weiß zwar nicht, wie du das geschafft hast, aber du hast einen Zehennagel im Gesicht picken.»
26.8.2015 Sind Postings über das Flüchtlingslager Traiskirchen schon wieder out?
26.8.2015 Irgendjemand hat mir erzählt, in seiner Gemeinde wären sie voll enttäuscht, weil ihre Flüchtlinge so langweilig sind und immer nur daheimsitzen und nicht mitkommen wollen zum Saufen in die Dorfdisco, um sich zu integrieren.
27.8.2015 Meine Mutter hat 10 kleine Negerlein am Flohmarkt gekauft, als Kindheitserinnerung, und sie blättert’s im Lokal durch. Dann nickt sie zum Pärchen mit der asiatisch aussehenden Frau und sagt: «Schaut, der hot sie sicher ane ausm Katalog bestöht! Haha.» Am Nebentisch sitzt eine Kindergruppe, und Mama sagt gut hörbar mit Blick aufs dickste Kind: «Schau, so liab, die klane Blade. Die stopft eine. Der schmeckt’s! Ham ham!» Eltern erden einen so.
27.8.2015 Ich mag’s nicht, wie der neue Flohmarkt Leben in meine Gegend bringt.
29.8.2015 Wenn mich grindige Typen beim Vorbeigehen anzischen und fragen, ob ich einen Freund habe, frage ich mich, ob ich mittlerweile so ausschau, als wär ich verzweifelt genug, dass das funktionieren könnte.
29.8.2015 Ich bin jetzt viel netter zu allen Ausländern, weil ich denke, dass sie Flüchtlinge sind. Will alle umarmen und ihnen alte Pullover schenken.
29.8.2015 Wie ich klein war, hab ich in der Früh nach dem Weggehen verächtlich auf die Leute geschaut, die zur Arbeit gehn. Jetzt schau ich am Weg zum Sonntagsfrühdienst verächtlich auf die Leut, die betrunken vom Weggehen kommen. Heute konnte ich mich nicht entscheiden, weil ich beide war.
29.8.2015 «Rufnummernauskunft, Stefanie Fröhlich, was kann ich für Sie tun?»
«Ich brauch die Nummer vom Gasthaus Hirsch in St. Veit.»
«Die Nummer ist 73774757»
«Sieben, sieben. So viele Siebener. HAHAHAHA.»
«Ja, das ist wirklich sehr lustig.»
29.8.2015 Kennt ihr das: Man wichst in der U-Bahn.
29.8.2015 Mir tun die meisten Hassposter dann leid, wenn ich ihre Profile anschaue. Sie haben z.B. häufig ihre Arbeitsstelle öffentlich angegeben und ein Foto ihrer zwei Kinder als Coverbild, während sie dazu auffordern, Menschen anzuzünden. Ihr verwackeltes Profilfoto haben sie meistens versehentlich 15-mal hochgeladen. Das einzige andere Foto ist das Bild eines Welpen, über dem steht «Willkommen auf meiner Seite. Schreib doch was ins Gästebuch». Wer bin ich, sie zu verurteilen?
31.8.2015 Ich hab schon wieder geträumt, dass ich mein Baby in der Couchritze vergessen habe.
31.8.2015 Die Politik so: «Man muss auch sehen, dass einige Flüchtlinge eine Chance sind für uns. Es sind Human Ressources für die Wirtschaft … äh … Gesellschaft. Manche sind sogar mehr als nur Nutten, Putzen und Dealer, Leute mit Ausbildung. Die brennen länger.»
2.9.2015 In gruppendynamischen Prozessen, wo alle sich hierarchielos organisieren und anpacken und ordnen und tun, bin ich mehr der Typ, der verwirrt in der Ecke steht und sich fragt, was abgeht.
2.9.2015 Stenzel ist der Dragcharakter von Richard Lugner, bei dem er eine feine Dame spielt.
2.9.2015 Strache über Stenzel: «Es ist so richtig geil im Bett. Ich auf Koks, sie blunzenfett.»
2.9.2015 Ich block mir die Welt, wiedewiedewiedewie sie mir gefällt.
2.9.2015 Kreativität ist wie ein Gummiball, der unkontrolliert durch den Kopf springt.
3.9.2015 Ich hab so viel genetworkt in meinem Leben, aber eher unabsichtlich. Ich habe ja nie ernsthaft angenommen, dass aus irgendeiner meiner Bekannten etwas wird.
4.9.2015 Das sind Menschen, die zu uns kommen.
Das sind Menschen, die mit Gummiknüppeln auf sie eindreschen.
Ihhh, Menschen.
4.9.2015 Man sollte den Ehrbegriff nicht den Rechten überlassen.
4.9.2015 Wieso gibt es keine Softpornos mehr im deutschen Fernsehen? Es spielt immer nur diese Dokus über Prostituierte, in denen es um Elendsvoyeurismus geht, oder Swingerclubreportagen («Herbert und Elfriede sind am Wochenende gern schlimm»), die einem Angst vorm Älterwerden machen. Früher liefen die Softerotikfilme immer Sonntagabend, und nach dem Kirchenbesuch und dem Familienausflug, wenn die Kinder schliefen, haben der Uwe und die Gabi sich ein bisschen anspitzen lassen beim Schulmädchenreport und noch bissl rumgesaut als Wochenausklang, bevor das Büro wieder losging für die Büros. Die Filme hatten einen Weichzeichnerfilter, und überall waren flauschige Schamhaare, wie Kaschmirpullover. Jetzt gibt’s nur noch dieses haarlose, eingefettete Analfisting bis zum Dammriss im Internet, um die Spannungen abzubauen.
4.9.2015 Mit 18 hat man diesen Moment, in dem man realisiert: «Lehrer sind auch nur Menschen.» Der Moment, in dem man aus dem Schulregime entlassen wird und versteht, ja, auch verhasste Autoritätsfiguren haben persönliche Gefühle und ein Privatleben und sind in diese andere Rolle irgendwie reingerutscht. Ende 20 hat man plötzlich auch so einen Moment: Die ersten Freunde haben richtige Berufe, und man nimmt sich plötzlich stärker als gesellschaftlichen Akteur wahr und realisiert: Keiner auf der Welt hat wirklich eine Ahnung, was er da eigentlich genau tut.
4.9.2015 Ich hatte eine Lesung in Groß-Siegharts, bei der der Gemeindevorstand und der Bürgermeister da waren, meine erste Lesung in einem kleinen Ort ohne Hipster und Punks, und ich wurde danach erstaunlicherweise nicht verjagt.
5.9.2015 In der Nacht habe ich mich auf dem kurzen Weg vom Veranstaltungsort in meine Pension in Groß-Siegharts verlaufen. Es ist ein kleiner Ort, und es war dunkel. Nicht mal eine Straßenlaterne war an, und Platzregen und Donner gingen los. Es war tatsächlich kein einziger Mensch mehr auf der Straße, und kein einziges Lokal hatte offen. Ich bin ein, zwei Stunden herumgeirrt, bis endlich ein Auto vorbeigekommen ist, das ich versucht habe anzuhalten, aber es ist einfach weitergefahren. Es war wirklich aussichtslos, denn mein Handyakku war leer. Dann hat mich aber jemand gefunden.
6.9.2015 Gestern haben wir drei Afghanen aus Ungarn mitgenommen in einem Flüchtlingskonvoi, weil sie die Grenzen dichtmachen wollen.
6.9.2015 Schleppen macht total süchtig.
7.9.2015 Die letzten zwei Wochen waren sehr stressig. Lesung, Frühschicht, Lesung, Frühschicht, Schlepperei, Frühschicht, Auftragstext, Frühschicht, Interview, Frühschicht, Schlepperei, Frühschicht, Lesung.
7.9.2015 Soll ich auch so einen Social-Media-Text über Begegnungen mit Flüchtlingen schreiben?
Na gut: Ein Flüchtlingskind schaut mich mit großen Augen an, meine Kehle schnürt sich zu, Tränen laufen mir übers Gesicht, ich breche zusammen, das Kind muss mich reanimieren, seine Mutter tröstet mich, ich rieche an ihren seit Wochen ungewaschenen Haaren und schluchze, weil es mir so gutgeht und ihnen so schlecht.
7.9.2015 An den Texten über Flüchtlinge interessiert mich am meisten die emotionale Mitgenommenheit der Journalisten.
7.9.2015 Idealismus ist auch nur eine Art Größenwahn, in dem einem die eigene Meinung über sich selbst einfach viel wichtiger is als die der andern, die man für Trottel hält.
7.9.2015 Der Afghane, den wir gestern aus Budapest mitgenommen haben, hat in Kabul auch in einem Callcenter gearbeitet.
7.9.2015 Nach dem Schleppen fühl ich mich innerlich immer so gestärkt.
7.9.2015 Ich bekomme mittlerweile Geld für dieselben Sachen, für die ich in der Schulzeit Klassenbucheintragungen bekommen habe.
7.9.2015 Triggerwarnung: Immer noch Schultüten auf der Straße.
7.9.2015 Am Schleppen finde ich cool, dass man mal was Anarchistischeres in Wien machen kann, als Softbälle in basisdemokratischen Plenen weiterzureichen.
8.9.2015 Wir haben gestern wieder Wirtschaftsflüchtlinge von Ungarn nach Wien gefahren, damit sie aus Österreich ein Kalifat machen.
8.9.2015 «Rufnummernauskunft, Stefanie Fröhlich, was kann ich für Sie tun?»
«Hallo. Haben Sie die Nummer vom Strache?»
«Ich kann Ihnen die Nummer von der FPÖ geben.»
«Also, kann man da eine Privatnummer haben? Geht das?»
«Sie glauben, dass ich Ihnen die Privatnummer von HC Strache geben kann?»
«Na ja … nicht?»
«Wenn das ginge, würde HC Strache ja ständig von Leuten angerufen werden, denken Sie nicht?»
«Ja … Stimmt.»
«Ich kann Ihnen die Nummer der FPÖ in Ihrer Gemeinde geben. Wo sind Sie denn?»
«In Braunau.»
«So ein Zufall.»
8.9.2015 Wenn ich zu wenig Aufmerksamkeit bekomme, werde ich schwermütig.
8.9.2015 Ich kann mit formellen Situationen nicht mehr umgehen.
8.9.2015 Warum posten manche Leute keine #Helfies, wenn sie Flüchtlingshilfe machen?
9.9.2015 Alle posten ständig ihre Refugee-McMoments, und endlich hatte ich auch einen:
Ich musste heute Zeichnungen zu einem Kurator bringen. An der U-Bahn-Station standen drei Typen mit Rucksäcken und Isomatten und lasen verwirrt einen Zettel. Als ich vorbeiging, quatschte mich einer an, ob ich wisse, wo der Hauptbahnhof sei für die Züge nach Deutschland. Ich erklärte, der wäre eine Station von hier entfernt. Sie meinten, sie hätten dort nichts gefunden. Sie müssten nach Deutschland, jemand hätte sie dort hingeschickt. Ich fragte dann aufgeregt, ob sie Refugees (Refugees!) seien, weil’s am Hauptbahnhof eh eine Stelle gäbe mit Übersetzern und Informationen für Flüchtlinge. Er antwortete, sie hätten sogar schon Tickets, nur eben die Züge nicht gefunden. Ich wollte sie dann begleiten (Refugees!), und der eine meinte: «No, please, you probably have your own business!» Ich so, nana, passt schon, Refugeehilfe ist jetzt voll im Trend. Wir fuhren los, der junge Typ, der mich angesprochen hatte, sagte, er sei ausm Irak. «You know this whole refugee thing is so hard. I didn’t really sleep for five days. You can’t imagine.» Ich fragte ihn dann, ob die andern, wesentlich Älteren, seine Freunde sind, und er: «We became friends on the trip. We are group 125. A hungarian police officer took our finger prints and called us 125. When people ask for our names now we say ‹Group 125› because thats what we are now.» Ich: «The goverment is really bad in Hungary now.» Er: «Which goverment is good, really? There is no good goverment in the modern world.» Ich so: «Mhm.» Er meinte, er will nach Finnland und so schnell wie möglich seine Familie holen, dort geht es ja schnell, und er hat ohnehin schon drei Jahre in der Türkei auf sie gewartet. Als er fragt, was ich so mach, sagte ich, ich zeichne Cartoons und er: «Cool, so you probably smoke a lot of weed.» Ich: «Not anymore.» Er: «Alcohol is better. I drink since three years. I drank two bottles today. It keeps my head clear.» Er sah total jung und cute aus, höchstens 20, seine Fahne ist mir erst dann aufgefallen. Am Bahnhof fand ich die Hilfsstation nicht gleich, aber er meinte, sie hätten eh schon Tickets. Daraufhin zeigte er mir ein U-Bahn-Ticket um zwei Euro. Ich: «Oh no, this is not for the train.» Er: «A girl told us to buy this ticket, why did she lie to us?» Ich: «No, she didn’t lie, she probably didn’t understand you right. These are only for the subway.» Zwei Araber kamen vorbei, er sprach sie an, und sie meinten, sie hätten Tickets für über hundert Euro. Er so: «Oh no. We can’t afford this.» Ich: Gehn wir zur Flüchtlingshilfe, die helfen euch sicher und kennen sich aus. Nach einer kurzen Suche tauchten eh schon Freiwillige auf, die arabisch Infos durch ein Megaphon riefen. Anscheinend sind die Zugfahrten momentan doch gratis. Sie redeten kurz miteinander, und die drei sprinteten los Richtung Züge. Wir schüttelten uns noch hektisch die Hand, er rief von weitem: «What’s your name?» Ich: «Stefanie! What’s yours?» Er: «Emre! Thank you, Stefanie!» Ich: «Good luck!» Und weiter ging’s.
9.9.2015 Schön zu sehen, wie sich die größten österreichischen Chauvinisten um die Frauenrechte im Islam sorgen.
10.9.2015 Sportgeschäfte spenden keine Schlafsäcke, weil sie wissen, dass alle Sportler Nazis sind.
10.9.2015 Jede kulturelle Veranstaltung, die nicht für Flüchtlinge sammelt, ist ein Nazi.
10.9.2015 Habe meine Mutter zur Bahnhofshilfe geführt, um sie zu politisieren. Sie war emotional viel berührter als ich, obwohl sie normalerweise sehr pragmatisch ist. Die ganzen kleinen Kinder taten ihr leid. Ich fand’s nicht so traurig, ich sah eher die Hilfsbereitschaft und die Versorgung. Sie meinte aber, ihr Bedürfnis, direkt zu helfen, hält sich nach 40 Jahren Sozialberuf in Grenzen, das können ruhig die Studenten mal in ihren Ferien probieren.
11.9.2015 CDTitanicTitanicIT IS SO ROMANTIC