Kai Wiesinger
Der Lack ist ab
War's das schon
oder kommt noch was?
FISCHER E-Books
Kai Wiesinger (Jahrgang 1966) ist seit »Kleine Haie« und »14 Tage lebenslänglich« nicht mehr aus der deutschen Film- und Fernsehwelt wegzudenken. Der Schauspieler, Regisseur und Autor lebt mit seiner Frau, der Schauspielerin Bettina Zimmermann, und seinen vier Kindern in Berlin.
Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de
Mal ehrlich: Haben Sie die Schriftgröße Ihres Handys schon geändert? Oder halten Sie die Speisekarte beim schummrigen Italiener an die Kerze? Eine einfache Lesebrille kann da helfen. Aber Vorsicht: Sie sollten die kleinen Hilfen des Älterwerdens wirklich nur einsetzen, wenn Sie sich ganz sicher sind, dass sie etwas unbedingt scharf sehen wollen. Auch jede Falte auf der Stirn Ihrer Frau wird dann sichtbar.
Kai Wiesinger erzählt mit Witz und Charme, wie er mit Lesebrille, schlaffem Gewebe und was sonst noch dazugehört, die Überfahrt aus seiner Jugend meistert und warum jede Falte hart erlacht ist.
Originalausgabe
Erschienen bei FISCHER E-Books
© 2019 S. Fischer Verlag GmbH, Hedderichstr. 114, D-60596 Frankfurt am Main
Zeichnungen: Edward Filkin
Covergestaltung: Hauptmann & Kompanie Werbeagentur, Zürich
Coverabbildung: © Amazon.com Inc., or its affiliates
Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.
Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.
ISBN 978-3-10-491157-1
Zu sehen auf Amazon Prime
umgangssprachlich: Mother I´d like to fuck /Synonym für: attraktive, begehrenswerte Frau mittleren Alters
Die einen sagen so, die anderen sagen das Gegenteil. Lobbyismus?
Na, bröseln Sie auch schon so langsam vor sich hin? Fühlen Sie sich jünger, als Sie aussehen (Knie und Rücken mal ausgenommen)? Sind Ihre Arme schon zu kurz, um die Schrift auf dem Handy scharf zu sehen?
Stimmt’s? Sie sind 40+ und könnten diese Zeilen eigentlich viel besser mit einer Brille lesen. Sie haben auch das Modell mit 0,5 oder – wenn Sie schon 45 sind – das mit 1,5 Dioptrien in der Drogerie oder am Flughafen gekauft – aber Sie haben sich noch nicht daran gewöhnt und es folglich nicht immer dabei. (Vorsichtshalber habe ich eine etwas größere Schrift gewählt …)
Sie haben sich dieses Buch wirklich selbst gekauft? Mutig. Dafür verspreche ich Ihnen: Hier finden Sie ehrliche Antworten auf viele Fragen, die Sie sich seit kurzem stellen – und Sie gewinnen die tröstliche Gewissheit, dass Sie mit dem Scheiß nicht alleine sind. Wir alle fühlen uns viel jünger, als wir tatsächlich sind, und wir alle fragen uns, was ab der Mitte des Lebens denn eigentlich noch kommt und wie wir mit unserem »Zustand« am besten umgehen sollen.
Aber wer kauft schon ein Buch mit dem Titel »Der Lack ist ab« für sich selbst? Im Darknet vielleicht. Den meisten Männern wäre ein solcher Kauf unter den Augen von Millionen glücklicher, junger, super-cooler und erfolgreicher, nie alternder Menschen wohl ebenso peinlich wie die Frage nach extra kleinen Kondomen.
Ich gehe also davon aus, dass Sie dieses Buch geschenkt bekommen haben. Von einem Freund oder einer lieben Freundin, die originell sein wollten und auf das gemeinsame Alter anspielen. Wahrscheinlich hat sie oder er es an Ihrem 40. Geburtstag mit den Worten »Willkommen im Club« auf den Gabentisch gelegt.
Sie haben beide gelacht und gemeinsam versucht zu überspielen, dass Sie sehr wohl wissen, was da im Gange ist. Der Blick in den Spiegel wird es Ihnen schon angekündigt haben, wie auch das stetig anwachsende Sortiment der Tuben und Döschen auf der Badezimmer-Ablage.
Doch Sie haben Glück, Sie haben jetzt dieses Buch!
Es ist ein wichtiges Buch. Zumindest für mich – denn ich glaube, dass wir in einer Gesellschaft leben, die uns permanent auffordert, die Wahrheit zu verdrängen. Und darauf dürfen wir uns nicht einlassen! Wofür stehen wir Männer denn noch, wenn wir nicht einmal mehr zu uns selber stehen? Bis vor kurzem war alles noch so klar: Es ging fast ausschließlich um Sex (und ein bisschen um Geld und Macht und anderen Spaß), aber mit zunehmendem Alter hat sich da was verschoben, und unser Selbstbild stimmt nur noch bedingt mit dem Spiegel überein. Unsere Hülle beginnt, den Geist aufzugeben. Und es sind leider nicht nur die Äußerlichkeiten, die wir anders in Erinnerung haben, wir funktionieren auch nicht mehr so reibungslos wie einst. Noch ist es kaum spürbar, doch es bröselt an und in uns so langsam vor sich hin, bis wir aufgeben, den Jungen das Feld und die Frauen überlassen und den nächsten großen (und letzten) Aufschlag erst wieder als Opa haben.
Was klingt wie ein böser Traum, hätte noch bis eben Ihr Leben werden können – doch jetzt wird alles gut. Sie werden durch die folgenden Kapitel erwachen. Sie werden erkennen, dass unsere große Chance die Wahrheit ist. Machen wir uns nichts vor: Das Leben ist endlich und dauert nicht sehr lange. Jedenfalls nicht so lange, wie ich früher dachte. Es kann einem eine Menge Mist begegnen, und wir können viele falsche Entscheidungen treffen. Die dümmste aber wäre, jetzt klein beizugeben. Machen wir also das Gegenteil: Visier hochklappen, und Let’s face it!
Wir sind neuerdings in einem Club, dem keiner freiwillig beitritt, zu dem aber alle eines Tages gehören werden. Der einzige Verein ohne Mitgliedsausweis oder besondere Privilegien, die größte, weltumspannende Gruppe von Menschen, die in einem Boot sitzen. Die Überfahrt aus dem Paradies der Jugend, ganz plötzlich, ohne Vorwarnung und ohne Ticket unterwegs, in eine immer unschärfere Zukunft, gepflastert mit Rücken- und Trennungsschmerz, Kameras in den Gedärmen und verfolgt von der Frage, ob man mit dem Partner noch etwas anfangen kann, wenn die Kinder aus dem Haus sind.
Mir geht es genau wie Ihnen. Wir sind im gleichen Alter, und da ich, wie Sie, festgestellt habe, dass nun so manches unausweichlich auf uns zukommt, von dem wir bis vor kurzem noch nie etwas gehört haben, möchte ich Ihnen auf den folgenden Seiten etwas an die Hand geben, das Ihnen hilft, den Weg bergab wenigstens fröhlich zu rutschen, statt verkrampft und einsam im Jugendwahn hinabzu- stolpern.
Und schon nach wenigen Schritten werden Sie von all Ihren Idolen empfangen, die Sie mit 15 angehimmelt haben. Aber auch an Helden nagt der Zahn der Zeit, auch sie haben nicht die ewige Jugend gepachtet – und dennoch nichts von ihrer Strahlkraft eingebüßt. Ist das nicht tröstlich?
Nehmen wir Brad Pitt oder Tom Cruise, auch deren Pobacken pressen sich beim Gedanken an den Urologen und die »Kleine Hafenrundfahrt« unwillkürlich tiefer ins Sofa. Und die beiden greifen wahrscheinlich – genau wie ich – immer häufiger zum Brötchen mit Kürbiskernen, um die Prostata in Schach zu halten.
Ich habe lange gerätselt, wieso Tom Cruise sich kaum veränderte, obwohl alle um mich herum ergrauten. Inzwischen weiß ich, dass er einfach viel geschickter und – vor allem – viel früher als ich angefangen hat, seine Haare zu tönen. Nicole Kidman scheint auch nicht scharf auf das Rollenfach der Oma zu sein. Sie hat sich entschieden, Benjamin Button zu folgen und in zunehmendem Alter immer glattere Haut zu bekommen und sich – zumindest oberhalb des Halses – zurück in die optische Pubertät zu entwickeln.
Und das ist ihr gutes Recht!
Natürlich ist es schlimm, wenn wir uns vom Druck der Gesellschaft zwingen lassen, durch Operationen, übertriebenen Sport oder Mangelernährung gewissen Körperidealen zu entsprechen, die sich aufgrund von unnatürlichen Wahrnehmungsgewohnheiten weit von der Realität entfernt haben. Da sollten wir das Rad etwas zurückdrehen und uns besinnen, wer und aus was wir eigentlich sind. Jene Abermilliarden Zellen, die freundlicherweise unseren Körper formen, haben nur eine begrenzte biologische Haltbarkeit. Selbst wenn wir nicht eine einzige Krankheit bekämen, so würde unser Körper doch nach und nach abbauen und verfallen. Letztlich kann man da nix machen.
Doch davon einmal abgesehen, sollte jedem von uns offenstehen, seinen Körper so zu pflegen und zu gestalten, wie es ihm gefällt, ohne sich rechtfertigen zu müssen, in welcher Haut man sich wohl fühlt. Ob straff oder schlaff. Auf den folgenden Seiten beleuchten wir viele der erschreckenden Herausforderungen, die nun auf uns zukommen. Ich habe diverse Experten getroffen und ihnen all die Fragen gestellt, die mir auf dem Herzen lagen. Sie müssen also nicht »rumgoogeln« und sich durch diverse Selbsthilfe-Blogs klicken, wenn Sie wissen möchten, ob nur Sie sich so anders fühlen oder Ihr Körper nicht mehr so kann, wie Sie wollen – und ob das alles normal ist. Selbstverständlich können Sie zu jedem Fachgebiet andere und wesentlich ausführlichere Bücher lesen, und einen Gang zum Therapeuten oder Arzt ersetzt mein Buch auch nicht, aber es geht ganz konkret auf Sie ein. Sie, die Person, die sich in einem Umbruch befindet und sich vielleicht nur einmal kurz rückversichern möchte, dass alles okay ist. Und wenn nicht, was dann zu tun ist. Sie bekommen praktische Werkzeuge an die Hand, um gelassen und fröhlich zu vergreisen. (Das meiste funktioniert ohne Skalpell.)
Brauchen Sie alles noch nicht? Na, dann freuen Sie sich einfach, dass Sie nach zwanzig Ehejahren den gleichen Sex haben wie vor der Hochzeit, Haarausfall nur aus der Werbung kennen und den PSA-Wert für einen Aktienindex halten. Genießen Sie die Zeit, solange Sie noch davon ausgehen, 50 sei das neue 30. (Und hoffen Sie darauf, dass Ihr Körper der gleichen Ansicht ist.)
Ihr Kai Wiesinger
P.S. Haben Sie die Serie »Der Lack ist ab«[1] schon gesehen? Wenn nicht, empfehle ich Ihnen diese als Begleitmaterial. Ich habe sehr viele Zuschriften von Zuschauern erhalten, die einen positiven Einfluss auf Ehe und Alterungsprozess bestätigen.
»Frauen können sich gar nicht vorstellen,
was für Schmerzen so ein Körper machen kann.«
»Das muss ich mir nicht vorstellen,
das erlebe ich täglich an meinem Mann.«
Mal ehrlich: Haben Sie die Schriftgröße Ihres Handys schon nach oben korrigiert? Halten Sie die Speisekarte beim schummrigen Italiener an die Kerze, oder ist Ihnen die Zeitung im Flugzeug – durch die Rückenlehne des Vordermanns – zu nah? So geht es den meisten von uns mit spätestens Anfang 40. Zuerst will man es nicht wahrhaben und glaubt, durch Training auch im Bett noch mit aufgestütztem Arm lesen zu können. Doch irgendwann ist es einfach an der Zeit, sich einzugestehen, dass die Buchstaben zu unscharf sind und man viel zu oft schon SMS auf dem orthographischen Niveau eines Vorschülers versendet hat, einfach weil man nicht mehr erkennt, was man schreibt, oder die übereifrige Autokorrektur macht, was sie will, während wir versuchen, den nächsten Buchstaben zu fokussieren.
Dementsprechend werde ich beim Tippen mit den Jahren nicht etwa versierter und schneller, sondern aufgrund zunehmender Unsicherheit immer langsamer. Kein Beinbruch, könnte man denken, lass dir halt Zeit – doch das ist gar nicht das Hauptproblem! Das Hauptproblem ist die bittere Erkenntnis, dass dieses unscharfe Gegucke sozusagen der ultimative Einstieg in den Abstieg ist. Ab hier geht nix mehr ohne Hilfsmittel: Pillen, Prothesen und bald dann sicher auch: Pflege. Man kann froh sein, wenn die Kinder einen nicht eines Tages in ein billiges Altenheim stecken, und ich versuche ab sofort jeden Cent zu sparen, um vielleicht eine kompetente Hilfe bezahlen zu können, die zu mir nach Hause kommt und sich kümmert, wenn es so weit ist. Wenn alles gut läuft, ist es ein langsamer Abstieg, und noch stehen wir recht weit oben an der Treppe. Da ist von Pflegekraft noch keine Rede, es reicht meistens noch eine simple Brille aus der Drogerie mit 0,5 oder 1 Dioptrien. (Wir werden uns gleich noch beraten lassen, ob das Modell für sieben Euro fünfzig genauso gut ist wie ein hundertmal so teures vom Optiker oder ob es den Augen sogar schadet.) Doch lassen wir das für einen Moment noch außer Acht, setzen unser Billigmodell auf und freuen uns über die augenblicklich wiedererlangte Sehschärfe – denn auch das einfachste Modell wirkt Wunder! Wie durch eine Lupe stehen alle Buchstaben wieder fett und stramm, nicht mehr gräulich-doppelt, Sie sehen sogar die Struktur des bedruckten Papiers. Aber auch jede Pore.
Sie werden feststellen: Auch die eigenen Fingernägel sehen anders aus, als Sie bisher angenommen haben. Das Problem lösen Sie mit einer kleinen Maniküre schnell im Badezimmer. Doch Vorsicht, da hängt ein Spiegel … Am besten, Sie gehen erst mal langsam auf Ihr Bild zu und gewöhnen sich an den eigenen UHD-Look.
Es ist wie in der Sportschau: Was beim Sprung vom Schanzentisch einfach nur beeindruckend schön aussieht, offenbart im Close up des Springers den Inhalt so mancher Pore und zerstört das schönste Alpenpanorama. Der Mensch ist ja bekanntermaßen besiedelt von Milliarden Bakterien und Kleinstlebewesen – aber wer möchte denen beim Zähneputzen in die Augen sehen? Klarer Vorteil des scharfen Selbstbildnisses: Sie sehen Haare in Nase, Ohr und sonstwo, bevor Sie auf Ihren kaputten Rasierer angesprochen werden.
Also sollten Sie die Lesehilfe wirklich nur als solche einsetzen oder dann, wenn Sie sich ganz sicher sind, dass Sie etwas anderes unbedingt scharf sehen möchten.
Alternativ können Sie – auch als Anfänger – schon mit einer Gleitsichtbrille liebäugeln. Die muss nicht dauernd auf- und abgesetzt werden. Sie gucken unten (durchs geschliffene Glas) auf den Text Ihrer Zeitung und heben – wenn Sie gestört werden – den Blick nach oben (durch den ungeschliffenen Teil), um Ihre näher kommende Partnerin mit gewohntem Weichzeichnereffekt zu sehen.
So wurde es in Hollywood schon immer gemacht, um makellose Schönheit zu erhalten.
Somit kommen wir zum nächsten Problem. Man sieht eben leider nicht nur die eigenen Makel, sondern auch – zum Beispiel in der Sekunde vor dem Kuss – die des Partners.
Kommt ein unerwarteter Kuss auf Sie zu, während Sie lesen (in einer langjährigen Beziehung sicher eher selten), schließen Sie am besten die Augen (wirkt eh auf viele Frauen romantischer), so laufen Sie nicht Gefahr, sich plötzlich über die nachlassende Lipidproduktion und den zu geringen Kollagenanteil in der Haut der Partnerin Gedanken zu machen. Die scharfe Sicht birgt also nicht nur die Gefahr der porösen Selbsterkenntnis, es besteht auch das Risiko einer ungewollten Entdeckung im lachenden Mund des Gegenübers, auf dem Kopf des Kindes oder im gemischten Salat. Dass wir organische Teile eines großen Ganzen sind, ist klar, aber mit der Brille wünscht man sich gelegentlich eine strikte Trennung. Manches möchte man sich nicht mehr einverleiben, man wird zurückhaltender und überlegt zweimal, ob man wirklich scharf sehen möchte. Man kann die Brille auch einfach absetzen – schließlich waren wir glücklich und alle hübsch anzusehen, bevor das Ding in unser Leben kam.
Sollten Sie sich winden und noch davon ausgehen, dass es ja nicht jeden treffen muss und es Menschen gibt, die nie im Leben eine Brille (bzw. Kontaktlinsen oder eine OP) brauchen, muss ich diese Illusion leider fast vollkommen zunichtemachen. Es trifft jeden, nur in einem anderen Alter. Die einen tragen schon als junge Menschen eine Brille, die anderen als alte. Denn die Alterssichtigkeit entsteht dadurch, dass, egal ob das Auge vorher weit-, kurz- oder normalsichtig war, die Linse an Flüssigkeit verliert, wodurch ihre Elastizität nachlässt. Darum kann sie ihre Form bei der Naheinstellung nicht mehr verändern.
Die Faustregel besagt, dass dieser Prozess ab ca. 40 alle zwei Jahre um rund + 0,5 Dioptrien fortschreitet. Was ganz klar heißt: Durchschnittlich landet man gegen Ende dieser Veränderung der Nahsehschärfe im Alter von ungefähr 60 Jahren bei einer Addition von + 2,5 Dioptrien zu der vorher bestehenden Korrektur. Punkt. Aber jetzt kommt das Tolle: Wer früher – 2,5 dpt kurzsichtig war, nimmt mit 60 die Brille ab und kann bestens ohne lesen.
(Was derjenige allerdings in der Ferne sieht, steht auf einem anderen Blatt.)
Der Verlust der Elastizität beginnt also bei den Augen, greift dann auf die Haut über und fährt Ihnen irgendwann in die Glieder. Hatte ich Ihnen einen Rosengarten versprochen? Nein. Ihre Haut können Sie pflegen, viel Wasser trinken, manche behaupten, cremen hilft, und nicht zu rauchen ist erwiesenermaßen gut. Auch Ihren Bewegungsapparat können Sie einfach in Schwung halten, aber bei den Augen haben Sie keine Chance. Da muss nachgeholfen werden, wenn Sie auch in der zweiten Halbzeit was sehen wollen.
Ich habe von Menschen gehört, die Augengymnastik machen und stundenlang die Pupillen nach einem selbstaufgestellten Trainingsplan kreuz und quer rotieren lassen – doch so ein Augenbodybuilding kann nicht helfen, da es die mangelnde Flüssigkeit nicht zurückbringt. Möhren übrigens auch nicht …
Gut, inzwischen ist Ihnen klar: Wir alle kommen aus der Nummer nicht mehr raus. Beste Zeit für einen kleinen Ausflug. Als ich das erste Mal die Drogerie betrat, um eine passende Brille für mich zu suchen, wurde mir plötzlich klar, dass dies kein normales Geschäft ist, sondern ein Abbild meines Lebens. Alle Stationen waren schon immer da, meine Zukunft lag schon immer hier im Regal, aber ich habe sie nie gesehen. Doch heute, als ich den Brillenständer im Gang zwischen den Fußhobeln, Vergrößerungsspiegeln und Aschemasken suche, sehe ich mich noch als Kind im Kinderwagen, wie meine Mutter Wattestäbchen und Puder für mich kauft; dann, wie ich später die erste Pickelcreme und Haargel auf den Tresen lege. Im nächsten Augenblick schlägt mein Herz bis zum Hals, als ich den Schwangerschaftstest bezahle. Ich kaufe Windeln und Sonnencreme für den ersten Urlaub, schleiche mit schreienden Kindern am Bonbonregal vorbei, lerne die Abteilung mit Haarfarben und -tönungen kennen, und heute bin ich bei den Lesehilfen. Tatsächlich ist das hier ein Lebensshop – ein Geschäft, das alles hat, was ich brauche, von der Wiege bis zur Bahre. Ich hatte noch nie von Binden für Männer gehört, und die liegen gar nicht so weit von den Brillen entfernt … Als mein Blick auf Gebissreinigungstabs und Beileidskarten fällt, versuche ich, mich neu zu fokussieren. Ich habe verstanden, dass der Laden meine Zukunft kennt, das ist schrecklich, doch ich brauche eine Lesehilfe und darf mich nicht heute von Dingen fertigmachen lassen, die vielleicht (erst mal) für andere bestimmt sind. Also konzentriere ich mich auf den Drehständer mit roten, blauen und rahmenlosen Brillen, suche die Anfängerstärke von 1,0 Dioptrien, greife ein leicht eiförmiges bernsteinfarbenes Modell und gucke in den Spiegel. Ich sehe zwar gestochen scharf, aber aus wie ein 50-jähriger Konfirmand auf dem Weg zum Häkelkurs. Bei aller Liebe, aber nur weil ich was lesen will, muss ich mich ja nicht lächerlich machen. Wenn es wenigstens eine Brillenumkleidekabine für Männer gäbe, aber hier, zwischen den Muttis und Mädchen, verliere ich wirklich das letzte Fünkchen an Selbstwertgefühl. Ich entscheide mich also, ohne einen weiteren Blick in den Spiegel, für ein randloses »Opa-soll-vorlesen-Modell« und verlasse schweißgebadet die als Drogerie getarnte Glaskugel.
Sie fühlen sich noch zu jung für den ganzen Quatsch oder sind mental noch nicht bereit für eine Brille? Dann können Sie übergangsweise Preisschilder oder Inhaltsangaben mit dem Handy fotografieren und das Foto groß ziehen – oder Sie benutzen in einem unbeobachteten Moment die bis dato belächelte Lupe am Einkaufswagen.
Für alle anderen gibt es jetzt noch ein paar nützliche Informationen von einer Augenärztin …
Kann ich die Altersweitsichtigkeit durch spezielle Ernährung oder Übungen hinauszögern?
Nein. Irgendwann trifft es jeden. Egal wo und wie man lebt. Es ist derzeit kein Umstand bekannt, der Einfluss auf den Prozess hat. Das Vitamin A der Mohrrübe hilft lediglich, die Zellstruktur der Netzhaut aufrechtzuerhalten – nicht aber der Linse.
Kann ich durch eine OP die Lesebrille vermeiden?
Ja, zum Beispiel durch Entfernen der eigenen Linse und Ersatz durch eine implantierte Multifokallinse – mit allen Risiken.
Auch ist es möglich, ein Auge zum Lesen für die Nähe und das andere für das Sehen in der Ferne mittels Laser zu korrigieren. Leider lässt sich durch eine solche OP aber keine Gleitsicht herstellen. Das heißt, jedes Auge kann nur den einen Bereich scharf abbilden.
Wäre eine Operation die beste Lösung?
Natürlich ist das dauernde »Brille auf, Brille ab«, eine für den Rechner, eine fürs Bett, eine für die Ferne, wirklich nervig, doch eine OP am eigentlich gesunden Auge – nur weil der Lifestyle es verlangt – ist nicht gerade eine bessere Option.
Wieso sehe ich schlechter, wenn ich die Brille länger aufhatte und sie dann abnehme?
Weil sich die Muskeln im Auge über längere Zeit nicht anstrengen mussten und daher kurz nach dem Absetzen der Brille nicht mehr so aktiv sind wie zuvor. Doch dieser subjektiv empfundene Effekt lässt wieder nach – tatsächlich verschlechtern sich die Augen durch das Tragen einer Brille nicht.
Können Kontaktlinsen helfen?
Ja, dabei erhalten Patienten häufig für beide Augen unterschiedliche Linsen: eine für die Nähe, die andere für die Ferne. Bis zu einem gewissen Grad kann man üben und sein Gehirn daran gewöhnen, mit dem einen Auge nur in der Nähe und mit dem anderen nur in der Ferne scharf zu sehen – bis maximal ca. 4 Dioptrien Unterschied lassen sich so unter Umständen ausgleichen.
Ist eine billige Brille aus der Drogerie schlechter als eine teure vom Optiker?
Die Billigbrille aus dem Supermarkt hat ihre Berechtigung, wenn jemand nur in der Nähe nicht mehr scharf sieht und eine Brille zum Lesen benötigt. Wenn beide Augen gleich sind, d.h. links und rechts der gleiche Dioptrien-Wert angezeigt ist, und keine Hornhautverkrümmung vorliegt, dann sind Billigbrillen vollkommen ausreichend.
Aber schaden kann man seinen Augen nicht, immer vorausgesetzt, die Augen sind genau gleich!
Tipp:
Ein einfacher Test macht deutlich, ob die Brille für Sie gut ist: Brille aufsetzen und erst mit dem einen, dann mit dem anderen Auge einen Text in gleichem Abstand fixieren. Wenn beide Augen einzeln scharf sehen, dann ist die Brille sinnvoll. Stellen Sie aber fest, dass der Text bei einem Auge etwas unschärfer erscheint, sollten Sie sich vom Optiker eine Brille herstellen lassen.
»Ich wollte komplett von null beginnen, einen neuen Start, nachdem wir mit Argentinien bei der Copa America wieder ein Finale im Elfmeterschießen verloren hatten.«
(Lionel Messi über seine blond gefärbten Haare)
Manche Menschen scheinen einfach Glück zu haben: Rex Gildo, Rod Stewart oder unser – im Vergleich zu den beiden nicht ganz so gewitzte – Altkanzler Schröder zum Beispiel. Wir anderen gucken irgendwann skeptisch in den Spiegel, lassen erste graue Haare mit der Pinzette verschwinden, und uns wird zunehmend klar, dass ein normaler »Bad Hair Day« absolut lächerlich war im Vergleich zu dem, was sich plötzlich da oben unaufhaltsam und rasant vermehrt. (Übrigens: Tageslicht im Bad macht es noch schlimmer.)
Rex Gildo sah bei seinem letzten TV-Auftritt genauso aus wie bei seinem ersten. Was die Haare betrifft. Und auch Rod Stewart und Gerhard Schröder haben eine scheinbar stets unveränderliche, jede auf ihre Art einzigartige jugendliche Matte auf dem Kopf.
Selbst wenn Sie einen der Herren früher belächelt haben, damals, als Sie sich noch nicht vorstellen konnten, wie fluchtartig das Melanin Ihr Haar verlässt und alles an körpereigener Farbe mit sich nimmt, so werden Sie die drei nun für ihr vorausschauendes Handeln bewundern. Natürlich haben sie diesbezüglich nicht mehr Glück als andere, sie haben nur der senioriden Haarpracht ein Schnippchen geschlagen und die Pigmente frühzeitig selbst in die Hand genommen. Rex Gildo und Rod Stewart sahen für mich immer gleich aus, eben weil die beiden nicht lange gezögert haben, sondern die Zeichen der Zeit gleich erkannten. Das damalige deutsche Regierungsoberhaupt hingegen war nicht ganz so pfiffig, er entschied sich erst nach der »Pinzettenphase« gegen die Natur und griff zu einem Produkt, welches das bereits ergraute Haar unauffällig wieder in seinen Anfangszustand versetzen sollte – und das ging leider schief. Die Bürgerinnen und Bürger glaubten nicht an das Wunder der körpereigenen Farbrückkehr und belächelten ihren Kanzler.
Wir Menschen mögen offenbar lieber die ehrliche Fälschung als die vertuschte Wahrheit. Wobei man hier ganz klar zwischen den Geschlechtern unterscheiden muss. Bei Männern wird einfach davon ausgegangen, dass sie alle sein wollen wie George Clooney (der für »hammer-sexy-cooler Typ mit 50« steht wie »Tempo« für Taschentücher) und sich automatisch fühlen wie sein Doppelgänger, sobald sie graue Haare bekommen. Aber das ist Quatsch. Es sieht ja auch nicht jede blonde Frau aus wie Claudia Schiffer. Und wenn wir ehrlich sind, dann wissen wir das auch. Trotzdem ist es so, dass Männer in unserer Gesellschaft angeblich mit den Jahren an Attraktivität gewinnen, dieses positive Vorurteil auf Frauen aber keine Anwendung findet. Ganz im Gegenteil.
Ich fürchte, kaum ein Mann sieht im Traum eine graue Mähne vor, unter oder über sich lustvoll auf und ab wippen. Solange er sich noch selber die Schuhe zubinden kann, will kein Mann in dieser Liga spielen. Daher also die große Akzeptanz gefärbter Haare bei Frauen. Es ist geradezu ein Muss, um nicht durch alle Beuteschemen zu fallen und als Milf[2] im Fokus zu bleiben.
Sicher gibt es einige beratungsresistente Frauen, die sich im Zuge der inzwischen vollkommen verschwommenen Grenzen der Geschlechterrollen keine Chemie mehr auf den Kopf massieren lassen wollen, sondern selbstbewusst dazu stehen, im Laufe der Zeit zu ergrauen. Das findet (meiner persönlichen Umfrage nach) ausschließlich bei anderen Frauen Zustimmung und zeugt unter ihnen (anscheinend) von Selbstbewusstsein. Doch das ist gefährlich, denn auch wenn wir mittlerweile länger leben, heißt es noch lange nicht, dass das Urwesen des Mannes sich im gleichen Tempo entwickelte und heute die instinktive Partnerwahl zur Erhaltung der Art nicht mehr an gesundes, jugendliches Aussehen gekoppelt ist, dafür aber der ehemals den Großeltern vorbehaltene Look Einzug unter den Brautschleier hält.