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Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, August 2017

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ISBN Printausgabe 978-3-499-63277-8 (1. Auflage 2017)

ISBN E-Book 978-3-644-40153-2

www.rowohlt.de

ISBN 978-3-644-40153-2

Anmerkungen

A, B, C, D, mokratie – Vorwort

Horn 2007: 35.

Geuss 2011.

Entsprechend Malinowski: «study ritual, not belief».

Von der Erkenntnisabsicht her fühlt das durchaus Verwandtschaft zu: «Die wirklichen Situationen des politischen Betriebs selbst in Augenschein zu nehmen, um davon verwirrt zu werden und dadurch besser über Politik nachdenken zu können. Die mediale Repräsentation zeigt eigentlich auch alles, aber es irritiert einen nicht, man kennt es, man sieht über die Wahrheit hinweg» (Goetz 2008: 26). Meiner Meinung nach muss man sich jedoch genau durch die mediale Repräsentation der Politik irritieren lassen. Dass allein Nähe zu ihren wirklichen Situationen (was immer das sein soll) die Wahrheit der Politik zu enthüllen vermag, halte ich für naiv.

Erich Auerbach, zitiert nach Vialon 2001: 57–58. Es gibt ähnlich lautende Einschätzungen, etwa von Kracauer: «Der Ort, den eine Epoche im Geschichtsprozeß einnimmt, ist aus der Analyse ihrer unscheinbaren Oberflächenäußerungen schlagender zu bestimmen, als aus den Urteilen der Epoche über sich selbst» (Kracauer 1963: 50). Oder von Barthes, hier bereits etwas hochgestochener: dass «… sich eine Gesellschaft vielleicht durch die Analyse der Codes historisch leichter und zuverlässiger definieren [läßt] als durch Analyse ihrer Signifikate … [Deswegen] haben wir wohl besseres zu tun, als direkt die ideologischen Inhalte unserer Zeit zu erfassen» (Barthes 2013 [1961]: 26).

Applausminuten

FAZ vom 14. Januar 2016, «CDU-Mitglieder gegen Merkel: Unerhörtes aus Berlin».

Schwartzberg 2014.

Hier zitiert nach Baberowski 2012: 13–14.

FAZ vom 20. Juli 2016, «Amerikas größtes Fettnäpfchenbuffet». Auf der CDU-Auftaktveranstaltung für den Wahlkampf zur NRW-Landtagswahl 2017 riefen die Delegierten nach der Rede des Spitzenkandidaten Laschet im Sprechchor «Armin, Armin!» – und das hörte sich auf den hinteren Rängen des Saales wie «Martin, Martin!»-Rufe an.

Für diese und die folgenden Zitate siehe Flaig 2012: 38–39 und 65.

Bei alter Bestuhlung – wie im Reichstag – war auch das Klappen mit den Pultdeckeln ein Zeichen der Akklamation (zähle 2012).

Canetti 2001 [1960]: 220.

Mouffe 2015.

«… the voice of the greater number, must be considered as the voice of them all. For if the lesser number pronounces (for example) in the affirmative, and the greater in the negative, there will be negatives more than enough to destroy the affirmatives; and thereby the excess of negatives, standing uncontradicted, are the only voice the representative hath» (Hobbes, Leviathan Kapitel 16).

Siehe Vismann 2000.

Flaig 2012: 65.

Flaig 2012: 198 und 207.

FAZ vom 27. Juli 2016, «Buh, wie Bernie».

Guilhaumou 1989; Göttert 2004. Schreien die Parlamentarier durcheinander, wird es notwendig, parlamentarische Ruhe herzustellen. Diese wurde wiederum akustisch hergestellt: Der Präsident ruft mit der Glocke «zur Ordnung» (Zähle 2012: 873 und passim). Ertönt die Glocke, hat der Redner seine Ausführungen zu unterbrechen. Mit dem Gebrauch der Glocke übt der Präsident das Hausrecht im Parlament aus, «verschafft er sich Gehör, unterbindet Wortgefechte oder erteilt nonverbale Ordnungsrufe» (ebenda: 875). Die Verwendung der Glocke wird im Plenarprotokoll notiert (als Regiebemerkung «Glocke» oder «Glocke des Präsidenten»). Kommt das Plenum trotzdem nicht zur Ruhe, so ist der Glockeneinsatz zumindest für die Stenographen verbindlich: «Zwischenrufe und Ausführungen des Redners [sollen] in den Protokollen nicht stenographiert werden, während die Glocke des Präsidenten erklingt» (ebenda: 877). Zumindest in der Schrift schweigt die Stimme, wird eine Ordnung behauptet, auch wenn sie in der Sprache nicht verwirklicht wird.

FAZ vom 16. Oktober 2015, «Im Land der begrenzten Möglichkeiten».

Applausminuten

Klein 1989: 982.

bunt

Jacques Ranciere, zitiert nach Thomä 2016: 52, siehe Eppler 1992.

Thompson 2016.

http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/gleichstellung-von-maennern-mittelalter-weisser-mann-kolumne-a-1122496.html

Koselleck 1975 [1989].

Burg Wulffenstein («die Gaube des Grauens»)

Siehe: Burg Wulffenstein – die Gaube des Grauens. In: taz vom 20. Dezember 2011.

Die Welt vom 18. September 2005, «Resignation vor dem Reihenhaus».

Deswegen geht auch die Stilkritik Moritz von Uslars (Die Zeit vom 10. Juni 2010: 46) an Christian Wulff eher ins Leere: Er trage «Hemden aus Baumwollpopeline und Krawatten von Eterna». Seine Schuhe kämen «fast ausschließlich von der Firma Lloyd aus dem niedersächsischen Sullingen (den Herrenschuh Denver mit Vollgummisohle in der modischen Karreeform gibt es dort für 99,95 Euro»). Vgl. Macho 2011.

Burg Wulffenstein – die Gaube des Grauens. In: taz vom 20. Dezember 2011.

York 2006; Sudjic 2006. Nehmen wir den neuen, 2014 fertiggestellten türkischen Präsidentenpalast: «1000 Zimmer hat der umgerechnet 270 Millionen Euro teure Palast. Er heißt Ak Saray, Weißer Palast – oder im übertragenen Sinn Reiner Palast» (Spiegel Online vom 29. Oktober 2014, «Türkischer Präsidentenpalast: 1000 illegale Zimmer für Erdogan»), ein Kalauer angesichts des Umstands, dass der Palast ein Schwarzbau ist, der – trotz mehrfacher gerichtlicher Untersagung – in einem Naturschutzgebiet errichtet wurde. «Das Grundstück umfasst Berichten zufolge 210000 Quadratmeter, das Gebäude selbst etwa 40000. Erdogans neues Domizil ist damit größer als der Buckingham Palace, der Élysée in Paris und das Weiße Haus in Washington sowieso» (ebenda). Anlässlich des Besuchs von Palästinenser-Präsident Abbas inszenierte sich der türkische Präsident beim Empfang im Palast bizarr mit einer Trachtengruppe, bestehend aus 16 Schauspielern, die in pseudo-historischen Gewändern für jene 16 Reiche stehen sollen, in deren Nachfolge die Türkei angeblich stehe (Spiegel Online vom 13. Januar 2015, «Spott im Netz: Erdogans Ausflug nach Mittelerde»).

Das Folgende ist ein Zitatpotpourri aus der FAZ vom 21. Juli 2016, «Ein goldener Mittelfinger für das Weiße Haus», http://www.spiegel.de/politik/ausland/donald-trump-in-palm-beach-louis-xiv-auf-einem-acid-trip-a-1118935.html und Frankfurter Allgemeine Magazin, Wohnen Spezial, Oktober 2016, «Trump l’œil».

FAZ vom 21. Juli 2016, «Ein goldener Mittelfinger für das Weiße Haus».

FAZ vom 21. Juli 2016, »Ein goldener Mittelfinger für das Weiße Haus».

FAS vom 20. November 2016, «Ganz unten».

Chlorhühnchen

Und dann hätten wir da noch den ritzy Robespierre oder den lounge-lizard Lenin; vgl. Wright 2016: 74.

http://www.focus.de/politik/deutschland/klaus-ernst-mit-porsche-und-plateauschuhen_aid_542083.html vom 17.8.2010.

Der stellvertretende Vorsitzende des Front National, Florian Philippot, will Emmanuel Macron nach der ersten Runde der französischen Präsidentschaftswahlen 2017 als elitären Schnösel erscheinen lassen. Macron hatte für Mitarbeiter und Unterstützer eine Wahlparty in einer Montparnasse-Brasserie organisiert. Philippot: «Vielleicht war das Fouquet’s ja schon geschlossen»; siehe FAZ vom 25.  April 2017, «Feindseligkeiten beim Marktbummel».

Albert 2009: 243.

Qu’ils mangent de la brioche. Das Zitat selbst scheint Marie Antoinette falsch zugeschrieben worden zu sein (Lanser 2003). Eine erste Fassung des Spruchs findet sich in Rousseaus Confessions mit pauschalem Verweis auf eine grande princesse (die aber 1769, zur Zeit der Niederschrift der Confessions, schwerlich Marie Antoinette gewesen sein kann).

The Independent, 20. Mai 2014: Ed Miliband criticised over «£70-a-week» shopping bill. http://www.independent.co.uk/news/ed-miliband-has-no-idea-how-much-he-spends-on-his-own-weekly-shop-9402068.html. Siehe auch: Should politicians know the price of a pint of milk? BBC News Magazine, 24. April 2012.

Chlorhühnchen

Jean-François Copé, französischer Präsidentschaftskandidat der konservativen Republikaner, schätzte in einem Interview mit dem Sender Europe 1 den Preis eines Croissants auf zehn bis fünfzehn Cent (vgl. http://www.spiegel.de/politik/ausland/frankreich-jean-françoiscope-weiss-nicht-was-ein-croissant-kostet-a-1118159.html).

Ist Boris Johnson das Gegenbeispiel? Nicht wirklich. Dass ein Volk von Exzentrikern einen Exzentriker zur repräsentativen Figur erhebt, erscheint dann doch nicht so überraschend. Zum Zusammenhang von exzentrischer Politik und exzentrischem Erscheinungsbild ( Flechtslipper;  Burg Wulffenstein).

Beim Staatsbesuch ist politisch die Balance zu halten zwischen rustikal und raffiniert. War Chirac Gast im privaten Oggersheimer Rahmen ( Gullydeckel;  Flechtslipper), wurde der Saumagen von den Sterneköchen im Deidesheimer Schwarzen Hahn zubereitet.

«Das Gegenmittel: Schlange stehen bei Konnopke, Flaschenbier und Currywurst-Exzesse» (Süddeutsche Zeitung;  Flechtslipper). Das Anbiedern einer Mittelschichten-SPD beim vorgestellten echten Proletarier seligen Angedenkens fand dann seinen vorläufigen Höhepunkt im Wahlkampfslogan Currywurst ist SPD der NRW-SPD im Jahre 2012.

http://www.ilmattino.it/articolo.php?id=1277043&amp%3Bsez=LANCIO_NOTTE. Helmut Schmidt fehlt in dieser Auflistung, vielleicht weil seine ganz besondere Tagesdiät dem Wähler nicht viel Gelegenheit zur Identifikation gab: Coca-Cola, Eiscreme und 80 Mentholzigaretten.

Das kollektiv Imaginäre hat hier offensichtlich keine kommerzielle, sondern eine rein politische Funktion; Barthes 1985 [1967].

http://peoplebitingintobratwurst.tumblr.com/

taz vom 19. Juni 2013.

Spiegel 5/2017: 26.

Arbeitsessen, «bei welchem Staatsmänner, Fernsehkulturarbeiter und sonstige Schnarchsäcke gewaltig an ihren Schnitzeln herumarbeiten» (Henscheid 1993: 27).

Dabei hat sich die Einsicht in die demokratische Zierde der Bescheidenheit noch nicht überall herumgesprochen. Mitglieder des italienischen Senats zumindest assoziieren mit Selbstbedienungsmentalität nicht das Schlangestehen in Behördenkantinen, sondern im senatseigenen Restaurant Rinder-Carpaccio für 2,67 € (bei einem monatlichen Grundgehalt italienischer Abgeordneter von über 9000 €). Der Besuch beim Parlamentsfriseur ist gänzlich kostenfrei ( Locken im Wind; vgl. FAZ vom 12. August 2011, «Das süße Leben der Abgeordneten»).

In diese Rubrik fallen auch die freedom fries. Und diese haben wiederum eine längere, diesmal deutsche Vorgeschichte. Im Ersten Weltkrieg wurde in den USA das Sauerkraut zum liberty cabbage, die Frankfurter wurde zum Hot Dog (Bizeul 2013: 35). Auch gut 100 Jahre später ist das Verhältnis von Politik und Essen nicht wesentlich entwickelter: Neuerdings gilt es als unpatriotisch, in Russland einen Kaffee als einen Americano zu bestellen, einige Cafés haben bereits auf der Karte auf Russiano umgestellt.

Lutz-Auras und Gottschlich 2013; Bendix und Fenske 2014.

http://www.lefigaro.fr/mon-figaro/2012/05/14/10001–20120514ARTFIG00655-merkel-hollande-les-secrets-d-un-premier-rendez-vous.php. Doch das Essen kann natürlich auch zum innenpolitischen Politikum werden: Unter Premier Raymond Barre verschwindet der bar grillé von der Speisekarte des hôtel Matignon, und nach dem gescheiterten Attentat von Petit-Clamart auf de Gaulle verbot es sich, im Élysée weiterhin «petits pois à la Clamart» zu servieren (Albert 2009: 253).

Mennell 1995.

Es ist der Wegfall der einen, alten Nachfrage, die der adeligen Auftraggeber, die erst die Entstehung der anderen, neuen Nachfrage, die des bürgerlichen Publikums, generiert (Spang 2001). Dies sind die politischen Determinanten der nun im Entstehen begriffenen Reputationsmärkte für Kunst, Essen, Wein etc.

Field, Gournay et al. 2007.

Mennell 1995: 139.

Baker 1992; Habermas 1990 [1962].

FAZ vom 3. Februar 2015.

Chlorhühnchen

Gastronodiplomatie – das klänge doch wie ein neuer Magen-Darm-Virus, lästerte Le Monde.

Delaberation

«Welche geschichtliche Leistung bewundern Sie am meisten? Die totale Normalität der parlamentarischen Regulation der staatlichen Macht» (Goetz 2008: 155).

Vgl. etwa § 81, Abs. 1 und § 84 Geschäftsordnung des Deutschen Bundestags. Es gibt natürlich auch die Aussprache ohne Abstimmung (Zeh 1989: 929, Rdnr. 31), aber auch dann ist der Zusammenhang mit der Entscheidung immer gegeben: «Jede parlamentarische Debatte bereitet … Entscheidungen vor und führt sie mit herbei» (ebenda: 930; meine Hervorhebung).

Wawro und Schickler 2007; Koger 2010.

Schmitt 1923: 22 und Habermas 1992 [1988]: 626.

Schmitt 1923: 24; Schmitt 1988 [1932]: 13.

Manin 1997.

Moe 1990.

Palonen 2015.

Deswegen ist auch der gängige Politologenjargon von der Output-Legitimität problematisch. Man möchte Talleyrand paraphrasieren: Output-Legitimität ist ein recht komplexer Begriff, er meint ungefähr dasselbe wie – Input-Legitimität. Ob eine politische Entscheidung «richtig» war, misst sich an der Zustimmung, auf die sie trifft. Ohne Zweifel ist diese Zustimmung wiederum (auch) abhängig von den Effekten einer Entscheidung – und dabei trifft z.B. höheres Wirtschaftswachstum im Regelfall (aber eben auch nicht immer) auf höhere Zustimmung als niedriges. Das aber macht eine Entscheidung nicht ausschließlich aufgrund ihrer Effekte und unabhängig von der faktischen Zustimmung zu ihr legitim. Diese Zustimmung ist eine der Mehrheit, die sich erst bei der Verabschiedung eines Gesetzes und dann gegebenenfalls in seiner nachträglichen Bewertung bei Wahlen materialisiert – oder eben auch nicht. Falls nicht, würde es dann eben neue Mehrheiten und neue Entscheidungen geben. Für die Output-Legitimität gilt daher schlicht: ca n’existe pas.

Das ist nach Schmitt, und Habermas folgt ihm hierin, die Essenz der Rationalität des Gesetzgebers in der Demokratie; vgl. Schmitt 1923: 24, 26 und passim.

Möllers 2008; Gaus 2013; Mouffe 2015.

Osborne und Rubinstein 1994.

Bei Schmitt findet sich auch die Vorstellung einer Gewaltenteilung: das Gesetz sei Veritas, die Verwaltung Autoritas, Gesetzgebung meine daher deliberare, Exekutive agere (Schmitt 1923: 33).

Döring 1995; Döring 2005; Cox und McCubbins 2011. Nach dem Standing Order No. 22 des Britischen House of Commons ist das Filibustering, wie es etwa im US-amerikanischen Senat praktiziert werden kann, untersagt. Es besagt: «Mr. Speaker or the chairman, after having called the attention of the House, or of the committee, to the conduct of a member, who persists in irrelevance, or tedious repetition either of his own arguments, or of the arguments used by other members in the debate, may direct him to discontinue his speech».

Mouffe 2015: 38–39. Und mit dieser Frage, wie wird die Debatte beendet?, muss die politische Theorie nach den «entscheidenden Implikationen jener seltsamen Notwendigkeit fragen, die einer Diskussion, einem Austausch von Worten oder Argumenten, einer Debatte oder Beratung in der begrenzten Zeit und im endlichen Raum einer demokratischen Politik eine Grenze aufzwingt. … Wenn der richtige Zeitpunkt für einen anstehende Entscheidung gekommen ist, kann und muß der Akt einer Souveränität mit abrupter Gewalt einer endlosen Argumentation ein Ende setzen» (Derrida 2006: 25–26).

Besch 1989; Schreiner 2005; Palonen 2015. Vgl. Hinds Rules of Procedure 1907, 5: 49.

Wawro und Schickler 2007; Koger 2010: 17; Cox und McCubbins 2011.

Siehe https://urogyn.coloradowomenshealth.com/blog/dont-fill-up-filibuster/. Die politische Blasenkontrolle spielt auch in einem anderen Kontext, bei dem die Entscheidung wesentlich durch körperliche Erschöpfung herbeigeführt wird, eine wichtige Rolle. In EU-Spitzentreffen nutzt der britische Premier Cameron eine volle Blase, um wach und konzentriert zu bleiben. «Cameron, it is said, used his tried-and-tested ‹full-bladder technique› to achieve maximum focus and clarity of thought throughout the gruelling nine-hour session in Brussels. During the formal dinner and subsequent horse-trading into the early hours, the prime minister remained intentionally ‹desperate for a pee› (The Guardian, 12. Dezember 2011: Does David Cameron’s «full-bladder technique» work?).

Ich folge hier Koß 2015.

Delaberation

Cox 1987.

Koß 2015.

Im Fluchtpunkt des Schweigens befand sich auch die französische Debatte in den Revolutionsjahren. Sie stand aber weiterhin unter der Vorstellung der konsensualen Wahrheitssuche: Da der Meinungsstreit ja lediglich als Ausdruck eines kognitiven und temporären Problems beim Erkennen des volonté generale verstanden werden könne, bedürfe die ideale Demokratie eigentlich der Aussprache nicht – das allgemein als richtig Erkannte würde von allen eingesehen und einstimmig verabschiedet. Dies ist das bekannte Rousseau’sche Argument: «Wenn also die Ansicht siegt, die meiner entgegengesetzt ist, dann beweist das nichts anders, als daß ich mich geirrt hatte, und daß was ich für den allgemeinen Willen hielt, es nicht war». Bei Irrtumsfreiheit erübrigt sich die Aussprache, das Idealbild des Rousseau’schen Parlaments sind die schweigend, einmütig beieinander stehenden Deputierten. Die Gesetze sollten idealerweise sans discussion zustande kommen (Gesellschaftsvertrag, Buch II, Kap. 4, Abs. 7). Der Konsens zeigt sich auch hier als einmütige conspiracy of silence. Die Rede ist auch bei Rousseau nicht der Fluchtpunkt der Demokratie: Für den Contrat social gilt – «universal silence is taken to imply the consent of the people». Dahinter steht eine Hierarchie: das Schweigen ist der Rede überlegen, die Rede der Schrift, und ein Ableitungsverhältnis: die Rede leitet sich aus dem Schweigen ab, die Schrift aus der Rede. Carl Schmitt folgt dieser Interpretation: «Die Methode der Willensbildung durch einfache Mehrheitsfeststellung ist sinnvoll und erträglich, wenn eine substanzielle Gleichheit des ganzen Volkes vorausgesetzt werden kann. In diesem Fall liegt nämlich keine Überstimmung der Minderheit vor, sondern die Abstimmung soll nur eine latent vorhandene und vorausgesetzte Übereinstimmung und Einmütigkeit zutage treten lassen. Da, wie schon erwähnt, jede Demokratie auf der Voraussetzung des unteilbar gleichartigen, ganzen, einheitlichen Volkes beruht, so gibt es für sie in der Sache und im Wesentlichen überhaupt keine Minderheit und noch weniger eine Mehrzahl fester, konstanter Minderheiten. Man läßt sich auf das Verfahren der Mehrheitsfeststellung ein, nicht etwas, weil man aus Relativismus oder Agnostizismus darauf verzichtete, das Wahre und Richtige zu finden … Sondern man setzt voraus, daß kraft der gleichen Zugehörigkeit zum gleichen Volk alle in gleicher Weise im Wesentlichen das Gleiche wollen» (Schmitt 1988 [1932]: 31; siehe ebenso Schmitt 1923: 14–15).

E-Democracy

So fasste Carl Schmitt diese Position 1923 in «Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus» zusammen. Vgl. auch: «The happiest societies, Rousseau maintained, were those in which all members could congregate beneath an oak tree to regulate collective affairs in person, unmediated. This was a seductive image, especially in the warmer months, but of little help to the hundreds of [French] provincial administrators, lawyers, and businessmen who were struggling to justify their roles to themselves and the nation they were suddenly claiming to represent» (Kafka 2012: 35).

Wie noch bei Rousseau: «Alles, was bei den Griechen das Volk zu tun hatte, tat es selbst: es war fortwährend auf öffentlichen Plätzen versammelt. Ein mildes Klima war seine Heimat.»

In der französischen Verfassung von 1791 ist zum ersten Mal das Repräsentativprinzip niedergelegt. Titre III: Des pouvoirs publics. Articles 2: La Constitution française est représentative: les représentants sont le Corps législatif et le roi.

Geuss 2015: 107.

Geuss 2015: 109.

Reybrouck 2017.

Wenn man fragt, warum Parteien überhaupt diese suizidalen Strategien verfolgen, dann wird man auf interne Konflikte verweisen müssen, und da gibt es dann immer eine Fraktion, die von einem Bündnis mit der – digital mobilisierten – Basis profitiert. Auf diese Weise die ihm feindlich gesinnte Funktionärsebene zu umgehen, beabsichtigte etwa auch der abgesetzte PSOE-Vorsitzende Pedro Sánchez.

Coase 1937.

Cartledge 2016.

Flechtslipper

FAS vom 7. August 2016, «Und schon haben Sie einen Skandal».

Poschardt 2007.

Ellwanger 2002; Dogramaci 2011; Vinken 2013.

Natürlich trifft das politische Identifikationsangebot auch immer wieder auf Imitationswillige, insbesondere, wenn sich Politiker als Anti-Politiker inszenieren: «Am Rande des Platzes ein Kernfamilienvater, dem die Natur die kantige Schädelform geschenkt hat, die ihm die vollendete Imitatio seines Idols erlaubt. … Nadelstreifenanzug mit Weste, rosa-weiß gestreifte Krawatte mit passendem Einstecktuch. Randlose Brille. Beim Warten ein Bild der Nonchalance: Mit der einen Hand raucht er einen dünnen Zigarillo, mit der anderen krault er das Haar seines zappeligen Sohnes. Die blonde Gattin im rosa Pullover mit rosa Handtasche. Jeans der Marke ‹Victoria Beckham – Rock and Republic›. Heute ist Rock und Nobility angesagt» (FAZ vom 12. September 2009, zu einem Wahlkampfauftritt von Karl-Theodor zu Guttenberg). Weitere Beispiele für politisches Trendsetting: Sarah Palin und rote Peeptoe-Pumps der Marke «Naughty Monkey» (taz vom 19. September 2008), oder: François Hollande. Der Motorradhelm, den der französische Präsident auf dem nächtlichen Weg zu seiner Affäre mit der Schauspielerin Julie Gayet trug, ist «zum Kassenschlager geworden. ‹Das Modell war plötzlich ausverkauft›, sagte Thomas Thumerelle, Chef des Vertreibers. Innerhalb von 24 Stunden sind mit 1000 Exemplaren zehnmal so viel verkauft worden wie üblich. Der 199 Euro teure Helm der Marke Dexter trägt nun den Zusatznamen ‹Président›. Der Hersteller wandte sich per Zeitungsanzeige an Hollande: ‹Danke, Herr Präsident›» (Tagesspiegel 2014, 25. Januar, S. 32).

Das war eine individuelle Willensgeste, vergleichbar dem «Ich will hier rein»-Rütteln am Zaun des Kanzleramtes, die der Partei, die Schröder repräsentierte, aber schon nicht mehr zu vermitteln war.

FAZ vom 3. Juni 2013.

Handelsblatt vom 17. August 2013. «In den Bundesländern gehen Regierungen verloren, Bundespräsidenten treten zurück, Europa türmt Gipfel um Gipfel Bürgschaften aufeinander … Immer wieder heißt es, nun entscheide sich das Schicksal der Kanzlerin. Aber dann ist der Moment vorbei, und alles, was sich geändert hat, ist die Farbe ihres Blazers» (FAZ vom 17. März 2012, «Die Pädagogik der Angela Merkel»). Vgl. Paul 2008.

Spiegel, 12/2017, «Im Kartenhaus», S. 18.

Flechtslipper

Hunt 1998. Vielleicht auch viel älter. In Cesare Ripas Iconologia von 1645 ist die Demokratie mit «einem bescheidenen Gewand» ausgestattet, weil «in der Demokratie unbedingt der Eindruck einer angestrebten Nähe zu den höheren Ständen vermieden werden muß» (Warnke 2011: 229).

FAZ vom 6. Februar 2013.

«simplicité populaire» (Baecque 2011).

Vinken 2013: 119; Roche 1994. Die Formulierung folgt Daniel Roche: «Apparences révolutionnaires ou révolution des apparences».

Vinken 2013: 84–85.

Kwass 2006.

Kaspar Maase, «Des Kanzlers Scorpions sind des Kaisers weiße Rößl. Über populäre Kultur als repräsentative Kultur.» In: Merkur, Nr. 632, Dezember 2001.

Zitiert nach Macho 2011: 292. Eine Einschätzung, die sich etwa durch Gabriele Paulis Karriere beendendes Posieren mit Latex-Handschuhen bestätigt sehen kann.

Sunday Times vom 15. September 2013 «In the Shadow of Giants», hier zitiert nach FAZ vom 18. September 2013 «Auflauf der Internatsschüler.

von Müller 2011.

Neben Kurt Beck würden in der erst noch zu schreibenden «Kulturgeschichte des politischen Schuhs» Nikita Chruschtschow (UN-Rede), Joschka Fischer (Vereidigung als hessischer Umweltminister), Guido Westerwelle (mit den auf seinen Schuhsohlen geschriebenen 18 % bei Big Brother), sowie Julia Klöckner (laut rheinland-pfälzischem SPD-Landesvorsitzenden Roger Lewentz ein «shitstorm auf Pumps»; siehe FAZ vom 15. November 2014) Erwähnung finden müssen, wie auch Kanzler Schröders Gummistiefel beim Elbhochwasser 2002. Zudem auch der Schuhwurf (shoeing) des irakischen Journalisten Muntadhar al-Zaidi auf George W. Bush während einer Pressekonferenz am 14. Dezember 2008 – inklusive des diesen Wurf heute ehrenden Denkmals in Tikrit. Im Wikipedia-Eintrag «shoe throwing incidents» finden sich für den Zeitraum 2008 bis 2015 70 einzelne Vorkommnisse aufgezeichnet: http://en.wikipedia.org/wiki/List_of_shoe-throwing_incidents.

Von hier spannt sich eine Entwicklung bis zur «Wahlphotographie». Sie unterstellt «ein stilles Einverständnis: Das Photo ist ein Spiegel, es zeigt Vertrautes, Bekanntes, es bietet dem Wähler sein eigenes Abbild dar, geläutert, vergrößert, glanzvoll in einen Typus überführt. Übrigens ist es genau diese Erhöhung, die eine Person photogen macht: Der Wähler findet sich darin ausgedrückt und zugleich heroisiert, er ist eingeladen, sich selbst zu wählen, das Mandat, das er erteilen wird, buchstäblich als physische Übertragung zu vollziehen: Was er delegiert, ist sein ‹Typus›» (Barthes 2010 [1957]: 210).

Bild.de vom 21. Mai 2013.

Maase 2001.

Vgl. www.youtube.com/watch?feature=player_detailpage&v=uiItuY0FXqA

John Q. Public, John Doe oder Joe Sixpack, Monsieur Tout-le-monde, Erika Mustermann, Otto Normalverbraucher – die Referenz auf den imaginären Durchschnittsbürger in der Massendemokratie wäre einmal gesondert zu untersuchen ( Frau XY).

Schneider 2005.

FAZ vom 10. Juni 2013. «Das Gipfeltreffen zwischen den beiden mächtigsten Männern der Welt hat eine klare Verliererin zurückgelassen: die Krawatte». In: Süddeutsche Zeitung vom 10. Juni 2013. Für die im Januar 2015 neu ins Amt gekommene griechische Syriza-Regierung ist der Verzicht auf die Krawatte ein wichtiges Anti-Establishment-Signal – gerichtet sowohl gegen das heimische wie auch gegen das europäische «Establishment». «Ihren antieuropäischen Elan unterfüttert die neue Regierung … durch den Verzicht auf gängige Statussymbole wie Anzug, Krawatte, Einstecktuch und schmale Schuhe. Das hat Tradition. Vom Trainingsanzug des früheren venezolanischen Staatspräsidenten Hugo Chávez bis zu den Streifenpullovern des bolivianischen Präsidenten Evo Morales: Politiker haben schon immer durch unkonventionellen Habitus ihre revolutionären Ambitionen gezeigt» (FAZ vom 5. Februar 2015). Zu ergänzen wäre der combat dress von Che Guevara oder Fidel Castro. Der italienische Premier Renzi überreichte dem griechischen Ministerpräsidenten Tsipras bei seinem Antrittsbesuch einen italienischen Seidenschlips.

«Bundeskanzlerin Merkel und der britische Premierminister David Cameron sind am Freitagabend in privatem Rahmen im Gästehaus der Bundesregierung, dem Barockschloss Meseberg nördlich von Berlin, zusammengetroffen. Ausnahmsweise waren bei der Begegnung … Familienangehörige mit dabei – der Ehemann Frau Merkels sowie Frau und Kinder des britischen Gastes. Der deutsche Regierungssprecher nannte die privaten Umstände einen Beleg für die ‹sehr intensive Beziehung› der beiden Regierungschefs, die den freundschaftlichen Beziehungen der beiden Länder entsprächen» (FAZ vom 13. April 2013).

FAZ vom 19. Juni 2013, S. 3.

Flechtslipper

Der vor der Presse verweigerte Handschlag ist dann schon recht nahe am oberen Ende der Affront-Skala. Siehe etwa https://www.theguardian.com/us-news/video/2017/mar/17/donald-trump-angela-merkel-no-handshake-video.

Gullydeckel (und Kokosnüsse – und Kamele)

Bertelli 2001: 80.

Paulmann 2000, 220, 236–237. Ein Beispiel für diese Zurschaustellung der Verbrüderung zweier Staaten ist das Porträt von Kaiser Wilhelm II. in osmanischer Militäruniform von 1916: Der «deutsche Monarch trug statt einer Krone die orientalische Kopfbedeckung und formulierte auf diese Weise die Bündnistreue, die den Ersten Weltkrieg noch überdauerte. … Gedacht als Geschenk an Sultan Mehmet V. verhinderten die Kriegsgeschehnisse und die Niederlage im Jahr 1918 die Übergabe. So verblieb das Bildnis bis heute im Generalkonsulat Istanbul» (Dogramaci 2011: 55–56). «In der Kaiserlich-Deutschen Botschaft in Paris hing ein Ölgemälde, das Wilhelm II. in der Uniform der Garde du Corps des Gastlandes zeigte» (ebenda: 57).

Spiegel 25/2016: 137.

http://www.sueddeutsche.de/stil/stil-von-michelle-obama-jedes-kleid-ein-statement-13212256. Beim Besuch des indischen Premiers – ein Kleid des indischen Designers Naeem Khan; beim chinesischen Präsidenten ein schwarzes Vera-Wang-Kleid im Mermaid-Stil; die Queen – ein Kleid von Tom Ford usw. usf. Außerdem: «Es sei ihr gelungen, teure Designerware zu tragen, ohne dass dies angesichts der für viele Amerikaner spürbaren Wirtschaftskrise zu einem politischen Problem geworden wäre. Das hat sicher auch damit zu tun, dass Obama Kleider häufig mehrmals trägt. In einer Vogue-Titelstory über ihre Modevorlieben inszenierte sich die frühere Anwältin glaubhaft als Mutter zweier Töchter, die im Alltag preisbewusst einkaufe. Immer wieder sah man die Präsidentengattin in Kleidung von Modeketten wie H&M, J. Crew und Zara.» (Süddeutsche Zeitung, ebenda;  Flechtslipper).

Bertelli 2001: 83–86.

Bertelli 2001: 86.

FAZ vom 3. November 2010.

Paulmann 2000: 45; Gaehtgens 2011.

Hartmann 2005: 38.

Hartmann 2005; Bruhn 2011.

Daniel 1995.

Paulmann 2000: 229–231.

Trump hingegen besteht darauf, bei seinem London-Besuch im Oktober 2017 in der goldenen Kutsche auf dem Weg zum Staatsbankett im Buckingham-Palast die Mall hinunterzufahren. Nach Bush jr. hatte auch Obama auf die Kutschfahrt verzichtet.

Kracauer 1963: 33.

Didion 2008 [1988]: 166.

Aber die Wahrheit dieses Moments lernen wir ja auch erst so langsam, mehr als hundert Jahre später (siehe Schmidt 2016).

Hard work, Softdrink

Der Titel kommt von hier: www.hardworksoftdrink.com. Siehe (bzw. höre) auch: https://soundcloud.com/hard-work-soft-drink.

Auf einer Wahlkampftour 2000 geäußert. Vgl. http://www.spiegel.de/panorama/hanf-song-raab-rappt-stroebele-zu-neuer-popularitaet-a-226803.html. «Nordwestdeutsche Sozialdemokraten sind geradezu von Amts wegen verpflichtet, nach der Art des Gerhard Schröder gelegentlich das Sakko auszuziehen und in Hemdsärmeln nach Bier zu schreien, damit es auch jeder hört in den Kleingartensparten. Das sind sie den Gewerkschaften schuldig. Barolo trinken können sie dann mit den Bossen» (Richter 2011: 102).

Vgl. Mouffe 2007: 98.

Hard work, Softdrink

Siehe etwa Oesch 2008.

http://www.telegraph.co.uk/news/politics/ukip/11325486/Nigel-Farage-a-pint-Ukip.-Thats-the-problem.html.

Frank Schulz, «Darauf ein gutes Glas Habermas», FAZ vom 15. Juli 2016.

Mudde and Kaltwasser 2012.

Libération vom 19. Dezember 2007.

Spiegel Online vom 6. Januar 2008, «Am Nil mit der Männerfresserin».

Reza 2008: 9.

http://www.spiegel.de/politik/ausland/alkohol-geruechte-sarkozys-bizarrer-g-8-auftritt-a-488388.html.

http://www.zeit.de/2008/19/Geistesgenossen.

Süddeutsche Zeitung, «Unter Druck und an der Flasche», 15. Juli 2011. http://www.tagesspiegel.de/politik/alkoholsucht-in-der-politikes-muss-viel-passieren-bis-etwas-passiert/4376606.html.

Das mit dem Kamillentee bestreitet Stoiber natürlich, was soll er auch anderes sagen? So müssen wir uns wohl drauf einigen: Selbst falls unwahr, wäre es doch so gut erfunden, dass es auch schon wieder wahr wäre. Postfaktische Politik, galore!

http://www.welt.de/politik/article2451770/Beckstein-findet-Autofahren-nach-zwei-Mass-Bier-ok.html.

http://www.tagesspiegel.de/politik/drogen-im-parlament-kokainspuren-beschaeftigen-bundestag/175514.html.

http://www.welt.de/politik/deutschland/article136484794/Ermittlungen-gegen-Oezdemir-wegen-Hanf-Anbaus.html.

«Warum trinkt Özdemir Özdebier?» (FAS vom 17. April 2016). Özdebier wird gebraut vom Berliner Brauhaus Lemke nach dem «anatolisch-schwäbischen Reinheitsgebot».

Süddeutsche Zeitung vom 9. März 2016, «Der Einflüsterer».

Lertzman und Birnes 2013.

Lertzman und Birnes 2013: 18 und 85.

Lertzman and Birnes 2013.

Hierzu siehe Bingham 2010.

Hard work, Softdrink

Wright 2016.

«If they’d been allowed to refer to each other’s drunkenness, there wouldn’t have been much time for anything else» (Mount 2016: 32).

Lough 2015.

Zu Soames weiß der Independent darüber hinaus zu berichten: «An anonymous woman said that making love to him was ‹like having a wardrobe fall on top of you with the key sticking out›.» Wissen wir das jetzt also auch (vgl. The Independent, In the news: Nicholas Soames: Happy eater with little appetite for humility or political correctness, vom 3. April 1998).

Parsons 2003.

Orr 2015, Kapitel 8.

Stokes, Dunning et al. 2013.

Isoloir

«but … once they get to the polling station, self-interest once again seizes them» (Goodin 1986: 89). Vgl. Downs 1957.

Krüger, zitiert nach Buchstein 2000: 16.

Vgl. Mares 2015: 136.

Goodin spricht vom «laundering of preferences through public debate» (Goodin 1986).

O’Gorman 2006: 19. Ein simpler Fakt, der in der Debatte über das doch eigentlich «Undemokratische» der geheimen Wahl kaum einmal Erwähnung findet: «We know the results of 2,386 elections in which incumbents presented themselves, where the ‹incumbent› can be a person, a party, or a hand-picked successor. Incumbents won 92 percent of the 449 elections in which voting was public and 76 percent of the 1,937 in which it was secret» (Przeworski 2015) M.a.W., die geheime Wahl hat erheblich dazu beigetragen, dass Wahlen ein effektives Machtzuteilungs- und Machtentzugsinstrument geworden sind.

Mergel 2005: 337–338.

Brennan und Pettit 1990. Rousseaus Haltung zur offenen vs. geheimen Wahl ist insgesamt komplexer, als hier dargelegt werden kann, als normativer Referenzpunkt fungiert bei ihm allerdings immer die offene Wahl. Siehe Buchstein 2000: 235–244.

Geisthövel und Knoch 2005; Mergel 2005. Heißt es nicht im § 31 Satz 1 des Bundeswahlgesetzes «Die Wahlhandlung ist öffentlich»?

Schmitt 1928 [1989]: 246; ebda., 207.

Schmitt 1929 [1988]: 111.

Siehe auch: «Es gehört zu den undemokratischen, im 19. Jahrhundert aus der Vermengung mit liberalen Grundsätzen entstandenen Vorstellungen, das Volk könne seinen Willen nur in der Weise äußern, daß jeder einzelne Bürger, in tiefstem Geheimnis und völliger Isoliertheit … seine Stimme abgibt, dann jede einzelne Stimme registriert und eine arithmetische Mehrheit berechnet wird. Ganz elementare Wahrheiten sind dadurch in Vergessenheit geraten» (Schmitt, Geistesgeschichtliche Lage des Parlamentarismus 1926).

Claude Lefort, zitiert nach Fach 2008: 119. «Arithmetisch errechnete Mehrheiten privat notierter ‹Kreuzchen› eignen sich selbstredend nie und nimmer dazu, politische Substanz darzustellen» (ebenda: 128). «Das Volk ist – um in bürgerlich-rechtlichen Kategorien zu sprechen – geschäftsunfähig. Es kann nur bei Wahlen und Abstimmungen Kreuzchen malen» (Roellecke, zitiert nach Fach: 108). Selbstredend ist nichts davon «selbstredend».

Über die Demokratie, die Zahl und die Zählbarkeit vgl. Larsen 1949; Derrida 2000, Kapitel 4, insbesondere 149–157; Schwartzberg 2014.

Isoloir

Zitiert nach Przeworski 2010: 79.

Landemore 2012; Supiot 2015. Das hat Tradition: Für Kierkegaard war angesichts der 1848er Revolution völlig klar, dass die hergebrachte Kabinettspolitik «den Regierungskünsten, die sich auf Abstimmungen und Abzählen an den Köpfen gründen, unbedingt vorzuziehen sei» (zitiert nach Ritter 2010: 337).

Zitate: «socially validated and justifiable preferences» (Offe und Preuß 1991: 167) bzw. «in a discursively defensible manner» (Brennan und Pettit 1990: 324).

Preuß 1990: 127.

Irgendwann muss es dann auch mal eine Abgabe auf journalistische Formulierungsoriginalität geben.

Göttert 2004; Dolar 2006 ( Soundbites).

Dieser Begriff wird ursprünglich als ein Euphemismus für die Toten gebraucht, ist aber seit Nixon assoziiert mit einer ressentimentgeladenen Menge.

Brennan und Pettit 1990: 315 und 316.

Buchstein 2000: 24. Der Wähler, so Claus Offe und Ulrich K. Preuß, befände sich in der Wahlkabine in einer «monological seclusion» (zitiert nach Buchstein 2000: 26), so dass «die Fähigkeit des Wählers, bei seiner Wahlentscheidung moralische Gesichtspunkte zu beachten, individuell unterfordert und deswegen kollektiv entmutigt» wird (Claus Offe, zitiert nach ebenda).

Marchart 2010. Wobei uns die eloquenten Theoretiker «des Politischen» auch immer ganz schnell versichern, dass sie – selbstredend – nur mit der Straßenpolitik der einen, nicht aber mit der der anderen Seite sympathisieren. Man möchte ihnen ohnehin empfehlen, gelegentlich doch noch einmal in Hobbes’ De Cive hineinzuschauen, wo schon vor sehr langer Zeit ein paar unbequeme Begriffsklärungen vorgenommen wurden: «Das Volk ist eine Einheit (unum quid) mit einem Willen und ist einer Handlung fähig; all das kann von einer Menge nicht gesagt werden. […] Gemeine Leute und andere, die den Sachverhalt nicht erfassen, sprechen von einer großen Zahl Menschen immer als vom Volke. […] Allein sie wiegeln dabei unter dem Vorwand, dass es das Volk sei, die Bürger gegen den Staat, d.h. die Menge gegen das Volk auf» (Hobbes, De Cive, Kapitel 12, Abschnitt 8).

Vismann 2011: 115.

Schreiber 1994.

Garrigou 1988.

Déloye und Ihl 2008: 43.

Déloye und Ihl 2008: 65.

Przeworski 2010: 13.

Przeworski 2010: 71.

Przeworski 2010: 67.

Montesquieu, zitiert nach Ritter 2010: 123.

Zu den Standardbildern, die uns von den Wahlen ins Haus geliefert werden, gehört der Besuch des Wahllokals durch die selbst zur Wahl stehenden Kandidaten. Der Amtsinhaber und der Herausforderer, zumeist in Begleitung ihrer Partner, besuchen das Wahllokal: der Kandidat wählt selbst, sinnfällig für die Gleichheit, die gilt und erst mit der Wahl aufgehoben wird: «In der öffentlichen Darstellung wurde die geheime Wahl geradezu ein Fetisch demokratischer Repräsentation. Ungezählt sind die Bilder, auf denen man einen Politiker aus der Wahlkabine kommen und lächelnd einen Umschlag in die Urne stecken sieht» (Mergel 2005: 342).

Isoloir

Bertrand, Briquet et al. 2006: 5.

FAZ vom 20. Oktober 2014, «Die Vermessung des Wählers».

Goodin und Niemeyer 2003: 636.

Déloye und Ihl 2008: 49

Ladha 1992.

Jornada de Reflexión

Den einen Wahltag gibt es in England seit dem Representation of the People oder Fourth Reform Act von 1918 (White und Durkin 2007). Zuvor konnten Wahlen bis zu vier Wochen dauern, damit Wähler mit pluralen Stimmrechten die Gelegenheit hatten, in verschiedenen Wahlkreisen abzustimmen (Sternberger und Vogel 1969: 621). Vor 1918 waren Wahlkreise darin frei, das Wahldatum innerhalb eines Zeitraums von vier Wochen festzulegen.

Wahlen waren lange Zeit sowieso keine staatliche, sondern eine private und dabei sehr kostspielige Angelegenheit. Zu den mit erheblichen Ausgaben verbundenen Pflichten der Kandidaten gehörte es, die Wählerlisten aktuell zu halten, das Wahllokal zu errichten, die offiziellen Wahlleiter zu bezahlen, die Wähler zu den Urnen zu transportieren und sie dort zu unterhalten und zu bewirten.

Österreichischer Verfassungsgerichtshof, Presseinformation zur Verkündung der Entscheidung W I 6/2016 vom 1. Juli 2016.

Epstein und Strom 1981.

Siehe aber Déloye und Ihl 2008: 63, 119 und 366–375; physionomie(s) d’une journée electorale. Ogle etwa, als die derzeit avancierteste Darstellung der historischen Herausbildung moderner Zeit, behandelt die Zeiten der Wahlen, etwa deren nationale Standardisierung im 19. und 20. Jahrhundert, überhaupt nicht (vgl. Ogle 2015).

Thompson 2004.

https://es.wikipedia.org/wiki/Veda_electoral.

Goodin and Niemeyer 2003.

Przeworski 1998: 142; Manin 1997. In den USA gibt es auch eine Regelung, die das Zusenden von Wahlkampfmaterialien 90 Tage vor Vorwahlen oder den allgemeinen Wahlen verbietet. Das bezieht sich vor allem auf das free frank-Privileg der amerikanischen Kongressmitglieder, also die ihnen offenstehende Möglichkeit, Post an ihren Wahlkreis kostenlos zu versenden. Vgl. https://cha.house.gov/franking-commission/what-frank.

In diesem Zusammenhang steht eine weitere (Gewohnheits-)Regel, deren Bruch im US-amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf 2016 eine wichtige Rolle gespielt hat (bei den Ermittlungen des FBI in Clintons E-Mail-Affäre). Es gibt eine Übereinkunft der leitenden Bundesanwälte, dass 60 Tage vor einer Wahl keine Anklage erhoben wird gegen Politiker, die für ein Amt kandidieren, weil dies riskiert, «den politischen Prozess zu unterminieren» (Cole 2016). Man vergleiche das mit den politischen Staatsanwaltschaften Frankreichs, die pünktlich zum Wahlkampf Ermittlungen gegen Kandidaten initiieren.

Thompson 2004: 57.

Lahda 1992.

Buchstein 2000; Elster 2015.

Mares 2015.

Schwartzberg 2014. Ursprünglich zielten Blackout-Regeln sicherlich nicht auf Versuche, Umfrageergebnisse manipulativ einzusetzen – ob sie heute solche Versuche abmildern, sei dahingestellt. Im Berlusconi-Italien liegen politische Macht und Medienmacht bekanntlich eng beieinander, und Wahlumfragen, veröffentlicht in einer seiner Zeitungen oder in einem seiner Fernsehsender, zudem erstellt vom ebenfalls in seinem Besitz befindlichen Umfrage-Institut Datamedia, fielen immer wieder günstig aus, und einige scheinen wie sich selbst erfüllende Phrophezeiungen gewirkt zu haben (vgl. Stille 2006: 248, 249).

Kinsley gaffe

FAZ vom 30. September 2015, «Klassenkampf im Grand Hotel».

FAZ vom 28. Dezember 2015, «Hundert Tage als Oppositionsführer überlebt».

Siehe unter anderem http://www.theguardian.com/us-news/2016/jan/20/sarah-palin-donald-trump-endorsement-speech-quotes und http://www.theguardian.com/us-news/2016/jan/20/sarah-palin-endorses-donald-trump-translating-her-speech.

Bill Clinton musste im September 1993 eine wichtige Rede zur Gesundheitsreform halten, aber der Teleprompter war falsch programmiert, nämlich mit der Rede zur Lage der Nation vom Vorjahr. Dreizehn Minuten lang musste Clinton frei sprechen, während der Teleprompter vor seinen Augen die falsche Rede abspulte. Seit diesem Vorfall haben Präsidenten bei wichtigen Anlässen immer einen Ausdruck ihrer Rede dabei.

Fender 2015.

Was natürlich auch dazu führt, dass in periodischen Abständen irgendjemand eine Politik des «jenseits von …» propagiert, was aber meistens nur eine irgendwie mittige, konturlose oder sonst wie unentschiedene Politik meint.

Vgl. Luhmann 2008; Willke 2014.

Guilhaumou 1989: 71.

Guilhaumou 1989: 75.

Dann gibt es auch noch die Variante, «was gesagt werden muß» (G. Grass), für das Grass immerhin vom israelischen Innenminister mit einem Einreiseverbot belegt wurde und für das die bundesdeutsche Öffentlichkeit dem Schriftsteller am liebsten sein komplettes Altlinken-Nachdenkerkostüm – Strickjacke, Pfeife, Walross-Schnurrbart, gelegentlich Baskenmütze – rückwirkend aberkannt hätte.

Zitate aus ORF News vom 28. Oktober 2015, «Faymann widerspricht Mikl-Leitner» und aus FAZ vom 3. November 2015, «Gabriels Hammer und de Maizières zarter Hinweis».

Merkel, am 30. November 2016.

In der Financial Times, 2014: https://www.ft.com/content/bd0b95c4–3477–11e4-b81c00144feabdc0.

Goetz 2008: 160 und 172

«Schreiben … ist ja Rücknahme des Gesagten, Korrektur am Gedachten, Widerspruch zu sich selbst. Man kann fast sagen: das Gegenteil zum Reden im Gespräch» (Goetz 2008: 160).

Musil, Der Mann ohne Eigenschaften, Kapitel 24 [hier: 97].

Benannt nach dem amerikanischen Journalisten Michael Kinsley. Als Definition siehe: «The term often refers to a politician inadvertently saying something publicly that they privately believe is true, but would ordinarily not say because it is politically damaging», zitiert nach Taegan Goddards Political Dictionary: http://politicaldictionary.com/words/gaffe/.

Siehe Stephen Greenblatt, «That’s America», In: London Review of Books, Vol. 10, No. 17, 29. September 1988, 6–8).

Sarkozy zu Obama auf dem G20-Treffen in Cannes, November 2011; BBC News vom 8. November 2011. Siehe http://www.bbc.com/news/world-europe-15635476.

Locken im Wind

«Locken im Wind» vom 30. September 2013.

Locken im Wind

Der Spiegel: «Seine Haare sind blond, sie liegen am Kopf an und werden dann wellig. […] Er sagt, die Grünen müssten vom Image wegkommen, dass sie Dinge vorschreiben wollten. Sein Beispiel ist die Fahrradhelmpflicht. Die Grünen gälten als Partei der Fahrradhelmpflicht, aber das sei gar nicht so. Seinetwegen solle jeder selbst entscheiden, ob er einen Helm trägt oder nicht. Die Grünen seien auch nicht die Partei der Skihelmpflicht. Er selbst trägt beim Skifahren keinen Helm, auch nicht beim Fahrradfahren. Bestimmt wehen seine Haare sehr schön» (Spiegel vom 30. September 2013). Siehe http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-114948718.html. Zu Gerhard Schröders gefärbten/ungefärbten Haaren siehe  Verlobungsringe.

Die Welt vom 28. März 2015 «Hofreiters beinahe rührender Auftritt in der Bunten».

Donald Trump mit seiner gelben Föhnfrisur ist kein Gegenbeispiel, denn die Kategorisierung als Frisur bleibt umstritten. Woran erinnert sie: «Meerschweinchen, Wischmopp, Hamster», Kreuzung aus «Otterschwanz und explodierendem Maiskolben», oder «eine Art Zuckerwatte mit Vordach und Heckspoiler»? (siehe u.a. FAS vom 23. August 2015, «Mr. Trump, bleiben Sie sich treu!»). Trump ist der erste US-Präsident, der seinen Friseur selbst gejagt und erlegt hat. Weinberg fragt in der London Review of Books: «Anyone for Trump?», «who will vote for Donald Trump. Not the hairdressers, since his hair is an insult to the profession». Die Anti-Trump-Bewegung formiert sich in den USA hinter einer neuen Protesthymne: «We shall overcomb». Wichtig in diesem Zusammenhang auch die platinum-blonde «Mozart-Mähne» von Rechtspopulist Geert Wilders. Wilders, teils mit indonesischen Vorfahren, hat eigentlich braune Haare, die er sich extrem hell färbt. Die Verbindung zu seinen politischen Ansichten zieht auch er selber. Die zwei Ratschläge seiner politischen Förderer seien gewesen: «First, you have to moderate your voice about Islam […] Second, change your stupid hair.» Wilders: «Wenn mich Leute bedrängen, mache ich das genaue Gegenteil.» Siehe NYT vom 22. März 2008 (http://www.nytimes.com/2008/03/22/world/europe/22wilders.html). Auf dem Treffen europäischer Rechtspopulisten in Koblenz im Januar 2017 sagt Wilders, europäische Frauen hätten wegen des muslimischen Einflusses Angst, ihr blondes Haar zu zeigen.

Süddeutsche Zeitung vom 19. April 2007.

taz vom 15. April 2010.

FAS vom 6. Oktober 2013.

Willemsen 2015: 62.

Läuterung ist natürlich immer möglich. Theodor («Du hast die Haare schön») zu Guttenberg, laut Bunte: «Ich hatte auch zu viel Gel in meinen Haaren. Auch mein Gesichtsausdruck machte einen sehr eitlen Eindruck. Aber das ist Teil meiner Vergangenheit.» Nun «gepflegter Drei-Tage Bart … ‹auch die Haare sind deutlich länger und wuscheliger, die Brille ist wesentlich moderner›» (http://www.faz.net/aktuell/politik/bayern-warten-auf-guttenberg-13695985/der-freiherr-nun-recht-leger-13562712.html). Dem politischen Comeback steht eigentlich nichts mehr entgegen.