Di Morrissey
Im Schatten des Pfefferbaums
Ein Australien-Roman
Knaur e-books
Di Morrissey ist die erfolgreichste Autorin Australiens. Als Journalistin arbeitete sie für Frauenmagazine, Radio und Fernsehen, schrieb Drehbücher und Theaterstücke und wirkte an zahlreichen TV-Produktionen mit. Sie lebt heute auf einer Farm in Byron Bay, New South Wales.
Die australische Originalausgabe erschien 2016 unter dem Titel »A Distant Journey« bei PanMacmillan Australia, Sydney.
© 2018 der eBook-Ausgabe Knaur eBook
© 2016 Di Morrissey
© 2018 der deutschsprachigen Ausgabe Knaur Verlag
Ein Imprint der Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.
Redaktion: Boris Heczko, Kollektiv Druck-Reif
Covergestaltung: ZERO Werbeagentur, München
Coverabbildung: FinePic / shutterstock
ISBN 978-3-426-45024-6
Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.
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Wir freuen uns auf Sie!
In Liebe für meine Familie in Nevada und Kalifornien, insbesondere in Palm Desert
Sie konnte riechen, wie es näher kam. Konnte es schmecken. Fühlen.
Die kratzige Trockenheit in Nase und Kehle, die klebrig-stickige Luft, das Brennen hinter den Augen. Ihre Haut fühlte sich wie altes Papier an. Mit geröteten Augen blickte sie angestrengt zum Horizont, in banger Sorge, der Himmel könnte sich flackernd röten.
Ringsum herrschte Stille, durchbrochen nur vom nervösen Schnauben der Pferde. Die Vögel schwiegen, die Hunde hatten sich mit angelegten Ohren unter dem Haus verkrochen. Ängstlich kauerten sich die Schafe auf der Weide aneinander.
Sie wussten, dass es auf sie zukam. Ihr Schicksal hing davon ab, ob der Wind drehte. Einen Ausweg gab es nicht.
Das Warten war das Schlimmste. Männer und Frauen standen bereit, gerüstet mit dem, was sie zur Verfügung hatten, ganz gleich wie untauglich es sein mochte, um gegen ihren schlimmsten Albtraum zu kämpfen – ein australisches Buschfeuer.
Die schwangere Frau war allein, lag matt auf der Matratze. Die drückende Hitze und der Luftdruck machten ihr zu schaffen, raubten ihr die Kraft, die Hoffnung. Die Außenseite der Mauern und sogar die Veranda hatten sie mit kostbarem Wasser begossen. Behälter mit Wasser aus dem Staubecken standen bereit, dazu Decken, Handtücher und Leinensäcke, um sie mit Wasser getränkt als Waffe gegen die Flammen einzusetzen.
Vom schlammigen Staubecken her hörte sie die Sirene des Löschfahrzeugs, dessen Reifen auf dem heißen, trockenen Gras kaum Halt fanden, wenn es mit vollem Wassertank mühsam hügelan kroch. Zumindest für einen Augenblick fühlte sie sich nicht mehr ganz so allein. Sie erhob sich vom Bett und ging auf die Veranda.
Die Hitze des Tages hielt unvermindert an. In den glutheißen Himmel über den verdorrten braunen Weiden mischten sich nun unheilvolle Farben: ein öliges Rot, ein unheimliches Orange.
Der surreale Sonnenuntergang bestätigte ihre Befürchtungen. Während sie dastand und das Geländer umklammerte, senkte sich die Nacht herab. Es roch jetzt noch stärker nach Rauch, und Temperatur und Luftdruck veränderten sich, als würde ein riesiger Schlund die Luft einsaugen, ehe er sie wieder ausspie. Ascheflocken regneten vom pechschwarzen Himmel.
In der Ferne hörte sie das Rumpeln von Fahrzeugen, die zu den Stellen rasten, wo heimtückische orangerote Zungen an Wiesen, Büschen und Bäumen leckten.
Nun war es Wirklichkeit geworden.
Vor ihrem inneren Auge sah sie, wie ein kauerndes Scheusal sich aufbäumte und Heerscharen fliegender Funken versprühte. Die Feuersbrunst hatte eine mehrere Kilometer breite Front gebildet und wurde vom heulenden Wind in ihrem Rücken immer weiter vorwärtsgetrieben. Ein einziger ausbrechender Funke konnte Bäume, Wälder, Landstriche in Brand setzen. Nichts blieb vor dem gnadenlosen Ansturm verschont, weder Mensch noch Tier noch Pflanze. In ihrer berserkerhaften Unberechenbarkeit überwand die Feuersbrunst Straßen und Flüsse, wälzte sich rasend schnell über das Land, änderte von einem Moment auf den anderen die Richtung und schnitt alle Fluchtwege ab.
Sie wusste, dass sich die Männer auf den Weiden verteilt hatten. Mit feuchten, um den Kopf gewickelten Handtüchern und nassem Stoff um den Hals achteten sie auf jedes aufzüngelnde Flämmchen, jeden Funkenflug. Rasch löschten sie das Feuer mit ihren primitiven Mitteln, bis irgendwo anders ein neuer Brandherd entstand und außer Kontrolle zu geraten drohte. Manchmal waren sie machtlos: Wenn Funken Nahrung fanden und ein neues Feuer aufloderte, das sich in eine prasselnde, gierig verzehrende Flammenwand verwandelte, blieb den Männern nur der Rückzug, um nicht eingekesselt zu werden.
Mittlerweile verpestete der Rauch die Luft. Die Schwangere rang nach Luft und stolperte ins Haus zurück. Mit brennenden Augen wankte sie zu ihrem Bett und legte sich hin.
Wenig später hörte sie, wie das Fenster im Wind klapperte. Hieß das, dass sich die Windrichtung geändert hatte? Kam das Feuer auf sie zu oder bewegte es sich von ihr weg?
Sie fühlte sich so allein. Sie ging ins Badezimmer und blickte in die halb mit Wasser gefüllte Wanne. Geh nicht weg. Halte dich in Bodennähe auf, da ist die Luft noch am besten. Wenn das Feuer kommt, leg dich flach ins Wasser und zieh dir eine nasse Decke drüber, hatte man ihr gesagt. Sie wusste um die Gefahren und hatte die Vorsichtsmaßnahmen eingeübt. Doch jetzt war sie wie gelähmt vor Angst. Bestimmt würde sie doch jemand holen kommen?
Die Zeit verging. Die Lage spitzte sich zu. Sie wartete weiter. Draußen schwoll das Tosen des Sturms hörbar an, es klang wie das Knurren und Brüllen eines rasenden Tiers. Der Qualm brannte immer stärker in ihren Augen und ihrer Kehle und Verzweiflung legte sich wie ein Schatten auf sie.
Sie betete um ihr Leben. Um das ihres Kindes. Betete, dass irgendjemand kam und sie fand, bevor es zu spät war.
Als das Taxi vor der kleinen Wohnanlage Hacienda Hideaway hielt, strich sich Babs Mason die blonden Locken aus dem Gesicht und lugte hinaus. Das Gebäude im Pueblo-Stil mit den großzügigen Balkonen, den hell verputzten Mauern und dem Schindeldach gefiel ihr auf Anhieb. Sie wandte sich an den kleinen blonden Jungen neben sich und setzte trotz ihrer Erschöpfung ein Lächeln auf.
»He, Joey, wir haben’s geschafft. Das ist Palm Desert«, verkündete sie.
Obwohl sie eine stundenlange Busfahrt hinter sich hatten, begann der Junge jetzt erwartungsvoll auf seinem Sitz zu hopsen. Im Bus war er anfangs noch ängstlich und schüchtern gewesen, doch die anderen Mitfahrer waren sehr nett gewesen und hatten Bonbons und Kekse mit ihm geteilt. Außerdem hatte ihn die abwechslungsreiche Landschaft gefesselt, zu der der Fahrer des Greyhound-Busses immer mal wieder einen Kommentar abgab. Nun fasste er nach Babs Hand.
»Ist das unser neues Zuhause, Mommy?«, fragte er, als sie aus dem Taxi stiegen.
»Aber klar doch. Komm, wir schauen’s uns an.« Nachdem Babs ihre Handtasche geöffnet und dem Taxifahrer das Geld für die halbstündige Fahrt von der Bushaltestelle in Palm Springs bis hierher gegeben hatte, warf sie noch einen Blick auf die ordentlich gefalteten Banknoten in dem Portemonnaie. Das würde eine Weile reichen müssen. Eine Taxifahrt war Luxus, doch für das letzte Stück ihrer Reise war es ihr das Geld wert gewesen. Sie ließ das Portemonnaie zuschnappen. Der Fahrer hievte ihr Gepäck und eine tragbare Nähmaschine aus dem Kofferraum und stellte die Sachen neben die Eingangstür. »Alles Gute«, wünschte er ihr und ging flotten Schritts zu seinem Fahrzeug zurück.
»Können wir uns jetzt den Pool ansehen, Mommy?« Ungeduldig trat Joey von einem Bein aufs andere. Babs lächelte über seine Aufregung. Er hatte eine lange Reise durchgestanden, um diesen verheißungsvollen Pool zu sehen! Also ließ Babs das Gepäck am Eingang zurück und machte sich mit ihm auf die Suche.
Hand in Hand schlenderten sie über den sorgfältig gemähten grünen Rasen der Anlage mit den sechs Wohneinheiten. Mitten darin befand sich ein nierenförmiger Swimmingpool, daneben standen ein paar Sonnenliegen. Joey rannte zum Poolrand und steckte die Hand ins blaue Wasser.
»Na, was meinst du, Joey?«, fragte Babs.
Joey grinste. »Darf ich gleich rein?«
»Meinst du nicht, wir sollten uns erst ein bisschen einrichten?«
Joey runzelte die Stirn, doch nach einem Blick in Babs’ Gesicht gab er zögernd nach und nickte. Auf dem Weg in ihre Wohnung sah Babs die mit modernen Waschmaschinen, Trocknern und Bügelbrettern ausgestattete Gemeinschaftswaschküche. »Du lieber Himmel, bei der vielen Sonne braucht man doch keinen Wäschetrockner«, sagte sie halblaut zu Joey.
»Oh, man darf draußen nichts aufhängen«, bemerkte eine ältere Frau, die ihnen mit einem Korb Schmutzwäsche entgegenkam. »Auch keine Handtücher übers Geländer hängen. Was das angeht, sind sie hier sehr streng. Aber dadurch sieht es immer gepflegt aus.« Sie blieb einen Augenblick stehen und lächelte Babs freundlich an. »Wohnen Sie jetzt auch hier?«
Sie bückte sich, um Joey zu begrüßen, doch er versteckte sich hinter Babs. »Hallo«, sagte die ältere Frau, »ich heiße Deidre Kramer. Mein Mann Sol und ich wohnen in Nummer zwei.«
Babs lächelte matt. »Ich bin Barbara Mason, aber alle nennen mich Babs. Und das ist mein Sohn Joey. Wir sind gerade eben aus Portland, Oregon, angekommen.«
»Na, dann willkommen in Palm Desert«, strahlte Deidre sie an. »Das ist aber eine weite Reise für einen kleinen Jungen. Da seid ihr beide bestimmt erschöpft nach der langen Fahrerei. Kommt doch mit zu mir, was Kaltes trinken! Und der kleine Mann mag doch bestimmt auch einen Keks?« Schüchtern nickte Joey. Deidre stellte den Korb in der Waschküche ab. »Das kann ich später auch noch erledigen. Kommen Sie.«
Babs zögerte etwas, Deidres Einladung anzunehmen. Lieber hätte sie in aller Ruhe ein bisschen ausgepackt und sich eingerichtet, aber die Frau war so nett und herzlich, dass eine Ablehnung unhöflich gewesen wäre. Außerdem würde Babs in Zukunft eine Freundin brauchen können, und vielleicht war Deidre genau die Richtige dafür.
»Vielen Dank. Wie reizend.«
Während Joey still dasaß, seinen Keks mümmelte und mit einem Strohhalm Limonade trank, schaute sich seine Mutter bewundernd in Deidres Wohnung um. Zwar war der Wohnbereich recht klein, aber Babs fand ihn sehr elegant. Das rote Plüschsofa mit den Holzbeinen passte wunderbar zu dem niedrigen Sideboard und dem Fernsehschrank aus glänzenden Holz am anderen Ende des Zimmers. Ein kleiner, aber sehr moderner Esstisch mit Stühlen stand direkt neben der Küchentür. In einer Ecke des Wohnzimmers befand sich eine kleine Bar, die mit rotem Vinyl bezogenen Hocker waren farblich auf das Sofa abgestimmt. Wie schick, dachte Babs. Mehrere gerahmte Gemälde an den Wänden zeigten die Wüstenlandschaft um Palm Desert.
»Sie haben wirklich ein hinreißendes Zuhause, Deidre. Das ist wunderschön eingerichtet. Und diese Bilder sind zauberhaft.«
»Danke, Babs. Die hat mein Mann gemalt«, erwiderte Deidre und platzierte ein Kissen neben sich auf der Couch. »Palm Desert ist vielleicht nicht so nobel wie Palm Springs, aber es ist ein angenehmer Ort – ruhig und nicht so teuer wie Palm Springs, wo die Preise durch die Decke gehen, seit sie all die neuen Häuser dort bauen. Haben Sie davon gehört?« Sie verdrehte die Augen. »Man nennt sie ›Alexanders‹, nach der Baufirma, die sie errichtet. Sehr elegant, kompakt, schlichtes Design. Jetzt haben sie noch ein neues Projekt namens Twin Palms Estates. Jeder Bungalow mit eigenem Swimmingpool, und ich sage Ihnen, wenn Sie zwanzigtausend auf den Tisch legen, um dort was zu kaufen, kriegen Sie nicht viel raus.«
Babs war fassungslos. »Du lieber Himmel, wer hat denn so viel Geld?«, rief sie. »Na ja, wie Sie schon sagten, hier scheint es ruhig und ordentlich zu sein. Ich bin sicher, wir haben es gut getroffen.«
»Sol und ich schätzen die Ruhe und den Komfort, und mit dem Bus sind es auch nur fünfundzwanzig Minuten bis Palm Springs. Aber verstehen Sie mich nicht falsch, auch Palm Desert boomt. Während des Krieges war in dieser Gegend die Reparaturwerkstatt für die Panzer von General Patton, doch danach haben sich Edgar Bergen und ein paar seiner Kumpel zusammengetan und das hier hingestellt. Na, und nun schauen Sie sich um«, sagte Deidre stolz.
»Der Bauchredner Edgar Bergen?« Babs’ Gesicht glänzte vor Aufregung.
»Hat Sie das hierhergeführt?«, fragte Deidre lächelnd. »Die ganzen Filmstars?«
»In gewisser Weise«, antwortete Babs unbestimmt und blickte in die Ferne. »Ich habe eine Menge Zeitschriftenartikel über Palm Springs gelesen und vermutet, dass es ein sehr glamouröser Ort ist.«
»Es ist allerdings ganz schön weit weg von Portland.« Deidre sah ihren Gast forschend an.
Babs blickte aus dem Fenster hinaus in den sonnigen Tag und zuckte die Achseln. »Im Winter ist es in Portland nass und kalt. Ich wollte, dass mein Sohn in einer angenehmen, sonnigen Umgebung aufwächst.«
»Joey scheint mir ein sehr netter Junge zu sein.« Deidre sah zu dem Knaben hinüber, der den blonden Schopf tief über das Glas gesenkt hatte. »Wie alt ist er?«
»Sechs.« Liebevoll betrachtete Babs ihren Sohn.
»Für sechs ist er ziemlich groß. Er kommt wohl nach dem Vater?« Neugierig sah Deidre sie an.
Doch Babs hatte nicht die Absicht, näher auf Joeys Vater einzugehen, zumal sie Deidre gerade erst kennengelernt hatte. Also räusperte sie sich nur und kam wieder auf Portland zu sprechen.
»Ich wollte an einem Ort wohnen, wo immer die Sonne scheint. Außerdem ist Portland keine besonders sichere Stadt, es gibt viel Kriminalität.«
Deidre nickte. »Ja, hier kriegen Sie in der Tat eine Menge Sonne ab. Im Sommer haben wir leicht mal über fünfunddreißig Grad. Aber keine Sorge, man gewöhnt sich dran. Es ist eine trockene Hitze. Allerdings kannst du mittags nicht draußen herumrennen, junger Mann«, wandte sich Deidre an Joey. »Aber es gefällt dir bestimmt, im Pool herumzuplanschen. Darf er noch einen Keks haben, Babs?«
Mit ernster Miene nahm Joey einen zweiten Keks an.
»Sag danke zu Mrs. Kramer, Joey«, ermahnte ihn Babs. Joey nickte, sagte aber nichts, sondern verkroch sich tiefer in den Sessel und nagte mit gesenktem Kopf an seinem Keks. Er sah müde aus. Babs nahm ihre Handtasche und stand auf. »Es war reizend, sich mit Ihnen zu unterhalten, Deidre. Aber jetzt bringe ich lieber mal unser Gepäck in die Wohnung. Kann man hier irgendwo einen Happen essen gehen? Heute Abend bin ich nicht mehr in der Lage zu kochen.« Sie nahm Joeys Hand und zog ihn hoch.
»Na klar. Nur ein Stück die Straße runter gibt es ein hübsches kleines Lokal, das Betsy’s«, meinte Deidre, als sie die beiden zur Tür brachte. »Der Name lässt nichts Großartiges vermuten, aber sie kocht gut. Es ist ganz in Rot und Weiß gehalten, Sie können es nicht übersehen. Kann ich Ihnen beim Reintragen helfen?«
»Sehr nett von Ihnen, aber das schaffe ich schon. Ich hab nicht viel mitgebracht.«
»Und Sie ziehen nur zu zweit ein?«, fragte Deidre, nachdem Joey den letzten Rest von seinem Keks verdrückt hatte.
»Ja, nur Joey und ich«, erwiderte Babs und schob Joey zur Tür hinaus. »Wie sagst du zu Mrs. Kramer, Joey?«
Er murmelte brav: »Danke«, und Deidre streichelte ihm übers Haar, bevor sie ihnen zum Abschied zuwinkte. »Wir werden bestimmt Freunde werden, Joey.« Lächelnd wandte sie sich an Babs. »Melden Sie sich einfach, wenn Sie irgendwas brauchen. Hier wohnen lauter nette Leute, Sie werden sich schnell einleben.«
Kaum hatte Babs die Tür zu ihrer Wohnung geöffnet, musste sie lächeln. Sie hatte exakt denselben Grundriss wie die der Kramers und war wunderbar luftig und lichtdurchflutet, auch wenn die Möbel bei Weitem nicht so elegant waren wie die von Deidre. In einer Ecke stand ein braunes Sofa, und es gab weder Sideboard noch Fernsehschrank, dafür aber ein kleines Bücherregal und einen viel zu großen Esstisch mit vier altmodischen, aber stabilen Stühlen.
Perfekt für meine Nähmaschine, überlegte Babs.
Sie stellte das Gepäck und die Nähmaschine ab und erkundete mit Joey die Schlafzimmer. Es gab ein großes und seitlich daneben ein kleineres. Erfreut stellte sie fest, dass hier sowohl Klimaanlagen als auch Wandschränke eingebaut waren. Wie modern, dachte sie. Das Bad neben den Schlafzimmern war sehr geräumig.
Auch wenn die Wohnungseinrichtung ziemlich schlicht war, wirkte doch alles praktisch und sauber. Hoffentlich fühlen wir uns hier wohl, dachte Babs. Denn sie hatte alles auf diese eine Karte gesetzt. Einen Moment lang schloss sie die Augen und atmete tief durch, damit sich der Knoten der Angst in ihrem Magen löste. Sie musste einfach darauf vertrauen, dass sie die richtige Entscheidung getroffen hatte.
Nach dem Abendessen in Betsy’s Diner gingen Babs und Joey im Licht des späten Nachmittags Hand in Hand die staubige Straße am Stadtrand entlang. Joey war ziemlich still. Da er oft ein bisschen ängstlich war, fragte sich Babs, ob er den Umzug gut verkraften würde. Hoffentlich war dieser Neuanfang das Richtige für ihn. Sie blieben stehen und blickten auf die kleine Siedlung Palm Desert hinter sich, auf die ordentlich in Reih und Glied stehenden Häuser und die akkurat angelegten Straßen neben den gut gewässerten smaragdfarbenen Grünstreifen. Vor ihnen erstreckte sich die Wüste bis zu den fernen Bergen.
»Schau nur diese Aussicht, Joey! So viel Weite.« Babs zeigte auf einen Berg mit weißer Schneehaube. »Der Berg dort sieht wie eine Eistüte aus.«
Auf Joeys erschöpftem Gesicht erschien ein Lächeln. »Können wir eine Schneeballschlacht machen, Mom?«
»Der Schnee ist zu weit weg, um hinzulaufen, Schatz. Aber eines Tages fahren wir bestimmt mal in die Berge.«
Dann wurde Joey wieder ernst. »Mom, wann werde ich Dad wiedersehen? Kommt er auch nach Palm Desert?«
Babs sog scharf Luft ein. Diese Frage hatte sie befürchtet. Sie kniete sich vor ihren Sohn. »Liebling, ich glaube, es ist besser, wenn wir Dad eine Zeit lang nicht sehen«, sagte sie sanft. »Aber es wird dir hier gefallen. Es ist so schön. Und wir werden ein herrliches Leben haben, viel besser als früher.« Joey nickte, und Babs nahm ihn kurz in die Arme. Dann schaute sie hinüber zu der Bergkette und dachte über ihre Zukunftspläne nach. War sie vielleicht zu optimistisch gewesen? Was, wenn sie scheiterte? Nach Portland konnte sie nicht zurück. Sie spürte, wie Angst in ihr aufstieg.
»Mom, schau mal!« Joey zog an ihrer Hand und zeigte die Straße hinunter, wo laut wiehernd ein Pferd auf sie zutrottete. Hinten an seinem Sattel hingen Getreidesäcke, und vor dem Reiter saß ein kleiner Junge, nicht einmal so alt wie Joey, mit glattem dunklen Haar bis über die Ohren. Der Mann trug lederne Fransenhosen und ein verblichenes blaues Hemd. Fasziniert starrte Joey sie an.
»Indianer«, erklärte Babs leise. »So etwas bekommst du in Portland nicht zu sehen.«
In diesem Augenblick fuhr langsam ein Auto an ihnen vorbei, dessen Insassen sie neugierig musterten, bevor sie ihnen mit einem Lächeln zunickten. Die zierliche Frau mit den traurigen blauen Augen erwiderte ihr Lächeln und nahm ihren Sohn bei der Hand. Mit schlenkernden Armen spazierten die beiden zurück zu ihrem neuen Heim. In der Ferne funkelte das glamouröse Palm Springs und wartete darauf, von ihnen entdeckt zu werden.
Als Babs am nächsten Tag alles ausgepackt hatte, wagten sie und Joey sich das erste Mal in den Swimmingpool. Joey war außer sich vor Begeisterung, und Babs verbrachte einige Zeit mit ihm im Wasser, wo sie spielten und sich anspritzten. Dann sah sie Deidre Kramer zum Pool kommen und kletterte hinaus, behielt aber Joey im Auge, der strikte Anweisung hatte, im flachen Teil zu bleiben.
Deidre begrüßte sie herzlich. »Ihr habt also den Pool entdeckt?«
Schüchtern erwiderte Babs ihr Lächeln. »Es ist herrlich. Nie hätte ich gedacht, dass ich mal Zugang zu einem privaten Swimmingpool hätte. Und Joey ist im siebten Himmel. Ich hoffe, er lernt bald richtig schwimmen.«
»Bestimmt, wenn Sie jeden Tag mit ihm herkommen.« Die beiden Frauen ließen sich auf Plastikliegestühlen nieder, und Babs erwähnte die Indianer, die sie und Joey am Abend zuvor gesehen hatten.
»Das sind die hiesigen Agua-Caliente-Indianer«, erklärte Deidre. »Meist bleiben sie unter sich, auch wenn ihnen das Land mehr oder weniger gehört.«
»Wie meinen Sie das?«, wollte Babs wissen.
»Der ganze Grund und Boden hier gehört den Indianern. Sie haben ihn uns Bleichgesichtern nur verpachtet.« Deidre lachte und rückte ihre Sonnenbrille zurecht. »Haben Sie eigentlich schon gehört, dass das Rat Pack nach Palm Springs gezogen ist? Frank Sinatra hat sich dort ein wunderschönes Haus gekauft. Man hat mir erzählt, dass sein Pool die Form eines Konzertflügels hat!« Babs merkte, dass Deidre nichts lieber tat als über die Filmstars in Palm Springs zu tratschen. Was ihr ganz recht war, denn so brauchte sie nicht über ihre eigene Situation zu reden.
»Tatsächlich? Ich bin ja ein großer Fan von ihm, und auch von Dean Martin. Deano ist so lustig, wenn er mit Jerry Lewis auftritt«, plauderte Babs. »Ich kann es kaum erwarten, mir Palm Springs näher anzusehen. Heute richten wir uns noch fertig ein, aber morgen fahren wir vielleicht hin, bummeln herum und gehen mittags irgendwo nett essen.« Das sagte sie leichthin, dabei war es ganz und gar nicht alltäglich für sie, mittags essen zu gehen. Ihr kam wieder in den Sinn, wie begrenzt ihre finanziellen Mittel waren, doch dann entschied sie, dass Palm Springs die Ausgabe wert sei. Außerdem wusste sie, dass sie in den sauren Apfel beißen und sich nach Arbeit umsehen musste, was den Kauf eines Bustickets mehr als nur rechtfertigte.
»Tun Sie das, Babs. An der Plaza gibt’s eine ganze Menge neuer Läden: das I. Magnin, das Bullock’s und so viele andere hübsche Shoppingmöglichkeiten. Besser als in L.A. und San Francisco, wenn Sie mich fragen.«
Babs nickte. Sie würde sich dort nichts kaufen. Immerhin hatte sie für diesen Umzug nach Kalifornien ein Jahr lang eisern gespart. Jeden Cent hatte sie beiseitegelegt, bis sie genug für den Greyhound-Bus und die Dreimonatsmiete für die Wohnung in Palm Desert zusammenhatte, die sie sich mithilfe eines befreundeten Maklers in Portland unbemerkt hatte reservieren können. Sie hatte ihn gebeten, Stillschweigen darüber zu bewahren, und konnte nur hoffen, dass er Wort hielt. Nervös rutschte sie auf der Liege herum und verscheuchte den beängstigenden Gedanken, dass man sie und Joey in Palm Desert aufspüren könnte. Stattdessen versuchte sie sich auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren. Sie brannte darauf, nach Palm Springs zu kommen, nicht nur weil es als Prominenten-Spielwiese berühmt war, sondern auch, weil sie endlich den Ort sehen wollte, von dem sie so lange geträumt hatte. Der Wunschtraum Palm Springs hatte ihr Kraft gegeben. Nun musste sie das Städtchen mit eigenen Augen sehen.
Als Babs am nächsten Tag mit Joey an der Hand den Palm Canyon Drive entlangbummelte, war sie richtig aufgeregt. Sie ging langsam, damit Joey Schritt halten konnte und sie genug Zeit hatte, alles in sich aufzunehmen: Geschäfte, verschiedene Sehenswürdigkeiten, Menschen, die im Sonnenschein flanierten. Ihr fiel auf, dass die meisten Mädchen im Teenageralter eine Art Uniform aus farbigem Oberteil und nach unten schmal zulaufenden Hosen trugen, manchmal nur in Capri-Länge. Manche liefen aber auch in Latzhosen herum, die am Saum sorgfältig hochgekrempelt waren. Die Jungen trugen Hemden mit hochgerollten Ärmeln, die Haare hatten sie mit glänzender Pomade in Form gebracht. Viele ältere Männer liebten offensichtlich bestickte Karohemden mit Schnürsenkel-Krawatten und schicke Cowboystiefel. Fast alles hier schien von der Wüste inspiriert zu sein.
»Mom, sieh mal die Autos!« Joey zeigte auf glänzende Straßenkreuzer in allen Farben mit verchromten Kühlergrills, kunstvollen Zierleisten und riesigen Heckflossen, die links und rechts am Straßenrand parkten. Dann blieb er stehen und starrte staunend einem Cabrio nach, das die Straße entlangfuhr.
»Das Autodach lässt sich zurückklappen, sodass man in der Sonne sitzt«, erklärte Babs. »Es muss ein großartiges Gefühl sein, den Wind im Gesicht zu spüren«, setzte sie hinzu und betrachtete die Beifahrerin mit ihrem unterm Kinn verknoteten Schal und einer Katzenaugen-Sonnenbrille.
Die eleganten Läden, an denen sie vorbeikamen, flößten Babs Respekt ein. Doch dann holte sie tief Luft, nahm Joey fest an der Hand und betrat mit ihm ein Bekleidungsgeschäft. Die stark geschminkten, teuer gekleideten und mit massenhaft klimperndem Goldschmuck behängten Verkäuferinnen wirkten ausgesprochen unfreundlich. Plötzlich war Babs gehemmt. In Sandalen und einem schlichten selbstgenähten Baumwoll-Sommerkleid fühlte sie sich völlig fehl am Platz. Na ja, vielleicht dürfen sie hier Kleider aus den Kollektionen tragen, die sie im Laden verkaufen, tröstete sich Babs.
Höflich fragte sie, ob eine Verkäuferin gesucht werde. Doch als sie zugab, dass sie keinerlei Erfahrung im Einzelhandel hatte, erntete sie nur einen vernichtenden Blick und eine Absage. Sie versuchte es noch in ein paar anderen Geschäften, doch überall mit demselben Ergebnis. Nachdem sie und Joey eine Weile die Hauptstraße entlanggelaufen waren, nahte die Mittagszeit. Joey war müde, verschwitzt und hungrig, und Babs sank der Mut.
»Diese Restaurants sehen teuer aus. Lass uns drüben in dem Drugstore etwas zu trinken kaufen«, schlug sie vor. Schweigend setzten sich die beiden und tranken ihre Brause ganz langsam, damit sie eine Weile reichte. Schließlich ergriff Babs wieder das Wort und bemühte sich, unbeschwert zu klingen.
»Na, was meinst du, wird dir das Leben in der Wüste gefallen, Joey?« Sie zwang sich zu einem Lächeln.
Ihr Sohn schob den Strohhalm im Glas hin und her und versuchte auch noch die letzten Tropfen herauszusaugen. »Ich glaube schon«, nickte er.
»Das ist gut, Schatz. Mir geht es auch so. Psst, schlürf nicht so, das gehört sich nicht.« Joey gehorchte und schnippte schweigend gegen den Strohhalm. Babs fuhr ihm übers Haar und zupfte ihm behutsam den Hemdkragen zurecht. Mehrere Abende hatte sie damit zugebracht, die rot-gelbe Eisenbahn nach einer Vorlage aus einem seiner Bilderbücher auf die Hemdtasche zu sticken und dann den Kragen, die Knopflöcher und den Saum der kurzen Ärmel mit demselben roten Garn einzufassen. Seine Shorts waren aus Stoff im gleichen Rot genäht. Babs nähte für ihr Leben gern und wusste, dass sie ein Talent dafür hatte. Ihre Großmutter, Grandma French, war eine wunderbare Schneiderin gewesen, die sämtliche Anzüge für Grandpa und auch die Mäntel und die Jacken für sie alle selbst angefertigt hatte. Sie hatte Babs und ihren Schwestern das Nähen beigebracht, die Mädchen hatten fast nie Konfektionsware zum Anziehen gekauft. Beim Gedanken an das Foto, das ihre Großeltern immer stolz hergezeigt hatten, musste sie lächeln. Es war ein Foto von ihr als Baby und ihren Schwestern Alice und Deborah im Teenageralter, alle in hübschen Kleidern, die ihre Großmutter mit viel Liebe genäht hatte. Auf dem Bild wirkte Deborah ernst, während ihre ältere Schwester Alice schön und selbstsicher aussah wie immer. Babs hingegen, das Nesthäkchen der Familie, trug eine riesige Schleife im Haar und Riemchen-Lackschuhe, wobei ihr ein Kniestrumpf die Wade hinuntergerutscht war. Babs’ Schwestern waren viel eleganter und selbstbewusster als sie. Die Nähkunst jedoch schien ihr in die Wiege gelegt worden zu sein, und sie war ihrer verstorbenen Großmutter sehr dankbar, dass sie dieses Vermächtnis an sie weitergegeben hatte.
Als sie an die gut gekleideten jungen Menschen draußen auf der Straße dachte, erinnerte sich Babs daran, wie sehr junge Frauen es hassten, dasselbe Kleid öfter als zweimal zu tragen, wenn sie sich mit jungen Männern verabredeten oder auf Partys gingen. Babs war da keine Ausnahme gewesen. Doch für nur wenig Geld hatte sie sich hinreißende Stoffe kaufen und hübsche Outfits für alle Gelegenheiten schneidern können. Schon früh hatte sie ein Auge für Qualität entwickelt und mit eigenen Ideen und Entwürfen experimentiert.
Babs seufzte. All das schien so lange her zu sein. Sie nahm Geld aus dem Portemonnaie, um die Getränke zu bezahlen. Angesichts ihrer verbliebenen Barschaft runzelte sie die Stirn. Auch wenn sie sehr sparsam lebte, würde ihr Geld nicht ewig reichen. Sie musste dringend Arbeit finden. Mit Joey an der Hand ging sie zur Bushaltestelle.
Ein paar Tage danach schrieb Babs Joey bei der örtlichen Grundschule ein. Als sie ihn zum ersten Mal dorthin brachte, wirkte er zunächst verängstigt und klammerte sich an Babs. Doch die Lehrerin war sehr nett und lenkte ihn mit dem Versprechen ab, dass er das Klassen-Meerschweinchen streicheln dürfe, während sich Babs hinausschlich. Sie beschloss, erneut nach Palm Springs zu fahren und sich um Arbeit zu bemühen, diesmal jedoch ohne einen kleinen Jungen im Schlepptau. Sobald sie aus dem Bus gestiegen war, machte sie am Palm Canyon Drive dort weiter, wo sie die Suche aufgegeben hatte, und fragte in verschiedenen Geschäften nach einer freien Verkäuferinnenstelle. Doch niemand wollte unerfahrenes Personal einstellen. Während sie ein Geschäft nach dem anderen abklapperte, wurde sie zusehends unruhiger. Sie war tatsächlich davon ausgegangen, ohne Probleme eine Anstellung zu bekommen, aber es schien aussichtslos zu sein. Aufgeben kam für sie allerdings nicht infrage. Und so fuhr sie die ganze Woche täglich mit dem Bus nach Palm Springs, sobald Joey in der Schule war. Doch wo sie auch nachfragte, die Antwort war stets die gleiche. Als sie schließlich in einem exklusiven Geschäft wieder einmal abschlägig beschieden wurde, fragte Babs verzweifelt: »Wie soll ich denn Erfahrung sammeln, wenn mir niemand eine Chance gibt?«
Die Frau zuckte die Achseln. »Ich verstehe Sie ja. Und es tut mir leid, dass ich Ihnen nicht helfen kann.«
»Mir auch«, sagte Babs, drehte sich um und ging zur Tür. An einem Ständer mit Kinderkleidung zog sie ein gesmoktes Kleidchen heraus und warf einen Blick auf den Preis. »Du lieber Himmel, dafür kriegt man ja fast ein Auto!«, rief sie aus.
»Die Leute hier haben eine Menge Geld und wollen nur das Beste. Dafür sind sie bereit, entsprechend viel auszugeben«, sagte die Verkäuferin.
Babs betrachtete das Kleidchen, dann fragte sie langsam: »Und wie kommt Ihr Geschäft an das Beste?«
Die Verkäuferin zog die Nase kraus. »Mrs. Bourke ist die Einkäuferin für unser Kindersortiment. Sie bezieht die Ware aus großen Kaufhäusern und Fabriken, aber manchmal kauft sie auch handgearbeitete Einzelstücke. Leute zeigen ihr Muster, und sie entscheidet, was sie haben will. Die Frau hat Haare auf den Zähnen, aber auch einen exzellenten Geschmack. Das Geschäft hier ist für seine exklusive Babykleidung bekannt, auch wenn das nur einen ganz kleinen Teil unseres Sortiments ausmacht.«
Babs unterzog die Kinderkleidung nun einer genaueren Prüfung, und langsam nahm eine Idee in ihr Gestalt an. »Ich bin sicher, dass ich Kleider dieser Qualität herstellen kann«, sagte sie mit so viel Selbstbewusstsein, wie sie nur aufbringen konnte. »Darf ich Ihnen einmal ein paar Muster zeigen?«
Die Verkäuferin zuckte die Achseln. »Warum nicht?«
»Prima«, erwiderte Babs und strahlte. Wie dumm sie doch gewesen war! Warum sich für eine Arbeit bewerben, von der sie keine Ahnung hatte, anstatt das zu tun, was sie konnte? Also sagte sie zu der Verkäuferin, sie würde in Kürze wiederkommen, um mit Mrs. Bourke zu sprechen. Den Kopf voller Ideen stieg sie in den Bus zurück nach Palm Desert. Und kaum hatte sie Joey abends ins Bett gebracht, schrieb sie eine Liste, was sie alles brauchte, um ihr Schneideratelier zu eröffnen.
Als Joey am nächsten Tag in der Schule war, lud sie Deidre auf einen Kaffee ein. Schüchtern erzählte sie der Nachbarin von ihrem Plan, Kinderkleidung zu nähen. »Das Problem ist, dass ich keine Ahnung habe, wo ich das nötige Material herbekomme, Deidre. Vielleicht können Sie mir helfen?«
»Ein wunderbarer Einfall«, sagte Deidre. »Mir ist nicht entgangen, wie hübsch Joey immer angezogen ist, aber mir war nicht klar, dass Sie die Sachen selbst gemacht haben. Und erst Ihre Kleider … jetzt verstehe ich, wie Sie zu der passenden Garderobe für unsere Gegend gekommen sind, nachdem Sie doch in Portland gelebt haben. Also, was brauchen Sie?«
»Die Nähmaschine meiner Großmutter habe ich zwar mitgebracht, aber fast alles, was dazugehört, in Portland gelassen. Ich müsste also wissen, wo ich Stoffe und Nähgarn bekomme«, erklärte Babs.
»Sol kann Sie morgen herumkutschieren. Er kennt hier alle Welt, da müssten Sie finden, was Sie brauchen.«
Sol war fast so breit wie hoch, immer fröhlich und völlig vernarrt in Palm Springs. Er fuhr sie nach Cathedral City, Bermuda Dunes, Indian Wells und Indio, wo Babs Stoffe, Bordüren und Litzen, Nadeln, Garn und modernes Zubehör für ihre alte Maschine kaufte. In einem Geschäft fand sie sogar eine kleine Plissier- und Fältelmaschine.
»Wow!«, rief Babs begeistert. »Damit spare ich mir viel Zeit. Auch wenn ich bei den Fältchen noch per Hand nacharbeiten muss, hilft das doch sehr beim Einkräuseln.«
Obwohl Sol vom Smoken keinen blassen Schimmer hatte, lächelte er nachsichtig angesichts ihrer Begeisterung.
Abends beim Kassensturz stellte sie erfreut und erleichtert fest, dass sie dank ihres netten Nachbarn einiges an Geld gespart hatte. Da er Babs beim Einkaufen begleitet hatte, hatte niemand den normalen Ladenpreis von ihr verlangt.
In den nächsten drei Wochen hievte Babs morgens ihre Nähmaschine auf den Esstisch. Sie zeichnete Entwürfe, die sie nähte, smokte und verzierte. Mit Margeriten-, Zweig-, Wickel- und auch Perlstich stickte sie kleine Tiere und zarte Blumen auf die niedliche Babykleidung. Ihr machte die Arbeit Spaß, und sie fand die von ihr entworfenen Sachen entzückend. Hoffentlich gefielen sie auch der Einkäuferin der Boutique. Sie wollte lieber nicht daran denken, was passierte, wenn keiner ihre Ware wollte.
Kurz bevor Joey dann wieder aus der Schule nach Hause kam, packte sie alles zusammen. Anschließend ging sie mit ihrem Sohn in dem nierenförmigen Pool schwimmen. Joey blühte in seiner neuen Umgebung förmlich auf, er war nicht mehr so ängstlich und verschlossen wie früher. Die Entscheidung, nach Kalifornien zu ziehen, war also richtig gewesen. Einige Male schreckte sie nachts aus dem Schlaf auf, voller Angst, mit ihm nach Hause zurückgeschleppt zu werden. Doch je mehr die Wochen verstrichen, desto mehr verblasste dieses Schreckgespenst, sodass auch sie ihr sonniges neues Zuhause genießen konnte.
An den meisten Nachmittagen sahen sie Deidre und Sol. Sol war Eigentümer einer Waschsalonkette in Sacramento und Santa Barbara gewesen, die er aber verkauft hatte, um sich zur Ruhe zu setzen. In seiner neu gewonnenen Freizeit hatte er das Malen als Hobby entdeckt und war, sehr zu Deidres Überraschung, sogar ziemlich begabt. Sol hatte Joey angeboten, ihm Malunterricht zu geben. Und so gingen Babs und Joey eines Nachmittags in Sols und Deidres Wohnung, wo er seine erste Stunde haben sollte. Sol hatte eine kleine Staffelei aufgetrieben, eine kleine Leinwand vorbereitet und verschiedene Dosen mit bunter Farbe samt Pinseln auf einen Hocker daneben gestellt. Geduldig zeigte er dem Jungen ein paar Techniken und ermunterte ihn, die Wüstenlandschaft zu malen. Deidre und Babs schauten den beiden zu.
»Was treibst du so, Sol, seit du Rentner bist?«, fragte Babs und trank von der Limonade, die Deidre für sie alle gemacht hatte.
»Oh, er ist der große Zampano der Historischen Gesellschaft«, sagte Deidre, noch bevor Sol antworten konnte. »Wenn er erst mal anfängt, über die Geschichte von Palm Springs zu reden, findet er kein Ende. Er hält Vorträge und macht auch Führungen.«
»Da müssen wir unbedingt mal mitkommen«, sagte Babs und warf einen Blick auf Joeys Leinwand. Er hatte einen strahlend blauen Himmel und eine große Sonne gemalt und versuchte sich jetzt an einem Klecks mit vier Beinen, der wohl ein Pferd werden sollte.
»Das machst du gut, Joey«, sagte sie. Der Junge strahlte.
»Weißt du, Joey, viele berühmte Künstler haben sich von der Wüste inspirieren lassen«, erklärte Sol. Er verließ kurz das Zimmer und kam mit einem Kunstdruck zurück. »Der stammt von einem meiner Lieblingskünstler, Carl Eytel.« Der Künstler hatte die karge, gestrüppreiche Ebene perfekt eingefangen.
Babs sah sich im Zimmer um, und ihr Blick blieb an mehreren Bildern hängen, die an einem Stuhl lehnten. Sie begutachtete sie nacheinander.
»Wirklich wunderschön«, meinte sie. »Hast du die gemalt, Sol?«
»Ja«, antwortete er, sichtlich erfreut. »Es handelt sich um eine Serie über die Gründung von Palm Springs.« Er wandte sich an Joey. »Sie erzählen eine Geschichte. Willst du sie hören?«
»O ja!« Joey legte den Pinsel weg.
Sol nahm das erste Gemälde und zeigte auf drei Figuren, zwei größere und eine kleinere, die mit Pferd und Esel über Geröll und Dünen durch eine steinige Wüste zogen. »Etwa vor siebzig Jahren reiste ein Indianeragent mit seinem Sohn und einem Führer durch die heiße, trockene Wüste. Indianeragenten waren von der Regierung beauftragt, sich um die Indianer und ihre Angelegenheiten zu kümmern. Der kleine Junge war krank und ihr indianischer Führer Pablo hatte versprochen, ihnen einige magische Quellen zu zeigen, die den Jungen wieder gesund machen würden.«
»Was hatte er denn?«, fragte Joey besorgt.
»Die Krankheit heißt Tuberkulose.« Sol zog das zweite Gemälde hervor. »Eines Abends schlugen sie ein Lager auf.« Auf dem Bild sah man das Pferd und den stämmigen kleine Esel, angebunden im Schatten eines alten Feigenbaums. Neben ihnen standen ein Karren und ein offener Pferdewagen, beide mit Sand und Wüstenstaub bedeckt. Die kerzengeraden Palmen, die sich majestätisch in den Himmel reckten, ließen alles andere winzig erscheinen.
Sol deutete auf einen Reiter in einer Ecke des Bilds. »Auf einer nahen Anhöhe hielt Pablo sein Pferd an und blickte auf das vor ihnen liegende Tal hinab.«
Interessiert betrachtete Joey das Bild. »Diese Berge habe ich schon gesehen.« Er deutete auf die schemenhafte, von Sanddünen gesäumte Bergkette im Hintergrund.
»Aber natürlich hast du das.« Sol lächelte den Jungen an und zeigte dann wieder auf das Bild. »Im Südosten lag ein alter See, und direkt im Süden erhoben sich die Santa Rosa Mountains. Die Canyons im Südwesten waren von Palmen gesäumt, darüber ragten die bis zu dreitausenddreihundert Meter hohen San Jacinto Mountains empor.« Babs entdeckte die gezackten Gebirgskämme am oberen Bildrand.
»Wow«, sagte Joey.
Sol zog ein weiteres Bild aus dem Stapel: Vor der Silhouette der lavendelfarbenen Berge und einem Himmel mit tief stehender Sonne hatten der Mann und der Junge Kleidung und Stiefel ausgezogen und standen in einem blubbernden Tümpel; ihr Führer hockte daneben und sah ihnen zu. Babs spürte beinahe die leise Brise, die durch die Palmenblätter strich, die trockene, frische Luft auf der Haut. Als sie genauer hinschaute, entdeckte sie viele Details. Der Mann war stämmig, der Junge hingegen lächelte zwar, wirkte aber zart und gebrechlich. Ihr Führer rauchte eine unbeholfen gerollte Zigarre.
Sol fuhr mit der Geschichte fort. »Endlich kamen sie nach einer langen Reise zu den magischen Quellen, und lachend stieg der Junge ins Wasser.
›Das ist ja wärmer als in der Badewanne, Papa!‹, rief er.
›Es ist Heilwasser, mein Sohn, das dich gesund und stark machen wird.‹«
Das nächste Bild, das Sol hervorzog, zeigte das Tal mit dem Heilwassertümpel. Von den Berggipfeln strömten Bächlein hinab. Nahe der heißen Quellen drängten sich strohgedeckte Hütten, im Vordergrund sah man ein paar Indianer.
»Der Mann und sein Sohn blieben bei Pablo im Dorf, und Pablos Frau tischte ihnen Bohnenbrei und gebackene Agavenherzen auf gerösteten Brotscheiben auf, alles auf dem kleinen Feuer vor den Hütten zubereitet. Täglich kehrten die drei kurz vor Sonnenuntergang zu den Quellen zurück, um ins heilende Wasser einzutauchen.
Der Mann hieß John Guthrie McCallum. Da er glaubte, sein Sohn könne nur gesund werden, wenn er mit seiner Familie aus dem feuchtkalten San Francisco hierherziehen und in dem trockeneren, wärmeren Klima ein neues Leben beginnen würde, erwarb er Land, um darauf ein Haus für sich und die Seinen zu bauen.« Sol hielt inne und nahm dann das letzte Bild zur Hand. Darauf sah man denselben Mann mit seiner Frau, etlichen Kindern und ein paar Indianern vor einem schlichten Lehmziegelhaus mit Obstbäumen ringsum. »Und er nannte den Ort Palm Springs«, schloss Sol.
»So also wurde die Stadt gegründet«, sagte Babs.
»Und ist der kleine Junge gesund geworden?«, fragte Joey.
Nach einer kurzen Pause antwortete Sol bedächtig: »Ja, dem kleinen Jungen ging es bald wieder gut.«
Babs und Sol wechselten einen Blick. Sie war ihm dankbar, dass er Joey eine Notlüge aufgetischt hatte. Wenn ihr Sohn erfahren hätte, dass der Junge gestorben war, hätten ihn wochenlang Albträume gequält.
»Der arme alte John McCallum«, sagte Sol. »Seine Zukunft sollte nicht allzu rosig aussehen. Er plante mit einem Freund eine Bewässerungsanlage für Palm Springs und investierte eine Menge Geld, um die Wüste zum Blühen zu bringen. Aber er gab das Land den falschen Leuten. Die meisten von ihnen waren krank, sodass sie kaum etwas zuwege brachten und zurück an die Küste zogen, ohne etwas für die Landnutzung zu zahlen. Der alte John ging beinahe pleite.«
»Wie kam es dann, dass Palm Springs trotzdem wuchs?«, fragte Babs.
Nun erzählte Deidre die Geschichte weiter. »McCallum hatte mehrere Kinder, aber es war seine Jüngste, Pearl, die sein Erbe weiterführte. Sie heiratete Austin McManus, einen Bauunternehmer, und nutzte das Land ihres Vaters wesentlich erfolgreicher.«
»In den Zwanzigerjahren baute sie das Oasis-Hotel«, nahm Sol den Faden wieder auf. »Du weißt schon, den Turm, den man vom Palm Canyon Drive aus sieht. Dort stiegen dann all die Filmstars ab.«
»Welche Filmstars?«, fragte Babs.
»Oh, Clark Gable, John Wayne, Loretta Young, sogar Shirley Temple.« Deidre war wieder bei ihrem Lieblingsthema angelangt. »Außerdem hat Pearl ein paar Wohnanlagen errichtet und den Tennisclub gegründet.«
»Ich würde zu gern mal ein paar Stars sehen.« Babs klang sehnsüchtig.
»Das kommt noch«, versicherte ihr Deidre.
»Mom, wie gefällt dir mein Bild?«, fragte Joey dazwischen, und Babs warf einen Blick auf die jetzt kunterbunte Leinwand.
»Großartig, Schatz, gut gemacht.« Babs nahm Joey in den Arm. »Und jetzt bedanke dich bei Sol, dass er dir so viel beigebracht hat.«
»Danke, Sol«, sagte Joey und strahlte.
»Komm bald wieder. Du kannst malen, wann immer du willst, kleiner Mann«, erwiderte Sol.
Nachdem Babs täglich viele Stunden ununterbrochen gearbeitet hatte, hatte sie schließlich ein Dutzend Ausstattungen für Babys und Kleinkinder beisammen. Eines Vormittags, nachdem Joey zur Schule gegangen war, packte sie all die Sachen sorgfältig in Seidenpapier, verstaute sie in ihrem kleinen Koffer und fuhr damit nach Palm Springs. Inzwischen hatte sie fast kein Geld mehr, was sie ziemlich nervös machte. Wenn nun niemand ihre Kinderkleidung kaufen wollte? Wie konnte sie sonst Geld verdienen? Wie sollte sie die Miete zahlen? Sie versuchte sich zu beruhigen, während sie den North Palm Canyon Drive entlang zu dem Geschäft ging, wo sie die teuren Babykleider gesehen hatte. Als sie eintrat, entdeckte sie dieselbe Verkäuferin wie beim letzten Mal und ging zu ihr.
»Ich weiß nicht, ob Sie sich noch an mich erinnern?«, begann sie etwas beklommen. »Aber ich habe vor ein paar Wochen mit Ihnen über Kinderkleidung gesprochen.«
Die Verkäuferin musterte sie. »Ja, genau. Wie kann ich Ihnen helfen?«
»Sie haben mir erzählt, Ihre Einkäuferin Mrs. Bourke wäre eventuell an handgearbeiteten Stücken interessiert. Ich habe in den letzten Wochen Babykleidung entworfen und genäht und würde mich freuen, wenn sie die Sachen vielleicht hier ins Sortiment nehmen möchte.«
Die Verkäuferin schürzte die Lippen. »Ich kann nicht garantieren, dass sie Sie ohne Termin empfängt.«
Babs’ Mut sank. »Ach so. Ich habe da wohl was falsch verstanden. Wissen Sie, ich habe so etwas noch nie gemacht«, sagte sie niedergeschlagen. Sie fühlte sich in dieser ihr unbekannten Geschäftswelt wie ein Fisch auf dem Trockenen. Doch dann dachte sie an Joey, der sich in der neuen Umgebung so tapfer hielt, und fasste sich ein Herz. Schließlich hatte sie sich viel Mühe gemacht, und sie wusste, dass die Kleidung hübsch und von hoher Qualität war. Sie durfte jetzt nicht klein beigeben. Also holte sie tief Luft und nahm dann einen ihrer Entwürfe aus dem Koffer. »Es würde nicht lange dauern.«
Die Verkäuferin begutachtete das Kleidungsstück. »Warten Sie einen Moment. Ich werde mal mit ihr sprechen, schaden kann es ja nicht.«
Als die Frau verschwunden war, sah sich Babs im Laden um. Sie musste zugeben, dass die Ware hier hinreißend war: seidene Cocktailkleider, teils bestickt und mit Spitzeneinsätzen, modische Capri-Hosen, schicke rückenfreie Tops und die glitzerndsten Sandalen, die sie je gesehen hatte. Das ließ sich mit dem Angebot in Portland überhaupt nicht vergleichen. Und dann diese Preise! Sie konnte nicht glauben, dass irgendjemand auf der Welt bereit war, so viel Geld für ein einziges Paar Sandalen auszugeben.
»Sie wollten mich sprechen?«, fragte eine Stimme hinter ihr.
Babs drehte sich um und stand einer elegant gekleideten Mittfünfzigerin gegenüber.
»Ich bin Mrs. Bourke. Sie wollen mir ein paar Warenmuster zeigen? Kommen Sie doch bitte mit in mein Büro, dann werde ich sie mir ansehen. Offenbar sind Sie ja recht beharrlich.« Sie klang energisch, aber nicht unfreundlich.
In Mrs. Bourkes Büro öffnete Babs den Koffer und legte Kleinmädchenkleider, Hemden für kleine Jungen und Babykleidung auf den Schreibtisch.
Die Einkäuferin nahm jedes einzelne Stück in die Hand und begutachtete es. »Ich nehme an, Sie haben das alles selbst gemacht?«, fragte sie schließlich. »Einiges dürfte sich gut verkaufen lassen.«
Vor Erleichterung wurden Babs die Knie weich.
»Ich glaube, ich nehme das«, sagte Mrs. Bourke und legte ein reizend gesmoktes Babykleidchen zur Seite. »Und dieses Outfit mit den gelben Enten für einen kleinen Jungen ist recht charmant. Vielleicht noch dieses weiße Kleidchen. Ich brauche die Sachen allerdings in mehreren Größen. Können Sie die bis nächste Woche liefern? Wenn die Qualität so hoch bleibt, sind wir im Geschäft.«
Damit es keine Missverständnisse gab, notierte Mrs. Bourke die Größen, die Stückzahl und den Preis, den sie dafür zahlen würde. Babs’ Hochgefühl wurde nur ein wenig dadurch gedämpft, dass nicht alle ihre Entwürfe Gnade vor den Augen der Einkäuferin gefunden hatten. Als sie jedoch sah, was Mrs. Bourke zahlen wollte, stieg ihr die Zornesröte ins Gesicht. Das waren ja nur Almosen im Vergleich zu dem, was die Sachen im Laden kosten würden! Allerdings blieb ihr wohl nichts anderes übrig, als einzuwilligen. Schließlich brauchte sie das Geld. Und irgendwo musste sie eben anfangen, ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Also nickte sie, dankte Mrs. Bourke dafür, dass sie sich die Zeit genommen hatte, und versprach, die Bestellung Ende nächster Woche zu liefern, auch wenn sie sich fragte, wie um Himmels willen sie das schaffen sollte.
»Noch eine Frage«, sagte Mrs. Bourke. »An welche Altersgruppe denken Sie bei Ihren Entwürfen?«
»Von Neugeborenen bis etwa sechs oder sieben«, antwortete Babs. Sie wollte sich nicht auf Babykleidung festlegen lassen.
»Und wie heißt Ihre Marke? Oder soll ich den Namen unseres Geschäfts einnähen lassen?«
Babs wollte schon erwidern, dass sie kein Designerlabel habe, doch da schoss ihr eine Idee durch den Kopf.
»Tut mir leid, dass ich nicht mehr die Zeit hatte, die Schildchen einzunähen. Der Name ist ›Heaven to Seven‹, Mrs. Bourke. Wenn ich Ihnen nächste Woche die Kleidung bringe, steht der Name drin.«