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Impressum

Auf Russisch geschrieben 1925/26 und unter dem Titel «Maschenka» 1926 veröffentlicht im Verlag Slowo, Berlin.

Die erste englische Ausgabe in der Übersetzung von Michael Glenny in Zusammenarbeit mit dem Autor erschien unter dem Titel «Mary» 1970 bei der McGraw-Hill Company, New York und Toronto.

 

Die erste deutsche Ausgabe, gezeichnet Wladimir Nabokoff-Sirin und übersetzt von Jakob Margot Schubert und Gregor Jarcho, erschien 1928 im Verlag Ullstein, Berlin, Uhlen-Bücher Nr. 115, unter dem Titel «Sie kommt – kommt sie?». Die zweite deutsche Übersetzung von Klaus Birkenhauer unter dem Titel «Maschenka» erschien 1976 im Rowohlt Verlag, Reinbek. Diese wurde 1991 in den Band 1 der Gesammelten Werke übernommen.

 

Der Text folgt: Vladimir Nabokov, Gesammelte Werke, Band 1, Frühe Romane, herausgegeben von Dieter E. Zimmer.

 

Überarbeitete Ausgabe

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, September 2017

Copyright © 1976, 1991, 2017 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg

«Mary» Copyright © 1970 by Article 3 C Trust under the Will of Vladimir Nabokov

Veröffentlicht im Einvernehmen mit The Estate of Vladimir Nabokov

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der Genehmigung des Verlages

Umschlaggestaltung any.way, Cordula Schmidt

Umschlagabbildung svrid79/Shutterstock; Telegramm Cordula Schmidt

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ISBN Printausgabe 978-3-499-22546-8 (überarbeitete Ausgabe 2017)

ISBN E-Book 978-3-644-00168-8

www.rowohlt.de

ISBN 978-3-644-00168-8

(PUSCHKIN)

«Lew Glewo. Lew Glebowitsch? An so einem Namen, mein lieber Freund, kann man sich ja glatt die Zunge abbrechen.»

«In der Tat», bestätigte Ganin ziemlich kühl. Er versuchte, trotz der unerwarteten Finsternis das Gesicht seines Gesprächspartners auszumachen, und ärgerte sich über die absurde Situation, in die sie beide geraten waren, und dass er mit diesem fremden Menschen nun wohl reden musste.

«Ich hab Sie nicht ohne Grund nach Ihrem Namen und Vatersnamen gefragt», fuhr die andere Stimme unbeirrt fort. «Ich glaube nämlich, dass jeder Name …»

«Soll ich nicht noch mal auf den Knopf drücken?», unterbrach ihn Ganin.

«Bitte, drücken Sie. Nur fürchte ich, das hilft nicht viel. Also wie gesagt, jeder Name bringt gewisse Verpflichtungen mit sich. Und Lew und Gleb, das ist eine seltene Kombination, die sehr hohe Ansprüche stellt. Sie besagt, dass Sie präzis, entschlossen und ziemlich exzentrisch sein müssten. Mein Name ist da bescheidener, und meine Frau heißt sogar schlicht und einfach Maschenka. Aber dabei fällt mir ein, dass ich mich ja noch vorstellen muss: Alexej Iwanowitsch Alfjorow.

«Sehr angenehm», sagte Ganin und tastete in der Finsternis nach der Hand, die gegen seinen Ärmel gestoßen hatte. «Was meinen Sie – ob wir hier noch lange stecken bleiben? Es wird langsam Zeit, dass jemand etwas unternimmt, zum Teufel noch mal!»

«Setzen wir uns doch auf die Bank und warten ab.» Die lästige, gut gelaunte Stimme erscholl jetzt dicht über seinem Ohr. «Gestern, bei meiner Ankunft, sind wir auf dem Korridor beinah zusammengestoßen. Und als ich abends hörte, wie Sie sich im Zimmer nebenan räusperten, habe ich nur nach dem Klang des Hustens gleich gewusst, Sie sind ein Landsmann! Sagen Sie, wohnen Sie hier schon lange?»

«Eine Ewigkeit. Hätten Sie wohl ein Streichholz für mich?»

«Nein, ich bin Nichtraucher. Ein ziemlich schmieriges Haus, nicht wahr? – aber immerhin eine russische Pension. Trotzdem bin ich zurzeit sehr glücklich: Meine Frau kommt nämlich aus Russland. Vier Jahre getrennt, das ist kein Spaß. Jawohl. Doch jetzt dauert’s nicht mehr lange. Heute ist schon Sonntag.»

«Verflixte Dunkelheit», brummte Ganin und knackte mit den Fingerknöcheln. «Wie spät es inzwischen wohl sein mag?»

Alfjorow seufzte geräuschvoll, und seinem Mund entströmte der warme, abgestandene Geruch eines älteren Mannes, der nicht mehr bei bester Gesundheit ist. Es liegt etwas Trauriges in solch einem Geruch.

«Jetzt dauert es nur noch sechs Tage. Ich vermute,

«Ich hätte nicht übel Lust, sie einzuschlagen», sagte Ganin.

«Beruhigen Sie sich, Lew Glebowitsch, bitte. Sollten wir uns nicht lieber mit irgendeinem Gesellschaftsspiel die Zeit vertreiben? Ich kenne ein paar herrliche, die erfinde ich nämlich selber. Denken Sie sich zum Beispiel eine zweistellige Zahl. Fertig?»

«Nichts für mich», sagte Ganin und schlug zweimal mit der Faust gegen die Wand.

«Der Portier liegt schon seit Stunden im Bett.» Alfjorows Stimme dröhnte immer weiter. «Ihr Klopfen hat also gar keinen Zweck.»

«Aber Sie müssen doch zugeben, dass wir hier nicht die ganze Nacht so herumhängen können!»

«Es scheint, als bliebe uns gar nichts anderes übrig. Meinen Sie nicht auch, Lew Glebowitsch, dass unsere Begegnung hier etwas Symbolisches hat? Solange wir die terra firma unter den Füßen hatten, kannten wir uns nicht. Und nun will es der Zufall, dass wir zur gleichen Zeit nach Hause kommen und zusammen diesen Kasten betreten. Nebenbei: Der Fußboden wirkt erschreckend dünn, und drunter ist nichts als ein schwarzer Schacht. Ja, also wie ich gerade sagte: Wortlos sind wir eingetreten, wir kannten uns immer noch nicht, schwebten schweigend in die Höhe, und dann plötzlich: Halt! Und Finsternis.»

«Nun, die Tatsache, dass wir anhielten, bewegungslos, in dieser Finsternis. Und dass wir jetzt warten. Erst heute beim Mittagessen habe ich mit dem alten Herrn – wie heißt er doch gleich, der alte Schriftsteller? – ach ja, Podtjagin –, mit dem habe ich über den Sinn unseres Emigrantendaseins diskutiert, über dies ewige Warten. Während Sie ja wohl den ganzen Tag nicht im Hause waren, nicht wahr, Lew Glebowitsch?»

«Richtig. Ich war auf dem Lande.»

«Ach ja, der Frühling! Jetzt muss es draußen sehr angenehm sein.»

Alfjorows Stimme verflüchtigte sich ein paar Augenblicke, und als sie wieder einsetzte, hatte sie einen aufdringlich fröhlichen Schwung – wahrscheinlich weil Alfjorow jetzt lächelte.

«Sobald meine Frau hier ist, fahre ich auch mit ihr aufs Land. Sie schwärmt für Spaziergänge. Stimmt es eigentlich, was die Wirtin mir erzählt hat: dass Ihr Zimmer zum Samstag frei wird?»

«Stimmt», erwiderte Ganin kurz.

«Wollen Sie ganz aus Berlin weg?»

Ganin nickte, er hatte völlig vergessen, dass im Dunkeln Kopfnicken unsichtbar war. Alfjorow rutschte auf der Bank hin und her, seufzte ein paarmal und begann, behutsam eine süßliche Melodie zu pfeifen, brach sie immer wieder einmal ab und fing sie dann von neuem an. Zehn Minuten gingen so vorbei, da knackte es plötzlich über ihnen.

«Das ist schon besser», sagte Ganin und lächelte.

Mit einem Ruck krallte sich der Aufzug an die Schwelle des vierten Stocks und hielt.

«Ein Wunder», sagte Alfjorow, grinste und öffnete die Tür. «Ich dachte, jemand hätte den Knopf gedrückt und uns heraufgeholt, aber hier ist keine Seele. Bitte nach Ihnen, Lew Glebowitsch.»

Doch Ganin verzog nur ungeduldig das Gesicht, gab Alfjorow einen leichten Schubs und ließ, sobald er ihm hinausgefolgt war, seinen Gefühlen freien Lauf, indem er die Eisentür dröhnend hinter sich ins Schloss warf. Noch nie zuvor war er so gereizt gewesen.

«Ein Wunder», wiederholte Alfjorow. «Oben angekommen und keine Menschenseele! Auch das ist symbolisch.»

Die Pension russisch und scheußlich. Scheußlich vor allem deshalb, weil dort den ganzen Tag und einen großen Teil der Nacht die Stadtbahnzüge vorbeilärmten und den Eindruck erweckten, als bewege sich das gesamte Gebäude langsam vorwärts. Der Flur, in dem ein trüber Spiegel mit einer Handschuhablage hing und eine eichene Truhe so aufgestellt war, dass ihr kein Schienbein ohne Abschürfungen entgehen konnte, verengte sich zu einem kahlen, bedrückend schmalen Korridor. Auf jeder Seite lagen drei Zimmer, nummeriert mit großen schwarzen Zahlen, die an den Türen klebten. Es waren einfach Blätter aus einem Kalender vom Vorjahr – die ersten sechs Tage des Monats April 1923. Der erste April – erste Tür links – war das Zimmer von Alfjorow, im nächsten wohnte Ganin und im dritten die Wirtin, Lydia Nikolajewna Dorn, die Witwe eines deutschen Kaufmanns, der sie vor zwanzig Jahren aus Sarepta nach Berlin gebracht hatte und im vorigen Jahr an einer Hirnhautentzündung gestorben war. In den drei Zimmern auf der rechten Seite des Korridors – vom vierten bis sechsten April – wohnten Anton Sergejewitsch Podtjagin, ein alter russischer Dichter; Klara, ein vollbusiges Mädchen mit auffälligen bläulichbraunen

Beim Speisezimmer angelangt, bog der Korridor im rechten Winkel nach rechts ab, und dort lauerten in tragischer, übelriechender Abgründigkeit die Küche, ein kleines Dienstmädchenzimmer, ein schmutziges Bad und eine enge Toilette, deren Tür durch zwei blutrote Nullen markiert war – ohne ihre rechtmäßigen Zehner, mit denen sie einst auf dem Pultkalender von Herrn Dorn zwei verschiedene Sonntage bezeichnet hatten.

Einen Monat nach dem Tode ihres Mannes hatte Lydia Nikolajewna, eine kleine, etwas schwerhörige Person, die zu einer gewissen Wunderlichkeit neigte, eine leere Wohnung gemietet und in eine Pension verwandelt. Die Art und Weise, wie sie den wenigen ererbten Hausrat über die Zimmer verteilte, bewies allerdings eine einzigartige, geradezu gespenstische Erfindungsgabe. Sie verstreute einfach die Tische,

In letzter Zeit war Ganin lustlos und launisch geworden; noch vor kurzem konnte er so gut wie ein japanischer Akrobat auf den Händen laufen und dabei die Beine elegant wie ein Segel in die Höhe schwingen. Er konnte mit den Zähnen einen Stuhl hochheben und durch Anspannen des Bizeps eine Schnur zerreißen. Sein Körper brannte ständig darauf, irgendetwas zu tun – über einen Zaun zu springen oder einen Pfahl zu entwurzeln, kurz: über die Stränge zu schlagen, wie wir in unserer Jugend zu sagen pflegten. Jetzt aber hatte irgendetwas in seinem Innern

Als er im vorigen Jahr nach Berlin gekommen war, hatte er sofort Arbeit gefunden und bis zum Januar mehrere verschiedene Tätigkeiten ausgeübt. Er hatte gelernt, was es bedeutet, im gelben Dunst des frühen Morgens in die Fabrik zu gehen; und er hatte gelernt, wie einem die Beine wehtaten, nachdem man am Tag mit beladenem Tablett zehn kurvenreiche Kilometer zwischen den Tischen des russischen Restaurants Pir Goroj zurückgelegt hatte; und auch mit anderen Beschäftigungen war er vertraut geworden und hatte alle

Das verbleibende Geld reichte zwar, um Berlin zu verlassen, aber zunächst hätte er mit Ljudmila brechen müssen, und er wusste nicht, wie er das anstellen sollte. Und obwohl er sich diese Woche als Frist dafür gesetzt und der Wirtin erklärt hatte, dass er endlich entschlossen sei, am Samstag auszuziehen, spürte Ganin, dass weder diese Woche noch die nächste irgendetwas ändern würde. Unterdessen wuchs sein umgekehrtes Heimweh, die Sehnsucht nach einem neuen fremden Land, durch das Frühlingswetter immer heftiger. Sein Zimmerfenster ging auf die Eisenbahnschienen hinaus, sodass ihn der Reiz des

Ganin hätte sich wohler gefühlt, wenn er auf der anderen Seite des Korridors gewohnt hätte, in Podtjagins Zimmer oder in dem von Klara; dort gingen nämlich die Fenster auf eine ziemlich langweilige Straße hinaus, über die zwar eine Eisenbahnbrücke führte, die aber wenigstens keinen Blick in die bleiche, verführerische Weite erlaubte. Diese Eisenbahnbrücke war eine Fortsetzung des Schienenstrangs, den Ganin von seinem Fenster aus sah, und er konnte nie ganz das Gefühl abschütteln, dass jeder einzelne Zug unbemerkt mitten durch das Haus hindurchfahre. Da kam er, von dieser Seite her, sein gespenstisches Dröhnen ließ die Wand erzittern, er ratterte geradewegs über den alten Teppich, streifte ein Glas auf dem Waschtisch und verschwand schließlich mit frostigem Klirren durch das Fenster, und gleich darauf wogte vor der Scheibe eine Rauchwolke hoch, und sobald diese sich verzog, tauchte ein Stadtbahnzug auf, als habe das Haus ihn ausgespien; schmutzig olivfarbene Wagen mit einer Reihe schwarzer Hündinnenzitzen auf den Dächern und eine stummelkurze Lokomotive, verkehrt herum angekoppelt, die energisch rückwärts

«Ah – wenn man wegfahren könnte!», murmelte Ganin, reckte sich lustlos und hielt sofort inne – was sollte er mit Ljudmila machen? Verrückt, was für ein Waschlappen er geworden war. Früher, als er noch auf den Händen lief oder über fünf Stühle wegsprang, früher hatte er seinen Willen nicht nur beherrscht, sondern sogar damit gespielt. Es hatte Zeiten gegeben, als er ihn zum Beispiel dadurch stählte, dass er sich zwang, mitten in der Nacht aus dem Bett zu steigen, um auf die Straße hinunterzugehen und einen Zigarettenstummel in einen Briefkasten zu werfen. Und jetzt konnte er’s nicht einmal über sich bringen, einer Frau zu sagen, dass er sie nicht mehr liebte. Vorgestern hatte sie fünf Stunden in seinem Zimmer verbracht; gestern war er mit ihr den ganzen Sonntag lang an den Seen außerhalb Berlins gewesen, nur weil er ihr diesen lächerlichen kleinen Ausflug nicht abschlagen konnte. Er fand jetzt alles an Ljudmila abstoßend: ihr gelbes, zum modischen Bubikopf geschnittenes Haar, die zwei Streifen nicht ausrasierter dunkler Härchen im Nacken, die geschwärzten, schmachtenden Augenlider und vor allem ihre Lippen, die sie glänzend violett anmalte. Er fühlte sich gelangweilt und abgestoßen, wenn sie nach einer Runde mechanischer Rammelei beim Anziehen die Augen zusammenkniff, wodurch