Günter Blamberger
Heinrich von Kleist
Biographie
Fischer e-books
Günter Blamberger, geb. 1951, ist Professor für Neuere Deutsche Literatur an der Universität zu Köln und leitet dort das Internationale Wissenschaftskolleg ›Morphomata‹, das mit Fellows aus aller Welt Denkbilder des Schöpferischen oder des Todes im interkulturellen Vergleich untersucht. Er ist außerdem seit 1996 Präsident der Heinrich-von-Kleist-Gesellschaft und Herausgeber des Kleist-Jahrbuchs.
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© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2011.
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ISBN 978-3-10-401086-1
Für Clara, Charlotte und Bettina
Kleists Steckbrief und wie man ihn abreißt
Imaginäre Reisen. Dieses Gesellschaftsspiel liebt man um 1800. Vor allem Frauen lieben es, die, wenn sie tatsächlich reisen, nur in Begleitung von Männern reisen dürfen oder als Männer verkleidet, wie Kleists Schwester Ulrike. Mit verbundenen Augen sitzt man um einen Tisch herum, streicht mit der Hand über eine Landkarte, um dann mit einem Fingerzeig Halt zu machen, an einem Zufallsort, und Weg und Ziel sich in der Phantasie auszumalen. Ungestört, also anders als in der Wirklichkeit. Da kann das Reisen von der schönen Kunst zum Rechenkunststück werden. So jedenfalls der französische Aufklärer Denis Diderot in seiner Physiologie (1774–1780). Er warnt davor, seinem natürlichen Instinkt zu folgen, wenn man in einer Kutsche sitzt, die Pferde plötzlich durchgehen, hin zu einem Abgrund oder einem Fluss. Jeder will da sofort aus der Kutsche springen, aber wohin? In die Richtung des Vorderrads, das mit der Kutsche fortläuft, oder in die Richtung des Hinterrads, das auf den Springenden zuzukommen droht? Der Augenschein, so Diderot, rät zum Sprung nach vorn. Ein fataler Irrtum. Wer nicht von einem der beiden schweren und großen Räder zermalmt werden will, muss in die Richtung des Hinterrads springen, während ihn die Bewegung des Wagens zugleich nach vorne reißt. Nur so gerät er in eine Diagonale, die im sicheren Zwischenraum zwischen beiden Rädern verläuft. Die Rettung ist ein Vektorspiel aus den Kräften der Sprungbewegung und der Bewegung des Wagens.1
Im Sommer 1801 ist Kleist mit seiner Schwester Ulrike unterwegs von Straßburg nach Paris. Acht Tage brauchen sie und 120 Fahrstunden mit der Kutsche und haben Glück dabei, wie Kleist in einem Brief vom 18. Juli 1801 an seine Freundin Karoline von Schlieben eingesteht. In Butzbach, bei Frankfurt am Main, machen sie eine kurze Rast vor einem Wirtshaus, bleiben in der Kutsche sitzen, als plötzlich ein Esel mit abscheulichem Geschrei die Pferde erschreckt, so dass sie im vollen Tempo durchgehen. Was macht Kleist?
»Ich grif nach dem Zügel, aber die hiengen ihnen, aufgelöset, über der Brust, u ehe ich Zeit hatte, an die Größe der Gefahr zu denken, schlug schon der Wagen mit uns um, u wir stürzten – Und an einem Eselsgeschrei hieng ein Menschenleben? Und wenn es nun in dieser Minute geschlossen gewesen wäre, darum also hätte ich gelebt? Darum? Das hätte der Himmel mit diesem dunkeln, räthselhaften, irrdischen Leben gewollt, und weiter nichts –? Doch für diesmal war es noch nicht geschlossen, – wofür er uns das Leben gefristet hat, wer kann es wissen? Kurz, wir standen beide ganz frisch u gesund von dem Steinpflaster auf u umarmten uns. Der Wagen lag ganz umgestürzt, daß die Räder zu oberst standen, ein Rad war ganz zerschmettert, die Deichsel zerbrochen, die Geschirre zerrissen, das Alles kostete uns 3 Louis d’or u 24 Stunden, am andern Morgen gieng es weiter – Wann wird der letzte sein?«2
Diderots Ratschlag hat Kleist offenbar nicht im Kopf. Er springt nicht aus dem Wagen und er rechnet in seinem Rettungsversuch nicht mit einem Kräfteparallelogramm in einem Bewegungsbild von Kutsche– Pferden–Mensch wie Diderot, sondern nur mit den eigenen Kräften. Die Zügel will er in die Hand nehmen, um das plötzliche und schwer aufhaltbare Geschehen nach eigenem Willen zu lenken, und dabei scheitert er. Dass er überlebt, ist nur ein Glücksfall. Fortuna regiert, aber Kleist denkt sofort ans Fatum, an die Notwendigkeit eines Lebens, das durch den Zufall eines Eselgeschreis hätte enden können. Kleists Bilanz fällt ernüchternd aus: 23 Jahre alt ist er im Sommer 1801, ein im Grunde ziellos Reisender ohne festen Wohnsitz, ohne Beruf, ohne finanziellen Rückhalt, ein Projektemacher, der gerade im Aufbruch nach Paris ist, um das in seiner Geburtsstadt Frankfurt/Oder abgebrochene Studium der Naturwissenschaft fortzusetzen. Es ist eines von vielen Projekten in seinem Leben, von denen sich bisher keines nach Plan erfüllt hat. Eigentlich weiß er nicht, wie es weitergehen wird, so verrät es ein Brief an die Verlobte Wilhelmine von Zenge, auf der Reise nach Paris im Juni 1801 geschrieben. »Alles liegt in mir verworren, wie die Werchfasern im Spinnerocken, durcheinander«, heißt es hier, und weiter: »selbst meine Wünsche wechseln, und bald trit der eine, bald der andere ins Dunkle, wie die Gegenstände einer Landschaft, wenn die Wolken drüber hinziehn.«3 Das ist schlecht auszuhalten für einen, der von Jugend an von Figuren der Steuerung fasziniert ist und die Kontrolle über seine Lebensreise so fest in der Hand halten will wie die Zügel der Kutschenpferde. Zwei Jahre vor der Parisreise, im Mai 1799, schreibt er an seine Schwester Ulrike:
»Ein Reisender, der das Ziel seiner Reise, u den Weg zu seinem Ziele kennt, hat einen Reiseplan. Was der Reiseplan dem Reisenden ist, das ist der Lebensplan dem Menschen. Ohne Reiseplan sich auf die Reise begeben, heißt erwarten, daß der Zufall uns an das Ziel führe, das wir selbst nicht kennen. Ohne Lebensplan leben, heißt vom Zufall erwarten, ob er uns so glücklich machen werde, wie wir es selbst nicht begreifen.
Ja, es ist mir so unbegreiflich, wie ein Mensch ohne Lebensplan leben könne, u ich fühle, an der Sicherheit, mit welcher ich die Gegenwart benutze, an der Ruhe, mit welcher ich in die Zukunft blicke, so innig, welch’ ein unschätzbares Glück mir mein Lebensplan gewährt, u der Zustand, ohne Lebensplan, ohne feste Bestimmung, immer schwankend zwischen unsichern Wünschen, immer im Widerspruch mit meinen Pflichten, ein Spiel des Zufalls, eine Puppe am Drathe des Schicksaals – dieser unwürdige Zustand erscheint mir so verächtlich, und würde mich so unglücklich machen, daß mir der Tod bei weitem wünschenswerther wäre.«4
Vom Zufall eines Eselsgeschreis einmal abgesehen, vor dem keiner sicher ist, sollte man also das Reisen wie das Leben im Griff haben. Wenn aber das Leben aus Experimenten besteht, deren Verlauf nicht mehr berechenbar ist, wie kommt einer wie Kleist damit zurecht? Wie, dass sein Leben sich nicht, wie geplant, zu einem kohärenten und zielgenauen Projekt entwickelt, sondern verworrenes Flickwerk bleibt, ohne vorgefertigtes Schnittmuster, eine patchwork-identity, wie es die Soziologie gegenwärtig nennen würde? Eine Frage ist das, die ganz aus dem Heute zu kommen scheint und zugleich eine historische ist. Kleist mag als Dichter, wie Thomas Mann einmal schrieb, »sondergleichen« sein, »völlig einmalig, aus aller Hergebrachtheit und Ordnung fallend«,5 seine Schwierigkeiten mit der Erstellung und Durchführung eines Lebensplans sind nichts ihm Eigentümliches, es handelt sich eher um ein Generationsproblem der nach 1770 Geborenen, die mit den Mündigkeits- und Selbstbestimmungsmodellen der Aufklärung erzogen worden sind und dann in die Wirren der Befreiungskriege gegen Napoleon geraten, in denen die deutschen Staaten politisch instabil und in allen sozialen Bereichen reformbedürftig sind und die ständische Gesellschaft allmählich entsichert wird. Gerade die Lebensläufe von Aristokraten entwickeln sich so ins gefährlich Offene, die Verbindlichkeit des eigenen Standesmodells wird brüchig, der soziale Handlungsraum vergrößert sich, der Zugewinn an Freiheit kann zugleich aber als Beliebigkeit empfunden werden, als Orientierungsverlust.6 Anders als in der altständischen Welt ist es an der Epochenschwelle um 1800 nichts Ungewöhnliches, dass einer wie Kleist ein Leben lang auf der Suche nach dem Sinn seines Lebens bleibt.
Eine Umbruchs-, eine Krisenzeit also, voller Spannungen für ein Leben, die in einer Biographie nicht nachträglich aufgelöst und harmonisch ausgeglichen werden dürfen. Zur Vermeidung von Langeweile und zur Vermeidung von Steckbriefen, also zum Schutz des Lesers und zum Schutz des Porträtierten. Im Falle Kleists ist das schwer, wie bei allen, die jung und spektakulär sterben. Der große Essayist Walter Benjamin hat über das Verhältnis von Todesalter und Gedächtnis einmal bemerkt: »Ein Mann […], der mit fünfunddreißig Jahren gestorben ist, wird dem Eingedenken an jedem Punkte seines Lebens als ein Mann erscheinen, der mit fünfunddreißig Jahren stirbt.«7 Auf Kleist, mit 34 Jahren gestorben, trifft das zu. Fast jeder Biograph schreibt seine Geschichte von ihrem monströsen Ende her und versucht in den Brandzeichen des Körpers die der Seele zu lesen. Der Selbstmord am Wannsee 1811 gilt nur als die finale Katastrophe einer Lebensgeschichte, die sich als permanente Krisengeschichte darstellt und damit als letzte Konsequenz eines Nonkonformisten, der – einer staatstragenden Familie entstammend – den Militärdienst quittiert, das Studium abbricht, die standesgemäße Verlobung mit der Generalstochter Wilhelmine von Zenge beendet, den Versuch einer Beamtenlaufbahn rasch aufgibt, erfolglos ist bei den Zeitgenossen als Dichter und gescheitert mit dem großen journalistischen Projekt der Berliner Abendblätter. Eine einzige Kette von Enttäuschungen und Versagen, die das Selbstopfer erklären soll. Dabei ist es umgekehrt: Aufgrund des rätselhaften Todes stellen die Biographen Kleists ganzes Leben im Nachhinein unter Melancholieverdacht, und seine Werke gelten ihnen somit als Dokumente des Leidens.
Vernünftiger scheint es zu versuchen, ein Leben nicht von seinem Ende, sondern von seinen Anfängen her zu verstehen, aus den Prägungen der Kindheit. Doch auch diese biographische Konvention hat ihre Tücken, wie eine denkwürdige Geschichte Wolfgang Hildesheimers lehrt. Das Gastspiel des Versicherungsagenten heißt sie und findet sich in dem 1952 erstmals veröffentlichten Erzählband Lieblose Legenden. Ihr Held heißt Frantisek Hrdla und wird uns als ein berühmter Pianist vorgestellt, dessen Berufswahl der Erzähler schlüssig mit der Erziehung durch musikalische Eltern zu erklären versteht. Der von Mama und Papa vorgezeichnete Weg des Wunderkindes wird durch die zufällige Bekanntschaft mit einem Versicherungsagenten gestört, der Junge ist gerade zehn Jahre alt und schon von einem zweiten Beruf begeistert. Seine Entwicklung zu einer Doppelbegabung ist nicht mehr aufzuhalten. Dass der Pianist in der Konzertpause Versicherungen ans Publikum verkauft, wird am Ende einer Erzählung, die das Kausalitätsprinzip ad absurdum führt, niemanden wundern. Eher wundert es, dass Wissenschaftler, wenn sie Biographien schreiben, so brav an das zeitliche Nacheinander als eine notwendige Folge von Ursache und Wirkung glauben und den porträtierten Dichter auf die Freud’sche Couch legen oder sich in schöner deutscher Tradition aufführen, als seien sie der auktoriale Erzähler eines Bildungsromans, der die Ereignisse eines Lebens kontinuierlich zu verbinden und in einem organischen Ganzen abzurunden versteht.
Kleist hat, so viel ist sicher, weder in der Dichtung noch im Leben das tröstliche Strickmuster des Wilhelm Meister beherrscht. Unsinnig ist es, ihm im Nachhinein eine Biographie zu schneidern, die Löcher stopft, Kettfäden vom Ende oder von den Anfängen des Lebens her einzieht. Statt solcher konsekutiven Erzähltechnik, die die Komplexität der realen Verhältnisse reduziert, das Lebensgeschehen vereindeutigt, fixiert, stillstellt, abschließt und im Grunde eine Perspektive des Todes ist, werde ich die offene, ungewisse Perspektive des Lebens wählen, also eine präsentische Erzähltechnik. Es gilt, auf der Höhe der Gegenwart zu bleiben, mit Kleist aus der Erlebnisperspektive, aus dem Augenblicksbewusstsein Handlungsalternativen durchzuspielen, quasi ›ohne zu wissen, was die Zukunft bringt‹. Ich kann dabei wie jeder Biograph weiterhin linear-chronologisch erzählen, aber nicht teleologisch. Ich verzichte auf die epische Zielspannung und denke nicht auf ein Resultat, auf einen prospektiven Höhepunkt des Lebens oder auf das spektakuläre Ende hin, sondern versuche das Beunruhigende oder Staunenswerte in jedem Lebensabschnitt zu zeigen, den Zündstoff in jeder von Kleists biographischen und literarischen Versuchsanordnungen.
Das Material dafür ist schmal, das Briefwerk, die Briefe von und an Kleist, die Zeugnisse von Zeitgenossen. Üblicherweise schließt man in Biographien vom Leben auf das Werk, bei Kleist liegt die umgekehrte Versuchung nahe. Bedenkenlos nachgeben sollte man ihr nicht. Die Konsequenz daraus ist nicht, aus dem Porträt des Dichters seine Dichtung auszuschließen. Eine Kleist-Biographie ohne die Interpretation der Penthesilea wäre so absurd wie eine Napoleon-Biographie ohne die Schilderung seines Russland-Feldzugs.8 Nur gibt es bei Kleist keinen einfachen Abbildungszusammenhang zwischen Leben und Werk. Die den Zeitgenossen seit Goethes Werther vertraute Formel ›Muse Melancholie – Therapeuticum Poesie‹ gilt für Kleist nicht. Schreiben ist ihm weder Ausdruck noch Aufhebung eigenen Leidens, Schreiben gibt seinem Leben auch keinen Halt. Was nicht heißt, dass er nicht Konflikte seiner Zeit, seines Lebens in seinem Werk verhandelt. Fragen also darf man, wie macht der Autor sein Werk, was macht das Werk aus dem Autor? Die vorläufige Antwort lautet: Der Zusammenhang zwischen Leben und Schreiben ähnelt einer Parallelaktion. Kleist begibt sich zweifach in ein Laboratorium vor der Moderne und experimentiert ohne Schutz mit Explosivstoffen, die 100 Jahre später das Gehäuse der Tradition sprengen werden. Wie kommt einer dazu, gegen alle zeitgenössischen Konventionen der philosophischen und literarischen Zunft zu einem »echten Vorfechter für die Nachwelt«9 zu werden, wie Adam Müller seinen Freund Kleist einmal genannt hat? Anders als Goethe ist Kleist in keiner Hinsicht maßvoll, der Dichter der kannibalischen Penthesilea und des grauenvollen Realpolitikers Herrmann geht »mit seinen Stoffen um wie ein Triebtäter mit einer Frau«, so Heiner Müller einmal über Kleist.10 Kleists Ideen haben Zukunft in der Moderne – von Nietzsche über Kafka bis Heiner Müller –, sie haben keine Gegenwart bei den Zeitgenossen im 19. Jahrhundert, hier werden sie im Gefolge von Goethes Kleist-Urteil als pathologisch gebrandmarkt. Welche Vergangenheit aber haben sie? Diese Frage wird in der Kleist-Forschung meist übersehen. Kleists Lebens- und Schreibexperimente sind keine ›creatio ex nihilo‹. Er ist kein Gott, der aus dem Nichts schafft. Nach den Voraussetzungen seiner Abkehr vom bürgerlichen Idealismus ist zu suchen, nach Verbindungen z.B. zu den aristokratischen ›Verhaltenslehren der Kälte‹11 von Machiavelli oder Gracián. Aber warum kehrt Kleist sich vom Idealismus überhaupt ab und damit von philosophischen und ästhetischen Präventivmaßnahmen zur sozialen und individuellen Risikominimierung? Warum ist er im Werk wie im Leben fasziniert von Krisen, Katastrophen, vom Kontrollverlust? Wie wird ein ehemaliger Soldat, dessen literarische Bildung keineswegs außergewöhnlich ist, zu einem der größten Erneuerer deutscher Literatur? Anders als seine Zeitgenossen Goethe, Hölderlin, Novalis oder Hoffmann gestaltet Kleist keine intellektuellen Helden, keine Musiker, Maler, Dichter in seinen Werken, und ein theoretischer Kopf, der über sein Schreiben und sein Leben bereitwillig Auskunft gibt wie Goethe in Dichtung und Wahrheit, ist er auch nicht. Er verweigert uns den Blick in seine Werkstatt. Wo also finden wir die generativen Kerne, aus denen sich seine Kreativität entfaltet? So viel an Fragen vorweg, im Versprechen darauf, dass diese Biographie weiterhin mehr Fragen sammeln soll als Antworten. Weil Antworten so schnell vergessen werden; Fragen aber, um einen Aphorismus Nietzsches aus seiner Genealogie der Moral abzuwandeln, sich ins Gedächtnis einbrennen, wenn sie nicht aufhören, »weh zu thun«.12
Über Kleists Herkunft und Stand
Il Gattopardo. Der Leopard. Ausgehend von dem Tier, das ein Adelsgeschlecht im Wappen trägt, macht man sich ein Bild von seiner Natur und seiner Wesensart. Giuseppe Tomasi di Lampedusas Fürst Salina hat den rechten Biss allerdings verloren, seine Stärke ist eher die Melancholie angesichts der Übermacht der Schakale und Hyänen, die ihn umgeben. Vielleicht hält doppelt besser, jedenfalls im Stammwappen derer von Kleist:1 ein weiß-silberner Schild mit rotem Querbalken und darüber und darunter eine Art ›roter Hund‹, also ein Fuchs, so lehrt es der Augenschein und manchmal auch die Kleist-Forschung,2 ohne Kapital für Kleists Werk daraus zu schlagen. Immerhin zitiert Kleist in seinem Aufsatz Über die allmählige Verfertigung der Gedanken beim Reden (1805/6) eine Fabel Lafontaines, in der ein Fuchs zum Tode verurteilt wird, vom König der Tiere, vom Löwen, der einen Sünder als Opfer braucht, um den Himmel zu beruhigen, denn es herrscht Pest im Tierreich. Der Fuchs rettet sich, indem er sich herausredet, sich als Meister der Erfindungskunst beweist. Ein souveräner Herrscher über die Einbildung als Wappentier der Kleists, passend zum Wahlspruch des Geschlechts: »Alle Kleists Dichter«?3 Passend auch zu Niccolò Machiavellis Klugheitslehre für Aristokraten in Notlagen, die sich mit der Löwenhaut nicht bekleiden, wohl aber in der »Fuchsnatur verschleiern«4 können? Eine Klugheitslehre, die der Cheruskerfürst Herrmann in Kleists Drama Die Herrmannsschlacht zu nutzen versteht. Opfer seiner Fiktionskünste werden die an militärischer Stärke eigentlich überlegenen Römer. Kleist entwirft ihn als Vorbild für die zeitgenössischen Regenten im Kampf gegen den scheinbar übermächtigen Napoleon.
Stammwappen der Familie von Kleist
Was auf dem Schild der Kleists zweimal zu sehen ist, ist aber leider kein Fuchs, sondern ein Wolf, wie in pommerschen Wappen in der Doppelung typisch. Trotz der roten Farbe. Heraldische Farben sind nämlich keine natürlichen Farben. Sie folgen eigenen Konzepten und nicht den Gesetzen der Optik. Etwa dem Prinzip der Alteration von Vorder- und Hintergrund, dem obligatorischen Wechsel von Tinktur und Metall. Heraldische Farben überziehen pikturale und geometrische Elemente in einem Wappen unabhängig von der ›Natur‹ des Dargestellten. So kann in einem Wappen eine Position rot markiert werden, wenn der Hintergrund weiß-silbern ist, et vice versa. Die Tiere auf dem Stammwappen der Kleists sind keine Rotfüchse, sondern farbig formatierte Wölfe, die im umgekehrten Falle, wenn der Hintergrund also rot statt silbern wäre, silbern oder golden realisiert sein könnten und müssten.5 Im Wappen thront über dem Wolfsschild ein Helm, dessen Zier drei umgekehrte, auf Rosen zielende Jagdspieße sind. Nicht Erfindungs-, sondern Kampfkraft also: Der kriegerische Wolf, so der Titel einer Lessing-Fabel,6 passt besser als der Fuchs zum Geschlecht der Kleists, trotz des Familienwahlspruchs. Keineswegs sind alle Kleists Dichter, es sind nur drei: der Rokoko-Poet Ewald Christian von Kleist, Franz Alexander von Kleist, Cousin und Generationsgenosse Heinrichs, eine Randfigur der Literaturgeschichte, dessen Werke vollkommen in Vergessenheit geraten sind,7 und Heinrich von Kleist. Die Krieger dominieren das Geschlecht. Aus der Familie gingen zwischen 1640 und 1892 allein 23 preußische Generäle hervor. 1806, zum Zeitpunkt der Niederlage Preußens gegen Napoleon bei Jena und Auerstedt, zählte die Heeres-Rangliste 50 Offiziere des Namens Kleist, keine andere preußische Adelsfamilie hatte mehr.8
Das Geschlecht der Kleists ist ein altes pommersches Adelsgeschlecht wendischen Ursprungs, es lässt sich bis ins 13. Jahrhundert zurückverfolgen. Ein Dokument aus dem Jahr 1289 nennt einen Clest als Zeugen einer Landschenkung an das Kloster Bukow bei Belgard,9 das zwischen Stettin und Danzig gelegen ist und in dessen Gegend auch die Clests bzw. Klests ihren Besitz hatten. Damals herrschte endlich Frieden in dem durch die christliche Ostkolonisation lange umkämpften Gebiet. Die frühen Familienurkunden der Kleists bezeugen die Mischung von missionierten Wenden und germanischen Einwanderern. Die politische Situation allerdings blieb für lange Zeit instabil, und die Kleists nutzten Anfang des 15. Jahrhunderts den Krieg ihres pommerschen Lehnsherrn Bogislaw VIII. gegen den Deutschen Orden zu einer Fehde, überfielen ihre Gutsnachbarn, steckten deren Häuser in Brand, verwüsteten die Äcker und raubten das Vieh, vor allem die Pferde.10 Erst Herzog Bogislaw X. bekam den, wie das Beispiel der Kleists zeigt, allzu selbständig gewordenen pommerschen Adel wieder in den Griff, durch die Ausstellung von Lehensbriefen, in denen die Abstammungsverhältnisse und Besitzrechte einer Familie schriftlich von ihm bestätigt (oder bestritten) werden konnten. Die Kleists erhielten ihren ersten Lehensbrief am 13. April 1477,11 der bei Thronwechseln ihrer Lehnsherrn stets erneuert wurde. Von diesem Datum an lässt sich der Stammbaum der Kleists in allen Zweigen lückenlos verfolgen.
»Pommerland ist abgebrannt«, heißt es im Kinderlied über die Folgen des Dreißigjährigen Krieges, in dessen Verlauf durch Aussterben des alten Herrschergeschlechts der Greifen das Land durch Erbvertrag an den Kurfürsten von Brandenburg fiel. Ein Ewald von Kleist unterstützte als Geheimer Rat Friedrich Wilhelm I., den Großen Kurfürsten, bei den Friedensverhandlungen mit den Schweden und richtete in dessen Auftrag dann auch in Kolberg die neue Regierung für das preußische Hinterpommern ein.12 Die Kleists behielten also ihre Vorzugsposition im Staate; jedes Mitglied des Geschlechts hatte wie unter der pommerschen auch unter der preußischen Herrschaft die Wahl zwischen »Schrift, Krieg oder Ackerbau«,13 wurde Beamter, Offizier oder Gutsbesitzer. Eine freie Wahl war es im 18. Jahrhundert leider nicht mehr, die große Bevölkerungsvermehrung im Zeitalter der Aufklärung betraf auch den Adel, nachgeborene Söhne blieben bei begrenzt verfügbarem Erbbesitz nicht selten ohne eigenes Rittergut, hatten ihr Leben lang mit Armut zu kämpfen und nichts zu vererben und wählten oft eine zölibatäre Existenz.14
Ewald Christian von Kleist (1715 – 1759)
Ein prominentes Beispiel für einen solchen Junker ohne Herrschaft über Land und Leute im 18. Jahrhundert ist der schon erwähnte anakreontische Lyriker Ewald Christian von Kleist, ein Freund Lessings und Vorbild für dessen Major von Tellheim im Lustspiel Minna von Barnhelm, einer der bedeutendsten Dichter der friderizianischen Epoche, 1715 geboren, legendär durch seinen Tod in der Schlacht bei Kunersdorf 1759, einer der blutigsten Schlachten des Siebenjährigen Krieges, und in seinem zerrissenen Leben ein Spiegelbild für Heinrich von Kleists biographische Alternativen. Ewald Christian war der zweite Sohn Ewald Joachims von Kleist, der aufgrund von Finanzschwierigkeiten das Stammgut Zeblin im Jahr 1735 auf dreißig Jahre an Paul von Humboldt, den Großvater der Brüder Wilhelm und Alexander von Humboldt, verpfänden musste. Geld war von väterlicher Seite also keines da. Ewald Christian von Kleist studierte in Königsberg Jura, hörte außerdem Vorlesungen in Philosophie und Mathematik, wurde, »weil er nicht sogleich eine Civilbedienung erhalten« konnte, 1736 »Officier in Dänemark«,15 verliebte sich beim Heimaturlaub in eine Dame, die, wie Heinrich von Kleists Verlobte, Wilhelmine hieß, jedoch nicht von Zenge, sondern von der Goltz. 1747 heiratete sie einen anderen, weil es Ewald Christian über fast zehn Jahre nicht gelungen war, eine einträgliche Stelle zu ergattern, die ihm die Gründung einer Familie erlaubte. Lessings Minna von Barnhelm dagegen rettet den verarmten, in seiner Ehre gekränkten Geliebten mit List und Großmut, indem sie sich selbst als Enterbte und schlechte Partie für Tellheim hinstellt. Die Differenz von Minna und Wilhelmine ist eine von Theater und Wirklichkeit, aus dem Lustspiel wird ein Trauerspiel: Der Major Ewald Christian von Kleist, der 1741 in die Armee Friedrichs II. eingetreten war, rettete sich vor Ehrverlust, Liebeskummer und ödem Garnisonsdasein zunächst in die Dichtkunst und dann in den Tod. Er suchte die Anerkennung als Dichter und den ruhmreichen Tod in der Schlacht. Mit solchen Einfällen, sich ins Gedächtnis der Zeitgenossen und der Nachwelt einzubrennen, spielte später auch Heinrich von Kleist. Sein Vorfahr hatte mit dem Habitus des melancholischen Junkers, Dichters und Soldaten Erfolg, dessen Fluchtpunkt der Tod ist. Ein Grab-Lied dichtete er, in dem es heißt: »Weh dir! daß du gestorben bist./Du wirst nicht mehr Auroren sehn/[…] Allein, du wirst auch nicht mehr sehn,/Daß sich der Tugendhaffte quält,/Sich seiner Blöse schämt und darbt/Und seine Lebenszeit verweint.« Ein Geburtslied beginnt mit den Versen: »Weh dir, daß du gebohren bist!/Das grosse Narrenhaus, die Welt,/Erwartet dich zu deiner Quaal« und hat zur Summe folgenden Vers: »Ihn foltert Schwermuth, weil er lebt!«. Die Schlussverse der Ode an die preußische Armee lauten: »Auch ich, ich werde noch, – vergönn es mir o Himmel! – / Einher vor wenig Helden ziehn./Ich seh dich, stolzer Feind! den kleinen Haufen fliehn,/Und find Ehr oder Tod im rasenden Getümmel.«16
Joachim Friedrich von Kleist (1728 – 1788), Heinrich von Kleists Vater
Der zentrale Begriff im letzten Vers heißt Ehre. Mit Patriotismus hat das nichts zu tun. Der aristokratische Ehrbegriff zeichnet sich vielmehr dadurch aus, dass er sich auf das Geschlecht und die Person bezieht. Den Namen der Familie und damit den Eigennamen gilt es zu verteidigen. Das wusste auch Heinrich von Kleists Vater Joachim Friedrich von Kleist, 1728 geboren, ein Veteran des Siebenjährigen Krieges, Bataillonschef in Frankfurt an der Oder, der es trotz langer Dienstzeit in der preußischen Armee nur zum Major brachte, weil Friedrich der Große 1783 bei einer Truppenrevue die in Ruppin und Frankfurt an der Oder befindlichen Infanterieregimenter mit Missfallen betrachtet und den verantwortlichen Majoren von Pirch und von Kleist die Beförderung verweigert hatte, »weil sie sich nicht auf den Dienst applicieren«.17 Von Pirch verlangte daraufhin seine Entlassung, ebenso Kleists Vater, der seinem König folgenden Brief schrieb: »Euer Majestät sind Herr über mein Leben, aber nicht über meine Ehre. Ersteres habe ich nicht verwirkt, letztere ist gekränkt. Ich ersuche daher E.M. allerunterthänigst um meinen Abschied, empfehle der Vorsehung mich und die Meinigen und ersterbe E.K.M.«.18 Von Pirch bekam die Entlassung, von Kleist nicht, befördert wurde er bis zu seinem Tode nicht mehr, weder von Friedrich dem Großen noch von dessen Nachfolger Friedrich Wilhelm II.
Heinrich von Kleists Geburtshaus
Spekulieren kann man darüber, was Friedrich den Großen damals ärgerte, ob sein Tadel den Bataillonschef traf, aber dessen vorgesetzten Kommandeur meinte, den Prinzen Leopold von Braunschweig, welcher mit seinen Soldaten für den Geschmack des Königs allzu menschenfreundlich umging.19 Spekulieren kann man ebenfalls nur darüber, warum Kleists Vater in der Frankfurter Kompanie verblieb. Vielleicht waren es finanzielle Rücksichten. Franz Heinrich von Kleist, der ältere Bruder von Kleists Vater, hatte das Familiengut Schmenzin im Kreis Belgard geerbt, die Geschwister wurden mit Geld abgefunden, Joachim Friedrich von Kleist war ohne Grundbesitz und konnte kein Landjunker werden, er studierte kurz an der Universität in Frankfurt an der Oder,20 der Offiziersdienst, den er 1749 begann, sicherte ihm erst die Existenz. Die Einkünfte reichten hin, 1783 ein kleineres Gut im Spreewald zu kaufen und zu verpachten, das Gut Guhrow bei Cott- bus. 1788 gelang es ihm, ein Stadthaus in Frankfurt nahe der Marienkirche in der Großen Oderstraße 26 zu erwerben, in dem die Familie schon mehrere Jahre zur Miete gewohnt hatte. Hier ist Heinrich von Kleist 1777 auch geboren; zu sehen ist seine Geburtsstätte im heutigen Frankfurt nicht mehr, das Haus brannte Ende des Zweiten Weltkriegs aus.21
Groß war es, weil es Platz bieten musste für eine vielköpfige Familie. Joachim Friedrich von Kleist heiratete zweimal. 1767, also mit 41 Jahren, Caroline Luise von Wulffen, die zum Zeitpunkt der Heirat gerade 14 Jahre alt war und ihm zwei Töchter gebar, Wilhelmine (1772) und Ulrike (1774). Eine Woche nach Ulrikes Geburt verstarb sie im Alter von 19 Jahren im Kindbett. Bald darauf heiratete Kleists Vater erneut: Juliane Ulrike von Pannwitz, 28 Jahre alt, vermögenslose Tochter einer Offiziersfamilie, die in der Niederlausitz und in Schlesien ansässig war, und zeugte mit ihr weitere Kinder: Friederike (1775), Auguste (1776), Heinrich (1777), Leopold (1780) und Juliane (1784). Heinrich von Kleist war also das fünfte Kind, aber nach vier Töchtern der erste Sohn und damit der Konvention gemäß Stammhalter.
Juliane Ulrike von Kleist, geb. von Pannwitz (1746 – 1793), mit ihrem Sohn Heinrich von Kleist
Geboren ist Bernd Heinrich Wilhelm von Kleist, wie er mit vollem Namen heißt, anscheinend am 18. Oktober 1777 um 1 Uhr nachts, folgt man dem Eintrag des Taufpfarrers ins Kirchenbuch der Garnison Frankfurt an der Oder im evangelischen Konsistorium Berlin-Charlottenburg.22 Kleist selbst hielt den 10. Oktober für seinen Geburtstag, so steht es zumindest in einem Brief an seine Verlobte Wilhelmine von Zenge vom 10. 10. 1800, in dem er an das Geburtstagsritual schlechthin erinnert: die Glückwünsche für die Zukunft.23 Was sich so Jahr für Jahr wiederholt, haftet im Gedächtnis; der Taufpfarrer kann sich auch verhört oder verschrieben haben. Wenn man sich also für einen Kleist-Feiertag entscheiden will, dann für den 10. Oktober.24 Das Taufzeugnis wurde und wird nur ernst genommen, weil es kaum Zeugnisse über Kleists Kindheit gibt. Die Überlieferungen von Freunden und Verwandten machen wenige Seiten aus,25 Kleist selbst gibt von seiner Kindheit nichts preis. Ganz gegenteilig verhält es sich in Goethes Fall; hier sind wir durch Verwandte und Freunde glänzend informiert, und Goethe selbst hat die Erinnerungen an seine Kindheit sorgsam archiviert bzw. transkribiert, fiktional im Wilhelm Meister, autobiographisch in Dichtung und Wahrheit. Mit dem jeweiligen Rang des Dichters bzw. dem unterschiedlichen Eingedenken der Zeitgenossen hat das nicht primär zu tun. Es handelt sich eher um eine Frage der Standesethik, um die Differenz von aristokratischem und bürgerlichem Familien- bzw. Kindheitsverständnis. Die Intimität und Emotionalität der bürgerlichen Sozialisation entwickelte im 18. Jahrhundert erst das uns bis heute vertraute Muster von ›Kindheit‹ und fundierte zugleich das Interesse an der Psychologie von Lebensläufen, in Bildungsromanen wie in autobiographischen Studien. Goethe schildert in Dichtung und Wahrheit ausführlich das persönliche Engagement des Vaters für seine Bildung oder die Bedeutung des von der Großmutter hinterlassenen Puppenspiels für die Entwicklung seines Erfindungs- und Darstellungsvermögens sowie seiner Einbildungskraft. Über die Gefühlskultur im Hause Kleist und über die besondere Förderung von Heinrichs Talenten, vor allem seiner dichterischen Phantasie, wissen wir dagegen im Grunde nichts. Das spärlich Überlieferte entstammt posthumen, Jahrzehnte nach Kleists Tod notierten Erinnerungen, die wenig verlässlich und noch dazu kurios oder widersprüchlich und mit Goethes sorgfältig-zarten Charakterstudien leider nicht vergleichbar sind.
Auguste von Kleist (1776 – 1818), Kleists Schwester
Leopold von Kleist (1780 – 1837), Kleists Bruder
So wird uns in einer Familienüberlieferung der elfjährige Heinrich beim Wettstreit mit seinem drei Jahre jüngeren Bruder Leopold geschildert. Die Knaben sollten den neuen Kuhstall eines Onkels besingen, überliefert ist uns (leider?) nur Leopolds Gedicht: »Stehe denn, du fest Gebäude,/Hundert Jahre noch wie heute,/Und ein Brand verwüste nie/Deine schöne Symmetrie. […] Wenn mit ungeheurem Knallen/Du wirst ineinander fallen,/Dann sei noch die Sage wahr,/Was das für ein Kuhstall war.« Heinrich scheint ähnlich Apokalyptisches in diesem Alter noch nicht zustande gebracht zu haben, er verlor gegen seinen Bruder und damit auch die ausgesetzte Geldsumme. Dennoch sollen seine Frankfurter Jugendjahre im Kreise seiner Geschwister »heiter und gut« vergangen sein, heißt es in einer Quelle, in einer anderen dagegen, dass Kleist »schon seine Kindheit […] verbittert« wurde, »da seine Erzieher die eigentümliche Organisation des Knaben zu beachten nicht der Mühe wert hielten, und ihn für begangene Fehler straften, an denen ihre Art ihn zu behandeln die meiste Schuld trug. Die Folge war ein scheues Zurückziehen des Knaben in sich selbst auf der einen, und ein unbändiger Trotz auf der andern Seite. Beides unnatürlich, denn von Natur war Kleist offen, sanft, träumerisch, edel.« In einer dritten Quelle wird Kleists Hauslehrer Christian Ernst Martini zitiert, der Kleists Charakter angeblich in folgender Mischung erlebt haben soll: »ein nicht zu dämpfender Feuergeist, der Exaltation selbst bei Geringfügigkeiten anheimfallend, unstet, aber nur dann, wenn es auf Bereicherung seines Schatzes von Kenntnissen ankam, mit einer bewundernswerten Auffassungs-Gabe ausgerüstet, von Liebe und warmem Eifer für das Lernen beseelt; kurz der offenste und fleißigste Kopf von der Welt, dabei aber auch anspruchslos.«26
Kindheits- oder Künstlerlegenden also statt verlässlicher Nachrichten: Kleists Kindheit wurde nicht verschriftlicht, offensichtlich hatte niemand ein Interesse daran, was in adligen Offiziersfamilien zu dieser Zeit keine Ausnahme, sondern die Regel war. Dass Kleist eine bis heute nicht entdeckte autobiographische Schrift namens Geschichte meiner Seele27 verfasst haben soll, mag man glauben oder nicht. Einen Bildungs- und Entwicklungsroman hat er nicht geschrieben, und in seinem literarischen Werk sind Kindheitserlebnisse für sich kein Thema. Wenn Familien dargestellt werden, so stets im Zustand größter Zerrüttung, selbst Adelshäuser werden dafür verbürgerlicht, denn Kleist liebt es, die tiefe Kluft zwischen Ideal und Realität der bürgerlichen Kleinfamilie bloßzulegen, die Illusion einer naturrechtlichen Begründung väterlicher Autorität, d.h. die Unvereinbarkeit von Herrschaftsgewalt und zärtlicher Fürsorge in der Erziehung, und ebenso die Unvereinbarkeit von Sinnlichkeit und Freundschaft in der Ehe. Die schwarze Novelle Der Findling gibt dafür ein besonders drastisches Beispiel.28
Kleists Sozialisation ist definitiv keine bürgerliche, sie verläuft nach aristokratischem Muster, das heißt: Kindheit in einer patriarchalisch organisierten Großfamilie, Hauslehrer- und Pensionatserziehung, Adoleszenz beim Militär. So ist auch die Ehe seiner Eltern, kurz nach dem Tod der ersten Ehefrau Joachim Friedrichs von Kleist geschlossen, vermutlich eher ein Pakt zur Versorgung der schon vorhandenen Kleinkinder Wilhelmine und Ulrike als eine Liebesheirat nach bürgerlich-idealistischem Modell, trotz der fortwährenden Zeugungsfreudigkeit des Vaters, die an Kants nüchterne Eheauffassung erinnert, dass die Ehe ein Vertrag zur gegenseitigen Nutzung der Geschlechtswerkzeuge sei. Wirtschaftlich war der Vermehrungsdrang eines Junkers ohne großen Besitz alles andere als vernünftig, wie sich nach dem Tod von Kleists Vater 1788 herausstellen sollte. Von den Eltern gibt es gemalte Porträts,29 aber keine schriftliche Charakteristik, keine längere Erinnerung Kleists an seine Eltern. Der Vater, bei dessen Tod im Juni 1788 Kleist zehn Jahre alt war, ist in seinen Briefen vollständig abwesend. Die Mutter starb im Februar 1793. Kleist schrieb danach einen Brief an seine Tante Auguste Helene von Massow, der nur kurz der Verstorbenen als einer zärtlichen und wohltätigen Mutter gedenkt, um dann ausführlich Reise- und Garnisonserlebnisse zu schildern.30 Die Lakonie ist Etikette, verrät vermutlich aber auch den Abstand von Eltern und Kindern in einer aristokratischen Großfamilie.
Frankfurt an der Oder, Radierung von 1826
Unterrichtet wurde Kleist standesgemäß nicht an einer öffentlichen Schule, sondern zunächst von einem hugenottischen Kindermädchen namens Jeanne-Elisabeth Nogier, die von 1782 an zwölf Jahre im Hause Kleists die Kinder betreute,31 sowie von einem Hauslehrer, dem Theologen und späteren Rektor der Frankfurter Bürgerschule Christian Ernst Martini. Den Unterricht Martinis genoss Kleist zusammen mit seinem Vetter Carl von Pannwitz, der laut Martini an Schwermut litt, wie Kleist mit 15 Jahren Offizier wurde und seinem Leben am 10. Oktober 1795, also Kleists vermutlichem Geburtstag, mit einem Pistolenschuss ein Ende setzte.32 Im Januar 1788 wurde Kleist zur Erziehung nach Berlin geschickt. Untergebracht war er ›in Mitte‹, wie es heute heißen würde, in der Kronenstraße 54, Ecke Charlottenstraße, in einer Privatpension des hugenottischen Predigers Samuel Henri Catel, zusammen mit seinen Vettern Ernst von Schönfeldt und Wilhelm von Pannwitz, Carls älterem Bruder, der 1802 Kleists Schwester Auguste heiratete. Unterrichtet wurde Kleist vermutlich an einer Privatschule, die Catels Schwager Frédéric Guillaume Hauchecorne in der Mohrenstraße betrieb, und am Collège Royal François, dem Gymnasium der Berliner Hugenotten am Werderschen Markt. Lernen konnte man hier u.a. die lateinische und französische Sprache, französische Literatur und Philosophie, ebenso Fechten, Reiten und Tanzen.33 Die Berliner Schulzeit dauerte nicht einmal ein halbes Jahr, im Juni 1788, nach dem Tode seines Vaters, musste Kleist nach Frankfurt/Oder zurück, über die folgenden vier Jahre bis zu seinem Eintritt ins Militär 1792 gibt es keine Quellen, d.h. wir wissen über den Bildungsgang Kleists aufgrund der mangelhaften Schriftkultur dieser Offiziersfamilie praktisch nichts. Ein Fehlschluss wäre es, Kleist deshalb für ungebildet zu halten. Seine Werke beweisen das Gegenteil, indem sie literarische, mythologische oder historische Stoffe fortschreiben, Die Familie Schroffenstein Shakespeares Romeo und Julia, Penthesilea die Amazonensage, Die Herrmannsschlacht den Befreiungskampf der Germanen gegen die Römer. Fortschreiben heißt bei Kleist allerdings prinzipiell so radikal und häufig die Konvention umschreiben, dass seine Zeitgenossen Grund hatten, an seiner Bildung, etwa an seinem Verständnis der Antike, zu zweifeln. Auffällig ist, dass Kleist trotzdem keine Versuche unternahm, seinen freien Umgang mit der abendländischen Literatur- und Kulturgeschichte theoretisch zu rechtfertigen, in Briefkommentaren, ästhetischen oder poetologischen Reflexionen. Anders gesagt: Kleists Bildung war ohne Programm und System, sie folgte den wechselnden Interessen eines Autodidakten.
Der Erfahrungshorizont von Kleists Kindheit ist aufgrund der Quellenlage verlässlich nicht bestimmbar, deshalb hier einige Nachrichten, die man dem Kulturfahrplan der Jahre 1777 bis 1792 entnehmen kann, um sich seiner Zeit anzunähern, willkürlich und kunterbunt zusammengestellt: 1777 wird Hamlet in Hamburg aufgeführt, die Shakespeare-Begeisterung des Sturm und Drang erobert von da an auch die deutschen Bühnen, Deutschlands berühmtester Mathematiker Gauß wird geboren, der Franzose Creuze malt einen zerbrochenen Krug. 1778 sterben Voltaire und Rousseau, die Männer in Deutschland tragen Werther-Tracht, also ungepudertes Haar, blauen Frack, gelbe Weste und Hose, braune Stulpenstiefel, Lichtenberg verfasst gegen Lavater Ueber Physiognomik; wider die Physiognomen. 1779 wird Lessings Nathan der Weise veröffentlicht, der Pfarrer Oberlin gründet eine Kinderbewahranstalt, und Lichtenberg führt die Bezeichnungen ›positive‹ und ›negative‹ Elektrizität ein. 1780 stellt Friedrich Nicolai den ersten deutschen Christbaum auf, und der Füllfederhalter wird erfunden. 1781 hebt Österreich die Zensur für Zeitschriften und Bücher, die Leibeigenschaft und die Folter auf und erlaubt auch Nichtkatholiken die Einwanderung, Kants Kritik der reinen Vernunft erscheint, Lessing stirbt, und es gibt erste Fallschirmversuche. 1782 erfindet James Watt die Dampfmaschine, Schillers Räuber rühren das Publikum in Mannheim, die letzte Hexe wird mit dem Schwert in der Schweiz hingerichtet und Goethe geadelt. 1783 gelingt der erste Ballonaufstieg mit Heißluft durch die Brüder Montgolfier, und Karl Philipp Moritz gründet das Magazin für Erfahrungsseelenkunde. 1784 fragt Kant Was ist Aufklärung?, Goethe macht Versuche mit Heißluftballons, und Österreich erlässt ein Auswanderungsverbot. 1785 beginnt Karl Philipp Moritz mit der Veröffentlichung des Anton Reiser, der Kanal wird im Freiballon überquert, Jakob Grimm und damit die Germanistik geboren, der Seismometer erfunden und in London die Times gegründet. 1786 macht Gottfried August Bürgers Münchhausen Furore, Mozart komponiert Figaros Hochzeit, Friedrich der Große stirbt. 1787 gelingt die Erstbesteigung des Mont Blanc, Mozart komponiert den Don Giovanni. 1788 bricht Goethe mit Frau von Stein und lernt Schiller kennen, Knigges Buch Über den Umgang mit Menschen erscheint, in preußischen Gymnasien wird das Abitur eingeführt, in Sydney eine britische Strafkolonie gegründet. 1789 beginnt die Französische Revolution, George Washington wird erster Präsident der USA, Schiller fragt bei seiner Antrittsvorlesung in Jena Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte?, und am Philanthropinum in Dessau werden die Leibesübungen Schulfach. 1790 ersetzt der kurzgeschorene Tituskopf Zopf und Igelfrisur, Mozart komponiert Così fan tutte, in Haiti bricht die Revolution aus, Kants Kritik der Urteilskraft erscheint, Adam Smith stirbt in England und in den USA Benjamin Franklin. 1791 werden Reifrock und Zylinder Mode in Europa, das Brandenburger Tor steht nach drei Jahren Bauzeit, Mozart stirbt und wird in einem Massengrab beigesetzt, Galvanis Froschschenkelversuche erregen Aufsehen, und Goethe übernimmt das Weimarer Hoftheater. 1792 schreibt Mary Wollstonecraft A Vindication of the Rights of Woman, in Frankreich wird die Zivilehe eingeführt, der Dollar wird Münzeinheit in den USA, Frankreich erklärt Österreich den Krieg, und Kleist beginnt im Juni seinen Militärdienst in Potsdam.
Vom Zeitpanorama zurück zur Lebensgeschichte: Wenn man die Verstecke und die geheimen Schmöker der Kinder- und Schulstuben schon nicht kennt, hilft es auch wenig, über den Einfluss der Straßen, Plätze und Menschen der Stadt zu grübeln, in der Kleist die ersten vierzehn Jahre seines Lebens hauptsächlich verbracht hat. Einer Handels-, Universitäts- und Garnisonsstadt, die um 1800 etwa 12 500 Einwohner zählte und, was das kulturelle Leben anging, in deutschen Landen eher ein peripherer als ein zentraler Ort war.34 Dass Kleist später von Dresden als Kunst- und Kulturstadt schwärmte, ist nur allzu verständlich. Die Soldaten bestimmten das Leben in Frankfurt, nicht die Studenten und Professoren. Biographen, die nach Einflüssen Frankfurts auf Kleists Werk suchen, mögen darüber spekulieren, ob das »Messetreiben« der Handelsstadt Kleists »Phantasie angeregt« und »die spätere Affinität des Geschichtenschreibers zu fremdländischen und abenteuerlichen Stoffen« initiiert habe.35 Im Brief vom März 1793 schrieb der Fünfzehnjährige an seine Tante, dass Frankfurt nach dem Tod der Mutter »kein Aufenthalt der Freude mehr sey«.36 Nichts band ihn danach mehr an diese Stadt, weder das Studium 1799, das er nur drei Semester durchhielt, noch die Verlobung mit der Tochter des Infanteriechefs von Zenge, dessen Familie in der Nachbarschaft seines Elternhauses wohnte. Kleist war ständig auf Reisen, er floh Frankfurt. Nicht aber die Provinzstadt eigentlich, sondern deren Adelsgesellschaft. Kleists Verschwinden aus Frankfurt hing mit der Unsicherheit seiner finanziellen und beruflichen Position zusammen, die in Frankfurt auf dem Prüfstand war. Hier kannte man ihn. Neugeburtsphantasien waren nur außerhalb des Gesichtskreises der Verwandten und Bekannten zu verwirklichen.
Die Misere fing nicht erst 1793 mit dem plötzlichen Fiebertod der Mutter an, sie begann mit dem Tod des Vaters, der im Juni 1788 an Wassersucht starb. Kleists Pensionatserziehung in Berlin wurde abgebrochen, die Familie hatte offenbar Geldprobleme, und im Königshaus war sie weiterhin nicht gut gelitten. Dem Vater war zeitlebens ja die Beförderung verweigert worden, nach seinem Tod wurde auch das Gesuch seiner Ehefrau um eine Pension abgelehnt. Vergeblich war auch ihr flehentlicher Brief an König Friedrich Wilhelm II., ihr bei der Anerkennung des Testaments zu helfen. Joachim Friedrich von Kleist hatte seine Frau als Universalerbin eingesetzt, das Testament wurde aber wegen Formfehlern für ungültig erklärt, das Vermögen sollte unter die Kinder aufgeteilt werden, Juliane musste klagen, es kam im September 1790 zu einem Erbvergleich, der die Kinder vermögensrechtlich von der Mutter abtrennte und sie bis zur Volljährigkeit, das hieß damals bis zum vollendeten 24. Lebensjahr, im Falle Kleists also bis zum Oktober 1801, einem amtlichen Vormund unterstellte, dem Justizkommissar Georg Friedrich Dames. Im Vergleich wurde das Vermögen des Vaters aufgelistet: das Pachtgut Guhrow, das 1797 für 30 000 Taler veräußert werden musste, das Frankfurter Wohnhaus der Familie, dessen Wert mit 6000 Talern beziffert wurde, das Barvermögen im Wert von 3738 Talern in Gold und 4431 Talern ›Courant‹.37 Damit konnte eine so große Familie wie die Kleists einige Jahre noch ein standesgemäßes Leben führen, war aber zur Sparsamkeit gezwungen, wie es jedenfalls ein Brief Heinrichs an seine Schwester Ulrike vom Februar 1795 vermuten lässt. Hier bedankt er sich für das Geschenk einer Weste. Für die Strickzeit habe Ulrike wohl auf Schlittenfahrten, Maskeraden, Bälle, Komödien und andere für sie »sonst so reizbaren Freuden der Stadt« verzichten müssen – ein reichlich hinterfotziger Dank, den Ulrike – Kleist ahnt es – »eigentlich für geschmacklos« halten wird.38
Das väterliche Erbe reichte auf längere Sicht keinesfalls für das Auskommen der Familie. Die Kleist-Söhne mussten sich einen Beruf suchen. Bürgerliche Berufe durften sie nicht ergreifen, das verbot die seit Friedrich dem Großen praktizierte und im Allgemeinen Landrecht von 1794 kodifizierte Arbeitsteilung der Sozialstände. Höhere zivile Staatsämter gab es nur wenige, so war es selbstverständlich, dass Heinrich und später auch Leopold zum Dienst in die Armee geschickt wurden, mit vierzehn Jahren schon. Erfolglos blieben dabei die Gesuche der Mutter an den Monarchen, ihren ältesten Sohn in die Berliner Militärakademie aufzunehmen, in der die preußischen Adelssöhne mit finanzieller Unterstützung des Königshauses in gebildete Offiziere verwandelt werden sollten. Mit den alten Haudegen war es seit der Zeit Friedrichs des Großen in Preußen vorbei, eine kultivierte Führungselite sollte in den verschiedenen preußischen Kadettenanstalten entwickelt werden. Folglich wurde z.B. in der Berliner Militärakademie Latein, Französisch, Deutsch, Mathematik, Geographie, Geschichte und Philosophie unterrichtet und eine standesgemäße Ausbildung in Fechten, Reiten und Tanzen angeboten. Gefragt war der Typus des ›wissenschaftlichen‹ Offiziers, wie ihn Gerhard von Scharnhorst, Carl von Clausewitz, Neidhardt von Gneisenau verkörperten oder auch Kleists Freunde Johann Jakob August Otto Rühle von Lilienstern und Adolf Heinrich Ernst von Pfuel. Die ›wissenschaftlichen‹ Offiziere waren es, die um 1800 die Militärreform vorantrieben.39 Rühle wurde später Chef des preußischen Generalstabs und Generalinspekteur des gesamten militärischen Bildungswesens, Pfuel brachte es zum Kriegsminister und zum preußischen Ministerpräsidenten. Kleist wurde die Chance zu einer umfassenden Ausbildung und damit der Zugang zur Elite verwehrt. Nach »sieben unwiderbringlich verlornen Jahren«40 gab Kleist den Militärdienst zugunsten des Studiums der Wissenschaften bekanntlich auf. Was wäre geschehen, hätte das Königshaus ihn zur Militärakademie zugelassen? Die Spekulation ist müßig. Kein Zweifel aber, dass die verpasste Karrierechance Kleists weiteren Lebensweg bestimmte, wie auch die Depossedierung der Familie und der frühe Verlust der Eltern.
Uniformen des Regiments Garde
Kleist kam anstatt in eine Eliteschule in eine Eliteeinheit. Am 1. Juni 1792 wurde der Konfirmand zum Gefreitenkorporal,41 er rückte als Unteroffizier in das Potsdamer Garde-Regiment Nr. 15 ein, das um die Jahreswende die Garnison verließ und ein Winterquartier in Frankfurt am Main bezog, um am ersten Koalitionskrieg teilzunehmen, den Preußen und Österreich gegen das revolutionäre Frankreich führten. Ein einziger Brief ist aus dieser Zeit erhalten, der erste uns von Kleist überlieferte überhaupt. Acht Druckseiten umfasst er und beweist, dass der mittlerweile Fünfzehnjährige eher zum Literaten als zum Kindersoldaten taugt.42 Der Brief vom März 1793180043