Werner Hamacher
Sprachgerechtigkeit
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Werner Hamacher (1948-2017) war zuletzt Professor für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft an der Goethe-Universität Frankfurt und Emmanuel Levinas-Professor für Philosophie an der European Graduate School, Saas-Fee. Er studierte Komparatistik, Philosophie, Germanistik, Soziologie und Religionswissenschaften an der Freien Universität Berlin und Philosophie an der Ecole Normale Supérieure in Paris. Von 1984 bis 1998 war er Professor of German and the Humanities an der Johns Hopkins University, USA; von 2003 bis 2006 Distinguished Global Professor an der New York University. Er publizierte zahlreiche Arbeiten im Grenzgebiet zwischen Literaturwissenschaft und Philosophie, u.a. »Entferntes Verstehen. Studien zu Philosophie und Literatur von Kant bis Celan«.
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In den aktuellen Debatten um Menschenrechte und Vernunftrecht, Persönlichkeitsrechte und internationales Recht beruft man sich gern und häufig auf Gerechtigkeit. Doch wie soll sie gefasst werden? Im Anschluss an die klassische politische Philosophie geht der international bekannte Literaturwissenschaftler Werner Hamacher davon aus, dass Sprache der Grund der Gerechtigkeit ist. Er zeigt in Studien zu Platon, Aristoteles und Kant, zu Milton, Locke, Mendelssohn und Hamann, zu Celan und Legendre die Geschichte einer Sprachverkürzung in den herrschenden Rechtstheorien auf und hält ihr die Erinnerung an eine Sprache entgegen, die sich nicht auf Urteile einschränkt, sondern auf die Erweiterung und Entgrenzung des Sprechens hinwirkt. Ein inspirierender und wichtiger Beitrag zu einer grundlegenden Debatte.
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ISBN 978-3-10-402586-5
Benjamin, Walter, Karl Kraus, in: Ders., Gesammelte Schriften, Bd. II,I, S. 363.
Jane E. Harrison hat in »Themis – A Study of the Social Origins of Greek Religion« mit besonderem Nachdruck auf diese wohlbekannten, aber in Übersetzungen und Kommentaren selten berücksichtigten Zusammenhänge hingewiesen und als Beleg die Wendungen von Pindar (Pyth. II 84) und Aischylos (Septem, 85) zitiert (London 1963, Reprint nach der Ausgabe von 1912; S. 516).
Areté wird hier mit ›Tatkraft‹ übersetzt, weil sie in NE 2, 1103a-b in diesem Sinn gebraucht wird. Die geläufigen Übersetzungen durch Tauglichkeit oder gar Tugend bewahren nicht den teleologischen Sinn, der bei Aristoteles und schon bei Platon (Menon, Republik, vgl. Peeter) mit diesem Begriff verbunden ist. Areté ist jeweils Tauglichkeit zu …, und diese Richtungsbestimmtheit ist in den genannten deutschen Begriffen seit langem verblasst. – Sowohl phronesis wie areté können zu den entgegengesetzten Zwecken (tanantía) gebraucht werden, weil beide sich von ihrer ›natürlichen‹ Funktion abkehren können.
Der in diesem Satz paraphrasierte Abschluss der Einleitung zur »Politeia« I, 2 (1253a37-39) stellt mit seinem pointierten díke tou dikaíou krísis die Klimax des Argumentationsgangs der vorangehenden Passagen dar. In ihm werden mit Kurzdefinitionen und Schlüssen die entscheidenden Überlegungen zu Sprache und Gemeinschaft zusammengeführt, deshalb hat in ihm jedes einzelne Wort eine besonders markante terminologische Kontur. Den Übersetzern, insbesondere den deutschen, hat dieser Satz die größten Schwierigkeiten bereitet, vermutlich, weil sie unter dem Druck einer eigentümlichen Obsession durch das Recht, insbesondere das Staatsrecht, sowohl im Rechten wie in der Gerechtigkeit immer wieder bloß das Recht oder eines seiner Derivate haben erkennen wollen. F. Susemihl übersetzt: Die Gerechtigkeit (dikaiosyne) stammt aber vom Staate her, denn das Recht ist die Ordnung der staatlichen Gemeinschaft; das Recht (díke) aber ist die Entscheidung darüber, was gerecht ist. E. Rolfes schreibt: Denn das Recht ist nichts anderes als die in der Polis herrschende Ordnung und eben dieses Recht ist es auch, das über das Gerechte entscheidet. E.-W. Böckenförde, ein Rechtsgelehrter, der auf sprachliche Nuancen zu achten versteht, macht in seiner »Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie« (Tübingen 2002; S. 106) darauf aufmerksam, dass das Subjekt des letzten Kolons ohne Zweifel díke ist und Rolfes das Verhältnis zwischen ihr und dem Rechten verkehrt. Rolfes’ Übersetzung identifiziert dieses Rechte, das dikaion, überdies umstandslos mit dem Recht. Dieselbe widersinnige Verkehrung findet sich schon bei Susemihl, der seinerseits díke in Recht übersetzt, ohne die Differenz zwischen dem Plural díkes und dem emphatischen Singular díke zu beachten. Böckenförde seinerseits folgt E. Schütrumpf, wenn er schreibt: Die Gerechtigkeit aber entscheidet über das, was rechtmäßig ist, bleibt damit der Syntax treu, trifft den Sinn von díke als Gerechtigkeit, entstellt aber das díkaion zu rechtmäßig, während es doch bloß das Rechte ist, von dem das Recht, das Böckenförde ›konkretes Recht‹ nennt, im Sinne von Aristoteles nur eine Ableitung sein kann. Nicht das díkaion ist für Aristoteles nach dem Maße des Rechts, sondern das Recht nach dem Maße des Richtigen, des Gemäßen, des díkaion gebildet. Die Reihe der Entstellungen, durch die die deutschen – und nicht nur die deutschen – Übersetzungen den aristotelischen Text unzugänglich machen, ist länger, als mit diesem Hinweis auf die Entstellungen eines einzigen Teilsatzes auch nur angedeutet werden kann. – Wenn J. Aubonnet in seiner französischen Übersetzung das Schlusskolon mit den Worten wiedergibt: c’est l’exercice de la justice qui détermine ce qui est juste; und wenn in der besten englischen Übersetzung der »Politeia« Carnes Lord schreibt: adjudication is judgement as to what is just, so erkennen beide der díke einen Vollzugssinn zu, der im aristotelischen Wort höchst gegenwärtig ist, im deutschen ›Gerechtigkeit‹ dagegen fehlt.
Der beste, wenngleich in vielen Hinsichten philologisch konservative Kommentar zur Bewegungs- und Steresis-Lehre des Aristoteles wird von Heidegger in seiner Vorlesung »Aristoteles, Metaphysik IX, 1–3. Von Wesen und Wirklichkeit der Kraft« (GA 33) gegeben. – Zum Motiv der dynamis adynamís sei auf das Eröffnungskapitel meines Buches »Entferntes Verstehen – Studien zu Philosophie und Literatur von Kant bis Celan« (Frankfurt 1998, S. 23 und passim) verwiesen.
Die Übersetzung folgt der von Franz Dirlmeier in der Akademie-Ausgabe, Bd. 7 (Berlin 1984), S. 79. Emplektos, meistens mit ›verstrickt‹, ›verflochten‹ oder ›umflochten‹ wiederzugeben, wird dort treffend mit ›zerfahren‹ übersetzt. – Emplekton heißt eine Art Mauerwerk, bei der der mittlere Raum zwischen zwei Stirnmauern mit Schutt und dgl. ausgefüllt ist. (Vgl. Franz Passow: Handwörterbuch der griechischen Sprache, Bd. 1; Leipzig 1841; S. 897.)
Hier zitiert nach der Übersetzung der »Antigonae« von Friedrich Hölderlin, Sämtliche Werke und Briefe (ed. Michael Knaupp), Bd. II; München 1992, S. 334.
Tertullian: Apologeticum – Verteidigung des Christentums, ed. Carl Becker; Kösel Verlag: München 1961; p. 180 (38. 3). – Das tertullianische Argument ist offenkundig nach der Weisung Jesu aus dem Matthäus-Evangelium 22, 21 gebaut: Gebt dem Caesar, was Caesars ist, und Gott, was Gottes ist. Damit ist die Disjunktion zwischen politischer und religiöser Gemeinschaft vollzogen: Der einen gebührt die Steuer, der anderen etwas mit ihr völlig Inkommensurables. Eine derart strikte Scheidung ist aus der griechischen Antike allein von den Kynikern bekannt. Von Diogenes aus Sinope ist das paradoxe Wort überliefert, er sei ein kosmopolites, ein Bürger des Kosmos (Diogenes Laertius: Leben und Meinungen berühmter Philosophen, VI 63). Wie von der religionshistorischen Forschung inzwischen plausibel gemacht worden ist, war Jesus ein kynischer Weisheitslehrer in der Tradition des Diogenes (vgl. Bernhard Lang: Jesus der Hund, Leben und Lehre eines jüdischen Kynikers; Verlag C.H. Beck: München 2010).
Römerbrief I, 8.
Zu den determinierenden Einwirkungen radikaler Verfechter der Christlichkeit auf die politischen Fundamentalvorstellungen der Neuzeit vgl. vor allem die Arbeit von Georg Jellinek: Die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte. Ein Beitrag zur modernen Verfassungsgeschichte, München 1895. In ihrer jüngsten Fassung, mit ergänzendem Material und präzisierenden Diskussionen zu dieser Studie: Roman Schnur (ed.): Zur Geschichte der Erklärung der Menschenrechte. Wissenschaftliche Buchgesellschaft: Darmstadt 1964. Zur Weiterentwicklung von Jellineks Thesen, auch zu ihrem Einfluss auf Max Weber, mit neuerer Forschungsliteratur vgl. Hans Joas: Die Sakralität der Person. Eine neue Genealogie der Menschenrechte. Suhrkamp: Berlin 2011.
Karl Marx: »Zur Judenfrage«, in: Karl Marx/Friedrich Engels Gesamtausgabe (MEGA), I, 2; Dietz Verlag: Berlin 1982; dieses und die folgenden Zitate p. 154.
L.c., p. 151.
L.c., p. 155.
L.c., p. 159.
L.c., p. 157–158.
L.c., p. 159.
L.c., p. 150.
L.c.
L.c., p. 158. Von dort auch das folgende Zitat.
Vgl. zum Begriff der Polizei, an dem sich Marx orientiert, Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts (1821), §§ 230–249. Dazu auch Fichte: Grundlage des Naturrechts nach Principien der Wissenschaftslehre (1796), § 21, sowie von Justi: Grundsätze der Policey-Wissenschaft (1756).
L.c., p. 156.
L.c., p. 154.
Marx: »Zur Judenfrage«; l.c., p. 154.
L.c., p. 168.
L.c.
L.c., p. 150.
L.c., p. 150.
Hannah Arendt: The Origins of Totalitarianism, Harcourt Brace: New York 1951, 1973; pp. 290–302. Die davon abweichende deutsche Fassung: Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, Piper Verlag: München 1958; pp. 601–625.
L.c., p. 279 (dt. 585–86).
Hier zitiert nach: Menschenrechte – Ihr internationaler Schutz; ed. Bruno Simma und Ulrich Fastenrath. Deutscher Taschenbuch Verlag: München 1979; p. 10.
Als eine der Politikwissenschaftlerinnen, die zu einer anderen Einschätzung der Lage neigen, sei Seyla Benhabib zitiert, die zu dokumentieren versucht, dass die Nationen der Welt aus den Schrecken des vergangenen Jahrhunderts gelernt haben, und dazu auf die Verträge und Institutionen verweist, die jene schützen, denen das Recht, Rechte zu haben, vorenthalten wird: die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 und ihr Protokoll von 1967, der Hohe Kommissar für Flüchtlingsfragen der Vereinten Nationen, der Internationale Gerichtshof in Den Haag sowie seit kurzem der Internationale Strafgerichtshof. Am Ende ihres Plädoyers muss Benhabib aber in aller Form einräumen, dass sich Arendt trotz der erheblichen Fortschritte […] nicht ganz und gar geirrt hat, als sie im Konflikt zwischen Menschenrechten und Staatssouveränität das zentrale Problem einer […] internationalen Ordnung erblickte. (Seyla Benhabib: Die Rechte der Anderen; Suhrkamp Verlag: Frankfurt a.M. 2008; pp. 73–74.) In deutlicheren Worten: die erheblichen Fortschritte sind unerhebliche, Arendt hat sich nicht nicht ganz und gar geirrt, sie hat sich nicht geirrt.
L.c., p. 614 (amerikanische Fassung pp. 296–97).
L.c., p. 559; amerikanische Fassung p. 267.
Die amerikanische Fassung wurde erst 1949 publiziert in: Modern Review 3/1; die deutsche im selben Jahr in: Die Wandlung, Jahrgang IV, pp. 754–770. Seither wieder in: Die Revolution der Menschenrechte, eds. Christoph Menke und Francesca Raimondi, Suhrkamp Verlag: Berlin 2011, pp. 394–410. – Im Brief vom 9. September 1946 an Broch kündigt Arendt einen Artikel über Human Rights an, den ich halb um Ihres Artikels wegen schrieb. (Hannah Arendt/Hermann Broch: Briefwechsel 1946–1951, Jüdischer Verlag: Berlin 1996; pp. 14–16) Mit diesem Artikel sind Brochs »Bemerkungen zur Utopie einer ›International Bill of Rights and Responsibilities‹« gemeint. Broch hat diese »Bemerkungen« Mitte 1946 an Eleanor Roosevelt geschickt, der Vorsitzenden der seit Anfang des Jahres tätigen UN-Kommission für Menschenrechte, die an der Formulierung der »International Bill of Human Rights« arbeitete. Ein weiterer Adressat von Brochs »Bemerkungen« war Bischof G. Bromley Oxnam, der die Ausarbeitung dieser »Bill« und die Beschleunigung ihrer Verabschiedung durch eine Kommission zu fördern versuchte und dazu auch Broch um Unterstützung gebeten hatte. Brochs Beitrag konzentriert sich auf den Schutz der Menschenwürde und unterbreitet dazu sowohl einen Formulierungsvorschlag für einen Anti-Diskriminierungs-Artikel als auch detaillierte Empfehlungen für die Einrichtung eines internationalen Strafgerichtshofs. (Vgl. seine »Bemerkungen« in: Hermann Broch: Politische Schriften, Suhrkamp Verlag: Frankfurt a.M. 1978, pp. 243–276, und die Kommentare des Herausgebers Paul Michael Lützeler, pp. 276–77.) Angesichts dieser Umstände ist es wahrscheinlich, dass Arendt mit ihrem Menschenrechts-Aufsatz trotz aller Vorbehalte den Versuch unternehmen wollte, Brochs Interventionsversuch zu unterstützen. Broch gratulierte ihr am 19. September 1946 zu diesem Aufsatz mit den Worten: präziser und geradliniger konnte der Schwindel (und die Selbstbeschwindelung) mit den Menschenrechten nicht aufgedeckt werden (Briefwechsel, l.c., p. 18).
»Es gibt nur ein einziges Menschenrecht«, l.c., p. 406, p. 410.
Hannah Arendt/Hermann Broch: Briefwechsel; l.c.; p.118. – Seit der Abfassung des Menschenrechts-Aufsatzes 1946 war – am 10.12.1948 – die »Universal Declaration of Human Rights« abgegeben worden.
Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, l.c., p. 618; amerikanische Fassung p. 299. – Ähnlich, und nicht weniger drastisch, spricht Arendt sieben Jahre später vom Weltstaat als der furchtbarsten Form der Tyrannis in ihrem Aufsatz »Karl Jaspers: Bürger der Welt«, in: Menschen in finsteren Zeiten, München: Piper Verlag 1989, pp. 99 sq.
L.c., p. 614, amerikanische Fassung p. 297.
L.c., p. 625, amerikanische Fassung p. 302.
Im »Preface to the First Edition« der amerikanischen Fassung heißt es, that human dignity needs a new guarantee which can be found only in a new political principle, in a new law on earth, whose validity this time must comprehend the whole of humanity while its power must remain strictly limited, rooted in and controlled by newly defined territorial entities. (L.c., p. IX)
L.c., p. 615.
Vgl. die Diskussionen in: Philosophie der Menschenrechte (eds. Stefan Gosepath, Georg Lohmann), Suhrkamp Verlag: Frankfurt a.M. 1998; Recht auf Menschenrechte (eds. Hauke Brunkhorst, Wolfgang Köhler, Matthias Lutz-Bachmann), Suhrkamp Verlag: Frankfurt a.M. 1999; Seyla Benhabib; The Right of Others. Aliens, Residents and Citizens (Cambridge University Press: New York 2004); dt.: Die Rechte der Anderen, Suhrkamp Verlag: Frankfurt a.M. 2008; Christoph Menke: »Die ›Aporien der Menschenrechte‹ und das ›einzige Menschenrecht‹«, in: Hannah Arendt und Giorgio Agamben – Parallelen, Perspektiven, Kontroversen (eds. Eva Geulen, Kai Kauffmann, Georg Mein), Fink Verlag: München 2008; pp. 131–147.
Menschenrechte – Ihr internationaler Schutz, l.c., p. 6. – Arendt hält dagegen ausdrücklich fest: Gleichheit ist nicht gegeben, und als Gleiche nur sind wir das Produkt menschlichen Handelns. Gleiche werden wir als Glieder einer Gruppe, in der wir uns kraft unserer eigenen Entscheidung gleiche Rechte gegenseitig garantieren. (L.c., p. 622) Amerikanische Fassung p. 301.
L.c., p. IX.
L.c., p. 616–617. In der amerikanischen Fassung: this new dignity was of a rather ambiguous nature (l.c., p. 298).
L.c., p. 614. – In der amerikanischen Ausgabe heißt es: We became aware of the existence of a right to have rights […] only when millions of people emerged who had lost and could not regain these rights […]. Dieser Plural der verlorenen rights beschränkt den Verlust auf Einzelrechte; er wird in der deutschen Fassung in einen Singular verwandelt, der sich auf das Recht bezieht, solche Einzelrechte zu haben. Es ist nach der Logik von Arendts Überlegung erst der Verlust dieses ›Rechtes‹ auf Rechte, der uns auf die Existenz dieses einen, alle anderen Rechte tragenden ›Rechts‹ aufmerksam gemacht hat: Wir gewahren es erst, wenn es uns versagt wird. Seine Existenz ist unabhängig von juristischer Geltung und politischer Anerkennung.
L.c., p. 615; amerikanische Fassung p. 297.
L.c., p. 624; die ausführlichere amerikanische Fassung l.c., p. 302.
Das gilt auch noch unter den Bedingungen, die durch Artikel 6 der »Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte« geschaffen worden sind. Wenn es darin heißt: Jeder Mensch hat überall Anspruch auf Anerkennung als Rechtsperson, so bleibt nicht nur fraglich, wer als Mensch angesprochen wird, es bleibt ebenfalls offen, welche Bedeutung mit dem Begriff Anspruch verbunden ist. Wenn damit ein Rechtsanspruch gemeint sein sollte, dann lautet der Satz: ›Jeder Mensch ist eine Rechtsperson‹ und wiederholt damit nur die fragwürdige Bestimmung von Artikel 1, alle Menschen seien frei und gleich an Würde und Rechten geboren. In diesem Sinn lautet denn auch Artikel 3 der »American Convention on Human Rights« vom November 1969 mit einer charakteristischen Tautologie: Every person has a right to recognition as a person before the law. Wenn Anspruch aber nicht Rechtsanspruch, sondern Anspruch auf ein Recht heißt, das erst durch die Anerkennung des Anspruchs verliehen wird, dann ist damit der Weg zur Abweisung oder zum Entzug dieser Anerkennung und folglich zur Verweigerung des Status einer Rechtsperson geöffnet. Diese Deutung wird unterstützt durch die Betonung, die Artikel 6 auf das überall legt, während ein entsprechendes jederzeit fehlt. Damit kann angedeutet sein, dass ein Rechtsanspruch auf Anerkennung als Rechtsperson nicht jederzeit besteht, sondern abgewiesen oder revoziert werden kann. Das in Artikel 14 formulierte Asylrecht, das für solche Fälle der Rechtsverweigerung aufgestellt ist, rechnet unausgesprochen mit der Verfolgung rechtlos gestellter Rechtspersonen auch durch die Signatarstaaten, wenn es versichert: Jeder Mensch hat das Recht, in anderen Ländern vor Verfolgungen Asyl zu suchen und zu genießen. Der Satz lässt es überdies dabei bewenden, das Recht auf Asylsuche – wohlgemerkt: auf die Suche – und das Recht, Asyl zu genießen, für andere Länder zuzusichern, statt es auf alle anderen auszudehnen und damit allen Ländern die Verpflichtung aufzuerlegen, dieses Recht zu gewähren und die Asylsuchenden nicht an andere Länder zu verweisen. Selbst dann aber, wenn auch noch diese Verpflichtung zum Bestandteil einer neuen Menschenrechtsordnung gemacht würde, könnte sie, als Rechtsordnung, nicht verhindern, dass die Verpflichtung in einer Weise erfüllt wird, die von der Wahrnehmung dieses Rechtes abschrecken oder sie unmöglich machen muss. (Zitate nach: Menschenrechte – Ihr internationaler Schutz, l.c., pp. 6; 326; 7.) – Menschenrechte bleiben, kurzum, auch in ihrer jüngsten und in jeder noch möglichen Fassung Menschenrechts-Verweigerungsrechte.
L.c., p. 618; amerikanische Fassung l.c., p. 299.
L.c., p. 625; amerikanische Fassung p. 302.
L.c., p. 614; (296–97).
L.c., amerikanische Fassung p. 301; deutsche Fassung p. 619, 620
L.c., p. 623; amerikanische Fassung p. 302.
L.c. der amerikanischen Fassung p. 302.
Die in manchen Hinsichten an Arendts Einsichten anschließenden Homo sacer-Studien von Giorgio Agamben unternehmen den Versuch, paradigmatische Gestalten einer ›Lebensform‹ zu identifizieren, die sich mit dem Zusammenbruch juristischer Sicherungen – auch der Menschenrechte – herausgebildet haben. Agambens Projekt berührt mit dem Rückgriff auf die aristotelischen Form- und Vermögensbegriffe seinen äußersten, heikelsten Punkt. An ihm müsste problematisch werden, ob ohne weitere Qualifikationen überhaupt noch von ›Form‹, von ›Leben‹ und von ›Vermögen‹ – und selbst noch von einem Vermögen zum Unvermögen – gesprochen werden kann. Cf. insbesondere: Giorgio Agamben: Homo sacer – Il potere sovrano e la nuda vita (Einaudi: Turin 1995), dt. Homo sacer – Die souveräne Macht und das nackte Leben (Suhrkamp Verlag: Frankfurt a.M. 2002).
Amerikanische Fassung, l.c., p. 301 (fehlt in der deutschen Fassung).
L.c., p. 979; amerikanische Fassung p. 479.
Hannah Arendt: Vita activa oder Vom tätigen Leben; Piper Verlag: München 1981; p. 166.
L.c.; p. 322 (Fn. 8).
Cf. Fußnote 4.
Emmanuel Levinas, Autrement qu’être ou au-delà de l’essence, La Haye 1974, S. 63.
Ebd., S. 63f., 204.
Immanuel Kant, Werke, hg. v. der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 8, Berlin 1923, S. 292 (A 239).
Ebd. (A 240).
Levinas, Autrement qu’être (Anm. 2), S. 204.
Ebd., S. 63f. [Übers. W. H.]
Ebd., S. 64.
Déry, Tibor, Herr G. A. in X.; Frankfurt a.M. 1966, S. 291–293.
Benjamin, Walter, »Idee eines Mysteriums«, in: ders., Gesammelte Schriften, hg. von Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhäuser, Bd. II/3, Frankfurt a.M. 1977, S. 1153–54.
Sigmund Freud: »Über den Gegensinn der Urworte« (1910), in: Gesammelte Werke, Bd. VIII (S. Fischer Verlag: Frankfurt a.M. 1969), p. 219. – In »Totem und Tabu« (1912/13) hat Freud das hebräische kadosch, das griechische hagos und das lateinische sacer mit dem polynesischen tabu in Analogie gesetzt und dazu erklärt: Es heißt uns einerseits: heilig, geweiht, anderseits: unheimlich, gefährlich, verboten, unrein. (GW IX; Frankfurt a.M. 1969; p. 26) Einer verwandten Dopplung geht er in seiner kleinen Studie »Das Unheimliche« (1919) nach (GW XII, pp. 227–68).
Die folgenden Zitate sind den ersten elf Abschnitten des ersten Kapitels (de rerum divisione) des Zweiten Buchs der »Institutiones« aus dem »Corpus iuris civilis« entnommen. Die Übersetzung, die in der zweisprachigen Ausgabe von Behrends/Knütel/Kupisch/Seiler enthalten ist (Heidelberg: C.F. Müller Juristischer Verlag 1993, pp. 46–47), wird hier leicht modifiziert, um insbesondere die Bedeutung der Wortgruppe um capere auch im Deutschen deutlich zu machen.
L.c., Inst. 2.1 (7–10); p. 46.
Inst. 2.1 (12); p. 47.
Cf. Inst. I. 3 (11); p. 5.
Der Ausdruck homo capax findet sich nicht in den justinianischen Institutionen, wohl aber wiederholt in den früheren »Divinae institutiones« des Lactantius (IV 1.2, III 25) und in seinem »De ira dei«, wo es vom Menschen heißt, er sei capax rationis intellegere possit deum (14.2). Erst das »Corpus iuris« macht aus dem Fassungsvermögen das Ergreifungs- und Besitzergreifungsvermögen, das die Struktur der Rechtlichkeit des Rechts definiert.
Inst. 1.1(1); l.c., p. 1.
Inst. 2.1 (10); p. 46–47.
Marcel Mauss hat Materialien zu diesen Überlegungen in der bedeutenden Studie von 1938 Une catégorie de l’esprit humain: la notion de personne, celle de »moi« versammelt (in: »Sociologie et anthropologie«, Paris: PUF 1968; pp. 333–362) und seine Beobachtungen in dem Satz zusammengefasst, das römische Recht sei auf die persona – die Übergabe, Übernahme oder Usurpation von Ahnenmasken und Namen – begründet gewesen (l.c., p. 354). Wird diese Bemerkung so ernst genommen, wie ihr Kontext es fordert, so ergibt sich daraus, dass das römische Rechtssystem insgesamt auf einem Totenkult errichtet ist und dass auch seine neueren Überbauungen und Übermalungen diesen Grund bis heute nicht verlassen haben. Die Hinweise von Mauss sind leicht zu ergänzen durch die Beobachtungen und Konstruktionen, die Freud zur Psycho- und Soziogenese von Rechtsvorstellungen bereits 1912 in »Totem und Tabu« vorgelegt hat. (Freuds kultur-archäologische Grabungen stoßen auf eine problematische Schicht, als er in seiner letzten großen Studie – »Der Mann Moses und die monotheistische Religion« – den Versuch unternimmt, die Genesis des ägyptisch-jüdischen Monotheismus dem Modell des römischen und anderer primitiven Ahnenkulte zu adaptieren.)
Inst., l.c., p. 13.
Ed. Johannes Hoffmeister, Meiner Verlag: Hamburg 1952; p. 265.
Walter Benjamin – Gesammelte Schriften, Bd. II/1 (Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1977), p. 202. – Zitatnachweise dazu werden fortan nach dieser Ausgabe mit Band- und Seitenzahl angegeben.
Cf. Walter Benjamin: Ursprung des deutschen Trauerspiels, in: Gesammelte Schriften Bd. I/1 (Suhrkamp: Frankfurt a.M. 1974); p. 226. – Zur Erläuterung der Ursprungslogik des Nicht-Nichts siehe meine Bemerkungen in »Schuldgeschichte« (in: »Kapitalismus als Religion«, ed. Dirk Baecker; Berlin: Kadmos Verlag 2003; pp. 111–113 zur »Logik des Umsprungs«.)
Die Struktur der reinen Gewalt im Generalstreik und der ihm entsprechenden Sprache wird untersucht in meinem Aufsatz »Afformativ, Streik« (in: »Was heißt ›Darstellen‹?«, ed. Christiaan L. Hart Nibbrig, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1994; pp. 340–371).
Gershom Scholem, Tagebücher 1913–1917 (Frankfurt a.M.: Jüdischer Verlag 1995); pp. 401–02.
Der erste Satz von Kants »Grundlegung zur Metaphysik der Sitten« lautet: Es ist überall nichts in der Welt, ja überhaupt auch außerhalb derselben zu denken möglich, was ohne Einschränkung für gut könnte gehalten werden, als allein ein guter Wille. (AB 1,2) Die Unterscheidung zwischen Gerechtigkeit und Tugend, die Benjamin trifft, entspricht der kantischen Unterscheidung zwischen dem Guten und der Tugend. Die entscheidende Veränderung liegt in Benjamins völlig neuem Gedanken der Gerechtigkeit als desjenigen Guten, das nicht Besitz sein kann und durch das die Güter besitzlos werden. Es ist der Gedanke eines Anspruchs auf Gerechtigkeit, dessen letzte Richtung möglicherweise nicht auf ein Besitzrecht der Person, sondern auf ein Guts-Recht des Gutes geht. Tatsächlich ist alles bisherige Recht in römischer Tradition Personenrecht und Besitzrecht der Person. Der Gedanke der Gerechtigkeit, dem Benjamin nachgeht, nimmt seinen Ausgang nicht bei der Person und dem Willen des Subjekts, sondern bei dem Gut und dem, was gut ist für das Gut. Er stellt dem Personen-Recht die Güter-Gerechtigkeit entgegen. – Am Ende von Brechts »Der kaukasische Kreidekreis« wird ein sehr ähnlicher Gedanke der Gerechtigkeit formuliert: dass da gehören soll, was da ist / Denen, die für es gut sind.
Carl Schmitt. Über drei Arten des rechtswissenschaftlichen Denkens, Berlin: Duncker & Humblot 1993, p. 23. Die Schrift erschien in erster Auflage 1934 und markiert sein Abrücken Schmitts vom Dezisionismus und seine Hinwendung zum »neuen Typus« eines »konkreten« Rechtsdenkens, wie es der Reichsjustizkommissar des Naziregimes Hans Frank im Hinblick auf eine »dem deutschen Geist entsprechende ›Sachgestaltung‹« propagiert hatte (p. 54). – Schmitt zitiert die Sentenz von Hobbes unrichtig als Autoritas, non veritas facit legem.
Hier zitiert nach Thomas Hobbes, Opera philosophica vol. III (ed. Molesworth), Reprint der Edition 1839–45, Scientia Aalen 1961; p. 202. – Der englische Text wird zitiert nach der Edition des Leviathan durch Richard Tuck, Cambridge University Press 1996. Das Kapitel 26 trägt dort den Titel »Of Civill Lawes«, pp. 183 sqq.
Im Canon 16, § 2 des Codex Iuris Canonici heißt es: Interpretatio authentica per modum legis exhibita eandem vim habet ac lex ipsa et promulgari debet; si verba legis in se certa declaret tantum, valet retrorsum; si legem coarctet vel extendat aut dubiam explicat, non retro trahitur.
In der Vernunftlehre des Christian Thomasius wird in § 98 von der authentischen Interpretation gehandelt; in der Ausübung der Sitten-Lehre in § 29 des 3. Hauptstücks.
Kant handelt von der authentischen Interpretation in seiner Schrift »Über das Mißlingen aller philosophischen Versuche in der Theodizee« von 1791. Cf. dazu den ersten Teil meiner Untersuchung »Das Versprechen der Auslegung« in Entferntes Verstehen (Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1998), pp. 53–77.
Leviathan, l.c. der englischen Fassung, p. 190.
L.c., p. 191.
L.c., p. 191
L.c., p. 190
L.c., p. 191
The Interpreter of the Law is the Judge giving sentence viva voce in every particular case. L.c., p. 191.
L.c., p. 192.
Bernd Rüthers hat in seiner Studie »Die unbegrenzte Auslegung – Zum Wandel der Privatrechtsordnung im Nationalsozialismus« (Athenäum: Frankfurt a.M. 1973) die Konsequenzen aufgezeigt, die die Ermächtigung der Richter zu uneingeschränkter Gesetzesdeutung haben muss, wenn sie mit zusätzlichen staatlichen Direktiven verbunden wird.
Zu diesem ex nihilo bei Hobbes und den Komplikationen einer Schöpfung aus Nichts, die aus diesem Nichts nie zur Gänze herausführt, cf. Werner Hamacher, »Wilde Versprechen. Die Sprache ›Leviathan‹«, in: (ed. Manfred Schneider) »Die Ordnung des Versprechens« (München: Wilhelm Fink Verlag 2005), pp. 171–200, hier 176 sqq.
Andere Bauernregeln für Verfassungsjuristen: pacta sunt servanda, lex est rex, L’état c’est moi, Le roi règne et ne gouverne pas. Die Sprache des Rechts ist eine Formelsprache, sentenziös und apodiktisch wie nur die Sprache des Gesetzes vom Dekalog über die Zwölf Tafeln bis in die Gesetzeswerke der Gegenwart. Ihre Sprüche sind ›kurz angebunden‹ nicht nur aus Gründen der mnemotechnischen Ökonomie und um als Merksprüche dienen zu können, sondern weil sie als Machtsprüche jede Gegenmacht ausschalten müssen. Eine Gegenmacht ist die Frage – deshalb müssen Gesetze »deutlich« und »unzweideutig« sein –, eine andere Gegenmacht ist die Interpretation – deshalb sind Gesetze strukturell gegen ihre Kommentare geschrieben, sie geben sich als deutungsunbedürftig. Die Sprache von Recht und Gesetz tendiert durch Verkürzung und Unmittelbarkeit, ihren Sprachcharakter zu tilgen. Ihr Ideal liegt in der Reduktion auf das eine urteilende Wort und, mehr noch, die stumme Geste, die Recht nicht spricht, sondern exekutiert. Deshalb ist unter allen gesellschaftlichen Techniken die Rechtssprache der Musterfall eines Sprachentzugs durch Sprache. Als Gegengift gegen die paralysierende Wirkung ihres double bind ist jedem, der versucht ist, den Richter zu spielen, die langsame Lektüre aller langen Sätze der späten Romane von Henry James oder von Prousts Recherche zu empfehlen.
Engl. 192
Lat. 203.
Miltons Texte werden hier und im Folgenden zitiert nach: »Complete Prose Works of John Milton«, Bd. II (1643–1648); Yale University Press 1959; hier: pp. 220–21. – Seitenzahlen dieser Ausgabe werden im Text angegeben.
Cf. das Vorwort von Lowell W. Coolidge zum ersten Scheidungs-Traktat, l.c., p. 217.
Zitiert in l.c., »Tetrachordon«, p. 609.
Cf. l.c.; p. 235. Entsprechend in der Ausgabe von Miltons Werken durch Stephen Orgel und Jonathan Goldberg (Oxford University Press 1991); p. 808 zu p. 183.
Nach der Niederschrift dieser Arbeit finde ich eine erfreuliche Bestätigung dieser Beobachtung – es ist die einzige in der umfangreichen Literatur zu Milton, der ich begegnet bin – in dem Buch von Stanley Cavell: Persuits of Happiness. The Hollywood Comedy of Remarriage (Cambridge: Harvard University Press 1981), p. 87 sq.
Milton zitiert und kommentiert die Bibel: It is not good, saith he [God], that man should be alone; I will make him a help meet for him. From which words so plain, lesse cannot be concluded, nor is by any learned Interpreter, then that in Gods intention a meet and happy conversation is the chiefest and the noblest end of marriage; for we find here no expression so necessarily implying carnall knowledg, as this prevention of lonelinesse to the mind and spirit of man. (245–46)
Victoria Kahn verweist in ihrem Buch Wayward Contracts – The Crisis of Political Obligation in England, 1640–1674 (Princeton University Press 2004) auf eine Reihe von Arbeiten, in denen Derridas Begriff des ›gefährlichen Supplements‹ zur Deutung der Eva in Paradise Lost herangezogen wird; freilich ohne Derridas Arbeiten zu erwähnen (cf. dort p. 206, p. 345).
So übersetzt André Chouraqui in La Bible (Desclée de Brouwer 1989).
Platon: Lysis 214 a; Aristoteles: Nikomachische Ethik, IX 1170 b 10; Cicero: Laelius de amicitia XXI 80.
Cf. l.c., pp. 334–337. – In der neueren Forschung wird eine Deutung des griechischen porneia als Inzest erwogen. Cf. dazu die Anmerkung zu Matthäus 19, 9 in »Neue Jerusalemer Bibel (Einheitsübersetzung)«, Freiburg: Herder Verlag 2000; p. 1411.
Miltons Andeutungen beziehen sich auf die Heilung von Kranken und auf die Besänftigung eines Sturms durch Jesus, von denen in Matthäus 8: 3, 8:15 und 8: 26 berichtet wird.
Im Unterschied zur Scheidung ist die Ehe, wie Milton besonders energisch in »Tetrachordon« betont, im Sinn der aristotelischen Ontologie eine Form. Cf. 612–613.
Cf. l.c., p. 353, wo als mutmaßliche Quelle von Miltons einschlägiger Argumentation die Christian Oeconomie von Perkins genannt wird, der den Paterfamilias nicht nur the father and chiefe head of the familie, sondern auch einfach, wie Milton, master of the familie nennt.
Lawrence Stone: The Family, Sex and Marriage in England 1500–1800. Gekürzte Ausgabe. London 1979; pp. 102–03.
»Zufällige Geschichtswahrheiten«, so heißt es in Lessings Beweis des Geistes und der Kraft, »können der Beweis von notwendigen Vernunftswahrheiten nie werden.« Gotthold Ephraim Lessing, Werke, Bd. VIII, hrsg. von H. G. Göpfert, München 1979, S. 12.
Hier und im Folgenden werden Hamanns Schriften im Text mit Band- und Seitenzahl zitiert nach: Johann Georg Hamann, Sämtliche Werke, hrsg. von Josef Nadler, Wien 1950.
Es ist dasselbe Kriterium, das Alexander Popes satirische Poetologie »Peri bathous: or, Of the Art of Sinking in Poetry« in den Satz fasst: »None but Himself can be his Parallel«, um ihm als Variation nachzuschicken: »This is the greatest Elephant in the World, except Himself.« Alexander Pope, Poetry and Prose, hrsg. von Aubry Williams, Boston 1969, S. 402.
Hier und im Folgenden wird Mendelssohns Jerusalem im Text mit Seitenzahl zit. n.: Moses Mendelssohn, Jerusalem oder über religiöse Macht und Judentum, hrsg. von David Martyn, Bielefeld 2001.
Cf. die Hinweise in der Einleitung von Lothar Schreiner zu dem von ihm herausgegebenen Band 7 (»Golgatha und Scheblimini«) von Hamanns Hauptschriften erklärt, Gütersloh 1956, S. 26.
Cf. dazu meine Untersuchung »Wilde Versprechen. Zur Sprache im ›Leviathan‹« in: Die Ordnung des Versprechens, hrsg. von Manfred Schneider, München 2005, S. 170–198.
Der Begriff wurde eingeführt durch die Studie von C. B. Macpherson, The Political Theory of Possessive Individualism, Oxford 1962, und bezieht sich vornehmlich auf die politischen Theorien von Hobbes und Locke. Kein Zweifel, dass Mendelssohn, nicht nur in seinem Toleranzgedanken, sondern auch in dem wichtigeren Grundsatz, allein das Eigentum an der eigenen Person begründe politische Rechte, zu den Adepten Lockes gehört.
John Locke, Two Treatises of Government, hrsg. von Peter Laslett, Cambridge 1988, S. 287.
Nicht weniger ablehnend als Hamann antwortet Hegel in seinen frühen Schriften aus den späten 1790er Jahren zum Geist des Christentums auf die Privilegierung der Rechtlichkeit in Mendelssohns Jerusalem und begründet seine Ablehnung explizit mit eigentumskritischen Überlegungen: cf. Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Werke, Bd. 1, hrsg. von E. Moldenhauer/F. Michel, Frankfurt a.M. 1971, S. 288ff. Beide, Hamann und Hegel, orientieren ihre Kritik zwar an der paulinischen Distinktion zwischen Gesetz und Liebe, aber ebenso sehr an den Inkonsistenzen des zeitgenössischen Legalismus und der von ihm geschützten politischen Ökonomie. In seiner großen Rezension von 1828 über »Hamanns Schriften« nennt Hegel »Golgotha und Scheblimini« »ohne Zweifel das Bedeutendste, was er geschrieben«, stimmt vor allem Hamanns Kritik an Mendelssohns Trennung von Gesinnung und Handlung zu, hält ihm aber entgegen, die Beschränkungen durch das Recht nicht als eine Notwendigkeit des »darin endlichen Geistes« anerkannt zu haben. (Werke, Bd. 11, S. 321, 324)
Moses Mendelssohn, Gesammelte Schriften. Jubiläumsausgabe, Bd. 5.1, Stuttgart 1991, S. 187–199. – Dieser Rezensionsartikel, der in drei Folgen erschien, war der letzte vor demjenigen, den Mendelssohn am selben Ort über Hamanns Sokratische Denkwürdigkeiten veröffentlicht hatte (cf. Anmerkung 14).
Die umfassendste und differenzierteste Darstellung von Mendelssohns Semiotik und ihrem historischen Kontext gibt Daniel Krochmalnik: »Das Zeremoniell als Zeichensprache – Moses Mendelssohns Apologie des Judentums im Rahmen der aufklärerischen Semiotik« in: Fremde Vernunft: Zeichen und Interpretation IV, hrsg. von Josef Simon, Werner Stegmaier, Frankfurt a.M. 1998, S. 238–285.
Mendelssohn geht zu Beginn seiner semiologischen Überlegungen in Jerusalem auf die Erfahrung ein, dass wir mit denselben Worten immer wieder verschiedene Begriffe verbinden, und schließt daran den Stoßseufzer an: »O! wer diese Erfahrung in seinem Leben gehabt hat, und noch intolerant seyn, noch seinen Nächsten hassen kann, weil dieser in Religionssachen nicht denkt, oder sich nicht so ausdrückt wie er, den möchte ich nie zum Freunde haben; denn er hat alle Menschheit ausgezogen.« (J 65) An späterer Stelle betont er: »Um eurer und unserer aller Glückseligkeit willen, Glaubensvereinigung ist nicht Toleranz; ist der wahren Duldung grade entgegen!« (J 133) Für Mendelssohn ist wie für Locke in seinem Letter concerning Toleration (geschrieben 1685–1704) die gegenseitige Duldung eine anthropologisch begründete Fundamentalpflicht. Ihr Begriff liegt Lockes Programm der Trennung von Staat und Kirche, also der staatlichen Neutralität gegenüber Gesinnungen und Glaubensäußerungen ebenso zugrunde wie demjenigen, das Mendelssohn unter ausdrücklicher Berufung auf Lockes Toleranz-Briefe (J 36) in seinem Jerusalem verfolgt. Die explizit sprachtheoretische Begründung dieses Programms, an der Locke nur peripher interessiert sein konnte, ist Mendelssohns Werk. An ihr und, durch sie vermittelt, an der Politik der Trennung von Staat und Kirche, Recht und Gesinnung setzt Hamanns Versuch einer Kritik an. (Die beste Edition von Lockes Schrift ist bis heute die durch Raymond Klibansky angeregte und von Julius Ebbinghaus übersetzte und kommentierte zweisprachige Ausgabe Ein Brief über Toleranz, Hamburg 1957.)
Brief vom 27. Juli 1759 in: Johann Georg Hamann, Briefwechsel, Erster Band 1751–1759, hrsg. von Walther Ziesemer und Arthur Henkel, Wiesbaden 1955, S. 379. – Vernunft und Gesetz können nach der Darstellung in diesem frühen Brief günstigenfalls Supplemente des Glaubens, nicht aber stabilere Stützen des Weltverhältnisses bieten als er. Beide dienen sogar der Provokation des Glaubens, indem die Unbegreiflichkeit des Gesetzes und unsre Unangemessenheit an die Prinzipien der Vernunft uns energischer zum Glauben nötigen, als unsre alltäglichen Verrichtungen es tun. Zu Hume bemerkt Hamann in der zitierten Passage weiter: »Er sagt: Moses, das Gesetz der Vernunft, auf das sich der Philosoph beruft, verdammt ihn. Die Vernunft ist euch nicht dazu gegeben, dadurch weise zu werden, sondern eure Thorheit und Unwissenheit zu erkennen; wie das Mosaische Gesetz den Juden nicht sie gerecht zu machen, sondern ihre Sünden sündlicher.«
Den ersten dieser Sätze zitiert Mendelssohn in seiner Rezension der Sokratischen Denkwürdigkeiten vom 19. Juni 1760 in Briefe, die neueste Litteratur betreffend und merkt dazu an: »Wie will sich denn der Verfasser Rechnung machen, dass der seinige [Glaube] Beyfall erhalten wird? – Socrates hätte sich auf Anhörung desselben in seinen Mantel eingewickelt, und seinem Schüler selbst entgegen gerufen: Ich weiß nichts. –« (Moses Mendelssohn, Gesammelte Schriften. Jubiläumsausgabe, Bd. 5.1, Stuttgart 1991, S. 205) Mendelssohn hätte mit seiner sokratischen Replik nur dann recht, wenn Hamann sich tatsächlich hätte »Rechnung machen« und »Beyfall erhalten« wollen. Aber das eine wie das andere ließe sich allenfalls glauben.
Johann Georg Hamann, Briefwechsel, Fünfter Band 1783–1785, hrsg. von Arthur Henkel, Frankfurt a.M. 1965, S. 177. – Die ersten zwei Sätze dieser Passage werden von Heidegger zitiert in »Die Sprache« (Unterwegs zur Sprache, Pfullingen 1959, S. 13). Der letzte Satz wird von ihm nicht zitiert, wie denn auch die Verbindung zwischen Sprache und Glauben bei Hamann von ihm nicht kommentiert, aber, ohne Beziehung auf Hamann, unter dem reicheren Begriff des Vermutens bedacht wird. – Benjamin zitiert in seinem frühen Sprachaufsatz »Über Sprache überhaupt und über die Sprache des Menschen« eine ähnliche Äußerung Hamanns aus seinem Brief an Jacobi vom 22. Oktober 1785: »Sprache, die Mutter der Vernunft und Offenbarung, ihr A und O.« (Gesammelte Schriften II, 1, hrsg. von R. Tiedemann/H. Schweppenhäuser, Frankfurt a.M. 1977, S. 147) Auch diese Formulierung steht im engsten Zusammenhang mit »Golgotha und Scheblimini« und der wenig früher verfassten »Metakritik« an Kants »Kritik der reinen Vernunft«. Sie lautet im Zusammenhang: »Bey mir ist weder von Physik noch Theologie die Rede – sondern Sprache, die Mutter der Vernunft und Offenbarung, ihr A und O. Sie ist das zweyschneidige Schwert für alle Wahrheiten und Lügen.« (J.G. Hamann, Briefwechsel, Sechster Band 1785–1786, hrsg. von Arthur Henkel, Wiesbaden 1975, S. 108)
Hier zitiert nach Hamanns Hauptschriften erklärt, Bd. 7, S. 86.
In seinem Buch Das Sakrament der Sprache. Eine Archäologie des Eides, Frankfurt a.M. 2010, widmet Giorgio Agamben dem Phänomen der fides, nicht unter Rekurs auf Hamann, wohl aber auf die von Hamann herangezogene Cicero-Passage, wichtige Seiten, auf die ich erst nach der Niederschrift dieses Textes aufmerksam werde. Trotz der Nähe ihrer Motive – Sprache, Glaube, Recht – folgen unsere Untersuchungen sehr verschiedenen Wegen, die insbesondere in ihrer Auffassung von Sprechakten divergieren. Wenn Agamben die Theorie performativer Akte von Benveniste zu präzisieren versucht, indem er die Performativa durch ein Aussetzen ihrer denotativen Funktion charakterisiert (S. 70–71), so ist dem entgegenzuhalten, dass sich Performativa für die Sprechakttheorien – und auch diejenige von Benveniste – gerade durch die Einsetzung dieser Funktion definieren. »Ich verspreche« denotiert den Akt des Versprechens als genau den, der sich mit dieser Denotation verwirklichen soll: Er ist ein Einsetzungs- und Setzungsakt, der die (semantische) Bezeichnung mit dem (phatischen) Geschehen des Bezeichnens zur Übereinstimmung zu bringen beansprucht. Wo es eine Denotationslücke in den Performativa gibt, dort hören sie auf, Performativa zu sein, oder haben noch nicht angefangen, als solche zu wirken. Wovon Cicero spricht, ist kein performativer und auch kein perlokutionärer Akt, sondern ein Geschehen, das jedem möglichen Akt vorausgehen oder in jedem mitwirken muss, damit er im Sinne von Rechtskonventionen Geltung beanspruchen kann. Daher auch die dritte Person in der ciceronianischen Formel fiat, quod dictum est, während für Benveniste kein Sprechakt ohne die erste, das Ego, auskommt.
Hegels Vorbehalte gegen den von ihm geschätzten Hamann konzentrieren sich auf die »subjektiven Partikularitäten« sowohl des Stils seiner Schriften – »sie« haben »nicht sowohl einen Stil, als dass sie durch und durch Stil« sind – wie des Inhalts seines Glaubens und seiner Haltung. Über seinen alles bestimmenden Humor schreibt er: »Der Humor für sich ist seiner subjektiven Natur nach zu sehr auf dem Sprunge, in Selbstgefälligkeit, subjektive Partikularitäten und trivialen Inhalt überzugehen […].« Die Wahrheit bleibe bei ihm, mit einer Metapher, die Hamann selbst gebraucht, eine »geballte Faust«; das einzig Verdienstliche für die Wissenschaft, sie »in eine flache Hand zu entfalten«, überlasse er seinen Lesern. (Hegel, Werke, Bd. 11, S. 321, 281, 336, 330)
Die Formel vom Stein des Anstoßes, eine der paradigmatischen für Hamanns Glaubens- und Sprachbegriff, die er in seinen Schriften mindestens ein halbes Dutzend Mal zitiert, aber hundertfach umspielt und zur Strukturformel seines gesamten Schreibens gemacht hat, findet sich weiter entwickelt bei Jesaja 8 (14–12) und 28 (16) und im ersten Petrus-Brief 2 (6–8). Man hat davon auszugehen, dass Hamann mit allen diesen Stellen vertraut war. Der Psalm 118 (22) lautet übersetzt: »Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, ist zum Eckstein geworden.« Die Passage im Römerbrief: »Sie stießen sich am ›Stein des Anstoßes‹, wie es in der Schrift heißt: ›Siehe, ich richte in Zion einen Stein auf, an dem man anstößt, einen Fels, an dem man zu Fall kommt. Wer an ihn glaubt, wird nicht zugrunde gehen.‹« – Von Hamann wird das Prinzip des Skandals und der Skandalisierung jedes Prinzips so ernst genommen, dass er im November 1780 das folgende Exzerpt aus einer Freimaurer-Publikation in sein Studienheft einträgt: »Stein des Anstosses und Fels der Aergernis allen meinen teutschen Mitbürgern inn und ausser der siebenten Provinz, entdeckt von Ich weiss nicht, von Wem? Es wird nichts so klein gesponnen Es kommt endlich an die Sonnen. […]« (N V 353)
Auch das Rechtssystem »bewaffneter Toleranz und Neutralität«, das für Hamann eine Erfindung »welscher Cardinäle oder welscher Ciceroni« (N III 312), also der französischen Rationalisten am Hof Friedrichs des II. ist, bietet nur einen unzulänglichen Schutz gegen das Skandalon des Glaubens. »Die Toleranz seiner weisen Maximen und heroischen Experimente«, die nur ein »todte[r] Gott der Erde« ersonnen hat (N III 313), bleibt unverträglich mit dem Skandal, dass es noch eine andere als die Welt der Vernunft und ihrer Rechtlichkeit geben soll. Hamann schreibt, und bestimmt damit den engen Spielraum, den staatliche und kirchliche Toleranz dem Glauben an etwas anderes als die vorhandene, die gegenwärtige Welt lässt: »Ein Reich, das nicht von dieser Welt ist, kann daher auf kein ander Kirchen-Recht Anspruch machen, als mit genauer Noth geduldet und gelitten zu werden; weil alle öffentliche Anstalten von blos menschlicher Autorität neben einer göttlichen Gesetzgebung unmöglich bestehen können […].« (N III 314) Sprache, Glaube, Zukunft, diese drei, sind für Hamann das, was »nicht von dieser Welt« und dennoch inimauf