Sina Beerwald
Das Mädchen und der Leibarzt
Roman
Knaur e-books
Sina Beerwald, 1977 in Stuttgart geboren, studierte Wissenschaftliches Bibliothekswesen und hat sich bislang mit elf erfolgreichen Romanen einen Namen gemacht. 2011 wurde sie Preisträgerin des NordMordAward, des ersten Krimipreises für Schleswig-Holstein. 2014 erhielt sie den Samiel Award für ihren Sylt-Krimi »Mordsmöwen«.
Seit 2009 lebt und arbeitet die Autorin auf Sylt. Mehr unter: www.sina-beerwald.de
© 2019 der eBook-Ausgabe Knaur eBook
© 2010 Sina Beerwald
Ein Imprint der Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.
Covergestaltung: Christina Krutz
Coverabbildung: Wikimedia Commons; Andrey Kuzmin/Shutterstock.com; The World of Ornament/taschen.com
ISBN 978-3-426-45708-5
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Die Nebelschwaden des frühen Morgens verzogen sich und gaben den Blick auf eine kleine Stadt frei, in der eine junge Frau vor dem offenen Herdfeuer im Haus der Großmutter saß und das samtbezogene Notizbuch in ihren Händen betrachtete. Die Gerstensuppe war längst verkocht, während sie sorgfältig Seite um Seite herausriss und den Flammen übergab. Langsam und bedächtig, mit einem Lächeln der Verzweiflung.
Die Luft war rußgeschwängert und machte Helena das Atmen schwer. Neben ihr stapelten sich schmutzige Tonschüsseln, Suppenhafen und ein Kupferkessel, der eigentlich mit Essig und Sand gereinigt werden müsste. Außerdem wartete noch ein Berg mit Kleidern und Schürzen darauf, gewaschen zu werden. Doch wozu war das noch wichtig? Mit einem Schlag war alles nebensächlich und sinnlos geworden. Sie hatte einen geliebten Menschen verloren, dessen Leben vielleicht zu retten gewesen wäre – hätte sie noch mehr über die vermaledeite Seuche gewusst.
Helena klappte das Buch zu und strich über den abgegriffenen roten Samt. Es war das Wertvollste, was sie noch besaß. Es enthielt eine Widmung der Großmutter, und die anfangs leeren Seiten hatten sich nach und nach mit niedergeschriebenen Gedanken und Beobachtungen gefüllt.
Oftmals saß sie in diesen Zeiten der Schwarzen Blattern abends in ihrer kleinen Kammer und vertraute ihrem Buch die Geschichten von Menschen an, die ihre gesamte Familie durch die Seuche verloren hatten. Manchmal jedoch war die Grausamkeit des Schicksals nicht auszuhalten. Dann blieb das Papier die Nacht über unberührt, und erst im Morgengrauen notierte sie einzig die Namen der Verstorbenen und Hinterbliebenen, weil ihr für mehr die Worte fehlten.
Sie schrieb, während die Flamme an einer Wachskerze nagte, die sie sich eigentlich nicht leisten konnte. Vielleicht hielt sie die Geschichten fest, weil auch sie einsam war. Vielleicht, weil sie wie viele andere ihre Eltern durch die Blattern verloren hatte. Vielleicht aber auch, weil sie zu den Menschen gehörte, denen die Seuche merkwürdigerweise nichts anhaben konnte.
Helena riss eine weitere Seite aus dem Buch, warf sie ins Feuer und beobachtete, wie das Papier sich zusammenkräuselte und zu Asche zerfiel. Bei den nächsten Seiten hielt sie inne und überflog noch einmal die sauber geschriebenen Worte. Unzählige Worte als Versuch, den Zusammenhängen auf die Spur zu kommen. Namen und Geschichten von Menschen, die aus unerklärlichen Gründen nicht an der Seuche erkrankt waren.
Auf einer Seite hatte sie die wenigen Namen derer notiert, die bereits als Kinder an einer milden Form der Blattern erkrankt waren und durch Gottes Gnade überlebt hatten; demzufolge waren sie vor der nunmehr grassierenden Seuche gefeit. Auf einer anderen Seite war eine Handvoll reicher Bürger aufgelistet, die es sich hatten leisten können, beim Bader eine milde Form zu kaufen, um ebenfalls geschützt zu sein.
Dann gab es noch achtzehn Namen aus drei Familien, zudem der ihrer Großmutter, ihr eigener und der ihres Verlobten – Friedemar Roth. Davor und dahinter prangten dicke Fragezeichen. Warum widerstand ihr Körper der Krankheit?
Helena hielt das Blatt über das Feuer, und die Flammen züngelten gierig danach. Das Papier verfärbte sich, bekam gelbe, braune und schwarze Ringe, bevor es sich langsam entzündete. Sie sah zu, wie ihre Schrift, ihre Worte nach und nach zerfielen, und hegte dabei die Hoffnung, damit auch ihre Erinnerung an die vergangenen Wochen zu zerstören, in denen sie zu wissen geglaubt hatte, warum weder ihre Großmutter noch ihr Verlobter noch sie selbst von der Seuche befallen wurden. Die Zusammenhänge waren so einfach wie einleuchtend gewesen. Helena hatte sich am Ziel geglaubt, sie dachte, sie hätte ein Mittel gegen die tödlichen Schwarzen Blattern entdeckt.
Jetzt wurden auch diese Seiten ein Fraß des Feuers. Eine nach der anderen, bis nur noch ein Blatt übrig war. Unerbittlich fielen ihr die letzten beiden Namen ins Auge, die sie darauf notiert hatte. Friedemar und Helena. In großen dunklen Lettern standen sie da, zum zweiten Mal in diesem Buch. Wieder hatten sie beide die Seuche überlebt, doch die Großmutter lag aufgebahrt in der Stube, von Blattern übersät.
Helena fröstelte, obwohl es in der Küche nicht besonders kalt war. Wärme suchend streckte sie ihre Hände aus, während ihr eine Träne über die Wange rollte.
Wie hatte sie nur dem Irrglauben verfallen können, dass es ein Mittel gegen die Blattern gab? Dass der Körper ihrer Großmutter es in sich trug? Sie könnte noch leben …
Es klopfte. Helena machte sich nicht die Mühe aufzustehen. Wenn es Friedemar war, dann würde er sich auch ungebeten Zutritt verschaffen. Ihr Verlobter hatte nicht die Angewohnheit zu bitten – ihm wurde gegeben.
»Gott zum Gruße, Helenchen.«
Sie drehte sich nicht um, sondern sah angestrengt auf ihre Schürze hinunter.
»Wohlan, hast du gedacht, noch vor mir ein Mittel gegen die Blattern gefunden zu haben, um damit den großen Reichtum einzuheimsen? Dabei habe ich dir schon immer gesagt, dass ein Weib nicht denken soll. Schau dir die Küche an! Haben hier neuerdings die Säue ihren Stall?«
»Warum bist du nur so widerlich geworden? Ich habe dir nichts getan! Lass mich in Ruhe!«
»Dich in Ruhe lassen? Liebst du mich nicht mehr?«
Helena starrte wütend in das Herdfeuer. »Was soll ich denn denken, wenn du mich seit unserer Verlobung so herablassend behandelst?«
»Helena, verzeih. Du weißt, dass ich dich liebe.«
»Daran habe ich geglaubt, aber nur bis wir einander versprochen wurden.« Sie beobachtete, wie die Flammen um den letzten Fetzen Papier kämpften. »Seit wir Kinder waren, habe ich dich gemocht. Vielleicht noch mehr, seit wir beide unsere Eltern an die Blattern verloren haben, aber vor allem habe ich dich bewundert, weil dein Leben danach so anders verlief als meines … Oft habe ich dich heimlich beobachtet. Auf dem Feld, im Hof nebenan und bei den Patienten deines Ziehvaters. Wie du ihm schon früh zur Hand gehen konntest und er viel Freude an dir hatte, während ich mich damit zufriedengeben musste, im Haus meiner Großmutter zu wirtschaften.«
»Ja, natürlich«, höhnte Friedemar. »Bis heute darf ich die Drecksarbeit für ihn erledigen, dazu bin ich gut genug.«
»Trotzdem war ich neidisch, dass er dir als wohlhabender Medicus jeden Wunsch erfüllen konnte. Ich habe davon geträumt, dieses Leben eines Tages mit dir teilen zu dürfen. Dieser Versuchung wäre ich beinahe erlegen, wenn du nicht dein wahres Gesicht gezeigt hättest. Seit ich dir von dem Mittel gegen die Blattern erzählt habe, bist du wie ausgewechselt.«
»Wie kommst du darauf, mein Helenchen? Schließlich war ich es, der meinen Ziehvater dazu überredet hat, dich ein wenig in die Geheimnisse der Medizin einzuweihen. Und was ist mit dem Geld, das ich dir im Winter gegeben habe, damit du dich in anderen Dörfern nach diesen Geschichten umhören konntest? Also gib zu, dass dein Erfolg auch mein Verdienst ist.«
»Nein, das tue ich nicht. Und es gibt auch keinen Erfolg zu verzeichnen. Wir tragen kein Mittel gegen die Blattern in uns. Ich habe mich geirrt. Meine Großmutter ist tot, verstehst du?«
»Nun, irgendwann musste auch dieses alte Weib sterben.«
»Wie kannst du nur so herzlos sein! Friedemar, sie ist von den Blattern dahingerafft worden! Und das, obwohl sie nach meiner Theorie nie daran hätte erkranken dürfen. Offenbar gibt es doch keinen Schutz vor der Seuche! Es ist allein Gottes Wille, der die Menschen krank macht oder sie gesund erhält.«
»Unsinn. Es muss einen anderen Zusammenhang geben … Du hast bestimmt irgendetwas übersehen. Wir müssen die Fälle noch einmal durchgehen und miteinander vergleichen. Und nächste Woche nach unserer Hochzeit wirst du in dein neues Reich ziehen. Sei doch froh, wenn du diese Hütte hier verlassen kannst! Deine Großmutter hat es in ihrem ganzen Leben zu nichts weiter gebracht als zu drei Schweinen, zwei Klappergäulen und ein paar Kühen, die ständig kränkeln, anstatt Milch zu geben. Willst du denn enden wie dieses alte Weib? Bald bist du die Herrin in einem stattlichen Haus, kannst du dir das überhaupt vorstellen?«
Helena schüttelte langsam den Kopf. Nein, das konnte sie nicht. Ihr wurde heiß und kalt bei dem Gedanken an die Hochzeit, die sie in den letzten Tagen so gut verdrängt hatte.
»Vielleicht sollten wir …«, hob sie an, »die Hochzeit … verschieben? Ich meine, jetzt durch den Tod meiner Großmutter … Sie ist ja noch nicht einmal beerdigt.«
»Natürlich hast du keine Vorstellung von deinem zukünftigen Leben«, sprach Friedemar ohne Rücksicht auf ihren Einwand weiter. »Du wirst dich um die Hauswirtschaft und meine zukünftigen Erben kümmern, während ich meinen Pflichten nachkommen werde. Dazu gehört auch, dass ich ein Gegenmittel finden werde und niemand anderer, schon gar nicht du! Denn in meinem Haus herrschen andere Sitten!«
Zunächst ließ sich Helena von ihrer aufsteigenden Verzweiflung lähmen, doch dann gewann die schiere Fassungslosigkeit die Oberhand. Sie fuhr herum und funkelte ihren Zukünftigen an, dessen Gestalt sich durch seinen dunkelgrünen Umhang kaum von der rußgeschwärzten Wand abhob. Sein kantiges Gesicht war zur Hälfte unter einem Dreispitz verborgen, der einen gespenstischen Schatten über seine Augen legte. Aus tiefen Höhlen sahen sie ihr entgegen, undurchsichtig wie die eines Verbrechers.
»Wenn du glaubst«, stieß sie hervor, »wenn du glaubst, mich halten zu können, mich am Herd festzubinden, dann irrst du dich gewaltig. Du müsstest mich schon einsperren!«
»Aber Helenchen! Was redest du denn da? Ich würde dich niemals zu etwas zwingen. Du bist im Moment etwas verwirrt, der Tod deiner Großmutter hat dir offensichtlich sehr zugesetzt. Ich brauche dich! Ich möchte, dass du bei mir bist und meine Frau wirst. Helena, bitte.«
Erstaunt betrachtete sie den Mann, den sie einmal sehr gemocht hatte. »Du bittest mich?« Es war, als hätten seine Worte die kümmerliche Liebesglut in ihr neu entfacht.
»Ja, ich bitte dich. Ich bitte dich, bei mir zu sein und meine Frau zu werden. Mir nächste Woche in der Kirche das Jawort zu geben. Helena, hörst du mir zu?«
»Ich … Glaubst du, wir werden wirklich glücklich miteinander? In letzter Zeit denke ich, wir sind doch zu verschieden. Dir gehen Ruhm und Reichtum über alles, und du würdest deinem Ziehvater gerne das Wasser abgraben. Du tust alles nur des Ruhmes und des Geldes wegen. Ich hingegen habe nach einem Heilmittel gegen die Seuche gesucht, weil ich den Menschen helfen wollte.«
»Dagegen sage ich auch nichts, ganz im Gegenteil. Das ist doch sehr lobenswert.«
»Aber ich würde gerne …«, setzte Helena zur Verdeutlichung an und fasste ihren ganzen Mut zusammen, »in eine medizinische Lehre gehen, ich möchte lernen, Krankheiten zu besiegen, und vielleicht eines Tages Arbeit als …« Weiter kam sie nicht. Friedemar brach in hämisches Gelächter aus. »Ach, Helenchen, du bist schon ein törichtes Weib. Glaubst du, wenn du dich für die siechende Menschheit aufopferst, wirst du den frühen Tod deiner Eltern besser verkraften? Indem du nach dem Beruf eines Mannes trachtest, werden sie auch nicht wieder lebendig.« Er lachte abermals auf. »Doktor Helenchen! Du weißt doch, wie das ein paar Dörfer weiter bei dieser Dorothea Erxleben endete. In Schimpf und Schande!«
»Ach, das weißt du so genau? Sie starb vor vierzig Jahren als angesehene Quedlinburger Bürgerin!«
»Eine Pfuscherin war sie, nichts weiter!«
»Bläst du auch in dieses Horn? Haltlose Vorwürfe wie dieser waren der Grund, warum sie für ihr Studium kämpfte. Sie wurde mit königlichem Privileg an der Universität zugelassen und hat als erste deutsche Frau in der Medizin promoviert. Sie hat es allen gezeigt! Und ganz nebenbei hat sie für den Haushalt gesorgt, acht Kinder großgezogen und eine gute Ehe geführt. Dorothea Erxleben hat gezeigt, dass so etwas möglich ist. Und das werde ich auch können!«
»Übermut ist ein schlechter Gefährte«, beschied ihr Friedemar. »Wenn du glücklich werden willst, so lerne mir, deinem zukünftigen Eheherrn, zu dienen. Das ist mein guter Rat an dich.«
Sie starrte auf die Küchenwand aus dicken, verrußten Steinen und sah vor ihrem inneren Auge das von der Krankheit entstellte Gesicht der Großmutter vor sich; als ob sich ein Schwarm dicker, kleiner Käfer auf ihr niedergelassen hätte. Kein Stück Haut war verschont geblieben, weder Lippen noch Augenlider. Die vertrauten Gesichtszüge waren verzerrt, es war, als ob ihr der Teufel eine Fratze schnitt. »Gegen die Blattern kann ich nichts tun, aber ich will in Zukunft Leben retten, wo es in meiner Macht steht«, flüsterte Helena.
»Ein weiblicher Medicus«, stöhnte Friedemar, »der als Frau ein eigenständiges Leben führen will. Der Herrgott möge dich vor diesem Wahnsinn beschützen. Komm, Helenchen, wende dich treu an meine Seite und übergib mir dein Notizbuch, du bist doch ein vernünftiges Mädchen.«
»Das Buch existiert nicht mehr«, gab Helena tonlos von sich und zeigte auf die Flammen.
»Wie bitte?« Er stürzte ans Herdfeuer und stocherte mit dem Schürhaken in der Glut, ungläubig und wie besessen. Immer und immer wieder stach er in das knisternde Feuer, bis er plötzlich innehielt. Gedankenverloren betrachtete er einen Moment lang die Eisenstange. Dann drehte er sich langsam zu ihr um.
»Ohne das Buch bist du für mich noch wertvoller geworden, Helenchen. Jetzt wirst du mich heiraten müssen.« Er kam langsam auf sie zu. »Dein Wissen ist nun deine Mitgift.«
Sie erhob sich mit zitternden Knien, darauf bedacht, keine falsche Bewegung zu machen. Sie stand nun direkt vor ihm und sah ihm fest in die Augen. »Ich möchte nur noch einmal die Großmutter sehen.«
Friedemar verzog den Mund. »Gib dir keine Mühe. Du bist jetzt mein Kapital, und darauf weiß ich gut aufzup…«
Mit zwei schnellen Schritten gelangte Helena zur Tür. Sie stürzte hinaus in die Stube, in der ihre Großmutter aufgebahrt lag. Es reichte nur für einen flüchtigen Blick des Abschieds, sie durfte nicht anhalten. Dann rannte sie aus dem Haus, hinüber zur Koppel. Friedemars Gebrüll verfolgte sie.
»Du wirst mir nicht entkommen! Niemals!«
Helena spürte ihn dicht auf den Fersen, doch um sie herum war nichts weiter als der stille, nebelumkränzte Herbstwald des beginnenden Tages.
Das Pferd merkte nichts von ihrer Angst. Es schien sich auf einen Ausflug in den Wald zu freuen und dankbar für die Abwechslung. Der Schimmel machte sich ein Spiel daraus, die Nüstern auf den Boden zu senken und durch kräftiges Schnauben die bunten Blätter aufzuwühlen. Ihrem Pferd hatte der überstürzte Aufbruch nichts ausgemacht. Es war daran gewöhnt, dass sie mit der Trense in der Hand angelaufen kam – schließlich hatte sie es als Hebamme oft genug eilig. Meist wurde sie erst in letzter Minute gerufen, wenn die Frau bereits in schweren Geburtsnöten lag, weil man sich das Geld für eine Hebamme nicht leisten konnte. Darum trug sie stets lange Beinkleider unter dem Rock, damit der Anstand beim Reiten gewahrt blieb.
Doch heute war trotz der Eile das Ziel ungewiss. Ihre Gedanken kannten nur eine Richtung: fort, fort von Friedemar. Seine Worte hallten ihr durch den Kopf, und sie wusste, wie ernst er es meinte. Du wirst mir nicht entkommen! Niemals! Immerzu schaute sie sich um, im Glauben, ihn gehört zu haben. Ihr Pferd fand mit sicherem Tritt den Weg entlang des Harzes. Über kleine Waldbäche, vorbei an morschen Baumstümpfen und bergab über rutschiges Laub.
Durch das gleichmäßige Schaukeln wurde Helena allmählich ruhiger. Ihr Blick richtete sich nun stetig nach vorn, denn so langsam wurde es Zeit, ihrem Weg eine sinnvolle Richtung zu geben. Dort über die Lichtung, wo die ersten Sonnenstrahlen im Nebel glitzerten, dann weiter an dem kleinen Bach entlang oder hinaus aus dem Wald? Niemand hielt sie auf. Niemand machte ihr Vorschriften. Es war allein ihre Entscheidung, und im Grunde genommen war diese schon längst gefallen. Wie oft hatte sie von der großen Stadt geträumt! Jetzt war die Gelegenheit gekommen.
Helena wendete ihr Pferd nach Südwesten, um auf den Leipziger Handelsweg zu treffen und irgendwann nach Halle an der Saale zu gelangen. Bilder der altehrwürdigen, lebendigen Universitätsstadt erschienen ihr vor Augen. Das geschäftige Treiben der fahrenden Händler, reiche und weltgewandte Professorengattinnen, und die Studenten, die sich zwischen den Vorlesungen im warmen Gras am Flussufer ausruhten. Diesen Burschen war Tür und Tor zum Studium geöffnet, unabhängig davon, ob sie einen wachen Geist besaßen. Helena dachte zurück an den Streit mit Friedemar. Hatte sie sich vielleicht zu viel damit vorgenommen, alleine auf ihren Beinen stehen zu wollen? Hätte die Familie Erxleben nicht den König als Fürsprecher gewonnen, wäre Dorothea niemals an der Universität zugelassen worden. Und trotz dieser bedeutenden Erlaubnis in der Tasche zögerte sie noch über Jahre, Ehemann und Kinder zu verlassen, und blieb in Quedlinburg, wo sie nach dem Tod ihres Vaters die Behandlung seiner Patienten übernahm, wie sie es all die Jahre an seiner Seite erlernt hatte. Als jedoch eine kranke Frau unter Dorotheas Händen starb, gab es unter den männlichen Bewohnern kein Halten mehr an Flüchen und Verwünschungen. Dorotheas Antwort darauf war, Quedlinburg zu verlassen und an die Universität zu gehen. Und genau dort wollte Helena auch hin.
Sie ließ die Zügel lang und lehnte sich ein wenig zurück. Ihr Körper wurde sanft hin- und hergewiegt, während sie in den strahlend blauen Morgenhimmel schaute.
Seit Jahren schon träumte sie davon, die medizinischen Vorlesungen zu besuchen, um mehr über die geheimen und faszinierenden Vorgänge im menschlichen Körper zu erfahren. Auslöser dafür war ein Buch gewesen, das ihr die Großmutter weitergegeben hatte, kurz bevor sie von der Seuche dahingerafft worden war: Academische Abhandlung von der gar zu geschwinden und angenehmen, aber deswegen öfters unsicheren Heilung der Krankheiten. So der Titel von Dorothea Erxlebens Dissertation, für die sie sogar eine Auszeichnung erhalten hatte. Im Vorwort hatte sie ihre Hoffnung zum Ausdruck gebracht, eine Vielzahl von Frauenzimmern als Leserschaft zu gewinnen, darum hatte sie ihre Arbeit in nur einem Jahr vom Lateinischen ins Deutsche übertragen und für alle medizinischen Fachbegriffe eine allgemein verständliche Wortwahl gesucht. Die Seiten hatten Helena sofort in ihren Bann gezogen und den Ehrgeiz entfacht, all die Dinge über verschiedene Mittel zu verstehen, die den Urin, den Schweiß, den Auswurf, die monatliche Reinigung oder den Schlaf befördern.
Bald nutzte Helena jeden freien Augenblick, um in diesem Buch zu lesen. Mit der Academischen Abhandlung in der Hand löffelte sie ihre Morgensuppe, ohne einen Blick auf den Teller zu verschwenden.
Irgendwann hatte sich die Großmutter verpflichtet gesehen, ihre Enkelin in die Wirklichkeit zurückzuholen und ihr klarzumachen, dass keine Weibsbilder an einer Universität geduldet wurden. Bereits ihrer Tochter hatte sie den Kopf zurechtrücken müssen, und auch Helena hatte sich ganz nach dem Vorbild ihrer viel zu früh verstorbenen Mutter in ihre frauliche Rolle gefügt. Sie tat es, ohne zu murren, kam zuverlässig ihren Aufgaben nach und versuchte, als die Eltern nicht mehr lebten, sich und ihrer Großmutter ein angenehmes Heim zu schaffen.
Aber die Zufriedenheit blieb aus. Helena kämpfte darum, einen Beruf ergreifen zu dürfen. Und sie erreichte ihr Ziel: Als Hebamme fand sie ihre Erfüllung. Die Arbeit machte sie glücklich, verschaffte ihr Bestätigung und letztlich auch ein bisschen Geld. Trotzdem fand ihre Seele keinen Frieden. Nach ein paar Lektionen bei Friedemars Ziehvater gipfelte ihre Unrast schließlich in dem Glauben, alleine und mit ihrem geringen Wissen etwas gegen die Blattern ausrichten zu können. Doch sie war eines Besseren belehrt worden.
Helena musste von vorne anfangen, sie musste jeden, wirklich jeden Vorgang im menschlichen Körper verstehen lernen, und dazu musste sie Vorlesungen an der Universität hören.
Plötzlich machte ihr Schimmel einen Satz zur Seite, Helena griff scharf nach den Zügeln und drückte die Beine eng an seinen Leib. Sie spürte die angespannten Muskeln, den starken Hals, die bebenden Flanken.
Tatsächlich raschelte es ganz in der Nähe in einem Fuchsbau. Einigermaßen erleichtert klopfte sie ihrem Pferd den Hals. Wenn der Fuchs nicht vom Wahnsinn getrieben war, stellte er keine Gefahr für sie dar. Doch da hörte sie das Geräusch wieder, und neben einem der Höhleneingänge tauchte unversehens ein abgehärmt aussehender junger Mann auf. Helena erschrak. Er trug eine zerschlissene Uniform, in seinen langen Haaren hatte sich Laub verfangen, und ein struppiger Bart umwucherte sein schmales Gesicht.
Als er auf sie zukam, umklammerte Helena die Zügel. Doch er formte nur schüchtern seine Hände zu einer leeren Schale und streckte sie ihr langsam entgegen. Hunger und Not sprachen aus seinen fiebrig glänzenden Augen. Ein Deserteur.
Befangen betrachtete Helena sein Gesicht; der Vagabund war nur wenig älter als sie selbst. Seine unsicheren Gesten verrieten ihr, dass er dieses Dasein noch nicht allzu lange führte.
Mitleidig griff sie nach ihrer Satteltasche. Doch im gleichen Augenblick wurde ihr siedend heiß bewusst, dass sie selbst nichts bei sich hatte. Kein Brot, kein Geld – nur die Kleider, die sie am Leib trug. Verzweifelt suchte sie ihre Rocktaschen ab, wie jemand, dem soeben angesichts des wartenden Warenhändlers auffiel, dass die Geldbörse zu Hause lag. Sie zeigte ihm ihre leeren Hände und machte eine bedauernde Geste. Der Vagabund lächelte mitfühlend. Bevor er zwischen den Bäumen verschwand, winkte er ihr zum Abschied, wie einem alten Weggefährten.
Langsam ritt Helena weiter. Wo könnte sie etwas zu essen herbekommen? Würde sie im Wald etwas Nahrhaftes finden? Pilze vielleicht? In Gedanken versunken langte Helena an einem kleinen Waldsee an. Ihr Pferd blieb stehen und senkte gierig sein Maul ins Wasser. Helena ließ sich hinuntergleiten und hockte sich im Schneidersitz auf den sandigen Boden.
Auf der Wasseroberfläche trieben ein paar golden verfärbte Herbstblätter. Wäre es noch Sommer gewesen, hätte sie jetzt bestimmt ein Bad genossen. Ob es in dem Teich Fische gab? Doch womit sollte sie sich eine Angel herstellen?
Das Pferd wandte den Kopf zu ihr, und Helena streichelte sein weiches Maul, von dem noch ein paar kühle Wassertropfen abperlten. Auch sie verspürte Durst, doch als sie mit den Händen von dem kühlen Nass schöpfte, sah sie, dass es trüb war und voller Algen. Sie ließ das Wasser durch die Finger rinnen.
Helena verharrte und betrachtete nachdenklich ihr Spiegelbild. Eine junge Frau mit einer kindlichen Stupsnase sah ihr entgegen, kühn und voller Tatendrang, das rundliche Gesicht gerahmt von ein paar zerzausten, blond gelockten Strähnen und die Hände wie die des Vagabunden zu einer leeren Schale geformt.
»Lass das«, tadelte sie ihr Pferd und schob seinen Kopf von ihrer Schürze weg, unter der es wohl etwas Essbares vermutete. »Tut mir leid, Dicker. Aber wir haben nichts.«
Enttäuscht wandte sich das Pferd ab und begann ein paar Halme zu zupfen. Helena griff nach den Zügeln und saß auf. »Komm, wir werden gleich ins nächste Dorf reiten und um etwas zu essen bitten.« Wenn man uns nicht als Bettler verjagt, setzte sie im Stillen hinzu und prüfte den Zustand ihrer Kleidung. Das einfache, dunkle Leinenkleid war ohne Löcher, und die etwas hellere Schürze hatte zwar ein paar Flecken, aber wenigstens brachte sie ihre schlanke Taille schön zur Geltung. Vielleicht würde das etwas helfen. Helena erschrak über ihre eigenen Gedanken. Aber sie bräuchte nicht nur Brot und Äpfel für sich und ihr Pferd, es fehlte auch an barer Münze, um die Landesgrenzen zwischen Goslar und Halle zu passieren. Vier oder fünf mochten es sein, obwohl ihre Reise kaum länger als eineinhalb Tage zu Pferd dauern würde. Das Land war durch die vielen Kurfürstentümer, Herzogtümer und Bistümer zu einem einzigen Flickenteppich geworden. Die Karte sah schlimmer aus als die Kleidung eines Bettlers, und an jeder Nahtstelle musste Wegegeld entrichtet werden. Geld, das sie sich nicht mit ihrem Körper erkaufen wollte und dennoch brauchte.
Wenn sie genau darüber nachdachte, war es zudem ziemlich riskant, nach Halle zu reiten. Friedemar kannte ihre Sehnsüchte, und wenn er eins und eins zusammenzählte …
Helena beobachtete die aufziehenden Wolken, die sich vor die Sonne schoben. Es wurde kühl, und sie schlang fröstelnd ihre Arme um den Körper. Wie spät es jetzt wohl sein mochte? Sie trieb ihr Pferd zu mehr Eile an.
Seit ihrer Flucht hatte sie jegliches Zeitgefühl verloren. Der Gedanke an den überstürzten Aufbruch traf sie mit voller Wucht. Der letzte Blick auf die Großmutter hatte sich tief in ihre Erinnerung eingegraben. Was jetzt wohl mit ihr geschah? Ob sich Friedemar um die Beerdigung kümmerte? Bilder eines vergessenen Leichnams drängten sich ihr auf, ihre Großmutter, die im Bett verweste, umgeben von Schmeißfliegen und von Maden befallen. Aber sollte sie deshalb zurück in Friedemars Arme?
Helena war nicht weit geritten, als sie die Zügel anzog und horchte. Schreie hallten durch den Wald.
»Hilfe, zu Hilfe! Hört mich denn niemand? Zu Hilfe!«
Helena versuchte die Richtung einzuordnen, aus der die männliche Stimme kam. Dann vernahm sie das Wiehern eines Pferdes. Ihr Schimmel spitzte die Ohren.
Hinter der Wegbiegung sah sie das Unglück. Halb die Böschung hinabgestürzt lag eine Kutsche auf der Seite, davor stapfte ein uniformierter Mann hektisch auf und ab. Das Kutschenpferd versuchte, wieder auf die Beine zu kommen und sich von der gebrochenen Deichsel zu befreien.
Zögernd ließ sich Helena aus dem Sattel gleiten und rutschte auf dem nassen Laub bis zur Unglücksstelle hinunter.
»Endlich! Gottlob und Dank!«, entfuhr es dem Mann, als er sie sah. Er war gekleidet in ein dunkelblaues Justaucorps, ein Beamter vermutlich, kein Soldat.
Auf ihre rasche Annäherung reagierte das Kutschenpferd panisch und setzte ausreichend Kräfte frei, um sich aufzurappeln und die Böschung hinaufzugaloppieren. Da scheute ihr eigenes Pferd, angesteckt von dieser Flucht, und noch ehe sichs Helena versah, waren beide Tiere auf und davon. Sie verfluchte sich maßlos dafür, angehalten zu haben, doch der flehende Blick des Mannes machte ihr deutlich, wie dringend Hilfe gebraucht wurde.
»Die Fürstin … bitte, schnell! Hätten wir doch nur einen Vorreiter gehabt. Es ging alles so plötzlich! Das Pferd hat gescheut, und der Wagen kam aus der Spur. Ich konnte abspringen, aber der Kutscher …« Der schmalgesichtige Mann bekreuzigte sich in die Richtung, wo man ein Bein unter der Kutsche hervorragen sah. »Ich befürchte, er hat es nicht überlebt.«
Helena atmete tief durch. »Bitte beruhigen Sie sich. Wir müssen die Verletzte aus der Kutsche ziehen!«
Das Unglücksgefährt sah von außen recht unversehrt aus, doch wie schwer mochten die Verletzungen der Fürstin sein? Plötzlich kam es ihr merkwürdig vor, dass sich in dieser schlichten Kutsche eine Fürstin befinden sollte.
Doch sie hatte keine Zeit nachzudenken. Der Mann kletterte auf die Kutsche, und nur einen Augenblick später hatte er die schmale Tür geöffnet. Sein Aufschrei beseitigte jeglichen Zweifel in ihr, helfen zu müssen. Sie kletterte ebenfalls auf das Gefährt, kniete sich hin, und mit vereinten Kräften zogen sie die Ohnmächtige aus der Kutsche.
Das Gesicht der älteren Frau war von einer Platzwunde an der Stirn blutverschmiert, die Spur zog sich hinein in die schwarzen Locken der Hochsteckfrisur, über die fülligen Wangen den Hals hinab bis an die wunderschöne Perlenkette. An der Schulterpartie hatte das glänzende Kleid aus blauem Tuch ebenfalls Blutflecken abbekommen
Der Mann, von sehniger, aber nicht übermäßig kräftiger Statur, trug die Dame keuchend und schweren Schrittes hinauf auf den Waldweg. Helena lief nebenher und versuchte, sich ein Bild von der Verletzung zu machen. Die Fürstin hielt die Augen geschlossen, aus ihrem Gesicht war jegliche Farbe gewichen.
Sanft bettete der Träger den scheinbar leblosen Körper auf den Erdboden. Sofort kniete sich Helena nieder. Ihre Fingerkuppen berührten die kühle Haut am Hals der Frau. Unvermittelt spürte sie ein schwaches Pochen. Viel zu schwach. Die schmalen Lippen der Verletzten verfärbten sich blau. Intuitiv hielt Helena eine Hand dicht über Mund und Nase. Kein warmer Hauch, der an ihren Fingerspitzen kribbelte; der Brustkorb ohne Bewegung. Helena schickte ein Stoßgebet zum Himmel und beugte den Kopf der Verletzten vorsichtig in den Nacken. Kurz bevor sie ihren Mund auf den der Fürstin legte, sah sie noch einmal zu dem Mann auf.
Der starrte sie entsetzt an. »Was … was tun Sie da?«
Helena gab keine Antwort. Sie holte tief Luft, legte ihre Lippen auf die der Fürstin und atmete aus, bis sie spürte, dass sich der Brustkorb der Verletzten hob. Helena versuchte es noch einmal. Bitte, bitte …
Ein Zucken durchlief den Körper der Frau. Helena wich zurück und konnte die Verletzte gerade noch zur Seite drehen, bevor diese zu husten begann und sich erbrach. Noch nie war Helena über einen derartigen Anblick so glücklich gewesen.
»Geschafft!« Sie lehnte sich zurück und strahlte den Mann an.
Dieser bekreuzigte sich und schüttelte fassungslos den Kopf. »Gott bewahre! Was … was haben Sie da getan? Das ist Zauberei! Grundgütiger!«
Helena ließ die Schultern hängen: »Das ist keine Zauberei, das ist eigentlich ganz einfach. Man kann durch den eigenen Atem zur rechten Zeit wieder Leben spenden und …«
Er unterbrach sie mit erhobener Hand. »Schweigen Sie still! Davon will ich nichts hören! Wer sind Sie überhaupt? Wo kommen Sie her?«
»Ich heiße Helena. Helena Fechtner. Und ich komme … Nun … Ich bin auf dem Weg nach Halle.« Sie beugte sich über die schwer atmende Frau, in die zusehends das Leben zurückkehrte. Sie hatte gerade das Leben einer Fürstin gerettet. Doch es keimte kein Stolz in ihr auf, nur Unsicherheit. Sie war doch nur eine einfache Hebamme.
Helena richtete sich auf und klopfte sich das Kleid ab. »Es ist wohl besser, wenn ich jetzt weiterziehe.« Traurig dachte sie an den Verlust ihres bisher so treuen Pferdes und hoffte, es im Laub stöbernd hinter der nächsten Wegbiegung aufzufinden.
Der Mann sah sie nachdenklich an. Seine großen Augen wollten nicht so recht zu den asketischen Gesichtszügen und der langen, leicht gekrümmten Nase passen. Sein Blick war freundlich, eigentlich war er ein Mensch von jener Art, den man nur ansehen musste, dass es einem ein Lächeln entlockte. »Warten Sie! Die Fürstin würde mir wohl nicht verzeihen, wenn ich Sie ohne Dank von dannen ziehen ließe. Gestatten Sie, dass ich mich vorstelle: Mein Name ist Sebastian von Moltzer, Stiftskanzler. Wir stehen in Ihrer Schuld. Sie werden bei uns im Damenstift etwas zu essen erhalten und, wenn Sie wünschen, auch ein Nachtlager.«
»Damenstift?«, fragte Helena. »Nein, machen Sie sich keine Umstände. Ich habe gerne geholfen, und nun muss ich weiter! Zudem möchte ich nicht, dass die Fürstin für mich eine Unterkunft anordnet.«
»Keine falsche Bescheidenheit, bitte!« Der Stiftskanzler lachte. »Außerdem hat das nichts mit Anordnung zu tun. Als Äbtissin des Damenstifts kann sie das höchstselbst entscheiden.«
»Äbtissin? Ich denke, diese Frau ist eine Fürstin? Sie haben es doch selbst gesagt! Oder seit wann tragen Äbtissinnen blauseidene Kleider und Perlen um den Hals?«
»Sie glauben also, ich würde Ihnen falsche Geschichten auftischen?« Sebastian von Moltzer runzelte missbilligend die Stirn. »Ihr Pferd hat sich aus dem Staub gemacht. Wenn Sie alsdann glauben, Ihr Ziel auch zu Fuß zu erreichen, so kann ich Sie nicht daran hindern. Ansonsten bleiben Sie heute Nacht besser bei uns, ich werde jetzt Hilfe holen, und morgen früh kümmern wir uns um ein Pferd für Sie.«
Helena rang mit sich. Dieser Sebastian von Moltzer hatte wohl recht. Es wäre vernünftiger, die Nacht in Sicherheit zu verbringen. Andernfalls müsste sie sich wie Freiwild durch die Wälder schlagen. Zu Fuß, ohne Schutz. Und wenn man ihr im Stift tatsächlich ein Pferd leihen würde, käme sie sicher und gestärkt in Halle an. Aber konnte sie diesem Sebastian vertrauen? Helena richtete ihren Blick auf ihn.
Er hatte sie die ganze Zeit über aufmerksam beobachtet und streckte ihr nun seinen wollenen Umhang entgegen. »Warten Sie hier bitte auf mich. Ich kann die Fürstin nicht alleine zum Stift schaffen. Holen Sie Decken aus der Kutsche und wickeln Sie die Verletzte darin ein. Ich werde ihren Leibarzt zu Hilfe holen.«
»Zu Fuß?«, fragte Helena ungläubig, doch da hatte sich Sebastian bereits auf den Weg gemacht.
»Es bleibt uns keine andere Wahl«, rief er über die Schulter zurück.
Mit einem unbehaglichen Gefühl blieb Helena bei der Fürstin zurück.
Die hoch stehende Mittagssonne machte ihr bewusst, wie lange sie schon auf dem Baumstumpf kauerte und auf die Rückkehr des Stiftskanzlers wartete. In den vergangenen fünf Stunden hatte sie den Blick nicht von der Wegbiegung genommen Jetzt füllten sich ihre Augen mit Tränen. Wie hatte sie so töricht sein können?
Der Hunger nagte unerbittlich in ihr. Sie hielt ihre Knie umschlungen und horchte auf das Vogelgezwitscher. Ein Waldkäuzchen schrie auf. Helena befeuchtete ihre Lippen, sammelte den Speichel in ihrem Mund und dachte beim Schlucken an einen randvollen Becher Wasser. Wäre sie zu Fuß weitergegangen, wäre sie wohl längst an ein Gehöft gelangt, wo sie Hilfe für die Frau gerufen und Unterschlupf bekommen hätte. So saß sie mitten im Wald, den toten Kutscher in der Nähe wissend und die reglos in braune Decken eingehüllte Verletzte neben ihr. Helena beugte sich in kurzen Abständen vor, um den Puls an ihrem Hals zu fühlen. Die Frau war bei Bewusstsein, doch so erschöpft, dass sie nach einem kurzen Öffnen der Augenlider stets wieder einschlief. Es zerriss Helena fast das Herz, nicht mehr für die Frau tun zu können, außer bei ihr zu sitzen und über sie zu wachen.
Da knackten Zweige hinter ihr. Helena fuhr herum und schaute den Waldhang hinauf. Mit Herzklopfen wartete sie darauf, dass Sebastian, obwohl sie ihn aus dieser Richtung eigentlich nicht vermutete, hinter einem der Bäume hervorkam. Es raschelte unter dem dichten Laub. Ein Tier, dachte Helena und ließ vor Enttäuschung ihren Kopf auf die Knie sinken.
Warum nur hatte sie sich auf das Warten hier eingelassen? Woher hatte sie die Sicherheit genommen, sich auf die Worte von Sebastian verlassen zu können?
Ein Schnauben hallte durch den Wald, und Hufschläge ertönten. Als die Kutsche hinter der Wegbiegung hervorkam, winkte ihr Sebastian freudig aufgeregt entgegen.
In sanftem Bogen fuhren sie auf das Quedlinburger Stift zu, das in kühler Würde auf einem Sandsteinfelsen thronte.
Sebastian war zwar ohne einen Leibarzt, aber mit Kutsche und zwei Dienern zurückgekehrt. Während sich das holprige Gefährt in strenger Geschwindigkeit dem dunklen Gemäuer näherte, sah Helena aus dem Kutschenfenster. Sie musterte ihre mögliche Schlafstätte mit gemischten Gefühlen. Ohne die schlichte, aber beeindruckend große Kirche hätte man das schmucklose Gebäude durchaus für eine Burganlage halten können, zumal der weithin sichtbare Turm eher einem Wehrturm ähnelte. Umgeben wurde das Stift von einer trutzigen Mauer, in deren Schatten sich die Wohnhäuser an den Berg drängten.
Die Hufe der Pferde hallten über das Steinpflaster, als sie die Auffahrt hinauf durch das Schlosstor fuhren und in einem kleinen Innenhof hielten, wo mit Mühe zwei Kutschen nebeneinander Platz fanden.
Während man die Verletzte unter den entsetzten Blicken der Stiftsbediensteten in ihre Gemächer trug, blieb Helena unbeachtet in der Kutsche zurück. Sie spähte aus dem Fenster und rutschte nervös auf der Bank hin und her. Als sie langsam zur Überzeugung gelangte, man habe sie vergessen, kam Sebastian zurück und bat sie, ihm zu folgen.
Sein schlanker, drahtiger Körperbau und die hohen Wangenknochen erinnerten sie an einen asketischen Mönch, der aufrecht und besonnen daherschritt. Keine Spur von Eile in dem forschen, aber in sich ruhenden Gang.
Sie betraten den vorderen Teil des hufeisenförmigen Gebäudes und gelangten in einen halbdunklen Vorraum, in dem Porträts von Damen mit strengem Gesichtsausdruck hingen. Eine schmale, leicht gewundene Holztreppe führte in das erste Stockwerk hinauf, und vor der Flügeltür legte Sebastian den Zeigefinger auf seine Lippen. Bisher war kein Wort zwischen ihnen gefallen, und Helena hielt die Luft an, um tatsächlich jegliches Geräusch zu vermeiden.
Bereits in Verbeugung verharrend, klopfte Sebastian an, und auf ein dünnstimmiges ›Herein‹ hin drückte er die Türklinke nieder.
Über Sebastians Schulter hinweg sah Helena in einen kleinen Raum hinein, in dem dunkelblaue Samtvorhänge das Licht aussperrten und lediglich zwei üppige Kerzenleuchter die Bettstätte erleuchteten. Die Fürstin saß bleich, gestützt durch etliche Kissen im Rücken und beschirmt von einem einfachen Baldachin, in einem schmalen, keineswegs fürstlichen Bett.
»Gott zum Gruße …«, beschied ihr die Verletzte mit schwacher Stimme und winkte sie heran. »Wie ist dein Name?«
»Helena … Helena Fechtner«, gab sie verbunden mit einem Knicks zur Antwort; noch immer wusste sie nicht, wen genau sie vor sich hatte. Doch diese Respektsbezeugung erschien ihr in jedem Fall angebracht.
»Willkommen im kaiserlichen freien weltlichen Damenstift zu Quedlinburg, liebe Helena. Mein Name ist Sophie Albertine, Prinzessin von Schweden und Fürstäbtissin dieses Hauses, seit nunmehr fünfzehn Jahren«, stellte sie sich mit hörbarem Akzent vor. Sie holte tief Luft, um unter sichtlicher Anstrengung weitersprechen zu können. »Bitte gib mir zu wissen, was du zu meiner Rettung beigetragen hast.«
Helena schilderte ihr Vorgehen mit knappen Worten und ohne viel Aufhebens. Schließlich war sie nur eine einfache Hebamme, die das Leben einer Gebärenden retten konnte. Das war gar nicht so schwer, wenn man nur ein paar neue Regeln beachtete. Ihr jedenfalls war noch keine Gebärende unter den Händen weggestorben, und sie war stolz auf jede der gelungenen Geburten. Die Fürstäbtissin verlangte nach ihrer Lorgnette, um Helena eingehend zu betrachten. Kurz darauf ließ sie, anscheinend befriedigt, ihre Hand mit der Lesehilfe wieder sinken.
Helena blieb unschlüssig stehen. Außer ihr befand sich nur noch eine Zofe im Raum, die offenbar nur mühsam den Anblick der Verletzten ertragen konnte. Denn kaum hatte die Fürstin die Augen wieder geschlossen, drückte das kreidebleiche Mädchen Helena gleichermaßen als Aufforderung das blutbefleckte Tuch in die Hand und machte sich stattdessen daran, die Reisetruhen auszuräumen. Helena trat näher an das Krankenbett und tupfte sorgsam die Wunde ab.
»Ihr Leibarzt kommt bestimmt gleich«, flüsterte sie, auch zu ihrer eigenen Beruhigung. Die Standuhr neben dem weißen Kachelofen zeigte die zweite Mittagsstunde. Helena beobachtete die verschnörkelten Uhrzeiger; das einzig verspielte Detail im Raum – abgesehen von der geflochtenen Goldborte aus Stein, die die Fensterrahmen verzierte und sich von dort an der Wand entlang bis zu einer Nische rankte, in der ein als Toilette dienender Holzkasten stand. In die dortige Ecke hatte sich das Dienstmädchen zurückgezogen, wo sie nun von einem Fuß auf den anderen trat. Sebastian hingegen hatte den Raum verlassen und sich erneut auf die Suche nach dem Leibarzt begeben.
Helena beobachtete die alte Dame mit Sorge. So langsam müsste die Wunde ordentlich versorgt werden, sonst würden sich Gifte unter der Kruste einschließen. Aber was sollte sie tun? Sie hatte keine Medizin bei sich. Und selbst wenn … Wüsste sie, wie man Stirnwunden behandelte? Natürlich wusste sie es. Sie traute es sich nur nicht zu, wenn – wie in diesem Fall – ihre Hilfe als Zauberei angesehen wurde. Helena seufzte. Man schrieb zwar das Jahr 1802, und die Aufklärer priesen den Fortschritt, aber es blieb wie so häufig eben nur beim Glauben daran. In Wahrheit herrschte in den Köpfen der Menschen oft noch finsterstes Mittelalter.
Helena beugte sich besorgt über die Fürstin, die jetzt vor Schmerzen wimmerte, und versuchte, ihren Kopf so angenehm wie nur möglich zu betten. Leider hatte das schöne Kleid einige Blutflecken abbekommen – andererseits besaß die Fürstin sicher unzählige Roben, sodass es auf eine weniger nicht ankam. Ganz anders sah es da in ihrem eigenen Kleiderschrank aus, sofern man ihre Truhe überhaupt als solchen bezeichnen konnte. Auch der Hunger war im Haus der Großmutter ein täglicher Gast gewesen, denn die Armut, verursacht durch Getreidepreise so hoch wie Scheunentore, nährte lediglich die Hoffnung auf eine bessere Zeit.
Eine Erlösung erhoffte man sich aus dem revolutionären Frankreich. Angefangen hatte es 1792, als Helena gerade neun Jahre alt geworden war. Sie hatte damals noch nicht gewusst, was das Wort Krieg bedeutete, und schon gar nicht, warum die Französische Republik den Preußen und Österreichern den Krieg erklärt hatte. Aber im Laufe der vergangenen elf Kriegsjahre hatte sie genug Zeit gehabt zu verstehen, was die französischen Aufklärer mit Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit meinten. Demnach erhofften sich viele ein sorgenfreies Leben ohne Abgaben, Herrschaften und Gerichte und wünschten sich sehnlichst, dass bald das französische Heer in ihre Stadt kommen möge, um dort das verlorene Paradies zu schaffen. Plündernde Soldatentruppen, Brandschatzung, Vergewaltigungen und ein selbstherrlicher Napoleon waren der Preis, den die Menschen, ohne laut zu murren, dafür bezahlten.
Behutsam tupfte Helena die Wunde der alten Dame ab. Als Fürstin hielt sie mit Sicherheit nicht viel von der Revolution, ebenso wenig wie die Herrscher von Preußen und Österreich. Schließlich hatten sie alle Angst, ihre Macht zu verlieren, sollte sich die Pest des Aufstandes im Deutschen Reich ungehindert ausbreiten.
Doch der Glanz einer freudvollen neuen Ära leuchtete von der Französischen Republik aus für manche Bauern derart verführerisch herüber, dass man dafür sogar noch die grünen Wiesen und Weiden hergab, die sich unter dem Druck von Soldatenstiefeln und Pferdehufen in schlammige Äcker verwandelt hatten. Statt der Feldfrüchte säumten nun blutgetränkte Stofffetzen den Weg, und als Gastgeschenk fand ein Bauer hie und da eine Leiche auf seinem Acker vor, die, wenn er Glück hatte, noch nicht von aller wertvollen Habe säuberlichst befreit worden war.
Doch in letzter Zeit war die Kriegseuphorie dem Schrecken gewichen. Man warf angstvolle Blicke auf Napoleon, der die Französische Revolution kurzerhand für beendet erklärt hatte und nun kein geringeres Ziel kannte, als sich zum Herrscher Europas aufzuschwingen. Kein Gegner war ihm zu mächtig. Sein Land Frankreich sollte von einem Lorbeerkranz bezwungener und damit abhängiger Staaten umgeben sein. Er fegte seine Gegner wie Figuren vom Schachbrett, und jeder versuchte ihm verzweifelt auszuweichen, solange er noch konnte.
Helena war in Gedanken versunken, als die Tür aufflog. Herein trat ein beleibter Mann mit weißer Zopfperücke, elegant bekleidet mit einem dunkelroten Gehrock mit goldenen Knöpfen, passendem Halstuch und blank polierten Schnallenschuhen, so als sei er auf ein Festbankett geladen. Selbstgefällig stützte er sich auf seinen Spazierstock und betrachtete hoch erhobenen Hauptes die Szenerie.
»Wohlan, welches Zipperlein hat die gnädige Fürstin ereilt? Ein wenig Kopfweh, ein blaues Flecklein oder gar eine Schürfung, und nun brauchen Gnädigste ein Heftpflästerlein?«
Entgeistert starrte Helena den stattlichen Mann an. In diesem Ton trat man doch nicht an das Bett einer Kranken! Und schon gar nicht an das einer Fürstin!
Der Leibarzt blieb in einiger Entfernung stehen. Offensichtlich wollte er sich nicht einmal die Mühe machen, die Kranke zu untersuchen.
Helena schluckte, atmete tief durch und versuchte, ihrer Stimme einen besonders festen Klang zu geben: »Die ehrenwerte Fürstin hatte einen schweren Unfall, bei dem sie eine Platzwunde davongetragen hat. Diese ist zu groß für ein Heftpflaster. Damit es eine schöne kleine Mase gibt, müsste man wohl etwas Gummi arabico auf die Wunde geben, auf dass diese gut verklebe. Zudem wäre ein Kräutersäcklein aus Oregano, Majoran, Rosmarin, Lavendel und Rosenblättern hilfreich, in Wein gekocht, ausgedrückt und so heiß auf die Wunde gelegt, als es die Fürstin vertragen kann.«
»Tatsächlich?« Der Leibarzt setzte seinen Zwicker auf. »Ein Weibsbild! Tatsächlich! Was haben Sie da eben gesagt?«
»Ich sagte, ich bräuchte Gummi arabico und ein Kräuter…«
»Ja, sind wir denn hier im Tollhaus? Auch am Krankenbette hat ein Weib sein Maul zu halten!« Der Leibarzt holte tief Luft, sodass sich die Knopfleiste seines Gehrocks gefährlich dehnte. »Seeebastian? Sebastian! Komm sofort herein! Lass dich nicht zweimal bitten! Du horchst doch ohnehin!«
Zaghaft öffnete sich die Tür.
»Da bist du ja endlich! Ruf mir den elenden Chirurgen vom Münzenberg, er muss mal wieder zur Ader lassen. Einmal müssen bei unserer gnädigen Fürstäbtissin Gifte entzogen werden, und bei diesem jungen Weib hier sind die Säfte durcheinandergeraten. Sie führt sich auf wie ein Mannsbild.«
Helena konnte nur sprachlos dasitzen und den Leibarzt anstarren.
»Sebastian?«, ließ sich die Fürstin leise vernehmen. »Komm bitte näher.« Sie stützte sich im Bett auf und wartete, bis der Stiftskanzler an ihrer Seite stand. Mit schwacher Stimme sprach sie weiter. »Ist es wirklich wahr, dass mir dieses Mädchen das Leben gerettet hat, so wie sie es gesagt hat?«
»Ja, also, nun ja, sie hat … Wie soll ich sagen …« Sebastian vermied es, die Fürstäbtissin anzusehen.
»Willst du sagen, sie hat etwas getan, was sich dein Verstand nicht erklären kann? Sie hat mir mit ihrem Atem neues Leben eingehaucht, nicht wahr?«
Der Leibarzt stieß ein pfeifendes Geräusch aus. »Bei allem, was mir heilig ist! Eine Hexe! Ich habe es gleich gewusst. In unserem Haus! Eine Wahnsinnige! Das Weib muss sofort verschwinden, bevor noch etwas Schreckliches passiert!«
Die Fürstin versuchte sich vollends aufzusetzen und wandte sich ihrem Leibarzt zu. »Ganz recht, mein lieber Äskulap, ganz recht. Das Halbwissen dieses Mädchens ist sehr gefährlich. Darum ist es wirklich besser, wenn …«
Entsetzt ließ Helena die Hand der Fürstin los.
»… wenn Sie, lieber Äskulap, sich um das Mädchen kümmern. Sie wird bei uns bleiben und von Ihnen in der Heilkunst unterrichtet werden. Auf das Gründlichste, wir verstehen uns? Dann kann sie niemandem mehr Schaden zufügen, ganz, wie Sie es gefordert haben.«
Ungläubig schaute Helena zwischen den beiden hin und her. Hatte sie da eben richtig gehört?
Der Leibarzt lockerte sein rotes Halstuch und reckte das Kinn. »Das hat es ja noch nie gegeben! Wie stellen sich Gnädigste das vor? Ich kann doch kein Weib ausbilden!«
»So?« Die Fürstin lächelte müde. »Ich wusste nicht, dass Ihre Kenntnisse dazu nicht ausreichen. Dann müssen wir uns wohl einmal über Ihr wahrhaft fürstliches Salär unterhalten.«
»Aber, das ist doch … Natürlich weiß ich das Weib auszubilden, allerdings …« Er hielt inne und schob seine weiße Zopfperücke zurecht.
»Ich verstehe schon. Sie sind sehr beschäftigt.«