[*]
Ich spreche hier von einer neuen Zivilisation und nicht davon, dass die Zivilisation Fortschritte macht. Ich halte es für zu gefährlich, mit jenem tückischen Spielzeug zu hantieren, das sich Fortschritt nennt.
[*]
Und im Übrigen hören sie zumeist rasch damit auf, die Freiheit zu verteidigen, sobald es gefährlich wird.
[1]
Gabriel Audisio (1900–1978), französisch-algerischer Schriftsteller und Dichter, der in seiner literarischen Arbeit dem Reichtum und der Vielfalt der mediterranen Identität Ausdruck gab.
[1]
André Mandouze (1916–2006), antikolonialistisch engagierter katholischer Historiker.
[2]
Emmanuel Mounier (1905–1950), katholischer Philosoph, Gründer der Zeitschrift Esprit.
[3]
Maurice Schumann (1911–1998), christdemokratischer Intellektueller, später mehrfach Minister unter Georges Pompidou.
[4]
In der deutschen Übersetzung ist das Spiel mit dem Namen der Vereinigung Amitié française und seiner wörtlichen Bedeutung (französische Freundschaft) naturgemäß nur unvollkommen wiederzugeben.
[5]
Nach seiner Ankunft in Paris Anfang 1940 arbeitete Camus kurzfristig als Redaktionssekretär bei der Tageszeitung Paris-Soir. Er verließ die Zeitung nach dem Waffenstillstand vom Juni 1940 und dem folgenden Exodus aus Paris, ohne dort einen einzigen Artikel veröffentlicht zu haben. Die Tageszeitung Combat, deren Chefredakteur Camus 1944 wurde, verstand sich als Gegenentwurf zur französischen Vorkriegspresse, die Camus als sensationslüstern und opportunistisch ansah und für die er Paris-Soir als Beispiel heranzog.
[1]
Pseudonym von Jean Bruller (1902–1991). Der französische Schriftsteller und Widerstandskämpfer verfasste 1942 die emblematische Erzählung Le silence de la mer (Das Schweigen des Meeres) über die deutsche Besetzung Frankreichs.
[2]
Pseudonym von Leon Motchane (1900–1990). Der Mathematiker und spätere Gründungsdirektor des Forschungsinstituts IHES gehörte mit Vercors zur Widerstandsgruppe um den Verlag Éditions de Minuit.
[3]
US-amerikanische Fotografin und Autorin (1905–1997).
[1]
Vom 25. März bis zum 18. August 1946 tagte der Sicherheitsrat der UNO in New York. Etwa zwanzig Sitzungen fanden im Hunter College (ab 1968 Lehman College) in der Bronx statt.
[1]
Die beiden letzten Absätze sind angefügt nach der englischen Übersetzung des Textes, die im Juli 1946 in Vogue erschien.
[1]
Camus und Maurice Merleau-Ponty hatten sich überworfen, nachdem im Oktober 1946 der erste Teil von Merleau-Pontys dreiteiligen Essays Le Yogi et le Prolétaire in Les Temps modernes erschienen war. Camus warf Merleau-Ponty vor, sich mit seiner ironischen Erwiderung auf Arthur Koestlers Essaysammlung Der Yogi und der Kommissar (1945, frz. Le Yogi et le Commissaire, Paris: Charlot 1946) einer Rechtfertigung der Moskauer Prozesse angenähert zu haben. Koestler und Camus verband eine gegenseitige Wertschätzung, die durch gemeinsame Überzeugungen verstärkt wurde: 1957 veröffentlichten sie gemeinsam den Band Réflexions sur la peine capitale (Betrachtungen über die Todesstrafe). – Eine deutsche Übersetzung von Camus’ Beitrag zu dem Band findet sich in Albert Camus, Fragen der Zeit, übers. v. Guido G. Meister, Reinbek: Rowohlt 1960.
[2]
Während der Besatzungszeit gründete Marcel Barbu (1907–1984), der in Valence eine Fabrik für Uhrgehäuse betrieb, eine Arbeiter-Gemeinschaft und übertrug die Eigentumsrechte an seinem Unternehmen an die Beschäftigten. Über den gemeinsamen Besitz der Produktionsmittel und die Vergemeinschaftung der Einkünfte hinaus versuchte die Barbu-Gemeinschaft das Ideal eines Zusammenlebens zu verwirklichen, das die Familie und alle materiellen, moralischen, kulturellen und geistigen Aspekte des Lebens umfasste. Nach dem Krieg wurde Barbu zum Deputierten des Départements Drôme gewählt und legte in der Nationalversammlung mehrere Gesetzentwürfe zur Errichtung von Arbeitergenossenschaften vor, für die er jedoch keine Unterstützung fand. Häufigem Spott von Seiten anderer Abgeordneter ausgesetzt, legte er im Juni 1946 sein Mandat nieder.
[1]
Jean Amrouche gründete im Februar 1944 in Algier mit Unterstützung von André Gide die Zeitschrift L’Arche. In ihrer dreizehnten Ausgabe erschien Camus’ Essay Le Minotaure ou la Halte d’Oran (dt. Der Minotaurus, in: Hochzeit des Lichts, übers. v. Peter Gan u. Monique Lang, Arche: Hamburg–Zürich 2010).
[2]
Der in Algier ansässige Verlag Éditions Charlot, benannt nach seinem Gründer Edmond Charlot, veröffentlichte die ersten Werke von Albert Camus, darunter L’Envers et l’Endroit (Licht und Schatten) und die Essaysammlung Noces (Hochzeit des Lichts).
[3]
Zitat aus T.E. Lawrence, The Seven Pillars of Wisdom (1926, dt. Die sieben Säulen der Weisheit).
[1]
1944–1945 entbrannte über die Frage des Umgangs mit jenen Franzosen, die während der Besatzung mit den Deutschen kollaboriert hatten, eine lebhafte Polemik zwischen François Mauriac (1885–1970) und Albert Camus. Während Mauriac im Figaro seine Bedenken gegen die Tendenz zu einer «Volksjustiz» äußerte, argumentierte Camus in Combat, um eine Wiedergutmachung herbeizuführen, sollte mit der kompromittierten Führungsschicht «ohne Hass, aber unnachsichtig» verfahren werden.
[2]
Der Philosoph, Dramatiker und Theaterkritiker Gabriel Marcel (1889–1973) hatte Jean-Paul Sartres Stück Morts sans sépulture (Tote ohne Begräbnis) mit der Begründung kritisiert, die dort dargestellte Folter verletze das Schamgefühl des Publikums. Marcel forderte ein Verbot des Stücks in Paris, nachdem es bei einer Aufführung in Kopenhagen zu Zwischenfällen gekommen war (Les Nouvelles littéraires, 10. November 1946).
[3]
In dem Artikel Sauver les corps (Die Leiber retten), der in der Serie Ni victimes, ni bourreaux (Weder Opfer noch Henker) in Combat (19.–30. November 1946) erschienen war.
[4]
Mouvement républicaine populaire. Französische christdemokratisch-zentristisch orientierte Partei, die in der unmittelbaren Nachkriegszeit einflussreich war, jedoch in den 1950er Jahren zunehmend an Bedeutung verlor.
[5]
Das Viertel um die Pariser Kirche Saint-Sulpice galt lange als Hochburg eines reaktionären und bigotten Katholizismus.
[6]
Georges Duhamel (1884–1966), französischer Romancier und Dramatiker, der seit den 1930er Jahren den Status einer moralisch-literarischen Institution hatte, den Camus jedoch eben deshalb mit spöttischer Distanz betrachtete.
[1]
Wochenzeitung des Rassemblement du peuple de France (RPF, Sammlungsbewegung des französischen Volkes), der Partei de Gaulles. Chefredakteur von Le Rassemblement war Albert Ollivier (1915–1964), ein ehemaliger Kollege von Camus bei Combat.
[1]
Die von Albert Béguin, Albert Camus, René Char, Guido Meister und Jean Vagne gegründete Monatszeitschrift Empédocle erschien von April 1949 bis Juli/August 1950.
[2]
Charles Peguy (1873–1914), französischer Schriftsteller und Polemiker, fiel 1914 in einer der ersten Schlachten des Ersten Weltkriegs.
[1]
Vgl. Die Krise des Menschen, III: «Die Franzosen der Résistance, die ich kannte und die in den Zügen, in denen sie ihre Flugblätter transportierten, Montaigne lasen, bewiesen, dass man – zumindest bei uns – die Skeptiker schätzen und zugleich einen Begriff von Ehre haben konnte.»
[1]
1949 veröffentlichte Camus postum Simone Weils Schrift L’Enracinement (Die Verwurzelung) in der von ihm herausgegebenen Reihe Espoir bei Gallimard. Er reformuliert hier verkürzt den folgenden Satz: «Dass dieses Dogma [der Fortschritt] so gut den Tatsachen zu entsprechen scheint, liegt im Übrigen nur daran, dass der historische Geist darin besteht, den Mördern aufs Wort zu glauben.»
[1]
Herbert R. Lottman führt diese Anekdote in seiner Camus-Biographie (1978, dt. Camus. Eine Biographie, Hamburg: Hoffmann und Campe 1986, S. 388) an: «[In einem Restaurant] hatten deutsche Offiziere zugehört, wie sich junge Franzosen an einem anderen Tisch über Philosophie unterhielten. Einer der jungen Franzosen hatte gesagt, dass keine Idee es wert wäre, dafür zu sterben. Die Deutschen riefen ihn an ihren Tisch, und einer von ihnen setzte ihm eine Pistole an die Stirn und forderte ihn auf, das eben Gesagte noch einmal zu wiederholen, und er wiederholte den Satz. Der Offizier gratulierte ihm: ‹Ich glaube, ich habe damit bewiesen, dass Sie im Irrtum sind. Sie haben gerade gezeigt, dass es bestimmte Ideen gibt, für die es sich lohnt zu sterben.›»
[2]
Arthur Schopenhauer, Aphorismen zur Lebensweisheit IV, Von Dem, was Einer vorstellt (Parerga und Paralipomena I, 1851).
[1]
Montaigne, Essais III, 11, Des boiteux (Von den Hinkenden).
[2]
«Poets are the unacknowledged legislators of the world.» Percy Bysshe Shelley, A Defense of Poetry (1821).
[1]
Philippe Pétain, «le maréchal Pétain» (1856–1951) war 1940–1944 der «Staatschef» des mit den Deutschen kollaborierenden südfranzösischen État français.
[2]
Serrano Súñer (1901–2001) war Innenminister der Franco-Regierung von 1938 bis 1940 und anschließend von 1940 bis 1942 Außenminister. Als hochrangiger Vertreter des Franco-Regimes organisierte er das Treffen zwischen Hitler und Franco, das am 23. Oktober 1940 in der französischen Grenzstadt Hendaye stattfand.
[3]
Die Hochebene von Glières im Bornes-Massiv in den französischen Voralpen war eine Hochburg der Résistance. Bei einem Großangriff der Wehrmacht Ende März 1944 wurden hier mehr als einhundert Widerstandskämpfer getötet.
[4]
Jacinto Benavente y Martínez (1866–1954), spanischer Schriftsteller, der mehr als hundertfünfzig Theaterstücke verfasste und 1922 den Literaturnobelpreis erhielt.
[5]
Die von dem Dramatiker und Karikaturisten Henry Monnier (1799–1877) geschaffene Figur des Monsieur Prudhomme verkörperte den konformistischen und seine geistigen Fähigkeiten grotesk überschätzenden Kleinbürger des 19. Jahrhunderts.
[6]
Die 1911 gegründete, anarchosyndikalistisch ausgerichtete CNT (Confederación Nacional del Trabajo) war Anfang des 20. Jahrhunderts die bedeutendste Gewerkschaft Spaniens.
[7]
Die katholisch-franquistische Zeitung Redención (Erlösung), die von 1939–1978 erschien, war speziell zur «Umerziehung» der republikanischen Gefangenen in den spanischen Gefängnissen ins Leben gerufen worden.
[8]
Zu Miguel de Unamuno vgl. die Einleitung zu Spanien und der Donquijotismus.
[9]
Pedro Rocamora (1911–1993) war zu dieser Zeit Generaldirektor der Propagandaabteilung im Untersekretariat für Volkserziehung, das dem Bildungsministerium der franquistischen Regierung unterstellt war.
[10]
«Wahrheit diesseits, Irrtum jenseits der Pyrenäen.»: «Vérité en deçà des Pyrénées, erreur au-delà» (Blaise Pascal, Pensées).
[11]
Der Arbeiter und Journalist José Peirats Valls (1908–1989) war Sekretär der CNT und Redakteur der anarchosyndikalistischen Zeitung Solidaridad Obrera. Nach dem Sieg Francos ging er ins Exil und veröffentlichte Anfang der 1950er Jahre ein Standardwerk über den spanischen Anarchosyndikalismus, La CNT en la revolución española.
[12]
Im März 1951 weitet sich in Barcelona ein Boykott der Straßenbahnen aus Protest gegen eine Fahrpreiserhöhung zum Generalstreik aus, der die Stadt zwei Wochen lang lahmlegt.
[1]
Artikelserie von Jean Créach in Le Monde im Juli 1951 unter dem Titel Éléments du problème espagnol.
[2]
Vgl. Anm. 43.
[1]
«Il y a de bons mariages, mais il n’y en a point de délicieux.» (La Rochefoucauld, Réflexions ou Sentences et Maximes morales, 113).
[1]
Zu Miguel de Unamuno vgl. die Einleitung zu Spanien und der Donquijotismus.
[2]
Der von Franco gestiftete «Große imperiale Orden der roten Pfeile» war bis zu seinem Tod 1975 die höchste vom spanischen Staat vergebene Auszeichnung.
[3]
Beim Theaterfestival von Angers brachte Camus 1953 eine Fassung von Pedro Calderón de la Barcas La devoción de la cruz (Die Andacht zum Kreuz) auf die Bühne. 1957 inszenierte er dort El caballero de Olmedo (Der Ritter von Olmedo) von Lope de Vega.
[4]
Der liberalkonservative französische Politiker Antoine Pinay (1891–1994), der in den 1950er Jahren verschiedene Ministerämter innehatte, spielte bei der französisch-spanischen Wiederannäherung eine bedeutende Rolle und setzte sich für die Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern ein.
[5]
Anspielung auf den Dichter und Dramatiker Frederico García Lorca (1898–1936), der im Spanischen Bürgerkrieg von franquistischen Truppen erschossen wurde.
[6]
Im Oktober 1935 fielen italienische Truppen in Äthiopien ein und hielten es bis 1941 besetzt.
[7]
Titel von Blatt 39 des 82 Radierungen umfassenden Zyklus Desastres de la guerra (Die Schrecken des Krieges) von Francisco de Goya (1746–1828).
[1]
Camus spielt hier auf den Arbeiteraufstand von Petrograd an, der die russische Februarrevolution von 1917 auslöste.
[2]
Vgl. die Einleitung zu Spanien und die Kultur.
[3]
Der tschechische Historiker, Journalist und Schriftsteller Záviš Kalandra gehörte in den 1920er Jahren der tschechischen kommunistischen Partei an, aus der er 1936 wegen «Trotzkismus» ausgeschlossen wurde. Unter demselben Vorwurf wurde er 1949 verhaftet und 1950 in einem Schauprozess zum Tode verurteilt. Trotz Gnadengesuchen aus der ganzen Welt wurde er am 27. Juni 1953 in Prag gehängt.
[4]
Der Hauptmann der Roten Armee Wiktor Krawtschenko (1905–1966) arbeitete während des Zweiten Weltkriegs bei der sowjetischen Handelskammer in Washington, D.C. 1944 bat er in den USA um politisches Asyl. 1946 rechnete er in seinem Buch I Chose Freedom (Ich wählte die Freiheit. Das private und politische Leben eines Sowjetbeamten) mit dem stalinistischen Regime ab.
[1]
Sozialistische Einheitspartei Deutschlands.
[2]
Das Ehepaar Ethel und Julius Rosenberg wurde 1951 wegen Spionage für die Sowjetunion in den USA zum Tode verurteilt und am 19. Juni 1953 hingerichtet. Ihre Verurteilung und Hinrichtung, die als fragwürdig und politisch motiviert angesehen wurden, lösten weltweite Proteste aus.
[3]
Am 1. Juni 1953 löste ein Streik in den Pilsener Škoda-Werken eine große Protestbewegung in mehreren Städten in der Tschechoslowakei aus. Die Unterdrückung der Erhebung durch Polizei und Armee forderte zwar keine Todesopfer, es wurden jedoch mehr als zweitausend Menschen verhaftet.
[4]
Der in Westberlin wohnhafte Arbeiter Willi Göttling (geb. 1918), der beschuldigt wurde, einer der «Rädelsführer» des Aufstands gewesen zu sein, wurde von einem sowjetischen Kriegsgericht zum Tode verurteilt und am 18. Juni 1953 hingerichtet.
[5]
Der Streik der Arbeiter auf den Baustellen der Ostberliner Stalinallee (ab 1961: Karl-Marx-Allee) stand am Beginn des Aufstands.
[1]
Griechischer Pädagoge und Philosoph (1900–1982).
[2]
Für die Echtheit dieses häufig Voltaire zugeschriebenen Zitats gibt es keinen Beleg.
[3]
José Ortega y Gasset (1883–1955), spanischer Philosoph, Soziologe und Essayist.
[4]
Griechischer Rechtsphilosoph, Schriftsteller und Politiker (1899–1987). Von 1975 bis 1980 war Tsatsos griechischer Staatspräsident.
[5]
Griechischer Romancier und Dramatiker (1906–1966).
[6]
Griechischer Jurist (1903–1998). Schwerpunkt seiner theoretischen Arbeit waren die Bürger- und Menschenrechte.
[7]
Der 1954 veröffentlichte Roman Les Mandarins (Die Mandarins von Paris) von Simone de Beauvoir wurde im selben Jahr mit dem Prix Goncourt ausgezeichnet.
[8]
Der Roman Histoire d’O, den Dominique Aury (eigentl. Anne Cécile Desclos) 1954 unter dem Pseudonym Pauline Réage veröffentlichte, gilt als Klassiker der erotischen Literatur des 20. Jahrhunderts.
[9]
Les Aventures de la dialectique, Paris 1955. Zum Verhältnis von Camus und Maurice Merleau-Ponty vgl. Anm. 12.
[10]
Camus bewunderte Melville als eines der «größten Genies des Abendlandes» (Herman Melville, in: Les Écrivains célèbres, hg. v. Raymond Queneau, 1952).
[11]
Nikos Kazantzakis (1883–1957), griechischer Schriftsteller, Philosoph, Dramatiker und Dichter. Bekannt sind insbesondere seine Romane Alexis Sorbas (1954, dt.v. Alexander Steinmetz, Hamburg: Rowohlt, 1955) und Die letzte Versuchung (1951, dt.v. Werner Krebs, Berlin: Herbig, 1952).
[12]
Margarita Liberaki (1919–2001), griechische Schriftstellerin und Dramatikerin. Zwei ihrer Romane, L’autre Alexandre (Der andere Alexander) und Trois étés (Drei Sommer, keine deutschen Übersetzungen) wurden 1950 und 1953 vom Pariser Verlag Gallimard veröffentlicht.
[1]
Albert Camus betrachtete Jacques Copeau (1879–1949), den Gründer des Theatre du Vieux-Colombier, als einen seiner Lehrmeister. 1937 inszeniert Camus in Algier Die Brüder Karamasow in einer Bühnenfassung von Copeau. Zum zehnten Todestag Copeaus verfasst er für eine Broschüre mit dem Titel Cahier Jacques Copeau (Oktober/November 1959) den Beitrag Copeau, seul maître.
[2]
Jacques Copeau: Un essai de renovation dramatique (Versuch zu einer Erneuerung des Theaters), La Nouvelle Revue française, 1. September 1913.
[3]
Antonin Artaud (1896–1948), französischer Schauspieler und Autor, Theoretiker eines «Theaters der Grausamkeit». Seine Essaysammlung Le Théâtre et son double erschien 1938.
[4]
Der Brite Gordon Craig (1872–1966), Schauspieler, Regisseur und Bühnenbildner, zählt zu den großen Theatertheoretikern des 20. Jahrhunderts.
[5]
Adolphe Appia (1862–1928), Schweizer Bühnenbildner und Regisseur, gilt als einer der Pioniere des modernen Theaters.
[6]
Im März 1937 hatte Camus in Algier mit dem Théâtre du travail eine eigene Bühnenfassung von Aischylos’ Der gefesselte Prometheus aufgeführt.
[7]
So Nietzsche sinngemäß in Die Geburt der Tragödie (1872).
[8]
«My desolation does begin to make a better life» (Shakespeare, Antonius und Cleopatra, V,2).
[9]
André Gides Drama Œdipe wurde 1932 uraufgeführt.
[10]
La guerre de Troie n’aura pas lieu (Der trojanische Krieg findet nicht statt) von Jean Giraudoux wurde am 21. November 1935 in Paris uraufgeführt.
[11]
Die Uraufführung von Henry de Montherlants Stück Port-Royal fand am 8. Dezember 1954 in Paris statt.
[12]
Paul Claudels Partage de midi (verfasst bereits 1905) wurde am 16. Dezember 1948 unter der Regie von Simonne Volterra mit Jean-Louis Barrault in der männlichen Hauptrolle im Pariser Théâtre Marigny uraufgeführt.
[13]
Tête d’or (1889), La Ville (1893–95).
[14]
Le Maître de Santiago, uraufgeführt am Théâtre Hébertot in Paris am 26. Januar 1948 in einem Bühnenbild von Paul Œttly.
[15]
Paul Claudels Nachdichtung der Eumeniden des Aischylos war 1920 in der Nouvelle Revue française erschienen.
[1]
Der erste Teil von Cervantes’ Roman wurde 1605 in Madrid veröffentlicht, der zweite folgte 1615.
[2]
Bouvard et Pécuchet, satirischer Schelmenroman (1881) von Gustave Flaubert (1821–1880).
[1]
Benjamin Constant (1767–1830) entwickelt diesen Gedanken im zweiten Teil seines Essays De l’esprit de conquête et de l’usurpation dans leurs rapports avec la civilisation euopéenne (1814, Vom Geist der Eroberung und der Usurpation in ihrem Verhältnis zur europäischen Zivilisation).
[2]
Anspielung auf den Roman Il seme sotto la neve (1940, Der Samen unter dem Schnee) von Ignazio Silone (1900–1978).
[3]
Möglicherweise Anspielung auf die Rede, die Victor Hugo am 11. Oktober 1848 vor der Verfassunggebenden Versammlung hielt.
[4]
Das Zitat ist aus dem postum veröffentlichten Band Die Russische Revolution. Eine kritische Würdigung (1922) entnommen. Camus hatte es in seinen Tagebüchern (Carnets II 1935–1948) notiert.
[1]
Fjodor Dostojewski, Die Brüder Karamasow.
[2]
Ebd.
[1]
Trotz der Rückkehr von Mohammed V. aus dem Exil und der Unterzeichnung des Abkommens von La Celle-Saint-Cloud im November 1955, das die Entlassung Marokkos in die Unabhängigkeit vorsah, setzte sich der Aufstand im Rifgebirge fort.
[2]
Obwohl Tunesien mit dem Abkommen vom 3. Juni 1955 bereits die innere Autonomie zuerkannt worden war, forderte das Land weiter seine vollständige Unabhängigkeit. In dieser Periode, in der sich die Anhänger des späteren tunesischen Präsidenten Habib Bourguiba und seines Gegenspielers Salah Ben Youssef gegenüberstanden, lebte der bewaffnete Kampf der sogenannten Fellaghas gegen die französische Kolonialmacht wieder auf.
[1]
Józef Cyrankiewicz (1911–1989) war 1947–1952 und 1954–1970 polnischer Ministerpräsident.
[1]
Friedrich Nietzsche, Die 10 Gebote des Freigeists, Nachgelassene Fragmente Oktober–Dezember 1876.
[2]
In der Auberge de Peyrebeille im Departement Ardèche, im Volksmund auch «auberge rouge» oder «auberge sanglante» (rote bzw. blutige Herberge) genannt, wurden zwischen 1805 und 1830 zahlreiche Reisende von den Wirtsleuten ermordet.
[3]
José Ortega y Gasset, siehe Anm. 65.
[4]
Dmitri Schepilow (1905–1995) war von Juni 1956 bis Februar 1957 Außenminister der UdSSR.
[5]
Brief vom 11. Juli 1883.
[1]
Anfang November 1956 setzte der ungarische Schriftstellerverband über den Rundfunk einen Hilferuf an die Intellektuellen der Welt ab. Albert Camus, der in dem Appell namentlich angesprochen wurde, veröffentlichte am 10. November 1956 in der Tageszeitung Franc-Tireur einen Aufruf mit dem Titel «Für ein gemeinsames Vorgehen der französischen Intellektuellen bei der UNO».
[1]
György Marosan (1908–1992) war bis 1962 Mitglied des ungarischen Politbüros, wo er eine wichtige Rolle spielte.
[1]
Vgl. die Einleitung zu Kalender der Freiheit: 17. Juni 1953.
[2]
Ebd.
[3]
Vgl. die Einleitung zu Posen.
[4]
László Rajk (1909–1949) leitete während des Zweiten Weltkriegs den Widerstand der ungarischen Kommunisten. Bei den auf Initiative von Mátyás Rakosi veranstalteten Schauprozessen wurde er als «titoistischer Spion» zum Tode verurteilt und am 15. Oktober 1949 hingerichtet. Rajk wurde 1956 rehabilitiert.
[1]
Mátyás Rakosi (1892–1971) verbrachte den Zweiten Weltkrieg als Mitglied der Kommunistischen Internationale in der Sowjetunion. Nachdem er 1945 nach Ungarn zurückgekehrt war, wurde er Generalsekretär der Ungarischen Kommunistischen Partei, ein Posten, den er bis 1956 innehatte.
[1]
Zu Imre Nagy vgl. die Einleitung zu Botschaft an junge Franzosen, die sich für Ungarn einsetzen.
[1]
Vgl. die Einleitung zu Für Dostojewski.
[2]
Ralph Waldo Emerson (1803–1882), Self-Reliance (1841).
[3]
Henry David Thoreau (1817–1862). Emerson schreibt Thoreau dieses Zitat in seinen Tagebüchern zu (Bliss Perry, The Heart of Emerson’s Journals, 1926).
[1]
1952 verfasste Camus das Vorwort für eine französische Ausgabe von Oscar Wildes Ballad of Reading Gaol (Die Ballade vom Zuchthaus zu Reading), die bei den Éditions Falaize erschien.
[2]
Nachdem er mehrere Tage Hunger gelitten hatte, beging der englische Dichter Thomas Chatterton (1752–1770) unter dem Eindruck der Erkenntnis, dass er nicht von seiner Kunst würde leben können, Selbstmord. Sein Leben inspirierte Alfred de Vigny zu dem Drama Chatterton (1835).
[1]
Alexander Blok (1880–1921), russischer revolutionärer Dichter.
[2]
Boris Pasternak (1890–1960), russischer Dichter und Romancier. Nachdem 1957 sein Roman Doktor Schiwago in Italien erschienen war und ihm 1958 der Nobelpreis verliehen wurde, führte das Sowjetregime eine Kampagne gegen ihn. Camus ergriff am 1. November 1958 in einem Artikel im Figaro littéraire öffentlich für ihn Partei: Pasternak sera-t-il un paria? (Wird Pasternak zum Ausgestoßenen?).
[3]
Wladimir Majakowski (1893–1930), russischer Dichter und Dramatiker, Pionier des russischen Futurismus.
[4]
Sergej Jessenin (1895–1925), russischer Dichter, der dem bäuerlichen Milieu verhaftet war und zum linken Flügel der Sozialrevolutionäre gehörte. Von 1922 bis 1924 war er mit der amerikanischen Tänzerin Isadora Duncan verheiratet.
[5]
Sergej Eisenstein (1898–1948), russischer Filmregisseur, zu seinen Hauptwerken zählt der Film Panzerkreuzer Potemkin (1925).
[6]
John Keats (1795–1821), Dichter der englischen Romantik.
[1]
André Gide, L’évolution du théâtre, in: Nouveaux Prétextes (1911).
[1]
Am 16. Oktober 1957 war die Zuerkennung des Literaturnobelpreises bekanntgegeben worden. Vgl. die Einleitung zur Nobelpreis-Rede.
[2]
Am 10. Mai 1957 übertrug der kolumbianische Diktator Gustavo Rojas Pinilla die Macht einer vom Militär gebildeten Übergangsregierung. Nach einer Übereinkunft zwischen der konservativen und der liberalen Partei über die Zusammensetzung der Regierung kehrte das Land 1958 zur Demokratie zurück. Vgl. die Einleitung zu Ehrung eines verbannten Journalisten.
[1]
In einem Interview mit der Tageszeitung Franc-Tireur, das am 18. Oktober 1957 veröffentlicht wurde.
[2]
Zu Gabriel Audisio vgl. Anm. 1.
[3]
Den in Algerien geborenen Jules Roy (1907–2000) lernte Camus 1945 in Paris kennen. 1947 verfasste er eine begeisterte Kritik von Roys Romans La Vallée heureuse (1946; dt. Das glückliche Tal, 1948) für die Zeitschrift L’Arche.
[4]
Dem aus Oran stammenden Emmanuel Roblès (1914–1995) begegnete Camus 1937. Roblès gehörte zum Ensemble des Théâtre de l’équipe, gründete mit Camus die Zeitschrift Rivages (1938) und verfasste Artikel für die Tageszeitung Alger Républicain. Inzwischen als Romancier und Dramatiker hervorgetreten und Herausgeber der Reihe Méditerranée bei den Éditions du Seuil, zeichnete er gemeinsam mit Camus 1956 dessen Aufruf zur Schonung der Zivilbevölkerung in Algerien.
[5]
Mouloud Mammeri (1917–1989), kabylischer Schriftsteller, Dichter, Sprachwissenschaftler und Anthropologe, war einer der Pioniere der französischsprachigen algerischen Literatur. Zu seinen bekanntesten Werken gehört der Roman La Colline oubliée (1952; dt. Der vergessene Hügel, 1969)
[6]
Mouloud Feraoun (1913–1962), auf Französisch schreibender kabylischer Schriftsteller, Autor von Fils du Pauvre (1950, dt. Der Sohn des Armen, 1957) und La Terre et le sang (1953, dt. Die Heimkehr des Amer-u-Kaci, 1967). Feraoun und Camus lernten sich durch Vermittlung von Emmanuel Roblès kennen. Beide Männer knüpften eine Freundschaft, die durch ihre unterschiedlichen Standpunkte zum Algerienkonflikt nicht beeinträchtigt wurde. Feraoun arbeitete als Lehrer und später als Inspektor der algerischen Centres sociaux, einer Mischung aus Volkshochschulen und Kulturzentren, die in den 1950er Jahren in den Armenvierteln algerischer Städte eingerichtet wurden. Am 15. März 1962 wurde er in El-Biar in der Nähe von Algier von der OAS ermordet.
Dieser Band vereint die Texte der vierunddreißig öffentlichen Ansprachen, die Albert Camus gehalten hat und deren letzte seine bisher unveröffentlichte Tischrede beim Diner der Vereinigung L’Algérienne am 13. November 1958 in Paris war. Mit Ausnahme des Vortrags Die einheimische Kultur. Die neue Mittelmeerkultur aus dem Jahr 1937 fallen alle diese Vorträge und Reden in die Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg. Camus war zu diesem Zeitpunkt bereits ein berühmter Romancier, Essayist, Dramatiker und Verfasser von Leitartikeln und wurde sowohl in Frankreich als auch in anderen Ländern immer wieder um Stellungnahmen zu politischen und moralischen Zeitfragen gebeten.
Allerdings war Camus kein leidenschaftlicher Redner: Er sah in öffentlichen Auftritten die Gefahr, sich zu Themen äußern zu müssen, über die zu sprechen er sich weder für kompetent noch berechtigt hielt. «Ich bin noch nicht im Alter für Vorträge», bemerkte er 1946. Doch trotz dieser Bedenken wurde die öffentliche Stellungnahme, die ihm sowohl die Möglichkeit zur Zeitdiagnose als auch zur kämpferischen Einmischung bot, zu einer der Formen seines Engagements.
Es liegt in der Natur einer solchen Zusammenstellung, dass sich rhetorische Figuren, prägnante Zitate, ja gelegentlich ganze Textpassagen wiederholen. In der Gesamtlektüre entsteht ein eindringliches Bild von Camus’ politischen Anliegen und seiner Methode, sie je unterschiedlichen Zuhörerschaften anschaulich zu machen.
In keinem der vorliegenden Texte verweist Camus auf sein eigenes literarisches Werk oder die von ihm geschaffenen literarischen Figuren: Die Tätigkeit des schöpferischen Schriftstellers scheint mit der des gelegentlichen Vortragsredners kaum etwas gemein zu haben. Dennoch steht die Frage nach dem gesellschaftlichen Engagement des Künstlers im Zentrum dieser öffentlichen Äußerungen, von Die Krise des Menschen (New York 1946) bis zu den beiden berühmten schwedischen Reden des Jahres 1957, die Camus in Stockholm und Uppsala hielt. Es gibt keinen Bruch, so scheint er uns bedeuten zu wollen, zwischen dem Engagement des Bürgers und dem des Schriftstellers, solange Letzterer sich in seinem Werk so getreu wie möglich an einer menschlichen Wahrheit zu orientieren versucht, die mehr denn je durch Terror, Lüge, bürokratische und ideologische Entmenschlichung und Ungerechtigkeit bedroht ist. «Wo der Eroberer gleichmacht, unterscheidet der Künstler. Der Künstler, der auf der Ebene des Menschen aus Fleisch und Blut und der Leidenschaft lebt und schafft, weiß, dass nichts einfach ist und dass der andere existiert.» Und dieser Mensch aus Fleisch und Blut kann glücklich oder unglücklich sein.
Camus’ Revolte spielt sich im Herzen des Absurden ab, im gleichzeitigen Bewusstsein des gemeinsamen Schicksals und der individuellen Freiheit. Das ist das Fundament dieser Wortmeldungen. In jeder seiner Ansprachen gibt Camus einem Engagement Ausdruck, bei dem es darum geht, jenen ihre Stimme, ihre menschliche Gestalt und ihre Würde wiederzugeben, denen all dies von einem halben Jahrhundert des Lärms und des Zorns genommen wurde, von einer Epoche, in der der Missbrauch der Worte und die Maßlosigkeit der Ideen den Menschen dem Menschen zum Wolf hat werden lassen. Für Camus gilt es, diese höllische Dynamik der Nachkriegszeit zu durchbrechen, «unser Verlangen nach Hass in ein Verlangen nach Gerechtigkeit [zu] verwandeln» und unsere «vergifteten Herzen zu heilen». Über diese Erfahrung einer Generation legt der Schriftsteller hier Rechenschaft ab.
Es gibt eine «Krise des Menschen». Man muss sie in Worte fassen, sie begreifbar machen. Und der Redner widmet sich dieser Aufgabe, indem er die Gründe und die Symptome dieser Krise immer und immer wieder benennt, ohne Scheu vor der Wiederholung. Doch das Wichtigste ist, einen Weg aus der Krise zu finden, mit Hilfe der Hoffnung, die der Mensch aus sich selbst zu schöpfen vermag, jener «Freude am Menschen, ohne die die Welt nie etwas anderes sein wird als eine unermessliche Einsamkeit». Den Künstlern und Schriftstellern kommt dabei eine bescheidene, aber notwendige Rolle zu.
Für Camus ist der Mensch dazu berufen, sich dem Unglück der Welt zu widersetzen, um es zu lindern – jeder Einzelne nach seinem Vermögen. Seine Autorität als Intellektueller und sein persönlicher Lebensweg verleihen seinen Worten besonderes Gewicht in einer Welt, die sich unter dem Einfluss von Totalitarismus und Imperialismus bereits globalisiert hat. Camus’ Engagement macht nicht an nationalen Grenzen halt. Seine Hauptsorge und oft auch seine Empörung gilt Europa – so etwa, wenn dieses Europa sich ohne Skrupel mit Franco gemeinmacht. Doch Camus ergreift ebenfalls das Wort, wenn seine Brüder und Schwestern im Osten Europas der Unterdrückung durch einen wahnwitzigen Totalitarismus ausgesetzt sind, der in vollständiger Missachtung der menschlichen Person und der Gerechtigkeit alle Freiheiten zunichtemacht.
Es geht Camus nicht so sehr um die Kultur als vielmehr um die Zivilisation und um das geschwisterliche Gefühl, das die Menschen im Kampf gegen ihr Geschick miteinander verbindet. Hier zeichnen sich die Umrisse einer persönlichen Ethik ab: Die Berufung des Menschen ist ein Prozess des Lernens und der Selbsterziehung, der sich Tag für Tag abspielt und das ganze Leben lang dauert: «Mir sind engagierte Menschen lieber als engagierte Literatur», notierte Camus in sein Tagebuch. «Mut im Leben und Talent im Werk, das ist nicht das Schlechteste.»
1937
Nachdem er im Sommer 1935 der Kommunistischen Partei Algeriens (PCA) beigetreten war, stürzte sich Camus in die Kulturarbeit und gründete das Théâtre du travail (Theater der Arbeit), eine Schauspieltruppe, die er selbst leitete und in der er zugleich als Autor, Dramaturg, Regisseur und Schauspieler tätig war. Gleichzeitig wurde er Generalsekretär der Maison de la culture von Algier, wo er Filmvorführungen, Konzerte und Vorträge organisierte. Bei der Einweihung des Kulturhauses am 8. Februar 1937 hielt Camus, der zu diesem Zeitpunkt dreiundzwanzig Jahre alt war, die folgende Rede. Der Text wurde im April 1937 in der ersten Nummer der Zeitschrift der Maison de la culture, Jeune Méditerranée, abgedruckt. Im Herbst desselben Jahres trat Camus aus der Kommunistischen Partei aus.
Das Kulturhaus, das sich Ihnen heute vorstellt, will der mediterranen Kultur dienen. Getreu dem allgemeinen Auftrag, den die Häuser dieser Art haben, will es im regionalen Rahmen am Aufbau einer Kultur mitwirken, deren Lebendigkeit und Bedeutung ich Ihnen nicht weiter vor Augen führen muss. Dabei mag es vielleicht erstaunen, dass Intellektuelle der Linken sich in den Dienst einer Kultur stellen, die mit ihrer Sache auf den ersten Blick nichts zu tun hat und sogar gelegentlich – wie im Fall von Maurras – von Parteigängern der Rechten für sich in Anspruch genommen wurde.
Sich einem Mittelmeer-Regionalismus zu verschreiben, könnte in der Tat den Anschein erwecken, man wolle einen leeren und überholten Traditionalismus wiederbeleben oder, noch schlimmer, die Überlegenheit einer Kultur über andere feiern und beispielsweise – in einer Art umgekehrtem Faschismus – die lateinischen gegen die nordischen Völker ausspielen. Hier gibt es ein ewiges Missverständnis. Ziel dieses Vortrags ist der Versuch, es aufzuklären. Der ganze Irrtum liegt darin, dass man die Welt des Mittelmeers mit der lateinischen Welt verwechselt und damit Rom zuschreibt, was in Athen begonnen hat. Dass es nicht um eine Art Nationalismus der Sonnenländer gehen kann, liegt für uns auf der Hand. Wir können uns nicht in den Dienst von Traditionen stellen und unsere lebendige Zukunft an Errungenschaften knüpfen, die längst tot sind. Tradition ist Vergangenheit, welche die Gegenwart verfälscht. Der Mittelmeerraum, der uns umgibt, ist dagegen ein lebendiges Land, voller Spiele und voller Lächeln. Andererseits hat sich der Nationalismus durch seine Taten selbst sein Urteil gesprochen. Nationalismen treten in der Geschichte stets als Symptome der Dekadenz auf. Erst als das mächtige Gebäude des Römischen Reiches in sich zusammenstürzte, erst als seine geistige Einheit auseinanderbrach, aus der so viele unterschiedliche Weltregionen ihren Lebenssinn bezogen, erst in dieser Phase des Niedergangs bildeten sich die Nationalitäten. Seitdem hat das Abendland seine Einheit nicht wiedergefunden. Heute versucht der Internationalismus, ihm seinen wahren Sinn und seine Berufung wiederzugeben. Allerdings ist das zugrunde liegende Prinzip nicht mehr christlich, nicht mehr das päpstliche Rom des Heiligen Römischen Reiches. Heute ist das Prinzip der Mensch. Die Einheit ist keine Einheit des Glaubens mehr, sondern eine Einheit der Hoffnung. Eine Zivilisation kann nur in dem Maße von Dauer sein, wie ihre Einheit und ihre Größe auf einem geistigen Prinzip beruhen, das über allen Nationalitäten steht. Indien, das beinahe so groß wie Europa ist und keine Nationen und keinen Souverän kannte, hat selbst nach zwei Jahrhunderten englischer Herrschaft sein eigenes Antlitz bewahrt.
Darum lehnen wir das Prinzip eines Mittelmeernationalismus von vorneherein ab. Zudem kann von einer Überlegenheit der mediterranen Kultur keine Rede sein. Der Mensch drückt sich in Übereinstimmung mit seinem Land aus. Und im Bereich der Kultur ist es allein diese Übereinstimmung, die Überlegenheit ausmacht. Es gibt keine mehr oder weniger bedeutenden Kulturen. Es gibt nur mehr oder weniger wahrhaftige Kulturen. Das Einzige, was wir wollen, ist, einem Land dabei behilflich zu sein, seine eigene Stimme zu finden. Vor Ort. Nicht mehr und nicht weniger. Die eigentliche Frage lautet: Lässt sich eine neue Mittelmeerkultur verwirklichen?
Zum einen ist da das Mittelmeer als ein Meerbecken, das ein Dutzend Länder miteinander verbindet. Die Menschen, die sich in den spanischen Cafés cantantes die Seele aus dem Leib singen, die durch den Hafen von Genua oder über die Kais von Marseille schweifen, jener weltoffene und starke Menschenschlag, der an unseren Küsten lebt, sie alle entstammen derselben Familie. Wenn man durch Europa gereist ist und wieder nach Italien oder in die Provence kommt, dann trifft man mit einem Seufzer der Erleichterung jene ungezwungenen Menschen wieder, jenes kräftige und farbige Leben, das wir alle kennen. Ich habe mich in Mitteleuropa, zuerst in Österreich und dann in Deutschland, zwei Monate lang gefragt, woher jene merkwürdige Bedrückung kam, die auf meinen Schultern lastete, jene dumpfe Unruhe, die mich erfüllte. Vor kurzem habe ich es begriffen. Die Leute dort waren immer zugeknöpft bis oben hin. Zwanglosigkeit war ihnen fremd. Was Fröhlichkeit ist, wussten sie nicht, jene Fröhlichkeit, die etwas ganz anderes ist als das Gelächter. Geht man von solchen Beobachtungen aus, gewinnt sogar der Begriff Vaterland eine akzeptable Bedeutung. Das Vaterland ist dann nicht mehr jene Abstraktion, in deren Namen sich die Menschen gegenseitig umbringen, sondern ein gewisser Geschmack am Leben, der bestimmten Menschen gemeinsam ist und durch den ich mich einem Genuesen oder einem Mallorquiner näher fühle als jemandem, der in der Normandie oder im Elsass zu Hause ist. Das ist das Mediterrane, dieses Aroma, dieser Duft, den in Worte zu fassen aussichtslos ist: Wir alle spüren ihn mit unserer Haut.
Es gibt noch weitere Befunde, und zwar geschichtliche. Jedes Mal, wenn eine neue Weltanschauung ihren Weg ins Mittelmeerbecken fand, war es stets das Mediterrane, das unversehrt aus dem folgenden Zusammenprall der Ideen hervorging: Stets hat die Landschaft über die Weltanschauung gesiegt. Das Christentum war in seinen Ursprüngen eine zwar erschütternde, aber unzugängliche und vor allen Dingen jüdische Lehre, die keine Zugeständnisse kannte – hart, ausschließlich und bewundernswert. Aus seiner Begegnung mit dem Mittelmeerraum ist eine neue Weltanschauung hervorgegangen: der Katholizismus. Zu dem Bündel Gefühlsimpulse, das am Anfang stand, trat eine philosophische Weltanschauung. Das erhabene Gebäude wurde vollendet und ausgeschmückt – für den Menschen bewohnbar gemacht. Dem Mittelmeer ist es zu verdanken, dass das Christentum sich der Welt zuwenden konnte, um dort jene wundersame Erfolgsgeschichte zu beginnen, die wir kennen.
Später war es dann ein mediterraner Mensch, Franz von Assisi, der aus dem Christentum der Innerlichkeit und der Askese einen Hymnus an die Natur und die unbefangene Freude gemacht hat. Und den einzigen Versuch, das Christentum wieder von der Welt zu trennen, unternahm ein Mann des Nordens: Luther. Der Protestantismus ist genau genommen nichts anderes als ein dem Mittelmeer und seinem zugleich zersetzenden und hebenden Einfluss entrissener Katholizismus.
Schauen wir uns die Sache noch etwas genauer an. Für jemanden, der sowohl in Deutschland als auch in Italien gelebt hat, ist es offensichtlich, dass der Faschismus in beiden Ländern ein ganz unterschiedliches Gesicht hat. In Deutschland spürt man ihn überall, in den Mienen der Menschen, in den Städten auf der Straße. Die Militärstadt Dresden erstickt unter einem unsichtbaren Feind. In Italien spürt man vor allem das Land. Was man in einem Deutschen auf den ersten Blick sieht, ist der Hitleranhänger, der einen mit «Heil Hitler!» begrüßt. In einem Italiener hingegen ist es der umgängliche und fröhliche Mensch. Auch hier scheint die Weltanschauung hinter das Land zurückzutreten – und es ist eines der Wunder des Mediterranen, dass es Menschen, die menschlich denken, erlaubt, in einem Land mit unmenschlichen Gesetzen frei zu atmen.
Diese lebendige Wirklichkeit des Mittelmeerraums ist für uns nichts Neues. Und man könnte meinen, dass diese Kultur das Spiegelbild jener lateinischen Antike ist, welche die Renaissance versucht hat, am Ende des Mittelalters wiederzufinden. Das ist die Latinität, die Maurras und die Seinen für sich beanspruchen wollen. Im Namen dieser lateinischen Ordnung unterzeichneten vierundzwanzig abendländische Intellektuelle in der Äthiopien-Affäre ein Manifest der Schande, mit dem sie die zivilisatorische Leistung Italiens im barbarischen Äthiopien feierten.
Doch nein. Das ist nicht die mediterrane Kultur, auf die sich unser Kulturhaus beruft. Denn es ist nicht die wahre, sondern vielmehr jene abstrakte und konventionelle Mittelmeerkultur, die von Rom und den Römern verkörpert wird. Dieses Volk phantasieloser Nachahmer brachte gerade genug Vorstellungskraft auf, um den künstlerischen Geist und den Sinn für das Leben, die ihm fehlten, durch den Kriegsgeist zu ersetzen. Jene Ordnung, die man uns so sehr rühmt, war eine Ordnung der Gewalt und keine Ordnung des Geistes. Selbst da, wo die Römer kopierten, gerieten ihnen die Kopien farblos. Und dabei war es nicht einmal der wahre Geist Griechenlands, den sie nachahmten, sondern das, was seine Dekadenz und seine Verirrungen hervorgebracht hatten. Nicht das kraftvolle und harte Griechenland der großen Tragiker und Komödiendichter, sondern die Niedlichkeit und Geziertheit der griechischen Spätzeit. Nicht das Leben hat Rom von Griechenland übernommen, sondern die kindische und vernünftelnde Abstraktion. Das Mediterrane ist anderswo. Es ist geradezu die Negation Roms und des römischen Geistes. Weil es lebendig ist, interessiert es sich nicht im Geringsten für die Abstraktion. Und man kann Mussolini gern zugestehen, dass er der würdige Nachfolger Cäsars und der antiken Kaiser ist, denn wie sie opfert er die Wahrheit und die Größe der seelenlosen Gewalt.
Es ist nicht die Freude am Philosophieren und an der Abstraktion, die wir für uns in Anspruch nehmen, sondern es ist das mediterrane Leben: die Promenaden, die Zypressen, die Paprikaschoten, die man an Schnüren zum Trocknen aufhängt – Aischylos und nicht Euripides – der dorische Apoll, nicht die Kopien im Vatikan. Es ist Spanien mit seiner Kraft und seinem Pessimismus, nicht die römische Aufschneiderei; es sind die von der Sonne ausgedörrten Landschaften und nicht die Theaterkulissen, in denen sich ein Diktator an seiner eigenen Stimme berauscht und sich die Massen gefügig macht. Das, was wir wollen, ist nicht die Lüge, die in Äthiopien triumphiert, sondern die Wahrheit, die in Spanien gemordet wird.
Der Mittelmeerraum als Sammelbecken vieler Nationen, von allen erdenklichen Strömungen durchzogen, ist vielleicht die einzige Region, die die großen östlichen Denkrichtungen zusammenführt. Denn er ist nicht klassisch und geordnet, sondern diffus und quirlig, wie seine arabischen Viertel oder die Häfen von Genua und Tunesien. Der Geschmack von Lebensfreude, das Gefühl drückender Langeweile, die menschenleeren Plätze am Mittag in Spanien, die Siesta: Das ist die wahre mediterrane Welt, die dem Orient näher ist als dem lateinischen Abendland. Nordafrika ist eine der wenigen Regionen, wo Orient und Okzident zusammenleben. Und in diesem Schmelztiegel gibt es keinen Unterschied zwischen der Art, wie ein Spanier oder ein Italiener in den Hafenvierteln von Algier lebt, und der Lebensweise der Araber um sie herum. Der Wesenskern des mediterranen Geistes entspringt vielleicht dieser geschichtlich und geographisch einzigartigen Begegnung zwischen Orient und Okzident (zu dieser Frage kann man nur auf Audisio[1] verweisen).
Diese Kultur, diese mediterrane Realität offenbart sich auf ganzer Linie:
Zunächst in der sprachlichen Einheit: Jede romanische Sprache lässt sich leicht erlernen, wenn man bereits eine andere beherrscht; dann in der Einheit des Ursprungs: Ritterorden, religiöse Orden, Feudalherrschaft usw. In all diesen Punkten bietet uns der Mittelmeerraum das Bild einer lebendigen und bunten Zivilisation, einer sinnlichen Zivilisation, welche die Weltanschauungen nach ihrem eigenen Bild umprägt und die Ideen in sich aufnimmt, ohne ihr eigenes Wesen zu verändern.
Aber warum, so wird man vielleicht fragen, sollte man es nicht bei dieser Feststellung bewenden lassen?
Deshalb, weil eben dieser Landschaft, die bereits so viele Weltanschauungen verändert hat, die Aufgabe zufällt, auch die heutigen Weltanschauungen zu verändern. Ein mediterran geprägter Kollektivismus wird sich grundlegend vom ursprünglichen russischen Kollektivismus unterscheiden. Das Schicksal des Kollektivismus entscheidet sich nicht in Russland. Es entscheidet sich im Mittelmeerbecken und in Spanien, jetzt, zu dieser Stunde. Gewiss, der Mensch spielt sein Spiel schon lange, aber vielleicht hat es hier und jetzt seinen tragischen Höhepunkt erreicht, und vielleicht halten wir hier und jetzt die meisten Trümpfe in der Hand. Wir sehen uns Realitäten gegenüber, die stärker sind als wir. Unsere Ideen passen sich ihnen an, gleichen sich ihnen an. Das ist der Grund, warum unsere Gegner mit all ihren Einwänden falschliegen. Man hat kein Recht, im Namen der Vergangenheit über das zukünftige Schicksal einer Weltanschauung zu urteilen, über unsere Zukunft zu urteilen, selbst wenn diese Vergangenheit die Vergangenheit Russlands ist.