Liliane Susewind – Ein Pinguin will hoch hinaus

Tanya Stewner

Liliane Susewind – Ein Pinguin will hoch hinaus

Mit Bildern von Eva Schöffmann-Davidov

FISCHER E-Books

Inhalt

Über Tanya Stewner

Tanya Stewner wurde 1974 im Bergischen Land geboren und begann bereits mit zehn Jahren, Geschichten zu schreiben. Sie studierte Literaturübersetzen, Englisch und Literaturwissenschaften in Düsseldorf, Wuppertal und London und widmet sich inzwischen ganz der Schriftstellerei. Die Autorin lebt mit ihrem Mann und ihrer Tochter Mailena in Wuppertal.

Mit ihren Kinderbüchern über die Tierdolmetscherin Liliane Susewind und der Trilogie über die Elfe Hummelbi erzielte Tanya Stewner auf Anhieb riesige Erfolge.

Bei Fischer sind bereits acht »Lilli«-Bände erschienen, weitere sind in Vorbereitung. ›Ein Pinguin will hoch hinaus‹ ist der neunte Band der Reihe.

 

Eva Schöffmann-Davidov, geboren 1973, hat schon als Kind alles gezeichnet, was ihr vor den Pinsel kam. Nach dem Abitur besuchte sie die Freie Kunstwerkstatt in München und studierte anschließend Graphik-Design in Augsburg. Bis heute hat sie mit großem Erfolg über 300 Bücher, vorwiegend für Kinder- und Jugendbuchverlage, illustriert. Sie lebt, liebt und arbeitet in München.

 

Weitere Informationen zum Kinder- und Jugendbuchprogramm der S. Fischer Verlage, auch zu E-Book-Ausgaben, gibt es unterwww.fischerverlage.de

Impressum

Mehr Informationen, viele Spiele und Rätsel rund um »Liliane Susewind« gibt es hier: www.liliane-susewind.de

 

 

›Liliane Susewind – Ein Pinguin will hoch hinaus‹ ist auch als Hörbuch im Handel erhältlich, mit einem ›Lilli‹-Song der Autorin.

 

 

Erschienen bei FISCHER E-Books

 

© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2013

Umschlaggestaltung: bilekjaeger, Stuttgart,

unter Verwendung einer Illustration von Eva Schöffmann-Davidov

Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.

ISBN 978-3-10-402382-3

Für Aline

Sonntagnachmittag

»Ich fürchte, ich kann das neue Möbelstück nicht genehmigen«, miaute die orange getigerte Katze und betrachtete mit schief gelegtem Kopf den Bürostuhl, den Oma Susewind gerade zusammenbaute. »Leider werden Sie dieses Objekt wieder entfernen müssen, Madame von Susewind.«

Liliane Susewind, genannt Lilli, saß neben der Katze auf dem Sofa. Es war für sie das Normalste auf der Welt, dass sie ihr Miauen verstehen konnte, denn Lilli hatte eine besondere Gabe: Sie konnte mit Tieren sprechen.

»Was missfällt Ihnen denn an dem Stuhl, Gnädigste?«, fragte Lilli höflich. Höflichkeit war im Gespräch mit Frau von Schmidt – so hieß die vornehme Katzendame – absolut unentbehrlich.

Frau von Schmidt schnupfte pikiert. »Das ist doch offensichtlich. Dieses Möchtegern-Möbel hat einfach keinen Stil!«, näselte sie verdrießlich. »Es ist viel zu glatt. Zu schlicht. Zu trist! Prunklos geradezu! Etwas derart Langweiliges kann ich hier einfach nicht dulden.«

Lilli seufzte leise. Frau von Schmidt betrachtete sich gern als die Alleinherrscherin des Hauses, dabei wohnte sie noch nicht einmal hier! Eigentlich gehörte sie nämlich den Sturmwagners, ihren Nachbarn. Doch in Lillis Nähe fühlte sich die Katze am wohlsten, und deshalb kam sie jeden Tag zu ihnen herüber oder übernachtete sogar im Haus der Susewinds.

Nun sagte Lillis Oma: »Königin Schmidti hat anscheinend was zu mosern.«

»Schmidti –«, Lilli stockte und verbesserte sich schnell: »Frau von Schmidt findet den Stuhl doof. Äh … prunklos. Trist!«

Oma lachte. »Hätten wir ihn doch besser in Gold gekauft anstatt in Schwarz!« Sie lehnte sich zurück und betrachtete ihr halbfertiges Werk. »Ich könnte eine Handvoll Konfetti drüberwerfen …«

Lilli grinste ihre Oma an, und die grinste zurück. Oma kniete auf dem Boden und hatte die Einzelteile des Bürostuhls sowie ihr Werkzeug vor sich ausgebreitet. Sie war eine exzellente Handwerkerin und würde den Stuhl, der für das Arbeitszimmer von Lillis Mutter bestimmt war, garantiert in null Komma nichts montiert haben. »Trist …«, brummelte Oma und machte sich wieder an die Arbeit.

Lillis Mutter, die vor ihrem Laptop am Esstisch saß und E-Mails las, blickte auf. »Was ist Mist?«

»Der Stuhl«, erklärte Lilli. »Nein! Also … Mist ist, dass er trist ist.«

Ferdinand Susewind, Lillis Vater, lachte. Er saß neben Lilli auf dem Sofa, guckte ein Fußballspiel im Fernsehen und strickte dabei. Offenbar hörte er ihnen mit halbem Ohr zu.

Die Katze mischte sich nun wieder ein. »Trist, ja! Das ist er ja auch! Nur ein Geschmacksbanause würde das nicht erkennen.« Leichtfüßig sprang sie von der Sofalehne, lief mit flinken Schrittchen zu der Sitzfläche des Stuhls, die flach auf dem Boden lag, und tippte sie abfällig mit der Pfote an. »Die ganze Aufmachung ist mau! Mehr als mau: Doppelt mau. Sie ist mau mau!«

»Ich glaub, Schmidti ist wegen dem Stuhldings schlecht drauf«, ließ sich da Lillis Hund Bonsai vernehmen. Der kleine Mischling mit dem weißen Zottelfell lag auf Lillis Schoß, aber nun hüpfte er hinunter und trippelte mit seinen kurzen Beinchen zu der Katze. »Hey, Schmidti!« Er stupste Frau von Schmidt aufmunternd mit der Schnauze an. »Ist doch halb so wild. Ich könnte das Teil markieren, dann ist es der Knaller!«

»Niemand markiert hier irgendwas!«, sagte Lilli streng, denn mit markieren meinte Bonsai anpieseln.

»War ja nur ein Scherz!«, beruhigte Bonsai sie. »Entspann dich, Lilli. Ich hab alles voll im Griff.« Freundschaftlich leckte er über Frau von Schmidts Nase.

Der Katze schien das sehr zu gefallen, denn sie begann zu schnurren. »Wirklich sehr zuvorkommend von Ihnen, Herr von Bonsai. Sie sind der einzige Zottelträger der Welt, der wahrhaft Manieren und Anstand besitzt!«

Das verstand Bonsai natürlich nicht, denn er war ein Hund und sprach nur Hundisch. Doch das genüsslich vorgereckte Kinn der Katze verriet ihm auch so, dass sein Schlecken gut bei ihr ankam.

»Tooor!«, schrie plötzlich Lillis Vater. Lillis Oma auf dem Boden und Lillis Mutter am Esstisch schauten auf und sahen sich die Zeitlupenwiederholung des Tors an.

»Das war Abseits!«, rief Oma.

Lilli hatte keine Ahnung, was Abseits war. Sie interessierte sich nicht besonders für Fußball. Sie saß an diesem Sonntagnachmittag im Wohnzimmer, weil sie auf einen Anruf wartete und ihr Handy kaputt war.

»Ist nicht gepfiffen worden, Glück gehabt!« Lillis Vater widmete sich wieder seiner Handarbeit. Er strickte einen Wollanzug für Frau von Schmidt. Wenn die Katze eines nicht leiden konnte, dann war es Kälte. Es war jedoch ein sehr kalter Januar, und in den nächsten Tagen sollte es sogar schneien! Bis dahin wollte Lillis Vater mit dem Wollanzug unbedingt fertig sein. Denn selbst in Lillis altem Babystrampler, den Frau von Schmidt momentan bei Ausflügen nach draußen trug, fror sie manchmal.

»Was sind das denn für feine Blinki-Dinger?«, hörte Lilli Bonsai nun schnuffen. Dann klirrte es leise. Lilli blickte zum Boden. Mit der Schnauze schob der Hund eine der großen Schrauben vor sich her, die Oma eben noch fein säuberlich neben den Stuhlteilen aufgereiht hatte. Oma bemerkte es offensichtlich nicht, da sie gerade wieder zum Fernseher guckte. »Die Dinger rollen voll gut«, wuffte der Hund und schob die Schraube schwanzwedelnd durch das halbe Wohnzimmer.

Frau von Schmidt, die inzwischen auf der Sitzfläche des Bürostuhls thronte, sah dem Hund einen Augenblick lang nachdenklich zu, dann miezte sie: »Oh, was für eine famose Idee!« Entzückt wackelte sie mit dem Kopf. »Herr von Bonsais messerscharfer Verstand ist einfach unübertroffen.«

Bonsai schob die Schraube fröhlich mit der Schnauze vor sich her. »Cool«, hechelte er. »Das Blinki-Ding rollt nicht nur gut, es klirrt auch total schön.«

Die Katze, die ihrerseits natürlich kein Hundisch verstand, beobachtete Bonsai angetan. »Wie geistreich! Herr von Bonsai stiehlt die Befestigungsstecker! Ohne diese Stecker kann das schnöde Möchtegern-Möbel bestimmt nicht zusammengebaut werden, und ich muss nicht weiter unter seinem betrüblichen Anblick leiden.« Sie seufzte sichtlich gerührt. »Etwas derart Ritterliches hat noch nie jemand für mich getan.«

»Ha!«, bellte Bonsai. »Volle Lotte unters Sofa gepfeffert! Echt scharf.« Schwanzwedelnd lugte er unter das Sofa, unter dem die Schraube gerade verschwunden war. »Die Dinger gehen voll ab. Ich hol mir noch so ein Teil.«

Lilli wollte ihm das gerade verbieten, als das Telefon klingelte. Ihr Herz machte einen Sprung. Das war bestimmt der Anruf, auf den sie die ganze Zeit gewartet hatte! Ihre Mutter nahm ab. »Susewind«, flötete sie mit Berufsstimme. »Fitzgerald, hallo! Ja, ich habe den Termin schon bestätigt …«

Lilli ließ enttäuscht die Schultern sinken. Wohl nur ein Kollege ihrer Mutter. Frau Susewind war eine viel beschäftigte Fernsehmoderatorin. Sie hatte eine eigene politische Talkshow und arbeitete oft auch am Sonntagnachmittag.

»Das war ein Foul!«, rief Lillis Oma.

»Quatsch, das war total harmlos!«, entgegnete Herr Susewind. Beide starrten wie gebannt auf den Bildschirm.

Lilli schnitt eine kleine Grimasse. Wenn endlich der Anruf käme, müsste sie nicht hier sitzen und Fußball gucken …

»Uh, klirrt das schön!«, hörte Lilli Bonsai nun wieder schnuffen. Er hatte offenbar eine weitere Schraube geklaut und rollte diese nun voller Begeisterung über das Parkett. Dabei umschiffte er gekonnt den Flokati-Teppich. »Super, wie ich das mache«, hechelte er. Schon verschwand auch diese Schraube unter dem Sofa.

»Mein Ritter scheint wild entschlossen, den Bau dieser Prunklosigkeit zu verhindern«, schnurrte Frau von Schmidt und erhob sich. »Ich werde ihm mit meiner glasklaren Geisteskraft und meiner kolossalen Schneidigkeit beistehen. Gemeinsam können wir die Geschmacklosigkeit besiegen!« Geschickt schlug sie mit der Pfote nach einer Schraube. Diese sauste daraufhin pfeilschnell über den Parkettboden und verschwand unter dem Sofa.

Bonsai staunte nicht schlecht. »Schmidti! Du kannst ja voll gut Blinkis wegpfeffern!«

»Für Stil und Kunstverstand!«, tönte die Katze und schoss eine weitere Schraube unter das Sofa.

»Krass!« Bonsai hüpfte begeistert auf der Stelle. »Mach noch einen rein, Schmidti!«

»Jetzt ist es aber gut!«, rief Lilli und wollte die beiden zurechtweisen. Doch ihre Stimme ging in dem Jubelgeschrei ihres Vaters und ihrer Oma unter, die sich in diesem Moment über ein weiteres Tor freuten.

»Seid bitte leise!«, mahnte Lillis Mutter, die noch immer telefonierte. Lilli hoffte, dass sie bald auflegen würde. Sonst wäre besetzt, wenn der Anruf kam, auf den sie wartete.

»Jetzt muss ich mich aber mal auf dieses triste Ding hier konzentrieren«, sagte Lillis Oma, die die ganze Zeit mehr ferngesehen als am Stuhl gearbeitet hatte, und nahm den Schraubenzieher zur Hand.

»O nein!«, hörte Lilli Frau von Schmidt zischen. »Sie macht weiter! Die Geschmacklosigkeit nimmt wieder ihren Lauf! Was sollen wir nur tun?«

Bonsai spitzte die Ohren. »Aufgepasst!«, kläffte er. Im nächsten Augenblick flog ein Vogel am Fenster vorbei. Blitzschnell sauste der Hund los, sprang auf einen Sessel und von dort aus auf die Fensterbank. Aufgeregt bellte er dem Vogel nach: »Ey! Flugfritze! Das hier ist mein Revier, also hau ab, du Lappen!« Der Vogel war natürlich schon längst fort. Bonsai schnaufte noch einmal nachdrücklich. Dann schien er zu überlegen, womit er soeben beschäftigt gewesen war. Offenbar hatte er es jedoch vergessen. Seufzend ließ er sich auf der Fensterbank nieder, legte den Kopf auf die Pfoten und schloss die Augen.

Frau von Schmidt starrte den Hund auf der Fensterbank entsetzt an. »Um Himmels willen!«, stieß sie hervor. »Wenn Herr von Bonsai unsere Mission aufgibt, kann das nur heißen, dass wir keinerlei Chance mehr haben.« Die Katze zog bestürzt die Lefzen zurück. »Er würde sich nie und nimmer beugen, wenn es nicht gänzlich aussichtslos wäre!«

Lilli hätte der Katze Bonsais Verhalten erklären können, aber es war ihr eigentlich ganz lieb, dass Frau von Schmidt sich anscheinend endlich mit dem Bürostuhl abfinden wollte.

Lillis Oma setzte nun ein Teil nach dem anderen zusammen und schaute dabei immer wieder zum Fernseher. Kurz darauf war sie fertig. »Dein Stuhl kann jetzt in Betrieb genommen werden, Regina!«, informierte Oma ihre Schwiegertochter, die mittlerweile nicht mehr telefonierte.

»Gut!«, erwiderte Lillis Mutter und kam zu ihnen herüber. »Es ist wirklich lieb von dir, dass du ihn mir –«

Sie wurde von erneutem »Tooor!«-Geschrei unterbrochen. Lillis Vater und Oma klatschten sich vor Freude auf die Schenkel und sahen sich gemeinsam mit Lillis Mutter die Wiederholung in Zeitlupe an. Lilli fand allerdings, dass dieses Tor genauso langweilig war wie die anderen.

Auf einmal hörte sie ihre Mutter kreischen. »Ahhh!«

»Ich glaub, mein Schwein pfeift!«, rief Lillis Oma.

Da sah Lilli es auch. Frau von Schmidt war es gelungen, den Moment, in dem alle abgelenkt waren, vollauf zu nutzen: Sie hatte ihre Krallen mehrmals über das weiche Leder des Stuhls gezogen! Die Sitzfläche war nun völlig ruiniert, und an den Seiten hingen lange Fetzen herunter.

»Das gibt’s doch gar nicht!«, stöhnte Lillis Vater.

Frau Susewinds Gesicht färbte sich knallrot. »Lilli! Sag … der … Katze«, presste sie hervor, »dass ich … sie umbringen werde!«

Lilli machte ein betroffenes Gesicht.

Frau von Schmidt leckte sich mit Künstlermiene die Pfote und betrachtete ihr Werk. »Meisterhaft, nicht wahr?«, säuselte sie. »Durch die aparten Streifen im Sitzbereich entsteht ein fulminanter Gegensatz zur schlichten Glätte der Lehne, und die prachtvollen neuen Läppchen an den Seiten sind ein überaus imposanter Blickfang!« Sie seufzte tief. »Jetzt kann ich das Stück genehmigen. Denn es handelt sich nun nicht mehr um ein Möbelstück, sondern um ein Kunstwerk!«

Lillis Mutter schnaubte wie ein wütender Stier durch die Nase. »Sag der Katze, dass … dass ich sie braten werde!«

»Hrrg«, nuschelte Lilli.

Frau von Schmidt ließ derweil zufrieden den Schwanz am Fuß des Stuhls entlangfahren. »Für meine unbeschreibliche Verschönerung des tristen Sitzgebildes können Sie mir durch eine kleine Leckerei danken, Madame. Vielleicht ein Stück Käse. Oder ein Fischstäbchen.«

»Meine Mutter ist ganz und gar nicht begeistert von Ihrer … Verschönerung, Gnädigste«, erklärte Lilli, denn ihre Mutter sah aus, als ob sie aus Frau von Schmidt ein Fischstäbchen machen wollte.

»Nenn sie nicht Gnädigste!«, zischte Frau Susewind. »Sie ist eine Verbrecherin!«

Die Katze wurde nun auf den Tonfall von Lillis Mutter aufmerksam. »Warum regt Ihre Vorfahrin sich derartig auf?«, fragte sie säuerlich. »Hat denn hier niemand Sachverstand?« Ihre Ohren zuckten ärgerlich zurück. »Ich verbitte mir jegliche Kritik! Das schadet meinen sensiblen Nerven.« Mit hochgereckter Nase wandte sie sich ab und stolzierte hinternwackelnd davon.

Lillis Mutter stand mit puterrotem Gesicht da und öffnete den Mund, als wolle sie etwas sagen. Doch es kam nur heiße Luft heraus.

»Also, trist ist das Ding nun nicht mehr«, sagte Oma Susewind und zuckte die Achseln.

Lillis Mutter fand das nicht witzig. »Stell den Stuhl in den Abstellraum zu den anderen Sachen für den Sperrmüll.«

»Wir haben ihn doch gestern erst gekauft!«, wandte Lillis Vater ein.

»So ein ramponiertes Teil kommt mir nicht in mein schickes Arbeitszimmer!«, erklärte Frau Susewind.

»Aber er war teuer!«

»Er ist … tot!«

Lillis Vater widersprach nicht mehr. Das überraschte Lilli keineswegs. Ihre Mutter hatte ihre ganz eigenen Vorstellungen, die sie meistens auch durchsetzte.

»Was geschieht denn nun mit meinem Kunstwerk?«, fragte Frau von Schmidt, die hinter einem Sessel hervorlinste.

»Es kommt weg«, antwortete Lilli. »Meine Mutter findet den Stuhl jetzt … trist.«

»Pah!«, schnaubte die Katze. Dann fügte sie spitz hinzu: »Trist oder nicht, das ist hier wohl die Frage!« Damit verzog sie sich schmollend hinter eine Lautsprecherbox.

Oma zuckte nun abermals die Achseln und begann, ihr Werkzeug zusammenzupacken. Dabei warf sie einen Blick unter das Sofa. Ihre Augen weiteten sich.

Im gleichen Moment ließ sich Lillis Mutter mit einem Stöhnen auf den ruinierten Stuhl fallen.

Oma rief: »Hier unter dem Sofa liegen vier Schrauben! Die muss ich wohl übersehen haben. Pass auf, wenn du dich –«

Da brach der Stuhl zusammen, und Lillis Mutter landete mit der Nase voran im Flokati-Teppich.

Verfolgt

Das Telefon klingelte. Lilli hastete zum Apparat. »Hallo?«

»Liliane? Hier ist Essig-Steinmeier«, sagte eine wohlbekannte Stimme. Es war die Direktorin des Zoos, in dem Lilli seit einiger Zeit als Tier-Dolmetscherin aushalf. Sie übersetzte dort den Pflegern und Frau Essig-Steinmeier, was die Tiere sagten.

»Ist es jetzt so weit?«, fragte Lilli aufgeregt. Darauf freute sie sich schon den ganzen Tag.

»Ja, es ist so weit«, bestätigte die Direktorin. »Könnt ihr gleich kommen?«

»Wir sind in einer halben Stunde da!« Lilli legte auf und rief ihren besten Freund Jesahja Sturmwagner an. »Sie kommen!« Mehr musste sie nicht sagen.

Kurz darauf klingelte es an der Tür. Jesahja hatte es nicht weit, denn er wohnte gleich nebenan. »Hi«, grüßte er und funkelte Lilli mit seinen schönen braunen Augen an. Jesahja war ein extrem gut aussehender Junge mit dunkler Haut und schwarzen Locken. In der Schule waren haufenweise Mädchen in ihn verliebt. Umso stolzer war Lilli darauf, dass er mit niemandem lieber Zeit verbrachte als mit ihr.

»Lass uns die Fahrräder nehmen«, sagte Lilli, während sie sich ihre Jacke und ihre Wollmütze anzog. »Ist ja noch nicht glatt draußen.«

»Die Paparazzi werden uns so oder so verfolgen.« Jesahja verzog den Mund. »Langsam bin ich die echt leid.«

Seit Lillis Mutter vor einigen Wochen öffentlich erklärt hatte, dass ihre Tochter mit Tieren sprechen und Pflanzen durch ihr Lachen zum Blühen bringen konnte, machte eine ganze Horde von Presseleuten Jagd auf Lilli. Tag und Nacht standen sie vor dem Tor der Susewinds und warteten darauf, dass das Wundermädchen mit dem roten Wuschelkopf sich zeigte. Jedes Foto von ihr war Unsummen wert, und für die Chance auf ein Interview waren viele Reporter bereit, Tage und Wochen in der Kälte vor dem Tor auszuharren.

»Blöd ist, dass sie sich auch in den Zoo reinschmuggeln«, sagte Lilli nun. Zwar waren Kameras und Handys im Zoo mittlerweile verboten, und Frau Essig-Steinmeier ließ die Taschen aller Besucher am Eingang durchsuchen. Aber manchmal kam es dennoch vor, dass jemand ein Foto von Lilli schoss und es am nächsten Tag in der Zeitung zu sehen war. Deshalb ging Lilli meistens erst am Abend, außerhalb der Öffnungszeiten, in den Zoo. Dann konnte sie in Ruhe mit den Tieren sprechen.

»Jetzt ist es halb sechs«, stellte Lilli mit einem Blick auf die Uhr fest. »Bis wir da sind, ist der Zoo geschlossen.«

Lilli griff nach ihrem Schal und wollte gerade die Tür hinter sich zu ziehen, da miaute eine Stimme: »Sie haben also vor, dem Zoo einen Besuch abzustatten, Madame?«

Lilli schloss seufzend die Augen, denn sie wusste, was nun kommen würde.

»Ich wäre gerade in der Stimmung für einen kleinen Ausflug.« Frau von Schmidt strich an Lillis Beinen entlang. »Ich könnte ein paar meiner Bekannten besuchen. Zum Beispiel Fürst Feodor. Der Gute verehrt mich ja in unermesslichem Grade und ist einem kleinen Plausch sicherlich nicht abgeneigt.« Feodor war ein Leopard im Zoo.

Jesahja fragte: »Will sie mit?«

Lilli nickte und hob hilflos die Schultern. Wenn Frau von Schmidt sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, war es so gut wie unmöglich, es ihr auszureden. »Sie können uns selbstverständlich begleiten, wenn Sie möchten«, sagte Lilli deshalb.

Jesahja verdrehte die Augen. Ein Ausflug mit der Katze war oft mehr Stress als Spaß.

»Wunderbar!«, miezte Frau von Schmidt. »Bitte kleiden Sie mich an.«

Lilli gehorchte und zog der Katze ihr Winteroutfit über – den alten Babystrampelanzug von Lilli. Bis Herr Susewind den Katzen-Wollanzug fertig gestrickt hatte, war dies Frau von Schmidts Standardausstattung für Ausflüge. Denn zu frieren war für sie einfach »in höchstem Maße inakzeptabel«.

Bonsai kam herangetippelt. »Ui! Gehen wir Gassi?«

»Nein, wir gehen in den Zoo.«

»Gebongt!«, bellte der Hund. »Ich bin dabei!«

Lilli widersprach nicht und ließ den kleinen Hund in ihren Rucksack hüpfen, während Frau von Schmidt in Jesahjas Rucksack sprang. Nur die kleinen Pelzköpfe der Tiere schauten noch heraus.

»Wir fahren dann jetzt!«, rief Lilli ihren Eltern im Wohnzimmer zu.

»Seid mit den Paparazzi vorsichtig!«, warnte Frau Susewind, obwohl sie eigentlich wusste, dass Lilli inzwischen gut mit den Presseleuten umgehen konnte – sie zog einfach den Kopf ein, sobald sie einen Reporter sah, und machte sich so schnell wie möglich aus dem Staub.

Lilli rief »Wir sind spätestens um neun wieder da!«, und dann ging es los. Jesahja und sie zogen sich ihre Wintermützen tief ins Gesicht, schoben ihre Fahrräder zum Tor und öffneten es. Augenblicklich flammte ein Meer von Blitzlichtern auf, und es klickten zahllose Kameras. »Liliane! Hier!«, schrillte eine Reporterin, die eine große Fernsehkamera auf der Schulter trug. »Guck hierher!« Ein anderer Paparazzi rief: »Lächle mich an! Hier! Hierhin lächeln!« Ein weiterer schrie: »Kannst du meinen Kaktus wachsen lassen?« Er hatte einen Blumentopf mit einem Kaktus in der Hand. Die arme Pflanze litt bestimmt sehr unter der Kälte, aber Lilli würde dem Reporter nicht den Gefallen tun, dem Kaktus vor laufender Kamera zu helfen. Stattdessen drängelte sie sich mit Hilfe ihrer Ellbogen durch die Meute.

»Klick-Heinis! Macht euch vom Acker!«, kläffte Bonsai aus Lillis Rucksack heraus. »Ihr geht mir tierisch auf den Senkel, ihr Vollpfosten!«

Da hatten Lilli und Jesahja sich durchgearbeitet, stiegen auf ihre Räder und traten in die Pedale. Schnell brachten sie einen immer größer werdenden Abstand zwischen sich und die Menschentraube vor dem Tor. Einige der Paparazzi sprangen nun jedoch in ihre Autos und nahmen die Verfolgung auf. Das kannte Lilli schon, und sie wusste, dass man dagegen nichts tun konnte. In den Zoo würden die Reporter aber zum Glück nicht mehr hineinkommen.

Wenig später erreichten Lilli und Jesahja das große Eingangsportal des Zoos. Während sie ihre Fahrräder abstellten, hielten die Autos der Paparazzi mit quietschenden Reifen neben ihnen. Gleich darauf klickten die Kameras wieder los. »Was willst du im Zoo machen, Liliane?«, fragte ein Reporter und hielt Lilli ein Mikrophon unter die Nase. »Hast du vor, ein Tier zu retten? Schwebt vielleicht die Elefantin in Lebensgefahr? Mit der bist du doch ganz besonders dick befreundet, oder?«

Marta, die Elefantin, war zwar tatsächlich eine sehr enge Freundin von Lilli, aber soweit Lilli wusste, ging es ihr gut. Keines der Zootiere schwebte in Lebensgefahr. Lilli war aus einem ganz anderen Grund hier. Mit festem Schritt und starr auf den Boden gerichtetem Blick ging sie auf das Zooportal zu.

Der Reporter lief mit dem Mikro neben ihr her und hielt zusätzlich eine Handkamera auf sie gerichtet. »Sag nur einen Satz, Liliane! Nur einen einzigen Satz!« Er klang beinahe verzweifelt. »Wenn du etwas in meine Kamera sagst, bekomme ich viel Geld dafür. Und ich brauche das Geld für meine Familie!«

Lilli blieb stehen und sah den Mann erschrocken an.

»Ich bin sehr arm, und meine Kinder –«

»Er lügt!«, unterbrach Jesahja schroff und zog Lilli weiter. »Glaub ihm kein Wort!«

Lilli folgte Jesahja und konnte kaum glauben, dass jemand sie wegen eines einzigen Satzes derart anlügen würde. Aber offensichtlich war es so.

»Zisch ab, Blödian!«, bellte Bonsai den Mann aus dem Rucksack heraus an.

»Was sagt der Hund?«, rief eine Reporterin.

Da hatte Lilli schon mit ihrem Generalschlüssel aufgeschlossen. Jesahja und sie schlüpften durch das Eingangsportal und ließen die rufenden Paparazzi hinter sich.

Die neue Anlage

»Puh!« Lilli atmete erleichtert auf. Die Reporter wurden immer hartnäckiger! Hinter dem Eingangsportal herrschte jedoch eine wunderbare Ruhe. Nur ein paar zufriedene Tierlaute durchbrachen die schläfrige Abendstimmung im Zoo, und Lilli entspannte sich.

»Diese ungehobelten Barbaren!«, giftete es aus Jesahjas Rucksack heraus. »Das ist wirklich die Krönung des schlechten Betragens!«

»Jetzt ist alles gut«, beruhigte Lilli Frau von Schmidt, die elegant aus dem Rucksack hüpfte und sich umsah. »Ich entferne mich nun«, informierte sie Lilli und war schon im nächsten Augenblick in der Dunkelheit verschwunden.

»Ich will auch raus!«, bellte Bonsai, und Lilli ließ ihn aus dem Rucksack springen. Der Hund drehte sich dreimal um die eigene Achse und trabte los.

»Wohin willst du?«, rief Lilli.

Bonsai blieb stehen. »Keine Ahnung.« Fragend blickte er Lilli an. »Wo gehst du denn hin?«

»Wir treffen uns hier mit Oberst Essig und Finn.«

»Das ist doch supi!«, wuffte der Hund. »Da mach ich mit.« Hechelnd stellte er sich neben Lilli.

Da traten Frau Essig-Steinmeier und Finn aus dem Haupthaus. Die Direktorin wurde wegen ihres energischen Auftretens von den Tierpflegern liebevoll Oberst Essig genannt, und dieser Name passte sehr gut zu ihr. Der Zoo war unter ihrer Führung perfekt organisiert und lief wie am Schnürchen.

»Ah, Liliane!«, rief die Direktorin schon von weitem und rauschte mit pfeilgeradem Rücken näher. Sie war eine große, hagere Frau mit dunkelbraunem Haar, das am Hinterkopf zu einem Knoten hochgesteckt war. In letzter Zeit trug sie außerdem immer eine Blume im obersten Knopfloch ihrer Jacke. Heute war es eine Amaryllis.

Finn Landmann hastete hinter Frau Essig-Steinmeier her. Finn war achtzehn Jahre alt und noch Auszubildender im Zoo. Dennoch nannte die Direktorin ihn ihren »besten Pfleger«. Finn liebte die Tiere und war aufrichtig um ihr Wohl besorgt. Er hatte blaue Augen und lange hellbraune Haare, die meist zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden waren.

Die beiden kamen nun im Eiltempo zu Lilli, Jesahja und Bonsai herüber. »Liliane. Jesahja. Bonsai«, grüßte Frau Essig-Steinmeier knapp und nickte jedem mit einer zackigen Kopfbewegung zu. »Man hat mich soeben angerufen. In fünf Minuten sind sie da.«

»Oh, gut!« Lilli wickelte aufgeregt eine Locke, die unter ihrer Wollmütze hervorblitzte, um den Zeigefinger.