Alice Pantermüller
Mein Leben, manchmal leicht daneben
Roman
Mit Illustrationen von Annika Görlitz und Josephine Mark
Knaur e-books
Alice Pantermüller, 1968 in Flensburg geboren, ist eine erfolgreiche deutsche Kinderbuchautorin. Sie arbeitete als Lehrerin und Buchhändlerin, bevor sie 2009 einen u.a. vom Arena-Verlag ausgeschriebenen Schreibwettbewerb gewann. Seitdem hat sie zahlreiche Kinderbücher veröffentlicht, darunter die Bestseller-Reihe »Mein Lotta-Leben«, in der die zehnjährige Lotta in Tagebuchform von ihrem Leben als »blockflötisch total unbegabter« Gesamtschülerin mit »zwei Blödbrüdern« berichtet. Alice Pantermüller ist verheiratet und lebt mit ihrem Mann und den zwei Söhnen im Landkreis Celle. »Mein Leben, manchmal leicht daneben« ist ihr erster Roman für Erwachsene.
© 2019 der eBook-Ausgabe Knaur eBook
© 2019 Knaur Verlag
Ein Imprint der Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit
Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.
Redaktion: Martina Vogl
Covergestaltung: Annika Görlitz / artarax.de
ISBN 978-3-426-45260-8
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Für Mutti.
Für Bine.
Für Sinje. Und es war Sommer.
»Moin!
Sagt mal, kennt ihr das auch? Man nimmt sich was besonders Schönes vor, und schwups, verwandelt es sich in das reinste Chaos, schneller, als man Eyjafjallajökull sagen kann? Und das alles nur, weil Jan nach Frankreich gegangen ist. Nein, keine Angst, mein Mann hat mich nicht verlassen, er brauchte nur ein Sabbatjahr.
Tja, und ich? Was brauche ich?
Am besten, ich fange mal von vorn an zu erzählen. Übrigens: Mein Name ist Svea.«
Dann … dann fahr ich jetzt.«
»Ja, dann fährst du jetzt.«
Jan hielt Sveas Gesicht in beiden Händen, legte seine Stirn gegen ihre. Was für eine Wärme er ausströmte, fast glühte er … Svea erschauerte und spürte die Kälte ihrer Wangen nur umso deutlicher. Es war Sonntagvormittag, der Februar war gerade drei Tage alt, und das unschlüssige Winterwetter wurde durch den Wind, der über den Hof pfiff, noch unangenehmer, als es sowieso schon war. Es nieselte leicht. Svea drückte sich etwas fester an ihren Mann.
»Dass du mir das ermöglichst … Das ist einfach unglaublich toll von dir«, murmelte Jan mit belegter Stimme. »Dafür bin ich dir so dankbar, meine Liebste.« Er hatte einen Kloß im Hals, das war deutlich zu hören. Svea nickte nur, denn ihr eigener Kloß drückte gerade gewaltig auf die Stimmbänder. Jans heiße Stirn nickte mit. »Obwohl es natürlich viel schöner wäre, wenn du mit mir kommen könntest«, flüsterte er dann. »Das hätte ich mir so gewünscht.«
In Sveas Bauch grummelte es, doch sie seufzte nur: »Es geht nun mal nicht.« Ein wenig mühsam löste sie sich von ihrem Mann und sah ihn an. Sein blasses Gesicht. Das verstrubbelte blonde Haar. Die blauen Augen. »Wir kommen dich besuchen. Im Sommer.«
Im Sommer. Schlimme Worte, wenn der Sommer noch so weit entfernt war, dass die Rückkehr der warmen Zeit geradezu utopisch erschien.
Jetzt war es Jan, der nickte. Stumm griff er nach ihren Händen und umschloss sie mit seinen, aber Sveas Finger blieben steif und kalt. Einen Augenblick lang war nichts zu hören außer dem energischen Piepen eines Vogels, der im kahlen Pfirsichbaum saß. »Ach ja«, sagte Jan dann mit rauer Stimme. »Und du denkst an den TÜV, nicht wahr? Das habe ich nicht mehr geschafft. Und … und ans Heizöl. Und daran, Lebendfallen zu besorgen, wegen der Mäuse …«
Svea seufzte. »Natürlich, Jan.«
Sie sahen sich an. Sie hatten sich alles gesagt. Viele Winterabende vor dem Ofen die Details besprochen, so wie sie es damals besprochen hatten, eine Terrasse hinterm Haus verlegen zu lassen. Aber jetzt ging es nicht um eine Terrasse. Jan würde weggehen. Ein ganzes Jahr lang.
Svea holte tief Luft. Es war so weit. Niemand hatte etwas davon, es noch weiter in die Länge zu ziehen. Sie trat einen Schritt zurück, um ihren Kindern ebenfalls die Chance zu geben, sich von ihrem Vater zu verabschieden.
Jarne und Fenna hatten wenige Meter von ihren Eltern entfernt an der Hauswand ausgeharrt. Die feuchte Kälte ließ sie von einem Fuß auf den anderen wippen, als sehnten sie die Abreise ihres Vaters ungeduldig herbei. Offensichtlich hatten beide beschlossen, den Abschied kurz und schmerzlos zu halten. Dass sie nicht geplant hatten, mehr Zeit als nötig außerhalb des Hauses zuzubringen, erkannte Svea deutlich daran, dass Jarne nicht einmal eine Jacke übergezogen hatte, während Fenna Badelatschen zu ihrem offenen Daunenmantel trug, den sie fest um den Körper geschlungen hatte.
Die Geschwister tauschten einen kurzen Blick. Dann schlichen sie auf Jan zu, die Hände irgendwo unter die Oberarme geklemmt, ein wenig linkisch wie die Katze um den heißen Brei. Die Situation war aber auch zu seltsam: Ihr Vater würde ein ganzes Jahr lang nicht zu Hause sein. Solche Zeiträume können selbst Jugendliche überfordern, die gerade damit beschäftigt sind, ihren Eltern über den Kopf zu wachsen.
»Tschüss, Papa«, brummte Jarne und streckte ernsthaft seine Hand aus. O Jarne. Manchmal wollte Svea ihrem Ältesten gern einen Tritt in den Hintern geben.
Jan aber zog ihn an sich und drückte ihn fest. »Du bist jetzt der Mann im Haus, mein Großer«, sagte er. »Bitte hilf deiner Mutter, so gut du kannst, okay?«
»Okay.« Jarne schloss seine Arme jetzt ebenfalls um seinen Vater, und Svea wusste, dass sie sich auf sein Okay ein Ei braten konnte.
Der Abschied von Fenna war deutlich stürmischer. »Du hast es sooo gut!«, jammerte die Vierzehnjährige, als sie ihrem Vater in die Arme fiel. »Du kannst einfach in den Süden fahren … Und ich muss hier in Langweilig bleiben und jeden Tag in die blöde Schule gehen!« Dabei drehte sie den Kopf etwas und warf Svea einen vorwurfsvollen Blick zu.
»Du wirst es überleben.« Jans bedrückter Gesichtsausdruck wich einem Grinsen. »Streng dich im Unterricht an, sei fleißig und werde etwas älter und reifer, dann ist auch bei dir mal ein Auslandsjahr dran.«
»O Mann, Papa, was für ein Scheißspruch, aber echt!« Wütend trommelte Fenna gegen den Rücken ihres Vaters, ließ ihn aber dabei nicht los. Fast sah sie aus, als überlegte sie, doch noch ein paar Tränchen zu verdrücken, aber dann knurrte sie nur noch etwas Unverständliches in seine Jacke, bevor sie sich wieder von ihrem Vater löste.
Svea drehte sich zum Haus um. Jetzt fehlte nur noch einer. »Matti!«, rief sie und winkte den kleinen Jungen heran, der gerade im runden Blumenbeet vor dem Eingang saß, unter dem kahlen Pfirsichbaum, und genüsslich in der Erde wühlte. »Kommst du und sagst auch Tschüss zu Papa?«
Sofort sprang Matti auf und lief zu seinen Eltern hinüber. Seine Mütze war schon wieder im Zuge einer aufregenden Mission verschwunden, das blonde Haar starrte vor Dreck, und die Farbe seiner Kleidung konnte man nur noch erahnen. »Ich bau gerade ein Käferhöhlenhaus, Mama«, erklärte er mit leuchtenden Augen. »Bei den Blumen. Jeder Käfer kriegt seine eigene Höhle. Die bohr ich mit dem Finger da rein!« Wie zum Beweis hielt er einen pechschwarzen Zeigefinger in die Höhe.
Svea schluckte und versuchte zu lächeln, aber sie sah, dass in Jans Augen plötzlich Tränen glitzerten.
Schnell beugte er sich zu seinem Fünfjährigen hinunter und drückte ihn fest an sich. Mitsamt der Dreckkruste, von der sein Kind eingehüllt wurde wie das Seelachsfilet von der Panade. »Tschüss, mein Süßer. Und schlepp nicht zu viele Tiere an!« Seine Stimme zitterte ein wenig.
»Fährst du weg, Papa?«, fragte Matti.
Jan lachte überrascht auf. Kurz zögerte er, dann schob er seinen Jüngsten sanft von sich, gerade so weit, dass er ihm in sein kleines, schmutziges Gesicht sehen konnte. Blinkerte mit den Augen und räusperte sich. »Du weißt doch, dass ich jetzt nach Frankreich fahre, Spatz. Für ein Jahr.« Er strubbelte Matti durchs Haar, aus dem Sand rieselte wie Schuppen.
»Ja, weiß ich«, sagte Matti gleichmütig. »Nach Mong… Mongpelle-jeh. Sollen wir nachher wieder tote Seesterne sammeln, Papa? Für die Möwen?« Und er zeigte hoch zu den Silbermöwen, die auf dem Dachfirst des Schuppens saßen und entschlossen in die Ferne starrten, aufgereiht wie Wäscheklammern an der Leine.
Jan tauschte einen kurzen Blick mit Svea. Dann griff er nach Mattis schmutzigen Fingern, umschloss jetzt sie mit beiden Händen. »Ich werde nachher nicht da sein, Matti. Und nächste Woche auch nicht. Und auch nicht an deinem Geburtstag im September. Ich bin jetzt erst mal ganz, ganz lange weg.«
»Ach so.« Matti schien zu überlegen. »Hast du denn überhaupt Tschüss zu Spucki gesagt?«
»Ja, das habe ich.«
»Und auch zu Kiki?«
»Ja, Matti, ich hab allen …«
»Und zu Mulli?«
»Natürlich. Auch zu Mulli.«
»Und zu Pieper?«
»Ich habe allen Tieren Tschüss gesagt, Matti.«
Matti nickte ernsthaft. »Dann kannst du jetzt wegfahren.«
Und das tat Jan auch. Vorher nahm er Svea noch einmal fest in die Arme, und ein bisschen Blumenerde rieselte aus einer Falte seiner Jacke. »Ich liebe dich«, murmelte er.
»Ich liebe dich«, flüsterte Svea erstickt, denn ihr Hals fühlte sich plötzlich an, als steckte er in einer Schlinge, die ganz langsam zugezogen wurde. Aber sie musste tapfer sein. Zumindest im Augenblick noch. Dafür würde sie dann später am Tag ein bisschen zusammenbrechen. »Fahr vorsichtig. Und melde dich, sobald du da bist.«
Und dann sah sie nur noch Jans Rücken und legte schnell von hinten ihre Arme um Mattis schmalen Körper in seinem drecksteifen Matschanzug, damit die Lücke, die in dieser Sekunde entstanden war, nicht umgehend zu einer tiefen Schlucht wurde. Von rechts und links rückten Jarne und Fenna dicht an ihre Mutter heran. Fenna legte sogar ihr Kinn auf Sveas Schulter. Offensichtlich brauchten auch ihre großen Kinder in diesem Moment ganz dringend ein bisschen Körperkontakt. Gemeinsam sahen sie Jan hinterher. Svea gab sich alle Mühe, tief ein- und auszuatmen, ein und aus, um die Panik niederzuringen, die sie plötzlich überfiel. Ihr Mann war noch nicht einmal weg, doch sie fühlte sich bereits wie eine Ertrinkende, die nach Luft rang … Verzweifelt versuchte sie, einen Blick über den Wellenberg zu erhaschen, der sich mit einem Mal vor ihr auftürmte.
Jan rüttelte noch einmal an seinem Fahrrad, das er in der Halterung am Heck des alten Audi fixiert hatte, dann stieg er ein und ließ die Fenster heruntergleiten.
»Tschüss, Papa!«, schrie Matti und winkte, wobei er sich von Svea löste und ein, zwei Schritte nach vorn trat. Winkte dem Wagen hinterher, der durch den Kies rollte, mit dem vertrauten Brummen, dem vertrauten Kennzeichen unter der Fahrradhalterung. Jan fuhr im Bogen am großen Walnussbaum vorbei, der mitten auf dem Hof stand, zwischen dem weißen Wohnhaus und dem ebenso weißen Nebengebäude, beide unter große Reetdächer geduckt, bis er schließlich blinkte und am Ende des Hofs rechts in die Straße abbog, die hinaus in die große, weite Welt führte.
Svea, Jarne und Fenna winkten ebenfalls, mittlerweile mit beiden Armen, bis das Auto nicht mehr zu sehen war, und das war der Moment, in dem die Situation Svea endgültig zu überwältigen drohte, sie mit aller Macht in die Knie zu zwingen versuchte. Nicht weinen, nicht weinen, nicht weinen, befahl sie sich, während sich in ihrem Kopf alles drehte und sie am liebsten an Ort und Stelle zusammengesackt wäre. Einfach in den Kies am Boden gesunken. Aber sie war umgeben von ihren Kindern. Ihr Kleiner stand direkt vor ihr. Ihr kleiner, süßer Matti, dem sie unbedingt verheimlichen wollte, dass ihre Augen schwammen und sich in ihrem Magen gerade ein Zittern ausbreitete, das ihren ganzen Körper in Beschlag nahm, das Arme und Beine flutete bis in die Finger- und Zehenspitzen.
Nein, nein, nein!, befahl sie sich, noch ein bisschen strenger als zuvor. Nachher vielleicht, aber jetzt reißt du dich erst mal zusammen. Lenk dich am besten gleich mit irgendetwas ab. Genau. Mit irgendwas Schönem. Zu etwas Sinnvollem wäre Svea im Augenblick sowieso nicht in der Lage. Irgendwas Einfaches und Schönes musste es sein, um nicht denken zu müssen … um sich wieder ein wenig fangen zu können.
»Mama, ich geh dann mal wieder rein, okay?«, unterbrach Fenna etwas zögerlich ihre Gedanken. »Es ist voll kalt hier draußen.« Sie pustete gegen ihre Hände und trat auf der Stelle.
Jarne hingegen berührte seine Mutter nur sanft an der Schulter und sah sie ein bisschen besorgt an. Zwei Seelen kämpften in seiner Brust, das sah Svea genau. Die eine, die sich eigentlich verpflichtet fühlte, seine Mutter zu trösten, und die andere, die ganz schnell wieder in sein Zimmer wollte, zurück an den Computer. Zu Destiny oder Assassin’s Creed oder wie sein aktuelles Spiel gerade hieß.
»Ist in Ordnung. Alles gut. Geht nur wieder ins Haus.«
Worte, die halbwüchsige Kinder ihrer Mutter nur allzu gern abnehmen. Sofort flüchteten sich die beiden in die wohlige Wärme hinter der Eingangstür.
Jetzt stand nur noch Sveas Jüngster mit seiner Mutter zusammen auf dem Kiesweg zwischen den Gebäuden. Noch immer sah er halb nachdenklich, halb interessiert zur Straße hinüber.
»Ist Papa jetzt tot?«, fragte Matti dann unvermittelt.
»Was?« Schmerzlich zuckte Svea zusammen. »Wie kommst du denn darauf?« Natürlich wusste sie, wie Matti darauf kam, aber trotzdem. Genau die falsche Frage im falschen Moment.
»Na, wie Opa.« Jetzt wandte Matti sich um und sah zu ihr auf, und seine himmelblauen Augen leuchteten wie kleine Seen in seinem schmutzigen Gesicht, denn unter seiner Dreckschicht war Matti ein Elfenkind mit wolligem hellblonden Haar, einer Haut wie Porzellan und Augen wie Saphiren. »Der war auch plötzlich weg und ist nicht mehr wiedergekommen, und ihr habt gesagt, er ist tot. Und immer, wenn wir zu Opas Haus fahren, ist er nicht da. Nie ist Opa zu Hause!« Den letzten Satz brachte er fast ein wenig anklagend hervor.
»Matti.« Schnell ging Svea vor ihrem kleinen Sohn in die Hocke und ergriff seine eiskalten Hände. Und dann ließen sich die Tränen wirklich nicht mehr zurückhalten. Sie sprangen einfach aus ihren Augen und liefen übers Gesicht. Aber das war jetzt auch egal. »Papa ist nicht tot. Hörst du? Nicht tot. Opa ist gestorben, weil er alt war. So wie … so wie der kleine Igel im letzten Jahr.«
»Pieksi.« Jetzt endlich schluckte auch Matti schwer. Seine Augen begannen verdächtig zu schimmern, und innerhalb von Sekunden liefen die beiden himmelblauen Seen über. Tja, so einer war Matti, Sveas Matti. Bei Opa hatte er nicht geweint. »Armer kleiner Pieksi.« Schon zeichneten die Tränen helle Spuren auf seinem dreckigen Gesicht.
»Aber Papa ist nicht tot, mein Kleiner. Papa kommt zurück. Und vorher besuchen wir ihn. Wir fliegen mit dem Flugzeug nach Montpellier und besuchen ihn dort.«
»Pieksi war nicht alt«, schluchzte Matti. »Er war noch ganz, ganz klein …«
Genau in dem Moment bahnte sich ein hysterisches Lachen den Weg durch Sveas Brust, ein lautes Gluckern, das sich einfach nicht aufhalten ließ, und deshalb schlang sie schnell die Arme um ihren kleinen Sohn. Presste ihn fest an sich und tat so, als müsste sie ganz schrecklich um den kleinen, gestorbenen Igel weinen, damit er nicht merkte, dass es sie schüttelte vor Lachen. Es war wohl alles einfach ein bisschen viel gewesen in den letzten Monaten.
Als Mattis Tränen schließlich versiegt waren, ließ Svea sich von ihm sein Käferhöhlenhaus zeigen, denn Käferhöhlenhäuser waren mit Sicherheit unschlagbare Geheimtipps, um kleine Jungs von verstorbenen Igeln abzulenken. Zum Glück konnte Matti sich auch umgehend wieder für sein Bauwerk begeistern. »Guck mal, Mama!« Mit spitzen Fingern zog er eine Blumenzwiebel aus einer Käferhöhle und hielt sie Svea stolz vor die Nase. »Ich hab ganz viele klitzekleine Zwiebeln gefunden! Mit so Grün dran, da sind die Vitamine drinne. Jeder Käfer hat seine eigene Zwiebel gekriegt … Nun können die alle erst mal schön frühstücken!«
Svea schloss kurz die Augen und atmete tief durch. Noch immer fühlte sie sich reichlich zittrig, und ihr wurde gerade schmerzhaft deutlich, dass Käferhöhlenhäuser nicht dazu geeignet waren, Mütter von ihrem Kummer abzulenken. Nun gut. Okay. Ganz ruhig bleiben. Dann eben dieses Jahr keine Schneeglöckchen. Und auch keine Tulpen, Narzissen und Perlhyazinthen. Denn deren Zwiebeln waren offensichtlich zu groß, um als Käferfutter zu dienen, und lagen jetzt neben Sveas schönem Rundbeet im Kies verteilt. Ganz zu schweigen von den Rhizomen der Pfingstrosen und den Wurzeln des Klatschmohns, die dem Bauboom zum Opfer gefallen waren.
»Matti«, begann Svea schwach und wollte ihr Kind eigentlich an die Blütenpracht im Frühjahr und Sommer erinnern – die Schneeglöckchen hatten ja bereits hoffnungsvoll ihr Grün aus der dunklen Erde gereckt –, aber dann seufzte sie nur tief. Erst einmal musste sie selbst wieder zur Ruhe kommen. Davon war sie nämlich gerade noch weiter entfernt als ihr Fünfjähriger vom Nobelpreis für Hygiene: Genau in dieser Sekunde keimte in ihr schon wieder eine leise Panik beim Gedanken an die zusätzliche Arbeit, die es erfordern würde, aus einem Baugrundstück für Käfer wieder ein Blumenbeet zu machen.
»Ich gehe auch rein, okay?«, flüsterte sie schließlich und strich Matti über den Kopf. Sand rieselte aus seinen feuchten Haaren, und er nickte.
Die Diele erschien Svea stiller als sonst, nachdem sie die Haustür hinter sich geschlossen hatte. Zu still dafür, dass doch nur eine Person fehlte. Und zwar ihr Mann, der in der letzten Zeit ohnehin viel zu selten zu Hause gewesen war.
Ein paar Atemzüge lang blieb Svea stehen und lauschte ihrem eigenen Herzschlag, der deutlich zu schnell und immer noch sehr aufgeregt durch ihren Brustkorb bollerte. Sie versuchte, sich zur Ruhe zu zwingen, indem sie erneut tief ein- und ausatmete und ihren Blick schweifen ließ. Vor ihr lag die große Bauerndiele. Durch die Sprossenfenster links und rechts der Tür schwappte trübes Februarlicht in den Raum und verteilte sich wie eine Schlammschicht auf Boden, Möbeln, Wänden.
Wahrscheinlich hätte sie in diesem Moment einfach nur den Lichtschalter betätigen und für Helligkeit im Haus sorgen müssen, anstatt sich der grauen Dämmerung zu ergeben. Aber, verflixte Kiste, Svea war nun einmal gerade so deprimiert! So aufgewühlt und deprimiert zugleich. Daher beschloss sie, ihrem Kummer freien Lauf zu lassen, hier an Ort und Stelle – aber nicht einmal die Tränen wollten jetzt kommen, um ihr Erleichterung zu verschaffen. Dann eben nicht.
Einen Augenblick blieb Svea noch an der Tür stehen und lauschte der Stille im Haus. Sie atmete erneut tief durch und sah sich um. Sie mochte diesen Raum. Die massiven Holztüren, die in alle Richtungen abgingen. Die grauweißen Steine am Boden. Am längsten ruhte ihr Blick auf der friesischen Hochzeitstruhe links an der Wand, die aussah, als stünde sie schon seit Jahrhunderten an derselben Stelle. Dabei war sie ein Erbstück von Jans Vater und erst vor wenigen Wochen dazugekommen.
Dann wusste Svea, was zu tun war. Was sie jetzt brauchte, um der Enge in ihrer Brust, dem Gefühl von Alleingelassensein zu entkommen. Sie setzte sich wieder in Bewegung. Lief die Treppe an der rechten Wand hoch, gleich hinter dem Eingang zur Küche, hinauf in den ersten Stock.
Oben war es noch finsterer. Die alten Holzdielen im Flur ächzten unter ihren Füßen. Hinter der ersten Tür links befand sich das Arbeitszimmer, das ihr jetzt ein ganzes Jahr lang allein gehören würde. Erst hier schaltete sie das Deckenlicht an, das sie blendete, als ob sie direkt aus der Nacht gelaufen käme. Dabei war es nur der Februar in einer seiner eher unschönen Varianten.
Wie immer türmten sich Papierstapel auf ihrem Schreibtisch, ein heilloses Durcheinander, nicht anders als das in ihrem Kopf. Seitenweise Entwürfe, Skizzen, Sprechblasen, Ideen, dazu die weißen Blätter, die ungeduldig darauf warteten, bekritzelt zu werden. Mit dem Arm schob Svea die Stapel nach rechts und nach links weg, schuf sich einen freien Raum in der Mitte und beugte sich dann über ein noch jungfräuliches Blatt Papier. Und ohne noch eine weitere Sekunde zu überlegen, begann sie fieberhaft zu zeichnen.
Svea richtete sich auf, blinzelte. Sie ließ den Stift auf den Tisch fallen, schüttelte die rechte Hand aus, lockerte ihre Schultern. Dann las sie den Comic noch einmal durch, betrachtete die Zeichnungen, zweimal, dreimal, bis sie das Lächeln auf ihrem Gesicht spürte und merkte, dass sie so langsam wieder frei durchatmen konnte. Puh.
Sie sprang auf, umrundete die beiden Schreibtische, die vor dem Fenster Rücken an Rücken zusammenstanden, und legte die Seite auf die Glasfläche des Scanners in der Zimmerecke dahinter. Speicherte sie dann im PC unter Lässigcoolecomics. Anschließend schickte sie sie umgehend Katja per E-Mail zu.
Katja, ihrer besten Freundin seit der gemeinsamen Schulzeit.
Erschöpft lehnte Svea sich in ihrem Schreibtischstuhl zurück, sah aus dem Fenster hinaus ins graue Februarnichts und ließ die Tagträume zu, die sich in ihren Kopf schlichen und sie aus der trüben Realität hinaus in andere Sphären entführten. Und mit einem Mal fühlte sie sich wieder fünfundzwanzig Jahre jünger und der Stochastik ausgeliefert. Oder war es Analysis? Vektorrechnung? Auf jeden Fall irgendetwas, was noch öder war als der Blick aus dem Fenster ihres Klassenraumes in den verhangenen Flensburger Himmel.
»Pssst!« Unter dem Tisch schob Katja ihr eine Zeichnung zu. Endlich, ein neuer Herr Weilbye-Comic! Den brauchte ihr Hirn jetzt aber auch wirklich, um nicht vor Langeweile völlig zu verdorren. Herr Weilbye war ihr Mathelehrer mit seinem charakteristischen Zweierkopf, für den in jedem Lebensbereich ausschließlich Zahlen existierten. Seine Frau 5221 hatte ihm zum Frühstück zwei 59er gekocht. Lecker, die aß Herr Weilbye am liebsten! Er streute sich noch ein bisschen 1911226 darüber und …
Mist. Schon stand der Mathelehrer direkt vor ihrem Platz. Sah Svea wortlos an und streckte die Hand aus. Zum Glück waren die beiden Freundinnen auf diese Situation wie immer bestens vorbereitet. Mit gekonntem Dackelblick zog Svea eine mathematische Formelsammlung unter dem Tisch hervor und knitterte verlegen damit herum. »’tschuldigung, Herr Weilbye, aber ich hab das noch nicht so ganz kapiert, und deshalb dachte ich … ich guck da noch mal rein …«
»Wenn du und deine Freundin Katja besser im Unterricht aufpassen würdet, dann würdet ihr die Mathematik auch besser kapieren.« Das letzte Wort akzentuierte Herr Weilbye so deutlich, dass allen Schülern seines Mathekurses auf der Stelle klar war, dass es nicht zu seinem üblichen Wortschatz gehörte. »Was willst du mit den Formeln für Differenzialgleichungen? Wir beschäftigen uns gerade mit analytischer Geometrie.«
»Ich dachte …«
»Du dachtest, du dachtest. Das Denken solltest du lieber den Pferden überlassen. Die haben größere Köpfe als du.«
In den Neunzigern durften Lehrer so etwas noch ungestraft sagen.
Doch nichts und niemand konnte Svea und Katja davon abhalten, auch während der Schulzeit ihre Comics zu zeichnen. Und als sie nach dem Abitur dann auch noch zusammen Grafikdesign in Hamburg studierten, explodierte ihr Output geradezu. Ihre Alter Egos Katja, die Coole, und Svea, die Lässige, begleiteten sie auf Schritt und Tritt und thematisierten und kommentierten jede Kleinigkeit, mit besonderem Augenmerk auf die skurrilen Momente des Studentenlebens. Daher war es sehr schade, dass diese Zeit mit Ende des Studiums schlagartig vorbei war. Zu viel Neues schob sich mit einem Mal zwischen die Freundinnen und ihre Comics, hauptsächlich der eine oder andere Mann. Diverse Kinder. Und all die Dinge, die man tun muss, wenn man plötzlich und unverhofft erwachsen wird.
Sie hatten dann tatsächlich fast zwanzig Jahre in den Tiefen des Unterbewusstseins ausgeharrt, Svea, die Manchmal-ganz-schön-Lässige, und Katja, die Ab-und-zu-auch-ziemlich-Coole, bis sie sich wieder aus den Erwachsenenhirnwindungen ihrer Erfinderinnen hervorschälten und abermals zu fliegen begannen. Und zwar zwischen Sveas und Katjas Rechnern hin und her.
Katja hatte als Erste wieder damit begonnen. Katja, die bis heute in ihrem Beruf als Illustratorin arbeitete. Sie hatte ihre beste Freundin in den vergangenen Wochen und Monaten zuverlässig mit Comics eingedeckt. Jedes Mal, wenn die Angst vor Jans langer Abwesenheit wieder in Sveas Gehirn schwappte und sie zu lähmen drohte, hatte Katja ihr per Comic gezeigt, dass es auch ein Leben ohne ihren Mann geben würde. Ein fantastisches, kreatives, lässiges und cooles Leben!
Und dieses Leben begann genau hier und jetzt! Jawohl!
Svea löste sich vom unerfreulichen Ausblick aus ihrem Fenster. Stattdessen fiel ihr Blick jetzt auf die Liste, die schon seit Anfang des Jahres am Computer hing und die sie immer wieder ergänzte. Dort hatte sie in den letzten Wochen – ausgelöst durch diverse Denkanstöße in Katjas Comics – all die schönen Ideen notiert, mit denen sie sich in ihrer Zeit ohne Jan etwas Gutes tun wollte. Sie hatte alte Träume hervorgegraben und mit neuen Einfällen gemischt, und herausgekommen waren ein paar Dinge, auf die sie sich schon sehr freute:
Isländisch lernen!!!
Evtl. Zumba oder so. Auf jeden Fall Sport
Nordische Filmtage besuchen
Musical-Wochenende in Hamburg …
… oder Frida-Kahlo-Kunstausstellung
Lange Hugh-Jackman-Filmnacht (mit Katja und Sanne)
Wellnesswochenende
Svea seufzte zufrieden. Das Wellnesswochenende im Alten Meierhof hatte Jan ihr zum Abschied geschenkt. »Auch du brauchst dringend mal eine Auszeit vom Alltag, um wieder zu Kräften zu kommen, meine Liebste«, hatte er gesagt, und da hatte er so was von recht gehabt. Svea musste nur noch einen passenden Termin finden, am besten so schnell wie möglich. Hoffentlich würde sie auch Katja und ihre Schwester Sanne dazu bewegen können mitzukommen. Zu dritt wäre Wellness bestimmt noch viel erholsamer. Und lustiger natürlich.
Dann dachte Svea wieder an ihren Mann und seufzte erneut, aber diesmal, weil ihr Herz sofort wieder in die Magengegend rutschte. Ach, Jan. Ihr Jan. Er würde in Frankreich hoffentlich ein wundervolles Jahr haben. »Ja, aber das werde ich auch, mein Liebster«, wisperte Svea, auch wenn es sich im Moment noch nicht besonders cool oder lässig anhörte. »Ich werde es mir so richtig gut gehen lassen. Das hier wird mein Jahr!«
Wenige Monate zuvor war bei ihnen die Welt aus den Fugen geraten. Es begann damit, dass Karl-August Joosten ziemlich plötzlich starb.
Genau genommen hatte die schleichende Talfahrt schon erheblich früher eingesetzt, aber der Tod von Jans Vater schlug einen Krater in ihr Leben, gegen den Jans berufliche Belastung plötzlich zur Randnotiz verkümmerte. Der ganz normale Wahnsinn, den er als Schulleiter zu stemmen hatte, der Ausbau der Grundschule Fieseby zur Ganztagsschule, der Hand in Hand ging mit permanentem Ärger mit den Handwerkern, die zunehmende Bürokratisierung des Schulalltags, die die Zeit und die Arbeitsmoral des Kollegiums zu fressen drohte – all das verblasste unter dem Schock, den Karl-Augusts Tod auslöste.
Er war ein toller Schwiegervater gewesen, ein großartiger Vater und Opa, ein wunderbarer Mensch. Klug und hilfsbereit und mit seinem ausgleichenden Wesen und seinen rührigen Händen immer zur Stelle. Als Svea und Jan vor drei Jahren den Resthof in Langballig gekauft hatten und aus der Stadt nach Langweilig gezogen waren, wie jedes Flensburger Kind den Ort nannte (Fenna nannte ihn noch heute so, und dabei war sie schon vierzehn), hatte sich Karl-August jeden Morgen von Sörup aus auf den Weg gemacht und war zehn Kilometer weit zu ihnen gefahren. Um halb acht war er auf dem Hof erschienen, in seinen schlammgrünen Gummistiefeln und pünktlich wie ein Uhrwerk, und hatte angepackt. Von morgens bis abends einfach nur angepackt. Immer sah er, was zu tun war, und dann tat er es. Und so wurde aus dem renovierungsbedürftigen Gebäude mit dem vermoosten Reetdach in kürzester Zeit ein kuscheliges Zuhause und aus dem verwilderten Grundstück mit dem riesigen Walnussbaum in der Auffahrt ein blühendes Paradies, in dem sich Mensch und Tier wohlfühlten. Denn auch auf Mattis sich unaufhörlich vergrößernden Zoo hatte Karl-August stets ein Auge.
Den Gehirntumor entdeckten die Ärzte erst, als es schon zu spät war. Er fesselte den rund um die Uhr aktiven Mann von einem Tag auf den anderen ans Bett und knipste seinen Geist aus. Ließ ihm nur noch wenige Wochen, die er nicht mehr nutzen konnte.
Es waren Jan und Svea, die sich um ihn kümmerten, denn Jans Mutter war bereits vier Jahre zuvor gestorben, und seine Schwester wohnte zu weit entfernt im Sauerland. Nach Karl-Augusts Tod dann war Jan für die Organisation der Beerdigung verantwortlich, anschließend war das Elternhaus dran. Ein Haus, viel zu groß für einen einzelnen Menschen und voller Erinnerungen.
Svea tat, was sie konnte, um ihren Mann zu unterstützen, aber irgendwann spürte auch sie die Grenzen ihrer Belastbarkeit. Zum Glück hatte sie selbst ebenfalls Hilfe: Ihre Mutter Waltraud kümmerte sich immer wieder um Matti, holte ihn vom Kindergarten ab und nahm ihn anschließend mit zu sich. Wenn sie ihn dann zurückbrachte, stellte sie meistens auch noch gutes Essen auf den Herd.
Auch Katja bot sich zum Babysitten an, etwa abends oder wenn Jarne und Fenna lange in der Schule waren und diese Aufgabe nicht übernehmen konnten. Zum Babysitten, zum Kistenpacken, zum Klönen … dazu, Svea und Jan zu ermutigen und ihnen den Rücken zu stärken. Und wenn sie nicht selbst da war, so schickte sie per E-Mail Comics, um ihre Freundin zwischendurch auch immer mal wieder zum Lachen zu bringen.
Doch trotz aller Unterstützung musste Svea erschreckt feststellen, dass Jan immer blasser und dünner wurde. Die Anforderungen in der Schule, das anstrengende Entrümpeln des Hauses und die fehlende Zeit für Trauer forderten ihren Tribut. Und eines Tages, es war ein Dienstagnachmittag Mitte Oktober, saß er auf der Bank vor dem Haus, reglos und ohne Jacke, obwohl es viel zu kalt war, und sagte: »Ich kann nicht mehr.«
Sein Anblick war für Svea so alarmierend, dass ihr schlagartig klar wurde: So kann es nicht weitergehen. Es musste etwas passieren. Sonst würde Jan an der Situation kaputtgehen.
Noch am selben Abend wurde die Idee eines Sabbatjahres geboren. Ein Sabbatical, ein ganzes Jahr lang einfach mal raus aus dem Alltag. Mit der Familie an einen anderen Ort gehen, weg von hier, von der Dauerbelastung. Weg von den Erinnerungen. Neustart.
Nur leider spielte die Familie nicht mit. Je weiter Svea diesen Schritt zusammen mit Jan durchdachte, desto stärker zerrten die Tentakel des Alltags an ihr. Vor allem die Tentakel Jarne und Fenna, die ihren Eltern sehr deutlich machten, dass sie sich eher mit einem Betonklotz am Fuß in der Ostsee versenken lassen würden, als mit ihnen zusammen ein Jahr lang ins Ausland zu gehen. Und so musste Svea wieder Abstand nehmen von dem schönen Gedanken. Schade, sie hatte sich doch bereits voll und ganz darauf eingelassen, träumte sich und ihre Familie bereits weg nach Frankreich. Sie googelte sogar schon nach Häusern im Süden, mit Blick aufs Mittelmeer …
Und dann kam dieser Abend vor dem Ofen, Mitte November. Bis zwei Wochen zuvor waren die Tage schön und golden gewesen, aber ziemlich plötzlich hatte der Herbst sich dafür entschieden zu zeigen, was in ihm steckte. Regen, Sturm und Laub, das sich nicht mehr an den Bäumen hielt, sondern in breiigem Matsch auf Straßen und Wegen lag und sie seifig machte. Laub, das zu nass und schwer war, um sich wegharken zu lassen. Brrr!
Zum Glück stand im Wohnzimmer dieser schöne schwedische Kachelofen, den sie gleich vor dem ersten Winter hatten einbauen lassen – eine Investition, die sich seither mehr als bezahlt gemacht hatte. Gerade an diesem Abend war das gute Stück einmal wieder sein Gewicht in Gold wert. Schon eine ganze Weile lang hatten Svea und Jan stumm seine Wärme auf sich wirken lassen. Wärme und Rotwein … Und mit einem Mal erschien der Abgrund vor ihren Füßen gar nicht mehr so tief … wurde mit sanften Bildern gefüllt, mit Bildern von Sommer, Sonne, Sand und Strand. Von einer Armada bunter Fischerboote, randvoll beladen mit Rotwein, Käse und kleinen, krabbeligen Krustentieren …
Tief in den Windungen von Sveas Unterbewusstsein war die Frankreich-Idee noch immer sehr lebendig.
»Sie haben mein Sabbatjahr genehmigt.«
Hmpf? Svea blinzelte. Jetzt waren ihr doch tatsächlich die Augen zugefallen. Es war aber auch bullig warm vor dem Ofen … Die Flammen hinter der Scheibe züngelten und leckten gierig am Holz und strahlten dabei eine Hitze aus wie in der Sauna. Nur ohne Eukalyptus-Menthol.
Es war der gemütlichste Abend seit einer gefühlten Ewigkeit. Wie lange war es her, dass sie und Jan einfach nur entspannt beieinandergesessen hatten, ohne zu reden, und sich vom Scheitel bis zu den Zehen hatten durchwärmen lassen? Wie sehr hatte sie dieses Behagen in der letzten Zeit vermisst. Aber jetzt zerfloss sie fast in ihrem Sessel vor lauter Heimeligkeit. Die Monate seit Karl-Augusts Tod waren ein Ritt durch die tiefste und finsterste Nacht gewesen. Dieser Abend war ein Lichtschein am Horizont, der erste seit Langem.
Sveas allerhöchstens viertelwacher Blick fiel auf ihre Füße, die sie gegen die Rundung des Kachelofens gestellt hatte, gegen die weiße Säule vor der roten Wand. Warme Füße … Sie seufzte behaglich.
Oh, zwei verschiedene Socken. Das sah sie ja jetzt erst. Mühsam versuchte sie, ihren Blick zu fokussieren. Beide waren blau … oder zumindest irgendwann einmal blau gewesen, aber die eine war deutlich kürzer und hatte sich im Laufe der Jahre zu einer Art Grau verfärbt, während die andere eher lila geworden war. Auf jeden Fall waren beide Socken Erbstücke von Jarne, aber Jarne war inzwischen siebzehn und hatte Schuhgröße sechsundvierzig. Und außerdem war da ein kleines Loch auf dem rechten großen Zeh, vielleicht sollte sie …
»Svea, hast du mich gehört?«
Was hatte Jan gesagt? Irritiert sah Svea auf. Über das Tischchen mit den Gläsern, in denen der Wein dunkelrot schimmerte, schaute sie zum anderen Sessel hinüber, in dem sich Jan vorgebeugt hatte. »Ähmm … Entschuldigung?«
Ihr Mann lächelte belustigt. Zumindest sah es so aus, allerdings konnte sie das bei dem schwachen Licht nicht so genau erkennen. Nur der Schein des Kaminfeuers erhellte das Wohnzimmer ein wenig, malte dabei jedoch merkwürdige Schatten in Jans Gesicht, das so schmal geworden war … Wieder blinzelte Svea.
»Du schläfst ja schon fast.« An seiner Stimme konnte sie hören, dass er wirklich lächelte.
»Ich habe das Gefühl, ich könnte eine ganze Woche lang durchschlafen«, nuschelte Svea wohlig. »Ach was – einen Monat. Es ist so schön hier. Endlich mal wieder ein bisschen Ruhe.« Sie griff nach ihrem Weinglas. »Jetzt geht es wieder bergauf. Oder, Jan? Sag, dass es wieder bergauf geht. Wir haben das Schlimmste hinter uns.« Es war nicht mehr als ein Hoffnungsschimmer, genährt durch die Behaglichkeit, die Svea in diesem Augenblick fühlte und die sie einfach festhalten wollte.
Als Antwort nahm Jan sein Glas vom Tisch. Sie stießen an – Svea hatte ein bisschen zu viel Schwung drauf –, und ein lautes Ping! erklang in der Stille. Hm, lecker, der alte Marqués de Rabiata oder wie der hieß. Und genau die richtige Temperatur!
»Ja«, bestätigte Jan dann nach einem kaum wahrnehmbaren Zögern. »Jetzt wird alles wieder besser. Ganz bestimmt wird es das.« War er wirklich derselben Meinung … Oder sagte er nur das, was sie hören wollte? Svea konnte es nicht genau erkennen. Jedenfalls machte Jan anschließend eine kleine Pause und strich mit den Fingern am Stiel seines Glases entlang. »Ich habe dir gerade erzählt, dass mein Sabbatjahr genehmigt wurde.«
»Oh.« Svea versuchte, die Tragweite seiner Worte zu erfassen. Allerdings war ihr Kopf noch immer in dieser wattigen Schläfrigkeit gefangen, die sie freiwillig auch so schnell nicht ziehen lassen wollte, zu angenehm fühlte sie sich an.
»Das … das ist ja toll!«, begann sie deshalb etwas schwerfällig. »Dann haben wir also ein ganzes Jahr Zeit, um wieder Ruhe in unser Leben zu kriegen … ohne Hektik, ohne Stress.« Sie lehnte sich in ihrem Sessel zurück. »Das wird uns als Familie so guttun«, seufzte sie. Ihr Blick fiel auf Jan. Er sah irritiert aus. Oder war es nur der Feuerschein, der seine Gesichtszüge verzerrte?
»Svea, aber …« Nein, offensichtlich nicht. Denn jetzt beugte er sich wieder nach vorn und stellte sein Weinglas ab. »Ihr … ihr kommt doch gar nicht mit. Wir haben uns doch lange genug darüber unterhalten und festgestellt, dass es nicht geht. Jarne und Fenna haben mehr als deutlich gemacht, dass sie solch ein Auslandsjahr niemals mit uns zusammen machen würden.«
»Nicht mit?« Jetzt blinzelte Svea verwirrt, und das schöne wattige Gefühl begann zu kippen. O nein, bitte nicht, dachte sie. Bitte, bitte nicht! Aber irgendetwas Störendes drängte sich mit aller Macht in ihr Bewusstsein. Irgendwas, was sie unmissverständlich darüber informierte, dass gerade schon wieder etwas ganz gewaltig schieflief. »Auslandsjahr?« Nun reiß dich mal zusammen, beschimpfte sie sich in Gedanken. Du klingst ja schon wie dein Opa Fiete damals, bevor er irgendwann ganz aufhörte, in zusammenhängenden Sätzen zu sprechen.
Svea stellte jetzt ebenfalls ihr Glas auf den kleinen Tisch. Setzte sich aufrecht hin und schlüpfte in ihre Puschen am Boden. Die mit dem Futter aus echter Schafwolle. Eine Übersprunghandlung, ganz klar. Schließlich kochten ihre Füße schon fast vor Ofenhitze.
»Ja, stimmt«, sagte sie dann langsam. »Wir haben erkennen müssen, dass das mit Frankreich nichts werden kann. Deshalb weiß ich gerade nicht so genau, was du …« Sie ließ den Satz unvollendet und schaute Jan fragend an.
Er sah bestürzt aus. »Svea, ich gehe für ein Jahr nach Frankreich! Schon zum Schulhalbjahr.« Er rutschte in seinem Sessel näher an sie heran, bekam eine ihrer Hände zu fassen und drückte sie. »Natürlich haben wir uns alles ganz anders vorgestellt … Wir haben davon geträumt, zusammen zu gehen, die ganze Familie, wir alle fünf. Und niemand ist trauriger darüber als ich, dass es nicht klappt. Ich hätte es mir so sehr gewünscht … Aber … aber die Idee an sich ist doch niemals gestorben! Ich brauche dieses Jahr. Es … es geht einfach nicht anders.«
Wie, es geht nicht anders? Svea starrte ihn ungläubig an. Sie zog ihre Hand aus seiner, schüttelte verwirrt den Kopf und blinzelte erneut. »Aber wieso?«, wisperte sie schließlich. »Ich dachte … ich dachte, dass du dann auch hierbleibst. Mit uns.« Wie war denn das nur möglich? Sie hatten sich doch wochenlang über das Thema unterhalten, immer wieder … Okay, immer, wenn Zeit war, also praktisch … sehr selten. Gewissermaßen nie. Aber trotzdem: Wie hatte es zu solch einem schrecklichen Missverständnis kommen können?
»Du … du kannst dein Sabbatjahr doch auch hier verbringen«, stammelte Svea verstört. Es klang ziemlich jämmerlich. »Zu Hause bei uns. Ganz entspannt … und so.«
»Ach, Svea.« Verzweifelt sah Jan sie an. Sein Gesicht war fahl im Feuerschein, er hatte einen herben Zug um den Mund bekommen. »Genau das würde nicht funktionieren. Wenn ich hierbliebe, würde ich weitermachen wie bisher. Ich würde im Alltag stecken bleiben und meinen Kopf niemals freikriegen … Tatsächlich würde ich mehr und mehr hineinstopfen. Das Haus meiner Eltern ist noch immer nicht verkauft, die Werkstatt und der Schuppen sind noch lange nicht ausgeräumt. Ich würde räumen, putzen, sanieren … und mich dann anschließend auf alles stürzen, was bei uns zu Hause noch anliegt. Die Ferienwohnung, die wir schon seit Ewigkeiten renovieren müssten. Den Garten. Die Bäume und Äste, die momentan abknicken wie Streichhölzer und überall im Weg liegen. Und aus der Schule würde wahrscheinlich jeden Tag jemand hier anrufen, wenn die wissen, dass ich gleich um die Ecke bin.« Er machte eine kurze Pause. »Wenn ich so weitermache, kippe ich irgendwann tot um. Ich kann einfach nicht mehr. Ich habe überhaupt keine Kraft mehr. Ich muss raus … komplett raus aus meinem Leben.«
»Aber …« Svea schluckte. Der Ofen war eindeutig zu heiß. Ihr Kopf fühlte sich an, als wäre er mit glühender Lava gefüllt. Außerdem hatte sie gerade das Gefühl, irgendjemand würde ihr Herz mit Paketklebeband umwickeln. Langsam und genüsslich. Als wollte er es zerdrücken. »Aber die Kinder«, wisperte sie dann. »Jarne und Fenna brauchen ihren Vater. Und Matti ist noch so klein!«
Da vergrub Jan den Kopf in seinen Händen und raufte sich die Haare, die blond waren und stumpf im Lichtschein des Feuers. Er brauchte dringend einen Haarschnitt, fiel Svea auf. Zum Friseur hatte er es schon lange nicht mehr geschafft. Und da zog sich das Paketklebeband um ihr Herz noch fester zusammen, diesmal vor Mitgefühl. Ja, ihrem Mann ging es mies, richtig schlecht, er war kurz vorm Burnout.
Aber was war mit ihr? War sie nicht die letzten Monate an seiner Seite durch diesen Albtraum gegangen und auch ziemlich angeschlagen? Wie stellte er sich das nur vor? Wie sollte sie es ganz allein schaffen, die Arbeit, das große Haus, den Garten … die Kinder?
Ganz plötzlich spürte sie etwas, das sich wie eine Ameisenstraße in ihrem Körper ausbreitete und schmerzhaft durch ihre Arme und Beine bis in die Finger und Zehen kroch: Es war die nackte Angst.
»Du warst es, die es mir so deutlich gemacht hat, meine Liebste«, flüsterte Jan schließlich. »Dass ich so nicht weitermachen kann. Dass ich etwas ändern muss. Weil ich sonst vor die Hunde gehe.« Wieder griff er nach Sveas Hand. Diesmal ließ sie es geschehen, erwiderte jedoch den Druck seiner Finger nicht.
Ja, dachte sie verzweifelt. Aber das war doch, als ich noch geglaubt habe, dass wir alle zusammen nach Frankreich gehen würden. Wir alle fünf! Ihr war schwindelig. Und das Paketklebeband schnürte ihr Herz so eng zusammen, dass sie fast das Gefühl hatte zu ersticken. Zitternd rang sie nach Luft.
Dann sprang sie auf, heftiger, als sie eigentlich wollte. »Entschuldigung«, stieß sie heiser hervor. »Aber ich muss … ich muss erst mal … Mir ist so furchtbar heiß.« Sie zog ihre Hand aus der ihres Mannes und lief aus dem Wohnzimmer. Durchquerte die große Diele und rannte die Treppe hoch, immer zwei Stufen auf einmal nehmend. Und bevor sie oben angekommen war, hatte sich die behagliche Ofenwärme in ihrem Inneren in eine arktische Frostnacht verwandelt, die sie zu einem Eiszapfen erstarren ließ.
Der Winter kam in diesem Jahr früh, und er kam mit Macht.
Es dauerte mehrere Tage, bis sich das einschnürende Band von ihrem Herzen löste, wenn auch nur langsam und klebrig-zäh, und Svea wieder zu einem klaren Gedanken fähig war. Okay, dachte sie irgendwann tapfer. Das sind jetzt also die Tatsachen. Jan geht für ein Jahr nach Frankreich. Schon im Februar.
»Wie ist es möglich, dass du als Schulleiter zum Halbjahr ein Sabbatical bewilligt bekommst?«, fragte sie ihren Mann, als er nachmittags aus der Schule kam. Gerade erst hatte er seine Tasche in der Diele abgestellt, als Nächstes würde er die Arbeitskleidung anziehen und zum Haus seines Vaters fahren, um weiter den großen Container, der vor der Tür stand, mit dem Leben seiner Eltern zu füllen. Svea musste die Viertelstunde nutzen, in der Jan zu Hause war.
Jan lächelte und nahm sie in den Arm. Küsste sie auf den Scheitel, und sie sog seinen Duft ein. Er roch so gut, nach Wärme und Liebe und Geborgenheit … Ja, genau so roch ihr Jan, den sie sich ausgesucht hatte. Und den wollte sie nicht ziehen lassen. Nicht nach Montpellier, und auch sonst nirgendwohin! Er sollte gefälligst hierbleiben, bei ihr, seine Liebe, seine Wärme, sein Duft …
»Komm, wir trinken erst einmal einen Kaffee«, sagte er dann und zog sie in die Küche, wo er die Maschine anwarf.
Die Kaffeemaschine war uralt und gab Geräusche von sich, die an einen Käfig voller Truthähne erinnerte, aber das Aroma, das sich nach und nach im Raum ausbreitete, erfüllte seinen Zweck. Svea atmete tief ein und sank auf ihren Stuhl vor dem Fenster, während Jan zwei Becher aus dem Schrank holte. Einen mit einem Elch drauf und Sveas Lieblingsbecher, von dem Hugh Jackman sie anlächelte. Natürlich ein Geburtstagsgeschenk von Katja.
Dann endlich setzte sich Jan seiner Frau gegenüber an den Küchentisch und beantwortete ihre Frage. »Das war ganz einfach. Ich war bei Doktor Horst, und der hat mir sofort bescheinigt, dass ich sooo nah am Burnout bin.« Der winzige Abstand zwischen Jans Fingern verdeutlichte seinen labilen Gesundheitszustand und entsprach außerdem ziemlich genau der momentanen Temperatur der Flensburger Außenförde. »Und da hat mir die Landesschulbehörde das Sabbatjahr auf der Stelle genehmigt. Weil sie das natürlich viel billiger kommt, als wenn ich die nächsten Monate krankheitsbedingt ausfalle.«
»Dann bekommst du also ein Jahr lang kein Gehalt.« Das war eher eine Feststellung als eine Frage.
»Nein. Ich muss ans Geld gehen, das wir fürs Studium unserer Kinder zurückgelegt haben.« Das hingegen sollte ein Witz sein, der allerdings vollkommen missglückte. Svea guckte so entsetzt, dass Jan sich sofort korrigierte. »Nein, nein, meine Liebste, natürlich nicht! Ich habe doch ein paar Ersparnisse, und dann ist da ja noch das Erbe meiner Eltern. Viel ist es nicht, aber wenn das Haus erst einmal verkauft ist, kommt ja wieder etwas dazu. Obwohl das wahrscheinlich erst passieren wird, wenn ich aus Frankreich zurück bin.« Jan stand auf und schenkte den Kaffee ein, der inzwischen durchgelaufen war.
Svea griff sofort mit beiden Händen nach ihrem Becher, stützte beide Ellbogen auf und nippte ebenfalls beidhändig am Kaffee. Au, heiß! Sie setzte den Becher wieder ab. Hugh Jackman lächelte sie freundlich an. Wenigstens er würde bleiben! »Und wo willst du wohnen?«, fragte sie dann. »Hast du schon eine Idee?«
Auch Jan stellte seinen Kaffeebecher auf den Tisch. »Ich habe im Internet eine kleine Wohnung gefunden, Studio nennen sie es … knapp dreißig Quadratmeter, zwei kleine Zimmer auf zwei Etagen in einem Anbau an das Haupthaus, das auch nicht viel größer ist … im Zentrum von Montpellier und trotzdem ruhig gelegen.« Er sah ein wenig verlegen aus und warf Svea einen fast entschuldigenden Blick zu. Wahrscheinlich, weil seine Planung schon viel weiter war als ihr Herz. »Warte, ich hole eben mal mein Tablet und zeige sie dir. Es wäre toll, wenn du den Vermietern eine E-Mail schreiben und nachfragen könntest, wie hoch der Mietpreis ist, wenn ich gleich ein Jahr dortbleibe, und ob die sich überhaupt darauf einlassen.« Geradezu eilfertig sprang Jan auf und lief aus der Küche.
Svea blieb zurück. Wieder sah sie in Hugh Jackmans schlammgrüne Augen. »Klar schreibe ich eine E-Mail«, erklärte sie ihm dann seufzend. »Ich bin zwar diejenige, die nicht mitkommt, aber was soll’s … Schließlich spreche ich ja schon Französisch. Warum also sollte ich mit nach Montpellier fahren? Nein, nein, ich bleibe in der Kälte zurück und schreibe E-Mails für meinen Mann. Der muss die Sprache schließlich erst noch lernen.«
Hugh Jackman antwortete nicht. Er lächelte nur diplomatisch und hüllte sich in Schweigen.
Svea nippte erneut an ihrem Kaffee, dann umschloss sie das Gesicht des Schauspielers mit beiden Händen. »Was macht deine Frau eigentlich so, wenn du lange unterwegs bist? Zum Filmen, meine ich. Kriegt sie das allein hin? Ihr habt wahrscheinlich eine Haushaltshilfe, nicht wahr? Und ein Kindermädchen, einen Gärtner, jemanden, der euch an TÜV-Termine erinnert. Und Probleme mit Mäusen kennt ihr in eurer australischen Luxusbude auch nicht, oder? Dafür vielleicht mit Kängurus?«
O Mann. Sie wollte auch mit nach Frankreich!
Als Svea und Jan die Kinder wenige Tage später informierten, reagierten sie ihren Naturellen entsprechend sehr unterschiedlich.