Dr. Reiner Stach
Kafka
Die frühen Jahre
FISCHER E-Books
Reiner Stach, geboren 1951 in Rochlitz (Sachsen), arbeitete nach dem Studium der Philosophie, Literaturwissenschaft und Mathematik und anschließender Promotion zunächst als Wissenschaftslektor und Herausgeber von Sachbüchern. 1987 erschien seine Monographie ›Kafkas erotischer Mythos‹. 1999 gestaltete Stach die Ausstellung ›Kafkas Braut‹, in der er den Nachlass Felice Bauers präsentierte, den er in den USA entdeckt hatte. 2002 und 2008 erschienen die ersten beiden Bände der hochgelobten dreiteiligen Kafka-Biographie. 2008 wurde Reiner Stach für ›Kafka: Die Jahre der Erkenntnis‹ mit dem Sonderpreis zum Heimito-von-Doderer-Literaturpreis ausgezeichnet. 2016 erhielt er den Joseph-Breitbach-Preis für sein Gesamtwerk.
Erschienen bei FISCHER E-Books
© 2014 S. Fischer Verlag GmbH, Hedderichstr. 114, D-60596 Frankfurt am Main
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ISBN 978-3-10-403158-3
Neue Freie Presse, Wien, 3. Juli 1883, S. 1. – Die »Landstube« ist der Versammlungssaal der böhmischen Stände auf dem Prager Hradschin.
Wörtlich wiedergegebene Auskünfte Julie Kafkas über ihre Familie entstammen einem kurzen autobiographischen Bericht, den sie zwei oder drei Jahre vor ihrem Tod verfasste. Der unvollständig überlieferte Bericht ist abgedruckt bei Alena Wagnerová, »IM HAUPTQUARTIER DES LÄRMS«. DIE FAMILIE KAFKA AUS PRAG, S. 44–47. Das handschriftliche Original befindet sich im Nachlass Hélène Zylberberg im Deutschen Literaturarchiv, Marbach am Neckar.
Martin Zeiller, ITINERARIUM GERMANIAE NOV-ANTIQUAE. TEUTSCHES REYSBUCH DURCH HOCH UND NIDERTEUTSCHLAND AUCH ANGRÄNTZENDE / UNND BENACHBARTE KÖNIGREICH / FÜRSTENTHUMB UND LANDE / ALS UNGARN / SIEBENBÜRGEN / POLEN / SCHWEDEN / DENNEMARCK / C. SO VOR ALTERS ZU TEUTSCHLAND GERECHNET WORDEN SEYN …, Straßburg 1632, S. 168. Zitiert nach: Julius Max Schottky, PRAG, WIE ES WAR UND WIE ES IST, NACH AKTENSTÜCKEN UND DEN BESTEN QUELLENSCHRIFTEN GESCHILDERT, Erster Band, Prag 1831, S. 187.
Zeitgenössische Flugblätter und Stiche zu den Prager Hinrichtungen sind in Band V der PRAGENSIA versammelt (hrsg. von Friedel Pick, Prag 1922). Eigentümlicherweise ist auf keiner der hier publizierten Abbildungen die astronomische Uhr zu sehen.
Das Bauernopfer hieß Diviš Czernin von Chudenitz: ein Hauptmann, der am 23. Mai 1618, am Tag des Fenstersturzes, die Repräsentanten der Stände in den Hradschin eingelassen hatte, obgleich sie sich weigerten, ihre Waffen abzulegen. Diesem Angeklagten kam die eigene Hinrichtung derart unwahrscheinlich vor, dass er noch auf dem Blutgerüst fest mit einer Begnadigung rechnete.
Johannes Urzidil, PRAGER TRIPTICHON. Erzählungen, München 1960, S. 15.
George Eliot, die 1858 für nur wenige Stunden Prag besuchte und daher ganz auf den ›atmosphärischen‹ Eindruck fixiert war, formulierte diesen Gedanken in ihrer Erzählung THE LIFTED VEIL.
Der Vorgang ist allenfalls vergleichbar mit der Enteignung des gesamten angelsächsischen Adels durch den Normannen Wilhelm I., der sich 1066 zum König von England krönen ließ. Wilhelm wandelte die konfiszierten Ländereien in Lehnsgüter um und besetzte sie vorzugsweise mit Normannen.
Zu den bedeutendsten Verlierern zählte das böhmische Adelsgeschlecht der Smiřický: Ihr immenser Grundbesitz wurde vollständig enteignet, da der letzte Erbe, Albrecht Jan Smiřický von Smiřice, mitverantwortlich für den Prager Fenstersturz war. Hauptgewinner und neuer Besitzer der Smiřický-Güter wurde Albrecht von Wallenstein (dessen Mutter eine geborene Smiřický war). Wallenstein erwarb unter anderem die gesamte Herrschaft Friedland zu einem Preis, der heute einer Kaufkraft von lediglich 6 bis 7 Millionen Euro entspräche (Stand: 2010), und er bezahlte diesen Preis teilweise mit Silbermünzen, an deren Fälschung er selbst beteiligt war.
Neben ›Wosek‹ (so buchstabierte es Julie Kafka) gibt es in deutschsprachigen Dokumenten auch die Schreibweisen ›Wossek‹ (zum Beispiel auf dem Meldezettel, mit dem der jüdischen Kultusgemeinde von Prag die Geburt Franz Kafkas angezeigt wurde) sowie ›Wohsek‹. Der tschechische und daher heute gebräuchliche Name des Dorfs ist Osek.
Vgl. Jacob von Falke, GESCHICHTE DES FÜRSTLICHEN HAUSES LIECHTENSTEIN, Zweiter Band, Wien 1877, S. 238.
Zu einer weiteren Wanderungsbewegung kam es, als im Jahr 1670 sämtliche Juden aus Wien und aus Niederösterreich ausgewiesen wurden (natürlich mit Ausnahme der ›Hoffaktoren‹). Diese Juden suchten sich jedoch dem Habsburger Einfluss vorläufig zu entziehen und flüchteten überwiegend auf protestantisches Territorium sowie nach Mähren. Es ist daher wenig wahrscheinlich, dass sich unter den Juden, die sich in Wosek und Umgebung ansiedelten, auch Flüchtlinge aus Österreich befanden.
Am Rand des Prager Ghettos stand ein Haus, das seit dem Ende des 16. Jahrhunderts ›u Kavků‹ (bei Kafka) hieß, benannt nach dem damaligen Besitzer Johann Kavka. – Diskutiert wurde auch die These, ›Kafka‹ gehe auf eine Koseform des hebräischen Namens Ja’akob zurück. Dagegen spricht jedoch, dass keine jiddische Ableitung aus ›Jakob‹ bekannt ist, die ›Kafka‹ irgendwie ähnlich klänge. Siehe Hartmut Binder (Hrsg.), KAFKA-HANDBUCH, Bd. 1, Stuttgart 1979, S. 110f.; sowie Pavel Trost, ›Der Name Kafka‹, in: Beiträge zur Namenforschung, 18 (1983), H. 1, S. 52f.
Brief an Oskar Pollak, 20. Dezember 1902 (B117).
Brief an Milena Jesenská, 10. Juni 1920 (B4170).
Tagebuch, 26. November 1911 (T323f.).
Ebd. (T324). – Diese Floskeln des Vaters schrieb Kafka acht Jahre später aus dem eigenen Tagebuch ab und zitierte sie wörtlich in seinem BRIEF AN DEN VATER (NSF2 169).
Die meisten der im Folgenden verwendeten Informationen über Hermann und Julie Kafkas Herkunft, Kindheit und Jugend beruhen auf den Recherchen von Klaus Wagenbach (FRANZ KAFKA. BIOGRAPHIE SEINER JUGEND, Bern 1958, verbesserte Neuausgabe Berlin 2006) sowie Alena Wagnerová (»IM HAUPTQUARTIER DES LÄRMS«. DIE FAMILIE KAFKA AUS PRAG, Köln 1997).
Die jüdische Bevölkerung der böhmischen Gemeinden war zwar statistisch erfasst, doch wiederum nur auf Grundlage des obsoleten Familiantengesetzes. Danach lebten in Wosek im Jahr von Hermann Kafkas Geburt 95 Juden, verteilt auf 20 ehemals ›legale‹ Familien (siehe den tabellarischen Anhang in: DIE NOTABLENVERSAMMLUNG DER ISRAELITEN BÖHMENS IN PRAG, IHRE BERATHUNGEN UND BESCHLÜSSE, hrsg. von Albert Kohn, Wien 1852, S. 411). Die tatsächlichen Zahlen waren jedoch sicherlich höher; Marek Nekula errechnet 130 Bewohner allein für die Judengasse (FRANZ KAFKAS SPRACHEN, Tübingen 2003, S. 47), die Chronik der Woseker Feuerwehr spricht sogar von 36 jüdischen Familien (Wagnerová, »IM HAUPTQUARTIER DES LÄRMS«. DIE FAMILIE KAFKA AUS PRAG, S. 43). Wosek insgesamt hatte zu dieser Zeit etwa 400 Einwohner.
Der Familienname von Hermanns Mutter (die von ihm benutzte Schreibweise: Platofsky) deutet darauf hin, dass auch diese Familie, wie die Kafkas, einst von polnischem Gebiet nach Südböhmen einwanderte.
Tagebuch, 26. November 1911 (T324). – In Österreich-Ungarn waren seit 1842 lediglich Fabrikarbeit sowie Arbeit im Bergbau für unter 12-Jährige verboten. Noch am Ende des 19. Jahrhunderts vertraten viele Sozialpolitiker in Europa die Ansicht, ein generalisiertes Verbot der Kinderarbeit sei überflüssig, da ja schon die Schulpflicht eine entsprechende Schutzfunktion ausübe.
Julie Kafka, zitiert nach Max Brod, ÜBER FRANZ KAFKA, Frankfurt am Main 1974, S. 13.
»Als kleiner Junge musste ich schon nach Písek ins Geschäft«, behauptete Hermann später (Kafka, BRIEF AN DEN VATER, NSF2 169). Realistischer erscheint die Bemerkung Julies, ihr Mann sei im Alter von 14 Jahren »in die Fremde« geschickt worden.
Als ›Pinkeljuden‹ bezeichnete man im 19. Jahrhundert hausierende jüdische Kleinhändler. – Die Plattnergasse befand sich am südlichen Rand des Ghettos, jedoch außerhalb von dessen Grenzen. 1908 wurde die Straße dennoch in das städtische Assanierungsprogramm einbezogen, und das Geschäft des Weinhändlers Angelus Kafka musste weichen.
Tagebuch, 25. Dezember 1911 (T318f.).
Zu Kafkas Freundschaft mit Jizchak Löwy siehe Reiner Stach, KAFKA. DIE JAHRE DER ENTSCHEIDUNGEN, Frankfurt am Main 2002, S. 51ff.
Das am 23. Juli 1787 erlassene Patent zur Reform jüdischer Namen gehörte zu einer ganzen Serie von Gesetzen, mit denen Joseph II. die Integration und die Germanisierung der österreichischen, böhmischen und mährischen Juden zu forcieren versuchte. Bis dahin hatten sich viele Juden lediglich durch einen Vornamen identifiziert, oft ergänzt durch eine inoffizielle Berufs- oder Ortsbezeichnung, während reguläre Familiennamen nur in einigen Städten üblich waren, zum Beispiel in Prag. Das Patent verlangte nun, dass jeder Jude künftig zwei unveränderliche Namen tragen müsse, einen Vor- und einen Familiennamen, wobei die Vornamen aus einer vorgegebenen Liste auszuwählen waren, die ausschließlich deutsche Namen enthielt (Hofdekret vom 17. November 1787). Die Frage, ob persönliche Wünsche bei der Festlegung des Familiennamens zu berücksichtigen seien oder nicht, wurde lokal sehr unterschiedlich und häufig schikanös gehandhabt. – Nach dem Vorbild dieser Reform wurden ähnliche Verordnungen Anfang des 19. Jahrhunderts nahezu im gesamten deutschen Sprachraum erlassen.
Genauere Daten zu den Karrieren von Julie Löwys Brüdern recherchierte Anthony Northey: KAFKAS MISCHPOCHE, Berlin 1988.
BRIEF AN DEN VATER (NSF2 146, 177).
Tagebuch, 24. Oktober 1911 (T101).
Ernst Pawel, DAS LEBEN FRANZ KAFKAS. EINE BIOGRAPHIE, Reinbek 1990, S. 16.
Tagebuch, 2. Mai 1913, 23. Januar 1914 (T558, 625). – »Schlechter Trost der Mutter«, kommentiert Kafka.
Brod, ÜBER FRANZ KAFKA, S. 13. – Zum familieninternen Konflikt um Ottla Kafkas landwirtschaftliche Tätigkeit siehe das Kapitel ›Die Arche Zürau‹ in: Reiner Stach, KAFKA. DIE JAHRE DER ERKENNTNIS, Frankfurt am Main 2008, S. 223ff.
Brief an Max Brod, 20. September 1917 (B3352). Offenbar war es der für denselben Tag angekündigte, mit höchst ambivalenten Gefühlen erwartete Besuch Felice Bauers, der Kafka zu dieser für ihn untypisch allgemeinen Äußerung anregte. Die Forderungen nach sozialer Anpassung und vernünftiger Lebensweise, die Julie und Felice bisweilen unisono gegenüber Kafka erhoben, sorgten jahrelang für Konfliktstoff und rückten die Verlobte in eine für ihn schwer erträgliche Nähe zur Mutter.
Zur Zeit von Julie Löwys Geburt lebten in Poděbrady acht legalisierte jüdische Familien mit etwa 50 Mitgliedern. Weitere 49 jüdische Familien lebten verstreut über die umliegenden Dörfer, die zur ›Bezirkshauptmannschaft Podiebrad‹ gehörten. – Eine deutsch-jüdische Schule wurde in Poděbrady erst gegründet, als Julie bereits 16 Jahre alt war: zu spät für sie.
BRIEF AN DEN VATER (NSF2 176).
Ebd. (NSF2 175f.).
Brief an Felice Bauer, 19./20. Dezember 1912 (B1345).
Julie Kafkas Vermutung, ihre Söhne Georg und Heinrich wären zu retten gewesen, wenn ihr Ehemann sie von der Arbeit im Geschäft entbunden hätte, wurde überliefert durch ihre Enkelin Věra Saudková (Mitteilung an Hartmut Binder, siehe ders., KAFKA-HANDBUCH, Bd. 1, S. 146). Kafka selbst behauptete, seine beiden Brüder seien »durch Schuld der Ärzte« gestorben, ohne dies jedoch zu begründen (Brief an Felice Bauer, 19./20. Dezember 1912, B1345). – Masern und Meningitis waren zu jener Zeit häufige Todesursachen bei Kleinkindern. Eine Vorstellung von den quantitativen Verhältnissen geben die von der Stadt Wien veröffentlichten STATISTISCHEN JAHRBÜCHER. So starben zum Beispiel im Jahr 1884 in Wien insgesamt 2194 Kinder im Alter zwischen einem und fünf Jahren, davon 307 (= 14%) an Hirnhautentzündung und 206 (= 9,4%) an Masern. Die Mortalität bei Masern betrug in den achtziger Jahren 7–8%, das heißt, je eines von vierzehn infizierten Kleinkindern überlebte diese Krankheit nicht.
Hugo Bergmann, ›Schulzeit und Studium‹, in: Hans-Gerd Koch (Hrsg.), »ALS KAFKA MIR ENTGEGENKAM …« ERINNERUNGEN AN FRANZ KAFKA, Erweiterte Neuausgabe, Berlin 2005, S. 25.
BRIEF AN DEN VATER (NSF2 173). – Angestellten und Lehrlingen konnte nur zum Quartalsende gekündigt werden, die Kündigungsfrist betrug sechs Wochen. Während dieser Zeit durfte der Lohn nicht gekürzt werden, auch dann nicht, wenn der Untergebene Leistungen seiner Krankenversicherung in Anspruch nahm.
BRIEF AN DEN VATER (NSF2 184, 152).
Noch im Jahr 1911, als die Kafkas längst Großhändler waren, kam es vor, dass »die arme Mutter« (wer sonst?) kurz vor Ultimo den Hausbesitzer aufsuchen und um Stundung der Miete bitten musste, während es ihrem Ehemann vor Angst übel wurde. Siehe Kafkas Tagebuch, 26. August 1911 (T39), sowie 24. Dezember 1911 (T309f.).
František X. Bašik, ›Als Lehrjunge in der Galanteriewarenhandlung Hermann Kafka‹, in: Franz Kafka, BRIEF AN DEN VATER, hrsg. von Hans-Gerd Koch, Berlin 2004, S. 69–130. – Bašiks Bericht ist Teil eines umfangreichen autobiographischen Manuskripts, das Anfang der vierziger Jahre entstand, also erst ein halbes Jahrhundert nach den geschilderten Ereignissen. Er ist atmosphärisch dicht, enthält jedoch – unvermeidlich bei der großen zeitlichen Distanz – Ungereimtheiten und unaufgelöste Widersprüche. So bezeichnet Bašik seinen Lehrherrn entgegen sämtlichen Zeugnissen, die wir besitzen, als einen »ruhigen, fast sanften Menschen« (vielleicht in Relation zu anderen Ladeninhabern, die ihre Lehrjungen gewohnheitsmäßig ohrfeigten) und zugleich als ausbeuterischen Geschäftsmann, der jede Gelegenheit nutzte, um am Personal ein paar Gulden zu sparen (S. 127, 110; zu Hermann Kafkas cholerischen Auftritten im Geschäft u.a. Stach, KAFKA. DIE JAHRE DER ERKENNTNIS, S. 238). Da Bašik gelegentlich auch Einblicke in das private Leben der Kafkas gewann – worauf noch zurückzukommen ist – und da ihm bei der Niederschrift nicht bekannt war, dass der Sohn seines Lehrherrn zum hochgeschätzten Schriftsteller geworden war, ist sein Manuskript für die Forschung trotzdem von besonderer Bedeutung. Denn es sind die einzigen Erinnerungen an Kafkas unmittelbare Umgebung, die nicht beeinflusst sind von dessen späterem Ruhm.
Warum Hermann Kafka (und damit auch Ehefrau und Kinder) erst im Oktober 1901 – also nach mehr als zwei Jahrzehnten ununterbrochenen Aufenthalts in Prag – das Heimatrecht erhielt, ist ungeklärt. Laut einer österreichischen Verordnung von 1896 konnte einem unbescholtenen und für sich selbst aufkommenden Bürger das Heimatrecht bereits nach zehn Jahren nicht mehr verweigert werden. Allerdings ließen sich manche Gemeinden die Urkunde teuer bezahlen – denkbar also, dass die Kafkas die Kosten des formellen Akts lange scheuten. Die Verzögerung hatte zur Folge, dass ihr Sohn Franz erst in dem Augenblick, da er sich an der Universität immatrikulierte, auch Prager Bürger wurde; zuvor war er noch immer ›nach Wosek zuständig‹ gewesen.
Tagebuch, Sommer/Herbst 1910 (T17–28); die zitierte Passage ist der Beginn der dritten Version (T20). (Zur besseren Verständlichkeit wurden hier sechs Kommata ergänzt und eines getilgt, R. S.) Den wahrscheinlich beabsichtigten Titel DER KLEINE RUINENBEWOHNER notierte Kafka in einem andern Tagebuchheft isoliert und mittig, also vermutlich als Überschrift einer geplanten Reinschrift oder einer weiteren Version (T112). Der Bezug zu den autobiographischen Fragmenten ergibt sich aus dem »kleinen Ruinenbewohner«, der bereits in der ersten Version erwähnt wird (T17). – Entgegen dem eindeutig autobiographischen Charakter der Texte finden sich darin auch distanzierende Signale. So bezeichnet sich der Ich-Erzähler als »ziemlich klein und etwas dick«, überdies sei er bereits in seinen »vierziger Jahren« (T23f.). Das könnte darauf hindeuten, dass Kafka diesen Prosatext im Hinblick auf eine Veröffentlichung schrieb.
Tagebuch, 17. Dezember 1911 (T298).
Brief an Milena Jesenská, 2. Dezember 1920 (B4374).
Vermutlich Frühjahr 1921 (NSF2 373).
Brief an Milena Jesenská, 7. Oktober 1920 (B4355). – Noch empfindlicher reagierte Kafka, wenn unvermeidliche, weil zeitbedingte Leiden ausschließlich aus der individuellen Pathogenese erklärt und damit zu letztlich sinnlosen Opfern gemacht wurden. Seiner Ansicht nach war eben dies Franz Werfel mit seinem Bühnenstück SCHWEIGER unterlaufen; siehe Stach, KAFKA. DIE JAHRE DER ERKENNTNIS, S. 517ff.
Briefentwurf an Franz Werfel, November/Dezember 1922 (NSF2 529).
Tagebuch, 23. September 1912 (T461).
Franz Kafka, TRÄUME. »RINGKÄMPFE JEDE NACHT«, hrsg. von Gaspare Giudice und Michael Müller, Frankfurt am Main 1993.
Brief an Felix Weltsch, 19.–21. Oktober 1917 (B3353f.). – Der Kontext legt nahe, dass Kafka hier vorrangig an die Psychoanalyse denkt.
Am 18. Juni 1911 notierte Brod in seinem Tagebuch: »Es ist mir ziemlich klar, daß […] Kafka an Zwangsneurose leidet.« Aus einem Eintrag vom 24. Mai geht hervor, dass in Gegenwart von Felix Weltsch und vermutlich auch von Kafka über Traumdeutung sowie über Zwangshandlungen von Weltsch gesprochen wurde.
Brief an Max Brod, 14. November 1917 (B3364). Anlass dieser Bemerkung war der erste Band von Hans Blühers Schrift DIE ROLLE DER EROTIK IN DER MÄNNLICHEN GESELLSCHAFT, mit dem sich Kafka intensiv beschäftigte und den er sogar rezensieren wollte. An Brod schrieb er: »Es hat mich aufgeregt, zwei Tage lang musste ich deshalb das Lesen unterbrechen. Im übrigen hat es das mit allem Psycho-analytischem [!] gemein, dass es im ersten Augenblick erstaunlich sättigt, man aber kurz nachher den gleichen alten Hunger wieder hat. Psycho‑analytisch ›natürlich‹ sehr leicht zu erklären: Eil-Verdrängung. Der Hofzug wird am schnellsten befördert.« (Die letzten beiden Sätze fügte Kafka am Rand seines Briefes nachträglich ein.)
Die aphoristische Notiz findet sich in einem der Zürauer Oktavhefte unter dem Datum des 25. Februar 1918 (NSF2 100). In seine noch im selben Frühjahr zusammengetragene nummerierte Aphorismensammlung nahm Kafka das Stück jedoch nicht auf; stattdessen erscheint hier als Nummer 93 der Ausruf: »Zum letztenmal Psychologie!« (NSF2 134).
»Letzthin die Vorstellung, dass ich als kleines Kind vom V[ater] besiegt worden bin und nun aus Ehrgeiz den Kampfplatz nicht verlassen kann alle die Jahre hindurch, trotzdem ich immer wieder besiegt werde.« (Tagebuch, 2. Dezember 1921, T 875)
BRIEF AN DEN VATER (NSF2 160, 162).
Über ein Foto, das ihn als etwa Vierjährigen zeigt, schrieb er: »Gleich im nächsten Bild trete ich als Affe meiner Eltern auf.« (Brief an Felice Bauer, 28. November 1912, B1280)
BRIEF AN DEN VATER (NSF2 150, 153).
»… die Welt ist nicht geheizt.« Brief an Ottla David, 9. März 1921, in: BRIEFE AN OTTLA UND DIE FAMILIE, hrsg. von Hartmut Binder und Klaus Wagenbach, Frankfurt am Main 1974, S. 111.
BRIEF AN DEN VATER (NSF2 149).
Siehe den BRIEF AN DEN VATER (NSF2 168). Kafka schreibt hier: »Es ist auch wahr, dass Du mich kaum einmal wirklich geschlagen hast.« Das ist zu unbestimmt, um körperliche ›Züchtigungen‹ völlig auszuschließen, doch ist es vermutlich den Interventionen der Mutter zu verdanken, dass unbeherrschte Übergriffe des Vaters seltene Ausnahmen blieben.
Die Germanistik hat sich darum bemüht, in Kafkas literarischen Texten auch direktere, bildliche Anklänge an das Pawlatschen-Erlebnis aufzufinden, doch die Ergebnisse sind uneindeutig. Dass Söhne von ihren Vätern aus dem Wohnzimmer (DIE VERWANDLUNG) oder sogar aus der Wohnung verwiesen werden (DAS URTEIL), sind nur die auffälligsten einer ganzen Reihe von Ausschließungs-Szenen. Diese Szenen sind für Kafkas Selbstbild jedoch derart signifikant, dass sie schwerlich auf ein einzelnes traumatisches Ereignis zurückgehen. Bildlich noch näher rückt eine Szene im VERSCHOLLENEN, die den jugendlichen Protagonisten ausgesperrt auf dem Balkon zeigt (V 295ff.), aber weder ist Karl Rossmann dort allein, noch zeigt er besonderes Verlangen danach, in die verwahrloste Wohnung zurückzukehren.
Tagebuch, 24. Oktober 1911 (T102).
BRIEF AN DEN VATER (NSF2 178). – Nur wenige Monate nach dieser Äußerung verwendete Kafka das gleiche Bild, um die psychosoziale Situation der Juden zu charakterisieren: »Die unsichere Stellung der Juden, unsicher in sich, unsicher unter den Menschen, würde es über alles begreiflich machen, dass sie nur das zu besitzen glauben dürfen, was sie in der Hand oder zwischen den Zähnen halten …« (Brief an Milena Jesenská, 30. Mai 1920, B4150).
Brief an Felice Bauer, 28. Februar/1. März 1913 (B2115).
Ein wichtiger Bezugspunkt wären beispielsweise die empirischen Untersuchungen von René A. Spitz zur anaklitischen Depression und zum Hospitalismus gewesen. Auch John Bowlby publizierte in den fünfziger Jahren mehrere bedeutende Arbeiten über Trennungsangst und mütterliche Zuwendung. Diese Autoren konzentrierten sich allerdings auf die frühesten psychischen Entwicklungsphasen, während Guex den Bogen bis zur Psychopathologie des Erwachsenen zu spannen versuchte.
Germaine Guex, DAS VERLASSENHEITSSYNDROM, Berlin/Stuttgart/Wien 1983. – Die Originalausgabe erschien 1950 unter dem Titel NÉVROSE D’ABANDON [Verlassenheitsneurose], die überarbeitete Neuausgabe von 1973 trug den Titel SYNDROME D’ABANDON [Verlassenheitssyndrom]. Siehe den Artikel ›Verlassenheitsneurose‹, in: J. Laplanche/J.-B. Pontalis, DAS VOKABULAR DER PSYCHOANALYSE, Frankfurt am Main 1972. Der Begriff zuerst bei Charles Odier, L’ANGOISSE ET LA PENSÉE MAGIQUE, 3. Teil: ›La névrose d’abandon‹, Lausanne 1948.
Guex (a.a.O., S. 42ff.) unterscheidet noch einen weniger empathischen, »negativ-aggressiven« Typ des Abandonikers. Er ist charakterisiert durch das Bestreben, Vergeltung zu üben für die erlittenen Versagungen, durch zwanghafte Beschäftigung mit der Vergangenheit und durch die Tendenz, alles auf sich zu beziehen. Auch bei diesem Typ machen sich Aggressionen jedoch weitgehend innerpsychisch bemerkbar; im sozialen Leben bleibt er passiv und entscheidungsschwach.
Brief an Felice Bauer, 21. November 1912 (B1253).
Es handelt sich um einen auf 1897 datierbaren Eintrag in das Poesiealbum von Hugo Bergmann (NSF1 7). Das nächste überlieferte Dokument stammt bereits vom 17-jährigen Kafka: eine Postkarte an seine Schwester Elli (B19).
Hugo Salus, ›Freund Kafkus. Eine Kindergeschichte‹, in: Neue Freie Presse, 19. April 1908, S. 101–104.
Die Melderegister der Prager Polizei weisen mehr als fünfzig Personen aus, die im 19. Jahrhundert geboren wurden, zumindest zeitweilig in Prag lebten und ›Franz Kafka‹ hießen.
Egon Erwin Kisch, AUS PRAGER GASSEN UND NÄCHTEN, Berlin/Weimar 1980, S. 362ff.
Zisleithanisches Staatsgrundgesetz vom 21. Dezember 1867, Artikel 19, Absatz 3.
Brief an Milena Jesenská, 21. Juni 1920 (B4191f.).
Tagebuch, 21. November 1911 (T261).
Tagebuch, 8. Oktober 1916 (T804).
BRIEF AN DEN VATER, NSF2 196f. – Zur Entstehungsgeschichte des Briefs siehe das Kapitel ›Hermann Kafka, postlagernd‹, in: Stach, KAFKA. DIE JAHRE DER ERKENNTNIS, S. 314ff.
Detaillierte Angaben zu Kafkas schulischen Leistungen und zu den Lehrern seiner Volksschulzeit bei Hartmut Binder, ›Kindheit in Prag. Kafkas Volksschuljahre‹, in: HUMANISMEN SOM SALT & STYRKA. Bilder & betraktelser, tillägnade Harry Järv (= Acta Bibliothecae Regiae Stockholmiensis, Bd. 45), Stockholm 1987, S. 63–115.
Umfangreiches statistisches Material zu den von Kafka besuchten Schulen, insbesondere zu Sprachkompetenz und Glaubensbekenntnis, bei Ingrid Stöhr, ZWEISPRACHIGKEIT IN BÖHMEN. DEUTSCHE VOLKSSCHULEN UND GYMNASIEN IM PRAG DER KAFKA-ZEIT, Köln usw. 2010. Dieser Studie zufolge (S. 335ff.) sprachen fast 90 Prozent von Kafkas Schulkameraden der 1. Klasse sowohl Deutsch als auch Tschechisch, während es zur selben Zeit in der privaten Volksschule der Piaristen nur 60 Prozent waren – ein klares Indiz dafür, dass man sich unter wohlhabenden deutschjüdischen Familien eine nationale Abgrenzung weit eher leisten konnte als im sozialen Milieu Kafkas. Diese Schere öffnete sich immer weiter: Während die fast durchgängige Bilingualität an der Altstädter Volksschule auch während des folgenden Jahrzehnts erhalten blieb, sank bei den Piaristen der Anteil der zweisprachigen Schüler auf 12 Prozent.
DIE VERHÄLTNISSE AN DEN ÖFFENTLICHEN PRAGER DEUTSCHEN VOLKS- UND BÜRGERSCHULEN UND VORSCHLÄGE ZU DEREN VERBESSERUNG. Denkschrift des deutschen Vereins für städtische Angelegenheiten in Prag [1896]. Die Prager Gemeindevertretung, heißt es bereits zu Beginn dieses Pamphlets (S. 3), führe gegen das deutsche Schulwesen geradezu einen »Vernichtungskrieg«. Selbst wenn man hier die nationalistisch aufgeheizte Rhetorik in Rechnung stellt: Die angeführten Klassenstärken von bis zu 140 Schülern erfüllten den Tatbestand der Körperverletzung, und diese Zustände waren drei Jahre zuvor, als Kafka die 4. Klasse besuchte, nur unwesentlich günstiger. – Eine etwas objektivere, jedoch dieselben Missstände kritisierende Darstellung bietet die grundlegende Monographie des liberalen Historikers und Gymnasiallehrers Gustav Strakosch-Graßmann: GESCHICHTE DES ÖSTERREICHISCHEN UNTERRICHTSWESENS, Wien 1905, S. 334–337. Auch Strakosch-Graßmann lässt freilich unerwähnt, dass in den deutsch dominierten Gebieten Böhmens mit den Schülern der tschechischsprachigen Schulen genauso rücksichtslos verfahren wurde; siehe Hannelore Burger, SPRACHENRECHT UND SPRACHGERECHTIGKEIT IM ÖSTERREICHISCHEN UNTERRICHTSWESEN 1867–1918, Wien 1995, S. 104f.
Da Volksschulen in ländlichen Gebieten Böhmens zumeist nur vier Klassen umfassten, mussten häufig schon Elfjährige in städtischen Gastfamilien oder Pensionaten unterkommen, um ihrer Schulpflicht zu genügen.
Wer nicht aufs Gymnasium wechselte (was für Franz natürlich ganz außer Diskussion stand), musste lediglich zwei Jahre ›Bürgerschule‹ absolvieren, das heißt die 5. und 6. Klasse. Denn die Schulpflicht in Österreich-Ungarn war in Kafkas Geburtsjahr 1883 auf Druck der Arbeitgeber von acht auf sechs Jahre herabgesetzt worden. Der Besuch der 7. und 8. Klasse blieb demnach bis zum Ende der Monarchie freiwillig, erst unter tschechischer Regierung wurde er wieder obligatorisch.
Tagebuch, 11. Dezember 1919 (T846).
Ein völlig unbedeutender Verkehrsunfall, der dennoch ganze Gruppen gespannt ausharrender Zuschauer anzieht (Reisetagebuch, 11. September 1911; T 1012ff.); siehe im Folgenden das Kapitel ›Literatur und Fremdenverkehr‹.
Filme über die Krönung des Zaren Nikolaus II. (Mai 1896), über sein Treffen mit Wilhelm II. in Breslau und den Besuch in Paris (September 1896) zählten zu den spektakulärsten unter den ersten Aktualitätenprogrammen. Die Kurzfilme (von denen viele heute im Internet frei verfügbar sind) waren allerdings kaum länger als eine Minute.
D169; P 7, 71.
Am 13. Juli 1891 schrieb der k.u.k. Außenminister Graf Gustav Kálnoky an den Ministerpräsidenten Graf Taaffe: »Daß die deutsche Seite, indem sie sich von der Ausstellung abwandte, eine kolossale und in ihren Folgen gefährliche Dummheit begangen hat, darüber hatte ich nie Zweifel.« (Arthur Skedl, DER POLITISCHE NACHLASS DES GRAFEN EDUARD TAAFFE, Wien/Berlin/Leipzig 1922, S. 600)
Auch die Tatsache, dass der deutsche Boykott nicht konsequent durchgehalten wurde und sich einige ›utraquistisch‹ orientierte deutsche Unternehmer trotz allem an der Ausstellung beteiligten, kam propagandistisch eher den Tschechen zugute, die so dem Vorwurf leichter begegnen konnten, die Ausstellung sei gar nicht repräsentativ für Böhmen (die ›Sudetendeutschen‹ fehlten vollzählig). Wichtig war vor allem die Beteiligung Franz Ringhoffers, des bedeutendsten Maschinenfabrikanten Böhmens, der später auch den gesamten Wagenpark der Prager elektrischen Straßenbahn lieferte, sowie des deutschen Textilmagnaten Emil Kubinzky.
Siehe den Bericht im Prager Tagblatt, 17. Juni 1891, S. 7f. Die drei Insassen des Ballons überlebten das Unglück.
Die Bevölkerung Prags, einschließlich der Vorstädte, war angewiesen worden, am Abend des 28. September sämtliche zur Straße hin gelegenen Räume mehrere Stunden lang möglichst hell zu erleuchten. Die Inhaber so gut wie aller Geschäfte – und mit Sicherheit auch die Kafkas, da ihr Geschäft an der schon vorher bekanntgegebenen Fahrstrecke des Kaisers lag – nutzten diese Gelegenheit, um ihre Räumlichkeiten und Auslagen noch mit besonderen Lichteffekten zu versehen. Da die nächtliche Gasbeleuchtung im Jahr 1891 noch spärlich und die elektrische Straßenbeleuchtung erst in ihren Anfängen war, bewirkte diese Maßnahme einen starken sinnlichen Eindruck. – Überdeckt wurde durch solche Spektakel, dass der Besuch des Kaisers in Prag in Wahrheit ein mühseliger diplomatischer Eiertanz war, verursacht durch den deutschen Boykott der Landesausstellung. Bei den zahlreichen öffentlichen Empfängen äußerte Franz Joseph nichts als leere Phrasen und Dankesformeln, um keiner nationalen Seite irgendeinen Anlass zu geben, sich zurückgesetzt zu fühlen. Vor einigen Audienzen, an denen Deutsche und Tschechen gemeinsam teilnahmen, wurde sogar vereinbart, die Landesausstellung mit keinem Wort zu erwähnen – und das, obwohl Franz Joseph die Ausstellung während seines fünftägigen Aufenthalts dreimal besuchte.
Tagebuch, 12. November 1911 (T246).
Die Verhältnisse änderten sich dann außerordentlich schnell: Mitte der neunziger Jahre wurde der erste Prager Fußballclub gegründet, bereits im Jahr 1900 hatte die ›Deutsche Lese- und Redehalle‹, eine studentische kulturelle Vereinigung, eine eigene Fußballmannschaft, die sogar in anderen Städten antrat. – Die Wettkampfformen der ›Jugendspiele‹, an denen Kafka teilnahm, sind zitiert nach dem Jahresbericht des deutschen Altstädter Gymnasiums für das Schuljahr 1893/94. Der dort wiedergegebenen Tabelle (S. 71) ist zu entnehmen, dass die Älteren immerhin auch Cricket spielen durften.
Anna Pouzarová, ›Als Erzieherin in der Familie Kafka‹, in: Koch, »ALS KAFKA MIR ENTGEGENKAM«, S. 62.
BRIEF AN DEN VATER (NSF2 151).
»Übrigens sind wir, wie ich mich jetzt während der Hitzen öfters erinnere, schon einmal regelmässig gemeinsame Biertrinker gewesen, vor vielen Jahren, wenn der Vater auf die Civilschwimmschule mich mitnahm.« (Brief an Hermann und Julie Kafka, 2. Juni 1924, in: BRIEFE AN DIE ELTERN AUS DEN JAHREN 1922–1924, hrsg. von Josef Čermak und Martin Svatoš, Frankfurt am Main 1990, S. 80f.) – Die von Dora Diamant überlieferte Version in: Brod, ÜBER FRANZ KAFKA, S. 180.
Ebd. – Zu Kafkas Cousin Robert, der 1922 im Alter von 41 Jahren an einer Milzerkrankung starb, siehe Northey, KAFKAS MISCHPOCHE, S. 66f.
Siehe Stach, KAFKA. DIE JAHRE DER ERKENNTNIS, S. 402ff.
Brief an Max Brod, 13. Januar 1921, in: MAX BROD. FRANZ KAFKA. EINE FREUNDSCHAFT, hrsg. von Malcolm Pasley, Bd. II: BRIEFWECHSEL, Frankfurt am Main 1989, S. 299.
V. Preininger, ›Die Prager Assanation‹, in: Deutsche Vierteljahresschrift für öffentliche Gesundheitspflege, 31 (1899), S. 724. – Preininger nennt auch die Rekordhalterin unter den Ghettogassen: U hřbitova, an ihrer schmalsten Stelle lediglich 1,20 Meter breit.
Der österreichische Stadtplaner Rudolf Wurzer hat darauf hingewiesen, dass zumindest das Durchschneiden des zentralen Ghettos zu vermeiden gewesen wäre, hätten die Planer der Assanierung der neugeschaffenen Niklasstraße eine nur leichte Krümmung gestattet. Siehe den Aufsatz ›Die »Assanirung« der Josefsstadt in Prag‹, in: Die alte Stadt 22 (1995), H. 2, S. 149–174, insbesondere die Skizzen S. 172.
Das gilt auch für eine der wichtigsten Quellen zum deutschen Prag der Jahrhundertwende, die in der Zeitschrift Prager Nachrichten (München) ab 1950 abgedruckten Erinnerungen von Zeitgenossen. Sie bieten kostbare sinnliche Details, jedoch kaum Aufschlüsse über soziale Tendenzen und Konflikte, die häufig wie Naturereignisse zitiert, auf Anekdoten zurückgestuft oder sogar geleugnet werden. Was natürlich wiederum Einblicke vermittelt in die Mentalitätsgeschichte der Deutschprager.
Johann Wolfgang Goethe, ITALIENISCHE REISE, in: SÄMTLICHE WERKE, Bd. 11, München 1977, S. 147.
Brief an Felice Bauer, 19./20. Dezember 1912 (B1345).
Eine Momentaufnahme bietet der ›Anzeigezettel‹, den Hermann Kafka anlässlich der Volkszählung von 1890 auszufüllen hatte. Hier sind drei (allesamt katholische) Hausangestellte namentlich angeführt: die 35-jährige Köchin Františka Nedvědová, die 20-jährige Dienstmagd Marie Zemanová und die 22-jährige Amme Anna Čuchalová. – Vgl. Kurt Krolop, ›Zu den Erinnerungen Anna Lichtensterns an Franz Kafka‹, in: Acta Universitatis Carolinae – Philologica. Germanistica Pragensia V (1968), S. 56.
Anna Pouzarová erinnerte sich auch an einige der Titel von Kafkas Stücken: ›Der Gaukler‹, ›Photographien reden‹ und ›Georg von Podiebrad‹ (Letzteres offenbar zu Ehren der in Poděbrady geborenen Mutter). Auch Einakter von Hans Sachs seien aufgeführt worden. »Das Publikum saß im Salon, das ganze Speisezimmer war die Bühne, der Vorhang die breite Verbindungstür. Zur Aufführung kam der Vater von Frau Kafka und ihr Bruder mit Familie. Unser Auftritt war angeblich sehr schön und gut gespielt. Mir setzten die Mädchen eine große Brille ohne Gläser auf, damit ich auf der ›Szene‹ gelehrt aussähe.« (›Als Erzieherin in der Familie Kafka‹, in: Koch, »ALS KAFKA MIR ENTGEGENKAM …«, S. 68) – Kafkas Schwestern selbst berichteten später, Franz habe sie gerne auch dadurch erschreckt, dass er plötzlich in absonderlichen Verkleidungen auftauchte (Wagenbach, FRANZ KAFKA. BIOGRAPHIE SEINER JUGEND, S. 51).
Siehe Gerti Kaufmann, ›Erinnerungen an meinen Onkel‹, in: Koch, »ALS KAFKA MIR ENTGEGENKAM …«, S. 223–226.
Zitiert nach: Auguste Fickert, ›Der Stand der Frauenbildung in Österreich‹, in: Helene Lange / Gertrud Bäumer (Hrsg.), HANDBUCH DER FRAUENBEWEGUNG, III. Teil: DER STAND DER FRAUENBILDUNG IN DEN KULTURLÄNDERN, Berlin 1902, S. 161–190, hier S. 175. Siehe auch die ›Verordnung des Ministers für Cultus und Unterricht vom 23. März 1897, betreffend die Zulassung von Frauen als ordentliche und außerordentliche Hörerinnen an den philosophischen Fakultäten der k.k. Universitäten‹, in: Reichsgesetzblatt, Wien 1897, S. 427. – Die implizite Drohung des Kultusministers war keineswegs schon ein Rückzugsgefecht, sondern durchaus ernst zu nehmen. Österreichische Frauenvereine beklagten sich etwa darüber, dass Lehrer-Anwärterinnen durchweg schärfer geprüft wurden als ihre männlichen Kollegen. Das führte zu schlechteren Benotungen und in der Folge zu geringeren Chancen, gutdotierte Posten zu bekommen. So gab es an den Volks- und Bürgerschulen Wiens gegen Ende des Jahrhunderts 1 Direktorin und 90 Direktoren, 8 Oberlehrerinnen und 222 Oberlehrer, während fast gleich viele Männer und Frauen als ›Unterlehrer‹ eingestuft waren.
Auffallend ist allerdings, dass die Kafkas für ihre Töchter eine Privatlehrerin wählten, die sich für Frauenbildung auch publizistisch einsetzte. Adele Schembor war die erste in Österreich für den Gymnasialunterricht zugelassene Lehrerin, außerdem war sie Gründungsmitglied des Prager Vereins ›Frauenfortschritt‹ (gegründet unter dem Namen ›Deutscher Verein zur Förderung des Wohles und der Bildung der Frauen in Prag‹). Dieser Verein meldete im März 1898 als neu eingetretenes Mitglied eine »Fr. H. Kafka«, was nach den damaligen Gepflogenheiten »Frau Hermann Kafka« bedeuten könnte (vgl. Frauenleben, Wien, 9. Jg., H. 12, S. 85, sowie 10. Jg., H. 2, S. 4).
Dass Hermann Kafka männlichen Nachwuchs deutlich bevorzugte, selbst in späteren Jahren im Hinblick auf seine Enkel, hat Věra Saudková, die Tochter Ottlas, im Interview bestätigt: »Der Grossvater wollte aber nicht nur Kinder, sondern Knaben haben, und die drei Töchter hatten alle Mädchen, nur Elli hatte einen Sohn, der Felix – und der hat auch nicht überlebt …« (Alena Wagnerová, ›»Franz gibt es uns«. Eine Begegnung in Prag mit Věra Saudková, der letzten lebenden Nichte Kafkas‹, in: Neue Zürcher Zeitung, 30. Januar 2012)
BRIEF AN DEN VATER (NSF2 177f.). – Ähnlich bereits in einem Brief an Felice Bauer: »Und ausserdem bin ich doch ein schlechter Prophet und Menschenkenner, wie sich an der Ehe meiner verheirateten Schwester [Elli] zeigt, bei deren Verlobung ich die gleiche Trostlosigkeit fühlte, während die Schwester, ein früher schwerfälliges, nie zu befriedigendes, verdriesslich sich forthaspelndes Wesen, jetzt in der Ehe über ihren zwei Kindern in lauter Glück ihre Existenz förmlich verbreitert hat.« (10./11. Januar 1913, B233)
Pouzarová, ›Als Erzieherin in der Familie Kafka‹, S. 59.
Brief an Felice Bauer, 1. November 1912 (B1204).
Die erhaltenen Studioaufnahmen, auf denen Kafkas Schwestern gemeinsam zu sehen sind, zeigen sie in einer von Kopf bis Fuß stets völlig identischen Aufmachung. Offenbar wurde sogar auf gleiche Haarlänge geachtet.
BRIEF AN DEN VATER (NSF2 178–180).
Oskar Kraus, DIE MEYERIADE, Leipzig 1891 (Reclam’s Universalbibliothek, Heft 2980), Beginn des Dritten Gesangs, zitiert nach dem vollständigen Wiederabdruck in: PIARISTEN UND GYMNASIASTEN. SCHÜLERLEBEN IM ALTEN PRAG, hrsg. von Heinrich Pleticha, Prag 2001, hier S. 38f.
Siehe das Kapitel ›Informierte Kreise‹.
Kafkas Jahrgang am Altstädter Gymnasium bestand aus anfangs 87 Knaben, die nach dem Alphabet in zwei Klassen aufgeteilt wurden (weshalb alle seine Klassenkameraden Namen von A bis K trugen). In der 4. Klasse (Quarta) saßen nur noch 50 Schüler, die von nun an gemeinsam unterrichtet wurden. 22 Schüler bestanden schließlich die Matura. – Die wichtigsten Quellen zu Kafkas Ausbildung am Altstädter Gymnasium sind die publizierten JAHRESBERICHTE dieser Institution sowie die im Prager Stadtarchiv (Archiv hlavního města Prahy) aufbewahrten Schulkataloge und Prüfungsprotokolle. Hier finden sich nicht nur die Namen sämtlicher Schüler und der für sie zuständigen Lehrer, sondern auch genaue Angaben zum Lehr- und Prüfungsstoff, zu den verwendeten Lehrbüchern, zu sportlichen Aktivitäten, Ausflügen, Schulfeiern etc.
Hugo Hecht, ›Zwölf Jahre in der Schule mit Franz Kafka‹; Emil Utitz, ›Acht Jahre auf dem Altstädter Gymnasium‹; in: Koch, »ALS KAFKA MIR ENTGEGENKAM …«, S. 36 und 49f. – Die bemerkenswerte Übereinstimmung von Utitz’ Beobachtung mit Kafkas eigener Erinnerung kann nicht von dieser selbst beeinflusst gewesen sein, denn Utitz’ autobiographischer Text erschien 1947 und damit fünf Jahre vor dem Erstdruck von Kafkas BRIEF AN DEN VATER.
Der Anteil jüdischer Schüler lag bei ca. 80%, eine Zugehörigkeit zum traditionellen Kleinbürgertum ist bei ca. 70% erkennbar. Diese Homogenität hatte auch administrative Ursachen, denn die Prager Gymnasien waren Schulbezirken fest zugeordnet. So wurden am Altstädter Gymnasium ausschließlich Schüler unterrichtet, die in der Altstadt oder in der Josefstadt wohnten. Die freie Wahl des Gymnasiums war eingeschränkt; die Eltern konnten lediglich entscheiden, ob ihr Sohn ein humanistisches oder ein Realgymnasium besuchen und in welcher Sprache er unterrichtet werden sollte.
Fritz Mauthner, PRAGER JUGENDJAHRE, Frankfurt am Main 1969, S. 44. – Das Gymnasium der Piaristen – zumeist ›Grabengymnasium‹ genannt, da es an der Ecke Graben/Herrengasse stand – wurde 1874 staatlicher Aufsicht unterstellt, wonach sich die von Mauthner geschilderten trostlosen Zustände besserten. Während Kafkas Schulzeit war das Grabengymnasium, neben Altstädter und Stefansgymnasium, das dritte deutschsprachige Gymnasium auf der rechten Seite der Moldau. Auch Oskar Kraus, der Verfasser der MEYERIADE, wurde hier unterrichtet.
Wagenbach, FRANZ KAFKA. BIOGRAPHIE SEINER JUGEND, S. 34. Hugo Bergmann, ›Schulzeit und Studium‹, in: Koch, »ALS KAFKA MIR ENTGEGENKAM …«, S. 20ff. Guido Kisch, DER LEBENSWEG EINES RECHTSHISTORIKERS. ERINNERUNGEN, Sigmaringen 1975, S. 24ff. Ders., ›Kafka-Forschung auf Irrwegen‹, in: Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte 23 (1971), S. 339–350. Hans Kohn, ›Rückblick auf eine gemeinsame Jugend‹, in: FESTGABE ROBERT WELTSCH ZUM 70. GEBURTSTAG, Tel Aviv 1961, S. 113f.
So 1891 der frühere Staatsminister Richard Graf Belcredi vor dem österreichischen Herrenhaus. Belcredi bezog sich in seiner Rede auf eine Reihe von Gutachten, die von den juristischen Fakultäten Österreichs eingeholt worden waren und die den gymnasialen Paukunterricht durchweg als kontraproduktiv beurteilten. – Siehe STENOGRAPHISCHE PROTOKOLLE ÜBER DIE SITZUNGEN DES HERRENHAUSES DES ÖSTERREICHISCHEN REICHSRATHES IN DEN JAHREN 1891 BIS 1897, Wien 1897, Protokoll der 6. Sitzung der XI. Session am 29. Mai 1891, S. 32, sowie Strakosch-Graßmann, GESCHICHTE DES ÖSTERREICHISCHEN UNTERRICHTSWESENS, S. 325.
Bergmann, ›Schulzeit und Studium‹, S. 23. – Die Erinnerung Bergmanns an die Bezeichnung der Noten ist hier ungenau. Die Rangfolge der Noten in ›sittlichem Betragen‹ lautete: lobenswert, entsprechend, minder entsprechend, nicht entsprechend. Nur die beste oder zweitbeste Noten sicherte die Befreiung vom Schulgeld, und tatsächlich bekam Bergmann schließlich ein entsprechend.
Kisch, DER LEBENSWEG EINES RECHTSHISTORIKERS, S. 26.
Bergmann, ›Schulzeit und Studium‹, S. 23. Noch 1915 erinnerte sich Kafka an die »zwei Zimmer meines Klassenvorstandes im Kloster« (T727). – Pflichtlektüre wie Privatlektüre der einzelnen Schüler wurden in den Jahresberichten des Gymnasiums verzeichnet, so dass sich auch Kafkas enormes Pensum genau rekonstruieren lässt. Als Beispiel die 4. Klasse, in der im Lateinunterricht behandelt wurden: Livius, RÖMISCHE GESCHICHTE (I, XXI); Ovid, METAMORPHOSEN (II 1–242, 251–332/V 358–437, 462–571/VI 146–312/VIII 133–235, 618–720/X 1–63, 72–77/XI 87–193); Ovid, FASTI (I 465–586/II 193–242, 475–512, 639–684, 687–710/III 713–714, 725–790, 809–834/IV 393–620); Ovid, TRISTIA (I 3/IV 10); Ovid, EPISTULAE EX PONTO (III 2). Dazu Kafkas Privatlektüre: Livius, RÖMISCHE GESCHICHTE (XXII); Ovid, METAMORPHOSEN (XII 1–38/XIV 246–307, 581–608); Ovid, EPISTULAE EX PONTO (IV 3).
Emil Gschwind, ›Anschauungsunterricht auf dem Gymnasium und Vertheilung der Realerklärung aus der römischen Alterthumswissenschaft auf die einzelnen Classen des Obergymnasiums‹, in: 28. JAHRESBERICHT ÜBER DAS STAATS-GYMNASIUM MIT DEUTSCHER UNTERRICHTSSPRACHE IN PRAG-ALTSTADT FÜR DAS SCHULJAHR 1899–1900, Prag 1900, S. 4.
Bergmann, ›Schulzeit und Studium‹, S. 24.
Bruno Kisch, WANDERUNGEN UND WANDLUNGEN. DIE GESCHICHTE EINES ARZTES IM 20. JAHRHUNDERT, Köln 1966, S. 63. – In seiner bereits zitierten Rede vor dem Herrenhaus (1891) sprach Richard Graf Belcredi von »acht Jahren linguistischer Gymnastik«. Auch Strakosch-Graßmann, dessen GESCHICHTE DES ÖSTERREICHISCHEN UNTERRICHTSWESENS noch während Bruno Kischs Gymnasialzeit erschien, beklagte, »daß bei den Lehrern der neueren Sprachen mehr Interesse für den Inhalt der Sprache, für die Literatur zu finden ist als im Durchschnitte bei den Philologen, unter denen es tatsächlich viele gibt, denen nur die Formenlehre und die philologische Interpretation des Textes vor Augen schwebt« (S. 325).
Postkarte an Felice Bauer, 9. Oktober 1916 (B3251).
Tagebuch, 23. Januar 1922 (T887).
Tagebuch, 13. Dezember 1911 (T291). Brod, ÜBER FRANZ KAFKA, S. 103.
»Der Petent ist der deutschen und böhmischen Sprache in Wort und Schrift mächtig, beherrscht ferner die französische, teilweise die englische Sprache« (Brief an die Arbeiter-Unfall-Versicherungs-Anstalt in Prag, 30. Juni 1908; B185). Am 2. Oktober 1907 füllte Kafka einen Fragebogen der Assicurazioni Generali aus; die Frage nach seiner Sprachkompetenz beantwortete er so: »böhmisch, außerdem französisch und englisch, doch bin ich in den beiden letztern Sprachen außer Übung.« (B169)
Brief an Felice Bauer, 13. September 1913 (B2279).
»Nun weint mein Neffe nebenan, meine Mutter nennt ihn unaufhörlich auf tschechisch ›braver Junge‹ und dann ›kleiner Junge‹ …« (Brief an Felice Bauer, 3. November 1912; B1207) Dieser Neffe war der erst 11 Monate alte Felix Hermann, Sohn von Kafkas Schwester Elli, der zu diesem Zeitpunkt die beiden Sprachen sicherlich noch nicht auseinanderhalten konnte. Ein Beispiel dafür, wie das switching sogar noch an die übernächste Generation weitergegeben wurde. – In den familieninternen Briefen spricht Julie Kafka ihre Töchter mehrfach mit den tschechischen Koseformen Ottilka und Ellynka an.
Um den 12. Mai 1920 (B4134).
Pouzarová, ›Als Erzieherin in der Familie Kafka‹, S. 66.
»Ich kenne (bei meiner geringen Kenntnis) im Tschechischen nur eine Sprachmusik, die der Božena Němcová …« (Brief an Milena Jesenská, 25.–29. Mai 1920; B4148). Pouzarová berichtet, dass der etwa 19-jährige Kafka ihr eine illustrierte Ausgabe von BABIčKA gab, aus der sie den Schwestern dann vorlas (a.a.O.).
Antonín Truhlář, VÝBOR Z LITERATURY čESKÉ. DOBA NOVÁ [Auswahl aus der tschechischen Literatur. Neuzeit], 3 Bde., Prag 1886. Zum Inhalt dieses und weiterer am Altstädter Gymnasium verwendeter tschechischer Lehrbücher siehe ausführlich Nekula, FRANZ KAFKAS SPRACHEN, S. 143–151.
Bašík, ›Als Lehrjunge in der Galanteriewarenhandlung Hermann Kafka‹, S. 88. Dass Kafka schon mit elf Jahren ernsthafte »Schwierigkeiten mit dem Tschechischen« hatte, wie Bašík behauptet, ist allerdings wenig wahrscheinlich; diese Schwierigkeiten traten erst später unter höheren Anforderungen und mit dem allgemeinen Leistungsabfall während der Pubertät auf.
Badeni hatte die geplanten Sprachenverordnungen mit tschechischen Abgeordneten informell erörtert und aufgrund dieser Gespräche noch etliche tschechische Sonderwünsche berücksichtigt. Wie umfassend er auch deutsche Abgeordnete vorab informierte, ist umstritten. Das Parlament umging er, indem er sich auf das kaiserliche Notverordnungsrecht berief, den berüchtigten und im Fortgang der Krise immer häufiger missbrauchten Paragraphen 14 des Staatsgrundgesetzes. – Zu Badenis unglücklicher Taktik siehe die knappe Zusammenfassung bei Hans Mommsen, ›1897: Die Badeni-Krise als Wendepunkt in den deutsch-tschechischen Beziehungen‹, in: WENDEPUNKTE IN DEN BEZIEHUNGEN ZWISCHEN DEUTSCHEN, TSCHECHEN UND SLOWAKEN 1848–1989, hrsg. von Detlef Brandes, Dušan Kováč und Jiří Pešek, Essen 2007, S. 111–117.
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