Kirchenrebellen

Christopher Schlicht / Maximilian Bode

Kirchenrebellen

Wir bringen Leben in die Bude

Knaur eBooks

Inhaltsübersicht

Über Christopher Schlicht / Maximilian Bode

Christopher Schlicht

Christopher Schlicht, 1988, wuchs auf in Nienburg, Lüneburg, Clausthal und Loccum als Sohn eines Pastoren auf. Er studierte evangelische Theologie in Göttingen. Seit Sommer 2020 arbeitet er zusammen mit Maximilian Bode im ersten Teampfarramt der Hannoverschen Landeskirche. Als Pastor ist er tätig in einem sozialen Brennpunkt Bremerhavens und auf Instagram als @wynschkind.

 

Maximilian Bode

Maximilian Bode, 1991, wuchs in einem Lehrer:innenhaushalt auf, hat ev. Theologie und Philosophie in Marburg und Göttingen studiert. Sein Vikariat verbrachte er in der Kulturkirche Martin Luther in Emden. Jetzt bekleidet er mit Christopher Schlicht das erste Teampfarramt in der Landeskirche Hannovers in der Emmaus-Gemeinde in Bremerhaven. Auf Instagram ist er unter @pynk_pstr_ploem unterwegs.

 

Chris und Max gehören zum Evangelischen Contentnetzwerk yeet.
www.yeet.de

Fußnoten

  1. Mathias Hartewieg ist ein gemeinsamer Freund von uns und liebt ausschweifende Fußnoten. Und weil er so ein guter Freund und zuverlässiger Korrekturleser ist, widmen wir ihm die einzige Fußnote in diesem Buch.

Dem Klub, trotz allem.

 

© Sina Schuldt

Im Partyraum

Chris & Max // Ein schwarzer Polo auf einem Klosterparkplatz. Kurz vor Mitternacht steigen zwei Vikare ein. In diesem Fall sind »Vikare« keine praktischen Stützbretter für Kinderbetten von IKEA, sondern die Bezeichnung der evangelischen Kirche für ihre Pastor*innen in Ausbildung. Bei der Aussprache von »Vikar« ist zu beachten, dass das »V« gesprochen wird wie bei »Videos«, nicht wie bei »Vögeln.« Die beiden Vikare sind wir, Max und Chris. Es ist ein bisschen klischeehaft, dass wir in einem Kloster ausgebildet werden, aber so ist es nun mal.

Der Polo ist unser Partyraum, sobald die Kloster-Bar geschlossen hat. Als wir das erste Mal von der Bar im Kloster hören, haben wir sofort zwei Vorurteile: Da gibt’s bestimmt keinen Alkohol und: Die Lokalität macht sicher mies früh zu. Zum Glück trifft nur eins der beiden Vorurteile zu.

Nach dem letzten Bier an der Bar ist noch viel von der Nacht übrig. Aber unsere Kolleg*innen gehen jetzt schlafen. Wir nicht. Für uns geht die Party im Auto von Max weiter. Genau für diese Anlässe steht immer eine Notfall-Palette Dosenbier im Kofferraum. Direkt daneben hat Max einen Subwoofer verbaut. Mit dieser Lautsprecherbox kommen die tiefen Schallwellen besonders wuchtig bei uns an, wenn wir U Got That von »Halogen« hören. Der Polo heißt übrigens »Stella«. Denn Max gibt allen Gegenständen, die er besitzt, einen Namen. Sein Gefrierschrank heißt »Kühlfrank«. Chris gibt seinen Sachen keine Namen. Er findet das seltsam.

Als wir das erste Dosenbier geöffnet haben, schlägt die Klosteruhr im Turm Mitternacht. Dann schalten wir unsere E-Zigaretten an. Wir dampfen die von Chris selbst hergestellte Geschmacksrichtung »Wassermelone mit Eiswürfeln«. Schon nach kurzer Zeit ist das Innere von Stella so vernebelt wie eine Londoner Seitengasse in einem alten Sherlock-Holmes-Film.

Auf dem Klosterparkplatz können wir so laut Musik hören, wie wir wollen. Leider haben die Sitze im Polo keine Massagefunktion. Aber die Bassbox tut ihr Bestes, um aus dem Autositz einen Massagesessel zu machen. Wir spielen Song-Pingpong. Die Spielregeln dafür sind einfach. Genau genommen gibt es nur eine einzige: Immer abwechselnd darf einer von uns das nächste Lied aussuchen. Das Spiel funktioniert auch mit mehreren Personen. Dabei wandert der Spotify-Staffelstab einfach im Uhrzeigersinn durch den Raum.

Die Texte der Lieder, die jemand mag, verraten viel über eine Person. Beispiel gefällig?!

Trotzdem seid ihr die, die nichts tun und zuschauen. Es gibt nichts, was euch gefällt, von dem, was andere schaffen. Ein Tipp von »M&N«: Fresse halten – selber machen. M&N, das sind Mono & Nikitaman. Max hat das Lied ausgesucht. Er sagt: »Das ist meine Horrorvorstellung. Irgendwann so einer zu werden. Einer, der immer nur meckert, anstatt was zu ändern. Aber im Studium und jetzt in der Ausbildung können wir ja nur drüber reden. Ich will endlich anpacken und vor allem was verändern in der Kirche. Es ist mir scheißegal, ob ich es schaffe, aber ich will es zumindest versuchen. Sonst weiß ich ganz genau, wie das endet. Dann sitze ich als frustrierter Rentner einsam am Fenster und beschimpfe spielende Kinder.«

Mittlerweile ist so viel Dampf im Auto, dass wir nicht mehr rausgucken können. Und auch von draußen kann niemand mehr reinschauen. Chris nimmt einen Schluck und antwortet: »Genau das ist der Punkt. Mit Meckern und Heulen bekommst du die Welt eben nicht verändert. Klar gibt es Grund zum Flennen. Die Kirche verliert immer mehr Mitglieder. Jaja, voll traurig, ich weiß. Aber wir bekommen die Leute nicht mit Heulen zurück. Ich will auch endlich loslegen und was machen. Es gibt so viele coole Kolleginnen und Kollegen, die Megaideen haben. Doch sie merken dann im Job, dass keine Zeit dafür übrig ist. Das zeigt, dass Ideen alleine nichts verändern. Nur wer sie umsetzt, ändert etwas.«

Mache Überstunden, mach mein Hobby zu meinem Job. Mache Spaß, mache ernst, mache durch, mache Bock, singen die »Beginner«. Chris hat den Song ausgesucht. Max nimmt einen Zug von seiner E-Zigarette, pustet den wassermelonigen Dampf an die Scheibe und sagt: »Alter, ich würde ja sogar unbezahlt mehr arbeiten. Wenn ich dafür ein paar von meinen Ideen umsetzen kann. Ich bin das ganze Darüber-Reden leid. Ich will loslegen. Ich will machen. Und dafür würde mir sogar eine halbe Stelle irgendwo in einer Gemeinde reichen. Hauptsache, ich habe Zeit für das, was mir wichtig ist! Zeit, um endlich mal neue Ideen zu testen und einfach so mit den Leuten über Gott und die Welt zu reden.«

Chris schaut nachdenklich in Richtung Fenster, durch das längst nichts mehr zu sehen ist, und antwortet: »Ich will endlich mal Gottesdienste so feiern, wie ich sie geil finde. Also genau so, wie ich sie als Jugendlicher gebraucht hätte. Gottesfeiern mit so viel Gefühl, dass die Leute Pipi in den Augen haben, und so lustig, dass manche vielleicht auch anschließend Pipi in der Hose haben. Und ich will genug Zeit haben, um den ganzen abgefahrenen Bumms zu testen, den wir uns ausgedacht haben: einfach mal ausprobieren, wie es ist, Internet- und Kneipenpastor zu sein.«

Hey, wenn’s dir nicht gefällt, mach neu, singt Peter Fox. Max hat den Song ausgesucht und sagt: »Ich will Kirche neu machen. Endlich wieder Leben in die Bude bringen. Aber dafür brauche ich was.«

Chris hebt die linke Augenbraue und fragt: »Und das wäre?«

Max lässt seine leere Dose in den Fußraum fallen und sagt grinsend: »Zwei neue Bier für uns.«

Chris lässt die Augenbraue wieder sinken, kann sein Grinsen nicht unterdrücken und öffnet die Autotür. Sofort steigt eine Dampfsäule in den Himmel, fast so wie bei einem Rockkonzert. Er holt zwei Dosenbier aus dem Kofferraum und setzt sich wieder ins Auto. Als er die Tür schließt, fragt er: »Darf es noch etwas sein, der Herr? Oder brauchen Sie nur diese Dosenbiere, um die Kirche neu zu machen?«

Daraufhin tut Max etwas Unfassbares: Er bricht die Regel des Song-Pingpong und sucht noch ein zweites Lied aus. Als er zum Handy greift, sagt er: »Besondere Situationen erfordern besondere Maßnahmen. Ich könnte dir einfach antworten, aber Rio Reiser hat es besser gesagt, als ich es je könnte. Deshalb werde ich jetzt noch ein Lied anmachen.« Nach einem kurzen Moment der Stille beginnen »Ton Steine Scherben« zu singen: Wer soll die neue Welt bauen, wenn nicht du und ich?

Chris grinst breit und sagt: »Wenn ich dich und Rio richtig verstehe, dann willst du dir mit mir eine Gemeinde teilen. Die Idee ist leider geil. Dann hätten wir viel Zeit, nur die halbe Kohle, aber voll Bock. Da muss ich mal drüber nachdenken.«

Max hebt seine Dose, um anzustoßen, und antwortet: »Genau das ist meine Idee. Habe zwar keinen Plan, wie wir das der Kirche verkaufen werden. Aber das ist dann unsere erste Aufgabe als Team. Und jetzt tu nicht so, als ob du noch nachdenkst. Ich habe dich doch schon längst überzeugt. Also heb an die Dose. Darauf müssen wir anstoßen.«

Die Leude woll’n, dass was passiert. Die Leude woll’n das krass serviert, singen »Fünf Sterne deluxe«. Chris hat ausgesucht und sagt: »Geil. Dann wollen wir doch mal gucken, was der liebe Gott auf Lager hat. Und, Alter, sollten wir jemals ein Buch schreiben, dann fangen wir safe mit dieser Geschichte an.«

Max lacht laut und sagt: »Von wegen, als ob wir beide jemals ein Buch schreiben würden. Aber ich packe es mal auf die Liste, direkt zwischen ›Album aufnehmen‹ und ›Sexy-Pastoren-Kalender herausbringen‹.«

Den Rest der Nacht verbringen wir damit, erste Pläne zu schmieden. Das Dosenbier und unsere Ideen sprudeln. Zum Abschluss dreht Max noch mal »Großstadtgeflüster« auf. Die singen: Jetzt ist Feierabend. Währenddessen lüften wir das Auto, und Stella, die alte Karre, kann wieder durchatmen. Es braucht den ganzen Song, bis der Dampf verschwunden ist. Dann gehen wir ins Bett, als der Himmel langsam die Farbe von Schwarz zu Blau wechselt.