Wolfgang Hilbig
die versprengung
gedichte
FISCHER E-Books
Covergestaltung: Buchholz / Hinsch / Hensinger
Coverabbildung: Horst Hussel
Erschienen bei FISCHER E-Books
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2014
Die Originalausgabe erschien 1986 im S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main
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Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.
ISBN 978-3-10-403250-4
für s.
seife
aus dem mond zwischen uns. geld
am himmel. und ich werde bis aufs blut gereinigt
kalt rasiert bis auf mein skelett unter gestirnten
bäumen die im mark verrotten. wo ich verwandelt
werde ins negativ eines rendez-vous: o warten
welch eine traurige karriere …
schreckliches bürgertum das mich nicht treffen will
ich habe es um dich betrogen
du liebst
mein knochenuniversum das der wirklichkeit entgegensteht
die sich aus der gewißheit meines daseins fortstahl.
fort … denn das dasein bleibt uns nur gewiß
um uns noch einmal zu beflecken mit der finsternis
um nicht in unschuld zu vergehen in dem loch
von gnadenloser reinheit …
aus dieser lichten grube fort
auf die ganz ohne lust und zorn ich zukroch
in wirklichkeit verwandelt in ergebenheit
in der ich war um nichts zu sein als dieser: ort
ankerlos lautlos schmerzlos gehörlos
so kaum gestuftes material des siebten tags der schöpfung:
als er uns glaubte daß es gut war führten
wir diesen harten marmor auf
zu formen uns
nach seinem bild auf sinkenden terrassen
mit dem die riesennächte seines schattens schliefen
hinabgetürmt ins eis … sonnen monden aller ufer
preisgegeben
standbilder die (gestaltlos wie sein name
unglaube schleift
vor treppen in die flut gestürzt
umspült vom irrlicht das sein greises aug erfand
diese von lichtahnen überkommene nacht
wird dunkler dunkler von nachfahr zu nachfahr
die väter im finstern schon immer
niemals mehr sichtbar ach
in der kälte reifumschlossener hirne geschmiedet
der trügerischste ihrer namen
gott
und ganz bewohnt von diesem dunst der raum
und eh der sohn den enkeln sich entweihte
auch er schon trug im unerhörten unsichtbaren
weltentfernter stern der unbeachtet stürzte (vaterstimme
o weißes verheeren vergangener parke
im fatumslaub der frühlingsnacht
fleischduftender neuschnee
und im dunkel gebliebenen blut jene kalten nabel von namen
land aus geruch: wie es fliegt aus kaminen
von braunen fahnen abgewehtes gottgeröchel
wie immer erzittert verschwimmt die geschichte:
ganz konsonante nacht
sie ist schon der rauch
aller folgenden tage der von den dächern läutet.
im geschlossenen frieden landen die schatten
von pfählen im schoß der luft
wenn das frühlicht
die wasserspiegel der erinnerung sprengt –
in den überlagerungen: runenpfähle. phallische gerüche.
am zweiten tag schon
der geburt warst du fort warst verschollen
klang aus dem vatersnamen anderer buchstab
gnädiges anwesen: unwesenheit.
schwarzäther blutäther
überspannt diesen härtestgeballten rest der erde
aus allen winden der rauch des aufruhrs der lärm
der einstürzt an den grenzen der stille.
dachau
hinter der gedankenplüschmauer
entläßt den tod aus der umerziehung
funktions
in der geliberten luft meines gespaltenen schädels