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Impressum

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, Juni 2019

Copyright © 2019 by Rowohlt Verlag GmbH, Hamburg

Die Originalausgabe erschien 2018 unter dem Titel «The End of the End of the Earth» im Verlag Farrar, Straus and Giroux, New York

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Umschlaggestaltung Anzinger und Rasp, München

Umschlaggestaltung Titelei Anzinger und Rasp, München

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ISBN Printausgabe 978-3-498-02009-5 (1. Auflage 2019)

ISBN E-Book 978-3-644-00066-7

 

www.rowohlt.de

ISBN 978-3-644-00209-8

Fußnoten

Zitiert nach der Übersetzung von Wolf Graf Baudissin, Erstdruck in: Shakspeare’s dramatische Werke. Übersetzt von August Wilhelm Schlegel. Ergänzt und erläutert von Ludwig Tieck, Bd. 8, Berlin (Georg Andreas Reimer) 1832.

Das ist einer von mehreren Sätzen, die ich der ursprünglichen Fassung dieses Essays (mit dem Titel «Die Klima-Klemme») zum Zweck größerer Klarheit und Genauigkeit hinzugefügt habe.

Matthew Crawfords Buch «The World Beyond Your Head» wird zitiert nach Stephan Gebauers 2016 im Ullstein-Verlag erschienener Übersetzung.

Kurz nach meinem Besuch verkaufte ihr Mann sein Gewehr. Zwei Jahre später, nach der Publikation dieser Reportage in der Zeitschrift National Geographic, mit Fotos von David Guttenfelder, verfügte die albanische Regierung ein zweijähriges, landesweites Verbot der Vogeljagd. Das Verbot ist seitdem um weitere fünf Jahre verlängert worden. Die Durchsetzung bleibt allerdings schwierig.

Tatsächlich wurde Mursi im Juli 2013 abgesetzt. Er sitzt seitdem im Gefängnis.

Edgar Allen Poes Erzählung «Berenice» wird zitiert nach der deutschen Übersetzung von Arno Schmidt, abgedruckt in König Pest, Haffmans Verlag 1994.

Edith Whartons Roman Haus Bellomont, erschienen 2001, wird zitiert nach Heddi Fellhauers Übersetzung.

In Amerika, so unglaublich das einem vernünftigen Europäer auch vorkommen mag, werden die in großen Lettern auf die Straße geschriebenen Verkehrsregeln von unten nach oben gelesen. Im Fall von PED XING, kurz für PEDESTRIAN CROSSING, Fußgängerüberweg, steht das vorangestellte PED also unter dem XING.

YIELD TO BUS bedeutet: dem Bus die Vorfahrt gewähren.

To cross (to x) heißt: überqueren, kann aber auch durchstreichen bedeuten.

und zur Erinnerung an Martin Schneider-Jacoby

und Mindy Baha El Din

Wenn ein Essay, etymologisch betrachtet, ein Versuch ist –  etwas Gewagtes, Unbestimmtes, Unzuverlässiges, etwas, das allein auf der persönlichen Erfahrung und Subjektivität des Autors fußt –, dann könnte es scheinen, als lebten wir in einem goldenen Zeitalter der Essayistik. Auf welcher Party man am Freitagabend war, wie man von einem Flugbegleiter behandelt wurde, was man vom politischen Aufreger des Tages hält: Die Grundannahme sozialer Medien besteht darin, dass noch das winzigste subjektive Mikronarrativ es wert ist, nicht nur privat, wie in einem Tagebuch, notiert, sondern auch mit anderen geteilt zu werden. Dieser Grundannahme entspricht jetzt der amerikanische Präsident. Die herkömmliche Berichterstattung harter Fakten in Medien wie der New York Times ist in einem Maße aufgeweicht worden, dass das Ich mit seinen Stimmlagen und Meinungen und Eindrücken ins Scheinwerferlicht der Seite eins rücken konnte, und Rezensenten fühlen sich immer seltener verpflichtet, Bücher so objektiv wie möglich zu besprechen. Früher spielte es keine Rolle, ob einem Raskolnikoff und Lily Bart sympathisch waren, jetzt jedoch ist die Frage der «Sympathie», und damit die persönliche Ansicht des Rezensenten, ein Schlüsselelement der Kritik. Und sogar die Literatur sieht mehr und mehr wie ein Essay aus. Einige der einflussreichsten Romane der letzten Jahre, etwa von Rachel Cusk oder Karl Ove Knausgård, heben das Verfahren, mit den Mitteln der Selbstreflexion Zeugnis abzulegen, auf eine neue Stufe. Ihre extremeren Bewunderer werden Ihnen sagen, dass Phantasie und Erfindung überholte

Derweil sieht es für den autobiographischen Essay – das formale Instrumentarium aufrichtiger Selbsterforschung und der nachhaltigen Auseinandersetzung mit Ideen, wie es von Montaigne geprägt und von Emerson, Woolf und Baldwin weiterentwickelt wurde – schlecht aus. Die meisten großen amerikanischen Zeitschriften haben es so gut wie aufgegeben, in dieser Tradition stehende Essays zu veröffentlichen. Die Form dauert vor allem in kleineren Publikationen fort, die zusammen weniger Leser haben als Margaret Atwood Follower bei Twitter. Sollten wir also das Aussterben des Essays beklagen? Oder sollten wir seinen kulturellen Siegeszug feiern?

Ein persönliches und subjektives Mikronarrativ: Das Wenige, was ich über das Essayschreiben gelernt habe, verdanke ich meinem Redakteur beim New Yorker, Henry Finder. Zum ersten Mal habe ich 1994 mit ihm zu tun gehabt, als Möchtegernjournalist, der dringend Geld brauchte. Größtenteils durch glückliche Umstände brachte ich einen druckbaren Artikel über die amerikanische Post zustande, dann, durch ureigene Inkompetenz, einen nicht druckbaren über den Sierra Club. Das war der Moment, in dem Henry andeutete, ich hätte vielleicht eine gewisse Begabung als Essayist. «Weil du offenkundig ein Scheißjournalist bist», hörte ich ihn sagen und wies eine solche Begabung weit von mir.

Das war das Erste, was ich von Henry lernte, und es bleibt das Wichtigste. Nachdem ich in meinen Zwanzigern immer geraucht hatte, war es mir gelungen, mit Anfang dreißig für zwei Jahre aufzuhören. Als ich aber mit dem Post-Artikel beauftragt wurde und es mir davor graute, auch nur den Hörer abzuheben und mich als Journalist vom New Yorker vorzustellen, fing ich wieder an. In den darauffolgenden Jahren brachte ich es fertig, mich als Nichtraucher zu verstehen, zumindest als jemanden, der so fest entschlossen war, das Rauchen wieder aufzugeben, dass ich genauso gut schon Nichtraucher hätte sein können, auch wenn ich nach wie vor rauchte. Mein Geisteszustand glich einer quantenmechanischen Wellenfunktion, in der ich gleichzeitig Raucher wie Nichtraucher sein konnte, solange ich mir über mich nur nicht im Klaren war. Und ich begriff sofort, dass über Zigaretten zu schreiben mich zwingen würde, mir über mich klar zu werden. Denn das ist es ja, was Essays tun.

Außerdem gab es da das Problem mit meiner Mutter,

Henry war ein Wunderkind gewesen, als Tina Brown ihn mit Mitte zwanzig zum New Yorker holte. Er hatte eine markante, atemlose Sprechweise, eine Art hyperartikuliertes Nuscheln, wie überaus gut lektorierte, nur kaum lesbare Prosa. Seine Intelligenz und Belesenheit beeindruckten mich sehr, und ich lebte schon bald in der Furcht, ihn zu enttäuschen. Seine leidenschaftliche Emphase in «Deshalb musst du darüber schreiben» – er war der Einzige, den ich kannte, der mit einem betonten «therefore» am Satzanfang und einem imperativischen «must» davonkam – erlaubte mir zu hoffen, dass ich mich seinem Bewusstsein wenigstens ein kleines bisschen eingeprägt hatte.

Und so begann ich, an dem Essay zu arbeiten, rauchte vor dem Kastenventilator meines Wohnzimmerfensters jeden Tag ein halbes Dutzend teerreduzierte Zigaretten und gab schließlich das einzige je für Henry geschriebene Stück ab, das ohne sein Lektorat auskam. Ich weiß nicht mehr, wie meine Mutter den Essay in die Finger kriegte und wie sie mir ihr tief empfundenes Gefühl, betrogen worden zu sein, mitteilte, ob per Brief oder am Telefon, aber ich weiß noch sehr genau,

In Entweder – Oder macht sich Kierkegaard über den «geschäftigen Menschen» lustig, für den die Geschäftigkeit ein Weg ist, eine ehrliche Selbsteinschätzung zu umgehen. Nachts mag man aufwachen und begreifen, dass man in seiner Ehe einsam ist oder dass man sich darüber Gedanken machen sollte, was das eigene Konsumverhalten dem Planeten antut, aber am nächsten Tag hat man eine Million von Kleinigkeiten zu erledigen und am Tag darauf noch eine Million. Solange man mit den Kleinigkeiten an kein Ende kommt, muss man nie innehalten und sich den größeren Fragen stellen. Einen Essay zu schreiben oder zu lesen ist nicht der einzige Weg, innezuhalten und sich zu fragen, wer man eigentlich ist und was das eigene Leben bedeutet, aber es ist ein guter Weg. Und wenn man bedenkt, wie lächerlich ungeschäftig Kierkegaards Kopenhagen verglichen mit unserem Zeitalter war, dann kommen einem all diese subjektiven Tweets und hastigen Blogposts gar nicht so essayistisch vor. Eher scheinen sie ein Weg zu sein, das zu umgehen, was ein richtiger Essay uns zumuten könnte. Wir verbringen unsere Tage damit, auf dem Bildschirm Zeug zu lesen, das wir in einem Buch nie lesen würden, und schwadronieren darüber, wie geschäftig wir sind.

Es ist eines der Mysterien von Literatur, dass die persönliche Substanz, wie sie Autor und Leser gleichermaßen wahrnehmen, außerhalb ihrer beiden Körper zu finden ist, auf einem Blatt Papier. Wie kann ich mir in etwas, das ich schreibe, wirklicher vorkommen als in meinem Körper? Wie kann ich mich einem anderen Menschen näher fühlen, wenn ich seine Worte lese, als wenn ich neben ihm sitze? Die Antwort lautet zu Teilen, dass sowohl Schreiben als auch Lesen die volle Aufmerksamkeit beanspruchen. Aber sicher hat es auch mit einer bestimmten Art des Ordnens zu tun, wie sie nur auf einem Blatt Papier möglich ist.

Hier könnte ich zwei weitere Dinge nennen, die ich von Henry Finder gelernt habe. Das eine lautete: Jeder Essay, sogar ein Denkstück, erzählt eine Geschichte. Das andere lautete: Es gibt nur zwei Methoden, einen Stoff zu ordnen: «Gleiches zu Gleichem» und «Dies folgte auf jenes». Diese Grundsätze mö

Wenn Sie Henrys Grundsatz zustimmen, dass ein gelungenes Stück Prosa einen Stoff haben sollte, den man in Form einer Geschichte arrangiert hat, und wenn Sie meine Überzeugung teilen, dass unsere Identität aus den Geschichten gemacht ist, die wir über uns erzählen, dann ist es nur logisch, dass wir aus der Mühe des Schreibens und dem Vergnügen des Lesens eine ordentliche Ladung Substanz gewinnen. Wenn ich allein im Wald bin oder zusammen mit einem Freund zu Abend esse, werde ich von der Vielzahl zufälliger Sinneseindrücke, die auf mich einwirken, überwältigt. Der Akt des Schreibens subtrahiert beinahe alles, lässt nur das Alphabet und die Satzzeichen übrig und nähert sich der Nichtzufälligkeit. Manchmal, wenn man die Bestandteile einer bekannten Geschichte ordnet, findet man heraus, dass sie nicht das bedeutet, was man gedacht hat. Manchmal, insbesondere wenn es ums Argumentieren geht («Dies folgt aus jenem»), muss man erzählerisch neu ansetzen. Bei dem Versuch, eine überzeugende Geschichte zu gestalten, können sich Gedanken und Gefühle herauskristallisieren, von denen man nur vage wusste, dass man sie überhaupt hatte.

Falls man eine Menge Stoff vor sich hat, der sich nicht für

Ich war am Wahltag in Ghana, zum Vögelbeobachten mit meinem Bruder und zwei Freunden. James Comeys Bericht vor dem Kongress hatte den Wahlkampf erschüttert, bevor ich nach Afrika aufgebrochen war, aber Nate Silvers für Umfragen maßgebliche Website, Fivethirtyeight, bezifferte Trumps Siegchance nach wie vor auf nur dreißig Prozent. Ich hatte frühzeitig meine Stimme für Clinton abgegeben und fürchtete mich, als ich in Accra eintraf, nur mäßig vor dem

In Ghana gehorchte ich einem anderen Zwang. Zu meiner Schande bin ich, was man in der Welt des Vogelbeobachtens einen «Lister» nennt. Nicht, dass ich Vögel nicht um ihrer selbst willen lieben würde. Ich beobachte Vögel um ihrer Schönheit und Vielfalt willen, um mehr über ihr Verhalten und die Ökosysteme zu erfahren, deren Teil sie sind, und um lange, konzentrierte Wanderungen an neuen Orten zu unternehmen. Aber ich führe auch viel zu viele Listen. Ich zähle nicht nur die Vogelarten, die ich weltweit gesehen habe, sondern auch die, die mir in jedem einzelnen Land und jedem einzelnen amerikanischen Bundesstaat, in dem ich zur Vogelbeobachtung gewesen bin, begegnet sind, außerdem meine Sichtungen an verschiedenen kleineren Orten, etwa in meinem Garten, und die in jedem Kalenderjahr seit 2003. Ich könnte mein zwanghaftes Zählen zum kleinen Nebenschauplatz meiner Leidenschaft erklären. Aber ich bin wirklich zwanghaft. Vogelbeobachtern, denen es allein um die Freude geht, bin ich deshalb moralisch unterlegen.

Da traf es sich, dass sich mir mit der Reise nach Ghana die Chance auftat, meinen Vorjahresrekord von 1286 Arten zu brechen. Für das Jahr 2016 hatte ich schon mehr als 800 Arten beisammen, und durch meine Onlinerecherche wusste ich, dass Reisen, die der unseren vergleichbar waren, bis zu 500 Arten erbracht hatten, von denen nur eine Handvoll in Amerika verbreitet sind. Wenn es mir also gelingen sollte, in Afrika 460 Arten zum ersten Mal in diesem Jahr zu sehen, und ich dann meinen siebenstündigen Zwischenstopp in London nutzen würde, um in einem Park in der Nähe von Heathrow

Wir sahen Großartiges in Ghana, spektakuläre Turakos und Bienenfresser, die es nur in Westafrika gibt. Aber die wenigen erhaltenen Wälder des Landes stehen aufgrund von Jagd und Forstwirtschaft unter massivem Druck, und unsere Wanderungen darin waren eher drückend heiß als ertragreich. Bis zum Wahlabend hatten wir bereits unsere einzige Chance auf gleich mehrere meiner Zielarten verpasst. Sehr früh am nächsten Morgen, während die Wahllokale an der Westküste der Vereinigten Staaten noch geöffnet waren, schaltete ich mein Telefon an, um mich an Clintons Sieg zu freuen. Stattdessen stieß ich auf waidwunde SMS-Nachrichten von meinen Freunden in Kalifornien, ergänzt um Fotos, auf denen sie übellaunig auf einen Fernseher starrten – meine Freundin lag, eingerollt wie ein Embryo, auf dem Sofa. Die Schlagzeile der Times lautete in diesem Augenblick: «Trump siegt in North Carolina und gewinnt an Boden; Clintons Weg zum Erfolg ist schmal.»

Außer Vögel beobachten zu gehen blieb nichts zu tun. Auf der Straße in den Nsuta Forest, Holztransportern ausweichend, deren Bodengewinne mich an die von Trump denken ließen, und im festen Glauben, dass es für Clinton noch immer einen Weg zum Erfolg gebe, sah ich Hartlaub-Tokos, einen Kuckucksweih und einen Düsterspecht. Es war ein schweißtreibender, aber befriedigender Vormittag, der, sobald wir wieder Netz hatten, mit der Nachricht endete, dass der «kurzfingrige Protz» (diesen denkwürdigen Beinamen hatte ihm die Zeitschrift Spy verpasst) der neue Präsident meines Landes sei. In diesem Augenblick begriff ich, was ich im Stillen aus Nate Silvers dreißig Prozent für Trump

Als wir in den trockeneren, weniger bevölkerten Norden Ghanas unterwegs waren, stießen wir auf einige Vögel, die zu sehen ich mir schon lange erträumt hatte: Krokodilwächter, Karminspinte und eine männliche Fahnennachtschwalbe, die mit ihren unglaublichen Handschwingen aussah, als würde sie von zwei Fledermäusen verfolgt. Doch wir fielen immer weiter hinter das Jahreslistentempo zurück, das ich halten musste. Zu spät dämmerte mir, dass die Listen, die ich online gesehen hatte, auch Arten aufführten, die man nur hörte, aber nicht sah, wohingegen ich einen Vogel sehen musste, um ihn zählen zu können. Wie Nate Silver hatten diese Listen meine Hoffnungen geschürt. Jetzt erhöhte jede Zielart, die ich verpasste, den Druck, jede der noch übrigen zu sehen, sogar die ganz und gar unwahrscheinlichen, wollte ich meinen Rekord noch brechen. Es war nur eine blöde Jahresliste, die am Ende sogar mir nichts bedeutete, doch die Schlagzeile vom Morgen nach der Wahl verfolgte mich. Statt 275 Wahlmänner brauchte ich 460 Arten, und mein Weg zum Erfolg wurde sehr schmal. Schließlich, vier Tage vor dem Ende der Reise, am Überlaufkanal eines Damms in der Nähe der Grenze zu Burkina Faso, wo ich auf ein halbes Dutzend neuer Savannen-Vögel gehofft hatte und keinen einzigen sah, musste ich die Niederlage akzeptieren. Auf einmal wurde mir klar, dass mein Platz zu Hause gewesen wäre, wo ich hätte versuchen sollen, meine Freundin über das Wahl

Wie hatte es der kurzfingrige Protz ins Weiße Haus geschafft? Als Hillary Clinton wieder in der Öffentlichkeit erschien, gab sie, indem sie ein Dies-folgte-auf-jenes-Narrativ bemühte, der Gleiches-zu-Gleichem-Darstellung ihres Charakters neue Nahrung. Halb so wild, dass sie mit ihren E-Mails leichtfertig umgegangen war und von einem «Korb der Erbärmlichen» gesprochen hatte. Halb so wild, dass die Wähler womöglich einen legitimen Groll gegen die liberale Elite gehegt hatten, die Clinton repräsentierte; dass sie womöglich einfach nicht eingesehen hatten, dass Freihandel, offene Grenzen und industrielle Automatisierung vernünftig waren, wenn der allgemeine Zuwachs an globalem Reichtum doch auf Kosten der Mittelklasse ging; dass sie es womöglich übel genommen hatten, dass liberale urbane Werte konservativen ländlichen Gemeinden staatlich verordnet werden sollten. Ging es nach Clinton, war James Comey an ihrer Niederlage schuld – neben den Russen vielleicht.

Zugegeben, ich hatte mein eigenes hübsches Narrativ. Als ich aus Afrika nach Santa Cruz zurückkehrte, bemühten sich meine progressiven Freunde immer noch zu verstehen, warum Trump gewonnen hatte. Ich erinnerte mich an einen gemeinsamen Auftritt mit dem optimistischen Social-Media-Experten Clay Shirky, der dem Publikum erzählt hatte, wie «geschockt» New Yorks professionelle Restaurantkritiker gewesen seien, als Zagat, ein nutzerbasiertes Bewertungssys

Nach der Wahl schien Mark Zuckerberg kurzzeitig irgendwie Verantwortung dafür zu übernehmen, die maßgebliche Plattform für Fake News über Clinton geschaffen zu haben, und er deutete an, Facebook werde beim Filtern von Nachrichten aktiver werden. (Viel Erfolg dabei.) Twitter seinerseits zog den Kopf ein. Da Trump unvermindert weitertwitterte – was konnte Twitter da schon sagen? Dass es die Welt zu einem besseren Ort mache?

Im Dezember begann mein Lieblingsradiosender in Santa Cruz, KPIG, Fake-Werbespots mit Beratungsangeboten für Menschen zu senden, die nach Anti-Trump-Tweets und Anti-Trump-Facebookposts süchtig waren. Im Monat darauf, eine

Trump und seine Unterstützer vom äußersten Rand der politischen Rechten machen sich ein Vergnügen daraus, bei den politisch Korrekten die richtigen Knöpfe zu drücken, aber das funktioniert auch nur, weil diese Knöpfe zum Drü

Vor drei Jahren hat mich der Klimawandel in Rage gebracht. Die Republikanische Partei verbreitete weiterhin die Lüge, dass es in der Wissenschaft keinen Klimakonsens gebe – Floridas Umweltschutzbehörde war sogar so weit gegangen, ihren Mitarbeitern zu untersagen, im Schriftverkehr das Wort «Klimawandel» zu verwenden, nachdem der Gouverneur von Florida, ein Republikaner, darauf beharrt hatte, er sei keine «echte Tatsache» –, aber ich war nicht weniger wütend auf die Linke. Ich hatte ein neues Buch von Naomi Klein gelesen, Die Entscheidung, in dem sie dem Leser versicherte, dass, ob

In einer immer krasser gespaltenen Gesellschaft war die Wahrheit über die Erderwärmung für die Linke sogar noch unliebsamer als für die Rechte. Die Leugnungen der Rechten waren unverhohlene Lügen, aber wenigstens standen sie im Einklang mit einem gewissen kaltblütigen politischen Realismus. Die Linke, die die Rechte für ihre intellektuelle Unredlichkeit verurteilt und den Vorwurf der Klimawandelleugnung in einen politischen Schlachtruf umgemünzt hatte, war jetzt in einer unmöglichen Position. Sie hatte auf der Wahrheit der Klimaforschung zu bestehen, während sie an

Weil meine Sympathien bei der Linken lagen – CO2-Emissionen zu senken ist weitaus besser, als nichts zu tun; jedes halbe Grad hilft –, hatte ich auch höhere Ansprüche an sie. Die finstere Realität zu leugnen und so zu tun, als könnte das Pariser Abkommen die Katastrophe abwenden, war als Taktik, um die Menschen zur Senkung von Emissionen zu motivieren und die Hoffnung am Leben zu halten, verständlich. Als Strategie jedoch schadete es mehr, als es nutzte. Man gab die ethische Überlegenheit auf, beleidigte die Intelligenz nicht überzeugter Wähler («Im Ernst? Wir haben noch zehn Jahre?») und verhinderte eine offene Diskussion darüber, wie die Weltgemeinschaft sich auf die drastischen Veränderungen vorbereiten solle und wie Nationen wie Bangladesch zu entschädigen seien für das, was ihnen Nationen wie die Vereinigten Staaten angetan hatten.

Unehrlichkeit verkehrt außerdem Prioritäten. In den vergangenen zwanzig Jahren war die Umweltbewegung zur Gefangenen eines einzigen Themas geworden. Teils aus aufrichtiger Besorgnis, teils weil es politisch weniger riskant –  weniger elitär – ist, menschliche Probleme in den Vordergrund zu rücken, als über die Belange der Natur zu sprechen, hatten die großen Umwelt-NGOs ihr gesamtes politisches Kapital in den Kampf gegen den Klimawandel investiert, ein Problem mit menschlichem Gesicht. Die NGO, die mich, als

Ich war so wütend, dass ich beschloss, einen Essay zu schreiben. Ich begann mit einer Jeremiade gegen die National Audubon Society, weitete das aus zu einer verächtlichen Anklage der Umweltbewegung im Allgemeinen, und auf einmal fing ich an, mitten in der Nacht aufzuwachen, panisch vor Zweifel und Reue. Für einen Schriftsteller ist der Essay ein Spiegel, und mir gefiel nicht, was ich in diesem sah. Warum

Nach drei Nächten des Zweifelns – an meinem Charakter, meinen Motiven – rief ich Henry Finder an und erklärte ihm, ich könne das Stück nicht schreiben. Ich hatte unter Freunden und gleichgesinnten Umweltschützern reichlich über Klimafragen geschimpft, aber das hatte jedes Mal dem Geschimpfe im Netz geähnelt, wo einen der Stegreifcharakter des Geschriebenen, aber auch das Wissen um die freundschaftliche Verbundenheit der Leserschaft schützt. Der Versuch, etwas Ausgearbeitetes zu schreiben, einen Essay, hatte mir die Schlampigkeit meines Denkens bewusst gemacht. Auch das Schamrisiko war enorm gestiegen, zumal der Text nicht beiläufig entstanden war und die Leserschaft wahrscheinlich aus feindseligen Fremden bestand. Eingedenk Henrys Ermahnung («deshalb»), hatte ich den Essayisten zunehmend als Feuerwehrmann begriffen, dessen Aufgabe es ist, direkt in die Flammen der Schande hineinzulaufen, wenn

Vielleicht hätte ich den Essay liegen gelassen, wenn ich nicht bereits ein Feld auf Audubons Internetseite angeklickt und damit zugestimmt hätte, dass ich, ja, beim Kampf gegen den Klimawandel mitwirken wolle. Ich hatte das nur getan, um rhetorische Munition zu sammeln, die ich gegen Audubon verwenden wollte, aber dieser Klick hatte eine Flut von Direktwerbungen nach sich gezogen. Ich bekam binnen sechs Wochen mindestens acht, die mich allesamt um Spenden baten, dazu eine vergleichbare Flut in meinem E-Mail-Postfach. Ein paar Tage nach meinem Gespräch mit Henry öffnete ich eine der E-Mails und erwischte mich beim Betrachten eines Fotos von mir selbst – zum Glück eine schmeichelhafte Aufnahme, entstanden 2010 für die Zeitschrift Vogue, die mich, durch ihr Zutun besser angezogen als sonst, mit meinem Fernglas auf einem Feld platziert hatte – wie einen Vogelbeobachter. Die Betreffzeile der E-Mail lautete in etwa: «Machen Sie es wie der Schriftsteller Jonathan Franzen und unterstützen Sie Audubon.» Es stimmte schon: Ein paar Jahre zuvor hatte ich in einem Interview mit der Zeitschrift Audubon die Organisation höflich gelobt oder doch wenigstens ihre Zeitschrift. Aber niemand hatte mich um Erlaubnis gefragt, meinen Namen und das Foto von mir zu Werbezwecken zu verwenden. Ich war mir nicht einmal sicher, ob die E-Mail rechtens war.

Ein wohlmeinenderer Impuls, mich wieder an den Essay zu setzen, kam von Henry. Soweit ich weiß, sind Vögel Henry völlig egal, aber an meiner These, dass die Beschäftigung mit den Katastrophen der Zukunft uns hindert, lösbare Umweltprobleme im Hier und Jetzt anzugehen, schien er etwas zu

Indem ich über die beiden Projekte schrieb, hoffte ich, ein oder zwei der großen Stiftungen, die zig Millionen Dollar für die Entwicklung von Biodiesel oder Windfarmen in Eritrea ausgeben, würden das Stück vielleicht lesen und darüber nachdenken, in Arbeit zu investieren, die konkrete Erfolge zeitigt. Was ich stattdessen auslöste, war ein Raketenangriff aus dem liberalen Lager. Ich bin nicht in sozialen Netzwerken unterwegs, aber meine Freunde berichteten mir, ich würde als alles Mögliche beschimpft, etwa als «Spatzenhirn» und «Klimawandelleugner». Tweet-lange Auszüge aus meinem Essay, aus dem Kontext gerissen und retweeted, erweckten den Anschein, ich hätte vorgeschlagen, die Reduzierung von