Klaus Müller

Mein Gott, Adam!

 

 

 

Inhaltsverzeichnis

Titel

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Impressum neobooks

Kapitel 1













MEIN GOTT, ADAM!



Neues aus dem Paradies



von




Klaus Muller
























Als das Paradies schon einige Jahre Bestand hatte, die Bäume und Sträucher endgültig angewachsen waren und somit keine Chancen irgendeiner Reklamation mehr bestanden – nebenbei bemerkt, wo denn auch, gab es doch zu dem Zeitpunkt nur ein Gericht, und zwar das himmlische, dessen Vorsitzender auch gleichzeitig der Lieferant etwaiger Streitobjekte war.

Und wer jemals einen Prozess geführt hat, der weiß, wie bei einer solchen Zusammensetzung des Gerichts die Aussichten auf Erfolg stehen.

Doch zurück zur Geschichte …

Also, das Paradies hatte schon einige Jahre Bestand – was natürlich nicht heißt, dass alle auch zufrieden waren. Ein pferdeartiges Tier mit Streifen zum Beispiel. Allgemein wurde es, na ja, so allgemein nun doch nicht, denn es gab ja nur zwei Menschen, aber von diesen beiden wurde es Zebra genannt. Dieses Tier machte sich, auch nach mehreren Jahren seiner Existenz, immer noch Gedanken darüber, ob es denn wirklich notwendig gewesen sei, zusätzlich diverse Mordtiere zu erschaffen, die ihm ständig nach dem Leben trachteten und deren einziger Sinn zu sein schien, seine Gattung zu dezimieren und sich mit seinen Artgenossen den Bauch vollzuschlagen.

Dieses Problem ist für die betreffende Kreatur sicherlich immens, soll aber nicht Gegenstand dieser Geschichte sein. Vielmehr möchte ich von einem Vorgang berichten, der sich ereignete, als das Paradies, wie gesagt, schon einige Jahre Bestand hatte.

Adam saß bei schönem Wetter an einem kleinen Waldsee, ließ seine Füße hinein baumeln und dachte über sich und allgemein den Sinn des Lebens nach.

Mit der Beantwortung dieser Frage kam er allerdings nicht recht weiter und schob es nach einigen Überlegungen auf seine fehlende frühkindliche Entwicklungsphase und die entbehrte Mutterliebe.

Nein, sein Tag war das heute nicht. Er fühlte sich irgendwie deprimiert, konnte aber beim besten Willen nicht sagen, woran es lag.

Er zog die Beine aus dem Wasser und wälzte sich auf den Bauch. Hätte es damals schon einen Freitag den 13. gegeben, wäre es dieser Tag gewesen.

Und zu allem Überfluss tat ihm auch noch seine Narbe weh! Er drehte sich auf den Rücken und betastete dieses längliche, etwas härtere Hautstück kurz unter seinem letzten Rippenbogen.

»Weiß der Teufel, wo die her ist!«, dachte er bei sich, erschrak aber gleich über seinen Gedanken, weil er doch hoffte, dass der es nun gerade nicht wusste.

»Oder doch?«, grummelte es in seinem Kopf.

»Nein«, verwarf er. »Aus dieser etwas vergorenen Ziegenmilch wird doch wohl niemand gleich ein Drama machen. Obwohl, vorgestern hatte ich ganz schön einen zu fassen. Vielleicht bin ich irgendwo runter gefallen im Suff?«

Er erinnerte sich aber, dass er die Narbe schon so lange hatte, wie er denken konnte. Beruhigt reckte er sich.

»Aber wie lange kann ich denn schon denken?«, nervte sein Kopf weiter.

Nein, heute war wirklich nicht sein Tag.

Er beschloss, schwimmen zu gehen, in der Hoffnung, dass ihn das kühle Wasser ein bisschen ablenken würde.

Gerade als er von einem Baum aus, der einladend über den See ragte, zu einem imposanten Sprung ins Wasser ansetzen wollte, hörte er eine Stimme.

»Adam!«

Er blickte sich um, sah keinen (wen denn auch?) und wusste dann, dass ER es war.

»Der hat mir heute gerade noch gefehlt«, dachte Adam möglichst leise, da er nicht einmal sicher war, ob ER nicht seine Gedanken lesen konnte.

»Adam«, hörte er wieder die Stimme sagen, und er wusste, dass es keinen Zweck hatte, so zu tun, als wenn er IHN nicht hörte. Adam kletterte von dem Baum wieder herunter, trat an das Ufer und hob den Blick gen Himmel.

Warum er hochschaute, konnte er nicht sagen. Er hatte es schon immer getan, und es erschien ihm einfach würdevoller.

»Schönen guten Tag, Chef. Ich höre dich klar und deutlich!«

»Natürlich hörst du mich klar und deutlich!«, wurde die Stimme ärgerlich und schickte einen leichten, warnenden Wind. »Und nenn mich nicht immer Chef!«

»Soll ich nicht?«, fragte Adam, obwohl er es wusste.

»Nein. Ich bin der HERR, dein Gott!«, kam es feierlich zurück.

»Selbstverständlich, HERR!«

Eine kleine Pause entstand, die sein Gesprächspartner immer machte, wenn er mit ihm redete, um seinen Sätzen die nötige Schwere zu verleihen.

»Geht es dir gut, Adam?«

»Doch, doch, HERR, ich habe ja alles was ich brauche.«

Was sollte er IHN mit seinen kleinen Problemen belästigen.

Schließlich, wenn alles stimmte, was ER ihm erzählt hatte, so hatte ER genug mit der Schöpfung zu tun und konnte sich nicht um Kleinigkeiten kümmern.

»Höre ich da einen leichten Unterton in deiner Stimme, Adam?«, fragte die Stimme misstrauisch.

»Aber nein, HERR«, druckste er und senkte seinen Blick. »Es ist nur …«

»Na?«

»Ich denke eben manchmal, dass ich um meine Ödipusphase betrogen worden bin!«

»Adam!«, kam es knapp und vorwurfsvoll.

»War nicht so gemeint, Chef … äh HERR«, entschuldigte er sich für seinen Mut. »Aber alles, was man so mit der Muttermilch einsaugt …«, sein Blick wanderte wieder nach oben und ohne es zu wollen, ballten sich seine Hände vor den nächsten Worten. »Also, ich konnte überhaupt nichts einsaugen!«

Fast triumphierend verschränkte er die Arme. Wieder diese lange Pause, die einen gewichtigen Satz erwarten ließ.

»Adam.«

Er fühlte sich am Ohr gepackt.

»Ich habe dir alles gegeben, was du brauchst. Ich habe dich ernährt, beschützt und gewärmt.«

Es ärgerte Adam, dass jedes Mal, wenn seine Argumente gut waren, ER mit diesen Vorhaltungen kam.

»Das ist natürlich richtig, HERR, und ich weiß es auch zu würdigen. Ich wäre wirklich der letzte, der nicht wüsste, was du für mich getan hast, HERR. Aber …«

»Nichts aber!«, drang es ziemlich bestimmt von irgendwo aus den Wolken.

»Aber diese dauernden oralen Mangelerlebnisse prägen einen Menschen für sein ganzes Leben. Da kannst du fragen, wen du willst!«

Er wusste natürlich, dass der letzte Teil seines Satzes völliger Unfug war, fand aber, dass es sich gut anhörte, und blieb dabei.

»Hätte ich dir etwa die Brust geben sollen?«

Adam zuckte vielsagend mit den Schultern.

»Wie hätte ich das wohl machen sollen?«, kam es fast rechtfertigend. »Und außerdem hatte ich damals gerade sehr viel zu tun!«

Adam hatte jetzt Lust, sich zu streiten, und fügte deswegen ein »Wenn du gewollt hättest …« an.

»Schnickschnack!«, rief die Stimme, und gleichzeitig schlug ein Blitz in eine nahe Fichte ein.

Eine sehr lange Pause entstand. Adam wusste, dass er etwas zu weit gegangen war. Jetzt würde er mit Sicherheit wieder irgendetwas über sich ergehen lassen müssen.

»Ich hätte fast vergessen«, kam es von oben, »warum ich mich bei dir heute überhaupt gemeldet habe. Sicherlich nicht, um mir dein Gemecker anzuhören!«, fügte ER noch mit einer Spitze hinzu.

»Übrigens«, die Pause wurde immer länger, während jedes folgende Wort genüsslich vorbereitet wurde. »Wie – geht – es – Eva?«

Adam war erstaunt und blinzelte mit schräg gestelltem Kopf in die Sonne. Er hatte erwartet, wieder mal gemaßregelt zu werden, weil er irgendwelche Blumen plattgetreten hatte oder versuchte, lästige Insekten in seiner Hütte auszurotten. Das kannte er schon. Die Frage nach Eva verwirrte ihn und war in diesem Zusammenhang auch neu.

»Ich glaube doch, gut«, erwiderte er zögerlich.

»Soso«, murmelte ER vielsagend. »Und warum muss ich dann noch immer auf einen Erfolg warten, Adam?«

Es behagte Adam ganz und gar nicht, dass er nicht wusste, worauf ER hinauswollte.

»Warten, HERR?«

»Ja«, in der Stimme war jetzt eine gewisse Sanftheit, die Adam noch mehr verunsicherte.

»Warum muss ich immer noch warten?«

»Warten, worauf, HERR?«

»Nun tu nicht so.«

»Aber ich weiß wirklich nicht, was du meinst. Habe ich etwas vergessen? Hätte ich irgendetwas machen sollen?«

»Das will ich meinen!«

Adam wusste nicht, was er vergessen haben könnte. Und dann noch der Zusammenhang mit Eva?

»Evas Geburtstag?«, spekulierte er, fast erfreut, eine Möglichkeit gefunden zu haben.

»Blödsinn! Hast du wirklich vergessen, was ich dir vor ein paar Jahren gesagt habe?«

Es war ihm peinlich, aber er hatte es wohl tatsächlich vergessen.

»Ich befürchte, ja, HERR«, antwortete er kleinlaut und schaute jetzt auf den Boden. »War es wichtig?«

Mit betonter Feierlichkeit hob ER seine Stimme:

»Ich sagte: Gehet hin und mehret euch!«

Adam war überrascht. Den Satz kannte er noch, hatte ihm nur keine entscheidende Bedeutung beigemessen.

»Ich erinnere mich, HERR.«

»Ja und?«

»Was, ja und, HERR?«

»Habt ihr euch nun vermehrt oder nicht?«

Das war es also, worauf ER hinauswollte. Das Thema entwickelte sich brenzliger, als er angenommen hatte.

»Nicht so direkt«, gab er kleinlaut zu.

Die Stimme über den Wolken wurde jetzt etwas lauter.

»Was heißt hier, nicht so direkt? Auf meine Frage gibt es nur ein Ja oder ein Nein. Also?«

»Also, nein, HERR«, Adam senkte den Kopf.

»Und dürfte ich mal erfahren, warum man meinen Anweisungen nicht nachkommt?«

Adam musste scharf nachdenken. Jetzt kam es auf eine gute Argumentation an. Dabei würde zwar Eva auch etwas abkriegen, aber schließlich war ja sein Hals in der Schlinge.

»Ich würde ja schon …«

»Und was hindert dich?«

Jetzt half alles nichts mehr, es musste raus: »Eva wollte nicht!«

Irgendwo im Himmel war ER, mit gänzlich Unerwartetem, immer noch zu erstaunen.

»Sie wollte nicht?«

»Nein«, ein bisschen wie ein Verräter fühlte er sich schon.

»Warum habe ich wohl immer wieder gesagt, das Weib sei dem Manne untertan? Hört mir denn keiner zu, wenn ich etwas sage?«

Nun, selbst wenn alle zuhörten, waren es nur zwei. Aber aus dem ebenen Gesagten wurde Adam schlagartig klar: ER kannte Eva nicht!

»HERR, wenn ich erklären dürfte.«

»Darum möchte ich aber auch bitten!«

Adam wurden die Knie etwas weich, da Gespräche mit IHM nie seine Stärke waren. Schon gar nicht dann, wenn es auch noch Gespräche mit IHM über Eva waren.

Und er nebenbei bemerkt, wusste er auch nicht genau, wo er beginnen sollte.

»Darf ich mich setzen, HERR?«

»Meinetwegen. Fang schon an, ich habe meine Zeit auch nicht gestohlen.«

»Also« begann Adam. »Es ist ja nicht so, dass wir nicht schon öfter darüber gesprochen hätten. Aber wir sind leider zu keiner Einigung gekommen.«

»Genauer bitte!«, forderte die Stimme.

»Also, ich hätte schon zugestimmt, aber Eva meint, sie wäre noch nicht so weit.«

»Sie wäre noch nicht so weit?«, wiederholte die Stimme krächzend.

»Nein.«

»Aber sie hat doch alles, was sie braucht!«, betonte ER fast stolz. »Sie hat zwei herrliche, äh, herrliche, wie soll ich sagen, und sie hat ein wunderbares … Also wirklich. So etwas macht man nicht mal eben schnell an einem Tag! Wie kann sie sagen, sie wäre noch nicht so weit?«

»Es ist ja wohl auch nicht das Körperliche, was sie meint«, gab Adam zu bedenken.

»Und das hast du dir gefallen lassen?«

»Was sollte ich tun?«

»Wie ich sehe, hast du auch alles, was man braucht. Nimm sie dir!«

ER kannte Eva wirklich nicht!

»HERR, ich gebe zu bedenken, dass Gewalt in der Ehe ein großes Problem darstellt.«

»Ja, ja, war ja auch nur so eine Redensart. Aber es muss doch etwas geschehen!«

Wie um das Gesagte zu unterstützen, fegte ein kräftiger Wind über das Wasser. Dann noch ein lauter, unerwarteter Knall, und wieder musste eine Fichte dran glauben.

»Sie sagt«, ergänzte Adam, »sie wolle sich erst einmal selbst verwirklichen und von der Welt etwas sehen, bevor sie durch Kinder zu sehr ans Haus gebunden ist.«

»Also, wenn das jede sagen würde!«, schimpfte ER, bevor ihm klar wurde, dass es ja jede sagte.

»Ein großes Problem«, stellten beide übereinstimmend fest.

»Es liegt mir selbstverständlich fern, irgendwelche Kritik zu äußern, HERR«, begann Adam wieder nach einer Denkpause. »Aber ob deine Idee mit Eva so gut gewesen ist, wage ich, mit Verlaub, HERR, zu bezweifeln.«

»Na ja, nun gut, sicher, aber wer ist denn schon unfehlbar? Ich hatte es mir eben so schön vorgestellt. Ihr beide, bei Mondschein an einem See – nur deswegen habe ich den Mond doch überhaupt gemacht. Ebbe und Flut hätte ich einfacher haben können! Also, ihr bei Mondschein an einem See, sie beugt sich zu dir rüber, knabbert etwas an deinem Ohrläppchen und sagt: Komm, Adam, lass uns die Menschheit erschaffen! Dann sinkt ihr ins Gras und – na ja, und erschafft eben.«

Resigniert hob Adam wieder den Kopf: »So ähnlich war es auch.«

»Ja und, was hat sie gesagt?«, wollte ER wissen.

»Sie sagte, ich solle erst einmal das Dach der Hütte reparieren und dass sie sich mit einem faulen Muttersöhnchen nicht einlassen wolle.«

»Muttersöhnchen?«

»Es ist ein neues Wort, dass sie einmal erfunden hat, als ich ihr erzählte, wie gerne ich eine Mutter gehabt hätte.«

»Die Lage ist ernster, als ich dachte!«, bemerkte ER.

»Muttersöhnchen!«, rief Adam empört. ”Sie nennt mich Muttersöhnchen! Wo ich doch nicht einmal weiß, was eine Mutter ist!«

»Ja, ja, das musst du mir ja nun nicht schon wieder aufs Brot schmieren!«, versuchte ER zu besänftigen.

»Aber ich muss mir laufend solche Sachen anhören«, setzte Adam fort. »Dauernd liegt sie mir in den Ohren, wir würden keine Leute kennen und nie ausgehen! Und wenn ich dann sage, dass wir erst einmal die Leute machen müssen, die wir dann besuchen könnten, sagt sie, ich sei sexbesessen und würde immer nur an das eine denken!«

ER räusperte sich leicht. Seine Stimme klang jetzt ein wenig zögerlich und weniger zuversichtlich als vorher.

»Meinst du«, wollte ER wissen, »es würde helfen, wenn ich mal mit ihr rede?«

Adam zuckte mit den Schultern.

»Ich weiß nicht so recht.«

»Wovor hast du Angst?«, wollte die Stimme wissen.

»Du kennst Eva nicht!«, stellte Adam wiederholt fest. »Ich muss schließlich noch länger mit ihr auskommen.«

»Ich werde sehr diplomatisch sein«, versprach ER. »Komm, mach dich auf den Rückweg zur Hütte.«

Adam stand auf und zögerte. Ihm war nicht sehr wohl bei dem Gedanken, Eva ohne Vorwarnung, mit IHM zu überraschen.

So etwas liebte sie gar nicht, wusste er und ging nur sehr langsam.

»HERR, wenn es schief geht, wäre es dann möglich, versetzt zu werden, auf eine andere Welt?«

»Darüber sprechen wir später«, besänftigte die Stimme ihn.

»Könntest du nicht schon mal vorausschweben, HERR?«, wollte Adam wissen.

»Feigling! Geh jetzt los!«

Adam ging weiter, bis sie an die Hütte kamen, die er gebaut hatte. Sie fanden Eva schlafend in einer Kleemulde. Und da das Wetter warm war, lag sie unbekleidet auf dem Rücken. Ihr goldenes Haar schmiegte sich an den Brüsten herab bis zu den Hüften.

»Schön ist sie mir gelungen«, stellte ER fest.

»Was nützt es?«, erwiderte Adam.

»Vielleicht hätte ich dich auch etwas begehrenswerter machen sollen. Unter Umständen bist du nur zu hässlich!«

Adam stemmte beide Fäuste in die Hüften. »Jetzt fängst du auch noch an!«

»Schon gut, ich mein ja nur. Aber sie ist mir wirklich gut gelungen!«

»Ja, ja!«

Eine lange Gedankenpause entstand, und Adam setzte sich an den Rand der Mulde.

»Und wenn du jetzt einfach …«, schlug ER zögerlich vor. »Okay, vergiss es!«

Eva öffnete die Augen.

»Adam, du?«, sagte sie verschlafen und reckte sich.

Wer wohl sonst, dachte er. »Ja ich, Liebling.«

»Wo bist du gewesen?«, wollte sie wissen.

Ein dezentes Räuspern war über den Wolken zu vernehmen.

»Ich habe jemanden mitgebracht, Eva.«

Sie richtete sich erfreut auf: »O ja, wen denn?«

Mit solchen Fragen überraschte sie Adam immer wieder.

»ER ist es.«

Eva stand ruckartig auf und schaute instinktiv nach oben.

»O HERR, welch eine Freude. Ich bekomme so gerne Gäste!«

Adam fragte sich, wie sie das wissen wollte, da sie ja noch nie Gäste gehabt hatte.

»Darf ich dir etwas anbieten, HERR?«, fragte sie und deutete mit der Hand einladend zur Hütte.

»Vielen Dank, Eva, vielen Dank! Ich möchte nichts. Ich komme aber in einer wichtigen Angelegenheit, die ich unbedingt mit dir besprechen muss.«

Sie sah misstrauisch über die Schulter zu Adam. Ihr Blick drückte Ärger und Skepsis zugleich aus. Sie war sich nicht sicher, was alles über sie gesprochen worden war.

»Hat er sich beschwert? «

Adam machte eine abweisende Handbewegung.

»Nein, nein, das hat er nicht«, sagte ER.

»Was ist es denn«, blieb Eva hartnäckig.

»Nun ja, wir trafen uns so zufällig an dem Waldsee und sprachen über dies und das …«, druckste ER.

»Zur Sache!«, forderte Eva.

»Also, wir kamen, ich weiß auch nicht, wie, auf das Thema der Nachkommenschaft. Und Adam meinte, du würdest dich in dieser Angelegenheit, nun ja, sagen wir mal … verweigern.«

Adam setzte sich, nach dem was er eben gehört hatte, schweigsam in das Gras. Schwierige Wochen würden auf ihn zukommen, das wusste er schon jetzt.

Evas Blick bestätigte seine Vermutung.

»Ach, meinte er?«, fragte sie schnippisch, stemmte dabei die Hände in die Hüften und bedachte Adam mit einem strengen Blick.

»Es war, wie gesagt, keine wirkliche Beschwerde. Aber ich meine auch, du müsstest schon, im Interesse der Menschheit …«

»Ach, müsste ich?«

Über den Wolken suchte jemand nach den richtigen Worten, was Adam nicht ohne eine gewisse Genugtuung bemerkte.

»Also ja, - ich meine schon«, begann ER jetzt etwas offensiver, »das der Sinn der Sch… Sch… Schöpfung darauf hinausläuft, dass …«

»Dass ich mich mit ihm einlassen muss«, vollendete sie seinen Satz.

»Was soll das denn heißen?«, erwachte Adams Stolz.

Eva verschränkte ihre Arme und schaute seitlich nach oben.

»Und wenn ich nun nicht will?«, wollte sie wissen.

»Das ist so nicht vorgesehen!«, kam es knapp zurück.

»Ich will aber nicht vierundzwanzig Monate mit einem dicken Bauch herumlaufen!« Sie stampfte mit dem Fuß auf.

»Man kann doch über alles reden«, gab ER kompromissbereit zurück. »Sagen wir doch einfach zwölf Monate, okay?«

»Neun« erwiderte sie kurz.

»Na gut, na gut«, gab er nach. »Kann es denn jetzt endlich losgehen?«

»Wenn ich’s mir recht überlege, was habe ich eigentlich schon von meinem Leben gehabt?«, wollte sie wissen.

»Aber Kinder können doch auch eine Erfüllung sein!«

»Hört doch auf mit dem Schmu! Das wird man uns wahrscheinlich noch in tausend Jahren erzählen! Nein, keine Chance!«

Eine lange, lange Pause entstand. Adam drehte sich auf die Seite, um noch etwas näher an die Mulde im Gras zu kommen. Die nächsten Wochen, so ahnte er, würden für ihn lang und schrecklich werden.

»Was heißt das, keine Chance?«, wollte ER wissen.

»Wenn ich alles so abwäge, tue ich, glaube ich, besser daran, keine Kinder zu bekommen.«

Adam war jetzt froh, in die Mulde gerutscht zu sein, denn die Blitze, die er jetzt erwartete, wollte er lieber aus einer geschützten Position heraus betrachten. Und als Eva, zu seinem Erstaunen, immer noch nicht aufhörte zu argumentieren, machte er sich ganz klein.

Er wusste aus Erfahrung, mit IHM legte man sich besser nicht zu lange an.

»Ich weiß nicht, wozu es gut sein soll, irgendwelche kleinen, quäkenden, sich vollkackenden Bälger aufzuziehen!«

Ein deutlicher Windzug strich um die Hütte. Es war, als würde ER nach Luft ringen.

Adam hob seinen Zeigefinger langsam aus der Mulde:

»HERR, denkst du bitte an meine Versetzung?«

»Du bist still, du Muttersöhnchen!«, rief ER. »Wenn du ein Mann wärst, hättest du das alles selbst hinbekommen!«

»Ich protestiere«, kam es kleinlaut aus der Mulde.

»Ruhe!«

»Ich sehe wirklich keinen Sinn in dieser Fortpflanzungsgeschichte«, übernahm Eva das Gespräch wieder. »Der Aufwand erscheint mir größer als der Nutzen. Es sei denn …«

Neue Hoffnung regte sich über den Wolken: »Es sei denn, was?«

»Es sei denn«, beendete sie, »man würde sich damit abwechseln.«

Nach einer Weile des ratlosen Schweigens war zu hören: »Ähm, wie ist das gemeint?«

»Ganz einfach«, erklärte Eva. »Für eine gewisse Zeit bekommt die Frau die Kinder und danach für die gleiche Zeit der Mann.«

»Niemals!«, rief Adam aus der Mulde. »Dazu gebe ich niemals meine Einwilligung!«

»Die brauche ich nicht!«, bemerkte ER. »In Anbetracht der Tatsache, dass es bald Abendbrotzeit ist, stimme ich zu, dass bis zum Jahre 2050 die Frauen die Kinder kriegen und vom 01.01.2051 an die Männer diese Aufgabe übernehmen werden.«

»Abgemacht!«, sagte Eva.

»Abgemacht!«, sagte ER.

»Scheiße!«, sagte Adam in der Mulde.






Kapitel 2




Es war keine leichte Zeit, damals im Paradies.

Entgegen einer landläufigen, heutzutage besonders in der Werbewirtschaft weit verbreiteten Überzeugung, dass erst ein Produkt entwickelt werden müsse und dann der entsprechende Bedarf danach geweckt werde, waren selbst damals, gänzlich ohne die entsprechenden Produkte, Bedürfnisse vorhanden. Wie gesagt, ohne Produkte und ohne entsprechendes Marketing.

Doch lassen Sie mich hier versuchen, einen bestimmten Vorfall möglichst objektiv und von Anfang an zu schildern ...


Es war ein schöner, sonniger Tag im Paradies. Allerdings waren alle Tage sonnig und schön; das hatte ein Paradies nun mal so an sich. Deswegen, so meine Vermutung, nannte man es auch zu jener Zeit schon Paradies.

Wer damals aufgrund des permanenten Sonnenscheins Sonnenbrillen verkauft hätte, wäre wohl trotz guter Prognosen nicht reich geworden. Hätte er doch schon nach zwei Verkäufen eine hundertprozentige Marktsättigung erreicht.

Das noch nicht existierende Geld in jeder Form und Währung wollen wir bei dieser Beurteilung erst einmal unberücksichtigt lassen.

In einem recht flachen Gebüsch in der Nähe eines grüngrauen Tümpels lag Adam seit mehreren Stunden regungslos auf seinem Bauch und starrte gebannt auf die kleine Wasserfläche, die sich vor ihm ausbreitete.

Ab und zu kamen ein paar durstige Tiere vorbei, sahen ihn oder auch nicht, tranken beruhigt etwas von dem Wasser und gingen dann wieder unbehelligt ihrer Wege.

Allem Anschein nach gab Adam sich große Mühe, in seinem Gebüsch nicht entdeckt zu werden.

Als er sich gerade tiefer in einer kleinen Mulde niederduckte, die Augen zu schmalen Schlitzen eines Jägers verengt, und jeden Muskel bis aufs Äußerste anspannte, hörte er plötzlich ganz deutlich über sich SEINE Stimme.

»Adam, was machst du da?«

Verdammt, er war entdeckt! Jetzt hieß es die Nerven bewahren, unschuldig tun und einfach lügen, was das Zeug hielt.

Es gab keinen anderen Weg!

Sein Versteck war nicht, wie man jetzt vielleicht fälschlicherweise vermuten könnte, dafür gedacht, dass irgendwelche Tiere ihn nicht bemerken sollten. Die hatten sowieso keine Angst vor ihm – wie denn auch, vor einem relativ nackten Mann ...

Er wollte vielmehr erreichen, dass sein Handeln möglichst lange, am besten für immer, unentdeckt blieb.

Unentdeckt von IHM.

Adam rollte sich sichtlich widerstrebend, aber irgendwie auch als Zeichen der Aufgabe, auf den Rücken, hielt eine Hand schützend vor die Augen und schaute in den blendenden Himmel über ihn.

»Ach, eigentlich gar nichts.«

Er versuchte dabei, einen möglichst unschuldigen Blick aufzusetzen, und hoffte inständig, dass ER möglichst seine Schöpfung nicht gut genug kannte.

»Ach, komm …«

»Kann man denn nicht einfach mal in der schönen Natur relaxen?«

Ihm erschien dieser Satz angebracht und hilfreich, wie eine Flucht nach vorne.

»Relaxen? Warum willst du denn relaxen? Das hier ist das Paradies, hier brauchst du nicht zu relaxen! Außerdem lass mich mit diesem neumodischen Gerede zufrieden. Ich habe auch erst nach sechs Tagen relaxt! Und zu meiner Zeit war ein Tag noch eine Million Jahre lang, also komm mir nicht so!«

Adam schossen sofort viele Gedanken durch den Kopf.

»Neumodisch – von wegen! Wenn schon, dann ist hier doch alles neumodisch. Es gibt ja noch nichts Altes.«

Aber er hielt seine Gedanken vorsorglich zurück.

Eine andere Erklärung musste her.

»Ich wollte nur ein paar leckere Beeren und Pilze für das Abendessen suchen.«

Adam tat so, als wäre etwas in eines seiner Augen geraten, und vermied so, direkt zu IHM in die Wolken zu schauen.

Die Antwort aus dem Himmel ließ nicht lange auf sich warten.

»Drei Stunden?!«

Der Schwachpunkt seiner Geschichte war zwar gefunden, aber da musste er jetzt durch.

»Es sind diese ganz kleinen, braunen Pilze, die Eva so gerne mag.«

Das Gebüsch raschelte etwas in dem aufkommenden Wind.

»Glaubst du etwa, ich wüsste nicht mehr, was ich erschaffen habe? – So kleine Pilze gibt es nicht!«

»Aber gewiss doch, Chef ...«

»Und nenne mich nicht Chef, Adam!« Der Wind wurde stärker. »Du sollst nicht lügen!«

Adam schaute trotzig nach oben:

»Immer heißt es nur: ‚Adam, tu nicht dies‘, oder: ‚Du sollst nicht das‘. Man darf hier fast gar nichts!«

Demonstrativ drehte er sich auf den Bauch.

Aber es half nichts, denn die Stimme schien jetzt sogar von unten zu kommen.

»Benimm dich nicht wieder gleich so wie ein beleidigtes Kleinkind!«

»Wie ein was?«

Es schien Adam so, als machte ER einen tiefen, genervten Atemzug.

»Ja, wenn du mit Eva mal endlich zur Sache kommen würdest, dann wüsstest du auch, was ein Kleinkind ist!«

Adam war der Meinung, dass es recht unfair war, wenn ER ihm Unwissenheit vorwarf, hatte er doch schließlich all sein Wissen von IHM.

Behauptete ER jedenfalls.

»Vielleicht hättet du mir einfach ein umfangreicheres Allgemeinwissen mitgeben sollen, Sir«, und er fügte bewusst sehr betont das Wort ‚Sir‘ an das Ende des Satzes.

»Na, ich muss doch sehr bitten! Ein bisschen Eigeninitiative wird man doch heutzutage wohl noch erwarten dürfen.«

Nach einer endlos scheinenden Minute Bedenkzeit fragte ER mit reduzierter Lautstärke, aber dafür im Ton umso bedrohlicher:

»Was versteckst du da hinter deinem Rücken, Adam?«

Mit größtmöglicher Unschuld im Blick, aber nicht im Herzen, drehte Adam sich um, um unschuldig nach dem angesprochenen Gegenstand zu suchen.

»Meinst du den Busch, HERR?«

In dem Augenblick aber, in dem er auf den Busch deutete, löste sich dieser mit einem lauten Knall in grünen, flüchtigen Rauch auf.

»Hei-jei-jei!«, entfuhr es ihm und er wusste schon in genau diesem Augenblick, dass er das Spiel verloren hatte.

Fast säuselnd und mit einem, wie Adam fand, ekligen Triumph in der Stimme hörte er von oben herab:

»Welchen Busch meinst du?«

Dann war es dieselbe Stimme, die jetzt nur noch sehr viel strenger, lauter und keinen Ausweg lassend sagte:

»Ich rede von dem angespitzten Holzstab hinter deinem Rücken!«

Jetzt reichte es Adam, er setzte sich hoch auf die Knie und streckte kämpferisch die Faust in die Höhe.

Angriff war schon damals die beste Verteidigung!

»Aber das Ganze hier ist doch nur wegen Eva!!«

Eine kurze Gedenkpause entstand über den Wolken.

»Wegen Eva?«

»Ja.«

»Also, irgendwas ist immer!«

»Es stimmt aber. – Ohne sie wäre ich niemals in dieser verdammten Situation!«

Es schien so, als würde sich jemand weit über ihm auf eine von den ganz dicken Wolken setzen und den Kopf nachdenklich auf beide Hände stützen.

»So langsam beginne ich zu zweifeln, ob du wirklich meine perfekte Schöpfung bist ...«

»Ach, und wessen Schuld wäre das?«

»Treib es nicht zu weit! – Also, raus mit der Sprache: Wofür hast du diesen angespitzten Holzstab benutzen wollen?«

Adam wusste genau, dass die nächsten Minuten, Tage oder Jahre anstrengend werden würden.

Nur gut, dass es noch keine Uhren gab, mit denen sich messen ließ, wie lange Schweigen dauern musste, bis es unangenehm wurde.

»Ich warte auf deine Antwort, Adam! Und bedenke, ich habe eine Ewigkeit Zeit, du aber nicht. – Aber, wie auch immer, ich möchte heute zeitig essen. Also, raus mit der Sprache!«

Adam wurde immer klarer, es gab kein Entrinnen mehr.

»Ja, also ... also ich ... ich ...«

»Geht es auch in ganzen Sätzen?«

»Ich wollte doch nur ein Tier töten, Chef … äh, HERR!«

Adam schaute nach unten und verpasste dadurch den fragenden Ausdruck einer Wolke über ihm.

»Verstehe ich nicht.«

»Na ja, ich wollte eben ein schönes Tier erlegen.«

»Aber wo ist das Problem? Wie du weißt, habe ich euch erlaubt, Tiere zu töten und zu essen. Jedoch, wenn ich mich nicht irre – und du weißt, ich irre mich nie –, hast du doch grade heute morgen eine Ziege geschlachtet.«

Adam hasste diese Rechtfertigungen und wünschte sich in solchen Momenten mehr als einmal, Atheist zu sein.

»Ja, das habe ich.«

»Aber wozu denn noch mehr Fleisch, wenn du schon genug hast?«

Das naheliegende Argument der Vorratshaltung war mangels Kühlschränken an dieser Stelle nicht ratsam. Er wäre zu durchschaubar gewesen.

Das Problem für Adam mit IHM war, egal, ob man leise oder laut sprach, ER hörte es immer und überall.

Deswegen bemühte sich Adam auch gar nicht erst, leise zu sein.

»Es war auch nicht als Essen gedacht.«

Jetzt war es raus!

»Oh«, hörte man IHN mit einer gewissen Freude sprechen, »dann war die Ziege heute morgen also ein Opfertier für mich?«

»Nein, sie war schon zum Essen gedacht.«

»Also ...?«

»Von dem Tier jetzt hier wollte ich eigentlich – nur das Fell.«

Adam wusste, dass von nun an im Paradies nichts mehr so sein würde wie bisher.

Seine Gesichtsfarbe wechselte in einen etwas roteren Farbton und seine Ohren schienen sehr warm zu werden.

Der leicht verzögerte, und dadurch noch eindrucksvollere, gequälte Aufschrei über den Wolken bestätigte ihn in seiner Annahme.

»So gehst du mit meiner Schöpfung um!? – Du elender Wurm! Eigentlich sollte ich dich jetzt sofort zerschmettern!«

Adam hoffte inständig, dass es nicht dazu kommen würde, und fügte eine schnelle Entschuldigung hinzu.

»Aber wie gesagt, Sir, es ist nicht meine Schuld.«

Adam fühlte sich, als zöge ER ihn bei jedem weiteren Wort an seinen jetzt glühenden Ohren.

»Wirf dich in den Staub und rede, Elendiger!«

»Was denn nun?«

Die Pause sowie die folgende, etwas gedämpfte Stimme, mit der ER weitersprach, bedeuteten üblicherweise nichts Gutes.

»Ach, will der Herr jetzt ein bisschen spitzfindig sein?«

Neben Adam schlug krachend ein Blitz in den Sand.

Dieser ging auf die Knie, streckte beide Hände zum Himmel und rief:

»Okay, okay – verschone mich, ich rede!«

»Das wird aber auch Zeit! – Also, raus mit der Sprache: Was war da schon wieder mit Eva?«

Adam senkte den Kopf und machte eine verzweifelte Geste.

»Wo soll ich nur beginnen?«

»Wie wäre es mit dem Anfang?«, erwiderte ER. »Aber bedenke, dass ich nicht ewig Zeit habe. – Also, um genau zu sein, habe ich natürlich ewig Zeit, aber nicht ewig Lust. Also, leg los!«


»Es begann alles heute morgen, als ich plötzlich herzergreifende klagende Laute aus dem Schlafzimmer hörte. Ich trank gerade meinen Saft und saß entspannt in der Sonne vor dem Haus. Die war, wenn ich das mal so sagen darf, heute wieder ganz besonders schön gelungen, Sir.«

»Schleimer! Rede weiter!«

Adam hatte vor lauter Aufregung eine trockene Zunge. Die ganze Angelegenheit konnte noch so oder so enden. Er hatte das Gefühl, dass die Menschheit kurz vor der Vernichtung – oder zumindest er kurz vor der Auswechslung – stand.

»Ich hatte mir anfangs nichts dabei gedacht. Es kamen doch schon öfters undefinierbare Laute von ihr aus dem Schlafzimmer. Das war dann aber immer wieder nach einer relativ kurzen Zeit vorbei, und sie kam immer mit einer blendenden Laune und einem zufriedenen Lächeln heraus. – Diesmal jedoch war es anders! Das Gewimmer schien nicht aufzuhören, und so ging ich vorsichtig ins Schlafzimmer, um zu sehen, was der Grund dafür war.«

Eine kleine Wolke schien neugierig etwas dichter zu Adam herabzuschweben.

»Und was war – und was war?«

»Eva stand, so wie du sie geschaffen hast, in der Mitte des Raumes in einem Haufen von unterschiedlichen Fellen. Sie hielt in jeder Hand noch zusätzlich eins in die Höhe, hob sie immer wieder vor ihr Gesicht, bis sie dann die Arme resignierend sinken ließ und fast weinend rief: ‚Ich habe n-i-c-h-t-s anzuziehen!!‘ Das Wort ‚nichts‘ betonte sie dabei in einer verzweifelten und anklagenden Art und Weise.«

Die Wolke über Adam verwandelte sich in diesem Augenblick in ein Fragezeichen.

»Ich verstehe ehrlich gesagt nicht ganz ...«

»Ich anfangs auch nicht, Chef. Deswegen machte ich mich auch bemerkbar, ging auf Eva zu und nahm sie in den Arm. ‚Was ist mit dir?‘, fragte ich sie und schaute ihr dabei in die Augen. Sie schaute mich nur mit feuchten Augen an, als würde die Welt untergehen. – Nein, falsch, als wäre sie schon untergegangen!«

»Na, na, na! Da hätte ich doch sicher auch noch ein Wörtchen …«

»Verzeihung, Chef, ich wollte natürlich nicht in deinen Kompetenzbereich ...«

»Geschenkt, weiter!«

»Sie blickte mich, wie gesagt, an und wiederholte mit flacher, fast flehender Stimme mehrfach: ‚Ich habe nichts anzuziehen!‘ Ich wusste nicht wirklich, wie ich mich verhalten sollte. War doch noch nie ein Mann vor mir in solch einer Situation. Und im Vertrauen, Sir, ich habe die Hoffnung, nach mir wird es auch nie wieder einen Mann geben, der so etwas erleben muss.«

»Na ja, fast richtig. Aber das tut hier nichts zur Sache. Weiter!«

»Ich fing also an, vorsichtig auf die zu ihren Füßen liegenden Felle zu deuten. Ich zeigte auf all die Sachen, die um sie herum verstreut lagen, und sagte zu ihr: ‚Aber Liebling, schau doch nur, all die schönen Sachen.‘«

Es war deutlich zu spüren, dass ER über die beschriebene Situation nachdachte und versuchte, sich alles bildlich vor Augen zu führen.

»Also, ich habe sie in einigen von den Teilen, die du beschreibst, gesehen, und ich muss schon sagen: oh, là, là!«, kommentierte ER und erhob anerkennend seine Stimme.

Adam stand vor den grünen Resten des aufgelösten Buschs und ließ resigniert die Arme sinken. Seine Stimme war jetzt leiser als vorher.

»Eva ging nur einen Schritt zurück, deutete auf die Felle und sagte anklagend zu mir: ‚Aber schau dir das alles doch nur mal genau an!‘ Danach warf sie die beiden Teile, die sie zuvor noch in den Händen hielt, achtlos und fast angewidert auf den großen Haufen vor sich.«

»Oh, verdammt«, erahnte nun endlich jemand über den Wolken die äußerst heikle Situation.

»‚Schau‘, sagte ich zu Eva, ‚all die schönen Sachen, die du hast. Die stehen dir doch alle ganz ausgezeichnet.‘ Aber es war nichts zu retten. ‚Das sagst du doch nur so‘ war ihre einzige Antwort an mich.«

Nach einer kleinen und, wie er fand, wichtigen dramaturgischen Pause setzte Adam seine Erzählung fort.

»Ich bückte mich, hob ein Fell auf und hielt es in Evas Richtung. ‚Aber nein‘, versuchte ich, ‚dies hier hast du doch schon sehr lange und es steht dir immer noch besonders gut.‘ – In ihrem Blick war etwas Abfälliges. ‚Das trägt man schon lange nicht mehr‘, sagte sie mit tränenerstickter Stimme und fügte noch ‚Du hast ja keine Ahnung von Mode‘ an. – Es liefen ihr tatsächlich Tränen über die Wangen.«