Total schön geschrieben.

Ich war gerührt, musste lachen, einiges war mir nicht so bewußt und einiges wußte ich gar nicht (Katy).

Die Kinder und die Generationen nach uns bekommen ein wertvolles Geschenk zu einer Orientierung in deren Leben (Christiane).

I am impressed by the amount of detail, the particular phraseology used and sentiments expressed by Opa Neumann. To me who never knew him, it gives some idea of a loving, talented, thoughtful and sentimental man whose early life experiences were certainly worth recording (Anne).

Das Buch zeigt uns erwachsenen Kindern einen neuen Blick auf Eltern + Großeltern, indem es deren Leben skizziert, ein Leben, das den Kinderaugen verborgen war (Tom).

Es ist etwas ganz Besonderes - so ein Rückblick in die Vergangenheit der Vorfahren und die eigene Kindheit. Das Leben heute pulsiert so schnell, Mühe und Zeit aufzuwenden, Ereignisse aufzuschreiben finden sich meistens nicht (Lotta).

Mit einer Ergänzung zur Geschichte der Familie
Ross in Broomhill, Muir of Ord.
Von Anne Cameron Cassells.

Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

© Februar 2022 Bernd Neumann

Bad Feilnbach

Alle Rechte vorbehalten

Text, Fotos Paris © 2020 Katharina Neumann

Fotos © 2021 Bernd Neumann

Umschlag Layout © 2021 Bernd Neumann

Herstellung und Verlag

BoD – Books on Demand GmbH 22848 Norderstedt

ISBN: 978-3-7557-6880-7

Von den Sehnsüchten der Menschen

singt der Wind ein Lied

Von den Träumen der Menschen

schweigt der Sternenhimmel

Und jede Schneeflocke

gleicht einer nicht geweinten Träne

unbekannter Autor

Eintrag im Kanada-Album B.+J. N. 1983

Picasso, Guernica,

Reproduktion Bernd Neumann, Öl auf Sand, 1998

Inhalt

Zur Orientierung

Auf den folgenden Seiten werden mehr als 100 Jahre der Neumann Familie beschrieben, beginnend mit den Erinnerungen meines Vaters Erich Neumann, Jahrgang 1918, und von dort auch rückblickend in seine Vergangenheit, soweit die Erinnerungen und das Gehörte eben reicht. Seine Erinnerungen finden in der Nachkriegszeit ~ 1950 ein Ende. Meine Lebenszeit beginnt dann und ausgehend von diesem Zeitpunkt versuche ich die Ereignisse fortzuschreiben. Schon bevor Christopher seine Fragen über die Eltern und deren Familien stellte, hat mich die Vergangenheit meiner Eltern interessiert, spätestens nachdem ich mit dem Tod meiner Eltern einen Koffer voller alter Dokumente, Urkunden, Pässe und Briefe „geerbt“ hatte und verantwortungsvoll damit umgehen mußte. Die Fragen vom Sohn „Wie war das?“, die natürlich aber auf seine eigenen Eltern abzielte, sollen in erster Linie für unsere Kinder Katharina (Katy), Christopher (Chris) und Thomas (Tom) beantwortet werden. Und selbstverständlich, spätestens seit 1983, als meine Lebenslinien sich fortsetzten mit Janette (Jenny), geb. Ross, müssen die Antworten erweitert werden im Hinblick auf die schottische Familie. Wenn ich das niederschreibe denke ich auch an Robert, mein Patenkind, und dessen Mutter, Doris, meine Schwester, die immer, je nach Lebenssituation ein Teil meiner Vergangenheit war. Und mit Christiane, unserer „kleinen“ Schwester, einer treuen Begleiterin unserer Leben, teilen wir die Vergangenheit von Erich und Charlotte Neumann, unseren Eltern.

Vorwort

Wer nicht weiss, woher er kommt,
weiss nicht, wohin er geht

(Richard von Weizsäcker)

What is it to be a hearty animal1
with not only no sense of the past,
but also no care for the future?“

(Henry Seidel Canby, The Age of Confidence)

Katharina, Christopher, Thomas.

„Woher komme ich? Ich bin in Paris geboren. Ich bin aber nicht Französin. Ich bin in Bayern geboren. Ich bin aber kein Bayer. Was für ein Mensch bin ich? Was prägt mich? Wer prägt mich? Meine Familie hat keine unmittelbaren Wurzeln. Andere Menschen haben Herkunftsorte in denen deren Generationen gelebt haben. Zu sehen auf den Friedhöfen. Wo sind meine Toten? Ich weiß es nicht, verstreut in den Friedhöfen Europas. Aufgewachsen in Bayern, aber mein Charakter ist nicht bayrisch. Ist mehr. In Bayern zu Hause, aber auch zu Hause in Deutschland, Frankreich, Europa und der Welt. Mein Wesen ist anders als das vieler meiner Mitmenschen. Was hat mich also geprägt? Die Rheinpfalz meines Vaters, das Schottland meiner Mutter, das Norddeutschland, Ostdeutschland, Pommern, Preußen, Schlesien meiner Vorfahren?

Die schottische Linie ist stabil über mehrere Generationen, aber die deutsche Linie? Wo beginnt sie, welche Einflüße haben sie verwischt, unkenntlich gemacht. Wir Kinder sind das Ergebnis der Nomaden der Nachkriegszeit, der Flüchtlinge des 2. Weltkrieges, der Nomaden der schottischen wirtschaftlichen Wirklichkeit, beide auf der Suche nach einem Leben, nach einem Lebensunterhalt“.

***

Wo sind also unsere Toten? Man kann sie nicht finden, weiß nicht wo sie sind. „Vater, Mutter, wo seid ihr?“ Eine Ermahnung gegen die Sitte der anonymen Begräbnisse. Das konnte ich selbst erfahren, auf der Suche nach den Gräbern meiner Eltern. In der Zeit, in der ich mich um meine Tante Hilde gekümmert habe und oft in Ludwigshafen war, bin ich auf dem dortigen Friedhof gewesen und umhergegangen nach einem Ort der Trauer über die verstorbenen Eltern. Vergeblich, auch das Grab der Oma Martha war schon aufgelöst. Und die Existenz von Tante Hilde löste sich später auch in der Anonymität auf. Ganz anders auf der schottischen Seite. Auf einer unserer Schottlandreisen in den Jahren 2013/2014 besuchten Jenny und ich die schottischen Gräber auf den Friedhöfen der Highlands. Wir fanden sie alle, und Geschichten und Gesichter tauchten in Jennys Erinnerungen auf.

Dies ist der Versuch, die Erinnerungen von Erich Neumann, meines Vaters, fortzusetzen für unsere Kinder, Verwandte, interessierte Zeitgenossen, Nachfahren, damit dann, wenn Fragen zur eigenen Identität kommen, denn sie werden früher oder später kommen, vielleicht einige Antworten zu finden.

So um 2015 habe ich angefangen, Dinge und Ereignisse aus der Vergangenheit niederzuschreiben, Jennys Schwester Anne hatte zur gleichen Zeit viel Zeit in die Ahnenforschung ihrer Familie investiert. Hier ist das Ergebnis, der Blick zurück in die Geschichte der "Familie Neumann", aber auch der "Ross family". Beide waren prägend für die heutige junge Generation. Zeiten mit viel Aktivitäten folgten Pausen, in denen das Interesse versiegte, bis wieder ein Impuls kam, von mir selbst aber auch von meinen Kindern, weiter zu schreiben und wieder zurück in die Vergangenheit zu gehen. Das ist nicht immer einfach, denn die Vergleiche der Lebenssituationen aus der Vergangenheit, der aktuellen Zeit und der Zukunft drängen sich auf. Sind manchmal selbst im Rückblick schmerzlich und beim Blick in die Zukunft beängstigend. Erinnerungen können nicht vollständig sein, das sollte dem Leser bewußt sein. Sie sind immer selektiv. Schöne Erfahrungen, gute Lebensabschnitte beschreiben sich leichter und angenehmer. Manche Erinnerungen blendet man aus, oder hat sie einfach vergessen. Manche Ereignisse lassen sich auch nicht aufschreiben, weil man dadurch vielleicht andere Menschen verletzt - oder auch sich selbst. Nichts ist vollständig, manche Lücken sind unbewußt, andere sind bewußt. Der Leser wird das erkennen. Nachfragen sind erlaubt. Und im Leben, auch in der modernen Zeit mit "social media" sollte das Gespräch nicht verstummen, die Jungen sollte ihre Chance nutzen, die Alten zu fragen, denn diese Chance ist zeitlich befristet.

Zu spät kann früh sein.

Diese Erinnerungen sollen für die heutige Generation jedoch nicht nur Rückblick und Lektüre sein, sondern auch Aufforderungen sein, Zukunft zu gestalten. Mit der Kenntnis der Vergangenheit in die Zukunft schauen und Unterstützung in Anspruch nehmen, wo und wie sie gerne gegeben wird.

Bernd Neumann, Ende des Jahres 2020

Zustandsbeschreibung 15.3.2019

An die Natur (Hölderlin)

Seid gesegnet, goldne Kinderträume,

Ihr verbargt des Lebens Armut mir,

Ihr erzogt des Herzens gute Keime,

Was ich nie erringe, schenktet ihr!

O Natur! an deiner Schönheit Lichte,

Ohne Müh und Zwang entfalteten

Sich der Liebe königliche Früchte,

Wie die Ernten in Arkadien.

Tot ist nun, die mich erzog und stillte,

Tot ist nun die jugendliche Welt,

Diese Brust, die einst ein Himmel füllte,

Tot und dürftig, wie ein Stoppelfeld;

Ach! es singt der Frühling meinen Sorgen

Noch, wie einst, ein freundlich tröstend Lied,

Aber hin ist meines Lebens Morgen,

Meines Herzens Frühling ist verblüht.

Ewig muß die liebste Liebe darben,

Was wir lieben, ist ein Schatten nur,

Da der Jugend goldne Träume starben,

Starb für mich die freundliche Natur;

Das erfuhrst du nicht in frohen Tagen,

Daß so ferne dir die Heimat liegt,

Armes Herz, du wirst sie nie erfragen,

Wenn dir nicht ein Traum von ihr genügt.


1 * herzensgutes Geschöpf

Wie alles begann

So in der Zeit ab 1984 begann Erich Neumann, geboren am 24.2.1918, Schlossermeister und Waagenbauer, seine Lebenserinnerungen zu schreiben. Er wollte seinen Kindern etwas zurücklassen über ihre Herkunft und ihre Vorfahren. Zurückgezogen in einem Kellerabteil der Thüringerstraße 24 in Ludwigshafen am Rhein, bei Glühlampenlicht, Heizung und Radio, begann er seine Aufzeichnungen, gestützt lediglich aus seinen Erinnerungen, handschriftlich niederzuschreiben. In einer Schrift, die halb Sütterlin, halb lateinische Schrift war.

Die einzige Quelle, die er hatte, waren tatsächlich nur seine Erinnerungen an diese Zeit, einige Bilder hatte er noch. Schriftliche Unterlagen, Dokumente, Briefe hatte er fast nicht. Folgen des Krieges, das blieb alles zurück in Frankfurt an der Oder. Als praktischer und sparsamer Mensch benutzte er als Manuskript eine der vielen Kopien der Doktorarbeit seines Sohnes "Inaugural Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde der Ruprecht Karl Universität Heidelberg, vorgelegt von Diplom-Physiker Bernd Neumann aus Frankenthal mit dem Titel „Experimente zum Aufbruch von Li-6 Ionen“. Doktorarbeiten zu dieser Zeit in 1979 mußten in einer Auflage von mindestens 30 Exemplaren publiziert werden und zur Zeit als mein Vater seine Aufzeichnungen begann, lagen noch einige Kopien im Keller... Einseitig bedruckt, konnten die leeren Rückseiten der Seiten beschrieben werden. Die letzte Seite der Doktorarbeit seines Sohnes wurde so zur ersten Seite seiner Erinnerungen…

Und so beginnt es...

Erich Neumann, Ludwigshafen, im Jahr 1986

Einfach so dahin gelebt...

„Ostpreußen, du Land der stillen Seen und der rauschenden Wälder. Hoch im Norden unserer deutschen Heimat, umworben und umkämpft so lange man denken kann. Wikinger, Hanseaten, Mongolen, Hunnen, Russen und Slowenen führten erbitterte Kriege um das Land an der Memel und seinem schönen Ostseestrand mit 500 km Küstenlänge. Kiefern wuchsen nicht allzu groß, von den dauernden Winden ständig geschüttelt und schief zur Landseite gedrückt. Ostpreußen, du Land in dem der Bernstein an die Küsten gespült wird: Das Gold aus dem Meer. Vor Millionen von Jahren war die ganze Ostsee noch Land mit Kiefern bewachsen, wie man sie heute noch auf den Mehrungen sieht. Nur waren sie größer mit mächtigen Stämmen sich am Boden haltend. Wurden die Stämme verletzt, so schützte sich der Baum mit der Absonderung aus Harz, um die Wunde zu verschließen. In der Eiszeit wurde das ganze Land überschwemmt, die Bäume vermoderten, nur das Harz überdauerte. Versteinert, mit Einschlüssen von Baumsamen und kleineren Insekten, die damals am klebrigen Harz hängen blieben, wird das Bernstein heute noch gefunden und an manchen Stellen wird im Bergbau danach gesucht. Im Mittelalter wurde Bernstein mit Gold aufgewogen.

Die Stadt Allenstein, nicht so groß wie Königsberg, der Hauptstadt von Ostpreußen, aber mit ihren damals 25 Tausend Einwohnern, ist der Mittelpunkt dieser Seenlandschaft mit Industrie und Handelshäusern. Große Kornspeicher standen am Stadtrand. In ihnen wurde das Korn gelagert bis es nach Berlin und in andere große Städte transportiert wurde. Ostpreußen war die Kornkammer des Deutschen Reiches, riesige Güter wurden von Grafen und Baronen unterhalten.

Diese rauhe Landschaft mit ihrer Weite und auch stillen Winkeln in vom Wald eingeschlossenen Seen oder leise flutenden Bächen mit überhängenden Erlen an ihren Ufern prägte einen Menschenschlag, der durch harte Arbeit von kräftiger Statur, aber wortkarg war, immer sprungbereit ist, sich zu verteidigen: den Ostpreußen. Suche das Land auf einer Landkarte, fahre mit dem Finger darüber, schließe die Augen und denke: da komme ich her.

Im Dezember 1825 liegt Elbing wie meistens unter einer Nebeldecke. Nur mit Mühe hatte sich der Frachter Scholle II mit viel Nebelhorn und ganz langsam an den Werften vorbei zu seinem Liegeplatz geschlichen. Mit einer Verspätung von 6 Stunden waren sie von Norwegen mit ihrer Erzladung angekommen. Am Morgen wollten sie wieder auslaufen nach Danzig, um Holz zu laden und nach Lübeck zu bringen. Zwei Seeleute hatten abgeheuert, einer von ihnen war Gottlieb Neumann, 24 Jahre alt, gelernter Schmied. Ein ganz vernünftiger Kerl, gut an Bord zu gebrauchen. Er träumte oft von Amerika.

Zusammen verbrachten sie den Abend in Elbing in der „roten Laterne“ und am nächsten Morgen machte sich Gottlieb Neumann, mein Urgroßvater, auf den Weg nach Allenstein, wo seine Eltern wohnten. Danach wollte er dann nach Amerika. In dieser Zeit wanderten viele junge Leute nach Amerika aus, um dort ihr Glück und Lebensunterhalt zu machen. Mit einem Fuhrwerk ging es weiter Richtung Allenstein. Bei der Familie des Fuhrmanns konnte er übernachten. Er wurde dort gut verpflegt. Beim Essen klopfte es an der Tür und ein Mädchen kam herein. „Meine Nichte Elli“ sagte die Hausmutter. Nachdem Elli sich gesetzt hatte, sah Gottlieb im Schein der Lampe, daß sie verweinte Augen hatte. „Was ist los Mädchen“ wollte er wissen. Ihr Vater war von einem Pferd beim Beschlagen an der Schulter verletzt worden. Der Arzt aus Bartenstein war da und hatte gesagt, es würde schlecht aussehen und die Schulter wäre gebrochen. Elli saß Gottlieb gegenüber, ein hübsches Mädchen, so um die 22 Jahre. Ihre dunkelblonden Haare hatte sie zu einem Knoten gebunden. Beim Tanz im Dorfkrug kamen sie sich näher und Elli erzählte von zu Hause von der Schmiede und ihren Eltern und daß sie sich Sorgen um ihren Vater machte. Am nächsten Tag gingen sie zum Schmied Müller, Ellis Vater, und er war einverstanden, daß Gottlieb für die Zeit seiner Krankheit in der Schmiede arbeiten würde.

Nach einem Aufenthalt bei seinen Eltern in Allenstein kehrte Gottlieb nach Worien zurück. Elli begrüßte ihn mit strahlenden Augen und so fragte er sie, ob sie ihn heiraten wollte. So wurde geheiratet und nach einem Jahr, anno 1837 bekam Elli ein Mädchen, welches die glücklichen Eltern Augustine nannten. Gottlieb war mächtig stolz, es sollte sein einziges Kind bleiben. So vergingen die Jahre. Gottlieb führte die Schmiede weiter. Aus Augustine war eine Frau geworden. Sie hatte eine gute Stelle auf dem Gut Worien bekommen. Ihre Mutter Elli war mit 45 Jahren gestorben. Gottlieb war nun auch schon 60 Jahre und machte sich Sorgen um die Zukunft.

Wieder einmal war Erntedankfest auf dem Gut Worien im Jahr 1866. Es wurde getanzt und gelacht. Augustine und der Verwalter Katuweit kamen sich näher und Augustine wurde schwanger. Der Kindesvater zeigte jedoch keine Verantwortung und so verließ Augustine das Gut Worien und ging nach Bartenstein, wo sie in einem Geschäftshaushalt eine Stelle als Köchin bekam. Gottlieb blieb in Worien (Worienen = Woryny) und wurde mit 66 Jahren neben Elli beerdigt.

[Anmerkung: Erich Neumann hat die schriftstellerischen Freiheiten genutzt... Polen im Juli 2004 - auf den Spuren meiner Vorfahren

...www.gegner-suenkler.de/Ostpreussen/Spurensuche.pdf

Hallo Herr Neumann,

ich freue mich immer, wenn es außer mir noch jemanden gibt, der sich für Worienen interessiert. ...Dieser kleine Ort hat mich über lange Zeit fasziniert. Ich habe nun alle möglichen Unterlagen noch einmal durchgesehen, aber leider finde ich den Namen Katuweit* nirgends. Um 1867 müßte Worienen eigentlich noch dem Gutsbesitzer Christian Gustav Gützlaff gehört haben, der dann das Gut irgendwann verkaufen musste...

Viele Grüße aus Oldenburg Irmi Gegner-Sünkler]

[* Im Sommer 2012, nachdem ich mich ein paar Jahre mit meiner Ahnenforschung beschäftigt hatte, sind wir nach Polen in die Masuren gefahren. Mit einer Reisegruppe aus Schwerin sind wir in Ribnitz-Damgarten in den Bus zugestiegen und in das alte Ostpreußen gefahren und haben die "Heimat unserer bzw. meiner Vorfahren" besucht. Rückblickend natürlich zu spät, denn die Eltern, die man hätte fragen können, nach Orten und Lebensstätten, waren schon gestorben].

Bartenstein, etwa 25 km von Allenstein entfernt, war eine Kleinstadt mit 30 000 Einwohnern. Dort wohnte Augustine. Sie hatte von dem Kaufmann König, der eine Gemischtwarenhandlung betrieb, in einem Seitenhaus Zimmer und Küche bekommen. Am 21. 11. 1867 wurde die Hebamme geholt und mit ihrer Hilfe gebar Augustine einen Jungen, den man Albert nannte. Mit 14 Jahren hatte Albert seine schulische Laufbahn beendet und auf Anraten von Herrn König sollte er nun eine Berufsausbildung bekommen. Albert wollte entweder Schmied oder Schlosser werden und so bekam er eine Lehrstelle in Allenstein in einer Schlosserei. In dem Betrieb wurden Einzelteile für die Eisenbahn angefertigt. Nach 3 Jahren Lehrzeit bestand er seine Gesellenprüfung. Nach seiner Freisprechung blieb er noch einige Zeit bei seinem Meister. Wie es damals so üblich war, mußte ein junger Geselle auf die Wanderschaft. Es war das Jahr 1886 und Albert wanderte über Bromberg, Landsberg, Küstrin nach Berlin und zurück über Stettin, Kolberg, Elbing, Danzig nach Königsberg. In Königsberg arbeitete er in einem Ausbesserungswerk der Deutschen Reichsbahn. Im Sommer 1887 bekam er seine Einberufung. Nach einem Jahr arbeitete er wieder bei der Bahn und eines Tages kam sein Meister zu ihm und bot ihm eine Stelle als Heizer beim fahrenden Personal an. Mensch sagte er sich, brauchst du dich nicht immer hier mit den schweren Laufrädern zu knuffen und kannst vielleicht einmal Lokführer werden. Albert willigte ein und kam als Heizer nach Schneidemühl. Er mußte täglich bis zu 60 Zentner Kohle in das Feuerloch schaufeln, an den Wasserstellen bis zu 2000 Liter Wasser tanken. In bestimmten Abständen rannte er mit einer großen Ölkanne um die Lok und schmierte die Lager. Sie fuhren Güterzüge auf Nebenstrecken von Schneidemühl nach Landsberg oder Bromberg, aber auch nach Schwerin und nach Posen. Es war das Jahr 1900 als Albert seine Lokführerprüfung bestand. Er war jetzt Beamter auf Lebenszeit geworden und ging mit Schlips und Kragen zum Dienst und sein Heizer mußte nun die Drecksarbeit machen. 1901 heiratete Albert in Schneidemühle eine Adele Schütze, die ihm den Haushalt besorgte. Die Ehe blieb kinderlos und Albert wollte doch so gerne Kinder haben.

1914 hatte Deutschland wieder mal seinen Krieg. Albert brauchte nicht Soldat zu werden, er mußte die Soldaten von einer Front zur anderen fahren und für den Nachschub sorgen. 1915 starb Adele an Schwindsucht, wie man es damals nannte. 1916 wurde Albert nach Ostrowa bei Posen versetzt und da lernt er seine Martha, geb. Kancek kennen. Martha, meine Mutter, war zum Kriegsdienst befohlen worden und saß in Ostrowa am Fahrkartenschalter. Sie war 20 Jahre alt, nicht besonders groß, so 1,60m und Albert war ganz wild nach ihr. Im Sommer 1917 war Martha schwanger. Albert war da schon 50 Jahre alt und nun sollte er endlich Vater werden. Er heiratete natürlich sofort und bekam von der Bahn in Neu-Skalmierschütz ein Häuschen, welches an der Bahnstrecke lag, zugewiesen. Es hatte 3 Zimmer und Küche, die Eingangstür war durch eine Art überdachte Veranda geschützt und zur Bahnlinie war ein 30 m langer Garten. Albert fuhr mit seinen Zügen oft an dem Häuschen vorbei und meist lud er im Vorbeifahren etwas Essbares ab.

Am 23.2.1918 setzten bei Martha die Wehen ein. Albert hatte Dienst und so holte eine Nachbarin die Hebamme. Am 24.2.1918 nachts um 2 Uhr war ich dann geboren. Na ja, mir ging es die nächste Zeit sehr gut. Später bekam ich dann jeden Morgen ein Zucker-Ei und war im Kinderwagen den ganzen Tag an der frischen Luft.

1919/1920 nahm uns der Versailler Vertrag die Ostgebiete. Ostpreußen wurde eine Insel. Die Gebiete Posen, Bromberg, Ostrowo und Kalisch wurden an die Polen abgetreten. Wir hatten den Krieg verloren. Die Deutschen in diesen Gebieten konnten für Polen optieren, das heißt sie konnten Polen werden und durften auf ihren Höfen oder Häusern bleiben. Mutti kam aus Oberschlesien (Hindenburg, Kattowitz, Gleiwitz, Oppeln). Dort war Steinkohlebergbau und viele Polen arbeiteten in den Gruben. Ihr Vater war Schuhmacher und so hatte Mutti auch polnisch gelernt. Sie wurde oft als Dolmetscherin geholt. Papa wollte aber von den Polen gar nichts wissen. Er war ja auch deutscher Beamter. Er wurde nach Frankfurt/Oder versetzt (Reichsbahn Direktion Osten). Die Möbel wurden verladen und in Frankfurt bekam er eine Wohnung in der Gubenstraße. Es waren nur 2 Zimmer, eine Notunterkunft wie er meinte. Am 21.11. 1919 bekam ich eine Schwester, Hildegard. Jetzt war ich ziemlich abgemeldet. Da die Wohnung nur eine Übergangslösung war, zogen wir über die Oder in die Dammvorstadt, wie man den Ortsteil nannte. Crossenerstraße 13, gleich am Wasser. Das war natürlich etwas für Papa, er besorgte sich gleich einen Angelkahn und konnte endlich wieder angeln. Nur seine Füße machten ihm Sorgen. Im Krieg hatte er sich die Füße erfroren, die Zehen waren schon ganz schwarz gewesen.

Im Herbst zogen wir wieder einmal um, Papa hatte eine Vierzimmerwohnung gemietet, Leipziger Platz 10. Auf dem Platz wurde Dienstag und Freitag Wochenmarkt abgehalten. Da kamen die Bauern aus Markendorf und Hohenwalde mit ihren Bauernwagen. Auto gab es damals noch nicht und boten ihre Waren an. Um den Platz standen große Linden mit mächtigen Stämmen. Im Sommer bei der Lindenblüte wurden von Mutti früh um 6 Uhr alle Fenster aufgemacht wegen dem schönen Duft…

Frankfurt/Oder war eine Hansestadt, ihr Stadtsiegel war 1294. Frankfurt/Oder war zu meiner Zeit eine richtige Beamtenstadt mit 70 000 Einwohnern. Die Oder war etwa 200 Meter breit, zu beiden Seiten die Oderberge etwa 200 m hoch. Vereinzelt wurde auch Wein angebaut. Die Randgebiete nach Guben zu gehörten Jungklausen. Da waren riesige Felder mit Spargel, Erdbeeren und die machten auch Zuchtversuche. In der Nähe gab es viele Waldungen (Kiefer), 5 km weit nach Osten der Ort Kunersdorf.

Zu der Zeit, es muß so 1928 gewesen sein, ist Mutti mit mir nach Hindenburg (Schlesien) zu ihrer Verwandtschaft gefahren. Da waren mehrere Onkels, einige waren Schneider und Tuchhändler. In Berlin lebte eine Schwester von Mutti, meine liebe Tante Anna mit ihrem Richard, sie hatten eine Tochter Martha. Tante Anna war eine Geschäftsfrau. In Berlin gab es so Marktstraßen wie in Paris...“

[Anmerkung: Mein Vater beschreibt seine Kinder- und Jugendzeit in Frankfurt/Oder, seine Pfadfinderzeit bei der „Bündischen Jugend“, die dann 1933 in die Hitler-Jugend einverleibt wurde… Er beschreibt seine Anwesenheit beim Reichsparteitag in Nürnberg. Ab 1934 folgte seine Ausbildungszeit als Schlosser und Schmied, dann ab 1937 die Zeit bei der Wehrmacht. Es folgte ein Lehrgang zum Kraftfahrer bei der Wehrmacht. Dann wurde er Berufssoldat mit 12-jähriger Verpflichtung, Schirrmeister (ein Kfz-Meister des Fuhrparks eines militärischen Verbandes) und Unteroffizier. Sein Vater sagte zu ihm: „…als Berufssoldat kommst du besser durch die Hitlerzeit“. Und so war es wohl.

Als Schirrmeister sorgte er dann für den Nachschub für die kämpfende Truppe. Seine Wege im Krieg führten ihn in den Osten, Küstrin, Bromberg, Elbing, Königsberg bis nach Tilsit. Weiter nach Litauen, der Nachschub folgte der kämpfenden Truppe. Riga und Pleskau. Er beschreibt den Alltag in der Kriegszeit. Erlebnisse mit Russen, Tauschgeschäfte, Ersatzteile gegen Essen. Als Nachschubeinheit war man immer hinter der Front, also außerhalb des Kriegsgeschehens… Er beschreibt die Zeit bis 1944 sein Werkstattzug von Tilsit nach Berlin Bernau verlegt wurde. Rückzug. Von dort Versetzung nach Dänemark und dort wieder Ersatzteile beschaffen für die Truppe. Ende Januar war er in Kopenhagen und übernahm eine KFZ-Werkstatt, die er dann Anfang Mai nach der Kapitulation den Dänen übergeben mußte. Zu Fuß in großen Truppenzügen ging es zurück nach Deutschland. Der Gefangenschaft war er entkommen, er hatte als Nachschuboffizier eben immer etwas was er eintauschen oder verkaufen konnte –und was die anderen gerne brauchten…]

Bernd Neumann – Flüchtlingskind -Von Norddeutschland in die Pfalz-

Weiter aus den Erinnerungen meines Vaters:

"Kurz vor Kriegsende 1945 war Mutti von Frankfurt/Oder mit ihren Eltern nach Brandenburg geflüchtet und als nun auch dorthin die Russen kamen, hat sie sich einen Rucksack gepackt und ist mit Lastwagen per Anhalter hoch nach Norddeutschland. Sie landete in Flensburg. Dort wohnte ihr ehemaliger Leiter der Bücherei in Frankfurt/Oder. Dort bekam sie ein Zimmer. Als der Krieg aus war, ging Mutti zum Bahnhof und erkundigte sich zu welcher Zeit die Soldaten aus Kopenhagen an der Grenze erwartet wurden. So stand sie an der Grenze am Straßenrand als unser Transport aus Kopenhagen ankam. Sie fuhr dann mit uns Soldaten in einem Lastwagen zu unserer nächsten Etappe, das war Behrendorf. Dort wurden alle Soldaten gesammelt, um dann zu entscheiden, was mit ihnen geschah, Gefangenschaft oder nicht. In Behrendorf war eine Schmiede. Ich hatte eine Bescheinigung, daß mich der Meister als landwirtschaftlichen Maschinenschlosser einstellen würde. Einige Tage später bekam ich meine Entlassungspapiere..."

[Anmerkung: Nach dem Krieg hatten die jungen Eltern nichts, sie wohnten in einem ehemaligen Hühnerstall. Mein Vater schnitzte sich „Kasperle“- Puppen und zog mit einem Leiterwagen durch die Dörfer und bot sein Ein-Mann-Theater den Kindergärten und Schulen an. Irgendwann wechselten die Puppen die Besitzer. Christiane und ich hüten jetzt diese Schätze und zur goldenen Hochzeit der Eltern führten wir in Freiburg ein kleines Theater damit auf. Die Puppen sollten nie auf einem Flohmarkt enden oder den Besitzer wechseln. Wenn die Zeit kommt, an der das Interesse erlischt, sollten sie dem Feuer übergeben werden und im Nirwana ihren Ursprung finden]

"So verging der Sommer 1949 und Mutti war schwanger. Am 29. August 1949 war die liebe Doris auf der Welt. Nach 6 Tagen war Mutti zuhause in Ahrenviöl. Im Frühjahr 1950 war Mutti wieder schwanger. Im August 1950 wurde in Holstein eine Umsiedlungsaktion durchgeführt. In Holstein waren sehr viele Flüchtlinge und die anderen Länder mußten nun Flüchtlinge abnehmen. Ich meldete mich und auf dem Arbeitsamt wurde mir gesagt, daß in Ludwigshafen Waagenbauer gesucht werden.

Anfang September 1950 habe ich unsere wenigen Sachen gepackt. Wir hatten an meiner Werkstatt in Ahrenviöl auch einen kleinen Hühnerstall, den ich mal gebaut hatte und den bewohnten drei schöne fette Rodeländer Hennen. Die waren so liebe und kamen immer zu mir in die Werkstatt spaziert. Ich konnte mich nicht von den Tieren trennen und so baute ich eine Transportkiste und sie kamen mit auf die Reise.

In Husum wurde ein ganzer Zug mit Flüchtlingen, so nannte man uns, zusammengestellt. In Husum am Marktplatz warteten wir auf die Abfahrt des Zuges, der in 2 Stunden fahren sollte. Ich ging noch mit einer Aluminiumkanne für die Doris Milch holen. Da Mutti schwanger war, bekamen wir ein Abteil für uns und so konnte Mutti sich hinlegen.

Ich glaube, wir waren 24 Stunden unterwegs bis wir in Frankenthal ankamen. Dort wurden unsere Sachen ausgeladen und in einer Turnhalle wurden wir verpflegt. Erbsensuppe, Wurst und Käse und Brot bekamen wir für den Weitertransport nach Kirchheim an der Eck‘ (jetzt Kirchheim an der Weinstraße).In der Turnhalle wurden wir in Frankenthal von einem Gesangsverein mit dem Lied „Wem Gott will rechte Gunst erweisen, den schickt er in die weite Welt“2 empfangen. Die meisten Frauen von den Flüchtlingen weinten. So stellten sich die Pfälzer, korrekt der Gesangslehrer, bei uns vor.

In Kirchheim ging der Ärger mit den „Einheimischen“ gleich weiter. Keiner wollte Flüchtlinge aufnehmen und von den drei Familien die Kirchheim aufnehmen mußte, hatten wir das schlechteste Los gezogen. Uns wurde der Kindergarten auf dem Schulhof als Unterkunft zugewiesen. Ein besserer Stall. So verging der Herbst und Mutti wurde mit dem Rot-Kreuzwagen nach Frankenthal gefahren und am 2. November hatten wir unseren kleinen Bernd. Das war trotz unserer Armut eine Freude und ich war stolzer Vater mit einem Jungen…Ende November wurde Bernd getauft und weil wir ja keinen als Taufpaten hatten, übernahm der Pfarrer die Patenschaft. Ich glaube, die Pfarrersfrau brachte einen Kuchen in unsere Hütte und das war es dann.

Im Sommer 1952 klagte Doris eines Tages über Kopfschmerzen. ...Nach einem Tag war sie ganz steif und konnte sich kaum bewegen. Als sich die Situation nicht besserte, verlangte ich die Überweisung in ein Kinderkrankenhaus in Heidelberg. Der Verdacht auf Hirnhautentzündung bestätigte sich nicht, unser Kind hatte Kinderlähmung. Nun begann eine schlimme Zeit für uns. Doris war in Heidelberg und jeden Sonntag fuhr einer von uns zu Doris, der andere mußte bei Bernd bleiben, zudem hatten wir das Fahrgeld nicht. Doris lag mit noch 2 Kindern in einem Isolierzimmer und wir standen hinter einer Scheibe. Nach einiger Zeit konnte sie wieder die Hände bewegen und sie sollte nach Schlierbach verlegt werden in welchen Bewegungsübungen gemacht werden sollten. Es dauerte aber noch 6 Wochen bis zur Verlegung nach Schlierbach. Dort konnten wir dann mit ihr sprechen und sie in den Arm nehmen. Die erste Zeit konnte sie nicht laufen und ist nur auf dem Boden gekrabbelt und hat sich mit den Händen vorgezogen. Die Beinchen waren sehr dünn. Nach einem weiteren Monat geschah für uns das Wunder. Auf dem Krankenhausgang krabbelte sie nach einem Ball, stand dann auf und wackelte dem Ball hinterher. Nach einem weiteren halben Jahr konnten wir sie wieder mit nach Hause nehmen. Der Virus hatte bei Doris nicht einen einzelnen Nerv angegriffen, sondern das Zentralnervensystem. In diesem Fall war die Beeinträchtigung einzelner Funktionen schwächer, gegenüber der Schädigung eines einzelnen Nervs, der meist zum totalen Verlust einer Körperfunktion führte. Das hat sich auch bestätigt und der unermüdliche Willen bei Doris genauso zu sein wie die anderen Kinder waren für ihren Fortschritt ausschlaggebend..."

***

Hier endet der Abdruck der Erinnerungen von Erich Neumann und hier enden im Wesentlichen auch seine Erinnerungen. In seiner Niederschrift beschreibt er noch einige Begebenheiten der Arbeitssuche, aber über die Jahre, die dann ab 1953 folgten, schweigt mein Vater. Die Lebensphase, die er beschrieben hat, umfasste so sein Leben bis zu seinem 35. Lebensjahr. Darin enthalten die Kriegsjahre von 1938-1945 und die Nachkriegsjahre von 1945-1953. Eine verlorene Jugend, die beste Zeit im Leben, wenn man 20 Jahre ist und das Leben so richtig beginnt, war er im Krieg unterwegs, danach aus dem Krieg entlassen und sich selbst überlassen in einer fremden Umgebung, mittellos und sich zurück ins Leben kämpfend.

An der Seite einer jungen Frau, die mit 25 Jahren allein quer durch Deutschland flüchtete, alles zurücklassend, Eltern und Bezugspersonen. Man muß sich diesen Tatsachen bewußt werden, um zu begreifen, was diese Menschen, eine ganze Generation erlitten hatten und wie ungewiß ihre Zukunft war. Sie haben kein Leben gelebt wie ihre Kinder, die nicht im Wohlstand, aber immerhin mit einer Kindheit, einer Jugendzeit und einer Erwartung in ihr Erwachsenenleben groß wurden. Und ganz und gar nicht gelebt wie ihre Enkelkinder, die sogar auf eine glückliche Kindheit, eine glückliche Jugendzeit und mit Hoffnung und freudiger Erwartung in ihr Erwachsenenleben schauen konnten und ihre Träume erfüllen können und konnten. Großeltern - Kinder - Enkelkinder, es ging stetig bergauf mit der Lebensqualität! Aber rückblickend müssen die heutigen Enkelkinder - und damit meine ich Euch, unsere Kinder - erkennen, wie die Defizite zunehmen, je mehr man zurückschaut. Und nicht nur die Großeltern, die Kriegsgeneration hat gelitten, sondern auch die Nachkriegsgeneration, Söhne und Töchter, also für Euch Vater und Tanten, hatten keine leichte Kindheit und Jugend. Natürlich gaben die Eltern, Eure Großeltern, was sie geben konnten an Liebe und Fürsorge. Aber sie hatten ihre Traumata erlebt, sie hatten noch kein richtiges Leben gelebt, sie mußten um das Überleben kämpfen und sie mußten lernen ihre Beziehung zu leben. Trotz allen Widerständen. Und das war nicht einfach. Mit vielen, sehr vielen Konflikten untereinander. Konflikte, die an den Kindern nicht vorüber gingen. Es hat einen Grund, daß die Erinnerungen von meinem Vater dort enden, wo der Krieg endet und das richtige Leben neu begann. Wir Kinder verließen das Elternhaus alle früh, Doris sobald sie volljährig war, Christiane noch früher, ich nach dem Abitur, erst zur Bundeswehr und dann zügig in das Leben mit Partnern. Rückschlüsse aus diesen Entwicklungen liegen nahe.

Um 1954 siedelten wir über nach Ludwigshafen am Rhein in die Waltraudenstraße 28. Die Werkstatt von Papa war ca. 500m entfernt in der Frankenthalerstraße 74. In der Waltraudenstraße lebten wir im 3. Stock, 2 Zimmer Wohnung, mit Bad und Küche, mit Kohleheizung. Die Kinder schliefen im Wohnzimmer auf einer Schlafcouch. Doris und ich gingen gemeinsam in einen Kindergarten im Hemshof und später in die Bliesschule. Erst so um 1963 zogen wir dann um in die neu gebaute Erst-Reuter-Siedlung mit Sozialwohnungen, Thüringerstr.24 in der Gartenstadt. Christiane war dann auch schon da. Ernst-Reuter, Sozialdemokrat, 1. Oberbürgermeister von West-Berlin sagte 1948: "Ihr Völker der Welt, ihr Völker in Amerika, in England, in Frankreich, in Italien! Schaut auf diese Stadt und erkennt, dass ihr diese Stadt und dieses Volk nicht preisgeben dürft..." Obwohl neu gebaut, hatte die Wohnung nur eine Kohleheizung, in Form eines Kachelofens, der in der Mitte der Wohnung stand. Kohlen lagen im Keller, einmal im Jahr kam der Kohlenmann und brachte Steinkohle und Briketts. Morgens erwachten wir Kinder, wenn die Mutter den Ofen "schürte". Das machte einen Höllenlärm, aber wir blieben natürlich im Bett, bis der Ofen warm war. Das Elternschlafzimmer war kalt, mein Zimmer auch, in der Küche konnte man mit den Gasflammen des Herdes etwas wärmen. Mein Zimmer war klein, höchstens 7 qm, mit einem Couchbett, das tagsüber zusammen geschoben wurde. Und einer Nähmaschine, die Mutti noch benutzte. Später hatte ich eine Eisenbahn, montiert auf einer Platte 1m x 2m, die zusammenklappbar war und die meiste Zeit am Kopfende des Bettes stand. Im Winter wurde die Eisenbahn aufgebaut und stand neben meinem Bett. Das Zimmer war voll, aber ich war der einzige in der Familie, der für sich alleine war. Tür zu und ich hatte meine Ruhe. Zu Weihnachten gab es meistens Baukästen für Häuser und Bahnhöfe für die Eisenbahnlandschaft. Das war meine liebste Beschäftigung diese Modelle zusammen zu kleben. Den Eisenbahnkasten schleppte ich durch mein Leben, er wurde später gelegentlich aktiviert, jedoch ohne richtigen Erfolg und Interesse. Erst mit der Aufgabe des Hauses zerstörte ich den Kasten und verkaufte ein paar Jahre später die Teile. Unser Bad war ebenfalls kalt, dort war ein Boiler für das Warmwasser. Die Badewanne wurde in unserer Kinderzeit wenig genutzt. Meistens ging mein Vater mit uns am Samstag ins Hallenbad. Dort wurde dann geduscht und gebadet. Die Badewanne war ein Großteil der Zeit mit Fischen belegt, meistens Aale, die mein Vater dort sammelte bis er genügend geangelt hatte. Die Aale mußten sich "säubern" bevor sie in die Räucherkammer kamen. Es war nicht selten, daß Aale den Weg aus der Badewanne fanden und im Bad herumkrochen. Diese mußte man dann mit Zeitungspapier fangen und wieder ins Wasser werfen. Verständlich, daß unsere Mutter nicht so begeistert war. Aber wenn dann die Räucherfische fertig waren, gab es ein Fest. Wenn es keine Fische gab, hatten wir bestimmt Teile von Wildschweinen (meistens im Winter) auf dem Balkon, die mein Vater "organisiert" hatte. Die lagen in Marinade auf dem Balkon bis sie zubereitet wurden. Ebenfalls köstlich. Essen war anders als heute. Es gab viel Innereien, Leber, Niere, Gehirn (sehr schmackhaft), neben dem üblichen Tartar mit Zwiebeln.