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© 2022 Prof. Dr. Thorsten Franz, HS Harz, Domplatz 18, 38820 Halberstadt
Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN 978-3-755-73211-2
Dieses Buch richtet sich in erster Linie an Jagdschüler, Jäger und Jagdgenossen. Dargestellt wird der Inhalt der wichtigsten für die Jagd geltenden Vorschriften, die Jagdscheinanwärter zum Bestehen der Jägerprüfung und Jäger für ihre Jagdausübung kennen müssen. In welchem Paragraph etwas geregelt ist, müssen sie in der Regel nicht wissen. Deshalb enthält der Fließtext des Buchs keine Paragrafen. Will der juristisch interessierte Jäger oder Jagdgenosse wissen, wo etwas geregelt ist, wird er in den Fußnoten fündig. Dort finden sich neben den Paragrafen- auch zahleiche Rechtsprechungs- und Literaturangaben sowie Hinweise auf Rechtsfragen. So mag das Buch ebenso für Rechtsanwälte, Verwaltungsmitarbeiter und Forstreferendare nützlich sein.
Der letzte Bundestag beschloss eine „kleine“ Novelle des Waffenrechts (3. WaffRÄndG, u.a. mit dem Verbot von Hi-Cap-Magazinen), jedoch kam es nicht mehr zur geplanten „großen“ Novelle des Jagdrechts, die der alte Koalitionsvertrag vorsah. Der jetzige 20. Bundestag dürfte sie aber beschließen. Dann würde gelten, was bisher noch nicht gilt: bundesweite Vorgaben zur Bleiminimierung von Büchsenpatronen, verpflichtender Schießübungsnachweis für die Teilnahme an Gesellschaftsjagden, bundesweite Vorgaben zum Inhalt der Jägerprüfung und Vorschriften zur (besseren) Durchsetzung des Vorrangs von Wald vor Wild, wie die Abschaffung einer Abschussplanung für Rehwild und deren Ersetzung durch eine verpflichtende Verständigung von Jagdgenossenschaft und Jagdpächter auf einen Mindestabschuss für Rehwild. Die geplante Grundlage hierfür, Vegetationsgutachten, würden die Kosten der Jagd erhöhen. Den Änderungen des Bundesrechts werden Änderungen des Landesrechts folgen.
Thorsten Franz
(im Februar 2022)
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Das Wort „Jagdrecht“ hat mehrere Bedeutungen. Zum einen versteht man hierunter ein Rechtsgebiet, zum anderen ein individuelles Recht. Jagdrecht als Rechtsgebiet ist die Gesamtheit aller Rechtsnormen, die das Jagdwesen regeln.1 Jagdrecht als Rechtsgebiet ist nicht in einem einzigen Gesetzeswerk enthalten.2 Es findet sich verstreut vor allem in den Jagdgesetzen und Jagdverordnungen des Bundes und der Länder.3 Das Recht der Jagd ist ein sehr altes Rechtsgebiet,4 das gegenwärtig sehr dynamisch ist.
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Das Jagdrecht als Rechtsgebiet dient vor allem einem gerechten Ausgleich der Interessen der Jagdausübenden (an Jagd und Hege des Wildes) mit den Interessen der Grundeigentümer und den Nutzungsinteressen der Land- und Forstwirtschaft.5 Es gestaltet zudem die Rechtsverhältnisse zwischen den Jagdausübenden. Außerdem geht es um das öffentliche Interesse am Artenschutz. Viele jagdrechtliche Regelungen, wie z.B. die Hegepflicht, die sog. sachlichen Verbote oder die Schonzeitenregelungen sind der Sache nach Artenschutzrecht, weil sie auf den Schutz von Tieren wildlebender Arten zielen.6 Schließlich dienen manche Regelungen der Vermeidung unnötiger Leiden und Qualen von Tieren und sind damit der Sache nach Tierschutzrecht.
Die meisten Vorschriften des Jagdrechts zählen zum Öffentlichen Recht, das Staat und Private in ein Über-/Unterordnungsverhältnis stellt.7 Dies wird besonders deutlich, wo sich in Ge- und Verboten die Hoheitsmacht des Staates ausdrückt (z.B. Jagdverbot in Schonzeit). Daneben finden sich aber auch einige das Verhältnis von Privaten regelnde Gesetze des Zivilrechts, etwa zur Wildfolge oder zur Ersatzpflicht für Wild- und Jagdschaden. Zudem finden sich strafrechtliche Tatbestände (Jagdwilderei,8 strafbarer Abschuss ganzjährig zu schonenden Wildes9). Diese Unterscheidungen haben vor allem für die Frage Bedeutung, welche Gerichtsbarkeit für einen Jagdrechtsstreit zuständig ist.10
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Ein europäisches Jagdrecht im Sinne eines eigenständigen Rechtsgebiets existiert nicht.11 Es gibt nur wenige jagdbezogene Gesetzeswerke der EU wie die Tellereisenverbotsverordnung12 und die Richtlinie zur Regelung der gesundheitlichen und tierseuchenrechtlichen Fragen beim Erlegen von Wild und bei der Vermarktung von Wildfleisch13. Daneben finden sich noch jagdbezogene Einzelregelungen in unionsrechtlichen Naturschutz-, Tierseuchen-14 oder Lebensmittelgesetzen (z.B. in der Fauna-Flora-Habitat- und der Vogelschutz-Richtlinie15).
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Innerhalb des Jagdrechts des Bundes nimmt das Bundesjagdgesetz die zentrale Stellung ein.16 Es gilt zwar in allen Bundesländern, jedoch dürfen die Länder von seinen Vorgaben abweichen.17 Zwischen den Bundesländern bestehen daher zum Teil erhebliche Unterschiede im geltenden Jagdrecht (!), auch wenn die Grundzüge des Jagdrechts überall gleich sind.18 Auch in Sachsen-Anhalt wurden die Vorgaben des Bundesjagdgesetzes an einigen Stellen durch Landesrecht verändert und ergänzt.19
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Hinzu treten einige Bundesverordnungen, wie die Jagdzeitenverordnung, von der das Land aber ebenfalls Abweichungen bestimmt hat.20 Nicht zum Bundesjagdrecht (im formellen Sinn) zählen die für die Jagdausübung geltenden Gesetze des Waffenrechts. Zumindest die in spezifischer Weise das Jagdwesen betreffenden Waffengesetze können aber als Jagdrecht im weiteren Sinne bezeichnet werden.21
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Zentrales Regelungswerk des Landesjagdrechts ist das Landesjagdgesetz.22 Es wird vor allem durch eine Durchführungsverordnung23 konkretisiert. Auf der Ebene unterhalb der Jagdgesetze des Parlaments und der Jagdverordnungen24 der Verwaltung finden sich so genannte Verwaltungsvorschriften (Erlasse, Richtlinien etc.25 Insoweit ist in Sachsen-Anhalt vor allem die Hegerichtlinie hervorzuheben.26
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Wer die Jagd ausübt, muss nicht lediglich Vorschriften des Jagdrechts im engeren Sinne beachten. Im Zusammenhang mit der Jagdausübung sind etwa auch Vorschriften des Waffen-, des Naturschutz-, des Forst- und des Lebensmittelrechts zu beachten und daher jagdscheinrelevant.
a) Jagdrecht als Bestandteil des Grundeigentums
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Jagdrecht im Sinne eines individuellen Rechts ist die ausschließliche Befugnis auf einem bestimmten Gebiet Wild zu hegen, zu bejagen und es sich anzueignen.27 Das Jagdrecht steht in Deutschland dem jeweiligen Grundeigentümer zu.28 Dies kann eine Einzelperson, Personenmehrheit (Erbengemeinschaft etc.) oder eine juristische Person sein (GmbH etc.). Das Jagdrecht ist untrennbar mit dem Eigentum an Grund und Boden verbunden.29 Im Falle von Flächen, die niemandem gehören (Meeresstrand, Küstengewässer, Haff, Wasserläufe, herrenlos gewordene Grundstücke etc.), steht das Jagdrecht den Ländern zu.30
Aus dem Jagdrecht des Eigentümers folgt allerdings – anders als der missverständliche Begriff nahelegt! – nicht zugleich das Recht auch tatsächlich auf dem eigenen Grund zu jagen.31 Soweit in der Umgangssprache davon die Rede ist, jemand stehe in einem Revier das „Jagdrecht“ zu, ist hiermit nicht das Jagdrecht, sondern das hieraus abgeleitete Jagdausübungsrecht gemeint. Jagdrecht und Jagdausübungsrecht sind also streng zu unterscheiden. Sie können, müssen aber nicht in einer Person vereint sein. Jagdrecht und Jagdausübungsrecht fallen zusammen, wenn ein Jagdscheininhaber Eigentümer eines unverpachteten Eigenjagdbezirks ist.32 Im Falle des gemeinschaftlichen Jagdbezirks steht hingegen das Jagdausübungsrecht der Jagdgenossenschaft zu,33 die allerdings das Recht in der Regel verpachtet.
Da das Jagdrecht ein individuelles Rechtsgut des Rechtsinhabers ist, kann er rechtswidrige Beeinträchtigungen seines Rechts abwehren34 und bei Schäden infolge von Rechtsverletzungen vom Schädiger Schadensersatz verlangen35.
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Aus dem Jagdrecht leitet sich das Recht zur Aneignung des Wildes ab. Aneignung von Wild bedeutet, dass der Jagdausübungsberechtigte mit der Erlangung der unmittelbaren Herrschaftsgewalt über zuvor herrenloses Wild das Eigentum am Tierkörper erlangt.36 Herrenlos sind wilde Tiere, die sich in Freiheit befinden. Dabei kann es sich auch um aus einem Wildgehege entlaufene Exemplare einer Wildtierart handeln, wenn sie weder einen Rückkehrwillen haben, noch vom Eigentümer unverzüglich verfolgt werden bzw. wenn dieser die Verfolgung aufgegeben hat.37 Das von angestellten Jägern oder Jagdgästen erlegte Wild wird mit Inbesitznahme durch sie Eigentum des Jagdausübungsberechtigten. Sie handeln insoweit als dessen Besitzdiener.38 Der Jagdausübungsberechtigte muss ihnen lediglich das gewohnheitsrechtlich anerkannte „kleine Jägerrecht“39 überlassen und – sofern nichts anderes vereinbart ist – die Trophäen des rechtmäßig erlegten Wildes übereignen.40 Eigentum erlangt der Jagdausübungsberechtigte am Wild auch dann, wenn Treiber oder Jagdhelfer das Wild für ihn als Besitzdiener in Besitz nehmen. Hingegen erlangt der Wilderer kein Eigentum am Wildkörper.
Der Jagdausübungsberechtigte hat das Recht, das seinem Aneignungsrecht unterliegende Wild zu verwerten.41 So kann er etwa Wildkörper zur Präparation verkaufen, Bälge und Trophäen verkaufen oder das Wildbret vermarkten, wobei insoweit das Fleischhygienerecht42 zu beachten ist. Einnahmen aus der Vermarktung unterliegen dem Einkommensteuerrecht.43
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Bei einem Wildunfall verendete Stücke bleiben herrenlos.44 Nur der Aneignungsberechtigte kann die Herrenlosigkeit beenden, während der Fahrzeuglenker zwar Besitz (tatsächliche Sachherrschaft), nie jedoch Eigentum an dem Stück erlangen kann. Nimmt er Unfallwild mit, begeht er Jagdwilderei. Er darf das verendete Stück im Interesse der Verkehrssicherheit lediglich von der Straße an den Straßenrand verbringen. Die Entscheidung über die Verwertung bzw. Entsorgung45 liegt allen beim Jagdausübungsberechtigten. Eine Aneignungspflicht hat er nicht. Der Fahrzeugführer ist (bußgeldbewehrt)46 verpflichtet, einen Wildunfall mit Schalenwild unverzüglich einer Polizeibehörde, dem Jagdaufseher oder dem Jagdausübungsberechtigten anzuzeigen,47 damit der Jagdausübungsberechtigte von seinem Aneignungsrecht Gebrauch machen und notfalls das Leiden des Stücks beenden kann. Wird das Wildbret jedoch nur deshalb entwertet, weil die Anzeige unterbleibt, kann er vom Unfallverursacher Schadensersatz verlangen.48 Welche Ansprüche Jagdausübungsberechtigten im Einzelnen gegen Unfallverursacher und Straßenverkehrsbehörden zustehen, muss jedoch als ungeklärt bezeichnet werden.49 Ein Anspruch gegen Straßenverkehrsbehörden auf das Aufstellen von Wildschutzzäunen besteht jedenfalls nicht.50
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Das Aneignungsrecht umfasst auch die (ausschließliche) Befugnis, sich krankes oder verendetes Wild, Fallwild und Abwurfstangen51 sowie die Eier von Federwild anzueignen.52 Dies macht deutlich, dass die Aneignung nicht notwendig der Wildbret-Verwertung dienen muss. Die ansonsten nach der Bundeswildschutzverordnung53 geltenden Besitz-, Vermarktungs- und sonstigen Verbote für bestimmte Wildarten,54 insbesondere für die meisten Flugwildarten, lassen ausdrücklich das Aneignungsrecht des Jagdausübungsberechtigten unberührt.55 Die entgeltliche Weitergabe dieser Tiere an Dritte ist jedoch erheblich eingeschränkt.56 Zu beachten ist auch das Verbot des Ausnehmens der Gelege von Federwild.57
Das Aneignungsrecht gilt nur für Wild. Tiere der besonders oder streng geschützten Arten sind i.d.R. kein Wild, so dass der Jäger hier kein Aneignungsrecht hat. Für sie gilt ein Verbot der Inbesitznahme.58 So ist etwa der Besitz einer tot aufgefundenen Waldohreule durch den Jagdausübungsberechtigten selbst dann unzulässig, wenn er sie präparieren und zu Demonstrationszwecken im Rahmen der Jägerausbildung verwenden will.59 Nur im Hinblick auf solche besonders oder streng geschützte Arten, die Wild sind, verdrängt das Jagdrecht das artenschutzrechtliche Inbesitznahme-Verbot und es besteht das jagdliche Aneignungsrecht. Der Jagdausübungsberechtigte darf sich in seinem Jagdrevier sogar aufgefundene tote Tiere der streng geschützten Arten des Anh. A der EG-Artenschutzverordnung (>) aneignen (und präparieren lassen), sofern diese Wild sind. Dies betrifft vom Haarwild Luchs, Fischotter sowie Wildkatze (und den hier nicht heimischen Wisent)60 und vom Federwild Turteltaube, Knäkente, Moorente, Großtrappe und alle heimischen Greifvögel61. Er darf Totfunde von Anh. A-Arten aber nicht verkaufen. Insoweit gilt ein Vermarktungsverbot.62 Er darf im Übrigen auch tote Vögel von europäischen Vogelarten63, soweit diese dem Jagdrecht unterliegen, zum persönlichen Gebrauch oder als Hausrat ohne eine Ausnahme oder Befreiung aus einem Drittstaat unmittelbar in das Inland verbringen.64 Durch die genannten jagd- und artenschutzrechtlichen Besitz- und Vermarktungsverbote wird vor allem der Erwerb von Tieren durch Tierpräparatoren erheblich beschränkt, weswegen beim Ankauf des Tieres vom Präparator stets geklärt sein sollte, ob der Veräußerer zu Besitz und Verkauf berechtigt ist.65
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Das Jagdrecht umfasst nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht zur Hege.66 Unter Hege versteht man alle Maßnahmen des Jagdausübungsberechtigten, die auf die Erhaltung eines den landschaftlichen und landeskulturellen67 Verhältnissen angepassten artenreichen und gesunden Wildbestandes sowie die Pflege und die Sicherung seiner Lebensgrundlagen zielen.68 Sie muss so durchgeführt werden, dass Beeinträchtigungen einer ordnungsgemäßen land-, forst- und fischereiwirtschaftlichen Nutzung, insbesondere Wildschäden, möglichst vermieden werden.69 Wild darf nicht „überhegt“ werden. Maßnahmen der Hege sind neben der Bestandsregulierung in erster Linie solche zur Biotopschaffung, -verbesserung und - vernetzung, nur in sehr engen Grenzen auch die Fütterung und das Aussetzen von Wild.
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Der Abschussplan70 für Schalenwild, aber auch der Abschuss sonstigen jagdbaren Wildes muss dem gesetzlichen Ziel der Hege gerecht werden. Jeder Abschuss soll auch ein Abschuss im Rahmen der konkreten Hegeziele sein. Die Bestandsregulierung des Wildes zählt daher letztlich der Sache nach ebenfalls zur Hege, soweit sie dazu dient, eine Überpopulation einer Wildart einzudämmen, die zu übermäßigen Wildschäden führen würde, der Gesundheit des Wildes abträglich wäre oder andere Tierarten verdrängen würde. Zudem kann der Abschuss zur Bekämpfung bzw. Prävention von Seuchen geboten sein.
Bestandsregulierung setzt vorherige Bestandserfassung voraus. Der Jagdausübungsberechtigte muss sich vor Abschüssen einen Überblick über den Bestand der zu bejagenden Wildarten verschafft haben.71 Diese Pflicht gilt nicht nur im Hinblick auf die Wildarten des Abschussplans, sondern aufgrund der Hegepflicht für alle Wildarten, die bejagt werden, zumal (von Ausnahmen abgesehen) keine Art in ihrem Bestand gefährdet werden darf.72 Zur Bestandserfassung reichen weder bloße Vermutungen aus, noch bedarf es wildbiologischer Untersuchungen. Notwendig und ausreichend ist eine Schätzung auf der Grundlage zumutbarer Beobachtung von Wild und Wildspuren (Trittsiegel, Verbissschäden etc.).73 Wer daher etwa einen Dachs streckt, bevor er den Dachsbestand im Revier oder Nachbarrevieren nachvollziehbar geschätzt hat, verstößt gegen die Hegepflicht.
Hege bedeutet auch, dass grundsätzlich keine Art der jagdbaren Tiere in ihrem Bestand gefährdet wird (Verbot der Ausrottung). Bei bestandsgefährdeten Arten, wie dem Rebhuhn,74 gebietet die Hegepflicht den Jagdverzicht (!). Das Verbot der Bestandsgefährdung gilt nicht für die Arten Waschbär, Marderhund, Mink, Nutria und Nilgans.75 Zudem kann die Jagdbehörde gebietsweise aus Gründen der Landeskultur oder Wildschadensvermeidung den Totalabschuss anderer Wildarten durch eine Schonzeitenaufhebung zulassen.76
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Unter einem „Hegeabschusses“ wird meist77 ein Abschuss aus Gründen der Hege über den Abschussplan hinaus oder in der Schonzeit verstanden. Ein Abschuss von krankgeschossenem oder schwerkrankem Wild über den Abschussplan hinaus oder außerhalb der Schonzeiten ist zulässig (und gesetzlich geboten), um die kranken Stücke vor weiteren bzw. drohenden starken Schmerzen oder Leiden zu bewahren.78 Die Pflicht zum Abschuss trifft jeden befugten Jäger (wie den Jagdgast), der ein solches Stück sicher beschießen kann, unabhängig davon, ob er das Stück selbst krankgeschossen hat.79 Ob etwa ein von der Dasselfliege befallenes Stück oder ein Perückenbock „schwerkrank“ sind, kann erst anhand weiterer Merkmale beurteilt werden, die den Schluss auf ein schweres Leiden zulassen.
Verursacher von Wildunfällen oder zufällig am Unfallort anwesende Jagdscheininhaber haben mangels Jagdausübungsrecht selbst dann kein Recht zur Tötung angefahrenen Wildes, wenn es erkennbar dem Tod geweiht ist und stark leidet. Da die Rechtslage bis heute nicht als vollständig geklärt erscheint, ist es ratsam, in diesen Fällen als Revierfremder einen Fangschuss nur nach Kontaktaufnahme und Billigung durch die Polizei abzugeben.80
bb) Biotopverbessernde Maßnahmen
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Zur Hege gehören insbesondere biotopverbessernde Maßnahmen (einschließlich der Schaffung und Vernetzung von Biotopen).81 Sie zielen vor allem auf mehr Ruhe, Deckung und Äsung des Wildes ab. Zu nennen sind insoweit z.B. die Anlage von Feldholzinseln oder Pflanzungen entlang von Wegen einer ausgeräumten Feldflur.82 In der Aufgabe der Biotopverbesserung ist als „Minus“ die Aufgabe enthalten, rechtswidrige Biotopzerstörung abzuwehren. So sollte der Jäger etwa folgende Biotopzerstörungen bekämpfen: Wegpflügen und Totspritzen gemeindlicher Feldwegeseitenstreifen, Missachtung des Gewässerrandstreifenschutzes oder Gewässerunterhaltung, die nicht die gesetzlich gebotene Rücksicht auf das Gewässer und seiner Ufer als Lebensraum nimmt.83
Die Pflicht, biotopverbessernde Maßnahmen durchzuführen, ist allerdings nicht bußgeldbewehrt, so dass sie tatsächlich eher Appellcharakter hat. Zudem ist ihre Erfüllung abhängig von tatsächlichen (geeignete Flächen, finanzielle Mittel etc.) und rechtlichen Voraussetzungen (Einwilligung der Grundeigentümer etc.). Biotopverbesserung wird vom Land,84 Landesjagdverband85 und mitunter von Jagdgenossenschaften86 gefördert. Dies gilt sinngemäß für das gesetzliche Gebot, die natürlichen Bedingungen für das Vorkommen der einzelnen Wildarten (Biotope) zu erhalten und nach Möglichkeit wiederherzustellen sowie vorhandene Biotope nicht zu beeinträchtigen.87
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Die Wildfütterung ist im Grundsatz verboten und nur in Ausnahmefällen erlaubt.88 Ohne besondere Genehmigung zulässig sind nur die Fütterung in Notzeiten und die (anzeigepflichtige) Eingewöhnungsfütterung für ausgesetztes Wild.89 Ob eine Notzeit vorliegt, richtet sich nicht nach der Einschätzung des Jägers, sondern wird von der jeweiligen Jagdbehörde wildartbezogen festgelegt.90 Angesichts immer milderer Winter ist in Sachsen-Anhalt nur im Falle eines ganz außergewöhnlich langen kalten und schneereichen Winters eine Notzeitfeststellung für stark betroffene Regionen (z.B. Hochharz) zu erwarten. Wird eine Notzeit festgestellt, so ist die ausreichende Fütterung sogar eine Rechtspflicht des Revierinhabers,91 ihr Unterlassen indes nicht bußgeldbewehrt.92
Nur mit besonderer Genehmigung der Jagdbehörde sind die Ablenkfütterung zur Vermeidung übermäßiger Wildschäden93 und die Schaufütterung zu Fremdenverkehrszwecken gestattet.94
Eine zulässige Hegemaßnahme ist die Anlage von Wildäckern jedenfalls dann, wenn sie im Falle unzureichender bzw. artenarmer Äsung das Äsungsangebot mit heimischen wildwachsenden Pflanzen verbessern. In der Jagdrechtsliteratur wird sogar die Praxis der Anlage von Wildäckern mit Mais oder anderen Ackerfrüchten für zulässig gehalten.95 Ob dem die Verwaltungsgerichte im Land folgen oder dies als unzulässige Wildfütterung werten werden, erscheint offen, weil derartige Wildäcker der Sache nach nicht anders wie das unzulässige massenhafte Ausbringen von Futtermitteln wirken. Eindeutig unzulässig ist die Anlage von Wildäckern in FFH-Gebieten, wenn dies einen dortigen Lebensraumtyp verändert.96 Die in engen Grenzen zulässige Lockfütterung zur Bejagung (sog. Kirrung) gilt nach dem Landesrecht nicht als „Fütterung“ im Sinne des Gesetzes.97
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Für die Fütterung gelten verschiedene Futtermittelverbote. Die Fütterung von Wild mit proteinhaltigen Erzeugnissen, mit Fetten aus Gewebe warmblütiger Landtiere, mit Fischen oder Fischteilen, mit Mischfuttermitteln, die diese Einzelfuttermittel enthalten, sowie mit Futtermitteln, die durch eine industrielle Aufarbeitung ihre natürliche Rohfaserzusammensetzung verloren haben, ist verboten (ausgenommen auszuwildernde Fasanen- und Rebhuhnküken).98 Zur Fütterung von Schalenwild sind als Futtermittel ohne Zusätze Heu, Grassilage, heimische Baumfrüchte (Buchecker, Eichel etc.) sowie Hackfrüchte zugelassen.99 Zu den Hackfrüchten zählt man Kartoffeln, Zuckerrüben, Futterrüben, Feldgemüse und Mais. Unzulässig als Futtermittel ist daher etwa das Ausbringen von Apfel- oder Weintrester (Treber),100 von Küchenabfällen, Brot und anderen Backwaren oder Südfrüchten. Werden landwirtschaftliche Produkte, die als verbotene Futtermittel gelten, ausgenommen Heu, in der freien Landschaft nicht nur vorübergehend gelagert, dürfen diese außerhalb von Notzeiten dem Schalenwild nicht zugänglich sein.101
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Nicht zu den Hegemaßnahmen zählt das Kirren. Unter der Kirrung von Wild versteht man das gelegentliche Ausbringen von Lockfutter in geringen Mengen zur erleichterten Bejagung des Wildes.102 Sie ist nach neuer Rechtslage im Grundsatz für sämtliche Wildarten zulässig (!).103 Zulässige Kirrmittel sind nicht die zulässigen Futtermittel (!). Als Kirrmittel für Schalenwild dürfen ausschließlich heimische Baumfrüchte, Mais oder Getreide ausgebracht werden.104 Unzulässig ist daher etwa die Kirrung mit Backwaren, Fertigfuttermitteln (Hundefutter etc.), Kartoffeln, Wurst oder Zuckerrüben. Zulässig sind die Handausbringung und die Ausbringung unter Verwendung einfacher mechanischer Vorrichtungen.105 Eine einfache Vorrichtung ist etwa die Maistrommel, nicht aber ein elektrischer Kirrautomat mit Sensor.106 Bei der Handausbringung ist die Kirrmittelmenge so zu bemessen, dass am Kirrplatz nicht mehr als drei Kilogramm Kirrmittel verfügbar sind. Hingegen dürfen die mechanischen Vorrichtungen ein Fassungsvermögen von höchstens fünf Kilogramm besitzen.
Zur Kirrung von Raubwild dürfen Wildaufbrüche verwendet werden.107 Sie müssen am Luderplatz nicht vor der Aufnahme durch das Wild geschützt sein.108 Die Verwendung von Schlachtabfällen ist auch nach dem Tierkörperbeseitigungsrecht unzulässig. Die angeführten Wildarten dürfen selbstverständlich an der Kirrung erlegt werden.109
Keine Kirrung ist die erwähnte Ablenkfütterung zur Verhinderung von Wildschäden. An ihr darf i.Ü. das Schadwild nicht bejagt werden.
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Der Einsatz von Lockstoffen bzw. Lockmitteln ist gesetzlich nicht explizit geregelt. Üblich ist etwa die Verwendung von Buchenholzteer oder Lockmitteln in Raubwildfallen. Soweit das Ausbringen einen Eingriff in das Grundeigentum darstellt, bedarf es der Zustimmung der Eigentümer. Buchenholzteer darf nicht in Gewässer gelangen. Salzsteine sind Lockmittel, wenn an der Salzlecke gejagt werden soll. Die Anlage von Salzlecken in NATURA 2000-Gebieten ist nach näherer Maßgabe der Verordnung stark eingeschränkt.
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Zu den Hegemaßnahmen zählt auch das Aussetzen von Wild.110 Dieses ist in Sachsen-Anhalt allerdings nur eingeschränkt zulässig.111 Der Revierinhaber darf Wild in seinem Jagdbezirk nur mit schriftlicher Genehmigung der oberen Jagdbehörde aussetzen.112 Die Genehmigung ist zu erteilen, wenn die Maßnahme aus Gründen der Hege notwendig ist und Schäden für die Land- und Forstwirtschaft nicht zu befürchten sind.113 Nicht genehmigungsfähig ist das Aussetzen von Waschbär, Marderhund, Mink, Nutria, Aaskrähe, Elster und Nilgans.114
Verboten ist es, eingefangenes oder aufgezogenes Wild später als vier Wochen vor Beginn der Jagdausübung auf dieses Wild auszusetzen.115
Das Aussetzen von Tieren einer fremden Tierart in der freien Natur (z.B. nichtheimische Enten- oder Fasanenarten) bedarf der Genehmigung der obersten Jagdbehörde.116 Als fremd gelten Tierarten, die bei Inkrafttreten des Bundesjagdgesetzes, d.h. am 1.4.1953, in Deutschland frei lebend nicht heimisch waren. Die Genehmigung, Tiere einer solchen Art in der freien Wildbahn auszusetzen, darf nur erteilt werden, wenn die Art die heimische Tierwelt wesentlich bereichert und Schäden für die öffentliche Sicherheit, die Landespflege, die heimische Tierwelt, die Land- oder Forstwirtschaft nicht zu befürchten sind.117 Haustiere dürfen generell nicht ausgesetzt werden.118
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Das Ausbringen von Tieren in die freie Natur bedarf dem Grundsatz nach auch einer naturschutzrechtlichen Genehmigung.119 Dies gilt nicht für Wild, deren Art im betreffenden Gebiet in freier Natur in den letzten 100 Jahren vorkommt oder vorkam.120 Genehmigungspflichtig ist aber etwa das Aussetzen von heimischen Eulen (z.B. Uhu)121 oder von Exoten122. Die Genehmigung ist zu versagen, wenn eine Gefährdung von Ökosystemen, Biotopen oder Arten der Mitgliedstaaten nicht auszuschließen ist.123 Etwaige Zweifel gehen zu Lasten des Antragstellers, zumal z.B. Neozoen ein oft unkalkulierbares Risiko für die heimische Tier- und Pflanzenwelt darstellen.
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Zur Hege im weiteren Sinne zählt auch die Haltung von jagdbaren Tierarten in Gehegen, in denen die Tiere auf ihre Auswilderung vorbereitet werden sollen (etwa Wald- und Feldhühner). Derartige Auswilderungsgehege bzw. Volieren können (je nach Standort, Größe und Bauart) bau- und naturschutzrechtlichen Anforderungen unterliegen.124 Die Errichtung von Tiergehegen ist im Grundsatz anzeigepflichtig.125 Die Anzeigepflicht entfällt u.a. bei Tiergehegen von nicht mehr als 50 qm, die keine Tiere besonders geschützter Arten enthalten, bei Auswilderungsgehegen für dem Jagdrecht unterliegende Tierarten, in denen die Tiere jeweils nicht länger als einen Monat verbleiben und Tiergehegen, in denen nicht mehr als fünf Tiere der Arten Rothirsch, Damhirsch, Reh, Mufflon oder Wildschwein gehalten werden.126
Soweit im BJagdG davon die Rede ist, Schwarzwild dürfe nur in solchen Einfriedungen gehegt werden, die ein Ausbrechen verhindern,127 geht es nicht um den allgemeinen Hegebegriff des BJagdG, sondern um das Hegen im Sinne der Haltung von Schwarzwild in Gehegen, seien es (nun unzulässige)128 Jagdgehege oder sonstige Tiergehege.129
ee) Hegegemeinschaft
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Jagdausübungsberechtigte räumlich zusammenhängender Jagdbezirke können sich zu einer Hegegemeinschaft zusammenschließen (freiwillige Hegegemeinschaft).130 Zur gemeinsamen Hege und Bejagung von Rot-, Dam-, Muffel- oder Rehwild sollen sie sich zu Hegegemeinschaften zusammenschließen.131 Jagdbehördlich anerkannte Hegegemeinschaften können den Abschuss in einem gemeinsamen Abschussplan regeln.132 Die Anerkennung als Hegegemeinschaft setzt vor allem voraus, dass die einheitliche Bewirtschaftung der Jagd für die betreffende Wildart in dem Gebiet der Gemeinschaft biologisch und jagdwirtschaftlich zweckmäßig ist.133 Über die
Abschussplanung hinaus kann die Hegegemeinschaft auf der Basis einheitlicher Abstimmung Lebensraumgutachten und Artenschutzprogramme erstellen und Maßnahmen für ausreichende Äsungs-, Deckungs- und Ruhebereiche ergreifen.134 Die Länder können die Bildung von Zwangshegegemeinschaften regeln.135 In Sachsen-Anhalt sind aber Zwangszusammenschlüsse nicht vorgesehen.136 Umgangssprachlich werden Hegegemeinschaften oft als „Hegeringe“ bezeichnet. Dies ist missverständlich, weil auch die Zusammenschlüsse der Mitglieder des Landesjagdverbandes unterhalb der Kreisebene Hegeringe heißen.
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Das Jagdausübungsrecht bezieht sich auf einen bestimmten Jagdbezirk. Zur Jagdausübung berechtigt ist der Rechtsinhaber nur innerhalb seines Jagdbezirks.137 Den Jagdbezirk bezeichnet man auch als „Jagdrevier“ und den Jagdausübungsberechtigten als Revierinhaber138. Zu unterscheiden sind Eigenjagdbezirke und gemeinschaftliche Jagdbezirke.139 Im Grundsatz gilt, dass zusammenhängende Grundflächen eines Eigentümers von mindestens 75 Hektar einen Eigenjagdbezirk bilden.140 Voraussetzung ist allerdings, dass es sich um land-, forst- oder fischereiwirtschaftlich nutzbare Flächen handelt. Die Flächen müssen also nicht zu diesen Zwecken tatsächlich genutzt werden, sondern es reicht aus, dass sie diesen Zwecken dienstbar gemacht werden könnte.141 Im Eigenjagdbezirk ist der Eigentümer Inhaber des Jagdrechts und grundsätzlich auch jagdausübungsberechtigt.142 Besitzt er indes keinen Jahresjagdschein (oder ist der Eigentümer eines Eigenjagdbezirks eine juristische Person oder eine Personenmehrheit) und wird die Jagd weder durch Verpachtung noch durch angestellte Jäger ausgeübt, so wird sie von demjenigen ausgeübt, den der Verfügungsberechtigte der Jagdbehörde benennt (z.B. Sohn oder Tochter).143 Sofern im Hinblick auf die Benannten keine Hinderungsgründe vorliegen (fehlender Jagdschein, kein Überschreiten der zulässigen Personenhöchstzahl oder der 1000 Hektar-Grenze in einer Person, fehlendes Einverständnis144 etc.)145, werden sie zum Revierinhaber.146 Ein weiterer Sonderfall ist der Verzicht des Eigentümers auf die Selbständigkeit des Jagdbezirks, so dass seine Flächen Bestandteil eines gemeinschaftlichen Jagdbezirks werden.147
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Sonstige Grundflächen einer Gemeinde148 oder abgesonderten Gemarkung bilden (unabhängig von ihrer land-, forst- oder fischereiwirtschaftlichen Nutzbarkeit!) einen gemeinschaftlichen Jagdbezirk.149 Wenn die Jagdbehörde nichts anderes festlegt, verläuft die Grenze des jeweiligen Jagdbezirks entlang der Grenzen der zum Jagdbezirk gehörenden Flurstücken der Gemeinde (bzw. der abgesonderten Gemarkung). Auf Antrag, etwa des Pächters benachbarter Bezirke,150 können gemeindegebietsübergreifend gemeinschaftliche Jagdbezirke gebildet werden.151 In Sachsen-Anhalt beträgt die Mindestgröße des gemeinschaftlichen Jagdbezirks grundsätzlich 250 Hektar.152 Im gemeinschaftlichen Jagdbezirk sind die Grundeigentümer Inhaber des Jagdrechts, jagdausübungsberechtigt ist jedoch im Grundsatz die aus den Grundeigentümern gebildete Jagdgenossenschaft.153
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Das geschilderte System der Verteilung der Grundflächen auf Eigenjagdbezirke und gemeinschaftliche Jagdbezirke wird in verschiedener Weise modifiziert. So kann ein Eigentümer eines Eigenjagdbezirks gegenüber der Jagdbehörde schriftlich auf die Selbständigkeit seines Bezirks verzichten.154 Hierdurch wird dieser Bestandteil des gemeinschaftlichen Jagdbezirks des Gemeindegebiets – sofern ihn die Jagdbehörde nicht durch besondere Verfügung anderen Jagdbezirken angliedert.155 Zudem kann durch freiwillige Vereinbarung oder behördliche Verfügung der Zuschnitt der Bezirke jagdlichen Erfordernissen anpasst werden. In Betracht kommen hierfür die Abrundung, die Zusammenlegung und die Teilung von Jagdbezirken.
Jagdbezirke können durch Abtrennung, Angliederung oder Austausch von Grundflächen durch Vertrag (einvernehmlich) oder von Amts wegen (zwangsweise) abgerundet werden, wenn dies aus Erfordernissen der Jagdpflege und Jagdausübung notwendig ist (Abrundung).156 Eine Abrundung kann etwa dadurch begründet sein, dass ein Jagdbezirk schon aufgrund seines Zuschnitts eine Jagd vor allem an den Reviergrenzen erwarten lässt und damit die Gefahr von Grenzverstößen und unzulässiger Wildfolge schafft.157 Keine zwingende Notwendigkeit zur „Abrundung“ eines Jagdbezirks folgt etwa daraus, dass die Grenze zweier Jagdbezirke an der Wald-Feld-Linie verläuft, so dass das Wild aus seinem Einstand in das Feld wechselt.158 Die Jagdbehörde kann einen Abrundungsvertrag beanstanden, wenn die Abrundung nicht erforderlich ist.159 Dabei ist ein Austausch von Flächen ungefähr gleicher Größe anzustreben, d.h., die Gesamtfläche der Bezirke soll sich per Saldo möglichst nicht bzw. kaum verändern.160
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Ausnahmsweise kann die Jagdbehörde auch kleinere Gebiete ab 200 Hektar als selbständige Jagdbezirke festsetzen, wenn Belange der Jagdpflege nicht entgegenstehen.161 Sinkt die Größe allerdings unter 200 Hektar, hat die Jagdbehörde diese Flächen benachbarten Jagdbezirken anzugliedern (Angliederung).162 Dies gilt entsprechend, wenn infolge einer Befriedung von Teilflächen (s.u.) die tatsächlich bejagbare Fläche auf weniger als 100 Hektar sinkt.163 Die Einzelheiten dieser Verfahren sind nicht jagdscheinrelevant.
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Die Jagdbehörde kann einen gemeinschaftlichen Jagdbezirk in mehrere selbständige, mindestens 250 Hektar große gemeinschaftliche Jagdbezirke teilen, wenn sich die Mehrheit der Jagdgenossen nach der Kopfzahl und nach der Fläche der Grundstücke, mit denen sie der Jagdgenossenschaft angehören, für diese Teilung erklärt und Belange der Jagdpflege nicht entgegenstehen.164 Mit der Teilung ihres Jagdbezirks ist die dazugehörige Jagdgenossenschaft aufgelöst.165
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Sonderregelungen gelten, wenn Bezirke infolge einer Gemeindegebietsreform zusammengelegt werden.166 Auf Antrag kann ein Jagdbezirk auch über Gemeindegrenzen hinweg eingerichtet werden. Voraussetzung der Zusammenlegung von zusammenhängenden Grundflächen mehrerer Gemeinden ist, dass sie zusammen die Erfordernisse eines gemeinschaftlichen Jagdbezirks erfüllen.167 Mit der Zusammenlegung hört die dazugehörige Jagdgenossenschaft zu bestehen auf.168
Die Jagdbehörde hat die Verfügung über die Angliederung, Teilung oder Zusammenlegung gemeinschaftlicher Jagdbezirke den beteiligten Jagdgenossenschaften und Gemeinden zuzustellen und die Verfügung öffentlich bekannt zu machen.169
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Im gemeinschaftlichen Jagdbezirk bilden die Eigentümer170 der zusammengeschlossenen Grundflächen (die „Jagdgenossen“) eine Jagdgenossenschaft.171 Sie ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts172 unter der Aufsicht der Jagdbehörde173. Es besteht im Grundsatz Pflichtmitgliedschaft.174 Aufgabe der Genossenschaft ist es, ihr Jagdausübungsrecht am gemeinschaftlichen Jagdbezirk gemeinschaftlich zu nutzen und zu verwalten.175
Ihre Organe sind Jagdvorstand und (Mitglieder- bzw.) Genossenschaftsversammlung. Der Jagdvorstand besorgt die laufende Geschäftsführung und vertritt die Genossenschaft gerichtlich wie außergerichtlich.176 Er führt die Beschlüsse der Genossenschaft aus.177 Der Jagdvorstand wird von den Mitgliedern der Jagdgenossenschaft gewählt.178 Meist ist eine Amtszeit von vier Jagdjahren vorgesehen.179 Hat die Genossenschaft die von der obersten Jagdbehörde veröffentlichte Mustersatzung beschlossen, ist der Vorstand dreigliedrig und besteht aus Vorsitzendem, Schriftführer und Kassenführer.180 Die Vorstandsmitglieder müssen nicht Jagdgenossen sein.181
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Solange die Jagdgenossenschaft keinen Jagdvorstand gewählt hat, nimmt der „Gemeindevorstand“ die Geschäfte der Genossenschaft als sog. Notvorstand wahr.182 Dies gilt auch dann, wenn die Wahl unwirksam war oder die Amtszeit abgelaufen ist.183 In Sachsen-Anhalt ist Notvorstand kraft ausdrücklicher Regelung der Hauptverwaltungsbeamte der Gemeinde, das heißt der Bürgermeister bzw. Oberbürgermeister.184 Ihm stehen alle Kompetenzen eines gewählten Jagdvorstandes zu.185
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Oberstes Organ der Genossenschaft ist nicht der Vorstand, sondern die Mitgliederversammlung.186 Soweit nichts anderes durch Satzung oder Beschluss geregelt ist, entscheidet die Versammlung über die Nutzung der Jagd,187 d.h. über Abschluss, Änderung, Verlängerung oder Beendigung von Pachtverträgen. Im Hinblick auf das Auswahlverfahren188 und die Auswahlkriterien189 besitzt die Genossenschaft einen großen Spielraum. Nicht auf den Vorstand übertragbar ist ihre Aufgabe, über die Verwendung des Reinertrags (d.h. Einnahmen abzüglich notwendiger Kosten)190 der Verpachtung zu beschließen.191 Die Versammlung kann den Reinertrag nach dem Verhältnis der Flächenanteile ihrer beteiligten Grundstücke auf die Jagdgenossen verteilen (Verteilung nach Flächenanteilen) oder eine teilweise oder völlige anderweitige Verwendung beschließen (für Biotopverbesserung, Landschaftspflege etc.). Unzulässig ist es, den Ertrag nicht nach den Flächenanteilen auf die Eigentümer, sondern nach der Ergiebigkeit bzw. dem jagdlichen Wert der Flächen zu verteilen.192
Jeder Jagdgenosse kann allerdings verlangen, dass ihm sein rechnerischer Anteil am Reinertrag ausbezahlt wird (sog. Auskehrungsanspruch).193 Sofern der Anspruch nicht bereits im Voraus schriftlich geltend gemacht wurde, muss er schriftlich oder zur Niederschrift beim Jagdvorstand binnen eines Monats nach der Bekanntmachung des Beschlusses, dass der Reinertrag nicht ausschließlich nach den Flächenanteilen verteilt wird, geltend gemacht werden.194 Im Übrigen kann der Jagdgenosse durch schriftliche Erklärung unbefristet bis auf Widerruf verlangen, dass ihm stets der Reinertrag nach seinem Flächenanteil ausbezahlt wird.195 Der Auszahlungsanspruch für das jeweilige Jagdjahr verjährt nach drei Jahren.196 Die Verjährungsfrist beginnt mit dem Ablauf des Jagdjahres.
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Die Jagdgenossenschaft muss eine Satzung beschließen.197 Die Satzung bedarf der jagdbehördlichen Genehmigung.198 Beschließt die Genossenschaft die vom (für das Jagdwesen zuständigen) Ministerium erlassene Mustersatzung, reicht die Anzeige des Beschlusses aus.199 Die Mustersatzung ist auch für diejenigen Jagdgenossenschaften verbindlich, die innerhalb einer von der Jagdbehörde gesetzten Frist keine ausreichende Satzung aufgestellt haben.200
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Die Satzungen der Jagdgenossenschaften sehen in der Regel vor, dass mindestens einmal im Jahr eine Sitzung der Genossenschaftsversammlung stattfindet.201 Besteht ein Hindernis, handelt der Vorstand in Notgeschäftsführung.202 Ist die Art und Weise der Ankündigung der Sitzung nicht durch Satzung geregelt, muss in geeigneter Weise eingeladen werden. Dies erfordert zumindest die ortsübliche Verkündung der Einladung samt Tagesordnung203 in der Gemeinde (bzw. Stadt), in deren Gebiet sich der gemeinschaftliche Jagdbezirk befindet. Ortsfremde haben nach herrschender Ansicht keinen Anspruch auf persönliche Einladung.204 Die Mitgliederversammlung entscheidet in nicht-öffentlicher Sitzung.205 Sofern nicht einstimmig die Öffentlichkeit oder bestimmte Nicht-Jagdgenossen zugelassen werden, dürfen daher nur die Jagdgenossen an der Sitzung teilnehmen.206
Alle Beschlüsse der Genossenschaft bedürfen sowohl der Mehrheit der abgegebenen Stimmen als auch der Mehrheit der bei der Abstimmung vertretenen Grundflächen (Prinzip der doppelten Mehrheit).207 Ob die Mehrheit erreicht wurde, ist anhand des von der Genossenschaft zu führenden Jagdkatasters zu überprüfen.208 Jagdgenossen können sich durch andere bei der Stimmabgabe vertreten lassen, jedoch bedarf dies einer schriftlichen Vollmacht, auf der die Unterschrift amtlich beglaubigt wurde.209 Verfahrensfehler bei der Abstimmung führen nur dann zur Unwirksamkeit des von der Jagdgenossenschaft gefassten Beschlusses, wenn sie sich auf das Ergebnis der Abstimmung ausgewirkt haben.210 Liegen mehrere Beschlussanträge zu einem Tagesordnungspunkt vor, richtet sich die Reihenfolge der Beschlussfassung nach der Geschäftsordnung. Enthält diese hierzu keine Regelung, obliegt der Versammlung in sachgerechter Weise die Reihenfolge der Abstimmungen zu entscheiden.211
Im Übrigen steht jedem Jagdgenossen ein ungeschriebener Auskunftsanspruch gegen die Jagdgenossenschaft zu, wenn die Auskunft eine Voraussetzung effektiver Wahrnehmung seiner Ansprüche aus dem Mitgliedschaftsverhältnis ist,212 etwa um seinen Anteil am Reinertrag zu beziffern213. Der Jagdgenosse kann seine Mitgliedschafts- und Mitwirkungsrechte notfalls im Weg der Klage oder einstweiligen Anordnung durchsetzen.214
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Im Eigenjagdbezirk kann der Eigentümer mit Zustimmung der Jagdbehörde die Jagd ruhen lassen.215 Im gemeinschaftlichen Jagdbezirk kann die Jagdgenossenschaft das Ruhen der Jagd mit Zustimmung der zuständigen Jagdbehörde anordnen.216
Unabhängig von solchen Anordnungen ruht die Jagd auf Grundflächen, die zu keinem Jagdbezirk gehören und innerhalb sog. befriedeter Bezirke.217 Befriedete Bezirke sind Gebäude, Hofräume und Hausgärten, die an eine Behausung218 anschließen und durch eine Umfriedung begrenzt sind (i.d.R. nicht: Landschaftsparks219 und Streuobstwiesen220),221 Friedhöfe222, sonstige bebaute Flächen im Geltungsbereich eines Bebauungsplans und Flächen innerhalb einer geschlossenen Bebauung223 sowie Schaugehege224 und Sportplätze.225 Die Jagdbehörde kann weitere Flächen zu befriedeten Bezirken erklären.226 So können etwa Baumschulen, Fischteiche, Golfplätze oder Landschaftsgärten befriedet werden.227 Die Entscheidung ergeht auf Antrag der jeweiligen Grundeigentümer oder Nutzungsberechtigten oder von Amts wegen.
Anders als die jagdbezirksfreien Flächen gehören befriedete Bezirke zu einem Jagdbezirk,228 obwohl auf ihnen im Grundsatz die Jagd ruht (!). Ihre Eigentümer sind gleichwohl keine Mitglieder der Jagdgenossenschaft.
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Im befriedeten Bezirk ist die Jagdausübung grundsätzlich verboten. Die Jagd darf dort nur mit besonderer Gestattung der Jagdbehörde ausgeübt werden.229 Der „befugte Jäger“ darf jedoch im Rahmen von Nachsuchen den befriedeten Bezirk betreten, um dort krankgeschossenes Wild zu erlegen und sich anzueignen.230 Mit Ausnahme dieses Nachsucherechts hat ein Jagdpächter im befriedeten Bezirk keine öffentlich-rechtlichen Pflichten oder Rechte.231 Innerhalb des befriedeten Bezirks dürfen die Eigentümer und Nutzungsberechtigten der Grundflächen „unabhängig von jagdrechtlichen Beschränkungen“ (!) Füchse, Steinmarder, Waschbären, Marderhunde, Minke, Nutria und Kaninchen fangen, töten und für sich behalten.232 Diese Befugnis wird mitunter auch „beschränktes Jagdausübungsrecht“ der Grundeigentümer genannt. Im Hinblick auf sonstiges Wild steht ihnen ein Aneignungsrecht zu, wenn es auf dem eigenen Grund verendet, ohne als zuvor krankgeschossenes und nachgesuchtes Wild dem Aneignungsrecht des Jagdausübungsberechtigten zu unterliegen. Eigentümer und Nutzungsberechtigte können Jagdausübungsberechtigten gestatten, für sie Füchse, Steinmarder, Waschbären etc. zu töten und sich anzueignen.233
Die Jagd ruht zudem in dem seltenen Fall, dass die betreffenden Grundflächen keinem Jagdbezirk angehören, weil sie die gesetzlichen Voraussetzungen des Eigenjagdbezirks oder gemeinschaftlichen Jagdbezirks nicht erfüllen.234 Unanwendbar ist das Jagdrecht zudem auf Tiergärten,235 sofern diese nicht als Schau- oder Sondergehege befriedete Bezirke sind236.
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Bei der Jagd innerhalb des Jagdbezirks muss in Sachsen-Anhalt kein gesetzlicher Mindestabstand vom befriedeten Bezirk bzw. von Gebäuden oder Einfriedungen eingehalten werden (kein Verbot der „Grenzjägerei“)237. Zu beachten ist aber das Verbot der Jagd an Orten im Jagdbezirk, wenn die Jagd dort nach den Umständen des einzelnen Falles die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit stören oder das Leben von Menschen gefährden würde (Störungs- und Gefährdungsverbot).238 Maßgeblich ist mithin, dass die Jagd im Jagdbezirk ausgeübt wird, ohne die öffentliche Ruhe, Sicherheit und Ordnung zu stören oder Menschenleben zu gefährden.239 Ein Schießen entlang des befriedeten Bezirks oder gar in dessen Richtung verbietet sich in der Regel aus eben diesen Gründen. Hingegen ist ein Schießen im Jagdbezirk unmittelbar vor der Grenze (etwa einem Gartenzaun) in Richtung der offenen Landschaft in der Regel zulässig, sofern ein Kugelfang, Sicherheit im Übrigen und der Schutz der öffentlichen Ruhe gewährleistet sind.240 Auf besonders lärmempfindliche Bereiche wie Krankenhäuser, Seniorenheime und Pferdekoppeln241 ist Rücksicht zu nehmen. Befinden sich gar Pferde mit Reitern in der Nähe, verbietet sich wegen der Schreckempfindlichkeit der Pferde i.d.R. ein Schuss.242 Hingegen kann auf Viehweiden – bei angemessener Rücksicht auf die Weidetiere – ein Schuss vertretbar sein, nicht jedoch eine Treibjagd.
Flächen, auf denen dieses Jagdverbot außerdem eingreift, können in Wald und Flur etwa Naherholungsanlagen (z.B. offene Grillplätze), Sportanlagen, die keine Sportplätze sind (z.B. Trimm-Dich-Pfade), oder sonstige Ausflugsziele (z.B. Großsteingräber) sein. Kein allgemeines Jagdverbot gilt für Landschaftsschutzgebiete, obwohl sie meist der naturgebundenen Erholung (in Ruhe) dienen.243 Der Schusslärm ist von Besuchern von Naherholungsgebieten grundsätzlich hinzunehmen.244 Das Verbot ist nicht nur flächenbezogen, sondern greift etwa auch aufgrund von Nebel.245 Im Übrigen kann der Schutz der Ruhe auch aufgrund des Sonn- und Feiertagsschutzgesetzes geboten sein (z.B. Verbot der Jagd nahe Gottesdienst oder von Großjagd am Totensonntag).246
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Straßen, Wege und Eisenbahnkörper sind im Grundsatz keine befriedeten Bezirke, sondern gehören in der Regel zu dem Jagdbezirk, durch den sie verlaufen. Gehören sie indes keinem gemeinschaftlichen oder Eigenjagdbezirk an, gilt, dass sie jeweils bis zur Mitte als angegliederte Flächen zu den beiderseits angrenzenden Jagdbezirken zählen (gesetzliche Abrundung).247 Natürliche und künstliche Wasserläufe, Wege, Triften und Eisenbahnkörper sowie ähnliche Flächen, etwa Handtuchgrundstücke,248 bilden keinen Jagdbezirk für sich, wenn sie nach Umfang und Gestalt für sich allein keine ordnungsgemäße Jagdausübung gestatten.249 Sie unterbrechen den Zusammenhang eines Jagdbezirks nicht und stellen auch den Zusammenhang zur Bildung eines Jagdbezirks zwischen getrennt liegenden Flächen nicht her.250
Die Jagd auf Straßen, Wegen und Eisenbahnkörpern ist trotz ihrer Zugehörigkeit zum Jagdbezirk stark eingeschränkt. Sie ist allgemein unzulässig, wenn sie nicht gefahrlos möglich ist.251252253254Bahnanlagen255